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Aus: »Auf dem Wege nach Atlantis. Bericht über den Verlauf der zweiten Reise-Periode der D. I. A. F. E. in den Jahren 1907 bis 1910.« – Berlin, Vita, Deutsches Verlagshaus. S. 388 bis 396.
(Dritte Reise.)
Die dritte Reise (1910) ging von Alger aus und führte in das Kabylenland, zum Aures und in die nördlichen Grenzgebiete der Sahara. Die Aufgabe war, die alte Berberkultur durch Untersuchung ihrer Reste an Bodenfunden und Grabformen wieder aufzufinden. Außerdem gelang es, die älteren Architekturtypen festzustellen. Anmerkung des Institutes.
(1910.)
Oasenarchitektur und Kastenwesen. – Fürsten der Berge. – Alt-Rom bis heute und zum Niger.
Von den drei Siedlungs- und Lebensformen, die ich im Verlaufe dieser Reise kennen lernte, fordert zunächst der Oasentypus sein Recht. Ein deutscher Ingenieur, Herr Bernhard, schloß sich uns an, und wir beschafften uns ein eigenes Gefährt. Der Wagen rollte und schleifte nach Südwesten hin durch die Oasen Litschina (oder Lichina), Tolga, El-Amri und Doussen bis nach Ouled Djellal und später auf gleicher Straße heimwärts – ein wohl schon oft begangener Weg und doch für mich überreich an allenthalben auftauchenden neuen Eindrücken und Einblicken.
In Litschina empfing uns ein freundlicher alter Scheich, bot zum Frühstück leckere Datteln und führte uns in seine Behausung, wo wir den landesüblichen Kaffee schlürften. Welche Ueberraschung bot mir dann die Wanderung durch die Stadt! Auf Hunderte von Metern hin waren die Straßen überbaut, so daß wir, besonders an Biegungen, vollkommen im Dunkeln tappten. Sicherlich war solche maulwurfsartige Anlage, insonderheit mit Berücksichtigung der mangelhaften Reinlichkeitsbedürfnisse der Einwohner, keine allzu angenehme. Aber dem wandernden Ethnologen enthüllte sich hier eine Eigenart dieser uralten Stadt- oder Siedlungsanlagen, die heute noch vielfach erhalten ist. In östlicher Richtung ist das Bild der überdeckten Straßen bis zur Oase Siwa, in westlicher Richtung bis ins marokko-algerische Grenzgebiet als Residuum aus alter Zeit für mich durch gutes Material erwiesen. Alte Reste fand ich im Aures; bei den Kabylen dagegen sah ich nichts derartiges. Der Kenner europäischer Siedlungsform denkt dabei unwillkürlich an gleiche Erscheinungen im südwestlichen Frankreich und andernorts. Wir aber, die wir zunächst nicht rückwärts, sondern vorwärts schauen, werden bei diesem Anblick an die wunderlichen archaischen Bauten der Burgbauern im Norden der Guineaküste erinnert, an die »unterirdischen« dunklen Gänge der Bobodörfer, an die in völliges Dunkel gehüllten Untergeschosse der Ssolagehöfte in Nord-Togo.
Und der nächste Rastplatz, der uns die Nacht über bergen sollte, brachte uns eine Erscheinung, die noch viel energischer auf die Stammverwandtschaft solcher Sudankultur mit der am Nordrande der Sahara hinweist. Aus dem Häusergewirr ragt hier ein vierstöckiger Turm auf. Er ist nicht bestimmt, den Menschen Wohnung zu bieten, sondern ist ein Vorratsspeicher. Eine hübsch geschnitzte Tür mit hölzernem Schloß ist eingelassen. Der Turm begrüßte mich wie ein alter Bekannter des Südens. Bis zu der Form des Schlüssels stimmt er mit seinen Epigonen im Sudan überein. Verdeckte Gänge und Räume und diese Speichertürme zusammengeschmolzen riefen, wie wir wissen, dort den Burgbau ins Leben.
So wie in diesen charakteristischen Sondererscheinungen und Wesenszügen herrscht aber auch in allen anderen Architekturelementen Uebereinstimmung der Merkmale im Süden wie im Norden der Sahara. Jeder Luftziegel der Bammanabauten könnte in Doussen oder Biskra geformt sein, die eigenartige Deckenlagerung Djennes fand ich in einem Torgebäude Ouled Djellals wieder, und die ganze Anlage des Oasenhauses mit tragenden Mauern, stützenden Säulen und Impluvien ist ein Mittelding zwischen dem (wer kann sagen, von wo übernommen) späteren Hause der Römer einerseits und dem Madugu, dem alten Palastbau der Sudanfürsten, anderseits. So liegt in der Mitte eines von Südeuropa bis nach Westafrika ausgedehnten Gebietes das alte Quellenmaterial noch greifbar zutage, ein Material, das uns als Mittelschicht gelten kann zwischen dem, was in Europa unter dem Wechsel der Zeitstürme längst weggespült wurde, und dem, was eine vernegerte Menschheit in die Tropen schleppte, damit es dort, konservativ nachgeahmt, verkleinert und verwuchert, ein stil- und konstruktionsschwaches Dasein friste. Klassische Zeugen, altrömische, aus Afrika stammende Mosaiken im Londoner Museum beweisen aber, daß das Altertum in diesem eurafrikanischen Kulturspeicher gleiche Form aufwies.
Der bei weitem großartigste und imposanteste Eindruck, der uns alle gleichartig und gleichzeitig packte, ward uns zuteil nach unserer Ankunft in Ouled Djellal. Wir waren vor den Toren der Stadt abgestiegen, hatten die Bereitung eines Abendessens besprochen und nun noch Zeit genug, zwecks einer ersten Besichtigung einen kurzen Gang in die Stadt zu unternehmen. Die Sonne war dem Untergang nahe; die letzten vollen Lichtwellen beleuchteten unsere Straße, bis wir den großen Marktplatz erreichten. Durch ein Torgebäude betraten wir ihn, und der Anblick, der sich uns überraschend bot, erfüllte mich mit feierlichem Staunen. In den einfachsten Formen umgaben die nur an einer Stelle gebrochenen Fassadenreihen, gefügt aus weißgestrichenen Luftziegeln, den Platz, auf dem die würdigen Gestalten der Stadtväter und fremder Kaufleute, in helle, wallende Wollmäntel gehüllt, auf und ab wandelten. Das hellere Licht schied. Tiefviolett wölbte sich das Himmelszelt empor, und nun ragten die hellen Zinnenkrönungen der Fassadenflächen graziös in die farbige Dunkelheit. Zumal die Moschee mit ihrem hohen, spitzen Minarett und ihrem Zinnenkranz über langer Fassadenbahn trat leuchtend hervor, so daß uns diese Formenreinheit und Einfachheit unwillkürlich eine große Aehnlichkeit mit jenem Platz aufdrängte, auf dem früher der alte, jetzt der neue, berühmteste Campanile Italiens aufwächst.
Diese einfache Formenreinheit hat etwas ungemein Packendes. Wir benutzten jede freie Stunde unseres Aufenthaltes in Ouled Djellal, uns an ihr zu erfreuen, und besonders die Wirkung im Dämmerlichte wird niemand, dem der Anblick vergönnt war, so leicht vergessen. Die räumliche Gruppierung dieser Fassadenreihen entspricht dem dem ganzen Stil- und Bauwesen entwachsenen Raumgebot; die Krönung der Fassaden aber ist die mir bekannt gewordene zierliche Ausgestaltung der Lehmziegelgruppierung, wie wir sie einfacher, aber im Stil gleichartig auch anderweitig zwischen Siwa und Marokko nachweisen können. Die Ebenmäßigkeit und Schönheit, die wir hier noch erhalten sahen, ist also nichts als ein Rest vorklassischer Kulturbildungen dieser Länder. So oder ähnlich waren demnach wohl auch die Plätze vor den Königshöfen eines Massinissa und in den Städten eines Juba.
Und die entfernten Nachkommen aus so edlem Stamme lernte ich unten in den Städten der sogenannten »Negerherrscher« am Niger kennen. Gar manches ähnliche Architekturbild aus jenem Süden hat sich mir ja eingeprägt. Aber während es dort unten doch immer wieder landfremd und als edler Gast neben dem kleinlichen, vulgären Rundhüttengehöft anmutet, gewinnt man in diesem Nordlande unbedingt das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Boden, Bau, Menschen und Kulturmilieu.
Als ich anderntags in altgewohnter Weise mit einigen alten Herren plauderte – der Sohn des Kirchenfürsten des Ortes hatte uns mit Einführung in die Moschee und durch freundliche Bewirtung mit den maßgebenden Kreisen in Berührung gebracht –, da kamen wir auch auf Bevölkerungsgeschichte, auf Lebensgewohnheiten und Rassengruppierung in den umliegenden Oasengebieten zu sprechen. Da wurde mir berichtet, daß besonders in südlicher Richtung noch eine ganz reinliche Sonderung zwischen nomadisierenden, reinblütigen, helleren Herrenstämmen und zwischen dunkelhäutigen, ansässigen Hörigen, Ackerbauern und Industriellen aufrechterhalten würde. Diese Hörigen würden Haratin genannt, die helleren, herrschenden, nomadisierenden Berber aber Horr oder Harr. Als ich dies Wort »Horr« oder »Harr« hörte, da zog vor meinen Augen die Schar der alten Heldenkämpfer der Sahel und des Sudan vorbei; da mußte ich der ritterlichen Herrenkaste gedenken, die auf den Namen »Horro« hörte. Die Horro des Sudan stammen ab von den Horr der Sahara, und die verwandten Benennungen für »Herr« und Mensch reichen vom Mittelmeer in flächenmäßiger Verbreitung bis zu den Westküstenländern Afrikas. In diesen sind sie noch zerstreut bei einzelnen Stämmen in insularer Verbreitung erhalten, so bei den Muntschi am Benue, den Bongo und Sande im Nil-Ubangi-Scheidegebiet, den Bateke am Kongo – man sieht, lauter Stämme, die durch körperliche Eigenart und kriegerischen Sinn unter den dunklen Landesgenossen auffallen. Ein Bild der Wellenkreisungen um die atlantische Hochburg!
*
Fast noch eindrucksreicher gestaltete sich die zweite Reise, die uns mit dem Typus der alten Gebirgsbewohner und der Kultur des Südatlas bekannt machen sollte. Ein würdiger Scherif, der als solcher starken Anteil an der Blutsverwandtschaft mit dem Propheten beanspruchte, ward als Diener und Führer angeworben und eine Anzahl Maultiere zum Reiten und zum Gepäcktransport gemietet. Eines Tages ward die Nachricht von unserem Aufbruch in die Berge gesandt, und am andern Morgen trabten wir erst die große Straße nach Sidi Obka hin, bogen dann aber nach Nordosten ab, um über Drauh dem Oued el Abiod zuzureiten. Unser Ziel war das Herz des Aures, unser erstes Nachtlager in Mochoumech.
Das Landschaftsbild war ungemein charaktervoll: starre, felsige Oede. Nur an den Wasserläufen hier und da Palmoasen, deren Gehöfte und Bewohner einen gleich ärmlichen Eindruck machten. Von beiden Seiten rückten die Gebirgsfalten näher heran. Lebendiger ward aber das Bild erst am Nachmittag, bei der Annäherung an das in reichen Palmenschmuck gehüllte Mochoumech, das auf beiden Seiten des hier aus der Schlucht heraustretenden Flusses am Fuße des kahlen Gebirgsstockes sich ausbreitet. Hier begann das rege Leben des Schaulalandes uns zu umfangen. Hier kam uns der Kalifa, der Stellvertreter und Bruder des Kaids, in altem Prunkgewande entgegen, das so ganz merkwürdig von dem einfachen, groben Wollkleid der Bevölkerung abstach. Hier meldete sich der uns entgegengesandte und zu unserer Verfügung gestellte Spahi; hier gab es kein Handeln mehr um Nachtquartier und Lebensbedürfnisse für Mensch und Tier; hier waren wir zu Gast bei der reichen arabischen Fürstenfamilie, die über die verarmten Berberbauern herrscht. Es war ein wunderliches Gemisch von vornehmer arabischer Gesinnung und Gesittung und verbrauchten, stillos verwandten europäischen Kulturerzeugnissen, das uns geboten ward. Ein altes europäisches Bett neben einem wertvollen, alten arabischen Teppich; ausgezeichnete Eingeborenenbedienung bei einem karikiert europäischen Mahle, dem, »da wir Deutsche seien«, auch das Bier nicht fehlte. Kurz, es war ein kurioses Symposion in einem stickigen Loche, dem der Kalifa mit denkbarstem Ungeschick präsidierte, bis plötzlich eine effektvolle Erscheinung auftrat.
Draußen Pferdegetrappel, scharfes Parieren, Herbeilaufen von Menschen, kurze Kommandorufe! – Wir sehen uns zwischen den Wachskerzen fragend an. – Da klappern auch schon kurze, sprunghafte Schritte die enge Treppe herauf, und dann steht vor uns – der Märchenprinz! Wirklich, der Anblick war entzückend und in der ganzen Wucht seiner Wirkung wie aus Tausendundeiner Nacht herausgegriffen! Mit einem Schlage war der karikierte Anstrich, den das alte europäische Bett, die schäbige europäische Wandverkleidung der traurigen Kopie eines europäischen Festmahls gegeben hatte, vergessen. In imposanter Größe und morgenländischer Schönheit, gekleidet in seidene, wallende Gewänder und voll Jugendkraft und Keckheit dreinschauend, stand Prinz Ahmed, Sohn des Fürsten des Tales, vor uns und nahm mit einer Gewandtheit, in der sich der arabische Adel mit französischer Liebenswürdigkeit paarte, Begrüßung und Festleitung in die Hand.
Prinz Ahmed sprudelte. Sein Vater, Si Bon Haf, habe ihn aus dem Bade, in dem er weile und in dem ich ihn ja vor einiger Zeit aufgesucht habe, hierher gesandt, damit er uns in seiner Vertretung im Lande begrüße und bewirte; er wolle uns morgen nach seiner Residenz in Tkout begleiten; wir würden dort ja Gäste des französischen Postens sein, aber er rechne nach den Wünschen seines Vaters darauf, uns einmal in Si Bou Hafs Residenz begrüßen zu dürfen. Sein Vater habe schon manchen hohen Besuch gehabt, noch nie aber deutsche Forschungsreisende, und noch weniger eine deutsche Dame; demnach freue er sich doppelt auf die Ehre usw. usw. – Das glitt so geläufig hervor wie aus dem Munde eines geübten Causeurs. Und in diesem Fahrwasser steuerte das arabisch-französische Prinzlein die Unterhaltung bis tief in die Nacht hinein, und dann lockte es uns noch in den Hof hinaus, wo es uns seinen prächtigen Schimmel vorführte. Der Hengst schnupperte wohlig zu dem strahlenden Monde empor, aus dessen Lichtkreis auch wir uns nur ungern entfernten, um unser dumpfiges Lager aufzusuchen, dessen Reichtum an kleinen Bewohnern wir noch nicht einmal ahnten.
Schwerfällig und mehr oder weniger gelangweilt war unser kleiner Trupp am vorigen Tage dahingezogen. Wieviel schneller pulsierte Lebenslust und Wanderfreudigkeit am neuen Morgen! Der Troß schwoll an. Der Kalifa begleitete uns noch über die erste Hügelkette. Unser Scherif hatte ein eigenes Reittier und einen bedienenden Kameraden bekommen. Vor uns trottete auf frischem Pferde der bunte Spahi, und nach einiger Zeit schloß sich uns Prinz Ahmed mit seinen persönlichen Dienern und Soldaten an. In einigen Oasenweilern, die wir passierten, kamen Scheichs und andere Würdenträger, um uns Gruß und Kaffee zu bieten, weiterhin ritten Ahmed und seine Begleiter uns eine Fantasia vor, und so blieb der Tag reich an wechselnden Bildern und kleinen Ereignissen, während die Landschaft immer härteren, gebirgigeren Charakter annahm.
Am späten Nachmittag tauchten denn endlich die Mauern und der Moscheeturm von Tkout am Horizont auf, und bald darauf kam uns ein größerer Reitertrupp entgegen. Dieses Bewillkommnen ist eine der schönsten afrikanischen Sitten. Der unbekannte Gastgeber wird dem fremden Ankömmling sogleich vertraut. In diesem Falle war es der Leutnant Blanc, der mit seiner jungen Gattin und zwei anderen Herren die Leitung der Eingeborenen handhabte und uns seine hübsch geschmückten Räume liebenswürdig und gastfrei zur Verfügung stellte. Mehrfache Wanderung durch die Steinburgen von Tkout, zu dem altrömischen Wasserbassin, dann ein Diner, das Frau Blanc in graziöser Weise leitete, und ein zweites, das andern Tages Prinz Ahmed uns zu Ehren veranstaltete, bildeten hauptsächlich unsere Unterhaltung.
Dann wurde Abschied genommen, und nun begann der wichtigste Teil unserer Unternehmung; der gemächliche Talritt im Flußbett des Oued Bassira. In die Sohle des etwa sieben Kilometer breiten Tales zwischen Djebel Zellatou und Djebel Ahmar Kraddou hat der Oued Bassira vom Ort Bassira bis Mochoumech sein Bett in einer zwischen hundert und zweihundert Meter schwankenden Tiefe eingesägt. Die Sohlenbreite dieses in vielen Windungen sich hinschlängelnden Einschnittes wechselt von achtzig bis hundertzwanzig Meter. Da, wo die schroffen Wände eingestürzt sind, haben sich Schuttkegel im Tale gebildet, auf denen die Schauja Olivenbäume und Dattelpalmen angepflanzt haben.
Als Ergänzung für die Phantasie des Lesers gebe ich am Kopf dieses Werkes eine Farbenstudie aus der Bilderreihe, die ich meinem Reisebegleiter verdanke. Hier sieht man auf der Oberkante der scharf abgesägten Talwand die Geläa, die Burgen und Speicher der Schauja, angelegt. Das Textbild am Schluß dieses Kapitels zeigt fernerhin auf einem Schutthügel an einer Windung des Tales den Ausläufer einer Schauja-Anpflanzung. An die obere Felskante geklebt, sind hier einige Bauerngehöfte gerade noch zu sehen. Was leider auf keinem Bilde recht zu erkennen ist, weil die kümmerlichen Reste allenthalben eingestürzt und schlecht erhalten waren, das sind die in die Talwand eingemeißelten Bewässerungskanäle, die in alter Zeit von vielen Stellen des Flußbettes aus das notwendige Naß auf alle Vorsprünge und Schuttkegel führten, denn vordem wurde jede Krume Erde vor allen Dingen für den Olivenbau ausgenützt. Nur verhältnismäßig schwache Reste von Anpflanzungen, aber eine Unzahl von Kanaltrümmern beweisen zur Genüge, daß die Ueberlieferung der Eingeborenen auf Wahrheit beruht: in alter Zeit soll das ganze Bassiratal eine fast ununterbrochene Kette blühender und fruchtreicher Olivenpflanzungen dargestellt haben. »In dieser alten Zeit waren wir Schauja reich,« sagen sie.
Hier nun will ich das Fazit ziehen, das sich auf der Bassirareise aus meinen Beobachtungen und Erkundungen für die kulturgeschichtliche Beurteilung dieser Länder ergab. Nicht nur die überreichen Reste von Kanälen und die weit ausgedehnten Ruinen von kunstvoll durchgeführten Terrassenbauten belegen die Wahrheit der Behauptung von früherer Wohlhabenheit, intensiver Ackerkultur und reicher Besiedelung des Aures. An vielen Stellen stößt man auf alte Steingräber, deren dann oft hunderte nebeneinander liegen. Sie sind anscheinend alle von Arabern, die nach Perlen und Schätzen aller Art suchten, beraubt; ihre ganze Form und die Verwandtschaft mit anderen, leichter zu datierenden Gräbern in anderen Gegenden bezeugen, daß sie vorrömisch sind. So zeigen diese Tatsachen, was schon andere Ueberlegungen und Ueberlieferungen wahrscheinlich gemacht haben, daß das Aures schon eine reiche, fleißige, plantagenbauende Bevölkerung trug, als die römische Herrschaft und die dritte Legion hier ihren Einzug hielten.
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Wir wissen heute aus vielen Belegen, daß die Römer glänzende Kolonisatoren waren, und als solche haben sie es auch hier sehr wohl verstanden, ein inniges Zusammenleben mit den Schauja zu erreichen. Oben in Tkout ist noch heute ein mächtiges, teichartiges Wasserreservoir, das aus römischer Initiative entstanden sein muß, wie die dortigen echt römischen Quader beweisen, die Wohltat der Ortschaft. Wenige hundert Meter südlich von derselben Ortschaft sah ich Baureste römischer Villen, dergleichen solche auf dem Haupthügel von Baniam; und Leutnant Blanc berichtete mir von sehr wohlerhaltenen Trümmern römischer Bauart, die am Djebel Ahmar Kraddon jüngst gefunden wurden. Fragt man die Eingeborenen nach dem Namen der Erbauer dieser Werke, so antworten sie: »Das waren die Ruama« (Singular Rumi), d. h. die Römer.
Aber noch aus einem anderen Anzeichen kann man erkennen, wie geschickt die alten Kolonisatoren es verstanden, diesen Eingeborenen ihre Bürgerzugehörigkeit zum Reiche der ewigen Stadt gefühlsmäßig beizubringen. Als »wilde Urbewohner« des Aures hießen die Eingeborenen im Gegensatz zur herrschenden arabischen Familie Schauja. Sich selbst aber nennen sie in den Bassira-Ortschaften Ruama, d. h. Römer. Das ist ein eigentümliches Spiel der Kulturwellen. Das alte Rom, die Heimatstadt der dritten Legion, ist schon über tausend Jahre ein Trümmerhaufen, aus dem das Mittelalter und die Neuzeit je eine neue Blüte trieben. Der kleine, weltentlegene, fremden Autochthonen aufgepfropfte Ableger der Weltstadt des Altertums, der seitdem ganz unbeachtet der arabischen Aussaugekunst zum Opfer fiel, dessen vielleicht uralte Kulturkraft von diesen egoistischen Räubern bis zur absterbenden Verkümmerung verbraucht wurde – dieses unglückliche Winkelpflänzchen trägt dankbar noch immer den Namen der nordischen Kolonisten, die ihm vordem das fremdartige Bürgerrecht verliehen.
Sie nennen sich Ruama gleich Römer. Wenn mein Maultier durch die seichte Flut des Oued Bassira zwischen den hochstrebenden Wänden, vorbei an kümmerlichen Resten des alten Plantagenreichtums, tief unter den Mauern der am Felsrande sehwebenden Berberburgen hintrottete, mußte ich unwillkürlich über das Schicksal der Völker und Völkernamen nachdenken. Das Interessante ist nicht nur die eminente Erinnerungszähigkeit, mit der die Eingeborenen an diesem Namen der Römer – für den sie doch keinerlei sonstige historische Anknüpfung mehr besitzen – hängen, indem die Ruama als städtegründende Könige in Tolga, Ouled Djellal und anderen Ortschaften heute noch gerühmt werden, indem das Grab des Juba, der mächtigste Tumulus des Africa minor, als Kbour-er-Rumia benannt wird. Für den aus dem Sudan kommenden Forscher ist mit diesem Römernamen noch eine andere Erscheinung verbunden.
Im Mittelalter sandte der Kaiser Marokkos ein Heer gegen das Kaiserreich Songai; das eroberte Timbuktu und breitete sich über die Länder längs beider Schenkel des Nigerbogens aus. Die Nachkommen der so dem Sudan erwachsenen neuen Herren aus marokkanischem Berberursprung führen im Sudan heute noch den Namen Ruma und Arama. Heinrich Barth hat am Niger dem Ursprung dieses Namens nachgespürt und kam zu der Uebersetzung: »Scharfschützen«. Mir selbst ward dieser Sinn von Songai, Arabern und Arama bestritten, ohne daß ich einen besseren Ersatz dafür aufzutreiben vermochte, bis ich hier in Bassira hörte, mit welcher Zähigkeit die einst von Römern beherrschten Gebirgsbewohner sich heute selbst noch als Ruma, als römische Bürger bezeichnen. – Das alte Rom verschwand, aber eine fremde Rasse trug lange nach seinem Tode seinen Namen durch die Sahara, weit hinab in die Negerländer. Wie lehrreich ist dies Beispiel für jede Namenforschung!