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Skizze
Heller Sonnenschein machte die Wiesen um das Flüßchen zu einem Festplatz, darauf frohe Menschen mit beglückten Händen Blumen über Blumen gestreut. Träg rauschende Erlen standen ernst, wie mit verschlossenen Mienen, in all dem Freuen. Aber von den Wiesengründen her wehte der Heuduft die Süßigkeit des Sommers. Die Erde schien wahrlich ein Paradies …
Aber ein paar Menschen fischten einen Leichnam aus dem trübdunkeln Gewässer des Flüßchens. Endlich lag eine Frauengestalt vor den sich Mühenden; sie war nur mit dem Hemde bekleidet.
Das nasse Linnen schmiegte sich eng an den Körper und zeichnete scharf die Formen und die Üppigkeiten der Hüften, der Schenkel und der Brüste. Ein junges Weib …
Glitzernde Wassertropfen schlichen wie zu späte Tränen über das hübsche Gesicht. Die feuchten Haare ringten sich wie schwarze Schlangen. Beim Hinlegen war das Hemd aufgestreift worden: man sah die in der Sonne vor Nässe glänzenden Schenkel. In der Verzierung des Schoßes gleißten Wasserperlen … eine Königin, die sich zum Liebesfeste auch das tiefste Geheimnis ihrer Schönheit mit Edelsteinen schmückte.
»Vielleicht hat sie ganz früh bei den fünf Erlen gebadet und ist in einen der verfluchten Strudel geraten«, meinte der Feldhüter in bedauerndem Tone. Er sah neugierig auf die Leiche, vor der er mit gespreizten Beinen stand, sich auf seinen Knotenstock stützend.
Ein junger Kerl stand schweigend bei den Neugierigen. Er riß die Augen weit auf, blähte die Nüstern und ballte krampfhaft die Fäuste. So glotzte er unverwandten Blickes auf die Tote.
Der Feldhüter erkannte diese Blicke und jagte den Menschen zum Teufel. –
Damals war ich Richter in der kleinen Grenzstadt.
Die Tote ward leicht als eine Frau Belmont erkannt. Die Ärmste war vor wenig Monaten erst mit einem braven Manne getraut worden – mit dem Gastwirt und Pferdehändler Belmont. Sie wurde sanglos, klanglos beerdigt. Alle Welt wunderte sich über den Mann, der seiner Ertrunkenen so wenig Feierlichkeiten bereitete. Dann verschloß Belmont seine Gastwirtschaft und sein Haus und blieb verschwunden. Nach einigen Wochen tauchte er wieder auf, unwirsch und still gegen die Menschen. Der Schmerzgebeugte wurde allgemein bedauert.
Da meldete sich der Mann eines Tages bei mir, und zwar nach Schluß meiner Amtszeit in meiner Wohnung.
Ärgerlich über die Störung, ließ ich ihn wohl vor, behielt aber Hut und Stock in der Hand, ihm zu zeigen, daß ich beim Fortgehen aufgehalten sei.
Mit bleich vergrämten Gesicht, tiefliegend brennenden Augen stand er vor mir und drehte seine Kappe rundum und um.
»Herr Doktor – ich bin ein Mörder – ich habe meine Frau umgebracht – und ich will bestraft werden.« So sagte er heiser, fast flüsternd.
Einen Augenblick dachte ich, der Mann hätte aus Kummer über den Verlust den Verstand verloren. Tiefe Stille war im Zimmer. Dann trat ich einen Schritt zurück.
»Läuten Sie nicht, Herr Doktor – bitte!« Dabei sah er mich an – so unendlich schmerzensreich – nein, der Mann war bei Sinnen.
»Ja, um Himmels willen, Mensch! Was hat Sie denn dazu bewogen?«
»Hören Sie mich ruhig an – dann lassen Sie mich abführen – ich ertrag's nicht länger – und es ist ja doch alles vorbei …«
»Sprechen Sie nur, Belmont, und vertrauen Sie mir.«
Ich bot ihm einen Stuhl an, selbst so Platz nehmend, daß ich im Schatten blieb. Er saß just im hellen Fensterschein. So konnte ich jeden Zug seines sonnengebräunten, angenehmen Gesichtes sehen. Nur die dicht über der Nasenwurzel ineinander verwachsenen Brauen verliehen der Redlichkeit seiner Züge etwas Finsteres.
Er seufzte ein paarmal tief auf, und seine Finger glätteten an der Mütze, als streichle er ein Liebes. Einfach und schlicht erzählte er sodann.
»Ich war mit meiner Frau kaum sieben Monate verheiratet. Wir lebten glücklich und ohne Hader. Ich liebte sie über alles. Obgleich man schon vor der Hochzeit versucht hatte, sie bei mir zu verkleinern. Die Verleumder wies ich zurück, das Geklatsch verstummte. Wie gesagt … glücklich … und ohne Hader lebten wir.
Meine Frau war tüchtig, sehr tüchtig in der Gastwirtschaft.
Sie wissen, Herr Doktor, mein Häuschen steht draußen ganz allein in der Nähe der Kaserne. Soldaten – aber namentlich Unteroffiziere, daraus bestand der größere Teil meiner Gäste. Meine Frau war beliebt bei ihnen, und durch sie nahm der Besuch meiner Kneipe immer mehr zu.
Kurz, es fehlte nichts an unserer Zufriedenheit … ja, sogar nichts fehlte am Glück einer Ehe, denn meine Frau war schwanger. Ja, sie trug das Zeugnis ihrer Liebe unter dem Herzen – meinte ich.
Ich blieb öfter außer Hause – manchmal tagelang, denn ich trieb auch Pferdehandel. Aber ich hatte einen Freund, der war Feldwebel … der nahm sich meiner Frau ein bißchen an, wenn's in der Kneipe zu toll wurde. So konnte ich ohne Unruhe reisen und meine Geschäfte abwickeln. In aller Ruhe … meinte ich.
Da hatte ich in der Hauptstadt größere Verluste und saß mißmutig mit am Biertisch. Geschäftskumpane hänselten mich.
›Gelt‹, sagte einer: ›Du denkst nach, ob der Herr Feldwebel deiner Frau auch nichts antut?‹
›Nee‹, sagte ein anderer. ›Er besinnt sich, ob er dem Feldwebel die Vaterstelle oder die Patenstelle antragen soll.‹
Die rohe Bande lachte. Schweine! dachte ich und sagte nichts – gar nicht das geringste. Es war nicht das erstemal, daß man meinen Freund und meine Frau zusammenzubringen suchte. Doch, ich vertraute beiden … ich kannte sie besser als andere … meinte ich.
›Bleib heut nacht mit uns und lauf dir die Hörner ein wenig ab – verstehst du: die Hörner!‹
Da konnte ich nicht langer an mich halten. Ich schleuderte dem Kerl die Faust an die Stirn, daß er heulend unter den Tisch fiel. Dann ging ich nach dem Bahnhof …
Mit dem Nachtschnellzug gelangte ich heim, nachdem mich unterwegs die Zweifel bald aufgefressen hatten.
Alles war schon still im Hause.
Ich weiß nicht mehr, wie es mich plötzlich so überkam: auf Strümpfen schlich ich nach unsrer Schlafstube. Ich wußte, daß ich erst für nächsten Vormittag erwartet wurde …
An der Tür lauschte ich. Ach, es war ganz still dahinter. Befreiten Herzens wollte ich just auf die Klinke drücken – – da, ein Rumoren, Herr Doktor – ein Stöhnen, leises Gekreisch, Gewimmer, Gewinsel … alles Laute, die ich nur ganz allein zu kennen glaubte. Ach, und wie sie sich hatten, wie sie tobten, wie sie – – in meinem Bette, Herr Doktor …
Ich brüllte wie ein Vieh – je nun, einer, dem man die Frau gleich auf die Art stiehlt.
Verschlossen, natürlich, denn bei offener Türe – –
Der Kerl versuchte vergeblich meine Frau zu beruhigen. Sie jammerte nur immer: Ach Gott, ach Gott!
Wie es mir gelang, weiß ich nimmer, aber ich brach die Tür auf. Das Schloß knallte wie ein Schuß. Zugleich kletterte der feige Hund zum Fenster hinaus. Vorm Hause ein dumpfer Fall. Na, es sprach sich herum, daß der Feldwebel mit gebrochenem Bein vor der Kaserne gefunden wurde. Soweit hatte er sich in seiner Feigheit geschleppt.
Ich machte ganz ruhig Licht. Auf dem Bette, vollkommen ausgezogen, saß sie. Nicht etwa reuevoll zusammengekauert – ach nein: frech und mit noch ganz erhitzten Backen von dem – dem – na ja. Ich sagte nur: Zieh dich an und verlaß augenblicklich mein Haus!
Sie lachte. Nur Huren können so lachen – denke ich mir – denn ich kenne sie ja nicht. Da flog mir die Hand. Herr Doktor, seither hatte diese Hand ihr alles Gute und Schöne unter die Füße breiten wollen. In maßlosem Grimm schüttelte ich das freche Geschöpf. Sie schrie wie verrückt. Aber es hörte uns niemand, denn wir bewohnten das Häuschen allein, und es steht ja auch ganz einsam.
›Mein Kind!‹ schrie sie. ›Mein Kind!‹
Und das brachte mich erst recht in Wut. Es war ja richtig: sogar mit dem Kind unterm Herzen hatte sie …
Ehebrecherin – Hure – Dreckmensch! Bei jedem Wort ohrfeigte ich sie.
Sie zeterte: ›Du Hund – laß mich – mein Kind – Hilfe! – Mein Kleines – –!‹
Ach ja, das arme Kind, sagte ich und mußte weinen.
›Was heulst du drum?‹ schrie sie mich an. ›Schiert's dich was? Von dir ist's wahrhaftig nicht.‹
Wahrhaftig nicht? fragte ich ganz ruhig.
›So wahr mir Gott helfe‹, schwor sie.
Auf der Treppe holte ich sie ein. So wie sie war, packte ich sie und schleppte sie zur offenen Haustür hinaus – quer über die Wiesen – bis an den Fluß …
Jetzt weinte sie leise …
Dahinein mußt du, sagte ich, und das Wasser gurgelte und schwatzte, als gäbe es mir recht.
Sie lag mir jetzt zu Füßen und jammerte und flehte. Ich riß sie auf und preßte sie an mich und küßte sie wie verrückt. Und dann hob ich sie auf … so!«
Belmont stand mit erhobenen Fäusten wie ein Riese da. Dann lachte er vor sich hin und ließ die Arme sinken.
»Ein Schlag aufs Wasser – Plätschern – Schreien. Dann ging ich ganz ruhig heim, raffte ihre Kleider vom Stuhl, trug sie an den Fluß und legte sie bei den fünf Erlen hin. Dort saß ich auch am Ufer und weinte – weinte …
Im hellen Sommertag brachte man mir sie.
Die Menschen meinen, sie wäre beim Baden ertrunken. Der Feldwebel hielt das Maul, der feige, falsche Hund.
Und, Herr Doktor – jetzt muß ich immer an die Frau im Hemd denken. Das verfolgt mich so, daß ich hinter Gott weiß was für Weibern her bin. Immer wieder möchte ich so eine Frau im Hemd auf die Arme nehmen – sie so hoch heben – sie zu Boden schleudern – würgen – schlagen – umbringen – alle Weiber, alle – nachdem ich sie gehabt. Und davor fürchte ich mich so entsetzlich. Sperren Sie mich ein.«