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Erschien als Originalbeitrag zu den »Geographischen Charakterbildern« von A. W. Grube, 20. Auflage.
(1907.)
Die Gliederung. – Im Sohlenlande. – Im Terrassenlande. – Im Schwammlande.
Das Stromgebiet des Kassai, des südlichen größten Nebenstromes des Kongo, ist altes deutsches Forschungsgebiet. Gegen zwanzig deutsche Forscher haben in den Jahren von 1875 bis 1886 seine Gefilde aufgesucht. Sie waren die ersten Europäer unserer Zeit, die dorthin kamen, und sie hatten bis heute kaum ausländische Nachfolger. Seitdem Wißmann im Jahre 1887 den Kassai verlassen hat, war in seinem Gebiet noch Le Marinel, der belgische Schüler Wißmanns, eine Zeitlang wissenschaftlich tätig. Ungefähr zwanzig Jahre, bis 1905, setzte die wissenschaftliche Arbeit aus. Und dann war es mir vergönnt, die Deutsche Inner-Afrikanische Forschungs-Expedition in jene Länder zu führen, und wir haben uns bemüht, wenigstens die größeren Lücken der älteren deutschen Forschung auf diesem Gebiet auszufüllen. Zuerst bereisten wir den Kuango-Kuilu. Dann ließen wir uns zum Zweck von Beobachtungen am mittleren Kassai nieder, gingen zum oberen Kassai, erforschten die unbekannten Strecken bis zum Tschikapa und bis Kikassa an den Poggefällen des Kassai, marschierten zurück nach Norden, die Ländereien um Kalambas alte Wohnsitze herum durchpilgernd, gingen nach Südosten über den siebenten Breitengrad hinweg und wandten uns dann in einem mächtigen nach Westen offenen Bogen dem Sankuru zu, den wir hinabfuhren und in einzelnen Punkten des näheren untersuchten.
Das Land, das wir so in mancherlei Kreuz- und Querzügen durchpilgerten, repräsentiert im großen und ganzen eine nach Norden zu sich senkende Fläche, welche von einer Unzahl größerer und kleinerer Flüsse durchzogen ist, die sich sämtlich mit dem Kassai vereinigen und somit dem Kongogebiet zugehören. So hatten wir denn reichlich Gelegenheit, die Gestaltung des Kongobeckens und den Wandel seiner Landschaften kennen zu lernen. Wie es geworden ist, dies mächtige Becken, und seine heutige Eigenart, das möchte ich hier kurz skizzieren:
Etwa zwischen dem elften und dem dreizehnten Grad südlicher Breite liegt ein Plateau, von welchem nach Süden zu die Gewässer des Sambesi abfließen und welches nach Norden zu die Quellströme des Kassai und Kongo entsendet. Es sind schwammige Hochsteppen, die etwa 1500 Meter hoch gelegen sind. In der Regenzeit bedecken mächtige Seen dieses Gelände. Das ist der Typus, den wir uns als älteren, gewissermaßen als ursprünglichen, für das westliche Zentralafrika vorzustellen haben. Es ist die Stufe des hohen Schwammlandes.
Die von hier abfließenden Quellen und Flüsse haben zunächst keine ausgesprochene Richtung. Sobald sie aber weiterhin eine solche gewonnen haben – in unserem Falle die nach Norden abfließenden Kassaizuflüsse –, halten sie sie auch unbedingt fest. Sie waschen nun das Land mehr und mehr ab. Sie entziehen dem Schwammlande zur Rechten und zur Linken die Feuchtigkeit und schwellen auf solche Weise sehr bald stark an. Sie durchbrechen die Gebirge und stürzen über die Felskanten in mächtigen Wasserfällen herunter. Und so sehen wir zwischen dem fünften und siebenten Breitenkreis mit zwei Ausnahmen alle Ströme mehr oder weniger mächtige Wasserfälle bilden. Während sie herunterrinnen, waschen sie die lehmigen Massen, aus denen dieses alte Plateau bestand, aus und führen den Sand mit hinab. Die Eisenbestandteile aber färben die Gewässer braun. Das ist das zweite Gebiet, die Region des Terrassenlandes.
In der Höhe von ungefähr 500 Meter ändert sich der Typus: Wir sind im eigentlichen Becken angelangt, dessen Höhe sich etwa auf 300 bis 500 Meter hält. An den großen Strömen sind hier Dünen aufgeworfen. Hinter den Dünen liegt morastiges Sumpfland. Auch in den Tiefen der Strom- und der Flußbetten ziehen sich weite Sumpfgelände hin, die in Zeiten des Regens überschwemmt sind und in Zeiten der Dürre mehr oder weniger schlüpfrige, humusfarbene Oberfläche zeigen, soweit sie nicht mit üppigem »Busch« bedeckt sind. Die Strecke, die die Ströme vom hohen Schwammlande bis zur Sohle des Beckens zurücklegen, also von etwa 1500 Meter bis etwa 500 Meter herab, entspricht ungefähr derjenigen, welche der Kassai auf der Sohle selbst hinwandert, und hier ist der Höhenunterschied nur 200 Meter. Daraus ist zu ersehen, daß die Wucht und die Stromgeschwindigkeit stark nachlassen müssen, der auf den Höhen im Terrassenlande herausgewaschene Sand fällt infolgedessen zu Boden. Die Stromläufe sind einer ständigen Versandung ausgesetzt. Unzählige Sandbänke tauchen in der Trockenzeit aus dem Kassai empor, der sich zwischen ihnen immer neue Kanäle sucht und in Bogenläufen die Randdünen wieder abbricht und so immer breiter wird. Der Kassai hat an einer Stelle ungefähr fünfzehn Kilometer Breite, und der Kongo, dessen Verhältnisse vielleicht weniger klar, aber großartiger sind, mißt an seinem nördlichsten Bogenpunkte zweiunddreißig Kilometer in der Breite. Während das Niederschlagen des Sandes, das Auftürmen der Sandinseln und Dünen ein charakteristisches Zeichen der Stromläufe ist, bezeichnet die Sumpfregion des Hinterlandes den Sohlentypus zum andern. Infolge des schwachen Bodengefälles und der Dünenbildung der Stromläufe wässert das Land schwer ab. Es entstehen Schwemmsümpfe, die zumal während der Regenperiode oft kilometerweit das Land überziehen. Das ist der Typus des Sohlenlandes.
Im folgenden sollen diese drei Regionen skizziert werden.
Eine alte Vorstellung des innerafrikanischen Sohlenlandes als eines »großen Waldes« habe ich nicht bestätigt gefunden. Man meinte, jener Waldtypus, den Stanley am oberen Aruwimi fand, bedecke das ganze Kongobecken, und man neigte dazu, von einer großen Tiefebene zu reden, welche mit solchem undurchdringlichen Waldpelze bewachsen sei. Wir haben es weder mit einer großen Ebene zu tun, noch mit einem Walde, der aus der Tiefe emporragt. Wohl das ganze Kongobecken ist mehr oder weniger wellig. Es blieben Teile des früher höheren Landes stehen, teilweise wurden neue Wellen angeschwemmt. Durch diese Wellen graben sich die Flußbetten hindurch. Sie sind nicht hoch. Die Hügel mögen oft nur fünfzehn bis dreißig Meter Höhe haben. Aber dadurch, daß das rinnende Wasser steile Böschungen hineinschneidet, scheinen sie dem Wanderer höher. Es ist ein bös' Ding, diese steilen Böschungen auf und ab zu marschieren. Feuchtdumpf ist die Luft; der Wassergehalt der Luft erschwert das Atmen.
In den Tiefen – der Sumpf mit dem Busch, die Böschungen zu den Hügelspitzen hinaufkriechend – der Wald: das ist das Charakteristische. Solche Sumpfbetten durchwandert man zuweilen stundenlang, ohne auch nur einen Baum zu sehen. Das sind immer die anstrengendsten Teile der Märsche. Der Fuß strauchelt im Sumpfe über Wurzeln, die Hand wird von rauhen Blättern wund gerieben, die Zweige reißen den Hut vom Kopfe. Das Auge findet keinen Ruhepunkt in diesem Gewirr dunkelgrüner Blätter, graugrüner Lianen und grünbrauner Luftwurzeln. Die alten Reisenden haben übertrieben, wenn sie sagen, man sähe den Himmel nicht. Aber das Licht erscheint hier nicht freudig. Durch die wässerige Atmosphäre hindurch erscheint der Himmel nicht blau. Die Expedition wälzt sich langsam und keuchend durch totes Gelände. Nur wo größere fließende Gewässer in der Nähe sind, spielen Affen in den Zweigen, kreischen Papageienzüge über den Wipfeln hin, fallen Schwärme fliegender Hunde in die Kronen der Bäume an den Böschungen ein. Das geringe Leben ist fast schweigsam. Reife Früchte fallen, erschüttert durch die Tritte der Expedition, hie und da zu Boden. An der Losung der wenigen größeren Tiere, welche diese Büsche durchziehen, sitzen Hunderte buntfarbiger, flatternder Schmetterlinge; die Schmetterlinge in Afrika sind schmutzige Tiere. Die Träger schweigen.
Ein Rinnsal, eine zerfallene Brücke darüber, – wir nähern uns also einem Dorfe. Die Brücke mag dem Eingeborenen, der nur seine Jagdwaffen trägt, genügen, unserem schwerbepackten Trosse nicht. Also herab mit den Kleidern! Unsere Soldaten ziehen das Beil aus dem Rucksack. Der Führer muß in Afrika alles als erster tun. Ich steige also hinab in die braune Flut, suche einige passende Lianen und Palmstämmchen, und während der Troß allmählich hinter uns aufrückt, errichten wir unseren kleinen Brückenbau. Wenn der fertig ist, mögen die schwarzen Führer den Uebergang überwachen, der Vortrab rückt weiter. Bald lichtet sich vor uns der Busch, das Land steigt ein wenig an, Baumriesen, die alles Unterkraut abtöten, weil ihr dichtes Kronenwerk der Tiefe keinen Sonnenstrahl gönnt, ragen zum blendenden Himmel empor. Dann lichtet sich der Wald noch weiter; wir steigen über einige der gestürzten Riesenleiber hinweg und befinden uns in einem Acker oder, besser gesagt, Garten der Waldbewohner. Hier sind die Waldrecken gefällt. Ihre Riesenarme strecken sie noch im Tode über die dunkelgrünen Maniokblätter hinweg. Die Expedition steigt und klettert mit Mühe über die gefällten Waldsäulen. Aber nun ist schon alles fröhlichen Mutes; denn wir haben den Garten erreicht, zu dem ein Dorf gehören muß und da jedes dieser Walddörfer nur eine solche Plantage hat, so ist der Weg zum Weiler bald gefunden.
Noch einmal tauchen wir in dem Walde unter. Gleichzeitig verstummt aber auch die soeben erwachte Fröhlichkeit; denn nun ist es die Frage: Wie werden wir aufgenommen werden? Diese Kinder des Waldes sind düster, sie sind schweigsam, sie leben zurückgezogen. Es sind nicht Wanderer wie die Söhne der Steppe. Sie sind das genaue Spiegelbild der sie umgebenden Natur. Diese Menschen haben gar schnell den Pfeil auf der Sehne. Die Expedition hat sie kennen gelernt und sie haben uns schon arge Not gebracht. Jetzt ist die Frage: ist das Dorf leer oder sind die Eingeborenen darin geblieben? Wenn die Eingeborenen geflohen sind, dann müssen wir uns auf ein Gefecht gefaßt machen.
Aber gottlob! bleiben sie meist. Dann hocken sie mit gleichgültiger Miene in den Winkeln der Straße. Nur der Dorfschulze kommt uns entgegen, bietet uns Gruß und als Zeichen der Unterwerfung und des Friedens ein grünes Blatt, das er zu meinen Füßen niederlegt, und eine Handvoll Erdnüsse. Das Lager wird aufgeschlagen. Mein Begleiter ergreift seine Gitarre und unter der Einwirkung der fröhlichen nordischen Musik und durch die Erkenntnis unserer Gutmütigkeit taut die düstere Stimmung auf, und die schwarzen Wildlinge sammeln sich um meinen Hocker, um mir für guten Lohn an Salz oder Perlen von ihren Sitten und Gebräuchen zu erzählen.
Die Nacht über müssen unsere Posten die Straße des Dorfes auf und ab promenieren und die Lagerfeuer anschüren, an denen sie gutem Brauche nach ihr Pfeifchen anzünden. – Durch den Wald klingt der Schrei des Leoparden, der einer der seltenen kleinen Antilopen nachjagt.
Zwischen dem Sohlenland in der Tiefe und dem Schwammland in der Höhe liegt das Terrassenland. Es ist ein echtes Uebergangsland: ein überaus welliges Gelände, welches in seinen Tälern die Eigenart der Sohle und auf seinen kleinen Hochebenen die des Schwammlandes hat. Der Wald kriecht aus den Tiefen empor. Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß der Wald nur dort größere Ausdehnung erlangt hat, wo er nicht durch Menschenhand daran verhindert wurde. Wenn die Buschmenschen des Sohlenlandes eine Lücke in die dichte Decke schneiden, um ihre Plantage darin anzulegen, so schadet solche Wunde dem Urwüchsigen nichts. Wenn der Wald aber von der Böschung aus auf die Hügelkämme und Hochebenen steigen will, so lernt er seinen Todfeind kennen, den Steppenbrand. Wenn die Regenzeit vorüber ist und das Gras auf den Höhen zu trocknen beginnt, dann machen die Menschen sich auf zur Kleinjagd. Wenn der Wind günstig steht, d. h. wenn er vom Dorfe her dem Bache zu bläst, wird das hohe Gras entzündet, das in seiner Blütezeit bei zwei bis drei Meter Höhe das Haupt des Menschen weit überragt. Es ist eine echte Niederjagd, für unsere Begriffe vielleicht etwas sehr niedrig: Mäuse, Ratten, Eidechsen, junge Vögel, Marderarten usw.; höher hinauf reicht das Ergebnis nicht. Halb verkohlt liegen die kleinen Leichen zwischen der Grasasche und werden dort von den Hunden des Dorfes aufgespürt. In Oel und mit viel Pfeffer zubereitet, dienen sie auf Wochen hinaus als leckere Zuspeise zum trockenen Hirse- und Maniokbrei. Dieser Brand vernichtet alles keimende Baumleben. Nur Akazienarten und verschiedene kümmerliche Bäumchen, die aus der Entfernung eine gewisse Aehnlichkeit mit dem italienischen Olivenbaume haben und auffallend regelmäßig über das Land hin ausgestreut sind, vertragen die heiße Folter. Deshalb vermag der Wald nicht über die Böschung hinweg auf die Hochsteppe zu gelangen; das Feuer aber findet an der feuchten Böschungskante seinen Meister in den nebeligen Wasserdämpfen, die aus der Tiefe der Bach- und Sumpfauen emporsteigen.
Solche Landschaft macht einen eigenen Eindruck. Kommt man von fern her über die Steppe, so sieht man nur leichte Konturen der Wellenkämme. Das Rinnsal ist hundertfünfzig Meter tief in das Gelände eingeschnitten. Die Wände der Böschung sind ganz schroff, und so sieht der Wanderer nicht eher etwas von der wuchernden Pracht in der Tiefe, bis er am Böschungsrande steht. Die Höhe selbst aber ist gar selten ein einheitlich grüner Grasteppich. Ueberall ragen die olivenartigen Krüppelbäumchen empor, so daß ein solcher Hügelrücken einem gespickten Hasen nicht unähnlich ist.
Der Marsch über solches Gelände erscheint dem Reisenden des Morgens unendlich viel angenehmer als die Waldpromenade. Ein kühler Nebel steigt aus den Tiefen der Strombetten empor. Man erhebt sich erfrischt vom Lager – wir hatten einmal sechs Grad des Nachts gegenüber fünfundvierzig Grad des Mittags –, die Leute sind vergnügt, weil es auf diesen Hochebenen mehr zu essen gibt als in der Tiefe des Waldes; der Blick ist nicht von vornherein begrenzt durch das ewig gleiche Buschgewirr, und so klingt das Trompetensignal gleichsam als Ausdruck der Fröhlichkeit der ganzen Expedition über die Felder hin.
Zunächst plaudert und lacht alles, bis nach einer Stunde etwa der vor mir hergehende Führer auf eine etwas dunklere Hügelkontur zeigt und die freundlichen Worte ausspricht: »Luisullu na ditu«, d. h. »ein Bach und Wald«, und die Vorstellung von diesem Bach mit Wald ist ein klein wenig störend. Nun gilt es, hundert bis hundertfünfzig Meter herunterzuklettern, sich durch ein mehr oder weniger sumpfiges Tal zu winden und die andere Böschung wieder hinaufzuklettern! Es ist vielleicht eine Luftlinie von fünfhundert Meter. Wenn man an der ersten Böschungskante angekommen ist, sieht man auf der andern Seite ganz dicht vor sich den Weg aus dem Walde wieder aufsteigen. Es sind, wie gesagt, fünfhundert Meter und man muß hierfür mindestens eine halbe Stunde Kletterei rechnen. Das erstemal trösten wir uns noch, aber auf solche Schluchten treffen wir fast nach jeder Marschstunde, wenn nicht öfter. Bis zehn Uhr morgens machen derartige kleine Abwechselungen nichts aus. Dann aber entwickelt die Sonne ihre tropische Glut, wir wechseln den Pilzhut gegen den Tropenhelm, steigen wieder zu einem Luisullu na ditu herunter und machen gegen zwölf Uhr etwa die Bemerkung, daß der Henker dies Terrassenland holen solle und der Busch trotz allen Stolperns doch seine guten Seiten habe. Gegen ein Uhr denkt kein Träger mehr an Plaudern oder gar Lachen, und die Soldaten haben die schwierige Aufgabe, den zusammenklappenden Trägern nachzuhelfen.
Gegen zwei Uhr mag uns aber auch einmal in dieser flimmernden Tropensonne eine Erquickung winken. Von einem der Wald- und Buschtäler erstreckt sich, dem Auge deutlich erkennbar, ein Aederchen dunklerer Farbe in das hellere Grün der Steppe hinein. »Ngaschigaschi!« Ananas! Holla, das ist ein Vergnügen! Wie der Wind sausen die ersten Träger an mir vorbei, und wenn es sonst wie eine Schnecke in die Tiefe heruntergeht, so geht es jetzt mit Windeseile. Denn wenn die Ananas sich aus der Tiefe schon in das Gras hinein ausbreitet, dann muß es ein schweres und reiches Feld sein. Und richtig! zwischen den Büschen breitet sich auf dem Boden eine Ananas neben der andern mit ihren stacheligen Blättern aus. Als echtes Unkraut, welches sie hier ist, hat sie alle andern Blattpflanzen verdrängt. In aller Eile sind die Leute darüber her. Die Lasten werden wild heruntergeworfen. Auf die Ritzwunden an Händen und Füßen, die die beleidigte Pflanze verursacht, achtet keiner. Der guten Sitte zufolge werden mir die ersten schönen Exemplare gebracht, und wir beschließen daher, uns und den Leuten ein improvisiertes Frühstück zu gönnen. – Die Ananas ist erst nach der Entdeckung Amerikas in Westafrika eingeführt worden. Sie ist aber weit über das Gebiet der von Europäern besuchten Gegenden hinweggewandert, und wir haben sie bis zum oberen Sankuru hin gefunden. In welchen Massen sie teilweise vorkommt, mag man aus folgendem erkennen. Kurz vor dem Eintreffen am Sankuru hatte ich etwa 350 Leute bei mir. Wir kamen sehr durstig und hungrig an einem solchen Felde an. Wir lagerten zwei Stunden, die Leute haben also gründlich geschmaust. Dann haben sie noch gehörig aufgepackt, so daß ich rechnen kann, daß wir ungefähr 1500 Ananas mitgenommen haben, und da jeder etwa drei genossen haben mag, so kommen wir auf 2500 Ananas. Als ich abmarschierte, sah ich noch überall die reifen, schönen Früchte aus dunklem Grunde emporleuchten. Das Feld war nur ganz wenig geschröpft.
Gestärkt pilgert die Kolonne von dannen. Außerdem hat der Führer verraten, daß wir binnen kurzem in Kulturgelände kommen werden. Und richtig! Bald sehen wir an Stelle des ewig gleichen dunkelgespickten Grasrückens gleichmäßige, hellere Linien die Ebene durchschneiden; die spargelbeetartigen Felder der Steppenbewohner tauchen auf. Bräunliche Kegelhütten aus Stroh, eine Rauchsäule, Hundekläffen: wir marschieren am ersten Gehöfte vorbei. Der Herr des Hauses kommt uns mit freundlichem »Mojo« entgegen. Mojo ist der Gruß, Mojo heißt Leben, Glück. Wie ganz anders als der düstere Formgruß des Waldbewohners dies freundliche Wort! Von nun an geht es durch eine Feldanlage nach der andern; und in jedem Ackergelände ein Gehöft! Jede Familie hat hier ihre Felder, während im Walde das ganze Dorf einen großen Garten gemeinsam besaß. Im Walde waren es die Frauen, die das Stecken und Pflücken und das Umgraben des Bodens besorgten, und hier ist das alles Aufgabe der Männer.
Von einer Hügelspitze lacht uns das freundlich mit Schlingpflanzen bekleidete Gehöft des Häuptlings entgegen. Gestützt auf seinen Speer und begleitet von seinen Söhnen kommt der alte Patriarch uns entgegen, er führt mich auf den Ehrensitz vor seinem Hause und läßt mir eine Schale mit Hirsebier reichen, an der er selbst erst nippt, um mir zu zeigen, daß ich wegen Vergiftung keine Sorge zu tragen brauche. Ich blicke von der Spitze des Hügels über das Land: So weit das Auge reicht – Felder und Gehöfte, und aus allen Gehöften kommen die Männer herbei, kleine Gaben zu bringen und sich einen Gast aus dem Expeditionstrosse auszusuchen.
Wie abends der Mond über den Feldern emporsteigt, erklingt die Trommel, Bauern und Expeditionsleute zum Tanze zusammenrufend. Der Sohn meines Wirtes hat sich vor mir auf die Erde gekauert und bläst in den Abendzauber der afrikanischen Steppe ein kunstvolles Stücklein auf der Flöte.
Es war an einem der letzten Dezembertage 1905, und wir zogen just den oberen Lulua herauf. Wir hatten wunderliche Dinge gehört von einem Volke, das in Pfahlbauten hause, das eine ganz andere Sprache rede wie die andern dunklen Menschen, das gar wüst und ursprünglich in all seinem Gebaren sei, und somit hatten unsere Leute große Furcht vor den ferneren Erlebnissen. Allnächtlich fingen die Posten einige der Träger ab, welche hatten fortlaufen wollen, und jeden Tag entrannen wirklich einige, so daß auch ich dem Schicksal der Expedition mit einiger Sorge entgegensah. In dieser Zeit war es etwa, daß wir eines Tages ein kleines Plateau emporstiegen und daß ich zu meinem Erstaunen in der Mitte dieses Plateaus über eine Grasdecke hinwegschritt, welche wie ein Gummiball meinem Schritte nachgab. Sie war von kurzen Halmen bedeckt, und nur wenige Blümchen wie unser Wiesenschaumkraut gaben dem Grün eine besondere Farbe. Aus der Mitte dieser eigenartigen Bildung ragten einige Oelpalmen hervor, die mir zunächst als junge Gebilde ihrer Familie erschienen. Ebenso war es mit einigen Akazien, welche am Rande der Schaukeldecke mit andern Büschen gemeinsam standen. Am Ende der Schaukeldecke wurde das Gras höher. Es war nicht mehr so filzig, und aus einigen zerrissenen Stellen, welche offenbar von einer Herde Büffel herstammten, trat ein bräunlicher Schlamm hervor, auf dessen feuchter Oberfläche eine Verwitterungsschicht lagerte, die Perlmutterglanz hatte. Es sah aus, als habe man Petroleum hier ausgegossen. Wieder ein wenig weiterhin kam ich dann an schwarzen Moorboden, aus dem ein ammoniakartiger Geruch emporstieg, und endlich an ein Rinnsal, welches an der Seite dieses eigenartigen Geländes hinfloß. Dies Gewässer war in keiner Weise in das Gelände hineinversenkt.
Später haben wir dann solche Gebiete öfter passiert. Es waren Hochmoorbildungen, und die jungen Bäumchen waren gar nicht jung, sondern es waren alte Exemplare, die nur nicht die Größe ihrer in der Tiefe und in einem gut entwässerten Gebiete stehenden Verwandten erreichten. Dies Gelände aber, wie ich es eben beschrieb, ist der Typus des Schwammlandes in der Trockenzeit. In der Regenzeit bedeckt ein stehendes Gewässer die schwankende Grasdecke. In sehr trockenen Jahren soll die schwankende Bewegung der Grasdecke aufhören, und es sollen dann wohl Steine zutage treten. Die Eingeborenen behaupten steif und fest, diese Schwammländer wären alle steinig.
Es war wirklich ein wildes, rauhes Volk, welches wir in den Tälern dieser Gebiete antrafen. Pfahlbauern im weitesten Sinne des Wortes, Leute, die ihr halbes Leben im Sumpfe zubringen, wenn sie sich auch nicht in den Hochmooren ansiedeln, sondern in den Sohlensümpfen der tiefer eingeschnittenen Flüsse, leidenschaftliche und ausgezeichnete Jäger, Menschen von einer Roheit, wie ich sie sonst in Afrika nicht gesehen habe.
Die Leute sind zur Jagd gezwungen, denn hier oben ist ein Wildreichtum, der einen an süd- und ostafrikanische Verhältnisse denken läßt. Die Elefanten durchziehen in der Nacht die Dörfer der Bauern, die sich gegen sie nicht zu wehren vermögen. Die Büffel verwüsten ihre Anpflanzungen, und es wird seltener eines der Tiere zur Strecke gebracht als der Tod eines Jägers auf solchem Pirschgange beklagt. Und was Elefanten und Büffel nicht vernichten, das zerstören die Warzenschweine. Durch solcherlei Gelände, nämlich abwechselnd Schwammland und Terrassenformation, kamen wir bis zum Sankuru. Dort harrte unser ein schwerer Plateauanstieg, und unsere armen Kerle hatten nicht allzuviel zu essen. Eines Morgens ertönte der Ruf »Nsevu!« Ein Elefant! Die Nüstern aller Träger flogen vor Erregung. Die Lasten nieder! Ich ging dann auf die Pirsche. In guter Morgenstunde fiel der erste Schuß, der den Oberteil des Rückgrates eines alten Bullen durchschlug. Wir pirschten den ganzen Tag hinter ihm her. Abends konnte ich ihn mit einem Augenschuß aus seinem Rudel von fünf Stück herausschießen; nachts verwüstete eine andere Familie von acht Tieren ein naheliegendes Dorf, und am nächsten Tage sah ich gegen Abend ein drittes Rudel zwei Kilometer entfernt. Das ist der Wildreichtum des Schwammlandes.