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Skizze
Der Westhimmel überzog sich mit gelblicher Glut, dort wo die Abendsonne hinter Dämmernebeln unsichtbar verglühte. Unter den Kronen sprossender Bäume schlug tiefes Still sein Lager auf. Nur hier und da ein Rascheln im Dürrlaub verkündete atmendes, abendtraumerfülltes Leben: ein Vogel, der über den mit Gestrüpp bedeckten Waldboden hüpfte, sein verborgenes Nest zu suchen. Über der Waldwiese lag der Abend in kühlem, geheimnisvollem Geträume.
Und ich schritt durch den Wald …
Die schwermütig dunkeln Tannenstände, unterbrochen vom Grün junger Birken, legten Schatten über meinen Weg. Kaum sichtbarer Staub zog unter meinen Schritten auf und legte sich wie Spinnenwebe über meine Schuhe.
Gedankenvoll durchschritt ich den Tann …
Ich dachte an längst erloschene, einmal in Flammen lodernde Liebe; ich dachte an sanfte, reine Zuneigung, die wie Himmelsruhe sich über mein Herz gebreitet hatte. Und ich lächelte den Schlüsselblumen und Anemonen zu; ich lächelte wie in wohligem Gedenken jener Wunderzeit. Und der abendspäte Wanderer zertrat die Blumen so, wie er einmal ein Herz zertreten hatte.
Früher Mond bestreute meinen Weg mit mattsilbernen Flecken und hing zwischen den in Nacht ergrauenden Stämmen Märchenschleier auf. Dort troff ein Busch vom gleißenden Lichte … nein, dort stand eine Lichtgestalt. Und ich kannte sie …
»Gabriele – –«, so hauchte ich, den Schritt verhaltend, um meinen Traum nicht zu verscheuchen.
Sie stand vor mir, wie jenes Mal: sanft umhüllt nur von dem silberschimmernden Schleiergewebe – und durch dies Silbergeschimmer rang sich das Rosa ihrer Glieder. Sie ließ es mählich von allen Geheimnissen ihrer Schönheit gleiten. Just da erlosch die Kerze, und das Märchen verschwand – Dunkelheit war – und in dieser Dunkelheit glitten meine Hände über die Süße kältlich warmer, ach, über die Holdnisse aller ihrer Glieder …
»Gabriele – –«, so hauchte ich und wollte anbetend vor dem Märchen meiner Vergangenheit niederknien. Erlosch die Kerze, wie damals …? Nein, eine Wolke zog über den Mond. Und als er wieder scheinen mochte, stand nur der Busch dort, um den der Abendnebel den Schleier der Nachtruhe des Waldes hing.
Ich schritt weiter …
In meiner Brust sengte ein heißes Dürsten, in meinen Händen brannte die Gier nach dem Tasten jener Vergangenheit. Wärme … nacktes Fleisch … entblößte Glieder … das ward mein Begehren. Frauenlippen wollte ich küssend verschließen, Frauenaugen meine Wünsche widerspiegeln sehen. Törichtes Stammeln törichter Worte vernehmen, selbst stammelnd, aufgelöst und zerglüht von den Feuern der Leidenschaften …
Da klang das Feierläuten eines Kirchleins durch die sich lichtenden Stämme, als sollten meine Wünsche gesegnet sein. Wünsche, die ich solang' verschlossen in menschenfeindlicher Verachtung alles dessen, was Weib hieß. –
Mit Klirren, Hasten, Stahlgehämmer und Stöhnen trug mich der Zug der Riesenstadt entgegen. Er raste, als kenne er meine brennende Sehnsucht nach dem Ziele, allwo das Weib tausendfach Liebe verkaufte.
Den Bahnhof verließ ich und eilte stracks in die dunkeln Nebengassen.
Ich ging nicht … ich rannte … ich sah in dem in mir brausenden Liebestaumel nach flatternden Röcken aus.
Dort drüben eine Gestalt. Verlangend lechzend schaue ich hin und erkenne: es ist ein Mann. Wie jammervolle, lächerliche Enttäuschung kommt es wohl zehnmal so über mich.
Endlich auf meiner Straßenseite eine Frau. Zudringlich blicke ich ihr unter den Hut. Ach – – ein blasses Gesicht mit verhärmten Mienen und fiebernden Augen. Entrüstung weist mich zurück … vielleicht eine Näherin, die todmüde ehrbar ihre Kammer sucht.
Und ich renne weiter …
Endlich, endlich – endlich das, was ich suche!
Geschmacklos aufgeputzt, um in die Augen zu fallen – duftend nach widerlichen Wohlgerüchen – wallende Hutfedern – frech winkende, künstlich vergrößerte und aus den schwarzen Rändern der Schminke geil sein sollende Blicke … dies Erlebnis krönt mein tolles Verlangen.
Und ich folge …
Wir saßen einander gegenüber. Billige Üppigkeit der kupplerischen Vermieterin … roter Samt, dem man die Gemeinheit der auf ihm geübten Liebeslüste ansah. An den Wänden Bilder und nackte Weiber mit nackten Männern, die Heiligstes in den Schmutz der Säue traten. Blumenstöcke, die verdorrt und verwelkt aussehen, als ekelten sie sich vor dem, was ihrer Blüten süßes Schämen oft am Tage anwiderte.
Eine Ampel wob tiefe, dunkelrote Schatten um die weit zurück in den Höhlen liegenden Augen des fremden Weibes. Ich hob den Lampenschirm ein wenig, um diese Venus besser zu sehen. Die Schminke auf den fetten, gemeinen Zügen grellte auf. Um den künstlich geröteten Mund jene entsetzliche Gleichgültigkeit des Handwerks der Brunst. Ich sah zu, wie sie sich gewohnheitsmäßig entkleidete mit jener Schnelligkeit, die Übung ihr verliehen. Ihr geistloses, unreines Geschwätz sollte mich erregen. Es klang mir wie ein verstimmtes Instrument in die Ohren – wie das Gegrunz einer Muttersau …
Mein kreißendes Blut pulste ruhiger und ruhiger. Meine Stirn kühlte sich, und meine Hände wurden eisig. Nur die Feuchte der vorangegangenen stundenlangen Erregung blieb klebrig in den Rinnen der Handflächen zurück. Ich war ernüchtert, grenzenlos enttäuscht, hatte mich selbst betrogen …
Mehr als üppige Formen, wie breit gequetscht von tausend schmutzigen Umarmungen … ein schwarzseidenes, überkurzes Hemd … blaue Adern auf den massigen Schenkeln … rauhe Knie … derbe Knöchel: das Urbild niedriger Herkunft. Ekel packte mich. Ekel vor dieser schambaren Frau. Ekel vor mir selbst, Ekel vor meinem widernatürlichen Verlangen …
Ich griff nach dem Hute, warf ihr ein Silberstück auf den Teppich und vor die Füße und stürzte aus dem Zimmer, die verblüffte Hetäre fliehend. Mit langen Sprüngen die Enge der dunkeln Treppe hinabpolternd, gelangte ich auf die stille, einsame Straße hinaus. O, Himmel, die Reinheit dieser Frühlingsnachtluft! …
An einer Ecke blieb ich stehen, wo der Wind mich pfeifend umjagte.
Ich war wie ein Baum, in dem sich alle Säfte regen und der dem Frühling nicht entgegen knospen kann, weil eisige Winde seine Krone durchfrösteln. Ein Baum, dem der quellende Saft wurzelab gedrängt, vielleicht zum Versiegen gedrängt wird.
Ich stand und weinte, Und der kältende Wind eines kalten Frühlings trug meine Seufzer »Gabriele …« die finstere Gasse hinab und schleuderte sie höhnend um flackernde Gaslaternen. –