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Erster Teil.
Schlange Sünde


Sommerglut

Novelle

Die Heimat! … wie hatte ich mich nach ihr gesehnt, umgeben von den glühenden Schönheiten der Tropen. Die Heimat! … nun lag sie endlich wieder vor mir, und ihr kühler Hauch umfloß mich. Ich fühlte, wie das in der maßlosen Hitze indischen Landes erschlaffte Blut sich neu zu regen vermochte. Der Mut zum Leben kehrte mir zurück, ein Ahnen erneuter Kraft stärkte mir Leib und Seele. Ich reckte die Arme aus, ballte die Fäuste, wie im Zermalmen eines unsichtbaren Etwas, oder als ob ich den schwachherzigen, mattnervigen Menschen verjage, der ich bis zur Stunde war. Den Duft des kühlen Morgens sog ich in meine Lungen. Wie ein Dürstender an der Quelle vorsichtig prüfend und doch gierig den entbehrten Trank schlürft, so atmete ich die Luft der Heimat. –

Wechselreiche Bilder vergangener Zeit zogen meinem inneren Schauen vorüber. Freunde der Heimat, Kameraden meiner Jugend – Mädchen, Frauen – blonde und braune – alte Tändeleien und Liebschaften. Und schließlich machten meine Gedanken bei einer Einzigen halt. Ein hübsches Köpfchen mit dunkeln Locken – der sinnlich üppige Mund – große Grauaugen sahen mich fragend an in jener Unschuld, hinter der sich das Wissen von der Schuld verbirgt. Und in dieser Erinnerung fragte ich mich: was mag aus ihr geworden sein?

Ich träumte einen glühheißen Sommertag. Da sah ich den schmalen Pfad, der zwischen Kornfeldern dahinzog. Die Hitze brütete über dem rissigen Weg und flimmerte dort, wo dieser Weg sich mit scharfer Wendung auf einer Wiese verlor. In losen Falten umwob das helle Kleid die Schlankheit eines Mädchens – zierlichen Fußes schritt sie vor mir her, und die Röcke schwenkten um die straffe Rundheit wohlgeformter Waden – die weichen und doch schon vollen Hüften wiegten sich, und unter der rosa Schleife auf dem Rücken sah ich ein seltsam Spiel. Mit halb geschlossenen Augen tappte ich hinter all dem her und ließ meine Seele die Weiße des Fleisches und der Glieder ahnen …

Da wandte sich das hübsche Gesicht mit den glühenden Augen zu mir: »Puh, die Hitze! Weißt du was – ich verschwinde in den Ähren hier und lege mich hin – ich mag nicht mehr laufen. Du machst doch mit?« Und mit stapfenden Schritten bahnte sie sich den Weg ins Kornfeld. Die mannshohen Halme, uns beiden über die Schultern hinausragend, gaben nicht so leicht nach. Und ihre Widerspenstigkeit tat dem Kleidchen meiner Freundin Gewalt an: sie hoben daran … unter Spitzen hervor ein Stückchen nacktes Bein, gegrenzt vom blauen Strumpf, der gehalten ward von einem roten Strumpfband. Wir saßen nun wie im Märchenland, umschlossen von der Kornmauer, und plauderten kindisches Zeug – bis sie müde war. Sie streckte sich behaglich aus, legte das Haupt mitten auf meinen Schoß und schlief ein. Der Halsausschnitt ihres Sommerkleidchens, fast ein wenig zu tief für dies reifende Geschöpf, gab alles frei, von was ein Mann in seiner jungen Kraft zu allererst träumt und was ihm zunächst das Süßeste am Weibe dünkt.

Längst sank die Sonne tiefer, färbte sich in Rotglut und deckte ein zauberhaftes Blutscheinen über die Ähren. Solange hatte ich still dagesessen … weiß Gott, was alles sinnend und träumend, doch ohne den Mut zur Tat.

Da zitterte es um die halb geöffneten Lippen der Freundin: ein wohliges Traumseufzen. Sie preßte den Kopf fester in meinen Schoß, der Atem ging bewegter, im Halsausschnitt wellte das, an dem mein Blick die längste Zeit gehangen. Sie reckte sich plötzlich lang aus und lag wie erschöpfter als vorher. Die grauen Sterne waren weit und hatten übergroße Pupillen. So leuchteten sie mich an, während die Freundin nun lächelnden Mundes dalag, als wäre sie soeben einer wohlig alle Sanftheiten ihres Körpers umfließenden Flut entstiegen.

»Wie alt bist du eigentlich, Fritz?« fragte sie endlich.

»Neunzehn im Herbst.«

»Und ich bald sechzehn.«

Eine Pause, während der sie die Augen geschlossen hielt.

»Weißt du schon etwas von der Liebe?« forschte sie, ohne die langbewimperten Lider zu heben.

»Hm …«

»Ich meine jene Liebe, die man – nun, die – ich meine die, wenn man verheiratet ist …«

»Aber Else –«

»Ach, dummes Zeug: Else! Aber, Else! – Das sagt meine Mutter auch, wenn ich sie frage. Denn ich lese doch Romane. Und da ärgere ich mich jedesmal, daß es nur mit dem Sichkriegen schließt. Gibt es denn nicht auch Bücher, in denen darüber geschrieben ist, was nachher die beiden treiben? Denn davon erfährt man niemals.«

Diesmal antwortete ich nicht. Und so setzte sie sich auf und sah mit starren Blicken in den Rest der Sonnenscheibe, die jetzt hinter den Ähren untertauchte.

»Ach, ich habe so schön geträumt, Fritz … so wunderschön.«

Nun sah sie drein, als sönne sie allen Rätseln dieses Lebens nach und ahne deren Lösung in dem, was allen Menschen ein Geheimnis ist und doch das Vertrauteste.

»Erzähle mir deinen Traum, vielleicht kann ich ihn deuten.«

Sie dachte eine Weile nach, warf sich plötzlich über meinen Schoß. Ich hörte sie flüstern: »– – ich kann nicht – nein, ich darf nicht –«

Dann wieder erhob sie sich mit einem Ruck, warf die Arme um mich und hielt mir mit geschlossenen Augen den halb geöffneten Mund entgegen, die perlig weißen Zähnchen weisend, als wolle sie mich in die Lippen beißen. Zuerst küßte ich sie nur zaghaft. Doch ein Brennen schlug in mir auf, und ich preßte das schwer atmende Kind an mich. Unsere Seelen, unsere Gedanken flossen in einem heißen Wünschen ineinander … ein Wünschen, sehnsüchtig, urgewaltig, fast wütend, das keines auszusprechen wagte …

Jedoch, dann war der gefahrvolle Augenblick vorüber.

Sie stieß mich, ich stieß sie zurück. Wir zürnten einander – vielleicht nur deshalb, weil keines Wünschen in Erfüllung ging.

Mir perlte kalter Schweiß übers Gesicht – ich riß mich aus meiner Not – streifte mit langen Sprüngen durch das hinter mir grimm aufrauschende Korn und erreichte den Feldweg. Mir nach scholl das eigensinnige Weinen eines Kindes, dem sein Spielzeug vorenthalten ward.

Erst spät in der Schwüle der Sommernacht überkam mich Reue ob meiner Torheit; mag auch Ärger dabei gewesen sein. Ich wälzte mich in den Kissen, starrte ins Finstere und schlug mir die Schläfen, endlich weinen könnend. –

Was mochte wohl aus ihr geworden sein?

*

Den Abend – den ersten in der Heimat – verbrachte ich im Kreise einer Familie, mit der ich auch von Bangkok aus eifrig Briefe gewechselt hatte. Überhaupt nahm man mich in allen Häusern so auf, wie man eben einen Mann aufnimmt, der aus dem Wunderlande Indien kommt. Ich aber wählte den bescheidenen Haushalt eines früheren Freundes, dessen Frau wir gemeinsam umworben in der Verliebtheit junger Tage – Weib war uns alles, was Röcke trug. Doch auch meines Freundes Gattin sah in mir eine Art Schaustück. Morgen sollte mir noch einmal Ruhe gegönnt bleiben – übermorgen sollten mich alle Bekannten anstaunen dürfen.

»Sammeln Sie Ihren Geist zu Erlebnissen, lieber Fritz, denn man wird Sie erzählen hören wollen.«

So sprach die kleine, rundliche Blondine zu mir. Das Dienstmädchen stand mit der Küchenlampe dabei, mir in mein Zimmer zu leuchten. Das Weibsstück gab mir einen Vorgeschmack von dem, was mich übermorgen erwartete: mit offenem Munde und glotzend betrachtete sie den »Indier« von oben bis unten und umgekehrt. Als ich schon zu Bett war, kam Freund August noch einmal herein, um über die Erlaubnis der Ehehälfte hinaus noch eine verstohlene Zigarre bei mir zu schmauchen.

Da fiel mir etwas ein.

»Ach ja,« sagte ich mit gespielter Gleichgültigkeit, »was ist eigentlich aus der kleinen Else Hofen geworden?«

»Die? Sehr früh geheiratet – Frau Doktor Kästner jetzt – man spricht von unglücklicher Ehe – kinderlos – na, und so weiter. Im übrigen gut, daß die dir einfiel, denn das Paar muß ja auch eingeladen werden. Doch, nun gute Nacht – meine Zigarre ist zu Ende.«

Er verließ mich. Ich hörte, wie er draußen kräftig den Atem ausstieß und ebenso kräftig einatmete. Aha, die blonde Gemahlin durfte den Tabakgeruch nicht bemerken. –

Übermorgen!

Die geheiligten Räume der Gastfreundschaft waren meiner exotischen Herkunft zu Ehren möglichst bizarr hergerichtet worden. Die kleine blonde Frau meines Freundes hatte allerlei Dinge herbeigeschafft; nicht alles war indisch, aber es sah geheimnisvoll und malerisch aus in den Zimmern … so, ungefähr, wie sich der Kleinstädter das Innere eines Harems vorstellen mag. Auf einem besonderen Tischchen ein Atlas, die Karte von Indien aufgeschlagen – auf dem Mitteltisch ein Globus – auf der Brüstung eines Kamines standen indische und chinesische Nippsachen von höchst bezweifelbarer Echtheit, sogar ein Buddha war dabei … indes, der bronzierte Eisengußgott schien aus dem Thüringerwald zu sein. An den Wänden Teppiche, die nie einem Gläubigen zum Gebete gedient – Waffen, die nicht zum Zwecke des Mordens geschmiedet, Fächer, die nie das Antlitz einer braunen Schönen gekühlt, Palmen, in Deutschland gewachsen und in Erfurt präpariert. Aber das Frauchen hatte alles so nett hergerichtet, daß ich nicht zürnen mochte, so sehr mich der heillose Krempel auch an eine Jahrmarktsbude erinnerte.

Und dann kamen die Eingeladenen mit kleinstädtischer Pünktlichkeit. Ganz zuletzt Frau Doktor Kästner und Gatte.

Else noch immer so kindlich und keusch wie vor zehn Jahren. Nur die vollen Formen verrieten das Weib – das Antlitz war noch mädchenhaft, die Augen groß und klar und in Unschuld leuchtend – dunkle Schatten allein, die die Höhlen erfüllten, bezeugten Leidenschaften – – doch unerfüllte, verschwiegene, sündige. Man lernt den Blick für so etwas.

Er: ein kleiner, dürrer Mensch mit einer Denkerstirne, in den Augen die Zerstreutheit des Gelehrten. Man sah seinen gefurchten Zügen an, daß er sich unablässig mit Problemen und Studien beschäftigen mochte, selbst außerhalb der Arbeitsstube. Ein markloser, saftarmer Mann neben der üppigen Blüte seines Weibes – ein Alter – der ein Kind geheiratet; trotzdem konnte er nicht viel über die Vierzig sein.

Sie drängte sich rücksichtslos durch die Gäste und stand vor mir. Beide Hände hielt sie mir hin, ihre Grauaugen schillerten in der Freude des Wiedersehens. Kein Wort sprach sie; aber ihr Haupt neigte sie zurück, und die Lippen waren halb geöffnet – ganz so, wie ich diesen blühenden Mund aus jenem Sommertage her im Gedächtnis hatte. Man hätte fast meinen können, sie erwarte, von mir geküßt zu werden. Ich beugte mich über ihre zitternden, heißen Hände. Die Damen steckten flugs die Köpfe zusammen und tuschelten.

Doktor Kästner hatte mich gar nicht beachtet; er stand vor dem Globus, den er drehte, und tippte plötzlich mit dem Zeigefinger auf eine Stelle. Dann kam er mit müdem Schreiten auf mich zu und nannte seinen Namen.

»Richtig, da kommen Sie her«, knüpfte er sofort seine Gedanken vor dem Globus aufs neue an. »Reiche Fauna, bunte Vogelwelt, übermäßiger Pflanzenwuchs. Einwohner malayisch-indische Mischrasse – Reisausfuhr – Kopra – ah, richtig: Copra di Capello! Haben Sie eine gesehen? Ich meine die Brillenschlange – falls Ihnen der naturwissenschaftliche Name nicht geläufig sein sollte.«

Ich blickte in dies frühalte Gesicht: wahre Kinderaugen. Der Ausdruck unbeschreiblicher Herzensgüte verschönte die Mienen dieses harmlosesten aller Menschen. In der ungesunden Stubenfarbe die schmalen Lippen eines Mundes, der dem schwächlichen Körper zum Trotz von einem innerlichen Kraftbewußtsein Doktor Kästners zeugte. Er lächelte mich so vertrauensvoll an, als erwarte der Mann von mir große Offenbarungen über jenen Erdstrich, den er bloß aus seinen Büchern kannte.

Diesem Manne wirst du nicht weh tun! gelobte ich mir still, und meine Blicke suchten seine Frau. Er folgte mit einem feinen Lächeln meinen Augen.

»Meine Frau ist entfernt verwandt mit Ihnen? Sie müssen uns besuchen. Ich würde mich sehr freuen.«

Und er ging wieder zu dem Globus.

Wenn man gezwungen wird zu erzählen, dann will es nicht recht. Niemand verstand es, meine Gedanken so in Schwingungen zu versetzen, daß auch ich in Schwung kam. So dünkte mich alles nüchtern und farblos berichtet, was ich an Abenteuern aufsagte. Ich merkte, daß die Gäste – weil sie sich zuviel versprochen hatten – einigermaßen enttäuscht waren. Else schien überhaupt nicht zuzuhören, sie verschlang mich fortgesetzt mit Blicken.

Doktor Kästner aber setzte mich in Erstaunen. Er folgte meinen trocken vorgetragenen Beschreibungen mit leuchtenden Augen und verriet durch kurze, dazwischen geflochtene Anmerkungen ein tiefes Wissen von jenem Wunderlande, aus dem ich gekommen.

Endlich war der für mich qualvolle Abend zu Ende. Ich durfte schweigend den Kleinstadtklatsch anhören …

Beim Abschiede sagte Doktor Kästner laut und bestimmt, so. als wäre ein Besuch schon verabredet: »Also morgen nachmittag bei uns auf Wiedersehen, nicht wahr?«

Freund August war ein weitsichtiger Mann. Er saß noch eine Weile bei mir im Zimmer, wiederum die verstohlene Zigarre rauchend. Dabei hielt er mir einen Vortrag über Schicksal, Treue, Ehefrieden und Ehebruch. Er hatte von einem Manne in Indien so ungefähr die Vorstellung: umringt von exotischen Bajaderen, Nackttänzerinnen, Sklavinnen in einem üppigen Harem.

»Bleibe dir selbst treu!« sagte er am Schlusse seiner Ermahnungen.

»Fürchtest du denn für deine kleine Frau?« sagte ich scherzend und tat sehr leichtsinnig.

»Nein, wo denkst du hin!« rief er aus. »Meiner Frau bin ich sicher – – aber Else Kästner … nun, ich sage dir nochmals: Bleibe dir selbst treu.«

Mir selbst treu? Was kam dem ungeschickten Menschen bei?

Und doch, es flüsterte in meiner Seele eine Stimme, die ich mit dem Entschlusse: Fortgehen – Fortbleiben! zum Schweigen bringen mußte.

Aber die Morgensonne scheint anders als der Mond am Abend vorher. Der neue Tag brachte andere Gedanken und andere Entschlüsse. Und ich ging zu Kästners hin. Warum auch nicht …?

»Mein Mann läßt Sie bitten, Nachsicht zu üben, liebster Fritz. Er vollendet die letzten Zeilen eines Vortrages – er kommt später zu uns herunter. Sie müssen also mit mir fürlieb nehmen, mein Herr Sindbad.«

Sie erwähnte ihres Gatten in kühlem, absichtlich in Verachtung gefärbtem Tone. Wollte sie mir sogleich zu verstehen geben, wie es stand? Das wäre – – dirnenhaft, dachte ich mir. Und um so wärmer sprach ich von dem guten Eindruck, den der Gelehrte auf mich machte. Mit bedeutungsvoller Betonung äußerte ich die Hoffnung, ihn Freund nennen zu dürfen. Else aber wollte mich nicht verstehen; fortgesetzt verriet sie mir, wie und in welchen Erwartungen und Hoffnungen sie meiner gedacht hatte, welch glühende Erinnerungen sie jenem Sommertage bewahrt. Else war eine Frau, von der ein Duft auszugehen schien, der bezaubernd wirkte. Auch ich unterlag. Und bald saßen wir einander dicht gegenüber, blickten uns in die Augen und drückten uns die Hände. Vergangene Tage stiegen leuchtend auf. Blüten verwehter Jugendliebe lagen um uns her. Worte und Küsse aus jener Zeit kehrten wieder …

Und dann kam Erbitterung über sie.

Das enttäuschte Weibchen regte sich in ihr. Ihr sehnendes Verlangen nach dem Leben, der quellende Strom unterdrückter Gefühle – sie rissen die Dämme ein. Ich konnte sie nun nicht mehr unweiblich schelten. Ihre Klagen, in mehr als nur verstehbaren Andeutungen sich ergehend, wirkten schließlich auf mich betäubend. Und so empfing ich das Geständnis völligen Unberührtseins – und versank in ein wirbelndes Chaos von Zurückhaltung, Begehren, Scham und Brunst. Brunst – ein Menschenweibchen spielte mit seinen verlockendsten Farben … die Rollen waren vertauscht: nicht der Hahn, die Henne balzte …

Da hob die Kaminuhr aus und verkündete in feinen Silberklängen, daß bereits zwei Stunden um waren. Der unselige Mensch in seinem Arbeitszimmer droben konnte sich nicht von seinen Büchern trennen. Sie gingen ihm über die reine Luft in seiner Ehe.

Ich beugte mich über die schluchzende Frau und strich ihr die Haare aus der Stirn.

»O, Fritz, wie mögen Sie mich verurteilen, verwerfen, wenn Sie mich nicht verstehen. Aber ich habe so oft jenes Sommertages gedacht. Die Glut, die damals die Erde verbrannte, hat immer und bis heute an mir gezehrt. Ich verschmachtete dabei … und er reichte mir nicht einmal den Trunk der Gnade. Ja, ich hasse – ich hasse ihn, der mich so enttäuschen konnte! Ich habe einmal – damals – geträumt. Bei diesem Traum blieb es. Ist es ein Wunder? Ein Traum nimmt wieder Fleisch und Blut an: Sie kamen. Und der Träumende greift nach dem Urbild seines Traumes: Gib der Dürstenden! Fritz, kann Sie das zur Verachtung herausfordern …?«

»Liebste Else – Sie sind jetzt fassungslos. Ich verurteile Sie nicht, so wenig wie ich Sie verachte. Aber bedenken Sie, daß die Welt nach Ihnen blickt.«

»Ach, die Welt! … die läßt mich kalt. Wenn ich nicht in einen Abgrund versinken will, aus dem es nimmer ein Hervor gibt, so brauche ich die Scheidung. Ich muß sie haben zu meiner Sicherheit. Was weiß die Welt, wessen ein enttäuschtes, gesundes, fühlendes Geschöpf fähig wäre. Freiheit will ich haben, denn in der Freiheit ist mein Leben. Jetzt bin ich tot bei lebendigem Leibe. Und als ich Sie gestern abend wiedersah, da sprach es in mir – nein, es schrie, es scholl, es verhieß: der wird dir alles, alles geben.«

Ich befand mich in verzweifelter Lage. Was war zu beginnen? Ein Betrug an dem harmlosen Manne wäre in jedem Falle eine Büberei. Und er verlockte mich plötzlich nicht mehr … er wurde mir gar zu leicht gemacht.

Da kam Doktor Kästner.

Else gab sich nicht die mindeste Mühe, ihre Erregung zu verbergen. Sie wußte, daß ihr Mann auf solche »Kleinigkeiten« nicht achtete. Und doch war mir, als sei sein Auge rasch über sie hingeglitten, blitzschnell, um dann fragend in meinen Mienen zu forschen. Er machte eine Bewegung, als müsse er etwas von sich abschütteln. Dann bot er mir Platz an.

»Wissen Sie, was mich sehr interessiert? Die moralischen Anschauungen, das Sittlichkeitsgefühl, der ethische Charakter der Grundsätze der höheren Kaste Ihres bekanntlich stark erotisch fühlenden Wunderlandes. Sind die Männer der höheren Kaste wirklich so schlaff, so verweichlicht, so reglos?«

Sonderbar … er legte ganz besondere Betonung in seine wenig nach einem richtigen Urteil klingenden Worte.

Ich fand nicht gleich Antwort.

»Wissen Sie nichts Erlebtes – es könnte auch ein Gehörtes sein – zu berichten, das mir Anhaltspunkte gäbe. Ich meine: Anhaltspunkte für einen ganz besonderen Fall, den ich in den nächsten Tagen wohl werde behandeln müssen.«

Er stellte mich also. Um allem zu entgehen, blieb mir nur ein Märchen. Ich zündete mir eine Zigarette an, lehnte mich bequem und sorglos scheinend in den Sessel zurück, warf Else einen verstohlenen Blick zu und hob mit einer Erzählung an, von der ich vorläufig weder das Wie noch das Was wußte. Ich verließ mich auf meine Leidenschaft zum Fabulieren. Doktor Kästner saß ganz in sich versunken da. Seine Frau aber hatte leuchtende Augen: sie erwartete gewiß einen Bericht, der ihre berechtigten Wünsche krönen und ein Wegweiser sein sollte für ihr künftiges Verhalten.

So hob ich an:

»Wohl kenne ich einen Fall – und ich erlebte ihn sogar selbst – da sich ein Inder aus seinem Verschlafensein aufriß, um zu zeigen, daß seine Ethik hinsichtlich der Ehe zum Beispiel durchaus keine schlaffe oder erschlaffte war. Vielleicht schien sie durch die Sicherheit, mit der er sich Herr seiner Weiber fühlte, eingeschlummert … eine leise Berührung aber brachte sie zum Erwachen. Und dies Erwachen war fürchterlicher Art, offenbarend, daß des Mannes sittliches Gefühl hervorragend entwickelt war. Vielleicht werden Sie später sagen, seine Sittlichkeit sei durch die dazu bezeigte Rachsucht beeinträchtigt – – nun, wir werden ja sehen. Hören Sie zu. Und Sie, gnädige Frau, mögen verzeihen, daß der Inhalt meiner Geschichte ein bißchen nackt und bloß, auch ein wenig üppig sein dürfte.

Meine Reisen führten mich öfter in das Innere Birmas. So gelangte ich einst, dem oberen Laufe des Irawadi folgend, in die Residenz – falls ich so sagen darf – eines kleinen Fürsten oder Radschas. Ich hielt auf meinem Pferde vor der Stadt, die mir gewissermaßen zu Füßen lag, weil ich von einem Hügel aus das unregelmäßige Gehäufe von allerlei Bauwerken überblickte. Ich pflegte ganz allein, ja selbst ohne den in Indien fast unerläßlichen Diener zu reisen.

Ziemlich abseits der Stadt sah ich ein flaches, leuchtend weißes Gelände, das von Palmen umgeben war. Ich durfte ohne weiteres annehmen, daß dies der Bungalow sei, der die Stelle etwa eines Hotels vertritt. In ganz Indien findet man solche Gebäude von den Engländern errichtet und stets an Orten, die dem Europäer sonst keine Unterkunft bieten könnten.

Den Hügel herauf trieb ein Eingeborener seinen Ochsenkarren. Ich warf ihm vom Pferde eine kleine Münze zu, und er erteilte mir die gewünschte Auskunft. Ich folgte dem tief von Räderspuren gefurchten Wege und lenkte dann in einen ebeneren Seitenpfad ein, der nach dem Bungalow-Hotel führte. Der Pfad senkte sich und wurde zu einem Hohlweg. Ich ließ meine Stute ausgreifen, denn ich sehnte mich nach einem Trunk kühlen Sodawassers mit Whisky. Den ganzen Tag hatte ich im Sattel zugebracht, und meine durchrüttelten Glieder verdienten, unter dem sanften Wehen einer Punka auszuruhen.

Vor mir machte der Hohlweg ein scharfes Knie, so daß es fast aussah, als wäre ich in eine Sackgasse geraten. Schon wollte ich mein Pferd verhalten, da warf die Stute freudig den Kopf auf und wieherte, worauf sie sich in Trab setzte. Ich ließ sie gewähren. Gleich darauf bog ich um eine Ecke, der Bungalow lag dicht vor mir. Ein Reiter war mir voran, ein Weißer, der seinen Gaul im Schritt gehen ließ. Die Zügel lagen über dem Sattelknopf, das Tier suchte ohne Leitung ruhig seinen Weg. Ich ließ meinen Falben den Schritt mäßigen, und an der Seite des Fremden angelangt, grüßte ich. Der Mann war augenscheinlich tief in Gedanken gewesen, denn er schrak auf; eine erloschene Zigarette hing lose zwischen seinen Lippen und wippte mit der Bewegung seines Pferdes auf und ab.

Ich erkundigte mich, ob man im Bungalow noch ein Plätzchen für mich habe.

›Selbst wenn kein Platz wäre, so würde man ihn für Sie schaffen‹, erwiderte er. ›Denn ein Neuer ist uns hochwillkommen. Wir kennen gegenseitig unsere Gesichter, unsere Lebensgeschichte, unsere Liebesabenteuer – kurz, jede Einzelheit jedes einzelnen so genau, daß uns bereits die tödlichste Langweile beim Genick hat. Keiner weiß mehr was Neues zu erzählen. Sie werden uns also hoch willkommen sein!‹ betonte er abermals.

Dann erst folgten die üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin und nach der Landsmannschaft. Er wunderte sich nicht wenig, daß ich so allein, ohne Begleitung, ohne Diener das Land durchstreifte. Vor dem Bungalow langten wir an, just als die Sonne sich röter färbte und den letzten Rest ihres Weges sank.

Den Abend verbrachten wir auf der Veranda bei kühlenden Getränken und in für mich höchst angenehmer Herrengesellschaft. Sie alle waren mir dankbar, durch mich wieder einmal sozusagen mit der Kultur in Berührung zu kommen.

Ich erfuhr, daß durch die Anwesenheit eines Radschas wenigstens ein bißchen Leben und Treiben in dem weltabgelegenen Orte herrschte. Der Palast des Fürsten lag, von wundervollen Gärten umgeben, dicht bei der Stadt und sollte, nach den Berichten der Herren, selbst für einen der Wunder Indiens gewöhnten Europäer eine Sehenswürdigkeit sein.

›Der Alte spielt sich gern auf den Kulturbeleckten hinaus‹, sagte einer der Herren. ›Er war vor Aberjahren einmal In London, wo er von der Queen empfangen wurde. Sie erweisen ihm einen großen Gefallen, wenn Sie in aller Form – so wie er sie in England kennenlernte – um eine Audienz bitten lassen. Aber Sie müssen ausdrücklich dabei betonen: Sie hegten den Wunsch, sich seinem geheiligten Antlitz nahen zu dürfen. Vergessen Sie das ja nicht, denn darauf legt der Alte so großen Wert, daß Ihnen stracks seine Freundschaft sicher ist. Freilich müssen Sie die Landessprache beherrschen.‹

Nun, diese beherrschte ich. Und ich erfuhr soviel Interessantes über den Radscha, daß ich vor Neugier brannte, ihn kennenzulernen. Meine Botschaft an den hohen Herrn ward abgesandt, und ich erhielt durch eine Art Marschall eine höchst feierliche, mit morgenländischen Phrasen überaus verzierte Einladung zu Hofe.

Die Einzelheiten meines Empfanges kann ich übergehen, um zu dem eigentlichen Inhalte meines Abenteuers zu gelangen. Von einer Schar phantastisch glänzender Würdenträger des Hoflagers umgeben, im Hintergrunde eine mit überlangen Speeren bewaffnete Leibgarde hochgewachsener Inder, neben seinem goldenen Thronsessel einen Schwarzbärtigen, der mittels des aus den Schweifhaaren eines Schimmels hergestellten Fliegenwedels die Mücken verjagte – so empfing mich der Radschah in der Vorhalle seines Palastes, einem Rundbogenbau aus schneeig weißem Marmor. Schlaff und ohne eine Regung von Teilnahme lag er mehr, als er saß, mir in einem Stuhle gegenüber, der mit reichen Schnitzereien versehen, mit rosenfarbenem Samt überzogen war und wahrlich einen prachtvollen Thron abgab, namentlich durch den Schmuck faustgroßer Edelsteine. Ich sah an dem hohen Herrn nur die Augen sich bewegen – feuchte, schwarze Augen, die mich unruhig flackernd anblitzten. Sonst war das Gesicht regungslos wie eine Maske; selbst die Lippenbewegungen wurden durch einen dichten kohlenfarbenen Bart verdeckt. Seine Stimme klang wie tief aus dem Magen herauf, und nur da wurde sie ein wenig höheren Tones, als er erfuhr, ich wäre kein Engländer. Hierbei machte er auch einen schwachen Versuch sich aufzurichten, die Augenbrauen regten sich, er reckte den Hals ein wenig – aber er nahm sofort seine schläfrige Haltung wieder an und schien wie mit seinem Thronsessel verwachsen zu sein. Er erteilte mir den Befehl, bald wiederzukommen, machte eine mich entlassende Handbewegung und war danach wieder wie eine Gestalt aus einem Wachsfigurenkabinett. Vom Hofstaat mitsamt der Leibwache bis an den Ausgang der Vorhalle geleitet, zog ich mich zurück. Man sagte mir nachher im Bungalow, damit wäre mir eine große Ehre erwiesen worden – eine Ehre, die der Fürst noch nie einem Engländer gewährte.

Mein Bekannter aus dem Hohlweg forschte mich eifrig aus, ob nicht auch die Frauen des Radschas zugegen gewesen wären, ob ich gar nichts von ihnen bemerkt hätte, ob der Fürst ihrer nicht erwähnt hätte – und dergleichen; die Weiber des Hofes schienen dem jungen Manne sonderliche Neugier einzuflößen. Ich mußte ihm schließlich entgegenhalten, daß er doch mit den Sitten des Landes so vertraut sein sollte, um zu wissen, daß ein Inder nie seines Harems erwähne, geschweige denn seine Frauen zeige.

›Ich möchte den Weißen sehen, der je einer Favoritin Aug‹ in Auge gegenüberstand‹, schloß ich meine Belehrungen.

Da beugte sich der junge Mann weit zu mir herüber und flüsterte: ›So sehen Sie mich nur an.‹ Ein heiteres, glückliches Lächeln verschönte sein ohnehin hübsches Gesicht.

Als ich mich später zur Ruhe begeben wollte, folgte er mir in meinen Schlafraum. Die halbe Nacht saß er vor meinem Lager und enthüllte mir erstaunliche Dinge: – er kannte und liebte eine der Frauen des Radschas, ein sechzehnjähriges Dingelchen, über dem die Gnade des Gebieters noch nicht geleuchtet hatte.

Ich hätte eher an Märchen als an das mir Erzählte glauben mögen.

Er hatte heimliche Zusammenkünfte mit der Geliebten – er hatte sie – – nun, wie soll ich mich ausdrücken – – kurz, die Palmen in einem verstohlenen Winkel der fürstlichen Gärten, vielleicht auch der Mond, waren und blieben noch immer die Zeugen seines unbeschreiblichen Glücks. Wie er dazu gekommen, wie er das Unglaubliche vollbrachte – er verschwieg es mir.

›Aber Mensch,‹ sagte ich, nachdem er geendet, ›wissen Sie denn nicht, daß Sie das Leben aufs Spiel setzen? Wissen Sie nicht, daß der Radscha Sie vergiften oder erdrosseln läßt, falls er hinter Ihre Schliche kommt? Meinen Sie, er fragt danach, daß Sie ein Untertan der britischen Majestät, seiner Herrin. sind?‹

›Ach was – wenn man zwanzig Jahre ist!‹ antwortete er lachend. ›Eines schönen Tages entführe ich sie und verschwinde von der Bildfläche. Mann, Mensch, hätten Sie eine Ahnung von der Unsäglichkeit meines Glückes, Sie würden mir nicht Moral predigen. Wir leben wie Adam und Eva im Paradiese, und die Schlange ist auch vorhanden in Gestalt einer alten Knusperhexe – aber einer höchst diskreten, uns nie störenden. Magnolienbüsche sind uns das Dach, und unser Lager sind köstliche Blüten. Der Glockenvogel hat unsere Hochzeit eingeläutet, und der schweigende Mond hat uns getraut. Feengewänder tragen wir, denn wir haben nichts als unsere nackte Haut. Und die Sterne sind die Lampen über unserm Brautbette. Ach, ein Glück, so schön, wie ich es nie zu träumen wagte …‹

Er ließ mich allein, und meine Seele folgte ihm, denn er ging zur bestimmten Stunde zum Stelldichein. Nun ja, man ist schließlich auch nur Mensch mit menschlichem Verlangen.

Tage waren vergangen, ich hatte ein paarmal den Radscha aufgesucht, der sich offensichtlich gern mit mir unterhielt, ganz aus seiner Schläfrigkeit des ersten Empfanges aufgewacht war. Er schien den Briten nicht eben hold zu sein und fragte mich, ob auch meine Königin über fremde Länder ihre Soldaten schicke, um den Fürsten Thron und Macht zu stehlen. Ich mußte ihm von dem Maharadscha, dem Kaiser meiner Heimat erzählen – von unseren Schiffen und Soldaten – von deutschen Städten, deutschen Menschen.

›Du bist ein Sahib, wie noch keiner bei mir war‹, sagte er einmal. ›Wenn du wiederkommst, will ich dir ein paar Sklavinnen schenken – so schön, wie sie das Auge eines Fremden noch niemals sah. Du sollst mit ihren Künsten zufrieden sein. Ich habe die weißen Frauen gesehen – auch geprüft habe ich sie. Was wissen sie von der Liebe – nichts, gar nichts. Doch, du wirst ja sehen, wenn meine Mädchen mit dir spielen. Und vielleicht erlaube ich dir sogar, in meinem Hause zu wohnen.‹

Allzu begeistert war ich von dieser Aussicht just nicht. Aber ich durfte mich rühmen, ein Bevorzugter des Gebieters zu sein, wenn ich auch nicht wußte, was ich später mit den mir verheißenen Sklavinnen beginnen sollte.

Diesmal brachte mich eine Eskorte von zehn Reitern bis an den Bungalow und sprengte dann in wütendem Galopp nach dem Palast zurück. Das alles sollte mich ehren. Die Hufe der Pferde wirbelten den gelben Staub auf, in dem die Leibwächter verschwanden. –

Ich lag im Dunkeln auf meinem Lager und konnte nicht einschlafen. Das eintönige Flippen der Punkah hatte längst aufgehört – der sie bedienende Kuli war wohl selig eingeschlummert. Beneidenswerter Kerl. Die Punkah ist ein unter der Decke und über dem Bette angebrachter Fächer – ein mit Linnen überspannter Rahmen, der von außerhalb des Zimmers in Bewegung gehalten wird und kühlenden Luftzug erzeugt.

Ja, die Sklavinnen beschäftigten meine Gedanken doch mehr, als ich zunächst angenommen. Unmöglich konnte ich mit einem solchen Harem nach Bangkok zurückkehren. Und was sollte ich vollends beginnen, wenn zufällig die Geliebte des Engländers dabei war? Sie ihm schenken durfte ich auf keinen Fall. Dies wäre eine Beleidigung des Radschas, die der indische Despot gewiß nur mit Blut gesühnt sehen wollte. Romanhafte Bilder wirbelten durch mein siedheißes Hirn, als es leis an meine Tür pochte.

›Sind Sie noch wach, Master?‹

›Ja – nur herein …‹

Der Engländer schlich in mein Gemach.

›Ich begebe mich jetzt – na, Sie wissen ja, wohin. Aber ich kann mich heute einer gewissen Unruhe nicht erwehren, darum komme ich zu Ihnen.‹

›Die innere Stimme warnt‹, erwiderte ich.

›So bleiben Sie doch im Hause.‹

›Nein, grad heute kann ich nicht – ich habe es ihr so heilig versprochen. Und unsere Schlange, die alte Knusperhexe, wird auch immer frecher jetzt. Entginge ihr heute der Kupplerlohn, ich glaube, das hätte ich zu büßen. Als ich ihr das letztemal nicht das übliche Pfund geben konnte, erging sie sich wahr und wahrhaftig in Drohungen.‹

›Lächerlich‹, tröstete ich ihn. ›Die wird sich hüten, etwas zu verraten, denn sie setzt dabei ihren eigenen Kopf zum Pfande. Oder glauben Sie, der Radscha ließe ihren Betrug ungerochen?‹

›Sie haben recht‹, gab er nach kurzem Bedenken zu. ›Dennoch muß ich heute zu den Magnolienbüschen. Ich kann nicht anders, denn meine Seele besteht auf ihrem Rechte. Niemand weiß ja um mein Abenteuer außer Ihnen. Auch Ihre Warnungen ließ ich nicht außer acht – ich trank fast keinen Schluck Wasser mehr ohne Furcht, da ich die Bestechlichkeit der Eingeborenen kenne. Und heute nun noch das Bangen in mir! Also – wenn mir Menschliches zustoßen sollte, so wissen Sie, daß ich einzig im Palaste zu finden bin … lebendig – – oder tot.‹

Er drückte mir die Hand und glitt davon, bevor ich ihn noch hindern konnte. Ich dachte an Vorahnungen, die der Mensch unbestreitbar hat – noch dazu in den Tropen, wo Sinne und Blut und Nerven viel empfindlicher werden. Aber dem Grübeln schlief ich ein.

Die Sonne stand bereits hoch, als ich durch Pferdegetrappel geweckt wurde. Der indische Diener des Bungalow kam herein, kreuzte die Arme über der Brust und verneigte sich bis zur Erde.

›Möge dein Schlummer sanft gewesen sein, wie das Flüstern der Gräser, das Duften der Blumen und der Sang der Vögel. Sahib‹, so grüßte er mich. ›Aber nun komme rasch heraus. Herr.‹

Ich schlüpfte schnell in die Kleider und trat auf die Veranda. Draußen hielt fast die ganze Leibwache des Radschas. Vor der prachtstrotzenden Front der Reiter sah ich den mir wohlbekannten Kommandanten der Truppe, einen riesenhaften Inder. Auch die drei anderen Engländer aus dem Bungalow gewahrte ich bereits zu Pferde – – aber mein Verliebter fehlte …!

›Seine Hoheit läßt dem deutschen Sahib ein morgendliches Sallam entbieten mit dem Befehle, augenblicklich zu ihm zu kommen‹, sagte der Offizier in ausgezeichnetem Englisch.

Also ein Befehl … es gab kein Zögern. Die Engländer steckten die Köpfe zusammen und rieten, was das bedeuten solle. Ich schwieg – ich sah meinen jungen Freund nicht und – – wußte alles. Sollte ich seine Landsleute aufklären? Ich dachte, ich könnte mich auch täuschen und würde dann das Geheimnis des Unvorsichtigen erst recht verraten. Vielleicht handelte es sich auch nur um eine Verabredung zur Jagd, die der Fürst nach seiner despotischen Art mit uns im Palast besprechen wollte.

Man führte mir meinen bereits gesattelten Falben vor. Kaum saß auch ich zu Pferde, umzingelten uns die Reiter. Der Offizier mit der riesigen Demantagraffe am Turban nahm die Spitze des Zuges, und wir flogen in Karriere dem Palast entgegen. Nun allerdings wußte ich mehr als genug. Ich kannte den Brauch der Leibwache, die mich stets voran reiten ließ, den Anführer eine Pferdelänge hinter mir, die Reiter in ehrfurchtsvoller Entfernung noch weiter zurück.

Wir erreichten das Gebäude an einer Seite, die ich noch nicht gesehen hatte. Ein mächtiges Flügeltor tat sich auseinander – wir sprengten hindurch – mit dumpfem Knallen schloß sich hinter uns die Pforte.

›Sitzen Sie ab, meine Herren‹, befahl der Offizier barsch.

Wir glitten aus den Sätteln. Die ernsten Krieger umgaben uns sofort, ebenfalls zu Fuße, um uns vor das Antlitz ihres Herrn zu führen.

Bald befanden wir uns einer offenen Terrasse gegenüber, die auf einen freien Platz im Garten mündete.

Mitten vor der Treppe thronte der Radscha auf einem überladen geschmückten Sessel unter einem golddurchwirkten Baldachin. Finster vor sich hinbrütend, saß er wie eine glänzend gekleidete Puppe da. Rechts und links von ihm standen die Großen seines Reiches, förmlich bepackt mit Schmuck – ein Gleißen und Funkeln in der Morgensonne, wie in einem Ausstattungsstück. Weiterhin kauerten auf der Terrasse, auf seidenen Kissen sitzend – – die Frauen des Harems, verhüllten Gesichtes, in phantastische Schleiergewänder gewickelt, die mehr preisgaben, als sie verbargen. Ja, die Frauen in Gegenwart der Männer! … das war für mich zunächst das Erstaunlichste. Die Leibwachen nahmen ihre Riesenspeere aufrecht und stellten sich wie eine Menschenmauer hinter das ganze. Die Geschichte war farbenbunt, zauberhaft schön, überwältigend wie die Apetheose in einem Märchendrama, wie eine Szene aus Tausendundeine Nacht. Mir wirbelte der Kopf. Der Radscha grüßte ernst und mit wirklich königlicher Gebärde. Eine tiefe Pause, während der uns die Sonne auf die entblößten Köpfe brannte.

Was nun geschah, überraschte mich nicht mehr – ich hatte recht behalten, soweit es den unvorsichtigen Engländer anging, und war auf Schlimmes vorbereitet.

Zwei muskelstrotzende Kerle, nackt bis auf einen schmalen Lendenschurz, schleppten einen wimmernden Klumpen heran. Ich bemerkte weiße Glieder und wußte, wer das war.

Zwei andere Henkersknechte führten einen Mann herbei. Die Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt, die Fesseln aber waren am Kopfzeug eines starkknochigen Ponys befestigt. Es war wahrhaftig nicht leicht, in dem Gefangenen den jungen Engländer zu erkennen. Die wirren Haare, blutbeschmutzt, hingen ihm in die Stirn, seine Kleider waren zerfetzt, Blut auch troff von seinen nackten Beinen.

Keiner von uns Weißen äußerte einen Laut.

Nun erhob sich der Radscha, und seine Stimme scholl wie das Grollen fernen Donners. So hatte ich diese Stimme nie gehört.

›Wenn in eurem Abendlande, in den schmutzigen Städten eurer Heimat ein Schurke das Weib eines fremden Mannes stiehlt – was sagen dann eure Gesetze?‹ hob er an. ›Der Sahib aus dem guten Lande seines weisen Maharadscha mag für euch Engländer sprechen.‹

Ich verneigte mich – was anderes als die Wahrheit durfte ich sprechen …?

›Die Gesetze meiner Heimat fordern die Freiheit und die Bestrafung – das heißt, nur dann, wenn der geschädigte Gatte es so will. Ich denke, in den Landen der weißen Königin auf den britischen Inseln wird es nicht anders sein.‹

Die Engländer sahen mich wütend an, der bleiche Mann vor dem Pony warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu.

›Eure Gesetze fordern also nicht den Tod?‹ forschte der Fürst mit durchbohrenden Augen.

›Nein, nimmermehr, denn wir sind nicht Barbaren‹, sagte ich kühn.

›Gut denn, du sprichst von den Gesetzen des Abendlandes‹, erwiderte er, Blitze aus seinen blutunterlaufenen Augen schießend. ›Aber nun muß ich dich fragen: wo befindet ihr euch hier? Sind wir im Abendlande, oder befinden wir uns auf dem Boden meiner mächtigen Vorfahren?‹

›Wir sind in einem Lande, in welchem ebenfalls die weiße Königin Britanniens gebietet‹, antwortete ich zweideutig und doch eindeutig genug.

Er stutzte, besann sich einen Augenblick. Meine Antwort war ihm höchlichst unwillkommen. Plötzlich rief er zornig und mit weithin hallender Stimme: ›Die Gesetze meiner Vorfahren fordern das Leben des Ehebrechers! Ihr seid Undankbare – alle – alle. Sehet hin, wie ich die bestrafe, die die Ehre meines Harems mit dem Schmutz eines abendländischen Hundes befleckte. Glaubt ihr, es gäbe bei uns keine Moral?«

Für das letzte Wort gebrauchte er einen Ausdruck in seiner Sprache, den ich jedoch nicht gut anders übersetzen kann.

Er winkte nach den beiden Henkern hinüber. Sie rissen das jammernde, halb ohnmächtige Geschöpf auf. Der eine riß ihr den Schleier vom Gesicht – eine der schwersten Schändungen für eine indische Frau – dann stieß er ihr ein langes Messer in den Hals. Der zweite schlang einen Strick um die Röchelnde und schleifte sie vor des Radschas Thron, einen langen blutigen Streifen auf dem Sande ziehend.

Die Weiber auf der Terrasse brachen in ein lautes Gewimmer aus und rangen die weißen Hände. Dann war es totenstill um uns her.

»Halt ein, o Radscha!« rief ich. »Lasse die Güte auf deinem geheiligten Antlitz leuchten. Du hast dich gerächt. Der Engländer mag an die Schrecken zurückdenken, die er hier sah – er wird seine Schritte über die Grenze deines Reiches leiten …«

Der Fürst erhob sich von seinem Throne.

»Das Leben dieses abendländischen Hundes gehört dem Gesetze meiner Ehre!« donnerte er mich an. Er winkte den Leibwachen, und ich erwartete, daß sie uns nun auch gefangennähmen. Doch nur ein Mann trat aus ihren Reihen. Er reichte seinem Herrn den Speer. Der Radscha wog die Waffe in der rechten Hand. Ich sah die Spitze der Lanze gleich einem Fünkchen in der Sonne aufblitzen … dann schwankte der lange Schaft in der Brust des Gefesselten dort drüben. Der daneben stehende Inder riß augenblicklich die Lanze heraus und versetzte dem Pferde einen kräftigen Schlag mit der Waffe. Der Pony bäumte auf – zerrte zurück – stolpernd über den blutenden Körper, vor Angst schnaubend, vor dem Blutgeruche sich entsetzend, stieg er mit den Vorderhufen auf und riß dann stöhnend den Unseligen über den Platz fort in die Büsche.

Kein Laut, keine Bewegung war um uns Weiße her. Ich gestehe, daß mir ohnmächtig zumute war …

Ohne ein Wort gewechselt zu haben, erreichten wir den Bungalow. Der Schädel war mir wie zerhämmert, und ich fragte mich immer wieder, ob ich nur geträumt, eine überspannte Geschichte gelesen oder Wirklichkeit gesehen hatte. –

Ich konnte nicht mehr erfahren, ob sich die englische Regierung des Falles annahm. Ich verließ den mir unheimlich gewordenen Ort, ohne mich von dem Radscha zu verabschieden – teils auch in der Furcht, er mochte mir, dem er – wie ich vernahm – sein Wohlwollen bewahrt, am Ende doch noch die Sklavinnen zum Geschenke machen. Von Bangkok riefen mich Geschäfte nach Surabaya auf Java. Dann führte mich das Heimweh von Batavia nach Deutschland.

Und nun bin ich zu Ende mit meiner Geschichte. Sie sehen, mein lieber Herr Doktor: man tut auch im Lande der tausend Wunder gut, das neunte Gebot nicht zu übertreten. Und ich halte dafür, daß man auch in unserem weniger romantischen Deutschland nicht seines Nächsten Weib begehren soll.« – – –

Dumpfe Schwüle lag lastend im Zimmer, in der das Ticken der Kaminuhr doppelt laut ertönte. Ich wußte, daß ich der heißblütigen Frau im Sessel mir gegenüber eine Beleidigung zuteil werden ließ, die ein Weib nie vergißt – nimmer vergibt. Doch der Doktor drückte mir so herzlich und warm die Hand …


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