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8. Kulturgeographische Betrachtung Nordwest-Afrikas.

Erschien in der »Zeitschrift für Erdkunde« zu Berlin 1909.

(1909.)

Die drei Zonen. – Werturteile über Kulturen. – Verschiedenartigkeiten in Regionen und Provinzen. – Tiefe der Kulturen. – Kulturzufluß und Isolierung. – Die atlantische Kultur.

 

Aus dem Vortrage, welchen ich am 9. Oktober ds. Js. die Ehre hatte vor der Gesellschaft für Erdkunde zu halten, möchte ich einige Punkte herausgreifen, welche in geographischer Beziehung von Interesse sind. Zur Erläuterung des Vortrages diente außer den Lichtbildern eine im Sitzungssaale veranstaltete Ausstellung einer kleinen Auslese aus dem Tausende von Zeichnungen, photographischen Aufnahmen, Architektur-Aufnahmen, Oelstudien und Routen-Aufnahmen umfassenden Material, welches die Frobeniussche Expedition neben den umfangreichen Manuskripten und den reichen ethnologischen Sammlungen heimgebracht hat. Anm. der Redaktion. Dabei verweise ich auf die spezielle Arbeit, welche in einem Ergänzungshefte von »Petermanns Mitteilungen« in Bälde zu erwarten ist. In dieser sollen diejenigen Funde und Reiseergebnisse kurz behandelt werden, welche ein Anrecht auf allgemeine Beachtung haben.

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Das nordwestliche Afrika umfaßt unter Ausschluß der Mittelmeer-Länder drei Zonen. Wir haben im Norden die Sahara, in der Mitte den West-Sudan, nach Südwesten die Randländer am Atlantischen Ozean, also die Guinea-Küste, nebst den dahinter aufgewölbten Landschaften. Die Expedition hat die erste Zone, die Sahara, nur in einem Punkte berührt, nämlich in Timbuktu. Die zweite Zone haben wir dagegen auf der Reise durch Senegambien nach Bamako, auf der Kumi-Reise, auf der Wanderung durch Liberia und zurück auf dem Marsche nach Timbuktu und nach Wagadugu bezw. durch das nördliche Togo durchkreuzt. In die dritte Zone traten wir nördlich von Liberia ein und erreichten sie dann wieder am Ende der Reise im südlichen Togo.

Schärfere Gegensätzlichkeit, als sie im Wesen dieser Zonen liegt, läßt sich wohl nur in Asien auffinden. Wir haben in der Nordzone die absolute Trockenheit, das Anhaften der Kultur an wenigen, oasenartig verteilten Quellen – dementsprechend eine außerordentliche Triebfähigkeit der in den Wüsten- und Steppenländern sich breit machenden Viehzüchterei. Dem gegenüber der Sudan, in welchem mit der größten Regelmäßigkeit Regenzeit und Trockenzeit abwechseln, in denen einmal infolge der Abflußschwierigkeiten eminente Landstrecken in Lehm, Moräste und Sümpfe verwandelt werden und dann in der nachfolgenden Trockenzeit unter der Dürre seufzen. In der nassen Jahreszeit kann der Mensch und kann das Vieh allenthalben auf Trunk rechnen, in der trocknen dagegen gilt es, sich an die wenigen laufenden Gewässer der Volta-, Niger-, Senegal-Systeme anzuklammern oder aus tief in den Boden geschnittenen Brunnen zu schöpfen. Das ist ein Land großer Fruchtbarkeit, welches bestimmtes Korn, als da sind: Sorghum, Penisetum und Panikum, dann Mais, aber auch Reis bequem und in üppiger Fülle hervorbringt. Also eine Region der Hackbauern, zwischen denen die Viehzüchter hin und her treiben. Den westlichen Sudan, der die eben geschilderten charakteristischen Eigenschaften aufweist, gliedere ich in zwei Teile, in das westliche Mande-Plateau, welches das Niger-Quellgebiet und den Niger-Oberlauf und die Senegal-Oberlaufländer umfaßt, und in das Mossi-Plateau, welches, weiter nach Osten gelegen, etwa das eigentliche Volta-Becken repräsentiert. In dieser Zone sind bestimmte, die Plateau-Eigentümlichkeiten durchbrechende Landschaftsbilder nicht selten.

Im großen und ganzen strecken sich die mächtigen Sandstein-Laterit-Bänke, durch Abflußtäler wenig modifiziert, d. h. abgestuft, in unsympathischer Weise gleichförmig und das Auge des Wanderers ermüdend aus. Je weiter man von Norden nach Süden vorrückt, desto näher treten lichte, der Küste parallel laufende Bodenwellen hervor, und in der Aufwölbung des Westrandes begegnet dem Wanderer häufig das Bild halbkugelig zugeschliffener Granitkuppen. Diese Granitkuppen spielen kulturgeographisch keine Rolle. Eine um so größere dagegen die Tafelberge, welche von Futa-Djallon nach Nordost und Osten reichlich erscheinen. Da sind z. B. die eigenartigen Sandsteine, Tafelberge, bei Bafulabe, dann auch solche im Nordwesten Bamakos, weiterhin diejenigen von Kulikorro, im Norden der letztgenannten Stadt, welche ganz unverkennbar den Erosions-Charakter tragen. Am berühmtesten wurden diese Berge durch meinen deutschen Vorgänger, den großen Reisenden Dr. Heinrich Barth, der im Süden Timbuktus und des Niger-Bogens den Namen »Homburri-Berge« festlegte. Diese Homburri-Berge repräsentieren aber nicht nur das Ergebnis intensiver Erosion, sondern hier finden wir auch eine Verwerfung, welche höchst wichtig ist. Da ist die von den Franzosen als Falaise bezeichnete Stufenwand, die sich etwa von Kani-Bonso nach Homburri hinzieht, die aber nach Osten hin noch in einen Graben zu verlaufen scheint, aus welchem der Koruol-Fluß sich bei Dunsu in den Niger ergießt. Es ist typisch, daß in den von mir besuchten Westländern alle Tafelberge und wesentlichen Sandsteinerhebungen nördlich von der Falaise liegen, während nach Süden hin kaum ein einziger Brocken angetroffen wurde, daß fernerhin im Tale des Koruol vulkanische Gesteine gefunden wurden. Aber nicht nur hier, sondern auch am Nordrande der Nord-Guinea-Aufwölbung finden sich solche Sandsteingipfel sowie andere geeignete Schlupfwinkel, welche sämtlich eine hochbedeutsame kulturgeographische Bedeutung haben; es sind die Zufluchtsorte alter, verdrängter Stämme, die für die treibenden Nomadenstämme wenig zugänglich geblieben sind.

Als zweite Ausnahmeerscheinung im öden Sudan-Plateau-Typ muß die eigenartige Landschaft Faraka erwähnt werden. Nachdem nämlich der Niger bei Mopti den Bani aufgenommen hat, beginnt er sich über etwa zwei Breitengrade hin in Kanälen, stehenden Sümpfen und Seen auszudehnen. In der Trockenzeit versiechen die Sümpfe, treten die Seen zurück und nur in wenigen enggeschlossenen Kanälen quält sich der seichte Niger-Strom dahin. Ein ganz anderes Bild dagegen bietet die Regenzeit, in der das Land weithin überschwemmt ist und in welcher Zeit man meinen könnte, über eine mächtige, gewaltige See, über ein Meer hinzufahren, aus dem grün schimmernde Inseln emporsteigen. Dieses Land Faraka liegt zwischen der Saharastadt Timbuktu und der Sudanstadt Djenne.

Die dritte Zone repräsentiert die Ober-Guinea-Küste und ihr Hinterland. Der außerordentliche Regenreichtum, welcher diesen Ländern ungeheuren Segen spendet und in älteren Zeiten jedenfalls überall gleich üppige Pflanzendecken geschaffen hat, wie wir sie aus dem Kongo-Gebiet während der ersten Reisen gut kennen lernten, charakterisiert auf der einen Seite diese Landschaft, nach der andern aber tritt bemerkenswert die aus Gneisen, Dioriten, Graniten und Sandstein bestehende Aufwölbung des Hinterlandes hervor. Wir haben hier also nicht wie im Kongo-Gebiet weitgestreckte Laterit-Plateaus, die vielfach durch tiefe Täler zerschnitten sind, sondern gebirgiges Land, das mehr oder weniger dicht mit Urwäldern bestanden ist. Bananen und Maniok treten als Nahrung in den Vordergrund; an Stelle des Schi-Butterbaumes, welcher die Fettstoffe im Sudan liefert, erscheinen die Eläispalmen. Das Rindvieh verschwindet und ebenso das hochbeinige Schaf. Die kurzbeinige Ziege und das schwarze Schwein sind die Haupttypen der Viehzucht. Diese Symptome bedingen das absolute Verschwinden des Nomadismus und andererseits die Entstehung und Erhaltung in kriegsbereiter Abgeschlossenheit lagernder und versteckter Waldstädte. Im Laufe der Jahrtausende haben aber an vielen Stellen der Guinea-Küste die Sudanvölker nicht nur die sicher seit uralten Zeiten wiederholten kriegerischen Einfälle in das Land unternommen, sondern sie haben auch auf wirtschaftlicher Basis eine Umformung hervorgerufen, welche an die Vorgänge erinnert, die wir aus der Kulturgeschichte Italiens so gut kennen. Die Hackbauern sind mit ihrem Korn aber ins Land gekommen und haben die Wälder vernichtet. Wäre das Land ein Laterit-Plateau, wie das Kongo-Land, so wäre dieser Vorgang nur langsam erfolgt und noch nicht so weit vorgeschritten, wie er es in der Tat ist. Wie die Verhältnisse aber liegen, d. h. in den hier vorherrschenden Gebirgsstöcken, in denen der Pflanzenwuchs bei weitem nicht die Vorbedingung zur Haftfähigkeit findet wie im Laterit, wo nicht auf jedem verlassenen Felde sogleich wieder der Tropenwald aufsproßt, in diesen gebirgigen und steinigen Ländern Ober-Guineas sind vielerorts die Wälder gerade in den Tälern und Abhängen so gut wie vernichtet, und das eigentümlichste Bild pflanzengeographischer Verbreitung West-Afrikas, dessen ich mich erinnere, repräsentiert einerseits mancher Bergstock in Nord-Liberia, andererseits das Kabre-Land in Nord-Togo, in welchem alle Bergabhänge heute durch Terrassen-Anbauten der Ackerkultur gewonnen sind, so daß die letzten Urwaldreste dort erhalten sind, wo sie am wenigsten verständlich erscheinen, nämlich auf den Spitzen der Berge, die den Ackerbauern am wenigsten zugänglich und am wenigsten wertvoll sind.

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Damit habe ich im allgemeinen die drei Zonen charakterisiert, und es sei nun auf die Frage eingegangen, welche Kulturteile in den einzelnen Gebieten entsprechend der geographischen Lagerung sich ihre Eigentümlichkeiten noch am besten erhalten haben. Diese Frage erscheint um so wichtiger, als ich während dieser Reise den Eindruck gewonnen habe, als ob man bislang in Afrika dem Wesen der verschiedenen Kulturtypen, so wie sie durch geographische Eigentümlichkeiten bedingt sind, nicht ganz gerecht geworden sei. Der erste Eindruck täuscht, und er hat auch mich zuerst längere Zeit in Irrtümern gefangen gehalten. Betritt man durch den Urwald schreitend eine Lichtung, in der sich ausgedehnte Plantagen zeigen, denen sich ein sauberes, weit und ordentlich angelegtes Stadtgebilde anschließt, betritt man dann die Hütten, nimmt eine große Zahl von Kulturgebilden wahr, die in allerhand Kunstfertigkeiten gearbeitet sind, erfreut sich dann an der reichen und schönen Kleidung, sieht die würdigen, tätigen Dorfbewohner bei ihren handwerklichen Arbeiten, so gewinnt man den Eindruck einer umfangreichen und erfreulichen Kultur. Hat man dagegen eine Wanderung in der Wüste zurückgelegt, stößt auf ein Zeltlager, welches mehr oder weniger liederlich angelegt ist, eine Wohnstätte, die flüchtig errichtet, dem flüchtigen Wanderleben angepaßt ist, sieht man die schmutzigen Leute in ihrer abgebrauchten Kleidung und kommt zu dem Schlusse, daß außer den Viehherden nicht recht besonderer Kulturschatz hier zu erwarten sei, so ist man geneigt, die Viehzüchter der Wüsten und der Steppen in einen verhältnismäßig niederen Kulturbereich zu versetzen. Dieser Eindruck ist entschieden falsch. Die Schlußfolgerung, derzufolge wir die beiden Gegensätze konstruieren, hier kulturreicher Plantagenbauer des Waldes, dort kulturarmer Nomade der Steppe, ist falsch, dieser Gegensatz existiert in Wahrheit nicht. Schon ältere Ethnologen – ich verweise auf Hahn und Schurtz – haben die niedere Stellung, die Tiefschiebung des Nomadismus zu verändern gewußt, indem sie darauf hinwiesen, daß der Nomadismus nur eine Verwilderungsform der Kultur repräsentiere. Es wird mir aber eine wichtige Aufgabe sein, in Zukunft mit Energie und an der Hand umfangreichen Materials den Beweis zu erbringen, daß die Steppen-Nomaden im Gegensatz zu dem äußeren Eindruck eine tiefere Kultur besitzen als die Gartenbauer der Wälder.

Es ist das ein kulturgeographisch so wichtiges Moment, daß ich diese Erkenntnis als einen der wichtigsten Erfolge meiner bisherigen Reisen hinstellen muß. Es ist sehr bedauerlich, daß die Mittel noch nicht flüssig gemacht werden konnten, um durch Wiedergabe des gesamten Materials den Beweis als Erkenntnis festlegen zu können. Ich möchte doch aber an dieser Stelle in einigen Sätzen die Quintessenz dessen niederlegen, was sich mir aufgedrängt hat. Ich schildere die beiden äußersten Gegensätze, zwischen denen es natürlich alle Varianten des Ueberganges gibt.

Die Kultur des Plantagenbauern ist eine durch manuelle Tätigkeit geschaffene und fortgeführte materielle; sie ist eine Kultur, die einerseits auf der Frauenarbeit, andererseits auf der im Spieltriebe der Männer fortgeführten Handfertigkeit basiert. Es ist außerordentlich charakteristisch, daß, wenn man ein solches Waldvolk aus einem uralten Versteck aufspürt, es verdrängt, ihm allein seinen Besitz nimmt und es an irgend einem andern Platz ansiedeln will, daß dann der ganze Zauber des wunderbarsten Kulturreichtums verschwunden ist. Ich habe solche Verschiebungen miterlebt. Ich habe Stämme kennen gelernt, die aus ihrem materiellen Kulturrahmen herausgerissen, auf einen neuen Boden verpflanzt wurden, habe die Unfähigkeit dieser Menschen gesehen, sich ohne weiteres wieder einzufügen. Wenn die Leute ihren Kulturbesitz mitnehmen können, dann haften sie aber fest, dann werden sie brauchbar. Nimmt man ihnen ihre Schätze, so verkommen sie.

Ganz anders der Steppen- und Wüstenmensch. Seine Kultur lebt im Kopfe. Seine Kultur beruht im Wissen, in der Erziehung der Denktätigkeit, im Ausgleich der sozialen Kräfte. Gar manchesmal habe ich während der letzten Reisen die schäbigsten und kümmerlichsten Individuen, die außer einem schmutzigen Kaftan oder elenden Burnus an äußerer Kultur absolut nichts besaßen, in mein Beobachtungs- und Studiengelaß genommen und habe meine Untersuchungsinstrumente angesetzt. Und nicht ein einziges Mal habe ich den Stumpfsinn angetroffen, der die Waldbewohner charakterisiert. Jedesmal gelang es nach kürzerer oder längerer Zeit, mit den Leuten einen Konnex herzustellen, es so weit zu bringen, daß ihr Auge leuchtete, daß dem Munde ein Strom naturgeborener sowohl als ererbter und durch Beobachtung in Besitz genommener Weisheit entfloß. Omnia mea mecum porto, kann jeder von diesen Leuten sagen. Er hat ein ganz ausgezeichnetes Bewußtsein der Zusammengehörigkeit von Natur und Mensch, er hat ein ganz genaues Wissen von den Funktionen der Natur, wenn er die ihm geläufigen Erscheinungen auch häufig in der phantastischsten Weise deutet. Aber er deutet doch, während der Waldmensch nur stumpfsinnt. Unter diesen Steppen- und Wüstenmenschen findet man eine Anzahl von Individuen, welche genau in der gleichen Weise wie wir Europäer ihre persönlichen Interessen haben und ihnen zufolge ganz persönlich ihr Interessengebiet beackern. Der eine weiß genau Bescheid mit der Geschichte der Stämme, der Familien, der Individuen, der andere kennt jedes Käferlein, jeden Schmetterling, jedes Blatt und weiß ganze Geschichten von alledem zu berichten. Der dritte studiert ununterbrochen die Kräuter auf ihre Heilkraft hin, weiß von den entferntesten gleich bestrebten Kennern, hört von ihnen und bildet sich mehr und mehr zum Spezialisten in diesem Gebiete aus. Der vierte ergibt sich Gedanken über das Rechtswesen, und wenn auch heute vielfach und zum größten Teile schon das Recht der Moslim, das Recht des Kadi Einzug gehalten hat, so wird man unter den Mauren, den Sarakolle, den Tuareg usw. noch eine Unmasse von Leuten finden, welche das Studium der alten Rechtsanschauungen und der alten Rechtssätze weiter betreiben, nicht in der Ausübung als Kadi, als angestellter Richter, sondern als guter Kenner, der in jeder Versammlung der Männer um Rat gefragt wird, weil er es am besten weiß, wie die Sache von den alten Leuten betrieben, angesehen und behandelt wurde. – Da gibt es Leute darunter, welche das Vieh zu beobachten wissen, andere, die genau auf die Sterne achten, andere, die sich durch bestimmte technische Kenntnisse auszeichnen. Das alles aber tritt nicht hervor in irgend welchem erkennbaren oder für den Fremden ersichtlichen Wirken, sondern es ist ein Wissen und ein Können, das im Stamme lebt, als ein großes und starkes, unter der Oberfläche brennendes Feuer. Die Menschen dieser Art kann man verjagen, vertreiben, man kann ihnen alles nehmen, alles rauben, sie halten ihre Kultur und werden sie so leicht nicht verlieren können. Wo diese Menschen hinkommen, da tragen sie ihr Alles aber mit hin. In diesen verachteten Menschen ist die Kultur tief.

Unter diesem Gesichtswinkel gilt es, die kulturgeographische Lagerung in Nordwest-Afrika zu betrachten. Von diesem Gesichtspunkte aus wolle man das beurteilen, was im folgenden noch kurz zusammengefaßt wird, nämlich den Typus der Provinzen, wie wir sie aufgefunden haben.

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Die beiden wesentlichsten Provinzen, welche auf der Reise von 1907 bis 1909 untersucht wurden, sind das Mande-Plateau im Westen, das Mossi-Plateau im Osten. Es ist bekannt, daß um das Jahr 1000 die islamitische Kulturwelle durch den westlichen Sudan von Marokko aus hereingebrochen ist und große Teile des Landes für sich usurpiert hat. Die Provinz, welche am meisten unter diesem Einfluß gelitten hat, ist das Territorium des Mande-Plateaus. Diese Provinz ist nach Norden zu durch die Sahel-Gegend so gut wie offen und in breiter Linie unbedingt zugänglich. Das Mande-Plateau trug in alter Zeit eine hervorragende Kultur. Sie wurde durch diesen Stoß auseinandergesprengt. Zwar entstand noch einmal eine kulturelle Zusammenfassung, ein Epigonenland, das Kaiserreich Mali, aber dieses trug nicht mehr die alten Blüten. Als jene Stürme von Norden her hereinbrachen, zuerst Berber, dann Mauren, da spritzte durch diesen Hammerschlag zersplittert das alte Kulturwesen nach allen Richtungen auseinander, und überall da im Sudan, wo ein guter Haftplatz war, lagerten sich Bruchteile des alten Kulturbesitzes nieder. Ein Teil ward der Richtung des Hammerschlags entsprechend nach Süden in die Wälder Oberguineas geworfen, andere Teile flüchteten sich nach Osten, sanken in den Schichten der Gneistäler nieder oder hafteten auf den unzugänglichen Spitzen der Tafelberge im Homburri-Lande usw. fest. Ein Teil erhielt sich im Lande Faraka. Von diesem Schlage hat sich die Kultur des Mande-Plateaus niemals erholt. Es blieb nur ein verhältnismäßig kümmerliches Restlein übrig, auf der einen Seite die Spracheinheit, auf der andern die Tradition.

Ganz anders waren die Verhältnisse auf dem Mossi-Plateau. Das Mossi-Plateau war am besten gegen diese Stürme gesichert durch die Kultur des Mande-Plateaus, die zwar durch den Einfall der Welle des Islam zerstört wurde, in welchem Zerstörungswerke sich aber dann auch die Kräfte des Islam erschöpften. Das Mande-Plateau nahm infolgedessen die flache Kultur des Westens auf. Nach Norden war das Mande-Plateau geschützt durch die Songai-Reiche. Gefahr drohte diesem Lande nur von Osten her, aus den Haussa-Ländern, die aber doch ihrerseits wieder genügend befestigt waren und dem Islam auch genügende Widerstandskraft entgegensetzten, um als Eingangstor nur einfach passiert werden zu können.

Mit diesem Bilde sind in kurzen Zügen die Vorgänge geschildert, die als Folge der islamitischen Invasion bezeichnet werden können. Dadurch ist der heutige Standpunkt charakterisiert und eine Erklärung dafür gegeben, wieso diese Zersplitterung entstanden ist. Ganz anders nun ist die Frage, welcher Art das Kulturgut gewesen ist, das durch den Islam vernichtet ward und welches weitere wir dem Islam selbst zuzuschreiben haben. Der Islam selbst und seine Gelehrten nehmen alles, was an Hervorragendem und Ungewöhnlichem die Sudan-Menschen besitzen, als islamitisch an. Es ist dies ein frecher Diebstahl, wie ihn aber schon so manche Kirche ausgeübt hat. Wir kennen derartige Verdrehungen schon aus dem alten Testament und sehen sie im Laufe der Geschichte häufig wiederholt. Sogar die christliche Kirche hat sich nicht gescheut, die Großtaten heidnischer Götter in Großtaten christlicher Heiliger umzuwandeln. Und so manche schön gelegene Kirche prangt auf dem Platze, auf dem vordem den heidnischen Göttern geopfert wurde. Genau so ist es mit dem Islam. Ich habe in meinem Vortrage auseinandergesetzt, daß nach der Angabe des Islam Timbuktu als Empore des Islam um 1100 gegründet worden sein soll, daß aber unter dieser sogenannten islamitischen Stadt noch eine ältere im Sande ruhte. Genau das gleiche Verfahren wurde in der alten Bardenkunst angewendet. Die alten Helden, über deren Bedeutung uns noch die Etymologie des Namens Aufschluß gibt, sind zu Söhnen Mohammeds gestempelt worden. Es sind Helden, deren historische Fixierung um das Jahr 300 gelungen ist, so daß sie also mehrere Jahrhunderte vor dem Propheten ihr Werk vollführten. Es ist mir zurzeit eine wichtige Arbeit, zu untersuchen, welche Kultureigentümlichkeiten der Islam eigentlich nach Afrika und in den West-Sudan getragen haben kann, und ich habe das merkwürdige Resultat gezeitigt, daß es so gut wie nichts ist. Die Handelsstraßen sind älter – die Baustile sind älter – die Bardengesänge sind älter –, und das früher blühende Handwerk ist durch den Islam nur zerstört worden. Somit haben wir also die geschichtliche Abschätzung zu ergänzen. Wir können den Islam im Sudan nicht als Förderer der alten Kultur, sondern nur als ihren Zerstörer betrachten.

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Das nun, was vordem hier gewesen ist, werden wir einerseits zum Teil auf historischem Wege an die uns bekannte Geschichte anzugliedern versuchen müssen. Auf der anderen Seite werden wir aber diese Anknüpfung immer nur durchführen und die dadurch gewonnenen Anhaltspunkte ausnutzen können, wenn wir die kulturgeographische Lagerung und deren Gesetzgebung im Auge behalten. Nach alledem, was bis jetzt heimgetragen wurde, und nach dem zu schließen, was sich als wesentliches Material schon am Horizont zeigt, nach alledem möchte ich annehmen, daß diese Kulturen ein ganz außerordentliches Alter haben. In der Zeitschrift für Ethnologie gebe ich einen Bericht über die Beziehung, die sich historisch mit den Traditionen der alten Aegypter und Phönizier herstellen läßt. Diese Tradition lehrt uns, daß Nordwest-Afrika, das südlich von der Sahara gelegene Gebiet in für uns uralten Zeiten schon eine hervorragende Kultur geborgen haben muß, offenbar dieselbe Kultur, deren letzte Blüten der Islam vernichtete. Unwillkürlich werden wir zu der Frage gedrängt, welches in alten Zeiten das Zentrum, der Mittelpunkt, die Haftbasis dieser Kultur gewesen sein könne. Es ist die Frage dann zunächst nur auf Grund kulturgeographischer Ueberlegungen zu beantworten, und gerade auf Grund dieser Erwägung bin ich zu dem Schlusse gekommen, daß das Land Faraka als einer der wesentlichsten Ausgangspunkte einer hier heimisch gewordenen großen Kultur in Anspruch genommen werden muß. Die große Zahl gewaltiger Erdpyramiden, welche in diesem Lande ihre roten Häupter in den blauen Himmel strecken und mit ihren Füßen in einem der ältesten Reisfelder der Erde ruhen, dieses Gebiet Faraka dürfte kulturgeographisch genommen noch nicht der wichtigste Punkt meines Reisegebietes sein. Ich glaube aber und habe die Hoffnung, daß es auf unserer nächsten, abschließenden Reise gelingen wird, diese alte, dem Wesen ältester Hochkulturen so nahestehende Faraka-Kultur recht nahe in Beziehung zu dem Entwicklungsgange historisch beglaubigter Kulturformen zu bringen. Bei Beurteilung dieser Frage darf aber nicht vergessen werden, daß nicht die materielle Kultur dabei in Betracht kommt, von der ich oben sagte, daß sie, nach Süden verschlagen, dort wohl weiter bestehen, sich aber kaum erneuern kann, sondern vor allen Dingen die geistige Kultur, welche noch heute in den Steppen und Wüsten Nord-Afrikas erhalten ist.

Die Erkenntnis dieser Zweiteilung, nämlich: der Erhaltung der geistigen Kultur im Norden und der Verdrängung der materiellen Kultur nach Süden, erachte ich als die wichtigste kulturgeographische Erkenntnis, welche diese Reisen bis jetzt gezeitigt haben.

Von der Erkenntnis dieser Zweiteilung müssen wir bei der kulturgeographischen Betrachtung ausgehen, wenn die Frage beantwortet werden soll: sind die beiden Kulturtypen, deren nördliche im geistigen Besitz, deren südliche im materiellen Besitz so außerordentlichen Reichtum bieten, miteinander verwandt, und wie ist in solchem Falle die Auseinandertreibung zu verstehen?

Fünf wesentliche Punkte lege ich vor, um die Verwandtschaft zu beweisen:

1. Dem außerordentlichen Reichtum an Traditionen und Märchen im Norden, in den Steppen und Wüsten entspricht ein dem Material und dem ganzen Bestande nach verwandter, aber kümmerlich, sehr kümmerlich degenerierter Rest in den Wald- und Bergländern des Nordens.

2. Klar ausgesprochene, alte Klan-Organisation im Norden, verkümmerte Form im Süden.

3. Das Wesen des Baustils, des Stils der Architektur des Nordens zeigt Formen, die im Süden in umgebildeter Weise noch gut erkennbar sind.

4. Der Stil, d. h. die Ornamentik der Geräte, ist in beiden Gebieten derselbe. Es ist der Bandstil, das alte Riemenwerk, das nur im Norden verkümmerte, im Süden aber in wunderbarer Pracht und Fülle erhalten ist.

5. Endlich haben wir bestimmte Waffenformen, die im Norden einfach und schlicht, aber klar erhalten sind, im Süden aber in außerordentlichem Varianten-Reichtum aus überaus zweckwidrigem Material nachgebildet sind; das Wesen dieser Waffen, zumal des Bogens, ist dasselbe. Die zweckwidrige Wucherung infolge des Tastens nach zweckmäßigerer Materialverwendung im Süden ist so auffallend, daß die Entstehung der Typen im Süden ausgeschlossen ist.

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Diese wenigen Punkte seien betont, aber ich kann hinzufügen, daß eine außerordentlich große Zahl von mehr oder weniger scharf erkennbaren Uebereinstimmungen vorliegt, so daß die Einheitlichkeit der Verwandtschaftsgruppen trotz ihrer Divergenz als geklärte Tatsache zu buchen ist. Ausgehend von der Feststellung der Einheit fragt dann aber die geographische Kulturkunde nach den Vorgängen, welche den Tatbestand der Differenz verständlich machen. Und da gibt es nur eine entscheidende Antwort, die der Richtungstendenz in der Kulturbewegung Nordwest-Afrikas entspricht, einer Richtungstendenz, die naturgemäß auf geographischen Tatsachen beruht. Diese reiche, schöne, tiefe Kultur muß unbedingt in alten Zeiten vollkommen geschlossen in nördlichen Ländern heimisch gewesen sein. Den gleichen Hammerschlag, den der Islam von Magreb gegen Faraka hin ausgeübt hat, diesen gleichen Hammerschlag muß die Kulturgeschichte dieser Länder schon öfter erlebt haben. Eine ziemlich naheliegende Vermutung ist die, daß in unberechenbar alten Zeiten diese Kultur gar nicht in Nordwest-Afrika heimisch gewesen ist, sondern in Nord-Afrika, an den Rändern des Mittelmeeres, daß sie sich von diesen Rändern des Mittelmeeres aus tiefer nach dem Inlande hin ausgedehnt hat, daß sie aus dem Aufwölbungslande der Westküste Gold und andere Metalle zu schürfen suchte und so eine Verschiebung nach dem Süden zu annähernd freiwillig vornahm. Möglich auch, daß eine alte Umschiffung Nordwest-Afrikas zu Hilfe kam und eine Ergänzung darstellte. Möglich, daß solche Umschiffung zum erstenmal die Metallquellen Nordwest-Afrikas den Kulturträgern der Nordküste bekannt gab und daß dann erst die Straße durch den Sudan, also auf dem Landwege, aufgesucht, gefunden und festgelegt wurde. Wir dürfen für den Anfang eine Vermutung setzen, um die erste Ausdehnung zu verstehen; wir könnten auch eine weitere Vermutung über den Ursprung dieser sicher mit dem Osten und Norden zusammenhängenden Kultur vorbringen, wollen solches aber für die Zukunft noch aufsparen. Wir begnügen uns damit, ein Verständnis, eine Erklärung für die Ausbreitung der Kultur über Nordwest-Afrika zu finden.

Dann erfolgte der Zerfall, der durch die Unwegsamkeit der Sahara und die Schwierigkeiten der Umschiffung Nordwest-Afrikas gegeben war. Der große Westblock des afrikanischen Kontinents ist durch die Sahara dann kulturell in zwei Teile gegliedert worden. Der nördliche, am Rande des Mittelmeers gelegene Teil empfing auch fernerhin Anregung und Befruchtung durch die Mittelmeer-Kulturen, der im Sudan ansässige Teil aber blieb vereinsamt. Er ist nicht nur vereinsamt geblieben, sondern er empfing die Hammerschläge, die zersetzenden, die materielle Kultur zermalmenden Einbrüche, welche in dem Einfall der nomadisierenden, verwilderten Sahara-Völker zum Ausdruck kamen.

Diese Völker der Sahara nun, welche das alte Kulturgut noch lange Zeit hindurch in Oasen bewahrt haben müssen – ich erinnere nur an die eminente Bedeutung von Tichit und Walata! –, waren infolge des überhandnehmenden Nomadentums nicht imstande, die materielle Kultur aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grunde schon mußte die materielle Kultur hier auf ein Minimum herabsinken. Aber alte Stickereien, Lederarbeit, manches Restchen der Bronzearbeit und Holzschnitzerei beweisen doch, wieviel hier einst gewesen war. Im Gegensatz hierzu waren die Landesverhältnisse des Südens mit dem reichen Boden und der Menge der Quellen durchaus geeignet, eine Verflachung des geistigen Kulturbesitzes aufkommen zu lassen, wie wir sie sehr häufig bei Völkern finden, deren Betätigung infolge leichter Ernährung und günstiger Lebensumstände schnell atrophiert. Der Spieltrieb erhielt die Fortpflanzung einer großen Menge materieller Kulturformen. Aber das geistige Band schwand. –

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Nachdem ich mich bemüht habe, derart auf geographischer Basis ein Verständnis für den Zustand der Kulturen zu gewinnen, möchte ich aber nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, daß doch wohl noch ein ziemlich bedeutender Restbestand, man kann sagen, eine konzentrierte Lösung der alten Kulturen-Einheit vorhanden sein muß. Diese Arbeit soll abgeschlossen werden mit dem Hinweis auf diese Reste. Man wird es verstehen, wenn an dieser Stelle – um nicht allzu große Hoffnung zu erwecken – mit Zurückhaltung über das gesprochen wird, was in dieser Hinsicht erkundet wurde. Aber alle Anzeichen, alle Nachrichten über jene Länder, welche auf dieser Reise nicht besucht werden konnten, drängen zu der Ueberzeugung, daß es noch ein Gebiet gibt, in welchem die ganze Einheit jener alten atlantischen Kulturen vielleicht überdeckt, aber doch noch vorhanden ist. Dieses Gebiet aufzusuchen, ist die Aufgabe meiner nächsten, der dritten und voraussichtlich letzten großen Reisearbeit.

Jene Kulturen der neu aufzusuchenden Provinzen sind überdeckt von jüngeren Kulturschichten, aber nach allem, was ich jetzt schon weiß, darf ich die Ansicht vertreten, das alte Atlantis lebe unter der Schicht des durch Islam und moderne Kolonisationsbestrebungen aufgewirbelten Staubes noch fort. Dieses alte Atlantis darf nicht aufgefaßt werden als ausgerechnet jene Hochburg, die ägyptische Priester dem Solon geschildert haben, aber doch wohl als eine jener Kulturburgen, die nach dem Modell jener Poseidonssprossen errichtet wurden und die sich als die Verkörperung eines der ältesten kulturellen Ideale der Menschheit in solchen fernen Winkel der Oekumene gerettet haben.


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