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Novelle
Mit nackten Füßen und bloßem Haupte, nichts als eine abgetragene Segeltuchhose und ein zerschlissenes Hemd auf dem Leibe, die Faust in der Tasche, und in dieser krampfhaft geballten Faust sieben Zwanzigmarkstücke, sowie einen kleingefalteten Tausendmarkschein … so lief ich die staubige Landstraße entlang. Ohne Besinnen. ohne Ziel, ohne Vernunft, ohne einen anderen Gedanken als den: Fort, nur recht weit fort! –
Ich war ein entlaufener Schiffsjunge, neunzehn Jahr alt.
Da hatte ich mir eine Welt voller Abenteuer geträumt. Meinte leben zu können als mein eigener Herr und ohne das väterliche Spanischrohr. Dachte ein Held zu sein und ein Mann mit aufrechtem Haupte – nach allen Demütigungen im Elternhause. Und was war aus mir geworden? Aufs neu – nur noch schlimmer als zuvor – ein Knabe; weniger noch: ein Prügelknabe. Jedeiner schlug auf mich ein, sogar der siebzehnjährige Leichtmatrose. Er nahm sich dies Recht, das doch nur das Recht des Älteren sein dürfte. Nun, er nahm sich's, weil er um einen Grad über dem Range eines Schiffsjungen stand, der ich war. Das war meine tiefste Demütigung auf dem Schiffe. O über dies Höllenleben an Bord des Seglers!
Kaum war die Bark »Mozart« in Batavia vor den Lagerhäusern am Kai festgemacht, als ich aus meiner Schiffskiste die Goldstücke nebst der Banknote nahm und stracks an Land ging. In dem Trubel, der auf einem nach langer Seereise in den Hafen verholten Schiffe entsteht, in all dem Wirrwarr und Tumult achtete niemand auf mich. So lief ich davon. Am Ausgang des Zollhafens befühlte mich flüchtig der Beamte, ein aufgedunsener, versoffen aussehender Holländer. Doch er meinte lachend, in solch löcherigem Anzug könne man gewiß nichts durch die Schranke schmuggeln, gab mir einen gutgemeinten Klaps und sagte: Lauf zu, Junge!
Nun, das besorgte ich gründlich. Trotz der Tropenhitze trabte ich durch die Straßen Batavias, auf nichts achtend, mich um nichts kümmernd, nichts sehend, nichts in dem fremden Lande anstaunend, nur immer mit dem einen Gedanken: Fort, recht weit fort! Ich gelangte auf diese staubige Landstraße, ich wußte nicht recht wie. Fern sah ich einen Palmenwald. Dort erst wollte ich haltmachen.
Vorüberfahrende, vorbeireitende Europäer achteten meiner nicht. Manchmal sah mir der eine oder andere Farbige oder ein Chinese verblüfft ins Gesicht. Ich lief weiter, als gälte es ein Trabrennen.
Da kamen drei Eingeborene des Weges; ein Mann, eine ältliche Frau und ein Mädchen. Der Mann – ein ernstes, braunes Gesicht und klugen Auges – hatte einen weißen Kalikoanzug an. Die Frau und das junge Ding waren in grellbuntes, schleierdünnes Zeug gehüllt. Die drei Menschen blieben stehen. Ich auch.
Der Mann fragte mich etwas in einer wohllautenden Sprache. Da ich ihn nicht verstanden, schüttelte ich den Kopf. Worauf er sofort in zwar gebrochenem, doch gut verstehbarem Englisch anfing:
»Hast du dich verlaufen? Hier geht kein Europäer zu Fuß. Wo willst du also hin?«
»Fort – so weit fort als möglich«, antwortete ich. Tränen traten mir in die Augen: seit langen Monaten das erstemal wieder, daß ein menschlich Wesen mit freundlicher Stimme zu mir sprach.
»Aoho«, machte die Frau, als sie die Tropfen an meinen Wimpern gewahrte. Sie kam mir näher und legte ihre Hand an meine Brust. Ihr braunes, durchaus angenehmes Gesicht drückte ausdrucksvoll das Mitleid aus, das sie fühlte.
Das Mädchen blieb mir fern; aber ihre großen dunkeln Augen ruhten auf mir mit jenem seltsam feuchten Schimmer des Erbarmens.
»Du liefst vom Schiffe fort?« sagte der Malaie.
Ich nickte stumm. Dann stieg der ganze Haß gegen dies dahinten liegende Schiffsjungendasein in mir auf. »Sie prügelten mich wie einen Hund«, rief ich empört in meiner Muttersprache.
»Sieh, du bist ein Deutscher«, erklärte der Mann. Dann gebrauchte er deutsche, zwar wunderlich klingende, mühsam ausgesprochene, aber verständliche Worte. »Ich war auf einer Reispflanzerei. Lange Jahre. Dort hatten wir immer einige Deutsche. Daher verstehe ich und spreche deine Laute.« Er erklärte den Frauen etwas, dann wendete er sich wieder an mich. »Weißt du, daß ich eine Belohnung erhalte, wenn ich dich dem Konsul zuführe? … den entlaufenen Seemann. Ich brauche nur den Weißen anzuhalten, der dort geritten kommt; er wird mir helfen. Denn sicher hast du gar kein Geld?«
»Doch«, entgegnete ich, nahm die Faust aus der Hosentasche und öffnete sie. Das Gold blinkte in der grellen Sonne.
In allerlei Ausrufen des Mannes und der Frau gab sich ihr Erstaunen kund. Das Mädchen lachte und zeigte mir zwei Reihen perlenschöner, kleiner Zähne.
»Und wieviel ist das da?« Der Mann tippte auf den zusammengefalteten Tausender.
»Fünfhundert Gulden holländisch«, rechnete ich um.
Da nahm der Mann das Weib beiseite und verhandelte mit ihr. Sie sprachen lebhaft aufeinander ein.
Währenddessen standen wir einander gegenüber, das Mädchen und ich.
Sie war das erste Weib, das ich betrachtete, so wie man ein halb entblößtes Weib ansieht. Ihr Gewand war, so erkannte ich, ein einziges langes Zeugstück. Doch dies war so künstlich um den Körper gewickelt, daß es, Schultern und Arme freilassend, die Brust, den Leib und die Oberschenkel einhüllte. Die zarten braunen Knie, das zierliche Wadenbein und die kleinen, freilich jetzt mit Staub bedeckten Füßen gefielen mir. Unter dem bunten Stoff wölbten sich die Hüften begehrenswert, denn er lag prall an. Mehr aber als er sie versteckte, verriet er die Brüstchen. Und die mußten sich voll und saftig runden, denn sie versetzten das Tuch in zitternde Bewegung dort, wo sie verborgen waren. Es regte sich leis hinter den wunderlichen Stoffmustern, sobald sich das Mädchen bewegte. Nun hob sie beide Arme und ordnete den Blumenkranz auf ihren Haaren: in den Achselhöhlen ein dunkler Flaum, als hätte dort ein Wundervogel schwarze Seidenfädchen zusammengetragen. ein zauberfeines Nestchen zu beginnen.
Sie fühlte meine Blicke, in denen gewiß das erste Verlangen träumte. Und sie geriet in Verlegenheit. Ihre Augen wichen den meinen aus. Dann aber straffte sie den Oberkörper und atmete freier. Wieder sah sie mich lächelnd an. Sie bog den braunen, weich glänzenden Arm und tippte mit einem niedlichen Finger auf das Grübchen in ihrem Kinn.
»Saikisisi«, sagte sie dabei.
Das klang wie lockender Vogellaut, oder wie wenn eine süße Stimme ein zärtlichschönes Wort flüstert. Ich begriff sie: sie nannte ihren Namen, und sie tat es, weil sie unter meinen suchenden Augen ihre Schönheit angetastet fühlte. Gewiß auch deutete sie auf das Kinn, um meine Blicke von ihren anderen Formen abzulenken.
»Saikisisi?« fragte ich, mich zu vergewissern.
»Saikisisi«, wiederholte sie, die Silben auseinanderhaltend, damit ich besser merke.
»Du bist schön«, sagte ich auf Malaiisch. Das war das einzige, was ich von dieser Sprache kannte. Ich hatte die Worte auf dem Schiffe aufgeschnappt, als die Matrosen einmal von den braunen Weibern Javas schweinigelten. Beteuernd legte ich meine Hand auf des Mädchens nackte Schulter: » Koweh bagus!«
Saikisisi wich zurück. Dies Zurückweichen aber war nicht, weil sie mir gram gewesen wäre. Ich sah, wie sie leicht erschauerte. Dann schloß sie die Augen, mich gleich daraus um so größer anzusehen. Ihre Lippen blieben leicht geöffnet, und ihr Atem ging ein klein wenig schneller.
»Saikisisi«, hauchte sie. Ja, wahrlich nur ein Hauch, dies holde Wort in seinen kosenden Lauten.
Da legte ich auch die andere Hand auf ihre noch freie Schulter. Samtweich, zart wie eines zauberischen Wesens Haut, fühlte sich das an. Ich streichelte sie. Und sie hielt still, wie gefangen.
So sahen wir einander in jener dämmernden Erkenntnis an, die alles begehrt, alles verheißt.
Der Mann und das Weib waren mit ihren Besprechungen zu Ende. Nun trat er auf mich zu.
»Ich überlegte mit meinem Weibe, was wir tun sollen«, hob er an. »Wir sind arme Leute, und der Gulden Belohnung – wenn wir dich nach deinem Schiffe zurückbringen – käme uns gelegen.« Er wartete einen Augenblick auf meine Entgegnung, gewahrte meine Ratlosigkeit und fuhr dann fort: »Was würdest du geben, wenn ich dich in Sicherheit brächte? So, wie du da stehst, fällst du in jedem Malaienkampong auf. Die Männer werden dich fassen und nach Batavia zurückschaffen. Vielleicht auch erschlagen sie dich, um dir dein Geld zu nehmen …«
Ich wartete weitere Schilderungen nicht ab, nahm zwei von meinen sieben Goldstücken und reichte sie ihm, wortlos; nur mit einem bezeichnenden Blick.
Er griff sogleich nach dem Gelde und schob die beiden Münzen in den Mund, jedenfalls mangels einer Tasche in seinem dünnen Gewande. Überaus zufrieden sah er nun drein.
Das Weib aber verhehlte die laute Freude nicht; sie stieß ein über das andere »Aoho, aoho« hervor.
»Mit dem papiernen Gelds kannst du nichts beginnen«, sprach der Malaie weiter. »Magst du es mir anvertrauen? Ich kenne in Batavia einen Chinesen, der gibt mir Silber dafür. Betrügen will ich dich nicht, du darfst es glauben. Aber meinen Nutzen – ich leugne es nicht! – meinen Nutzen möchte ich von deinem Reichtum haben. Ich weiß von den Deutschen auf der Reispflanzung, daß ihr Abenteuer liebt – und – und – nun: braune Mädchen.« Ein rascher Blick aus seinen ein wenig schief gestellten Augen rann über Saikisisi. »Beides sollst du gewinnen, wenn du mir versprichst, daß ich von deinem Gelde Nutzen habe.«
Soweit war ich bereits, daß ich auch mein Leben verkauft hätte, um eine Zeitlang in des Mädchens Nähe bleiben zu dürfen.
Ich entfaltete die Banknote und hielt sie dem Mann hin.
»Willst du ein festeres, bindenderes Versprechen?« sagte ich.
Er nahm sogleich den Schein, legte ihn rasch wieder zusammen und versteckte ihn unter dem schüsselförmigen, aus Reisstroh kunstvoll geflochtenen Hute.
»Ich will mit deinem Eigen haushalten, als wäre es mein Eigen«, gelobte er laut und kräftig. »Du mußt etwas auf den Leib haben, denn mit einem Strolch dürfen wir nicht wandern. wollen wir nicht in Verdacht kommen. Soll ich bei dem Chinesen alles besorgen, oder willst du mit uns nach Batavia zurück?«
»Tue, was dich gut dünkt.«
»Du wirst mit uns zufrieden sein, Tuan«. beteuerte er. Eine Hand an seine Stirn, die andere auf sein Herz legend, verneigte er sich ehrfurchtsvoll wie ein Dienender vor mit. Zum erstenmal nannte er mich mit dem malaiischen Tuan, d.+i. Herr.
Dann nahmen die beiden das Mädchen vor und erklärten ihm etwas – sie sprachen über mich – ich sah es an Saikisisis Blicken, die erstaunt des öfteren mich suchten. Endlich schien die Kleine begriffen zu haben. denn nun kam der Malaie zu mir.
»Du magst, mich Sidin nennen und diese da Neneh.« Er deutete auf die Frau. »Saikisisi – sie ist unsere Enkelin und hat nicht Vater, nicht Mutter mehr – Saikisisi wird dich führen. Bleibe bei ihr. So hast du gleich eine Quittung über deinen Geldschein. Denn die beiden Goldstücke nehme ich als meinen ersten Nutzen. Am Abend werden wir einander wiedersehen.«
Hierauf trennten wir uns. Sidin und Neneh schritten der Stadt zu. Saikisisi aber nahm mich bei der Hand, führte mich eine Strecke die Landstraße entlang und bog – nachdem sie sich umgesehen, ob niemand uns beobachte – plötzlich in einen mir kaum erkennbaren Seitenpfad ein.
Wir schlüpften durch Gebüsche hin, an denen stark duftende Blüten in der Tageshitze starben. Seltsame Bäume erhoben sich über unsere Häupter. Ranken schlangen sich von Stamm zu Stamm und ließen Blumen schaukeln, als kränzten sie uns den Weg zur Liebe. Manchmal stieg eine Palme auf, deren grauer Stamm wie die Säule in einer Kirche und deren grünbogige Krone wie ein smaragdenes Dach wirkten. Die Musa breitete ihre gewaltigen Blätter, als wolle sie uns mit offenen Armen willkommen heißen. Fliegenden Blüten gleich stoben kleine bunte Vögel vor unseren Schritten auf. Eine Affenherde zog von Baum zu Baum, von Ast zu Ast mit uns des Weges und schalt mit keckernden Stimmen, fletschte die weißen Zähne, als ob sie lache, und machte die Wipfel rauschen. Einmal hing eine fadendünne, grüne Schlange herab, bog den Hals zu einer hübschen Linie und zischte – Saikisisi wich mit einem kleinen Schrei aus. Immer tiefer gerieten wir in den Wald. Es ging mählich bergan.
Dann lichteten sich die Stämme, und wir hatten eine kleine Hochebene erreicht. Bis zu den Knien auf wuchs hier das Gras, durchwirkt mit einem Farbengemisch von Blumen wunderlicher Art. Der Platz sah aus wie ein geheimnisvoller Fleck in einem verwilderten Park. Zwischen einem Gehäuse verwitterter Steine tropfte eine Quelle hervor und sammelte ihr Gewässer in einem Tümpel, auf dem Sonnenlichter spielten. Das alles war wie in einem Märchen.
Saikisisi fragte mich etwas, aber ich verstand sie nicht. Da höhlte sie die Hände, ließ Wasser hineinrinnen und hielt mir diesen edelsten Becher entgegen. Ich beugte mich und trank. Danach warf ich mich müde und erschöpft ins Gras.
Das Mädchen ging ins Gebüsch. Um mich her war es still. Der Wald schwieg … d.+h. er schwieg durch sein rastloses Geflüster: denn die Bäume raunten, der Quell tropfte, und hin und wieder schrillte eine Zikade, gleich darauf wieder verstummend. Ich schlief ein. –
*
Eine Hand berührte mein Gesicht. Das ermunterte mich. Rasch erhob ich den Oberkörper, traumbefangen aufschreckend. Mir gegenüber kauerte Saikisisi. Sie hielt mir gelbe, kleine, also wildgewachsene Bananen entgegen. Aber mein Blick suchte nicht die Früchte, obwohl mich hungerte.
Das Mädchen hatte den Sarong von den Schultern niedergestreift – er umhüllte nur noch die Oberschenkel. Voll drängten sich mir die bronzenen Brüste zwischen den reichenden Armen dar. Auf den Samtschultern glühte ein Sonnenstreif. Auf den Fersen hockend, hielt Saikisisi die Schenkel ein wenig geöffnet. Der leichte Stoff des Sarongs war über die Knie geglitten. Ein Schatten dunkelte dort … ein feiner flaumiger Schatten … wie auf der Landstraße unter den Achseln …
Sie sprach zu mir, und ihre Mienen waren wichtigen Ausdrucks. Ich begriff, daß ich von den Bananen essen sollte. Sie schälte eine und bot sie mir. Mir kam der Gedanke an den Apfel Evas. Ich nahm lächelnd die Banane. Mein Mund genoß die Frucht … meine Seele aber genoß das, was Saikisisi in aller Unschuld vor mir enthüllte.
Wach war ich nun, doch eine süße Müdigkeit kam über mich. Ich öffnete mein Hemd, um frei am Halse zu sein, kreuzte die Arme unter dem Kopfe und legte mich behaglich zurück. So wollte ich den kommenden Ereignissen entgegenträumen.
Saikisisi hatte wohl noch niemals weiße Haut gesehen. Der Unterschied zwischen der Farbe meines von See und Sonne gebräunten Gesichtes und der Farbe meines bisher verhüllt gewesenen Oberleibes fiel ihr auf. Mit einem Ausruf des Staunens, glitt sie neben mich hin und kniete nieder. Vorsichtig schob sie meines Hemdes Brustschlitz auseinander und betrachtete verwundert die Weiße meiner Haut. Mit zarten Fingern prüfte sie die Glätte. Dabei mochte sie das erregte Pochen meines Herzens gefühlt haben, denn plötzlich neigte sie den Kopf und legte ihre Wange auf meine Brust.
In der um uns herrschenden, leis singenden Stille schlief sie ein, den einen Arm über mich gelegt. Sanften Atmens drängten sich ihre Brüste wider mich, stets von neuem. Da sank auch ich aufs neu in Schlummer. Nur unsere Herzen redeten miteinander in wechselvollem Takte. Sie verstanden einander – was wir Menschen nicht vermocht …
*
Die Kühle des sinkenden Abends erweckte mich. Oder vielleicht auch nahende Stimmen. Sidin und Neneh kamen. Die Frau trug einen Packen auf dem Haupte. Saikisisi sprang auf und grüßte ihre Verwandten.
»Es ist alles besorgt«, sprach Sidin. Er zog aus seinem Leinenkittel einen Beutel hervor, den er an einem Packfaden um den Hals trug. Es klirrte in dem Behältnis von Münzen. »Noch vierhundert Gulden bringe ich dir – du bist ein sehr reicher Mann«, lobte er. »Über das, was ich für dich ausgab, werde ich mit dir rechnen. Neneh trägt alle Sachen. Du wirst erkennen, daß ich ehrlich bin.«
Ich nahm den Geldbeutel und hing ihn mir auf die Brust. »Ich vertraue dir«, sagte ich einfach.
Er staunte einen Augenblick, dann lächelte er befriedigt und meinte kopfschüttelnd: »Du bist entweder ein sehr vertrauensvoller Mensch oder – – ein großes Kind. Doch, wir müssen eilen!« brach er ab. »Wenn es dunkelt, sollten wir aus den Wäldern sein. Draußen finde ich den Weg leichter, da der Mond voll scheinen wird.«
Dann brachen wir auf.
Es war ein unheimliches, für mich beschwerliches Wandern durch Wald und Waldesnacht. Rings gellten Schreie wie von Raubtieren, Gefauche, Murren, heiseres Kollern. Schwarze Geschöpfe huschten aus der Luft hernieder, so dicht an uns vorbei, daß ich ihren ekelhaften Gestank wahrnahm. Sidin sagte, es wären fliegende Hunde. Die drei schritten ruhig ihres Weges und zeigten keinerlei Besorgnis. So blieb auch ich ruhig. Endlich kamen wir in eine offene, überwältigend schön von Mondlicht überflossene Gegend. Hier war ein Schreiten wie durch eine silberne Flut dahin, in der manchmal große Leuchtkäfer blendenden Glanzes wie gleißende Luftbläschen aufstiegen.
Dann dehnte sich plötzlich ein breites, hellglänzendes Band vor uns: ein Fluß. Er war vom Mondschein in einen Weg aus milchigem Glas verzaubert.
»Hier müssen wir hindurch«, kündigte Sidin an. »Mache es wie wir, entkleide dich; denn du kannst in nassen Kleidern nicht in der Nachtkühle gehen, ohne krank zu werden.«
Damit zog er auch schon sein Gewand herunter, wickelte es zu einem Knäuel und befestigte sich's auf seinem Backschüsselhute. Neneh folgte dem Beispiel, legte ihren Sarong zusammen und steckte ihn in den Packen, den sie auf dem Kopfe trug. Saikisisi sah mich an und lachte, weil meine Blicke voll Erstaunen auf Sidins Weibe hafteten. Neneh mochte eine Frau von vielleicht fünfunddreißig Jahren sein. Ihr Körper war für eine Eingeborene, die schon im zwölften Jahre mannbar geworden, immerhin noch nicht häßlich. Nur ihre Brüste waren unschön – sie hingen schlaff und lang bis fast zu den Weichen nieder.
Saikisisi mochte bemerkt haben, daß mir dies mißfiel. Sie sprudelte einige Worte hervor und wickelte nunmehr auch ihren Sarong von den Gliedern. Dann trat sie mir gegenüber und legte ihre gehöhlten Händchen unter das Paar wundervoll gerundeter, reifer Brüstchen.
» Saja punja susu sedjuk!« rief sie.
Vielleicht hieß es: Da, sieh mich einmal an!
Sidin, der die Szene beobachtet hatte, lachte hallend.
»Sie sagt: meine Brüste sind frischer«, übersetzte er. »Sie besitzt die Eitelkeit ihrer Mutter, die unsere Tochter war. – Doch rasch, kleide dich aus, Tuan. Wir müssen hinüber – ich werde den Führer machen.« Er wendete sich dem Flusse zu und suchte den Niederstieg des Ufers zur Furt.
Saikisisi stand vor mir, die Hände auf die Hüften gestützt. Ihr brauner Körper, gebadet in das Silber des Mondes, ragte unverhüllt auf, wie das keusche Bildwerk eines gottbegnadeten Künstlers. Ich versenkte mich in den lieblichen Anblick.
» Koweh bagus – wie bist du schön!« gestand ich abermals.
Es fiel mir schwer, mich vor dem jungen, zuschauenden Menschenkinde zu entkleiden. Doch Sidin drängte von weitem mit lauten Rufen; er hatte die Furt gefunden. Es war ja nicht viel, was ich mir vom Leibe ziehen mußte. Die Nachtluft der Javainsel ist kalt. Sie kam mir eisig vor, als sie meinen entblößten Leib umstrich. Ich schauerte zusammen.
» Aoho«, bemitleidete Saikisisi mich. Sie drängte ihren warmen, nackten Körper gegen den meinen, als wolle sie mich vor der Nachtkälte schützen.
So schritten wir selbander dem Flusse zu und in das lauwarme Wasser hinein. Sidin watete voran, hinter ihm folgte Neneh, und dann kamen Saikisisi und ich. Über unsere Häupter zogen leuchtende Schleier: der Flußnebel, vom Mondlicht erhellt. Ich strauchelte einmal und hielt mich fester an meiner Führerin. Da fühlte meine Hand die Wölbung einer Mädchenbrust. Ich vergaß die Kühle der Nacht, die Nässe des Wassers, den unsicheren Weg durch den Fluß, seine uns bis zu den Hüften, bald aber bis zum Halse umspielende Flut. Alles vergaß ich. Denn meine Hände tasteten über die Gestalt der Jugend, und mein Blut glühte, kochte und rann eiliger als je.
*
Wo wir in der Dunkelheit angelangt waren – ob in einem Kampong oder bei einer einzelnen Hütte – das hatte ich nicht erkannt. Denn der Mond war untergegangen, bevor wir unser Ziel erreicht. Ein Lager ward mir zugewiesen, auf das ich mich hinwarf, fast augenblicklich dem Schlafe verfallend.
Sidin war es, der mich weckte. Er hatte allerlei neben mir ausgebreitet und erklärte mir die beim Chinesen für mich besorgten Einkäufe. Sicherlich, Sidin war ein redlicher Mann: er hatte noch nicht hundert Gulden ausgegeben, und dennoch lagen da zwei Leinenanzüge, einige Hemden, Strümpfe und ein Schuhpaar aus Segeltuch mit leichter Ledersohle; auch ein aus Kork gefertigter, weiß überzogener Tropenhelm, wie Europäer ihn zu tragen pflegen.
»Saikisisi wird dir Frühstück bringen«, sagte er mir. »Kleide dich bald an, denn ich hole dich, um dich zu Mynheer Canters van Doodeward zu führen.« Damit ging er hinaus und ließ die Türmatte offen.
Ich sah mich um und fand mich in einer sauberen Hütte, liegend auf einem hohen Lager aus sehr weichen, nachgiebigen Matten. Gekräftigt durch die Ruhe, erhob ich mich. Ein Bad hatte ich in der Nacht erst, wenn auch ein unfreiwilliges, im Flusse genommen. Nun machte es mir Freude, mich mit den schönen, schneeig weißen Sachen zu bekleiden. Das war rasch getan. Ich lobte im stillen Sidins Augenmaß: das Zeug paßte mir wie angemessen.
Saikisisi kam und staunte mich an. Sie trug auf einer fein aus Reisstroh geflochtenen Schüssel gebratene Fische, ferner eine halbe Kokosnuß voll Wasser, ein Näpfchen mit gelb gefärbtem Reis und einige Mangofrüchte.
» Selamat, Tuan«, grüßte sie und legte eine Hand an Stirn und Herz. Dann nötigte sie mich durch Gebärden auf das Mattenlager und fütterte mich, als wäre ich ein Kind – – oder ein Pascha. Mit einem spitzen Hölzchen spießte sie Fischstückchen und schob sie mir in den Mund. Mit zierlichen Fingern faßte sie eine Prise Reis, rollte ihn mit flachen Händen zu einer Kugel und gab ihn mir so zu essen. Dann zog sie die Haut von den Mangos – Früchte von der Gestalt und dem Fleische sehr großer Pflaumen – löste den Kern heraus und steckte mir das safttriefende Obst zwischen die Lippen. Da half kein Wehren, ich mußte alles bis auf den letzten Bissen vertilgen. Und ich nahm ja nur allzu gern aus ihren Händen. Es ärgerte mich, daß wir nicht miteinander reden konnten. Ich konnte doch nicht immer nur Koweh bagus zu ihr sagen, obwohl mich ihre braune Schönheit stets von neuem entzückte. Sie kniete da vor meinem Lager unverhüllten Oberleibes, nur einen Schurz aus buntfarbenem Kalikostoff um die Lenden. Da fiel mir noch ein Wort ein, das ich auf dem Schiffe aufgeschnappt.
» Casi tjum.« Ich sprach es zaghaft aus, denn es heißt: Küsse mich …
Ein schönes Lächeln rann um ihren Mund. Leicht öffneten sich ihre Lippen, als blühe eine fremde Blume auf; im tiefsten Grunde ihrer dunkeln Augen leuchtete das Glück. Sie rutschte auf den Knien näher, hob die runden Arme und legte sie um meinen Hals. Dann aber wartete sie, daß ich sie küssen sollte.
Saikisisi war das erste Weib, dem mein Mund gehörte.
Später trat Sidin ein; er musterte meinen äußeren Menschen und schien zufriedengestellt.
»Nun komme mit auf die Pflanzung«, bat er.
Als wir aus der Hütte traten, sah ich, wie schön sie gelegen war. Sie stand neben einem größeren, von Palmen überschatteten Bauwerk aus Bambusstämmen und Mattenwänden.
»Dies ist mein Haus«, sagte Sidin, sichtlich voller Stolzes. »Die Hütte, in der du schliefst, gehörte dem Manne, welcher der Gebieter von Saikisisis Mutter war – auch ein weißer Tuan.«
»So ist dies kein Malaiendorf?« forschte ich und blickte mich um. Diese Gegend war ein Eden.
»Das Dessa ist eine gute Wegstunde entfernter. Und es ist groß – nicht nur ein Kampong. Hier aber hausen wir ganz allein. Doch die Pflanzerei ist in der Nähe.«
Nun schritten wir einen Bach entlang. Klar war sein Gewässer, und sein Lauf geleitete uns mit Murmeln und Geraune. Bald traten wir aus dem Gehölz hervor. Vor uns lagen weite, mit Wasser bedeckte Flächen, aus denen mildes Grün hervorschimmerte. Sidin erklärte mir, dies wären Reisfelder und das Grüne die unter Wasser gedeihenden jungen Reispflänzchen. Er führte mich zu einem langen, weiß angestrichenen Gebäude mit flachem Dache, umgeben auf allen Seiten von Veranden. Es war die Faktorei. Eine Weile später stand ich einem wohlwollend aussehenden Herrn gegenüber.
»Sie also sind der entlaufene Schiffsjunge«, sprach Mynheer Canters van Doodeward in tadellosem Deutsch mich an. »Sidin kam heute schon in aller Hergottsfrühe und meldete Sie. Übrigens, für einen Schiffsjungen sind Sie reichlich erwachsen. Kein Wunder, wenn Sie sich nicht glücklich fühlten an Bord. Ich kenne das selbst, und Sie sind nicht der erste Deutsche, der vom Blauen Wasser in die Tropenschönheiten desertierte. – Hat Sidin Ihnen schon seine Enkelin Saikisisi gezeigt?«
»Ich wanderte diese Nacht mit ihm und den beiden Frauen.«
Mynheer Canters lachte. »Ah so, nun begreife ich. Doch das ist Ihre Sache, sich mit Sidin auseinanderzusetzen wegen des Mädchens: Wieviel verlangt er für Saikisisi?«
»Für – – Saikisisi …?« staunte ich.
»Richtig – Sie wissen in solchen Dingen nicht Bescheid«, bemerkte der Mynheer. »Beginnen wir also mit der Geschichte ganz von vorn. Kurz erklärt: ich kann noch einen Aufseher gebrauchen … Sidin, mein Vertrauter, war auf dem Wege nach Batavia, mir einen Mann zu besorgen … er kennt meinen Geschmack, auch meine Vorliebe für Deutsche. Von meinen jungen Leuten verlange ich nicht, daß sie hier im Innern wie Mönche leben … ich zahle zweihundert Gulden Monatslohn und bei Antritt der Stellung einmal hundert Gulden Zuschuß zum Kaufpreis für eine Frau. Man braucht auf dieser einsamen Faktorei eine Dienerin, die zugleich – – nun, etwas ist für Herz und Gemüt. Das erhält bei Laune. Der Dienst ist anstrengend. Sidin sagte mir, Sie verfügten über Geld? Schön, zahlen Sie ihm dreihundert Gulden für Ihre Frau und monatlich fünf Gulden für das Häuschen, das er Ihnen als Schwiegervater, sozusagen, zur Verfügung stellt. Wegen der Verköstigung wird er Ihnen seine Rechnung machen … der Betrag wird Ihnen durch mich vom Gehalte gekürzt. Nicht wahr, Sidin, alter Halunke?«
Der Malaie verneigte sich grinsend und unterwürfig.
»Er versteht nämlich sehr gut Deutsch«, fuhr Mynheer Canters fort. »Trauen Sie ihm ruhig – er ist wirklich redlich. Und der Frauenhandel braucht Sie nicht zu enttäuschen. Er ist Sitte in der Nähe einsamer Faktoreien. Auch das Mädchen weiß gewiß bereits Bescheid und wird Ihnen keine Schwierigkeiten machen.«
»Ich bin Ihnen dankbar, Mynheer, für alle Aufklärungen«, versicherte ich.
»Nicht nötig«, lehnte der Holländer freundlich ab. »Also – ich stelle Sie hiermit an. Aber ein Vierteljahr lang erhalten Sie keinen Lohn, denn Sie haben sicherlich keine Ausweispapiere?«
»Allerdings nicht …«
»Dachte ich mir. Ich darf aber nach den bestehenden Gesetzen der niederländischen Kolonien niemand behalten, der sich nicht gründlich ausweisen kann. Ich brauche Sie, und so muß ich eine Ausnahme machen – doch so, daß sie mich nicht in Angelegenheiten bringt. Ich gebe Ihnen ein Vierteljahr Zeit, sich aus der Heimat Papiere zu verschaffen. Bekommen Sie sie in dieser Frist nicht, so müssen Sie unweigerlich verschwinden. Bekommen Sie unbezweifelbare Ausweise, so bleiben Sie. Ich zahle Ihnen dann den Lohn nach und auch das Hochzeitsgeld.«
Ich dankte dem Mynheer abermals, und wir trennten uns. Sidin geleitete mich heim.
In meiner Hütte öffnete ich den Beutel. Sidin lieh sich stumm dreihundert Gulden und eine freiwillige Draufgabe von dreißig Gulden in den Schoß zählen. Seine Augen glänzten.
» Selamat, Tuanku, saja punja atti senang sekali, liat sama Tuanku« sagte er erhaben auf Malaiisch. »Das heißt: Friede sei mit dir, Herr, denn mein Herz ist glücklich, dich zu sehen«, übersetzte er sofort.
Dann erhob er sich gravitätisch und verließ die Hütte. Ich blieb allein. Draußen rief ein Vogel, als ob fern, ganz fern eine Glocke läute. Ich lag auf meinem Mattenbette. Mildes Zwielicht war um mich her … ein Schatten schlüpfte herein …
Saikisisi stand da mit Blumen in den Haaren, einen blütenweißen Sarong umgewickelt, der sie keusch bis zum Hals verhüllte. Ihre Augen hafteten mit traurigem Ausdruck auf mir. Mählich löste sie ihr Gewand, fast Zoll um Zoll sank es von den holden Gliedern. Nur einmal hielt sie es fester, als ihr Schoß zum Vorschein kam. Was sie in der verflossenen Nacht am Flusse in aller Unschuld enthüllt, das enthüllte sie nun mit dem Bewußtsein kommender Sündenschuld. Dann stand sie gottgeschaffen vor mir, brach den Kranz von ihrem Haupte und entblätterte die Blumen, die sie vor mich hinstreute. In leisen, kreisenden Bewegungen regte sie die Hüften, reckte mir ihre Brüste entgegen, hob die Arme hoch über ihr Gesicht und drehte sich langsam auf den Fußspitzen. Auf ihrem sich allmählich beugenden Rücken spielten prachtvoll die Muskeln – bis sie mit den Fingerspitzen ihre Füße berühren konnte und alles Runde ihres herrlichen Wuchses preisgab. Dann schnellte sie plötzlich auf und um und sah mich wieder mit den feucht glänzenden, tiefdunkeln, traurigen Augen an.
Da sprang ich auf und preßte die glühenden Wangen an all dies weiche, pulsende, sich mir entgegendrängende Leben. –
*
Das Himmelreich ist auf Erden, wenn zwei Menschen miteinander glücklich sind. Wir fragten nicht nach den Göttern, die in meines Weibes Heidenhimmel, nicht nach dem Gotte, der in meinem Christenhimmel … wir waren Kinder des Glücks, wie wir Kinder eines einzigen Erschaffenden waren.
Dem freilich gingen einige Tage vorauf, in denen wir beide gewißlich an einem Glück verzweifelten.
Saikisisi war bereits mehr Weib, als ich, der weit Ältere, Mann war. Nicht töricht genug war ich, um noch nicht zu wissen, was Lieben heißt; aber ich hatte noch nie ein Weib im Arm gehalten. Saikisisi wartete auf das Nehmen, ich auf das Geben. Ich liebte sie – ja, ich liebte sie zu sehr. Sie kam mir vor wie ein Heiligtum, das man anbetet, doch nie berührt. In meiner Seele thronte sie als keusche Göttin, zu hehr, zu rein, um dies Gefäß des Glückes zu zerbrechen. So ward mir, was ich vorher in Gluten zu genießen mir vorgenommen, ein Entsagen. Wir konnten nicht miteinander sprechen … sie verstand mich nicht, ich nicht sie. Nur in stummem Anschauen verstanden wir einander. Dann redete sie in ihrer Sprache, ich in der meinen zärtlich klingende Worte. Bei Worten blieb es und kam nicht zur Tat. Leis stöhnend lag sie neben mir, und auch meine Seele dürstete. All ihr Alles hungerte, und sie seufzte vor Hunger, und ich wußte nicht, wie es beginnen. Immer in der Furcht, sie zu enttäuschen, meine braune Venus.
Eine Nacht hindurch hörte ich sie ununterbrochen weinen. Im Morgengrauen verließ sie die Hütte. Das Nachtdurchwachen hatte mich erschöpft; kaum allein, fiel ich in Schlaf. –
Blendende Sonne fiel zur Tür herein, die Matte war offen. Das ermunterte mich. Vor meinem Lager stand Sidin; er sah unzufrieden aus.
»Neneh sprach mit mir«, redete er mich an. »Du verschmähst meine Enkelin? Magst du mein redlich meinendes Herz so kränken?«
Ich hatte Mühe, ihm zu beschreiben, wie es um mich stand. Aber er begriff mich – – und lachte Tränen. Dann nahm er vor meinem Lager auf dem Boden Platz.
»Es war einmal auf der Faktorei drüben ein Mann, auch ein Deutscher, der in seinem Vaterlande den Degen trug«, hob er zu erzählen an. Gewiß wollte er sagen, dieser Deutsche sei früher Offizier gewesen. Der – wenn er von Mynheer van Doodeward sein Geld erhalten hatte – trank wie ein Tier; doch soff er nur Soppi … das ist ein gemeiner Schnaps. Er hatte auch ein Weib genommen. Sie lief ihm fort, denn er sah nur eine Dienerin in ihr – weißt du, Tuan: eine schmutzige, die man verachtet. Ja, das machte der viele Soppi. Trinkst du etwa auch Soppi? Ich kenne die Wirkung; er macht den Kopf heiß, kühlt aber den Mann im Manne ab.«
»Wo nähme ich hier Schnaps her …?«
»O, du hast ja recht – ja, das ist ja wahr«, sagte er und sah mich verwundert an. »Aber du bist doch so jung …?« Und nach einer ganzen Weile Schweigens setzte er hinzu, so, als ob in ihm ein Einfall dämmere: »O, vielleicht bist du gar zu jung …? Oder du bist wie Ada-udjan, der Mann in meiner Geschichte meines Stammes? Höre: Ada-udjan lief durch den Wald bei Tage und bei Nacht. Amas-ari, sein Weib, lief immer mit. Aber er erkannte sie nicht. Da grämte sie sich gleich Saikisisi – wie ich dir offen bekenne. Einmal kamen sie an einen Tümpel. Ada-udjan war zu faul, sich zu bücken, obwohl er mit Staub bedeckt war. Da netzte Amas-ari ihre Hände und wusch ihm den Staub ab. Dabei berührte sie ihn – verstehst du: sie berührte ihn – nun, denke dir's halt. Sofort wich der Zauber von Ada-udjan, der wissend ward. Der Tümpel spiegelte der beiden Glück. Mein Volk stammt aus jener Stunde her. – Nun sag' mir, hat Saikisisi etwas versäumt?«
»Ich glaube, ja«, bekannte ich.
»Neneh soll sie lehren«, versprach Sidin kurz, »Und dann – ich werde dir zu heute nacht ein Licht besorgen. Ihr Europäer seid nicht gewöhnt, daß Dunkel um das Ehebett herrscht. Doch zünde mir die Hütte nicht an.«
Damit ging er.
Als ich nach gesunkener Sonne, von der Faktorei kommend, mein Haus betrat, brannte darinnen eine Kerze. Saikisisi saß bei dem Lichte und flocht an einem Blumenkranz. Sie hatte sich abermals, wie am Kauftage, in einen weißen Sarong gehüllt. Nun legte sie die Blumen fort, kam auf mich zu und kniete nieder.
» Saja tjinta sama koweh« grüßte sie mich. »Ich werde dich ewig lieben.«
Dann führte sie mich bei der Hand zum Lager und wartete mir mit Reis und Früchten auf, immer in dem keuschen Gewande vor mir kniend. Ganz zum Schlusse schälte sie eine sehr große Banane. Fürsorglich nahm sie die Frucht in beide, flach aneinandergelegte Hände. Langsam führte sie die Banane zum Munde und schob sie allmählich zwischen ihre Lippen. Plötzlich warf sie die Frucht fort und stieß einen schrillen Schrei aus. Er hallte gellend durch die draußen schweigsam gewordene Nacht. In wunderlich wiegenden Schritten, unablässig seltsam mit gespreizten Beinen die Knie knickend, ging sie auf den Zehen in der Hütte umher, eintönig summend, manchmal wie ein kleines wildes Tier dazwischen aufstöhnend. Mir immer wieder sich nahend, löste sie den Sarong, solange, bis sie nackt vor mir stehenblieb. Mit einem Ruck riß sie den Kranz von ihrem Haupte, sank langsam in die Knie, beugte den Oberkörper tief zurück, ihn mählich senkend, bis ihr Rücken den Boden berührte, so daß sie eng zusammengekrümmt mit offenen Schenkeln dalag. Jetzt schnellte sie geschickt auf und kam mit ausgestreckten Händen auf mich zu; ihre Finger bewegten sich wie niedliche kleine, braune Schlänglein … sie schienen etwas zu kosen und zu streicheln. Dann schlug sie ihre Arme um sich selbst, neigte den Kopf zurück. Ihre Lippen waren sehnsüchtig gespalten. Kleine, klirrende Schreie kamen daraus hervor …
Ich begriff. –
Als ich andern Morgens zur heißesten Tageszeit heimkehrte, um in der Hütte vor der lastenden Schwüle Zuflucht zu suchen, saß Sidin auf der Treppe meines Hauses.
» Selamat tingal, orang-laki«, grüßte er. » Trima kasi banjak. Sei tausendmal willkommen. o, du Ehemann. Saja punja orang perambuan ada baik. Meinem Enkelkinde geht es ausgezeichnet.«
Er gab mir eine Mangofrucht, die entkernt und geschlitzt war; und in dem Schlitz stak eine Pfefferschote.
»Was ist denn das?« fragte ich verwundert.
»Deine Frau grüßt dich durch mich. So sollst du immer zu ihr sein. Sie ging nach dem Dessa. Dort ist ein kleiner Tempel, in dem Saikisisi dem Ada-udjan, dem Zeuger meines Stammes, danken will … daß er dir von der Kraft seiner Lenden gab.« –
*
Ich hatte längst an meinen Vater geschrieben wegen der Papiere. Der harte, unerbittliche Mann, sicherlich verärgert über mein Fortlaufen vom Schiffe, gab keine Antwort. Post aus dem alten Lande Europa gelangte auf die Reispflanzung – für mich war nichts dabei. Doch in meinem Glücke mit Saikisisi dachte ich niemals an die Folgen des Trotzes meines Vaters. Der dritte Monat des mir von Mynheer van Doodeward gewährten Vierteljahres hatte begonnen. Da erinnerte mich der Holländer an meine Zukunft.
»Ich bin nach den Gesetzen verpflichtet, Sie fortzuweisen«, warnte er mich. »Es würde mir leid tun, Sie zu verlieren, denn Sie sind tüchtig. Auch erinnere ich Sie an die Abmachung: ich zahle nicht einen Cent, sobald Sie sich nicht ausweisen können. Lassen Sie durch Sidin eine Depesche in Batavia aufgeben und bitten Sie um Rückantwort. Lautet die Nachricht Ihres Vaters zusagend, so können Sie Ihre Stellung wieder einnehmen an dem Tage des Eintreffens Ihrer Papiere. Wenn nicht, dann – –«
Achselzuckend wendete sich der Mynheer von dannen.
Sidin wanderte noch am selben Tage nach Batavia und gab die Drahtnachricht auf. Die zweite Woche des letzten Monats nahm ihren Lauf. Mein Vater antwortete nicht. Ich hatte mittlerweile genug von der malaiischen Sprache gelernt, um mit Saikisisi über das Nötigste sprechen zu können. Aber um mich über eine so entscheidende Sache wie unsere Zukunft mit ihr zu verständigen, dazu mangelten mir doch eine Menge Ausdrücke. So mußte ich Sidin bitten, sie zu unterrichten.
»Ich weiß nicht, was aus mir werden soll«, gestand ich ihm betrübt. »Ich besitze nur noch die fünf Goldstücke von all meinem Gelde. Was soll ich beginnen, wenn Mynheer Canters mich entläßt? Soll ich von meinem Weibe gehen?«
»O, ich kann Saikisisi abermals verkaufen«, erwiderte er gleichmütig.
Mein Blick flammte ihn an. »Bist du von deinen Göttern verlassen, Mann, daß du mir das zu sagen wagst? Saikisisi ist nicht das Weib meines leer gewordenen Geldbeutels, sie ist das Weib meines mit Glück gefüllten Herzens.«
»Nahmst du sie nach Weißenart zum Weibe, oder nur nach der Art, wie sie Sitte ist, wenn ein Tuan sich etwas für die leere Hälfte seines Nachtlagers kauft?« gab er zurück.
Ich wußte keine Antwort, denn er hatte recht.
»Wie wäre es, wenn ich bei den Kolonialtruppen Soldat würde?« hob ich nach einer Weile an.
Verachtungsvoll spie Sidin den blutroten Saft seines Betelpriems vor meine Füße.
»Was du dir einbildest«, sprach er stolz. »Bin ich ein Kuli, daß ich mein Enkelkind mit solch einem Lump leben ließe? Saikisisi ist erst vierzehn Jahre alt … ich kann sie sogar noch zweimal verkaufen. Nicht jeder Europäer mag ein uneingeweihtes, jungfräuliches Mädchen. Du erfuhrst an dir selbst, daß dies seine Schwierigkeiten hat …«
»Schweig still!« herrschte ich ihn an. »Ich werde Amt und Lohn finden und Saikisisi behalten. Nur das eine sollst du ihr klarmachen: für kurze Zeit werden wir uns trennen müssen. Kehre ich zurück und finde mein nimmer vor, dann – Sidin – dann kannst du Bekanntschaft mit der Peitsche machen.«
Sidin zischte wie eine gereizte Kobra. Brennenden Auges bohrte er seinen Blick in mich. Stumm erhob er sich und schritt von dannen. Ein rohes, überlautes Lachen kam von seinem Munde, während er die wenigen Stufen hinabging. Allein und niedergeschlagen sah ich in meiner Hütte. O wehe, ich hätte diese schwere Beleidigung nicht aussprechen sollen. Ich sprang auf und rief ihn zurück; doch Sidin tat als vernehme er mein Rufen nicht … er schlenderte den Bach entlang und der Faktorei zu.
In der darauffolgenden Nacht war Saikisisi zum ersten Male unzugänglich.
»Was hast du gegen mich?« flehte ich.
»Kakeh Sidin sagte mir, daß du mich verlassen wirst …«
»Ich werde dich nie verlassen. Und müßte es sein, dann nur für kurze Zeit.«
»Du wirst nicht wiederkehren – Neneh behauptet es auch. Kein Tuan kehrt zurück, wenn er eine braune Bini verließ.«
»O Saikisisi, glaube doch an meine Liebe und vertraue der Treue meiner Seele.«
Da weinte sie und schmiegte sich an mich. Ihre Glieder fesselten die meinen, als ob nur Gewalt uns zu trennen vermöge. Es hob eine Zeit an, in der jedes Zusammensein zu einem endlosen Kampfe und zu einer bis zum Zerbrechen erschöpfenden Niederlage wurde. Müde, bleich, hohlwangig und ewig matt versah ich meinen Dienst. Als Mynheer van Doodeward mir am vorletzten Tage des Monats – des letzten Monats im Vierteljahre – einen Brief übergab vom deutschen Konsul in Batavia, sagte er: er hoffe, es seien meine Papiere – ich könne dann bleiben – aber nur dann bleiben, falls ich zu meiner, in letzter Zeit nachlässig gewordenen, früheren Pflichttreue die Umkehr fände.
»Verzeihen Sie mir, Mynheer«, bat ich. »Doch meine Pflicht vernachlässigte ich aus keinem andern Grund als dem, daß ich mich nie mehr so recht gesund fühle.«
Er lachte. »Ich weiß – ich weiß, Bester. Ihre Flitterwochen dauern ein bißchen sehr lange. Sehen Sie zu – das heißt: wenn Sie nicht fort müssen –, daß Sie mit Ihrer Saikisisi bald vernünftig werden. Diese braunen Kinder haben den Teufel der Unzucht im Leibe.«
Der Brief – er enthielt nur eine kurze Mitteilung des Konsuls, daß für mich ein Fahrtausweis für einen Dampfer des Norddeutschen Lloyd bereit läge, der mir die Rückkehr nach Europa ermögliche und von meinem Vater bezahlt sei. Benütze ich diesen Fahrtausweis innerhalb einer Frist von vier Wochen nicht, so werde sich mein Vater von mir lossagen, zu gleicher Zeit der Fahrtausweis an den Absender zurückbefördert werden.
Am Abend erklärte ich Saikisisi, Neneh und Sidin: »Ich muß reisen, denn ich darf meinem Vater nicht das Leid antun, ein verlorener Sohn zu sein. Rede ich in Ruhe und Vernunft mit ihm über meine Pläne, so wird er mir gern mein Erbteil ausbezahlen. In spätestens vier Monaten kann ich wieder bei euch sein und komme dann als wohlhabender Mann.«
Sidin lachte mich in unverschämter Weise aus. »Das glaubt dir der Scheitan«, sagte er grimmig.
»Und du, Neneh …?«
Neneh kniff die Augen zu und blinzte mich unter den schwarzen Wimpern hervor an. »Wie lange kannst du noch bleiben?« forschte sie.
»Noch drei Wochen.«
»Drei Wochen –? Hm … es dürfte genügen.« Ein überaus lauerndes Lächeln zuckte um ihren Mund.
»Nicht wahr, Neneh, du vertraust meiner Rückkehr.«
»Ich …? Nein!« Sie griff zwei Hände voll Reis aus der Kiste und weichte ihn in Wasser ein. »Ich bereite dir dein erstes Abschiedsmahl«, sagte sie mit einem seltsamen Auflachen. »Du wirst sehen: auch wenn du meinen Sidin beleidigtest, werden wir nichts versäumen, daß du unsrer in Treuen gedenkst.«
»Auch du glaubst mir nicht!« sagte ich traurig, verwundert über ihr merkwürdiges Gebahren. Nun wendete ich mich zu meinem Weibe: »Und du, Saikisisi …?«
Saikisisi verhüllte ihr Haupt und weinte herzbrechend.
Unsere Nächte waren Rasereien der Liebe geworden. Es gab keine Geheimnisse mehr zwischen mir und der mit allen orientalischen Künsten ihre Leidenschaft bekennenden Saikisisi. Sie schien sich sättigen zu wollen für eine Weile des Entbehrens, schien mir glühende Erinnerungen einbrennen zu wollen, auf daß ich ihrer in dem fremden Lande nicht vergäße; schien mir beweisen zu wollen, daß sie tausend Zauber besäße, deren kein weißes Weib teilhaftig sei, noch teilhaftig werden könne. Solange war unsere Ehe wirklich nur eine Ehe geblieben … nun ward Saikisisi erst meine Geliebte.
Doch jedesmal, wenn alle Stürme des Aberwitzes der Liebe verbraust waren, erhob sich Saikisisi vom Lager und holte ein Schüsselchen voll Reis. Vor dem Bette kniend, rollte sie den stets frisch bereit gehaltenen Vorrat zu kleinen Kugeln, die sie mir in den Mund schob.
»Du mußt es auf einmal schlucken, nicht kauen«, sagte sie. »Es ist ein Zauber – und du kannst meiner nimmer vergessen. Ich habe ihn von Neneh.«
Lächelnd über ihren Aberglauben, tat ich ihr den Gefallen und verschluckte die überaus lieblich mundenden Reispillen.
In der letzten Nacht aber sagte ich: »Ich würde deiner nicht vergessen auch ohne den Zauber. Denn ich werde dich noch in meiner Todesstunde lieben – Saikisisi, du meines Herzens Glück und meiner Seele Himmelreich.«
Da stieß sie einen schrillen Schrei aus, warf sich über mich und küßte mich wie nie zuvor. Ach der Abschied am andern Morgen! … Ich weinte heiße Tränen, ob ich mich auch mit dem sicheren Glauben tröstete, nach vier Monaten spätestens mit meinem Weibe wieder vereint zu sein. Saikisisi stand wie eine Statue und sah mich mit den dunkeln Augen starr an, wie ein verendendes Tier. Sidin und Neneh ließen sich nicht blicken.
Mynheer Canters van Doodeward hatte mir einen Pony zur Verfügung gestellt, so daß ich nach Batavia reiten konnte. –
Frieden und Ruhe schienen über mich zu kommen, als mein Schiff erst einmal die hohe See gewonnen. In den letzten Tagen vor meinem Abschiede von Saikisisi hatte ich mich stets schwächer, stets leidender werden gefühlt. Ich schrieb das der tollen Liebe zu, die wie eine beständig schwellende, beständig weichende Flut von Leidenschaften über unsere Nächte dahingegangen war. Ein wunderliches Leiden quälte mich; mein Leib zerfiel, wie ein Schatten wanderte ich auf dem Dampfer umher, geplagt von den grimmen Beschwerden in meinen Därmen. Die Seereise sollte mich genesen machen … so hoffte ich. Statt dessen ward mein Zustand immer erbärmlicher. Ich konnte nichts mehr genießen, nichts mehr bei mir behalten und fühlte mich nur dann noch einigermaßen wohl, wenn ich regelrecht hungerte.
Der Schiffsarzt, ein bis auf seine zur Grobheit neigende Offenheit, sonst angenehmer Gesellschafter, saß oft neben meinem Liegestuhl an Deck. Er gab sich erdenkliche Mühe mit mir.
»Ist es vielleicht die Malaria?« fragte ich ihn einmal.
»Wo lebten Sie denn auf Java?« fragte er dagegen.
Ach, es war mir unsägliche Wohltat, von Saikisisi reden zu können. Und so weihte ich den Doktor in die Märchen der letzten Monate ein.
»Ich kann mir nicht denken, daß eine weiße Frau fähig wäre, einen Mann so glücklich zu machen«, schloß ich meine Erzählung.
»Ebensowenig wie sie fähig wäre, ihn so elend zu machen«, sprach er zu meinem Erstaunen hart und überlaut. »Diese braunen Tiere lieben ohne Vernunft, handeln ohne Vernunft, hassen ohne Vernunft, rächen ohne Vernunft.«
»Sprechen Sie von meiner Frau?« Ich richtete meinen schwachen Körper auf und starrte den Arzt wütend an.
»Ach was – Ihre Frau! … Ihre Hure, müssen Sie sagen …«
»Herr Doktor …«
Begütigend legte er die Hand auf meine Schulter. »Nichts für ungut. Doch Sie sind nicht der erste Europäer, den so ein sich verlassen wähnendes braunes Tierchen ins Jenseits befördert. Vielleicht, weil das Liebchen ihn keiner andern gönnt – vielleicht aus hundsgemeiner Rachsucht. Sagen Sie, Bester – untersuchten Sie den Reis, den die Bestie Ihnen vorsetzte?«
»Den Reis? Wie sollte ich! Sie glauben doch nicht etwa an Gift …?«
»Gift?« Er lachte, als gelte es einem guten Witz. »Nein, etwas viel Simpleres und doch Schlimmeres als Gift. Etwas, das schleichender wirkt und darum teuflischer ist als Gift. Erzählen Sie, was das braune Vieh mit Ihnen tat.«
Wie weh es meinem Herzen auch war, so von Saikisisi sprechen zu hören, kramte ich doch in meinem Gedächtnis nach, das nicht weniger gelitten hatte als mein Leib. Schließlich fiel mir der Zauber mit den Reispillen ein.
»Und das Zeugs haben Sie vierzehn Nächte lang gefressen? Lieber Knabe – ich will Sie nicht kränken … aber betrachten Sie sich vernünftigerweise als einen sterbenden Mann.«
»Doktor – – Saikisisi – – nein, nein … das ist nicht möglich … Sie machen furchtbare Scherze mit mir!«
»Ich scherze nicht, armer, lieber Junge«, sagte er, plötzlich ganz weich und zärtlich.
Die Tränen der Enttäuschung und des bitteren Leidens um den zerstörten Wahn von meinem überirdischen Glück wollten mir aus den Augen.
»Machen Sie Ihren Frieden mit Gott und mit Ihrem Vater in der Heimat«, sagte er mitleidig. »Bis zur Heimat werden Sie – – vielleicht! – noch gelangen. Sollten Sie an Bord sterben, so werde ich Ihre Leiche öffnen. Und Sie sollen mich beim Wiedersehen dort droben, wo alles Menschenleid und Menschenglück für ewig hinter uns liegt, nur Friede herrscht – Sie sollen mich dann einen Schuft nennen dürfen, wenn ich jetzt lüge: ich werde in Ihrem Magen, in Ihren Därmen suchen, und ich werde sie gespickt finden mit millimeterlangen Stipseln von den Schweifhaaren eines Pferdes. Die bohrten sich ein und riefen Entzündungen hervor, gegen die der Tod das einzig wirksame Heilmittel ist«
Obwohl ich einer Ohnmacht nahe war, konnte ich doch noch flüstern: »Pferdeschweifhaare – die hätte ich doch merken müssen – nein, es war nie etwas in dem Reis – ich habe doch Augen – –«
Dann fühlte ich meine Sinne schwinden, die in diesem Zustande eine eigentümliche Schärfe zu haben schienen. Denn so laut, als ob er mir ins Ohr schreie, vernahm ich des Arztes erklärende Stimme:
»Diese braunen Bestien reihen Reiskorn für Reiskorn auf ein Pferdehaar – wie Perlen auf einen Faden. Diese Perlenkette des Todes schneiden sie so geschickt auseinander, daß die Stipsel in den Körnern verborgen sind. Der Mann, der das ahnungslos genießt, ist so gut geliefert, wie ein Hund, dem man zermahlenes Glas ins Fressen mengt …«
Der Ozean um den Dampfer schwoll plötzlich so hoch, als wolle er das Schiff verschlingen. Wie die Wasser brausten – wie Nacht um mich ward – wie ich mich stürzen fühlte in eine unendliche Tiefe. Und ich fragte den Schiffsarzt: »So hat sie mich gemordet – Saikisisi – –?«
Das Lachen des Doktors scholl meinem Sturze nach; es klang wie das Hohnlachen Sidins an jenem Tage, an dem ich ihn beleidigte. –