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12. Brief aus dem Ostsudan.

An meinen Freund und Mitarbeiter Dr. M. Groll. – Die in dem Briefe erwähnten Sagen von Kasch (das Kusch des alten Testamentes) sind inzwischen veröffentlicht worden. Siehe Atlantisausgabe der von mir gesammelten Volksdichtungen. Bd. IV »Märchen aus Kordofan«. Eugen Diederichs, Jena 1923. S. 7 ff.

Karte

Abb. 5. Kartenskizze zur fünften Reise

(Fünfte Reise.)
Die fünfte Reise (1912) ging aus vom Roten Meer, kreuzte bei Khartum den Nil und begann ihre Unternehmungen mit der Untersuchung des alten Kulturweges, der nach den heute verlorenen Kupferminen des Sudan führte. Die Bedeutung der Metallgewinnung des Altertums und der Großartigkeit damaliger Verhältnisse wurde eingehender untersucht, aber mit Absicht bis jetzt nicht veröffentlicht. Förderer dieser Expedition waren Ausländer, die in vornehmer Weise darauf verzichteten, mit den praktischen und kulturgeschichtlichen Resultaten des Unternehmens bekanntgemacht zu werden. Entdeckt wurden außerdem alte Märchen und Sagen, die der prähistorischen Zeit vor der Negerherrschaft angehören und sich als ein erythräischer Niederschlag des Sagenkreises von Tausend und eine Nacht herausstellten. Anmerkg. d. Institutes.

(1912.)

Von Westafrika nach Kleinafrika. – Das Land und die Kultur Kasch (Kusch).

 

El Obeid, 5. März 1912. Also angelangt in Kordofan und – alles ist vorschriftsmäßig verlaufen. Die Sache ist eben so einfach wie schnell vonstatten gegangen. Auf den Kanarischen Inseln verließ ich den englischen Dampfer und fuhr mit einem französischen Amerikafahrzeug nach Genua. Drei Tage brauchte ich, um in Tirol mein Mädelchen zu besuchen, um meine Frau und meinen Bruder einzuheimsen und gleich wieder nach Afrika, diesmal nach Osten abzufahren.

Suez, –

Port Sudan, –

Khartum, –

El Obeid. –

Ja, da sind wir und – schwimmen einmal wieder im Glück! »Wilde« Nuba im Süden, hammitische »Araber« rund herum und im Westen königliche Foraner. – Hier aber ein Fest zu Ehren Kitcheners! Nun und da kommen sie alle zusammen und – unsereins scheffelt.

Scheffelt!

Und wie!

Sie wissen doch, daß und wie unser alter, herrlicher Richthofen mich wegsandte und sagte: »Gehen Sie, wandern Sie immer, ich weiß, Sie werden Erfolg und Glück haben!« Aber so wie hier hätte ich das doch nicht, nie und nimmer gedacht. – Denn: nach einer genügend langen Fahrt durch Altatlantis (NB. die Terrakottenfunde werden mir einige Kollegen nie vergeben!) und Zentralsudan drängt es mich in den Osten, zum Nil, nach Kordofan, nach dem Zentrum El Obeid, um da meine Pilger aus Adamaua zu erwarten, – und wie fern bin ich dem Gedanken an Kitchener, Sir Dar Reginald Wingate und Slatin Pascha! Wie fern! Und wie konnte ich denken, daß der große Foraner zu diesem Feste Boten und Gruß und sonstiges nach El Obeid schickt!

Sonstiges!

D. h. z. B. einen sehr alten Kamelversorger mit Namen Arach-ben-Hassul, einen Mann, der im Herzen die herrlichste Sage der Vergangenheit trägt. Die Sage von Kasch oder Napata. – Nicht wahr, da spitzen auch Sie, lieber Freund die Ohren! – Es ist zu toll! Auf einem Präsentierbrett, in nicht mehr als einer halben Stunde die ganze Weisheit, Jahrtausende umfassende Weisheit serviert! – Sie, mit dem ich alle diese Dinge so manches Mal besprach, wissen natürlich sogleich, was es für mich bedeutet, wenn dieser alte Mythenträger weiß, wie ein König ganz im Osten nach N. O. Afrika einen Sendboten an den Hof von Napata sendet, der herrliche Märchen erzählt und dann die Staatsform umbildet. Der König aus dem fernen Osten, jenseits des Meeres! – Das kann nur irgendwo am indischen Meer sein. Sollte man das indische Meer in Zukunft vielleicht besser das Kaschitische nennen?

Sehen Sie, lieber Freund, das ist der zweite große Fund im Laufe von zwei Jahren, der mich hinauszwingt aus dem, was Ihr so schön »Afrikanologie« nennt. – Man kann seinen Spezialraum als Ethnologe sehr schön im Kopf haben und kennen. Das »Wissen« von ihm wird man aber erst erreichen, wenn man ihn von außen und in seinem Werden als Teil des Ganzen ergriffen hat.

Danach können Sie ermessen, wie notwendig es ist, daß ich die Dinge so lange für unerledigt erachte, als nicht der Forschungsdrang aus dem Innern heraus bis in große Räume und Zeiten geführt hat, aus deren Gesamtheit heraus im Rückblick alles Einzelne erst lebenswahr erfaßt werden kann.

Einiges ist getan.

Das Wesentliche aber liegt noch vor mir!

Diese Zeilen nur zu Ihrer persönlichen Freude. Es geht niemand sonst etwas an.


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