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»In meinem Land ist jeder Mann aus alter Zeit ein großer Stein« – Der Ausspruch eines schwarzhäutigen Schiffsjungen, den der 19jährige Frobenius in Hamburg kennenlernte, und der ihn nie losließ. Auf seiner zweiten Expedition hinauf in den Sudan sprach er in Timbuktu mit Yoruba-Sklaven, alten Leuten, die bereitwillig von den Steinmenschen ihrer Heimat erzählten. Aber erst auf der vierten großen Reise, die Frobenius 1910/12 quer durch Nigeria und das Grasland von Kamerun bis Adamaua unternahm, beginnt er mit eigenen Grabungen. In Ife (Nigeria) fördert er Urnen, Schmuckstücke und vor allem Terrakottaköpfe zutage, die Yoruba erkennen sie als »die zu Steingewordenen und in die Tiefe gesunkenen Götter« wieder. Ein Fund fesselt ihn besonders, der Kopf des Meeresgottes Ori Olokun in Gelbguß, mit hohem Diadem (1. Jahrtausend v. Chr.).
Mit ihm hat Frobenius den Schlüssel zu den anthropomorphen Gottheiten in Händen, und »wenn ihn seine Spekulationen auch zu kühnen Phantasien verführten, er hat die Mythen- und Sagenwelt der Yoruba als logisches System begriffen« (Janheinz Jahn). Frobenius selbst schreibt darüber in der »Atlantischen Götterlehre« (1926): »An der Spitze des westafrikanischen atlantischen Götterkreises steht Olokun, der Gott des Meeres, Poseidon. Der Götterkreis ist gebildet nach der Zahl der Sechzehn, die überall wiederkehrt, in der Zahl der Orakelwürfel, der Zahl der Flammen, der Opferlampe, der Zahl der Kräfte und Teile, in der hierarchischen Ordnung der Priester. Das Symbol aller Ordnung ist ein Steinbeil, aufragend aus einem Blitzbündel von sechzehn Stäben. Wesenheit einer alles schreckhaft beherrschenden und niederhaltenden düsteren Religion ist Edschu, der Gott mit den Schlangenhaaren, der Gott, der über dem Weltkreis der vier Wassertiere sich erhebt.«
Der Grundgedanke dieses Religionssystems liegt in der Vorstellung, daß jeder Mensch von einer Gottheit (Orischa) abstammt. Die Sterbenden kehren zum Orischa zurück, und jedes Neugeborene stellt die Wiedergeburt eines verstorbenen Mitglieds dergleichen Familie dar. Das Volk der Yoruba zeigt sich gegliedert in viele Klane, an deren Spitze jeweils ein Gott steht. Es kann der Gott des Gewitters sein oder der Schmiede oder eines Flusses oder sonst einer Kraft oder Wirkung. Einige Tiere sind dieser Gottheit widerwärtig; deswegen müssen sie von »der Familie« vermieden werden, was zu den Ewuo (Speiseverboten) führt. Jedem Orischa sind besondere Kräfte zu eigen, insofern wird er nicht nur von »seinen Kindern« verehrt, sondern auch von denen, die gerade seiner Hilfe bedürfen. Kein Yoruba wird aus dem Klanverband austreten können, um etwa die Vaterschaft eines anderen Orischa zu gewinnen; selbst als Christ oder Muslim bleibt er ihm verhaftet.
Einige der Götter hängen miteinander zusammen, so das Weltelternpaar, das aus Obatalla dem Himmelsgott und Odudua der Erdgöttin besteht. Die Gottheit der schwarzen Erde wird im Landesinneren aber als Mann angesehen, und Obatalla lebt unter dem Namen Oschalla weiter, dargestellt durch zwei weißbemalte aufeinanderliegende Kalebassen: die untere repräsentiert die Erde, die darüberliegende den Himmel.
Von Schango dem Donnergott soll der erste König des Landes abstammen. Es ist der Gott auf dem Widder, er brennt die Gehöfte und Städte nieder, erschlägt die Menschen, läßt die Fluten steigen. Er hat eine gewaltige Medizin eingenommen, deswegen sprüht sein Mund Feuer. Seine Gattin Oja, der Nigerstrom, soll einst von dieser Medizin genommen haben, deshalb ist auch ihr Mund erleuchtet. Schankpanna ist der grauenvolle Gott der Pocken; die Leute in Ibadan führen seine Abstammung ebenso wie die des Donnergotts Schango auf das Volk der Takba (Nupe) zurück.
Ogun, der Gott der Schmiede und darüber hinaus jedes kunstfertigen Handwerks – und der des Krieges – wird im ganzen Yorubaland verehrt. So auch Oko, der Gott des Feldbaues, dessen Name die Hacke wie deren Form bezeichnet.
Interessanterweise hat jede Stadt (und das Volk ist durch Stadtkultur geprägt, Ibadan war die erste schwarze Großstadt des Kontinents) einen Schutzherrn, eine besondere Stadtgottheit.
Einzigartig ist das Stadtstaatensystem. In Oyo, bereits um 1300 gegründet, residierte bis 1830 der weltliche Herrscher, der Alafin. Ife dagegen war heilige Stadt und Sitz des Oni, des religiösen Oberhauptes. Die einzelnen Städte glichen freilich mehr Republiken, dank der Einrichtung des Ogboni, eines Senats der angesehensten Männer. Aus seiner Mitte kam der Bale, das gewählte Stadtoberhaupt, dessen Amtsdauer streng bemessen war. Die ganze Macht des Ogboni zeigte sich im Mummule, im Orakelnehmen.
Die Volkserzählungen der Yoruba zeigen, wie selbstverständlich Menschen und Götter miteinander umgehen. Ahun, die Schildkröte, der Fabelheld der Yoruba, gehört ebenso selbstverständlich zum Alltag; er ist ein Bote zwischen den Menschen, tritt sogar in Gemeinschaft mit den Göttern.