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Erschien unter dem Titel: »Kolonialwirtschaftliches aus dem Kongo-Kassai-Gebiet; eigene Beobachtungen« in den »Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg« Bd. XXII 1907.
(1907.)
1. Einleitung. Was ist der Kongostaat? – 2. Erforschungsgeschichte des Kassai-Beckens. Gründungsgeschichte der »Compagnie du Kasai«. – 3. Die Verwaltung des Kongostaates und der Kassai-Kompanie. – 4. Die Kassai-Kompanie und ihre Beamten. – 5. Die Faktoreien hinsichtlich ihrer Einrichtung und Verwaltung. – 6. Handel und Produktion. – 7. Die Eingeborenenpolitik.
Seit dem Dezember 1906 beginnen wir in Deutschland Kolonialwirtschaft und Kolonialleben mit anderen Augen anzusehen. An Stelle einer gewissen Gleichgültigkeit und Ermüdung, die darauf zurückzuführen sind, daß die Leitung unserer Kolonialverwaltung es bisher nicht verstand, der eigentlichen »Wirtschaft« im Kolonialen die notwendige und verdiente Bedeutung zu verleihen, ist ein Aufmerken, ein Hinhören und auch ein bestimmtes Hoffen getreten. Wir wollen also aus unseren Kolonien wirtschaftlich wertvolle Gebilde machen. Da ist es denn selbstverständlich, daß wir mit Interesse unser Augenmerk anderen Kolonialbildungen zuwenden, und daß wir ganz besonders jene Länder, die mit der Kolonialwirtschaft günstige Erfolge erzielt haben, ins Auge fassen. So ist es mir denn leicht verständlich, daß jetzt meinen Vorträgen, die sich teilweise ja auch mit den wirtschaftlichen Kolonialdingen beschäftigen, reges Interesse entgegengebracht wird. Ich danke für dasselbe und bestätige gern, daß ich auch auf unseren weiteren Fahrten zur Klärung der Verhältnisse und zur Erhöhung des Verständnisses für diese Dinge mein Scherflein beitragen will.
Das deutsche Volk hat sich stets in einer gewissen privaten Weise für die Entwicklung der Vorgänge im Kongostaate interessiert, und gar oft hat man schon den leisen Stoßseufzer gehört: »Wenn wir doch auch eine Kolonie hätten, die einen Nutzen wie der Kongostaat abwirft!« Man war sehr unzufrieden mit unseren Kolonien. Da möchte ich von vornherein gleich auf eins hinweisen: Wir können in Deutschland zwei Perioden der Entwicklung erkennen, deren erste in Preußen geboren wurde. Das war, als jener preußische König den Begriff der modernen Beamtenwelt schuf, eine straffe Organisation. Das jetzige großartige Wirtschaftsleben Deutschlands wäre nicht denkbar gewesen ohne jene Geburt einer straffen Staatsorganisation. Indem wir damit unsere Kraft zur wirtschaftlichen Verwertung erzogen haben, gründeten wir in langer strenger Zeit der Entbehrungen den Unterbau des heutigen Wirtschaftslebens. Jetzt können wir das Straffe überall locker lassen. Wir sind erzogen.
Das Spiegelbild mußte auch in unserer Kolonie zur Erscheinung kommen. Wir waren fraglos zu »verwaltungstechnisch«. Wir haben in gewissem Sinne im Kolonialleben das Stadium wieder durchgemacht, das das Mutterland durchlief. Natürlich kann es dort schneller gehen. Denn unsere »Art« ist ja im Mutterlande schon erzogen. – Man soll sich auch einem solchen Gedanken einmal hingeben, gerade jetzt, wo so mancher meint: »Ach, hätten wir Dernburg doch schon früher gehabt!« Und gegen solche Stoßseufzer möchte ich den Sinn dieser Zeilen richten. Ich kann es vielleicht besser als ein anderer, denn ich bin vielleicht der einzige, der das grandios »reüssierende« Kongogebilde objektiv schauen konnte und der damit ein Beispiel der umgekehrten Entwicklung sah. Denn der Kongostaat hat genau die entgegengesetzte Entwicklungsreihe passiert. Er hat begonnen als Kolonialgebilde zu wirtschaftlicher Ausnutzung, und zwar lediglich zu wirtschaftlicher Ausnutzung. Und jetzt will vielleicht der Kongostaat unter dem Drucke der Verhältnisse und der Großmächte Europas eine straffere Organisation, ein Staatsgebilde überhaupt schaffen, und jetzt kann er es nicht, oder es wird ihm jedenfalls so blutsauer, daß man an dem Gelingen zweifeln muß, wenn man auch in wohlwollender Weise den Willen annimmt.
Es ist so viel über den Kongostaat gesprochen worden, ohne daß bis vor kurzer Zeit in Deutschland eine klare Vorstellung über ihn herrschte, daß es wohl wünschenswert ist, einige Worte über die Organisation im allgemeinen vorauszusenden, ehe ich auf unsere Beobachtungen im einzelnen eingehe.
Was ist der Kongostaat? Es gibt eine einzige richtige Antwort darauf: Der Kongostaat ist eine Privatkolonie, ein Privatgeschäft des Königs Leopold II. von Belgien, der ein genialer Kaufmann sondergleichen und ein so routinierter Geschäftsmann ist, wie man ihn auf einem Throne nicht vermuten sollte. Die Frage, ob diese Tatsache mit der Absicht des Begründers des Kongostaates, unseres Bismarck und der bei der Gründung beteiligten Großmächte Europas übereinstimmt, geht mich hier nichts an. Ich habe hier nur zu schildern, wie mir das Wesen und die Art des Kongostaates, den ich während etwa 1½ Jahren als Chef der Deutschen Inner-Afrikanischen Forschungs-Expedition (D. I. A. F. E.) bereist habe, entgegengetreten ist. Und da ist denn bezeichnend, was mir der Herr Generalgouverneur Baron Wahis und der erste Staatsanwalt im Kongostaate, Herr H. Weber, gesagt haben: daß man nämlich nicht kritisieren darf im Kongostaate. Tatsächlich sind es lediglich die fremden Mächte, welche einen »Druck« ausüben können, der aber im Innern nicht respektiert wird. So sagte mir in Gegenwart meines Begleiters, des Kunstmalers Hans Martin Lemme, der Generaldirektor des oberen Kongo, Herr Deuster: »Sie wissen so gut wie ich, daß die Dekrete nur gegeben sind, um eine gewisse (englische) Presse zu beruhigen. Sie wissen so gut wie ich, und es werden Ihnen auch andere schon gesagt haben, daß man nach den Dekreten überhaupt keine Expedition führen kann.« In der Tat steht über dem Willen des Besitzers des Kongostaates keine Macht. Ich habe es erlebt, daß der Generalgouverneur einen Befehl des Staatsanwalts, sich bei demselben einzustellen, ohne diesen zu fragen, annullierte. Das sind kleine Beispiele für den Grundzug des Ganzen. Der König hat allen Grund und Boden, der nicht gerade von Häusern der Eingeborenen bestanden ist und den sie augenblicklich nicht gerade für ihre Felder ausgenutzt haben, für Eigentum des Staates erklärt; fernerhin hat er noch eine Teilung vorgenommen und ein sehr beträchtliches Stück dieses Landes für sich persönlich beschlagnahmt und läßt dies nun so ausnutzen, daß die Arbeitskräfte und Unkosten zwar der Staat bezahlt, das Einkommen aber in seine Tasche fließt. Das ist das Gebiet der berühmten »Domaines de la Couronne«.
Zu Zeiten der Gründung des Kongostaates hat es gar manchen Privatmann und gar manche private Gesellschaft gegeben, die sich bemühten, am Elfenbein- und Kautschukreichtum des Kongostaates mitzuverdienen. Hatten sich doch die europäischen Großstaaten Handelsfreiheit ausbedungen! Der König verstand es aber ausgezeichnet, diese Privatunternehmungen entweder ganz zu verdrängen oder sich als Mitbeteiligter hineinzuschieben. Man kann sagen, und es liegt mir das traurigste Beweismaterial hierfür vor, daß sämtliche Kompanien, an denen König oder Staat (bekanntlich hat auch die belgische Kammer nicht durchzusetzen vermocht, daß der König eine klare Erklärung darüber abgibt, wo die Grenzen zwischen »König« und »Staat« im Budget zu suchen sind, da alle Einnahmen zum Besten der königlichen Kasse verschleiert werden!) nicht beteiligt sind, im Rückgange oder Untergange begriffen sind. Da die »Compagnie du Kasai«, deren Territorium es war, welches wir am besten kennen gelernt haben, eine der Schöpfungen der wirtschaftlichen Fusionspolitik des Königs mit Berücksichtigung seiner eigensten Vorteile erwähnter Art ist, so muß ich auf diese Dinge etwas des näheren eingehen. Man mag dann hieraus ersehen – um so auf den einleitenden Gedanken zurückzukommen –, inwieweit ein Entwicklungsgang wie der unserer Kolonialentwicklung entgegengesetzte für die Kolonie selbst und für das Wirtschaftsleben der Menschheit überhaupt ersprießlich ist oder nicht.
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Der Kassai ist der südliche, größte Nebenstrom des Kongo. Der seinem Abwässerungsgebiete zugehörige Teil des Kongostaates entspricht, grob genommen, an Größe etwa Deutschland. Aber Deutschland hat keinen gleichbedeutenden Strom, vor allen Dingen keinen Strom von der Art seines Bettes. Bezeichnend ist es, daß er an einer Stelle ungefähr fünfzehn Kilometer Breite hat. Seine Gewässer werden hergestellt durch den Abfluß des südafrikanischen Plateaus nach Norden. Der längere südliche Teil seines Laufes, d. h. soweit er auf und vom Plateau rinnt, ist Dampfern nicht zugänglich. Aber das ganze Netz seiner Wasseradern ist etwa vom fünften Breitengrad ab nach Norden für Dampfschiffe bis zu dreißig Tonnen Gehalt schiffbar. Diejenigen, welche das Kassaigebiet eröffnet haben, waren bis auf eine Ausnahme sämtlich Deutsche. Im Jahre 1876 eröffnete Dr. Pogge von Angola kommend den Weg zu Muata Jamwo. 1880-83 eröffnete er den Weg von Angola über das heutige Luluaburg nach Nyangwe und Ostafrika. Sein berühmter Begleiter war Hermann Wißmann. Pogge kehrte damals nach Luluaburg zurück, erwarb ein kleines Gebiet von Kalamba und baute sich an. Infolgedessen war Dr. Pogge, ein Deutscher, der erste eigentliche Ansiedler im Kassaigebiete. Nach dieser Expedition kam vom 1883-85 die zweite Kassai-Expedition mit Hermann Wißmann, Dr. Ludwig Wolff, Kurt von François, Hans Müller und Franz Müller nach Luluaburg. Sie bauten die Farm Pogges weiter aus und gründeten die Feste Luluaburg. Darauf entdeckten und eröffneten sie, den Strom in Booten hinabfahrend, den Lauf des Kassai bis zur Aufnahme des Lukenje und seiner Mündung in den Kongo. Von Westen her erforschten Kund und Tappenbeck, Dr. Büttner, Schulze, Dr. Mense, Dr. Wolff das Kwango- and Lukenjebecken. Dr. Ludwig Wolff kehrte mit einem kleinen Dampfer zum obersten Kassai zurück und erforschte den Lauf des Sankuru. Wißmann kehrte zurück und führte mit seinem Begleiter Le Marinel eine Expedition nach Osten. Seitdem ist Le Marinel der einzige, von dem eine wissenschaftliche Bearbeitung einer Route im Kassaibecken bekannt geworden ist. 1904 führte ich als Leiter der dritten deutschen Kassai-Expedition die D. I. A. F. E. erst zum Kwilu, dann zum mittleren Kassai und endlich vom oberen Lulua zum Sankuru und den Sankuru hinunter. Das also ist in groben Zügen die wissenschaftliche Erforschungsgeschichte des Kassaibeckens.
Es war selbstverständlich, daß eine so wunderbare Wasserstraße zur Entwicklung des Handels herausfordern mußte. Die Société anonyme Belge pour le commerce du haut Congo (schlechtweg S. A. B. genannt) war die erste Gesellschaft, welche neben dem holländischen Haus, der Nieuwe Afrikaansche Handels-Vennootschap (auch N. A. H. V. genannt) sich im Kassaibecken ansiedelte. Beide Kompanien brachten es bis zum Jahre 1902 bis auf je vierzig Tonnen Kautschuk-Produktion im Monat. Neben diesen beiden ließen sich nach und nach noch eine ganze Reihe von verschiedenen Kautschukhäusern nieder, von denen aber im Jahre 1901 nur noch zwölf am Leben waren. Aber da alle diese Kompanien immer möglichst da ihre Faktoreien anzulegen suchten, wo just der Kautschukhandel florierte, so war die Folge, daß im Jahre 1901 infolge der großen Konkurrenz ein Teil der kleinen Gesellschaften dem Bankrott gegenüberstand. Diesen Moment nutzte der Staat sehr praktisch aus. Er ließ einen der bestangeschriebenen Freunde des Staates, den Hauptinhaber einer der bestgehenden kleinen Kompanien, Vorschläge zu einer großartigen Fusion machen. Viele Kompanien waren einverstanden, die S. A. B. und das holländische Haus wurden in geschickter Weise zum Anschluß gedrängt und so entstand denn 1902 die große »Compagnie du Kasai«. Die Aktienkompanie, die so gegründet wurde, basierte auf einem Kapital von 1 500 000 Franken. Die Aktien wurden zu je 200 Franken ausgegeben. Von den 6000 Aktien waren 4020 veräußerlich. Die Hälfte der letzteren wurde dem Kongostaat, die andere den der Gruppe beigetretenen vierzehn diversen Gesellschaften je nach ihrer Bedeutung als »parts bénéficaires au porteur, sans désignation de valeur« zugeschrieben. Hier haben wir die typische Erscheinung.
Wenn der Hauptorganisator, Herr Lacourt, die Aufgabe der Organisation und Administration in Europa in glänzender Weise löste, so gelang dies dem zweiten Leiter, dem Oberstabsarzte der belgischen Armee Dr. Dryepondt (bezeichnenderweise ein früherer Staatsbeamter) in gleich ausgezeichneter Weise. Ich habe beide Herren persönlich kennen und in ihrer Art hoch schätzen gelernt. Sie haben sich beide alle Mühe gegeben, die Arbeiten meiner Expedition zu unterstützen, und ich bin ihnen deswegen zu bestem Danke verpflichtet. Dr. Dryepondt ist uns ein lieber Freund geworden und es verdient alle Anerkennung, daß Herr Lacourt mich gebeten hat, mit möglichster Klarheit unsere Beobachtungen zum Ausdruck zu bringen, welchem Wunsche ich hier nachkomme.
Wenn der Effektivbestand auf eineinhalb Millionen Franken festgesetzt wurde, so ist bemerkenswert, daß der Hauptwert in den verschiedenen im Lande vorhandenen Faktoreien und ihrem Warenlager bestand, und daß das eigentlich spielende Kapital doch nur etwa 25 000 Franken betrug. Da der Staat mit eigenen Geschäftsunternehmungen nicht beigetreten ist, so ist also sein Anteil, auf die Hälfte der Aktien berechnet, nicht etwa auf eine Kapitalunterstützung zurückzuführen, sondern auf eine Konzessionsabtretung, welche zwar nicht offiziell, wohl aber dem Tatbestande nach wirklich eingetreten ist. Denn der Staat hat mit dem Fall Amaro den Beweis erbracht, daß er sich alle Mühe gibt, das Kautschuk- und Elfenbeinmonopol der Kassai-Kompanie, an der er ja mit der Hälfte beteiligt ist, auch zu sichern.
Sobald die Administrationsfrage in Europa erledigt war, reiste der Direktor Dr. Dryepondt nach Afrika, und ihm fiel die schwierige Aufgabe zu, die nach den verschiedensten Systemen engagierten Beamten der vierzehn Gesellschaften der Fusion unter den Hut eines einheitlichen Kontraktes zu bringen. War dies schon manchmal bei den Beamten nicht ganz einfach, so war das noch schwieriger hinsichtlich des Warenbestandes. Alle Preise mußten auf Normaltarife gebracht werden. Die allerverschiedenartigsten Erzeugnisse europäischer Industrie standen zur Konkurrenz, aber während einige Gesellschaften, wie z. B. das holländische Haus, außerordentlich wertvolle Stoffe auf ihren Lagern besaßen und eingebürgert hatten, hatten andere Gesellschaften nicht auf den Wert, sondern auf die Masse als Bestechungsmittel für den Schwarzen gerechnet und hatten das allerminderwertigste Stoffmaterial auf dem Lager. Weiterhin mußten die verschiedenen Dampfer zu einem einheitlichen Verkehrssystem zusammengebracht werden und endlich galt es, das ausgenutzte Gebiet weit über den jetzigen Raum hin auszudehnen, da zur Zeit der Gründung in Wahrheit etwa nur die Hälfte des ganzen konzessionierten Gebietes »exploitiert« wurde. Alle diese Aufgaben löste Dr. Dryepondt in der geschicktesten Weise. Mit der Methode, die ich im nachfolgenden zu skizzieren versuche, erreichten es die Leiter der Kassai-Kompanie, daß im Jahre 1905 schon über fünf Millionen, im Jahre 1906 aber zehn Millionen ausgeschüttet werden konnten.
Diesem großen Resultate gegenüber muß aber die Frage aufgeworfen werden, ob der Entwicklungsgang der Ausnutzung dieses Gebietes, der fraglos bestehende Konzessionserfolg auch einen Erfolg für den wirtschaftlichen Wert der Kolonie bedeutet. Machen wir uns hier ganz einfach das Rechenexempel klar: da für den Kautschuk nur etwa ein Neuntel von dem Wert bezahlt wird, der in Europa realisiert wird, also zehn Millionen Franken an Kautschuk nur etwa eineinzehntel Million Franken Ankaufspreis repräsentieren, da auf den Waren, die zu diesem Kaufpreise kalkuliert sind, schon die ganze Summe der Unkosten lastet, so ist der Wert der Waren, die eingeführt sind, außerordentlich minimal. Im folgenden werde ich diesen Tatsachen nun nachgehen.
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Alle wirtschaftlichen Kompanien des Kongo werden wie der Staat selbst von Brüssel aus »administriert«. Die Direktion in Afrika ist eine ausführende. Sie kann anregen, mag Gedanken geben, die Entscheidung aber liegt immer in Brüssel. Wo Direktion und Administration sich immer in die Hände arbeiten, da ist es gut. Das ist aber nicht immer der Fall und es entstehen mancherlei Schwierigkeiten und Hindernisse. In dieser Teilung der Leitung liegt für die Zukunft eine große Gefahr. Es sieht doch in Afrika manches anders aus, als es in Europa gewollt wird. Dazu kommt die Dauer der Befehlsübertragung. Schon heute kommt es vor, daß irgend ein Zustand, dessentwegen in Brüssel von der afrikanischen Direktion angefragt wird, sich, wenn die Antwort ankommt, schon vollständig umgebildet hat, so daß die Antwort auf den jetzigen Zustand nicht mehr paßt. Ein derartiges System mag gut sein für eine Küstenfaktorei, die jeden Moment telegraphisch mit ihrer Europazentrale in Verbindung zu setzen ist, es paßt aber nicht auf das ganze Kolonialsystem.
Ich sage, es paßt nicht. Wer die Kolonialgeschichte von den Zeiten der alten Phönizier und Griechen an mit Aufmerksamkeit verfolgt, dem drängt sich unwillkürlich der Vergleich mit der Pflanzenwelt auf. Eine Pflanze kann sich unter anderen nach zwei Arten fortpflanzen: erstens durch Auswurf des Samens nach vollendeter Blütezeit, zweitens durch einen Wurzelausläufer, Rhizom genannt. Die erste Form entspricht der Ausdehnung der Kultur im allgemeinen, die das wirtschaftliche Band verliert. Ich denke da z. B. an das Auswandern unserer Bauern nach Südamerika. Das Verhältnis stirbt ab in dem Momente der Auswanderung. Das Mutterland verliert von vornherein die wirtschaftliche Beziehung. Die Bildung einer wirtschaftlichen Kolonie aber entspricht der Fortpflanzung einer Erdbeere. Ein feiner Faden zieht sich über das Land hin, faßt an seinem Ende den Boden, ein junges Pflänzlein keimt auf. Das ist Rhizombildung, das ist gesunde Kolonialbildung. Der verbindende Faden muß absterben, das Pflänzlein muß selbständig werden. Wenn die jungen Keime aus der neuen Wurzelbildung sprießen, gibt die Mutter Erdbeere keinerlei Gesetze mehr. So soll es auch mit den Kolonien sein. Das geschieht aber nicht so im Kongostaate und nicht so in der Kassai-Kompanie. Und das ist ein großer Schaden. Wäre der Kopf dieser Institutionen in Afrika, so würde die Leitung von Staat und Kompanie zum besten der Kolonie denken und auf deren Wachstum bedacht sein. Wie es aber ist, so denkt dieser Kopf in Europa immer nur daran, was für ihn und Europa gut sei. Und das ist die Grundlage der ganzen Anordnung, von der aus wir nun die ausführenden Organe und das Wesen der Kassai-Kompanie beurteilen müssen.
Die afrikanische Direktionszentrale der Kassai-Kompanie lag früher in Butala am unteren Sankuru. Vor einigen Jahren wurde sie aber nach Dima verlegt, welches am Kassai und zwar ziemlich in der Gegend der Kuangomündung gelegen ist. Die Verlegung entspricht absolut dem System der afrikanischen Leitung. Das ganze Leben in allen Teilen des Kongostaates ist geregelt durch ein Ein- und wieder Ausströmen. Es handelt sich nicht um ein Festwachsen oder Selbständigwerden. Und es soll alles durch ein Tor geleitet werden. Dieses Tor ist für den Staat natürlich der untere Kongo mit Boma. Es ist für die einzelnen Kompanien immer derjenige Punkt, der diesem großen Ausgangstor am nächsten gelegen ist. Deshalb war es für die Société anonyme Belge bis vor kurzem Kinshassa, der Endpunkt der Schiffahrt am Stanleypol. Deshalb muß für die Kassai-Kompanie der Ausgangspunkt nach Westen am Kassai selbst gelegen sein. Diese Konzentration nach dem einen Tore zu kommt übrigens noch bei anderen Fragen zum Ausdruck. Bekanntlich hat der Kongostaat in einer ebenso energischen wie gegen Deutschland unfreundlichen Weise den seinerzeit stark nach Deutsch-Ostafrika flutenden Handel mit Aufbietung großer Kräfte unterbunden. Typisch ist hierfür, was mir vor einigen Jahren ein hoher Kongostaatsbeamter sagte: »Es ist ja wahr, daß die Araber recht viele Grausamkeiten auf dem Gewissen hatten. Es wäre aber wohl möglich gewesen, sie zu einer ordentlichen Lebens- und Handelsführung zu bestimmen. Deswegen war der große Krieg gegen die Araber nicht nötig. Wohl aber schädigte der arabische Handel unsere Interessen. Er führte die wertvollen Produkte nach Osten aus und machte es uns unmöglich, für unsere Zwecke jene Gebiete auszunutzen. Deswegen mußten die Araber vernichtet werden und diesem Zwecke dienten die fünfundzwanzig Millionen Franken, die Belgien seinerzeit dem Kongostaat für Vernichtung der Araber gegeben hat.« – Also koste es, was es wolle: Ein- und Ausfuhr durch das große Kongotor.
Dima ist der große Zentralpunkt. In Kinshassa am Ende der Eisenbahn ist ein Transitagent etabliert. Er nimmt die neuankommenden Angestellten und die europäischen Waren in Empfang und verlädt sie auf die Dampfer, welche zwischen Dima und Kinshassa hin- und herfahren und von Dima aus Kautschuk und Elfenbein zur Abführung über die Eisenbahn bringen. In großen, wunderschönen Lagerhäusern werden die Waren in Dima aufgestapelt und je nach den Bedürfnissen nach den verschiedenen Richtungen versandt. Und jeder Dampfer, der Waren fortbringt, führt den Kautschuk jener Gebiete zurück. Ebenso ist es mit den Angestellten. Jeder Angestellte meldet sich in Dima, wenn er neu ankommt und wenn er nach Ablauf seines »Terme«, d. h. seiner Dienstzeit oder wenn er »revoziert«, d. h. strafweise abberufen ist, nach Europa zurückkehrt.
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Die Leitung der Kassai-Kompanie in Afrika ist also in Dima zu Hause. Im übrigen ist das Territorium in zwei Inspektionen gegliedert, von denen die eine die westlich vom oberen Kassai gelegenen Ländereien, die andere die nach Osten sich erstreckenden Gebiete umfaßt. Jede Inspektion zerfällt wieder in Abschnitte, »Secteure«. Das Land ist eingeteilt in etwa fünfzehn derartige Abschnitte. Je ein Inspekteur bereist kontrollierend sein Inspektionsgebiet. Jeder Abschnitt wird geleitet von einem Chef de Secteur, dem die Aufgabe zufällt, die Kautschuk- und Elfenbeinproduktion seines Gebietes zu überwachen. Unter ihm stehen die Gérants, denen wieder Unterbeamte, Adjoints zur Verfügung stehen. Der Gérant hat seine Faktorei. Er ist verantwortlich für Warenlager und Buchführung, die er jeden Monat abzuschließen hat. Von Zeit zu Zeit erscheint sein Chef de Secteur und nimmt eine Revision der Buchführung und eine Inventur des Magazins vor. Jedes Jahr ungefähr einmal erscheint der Inspektor und nimmt eine Superrevision vor. Dann und wann macht sich auch der Direktor auf und revidiert hie und da einmal.
Am Ende des Monats hat der Gérant seine Monats-»comptabilité« nach Dima zu senden. In Dima werden die sämtlichen Abrechnungen gesammelt und nach Brüssel geschickt. In Brüssel weiß man also jeden Monat über den Bestand an Waren und Kautschuk ungefähr Bescheid. Dem entspricht die Stellung des Chefs der Comptabilité in Dima, der neben dem Direktor die wichtigste Persönlichkeit ist. Diese Leitung der Geschäfte ist außerordentlich streng, und es ist mir auch verständlich, daß dies der Fall sein muß, da hiervon ein Teil des Reüssierens abhängt. Immerhin habe ich bemerkt, daß bei einem großen Teile der Abrechnungen beträchtliche Fehler vorkamen, die sich stets bei der Inspizierung und Inventur herausstellen. Der Grund für diese Erscheinung ist nicht schwer zu erkennen. Einmal nämlich ist es ziemlich sicher, daß in den Magazinen von den Negern verhältnismäßig häufig gestohlen wird; zum zweiten steht den Beamten wohl das Recht zu, auf ihre Kosten kleine Mengen aus den Warenlagern zu entnehmen, im allgemeinen rechnen aber die jungen Leute ihre Ausgaben nicht an. Und sie haben eigentlich immer Ausgaben, denn erstens hält sich jeder Weiße natürlich einen Boy, meistens auch noch einen Koch, dann einen Boy für den Koch und dann auch noch eine schwarze Signora, die für das Glück in der kleinen Hütte sorgen soll. Das alles will monatlich bestofft und rationiert werden. Da geht denn manches Kilo Salz und mancher Braß Stoff hin. Der Gérant trägt das nicht gerne in die Bücher ein und hofft durch etwas billigeren Kautschukeinkauf die Lücke wieder ausfüllen zu können. Meistenteils täuscht diese Annahme. Denn wenn die Herren sich auch noch so viel Mühe geben, das Maß für die Eingeborenen möglichst knapp zu halten (ein beliebtes Mittel beim Auszahlen von Perlen und Salz im Löffel ist z. B., daß man in den Löffel noch eine Delle drückt), so entstehen doch noch andere kleine Defizite, die auch gedeckt sein wollen. Der Gérant bekommt z. B. den Sack Salz zu 39 Kilo überliefert, den er mit 39 Franken zu buchen hat. Meist hat das Salz im feuchtdampfigen Lagerraum des Dampfers schon an Gewicht verloren. Wird der Sack noch über Land transportiert, dann kommt er womöglich in Regen und das Gewicht nimmt abermals ab, und wenn er längere Zeit im Warenspeicher ruht, so saugt das Salz doch wieder die Feuchtigkeit der Luft an, sickert ab und verdampft beim Trocknen; und so nimmt das Salz im Laufe einer Regenzeit immer an Gewicht ab. Mit diesem Defizit muß der Gérant auch rechnen. Fernerhin kann er nach gutem afrikanischen Brauche kaum umhin, den Häuptlingen und angesehenen Leuten des Landes von Zeit zu Zeit Geschenke zu machen. Und doch steht ihm das Recht hierzu eigentlich nicht zu. Das Recht hat nur der Chef de Secteur, und wenn der Gérant solche Ausgaben macht, geht es auf seine Kappe. Weiterhin: dem Gérant steht eine gewisse Summe zur Verfügung, die er in Waren seinem Lager entnehmen kann, um sich frische Lebensmittel zu kaufen. Dieser Betrag reicht im allgemeinen hin, aber die meistenteils einer kleinen Schlemmerei wohlgeneigten Herren überschreiten diesen Betrag außerordentlich häufig. Wer dem süßen Getränke zuneigt, kauft wohl öfter Palmwein, als nötig ist, oder hält sich einen Palmweinzapfer – wieder eine ungebuchte Ausgabe.
Auf solche und gar manche andere Weise noch stellen sich die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten von kleinen Ausgaben ein, die alle im einzelnen nicht viel bedeuten und deswegen nicht eingetragen werden, die sich aber doch recht summieren und im Laufe der Zeit die Quellen größerer Mankos werden. Leute von praktischer Geschäftskenntnis, die einen soliden Lebenswandel gewöhnt sind und durch Genüsse der Bildung, die man sich in Afrika ebenso leicht verschaffen kann wie in Europa, wenn sie auch natürlich anderer Art sind, ein Gegengewicht gegen die mit der drohenden Langeweile immer herandrängende Gefahr der materiellen Genußsucht zu halten wissen, vermögen derartige Irrtümer natürlich einzudämmen. Der übliche Typus der unteren Beamten der Kongo-Kompanien, den wir uns im folgenden vergegenwärtigen wollen, ist aber für derartige Lebensführung nicht sehr geeignet.
Der Kongo ist auch in Belgien in ganz unbilliger Weise zunächst des Klimas wegen verschrien. Es ist ganz falsch, wenn man in Deutschland glaubt, die Belgier wären begeisterte Kolonialpolitiker im Sinne des Kongostaates oder die Belgier wüßten in Dingen des Kongostaates besser Bescheid als die Deutschen. Das ist absolut nicht der Fall. Der Belgier mißtraut, und das kann man aus den Kammerverhandlungen sehen, nicht nur dem Klima, sondern vor allen Dingen auch den spärlichen volksinstruierenden Publikationen des Staates fast noch mehr als der Deutsche. Der Weg nach dem Kongo gilt gewissermaßen als »letzte Rettung«, und die meisten Familien wehren sich bis aufs äußerste, wenn ihre Söhne an den Kongo wollen. Die Belgier halten das Klima für viel schlechter, als es wirklich ist. Hier trägt die Schuld einerseits die teilweise noch heute recht hohe Sterblichkeitsziffer, andererseits die Tatsache, daß auch heute noch viele, besonders jüngere Leute, recht krank nach Belgien zurückkehren.
So darf man denn die junge Mannschaft, die zum Kongo fährt, nicht etwa mit jenem Typus der jungen Kaufmannschaft vergleichen, die man z. B. aus Deutschland und England, entsprechend vorgebildet, mit starkem Willen und materiell gut ausgestattet, hinausströmen sieht. Verschiedene Direktoren verschiedener Kompanien haben mir ihr Herz darüber ausgeschüttet, wie schwer es sei, ein brauchbares Beamtenpersonal zu erhalten. Und in der Tat haben meine Erfahrungen mich gelehrt, daß das Material meist recht wenig geeignet ist. Ich habe im wesentlichen zwei Kategorien erkannt, die zum Kongo »fliehen«. Erstens sind es eine Unmasse unglücklich verheirateter Eheleute; der Prozentsatz ist erstaunlich groß. Eine Ehescheidung in deutschem Sinne gibt es in Belgien nicht; es gibt dort nur eine Trennung. Und da in Belgien viele junge Männer sehr früh heiraten, so kommen natürlich viele Enttäuschungen vor. Zu dieser Kategorie rechne ich auch unglücklich Verliebte oder solche, die irgend eine Liebesdummheit gemacht haben und sich besser für einige Zeit zurückziehen. Dies Material ist für die wirtschaftliche Kolonialarbeit nicht geeignet. Man soll nicht in eine Kolonie fliehen, sondern man soll sie erstreben. Man soll sich für sie vorbereiten und soll das Kolonialleben nicht als einen Betrieb für »letzte Zuflucht« ansehen. Dies kommt noch mehr in Betracht bei der zweiten Kategorie, das sind nämlich diejenigen Leute, deren materielle oder gesellschaftliche Basis in Europa erschüttert worden ist. Man sieht Leute der merkwürdigsten Berufe hier als Kaufleute auftreten. Nur für die allerwenigsten ist der Beruf, dem in der Heimat gelebt wurde, eine solide Vorbildung für das afrikanische Wirtschaftsleben gewesen. Unter denen, die nicht zu den erwähnten beiden Kategorien gehören, fällt vor allen Dingen die große Zahl der verabschiedeten Unteroffiziere auf. Die Stellung eines Unteroffiziers ist sicher eine sehr ehren- und schätzenswerte, aber ich habe es nie verstehen können, inwieweit sie eine vernünftige Grundlage für afrikanische Erwerbsarbeit in hier in Betracht kommendem Sinne sein kann.
Ich habe verschiedene Herren kennen gelernt, mit denen ich sehr gute Freundschaft gepflogen, aber bedauerlicherweise hat der größte Teil derselben sich unserer Arbeit gegenüber, trotz der Befürwortung der Kompanie, passiv und auch mit ostentativer Opposition verhalten. Die meisten von ihnen hatten überhaupt kein anderes Interesse, als möglichst viel Kautschuk einzubringen. Die Mußestunden dieser Leute boten nicht gerade den Raum für die stets erhebende Naturbetrachtung. Es fehlte auch in den meisten Fällen an genügenden Vorkenntnissen. Ich habe Leute gesehen, die ohne eine Ahnung von dem, was ihnen in Afrika entgegentreten würde, dorthin gepilgert waren. Ewig im Gedächtnis wird mir die Figur eines korpulenten kleinen Kaufmanns bleiben, der mit uns zum Kongo fuhr und wenige Wochen nach der Ankunft starb. Er hatte sich alles so anders vorgestellt, und wie er die Eingeborenen mit ihren Bogen und Pfeilen sah, überkam ihn die Furcht und – er erschoß sich. Gar mancher geht mit dem besten Willen hinaus. Er ist jung und war daheim in einer abhängigen Stellung, und da er immer überwacht wurde, so mag er in seinem Berufe tüchtig gewesen sein. Hier ist er nun aber als Adjoint auf einen einsamen Posten, vielleicht im Walde, gesetzt, sein Horizont wird eingedämmt durch die mächtigen Wände der üppigen Tropenwelt, deren Zauber er nicht verstehen kann, da ihm jede Kenntnis und Vorbildung fehlt. Da mag er sich gar oft in ein wenn auch primitives, so doch materiell lustbares Leben hineingedrängt sehen. Der Palmwein erscheint ja anfangs so billig, und hübsche, braune Mädchenarme winken von allen Seiten; vielleicht hat er zu Hause mit Nahrungssorgen gekämpft und hier braucht er nur ein Stück Stoff aus dem Magazin zu nehmen, um mit Hülfe der Ravitaillement-Gewürze ein leckeres Mahl zu erhalten. Er muß schnell die Sprache der Eingeborenen erlernen, mit denen er abends seinen Palmwein schlürft, und da er den Leuten nichts zu bieten vermag, das höheren geistigen Wert hat und womit er sie zu sich hinaufziehen kann – sei es auch nur in der Begeisterung einer Stunde, denn viel weiter als bis über den Anlauf hinaus bringt es der Negergeist im allgemeinen nicht –, so sinkt er mit seinem geistigen Interesse gar bald auf das Niveau des üblichen Negertums hinab, aus dem er doch wieder nicht die Goldkörner anderer Denk- und Kulturweise herauszuspüren versteht.
Es ist der übliche Lebenslauf: Im ersten »Terme«, in welchem der junge Mann als Adjoint drei Jahre lang bieder arbeitet, aber wenig verdient, da sein Gehalt sehr klein und seine Kautschukprovision sehr gering, seine Ausgaben aber sehr bedeutend sind, verdient er kaum mehr als einige tausend Franken. Diese werden ihm nach seiner Rückkehr in Brüssel ausgezahlt. Der junge Mann hat in seinem Leben wohl noch nicht so viel beisammen gesehen. Er vergißt, wie sauer ihm das Verdienen ward. Das Leben, das nun anhebt, ist in Brüssel berühmt, das Quartier der »Kongolesen« berüchtigt. Nach ganz kurzer Zeit ist das Geld vergeudet und natürlich die Gesundheit ruiniert. Die Wiederakklimatisation in Europa ist noch nicht vollendet, da erscheint der junge Mann wieder an der Tür seiner Kompanie und drängt wieder zurück zum Kongo. Er geht diesmal als Gérant hinaus, nun mit dem Vorsatz, ordentlich zu verdienen. In der Katerstimmung mag er schwören, wenn er jetzt wieder heimkomme und etwas mehr habe, recht sparsam zu sein, um ein kleines Geschäft anzufangen. In Afrika bemüht er sich auch, »ordentlich« zu verdienen. Aber der Mann sieht nun ganz anders aus. Seine Absicht, ordentlich verdienen zu wollen, ist wie ein Fluch, der über seinem Haupte schwebt und der ihn zu mancher Torheit verführt. Seine Gesundheit wird durch die abermalige Akklimatisation geschwächt. Es ist eine bekannte Erfahrung, daß gerade diese Leute, die den zweiten Terme beginnen, gar sehr dem Schwarzwasserfieber ausgesetzt sind. Außerdem ist er nervös geworden, denn jene weißen Arme, die in Brüssel so schnell die mit Geld heimkehrenden Jünglinge umschließen, haben ihn zu häufig und zu lange umfaßt. Jetzt ist der Mann »ein alter Kongolese«. Wehe, wenn er auf einen Posten versetzt wird, der nicht einer häufigen und gründlichen Kontrolle unterworfen ist. Denn jetzt will er ja »ordentlich« verdienen.
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Begeben wir uns nunmehr an einen solchen Platz des Kautschukhandels. Vierzehn Dampfer besorgen den Transport im tieferen Wasser. Gewässer aber, die entweder zu viele Untiefen aufweisen oder aber steinig und gefährlich sind, wie z. B. der Loango, werden mit großen Stahlruderbooten befahren. Die Kompanie hat selbst eine Reparaturwerkstatt in Dima angelegt. Hier konnte ich die außerordentliche Leistungsfähigkeit der Neger, wenn sie gut geleitet werden, beobachten. Die Wakussa-Batetela-Schmiede, welche hier arbeiten, sind direkt aus dem zünftigen Zustande idealster Menschenfresserei hervorgegangen und schaffen ihr Werk doch besser und feiner als mancher europäische Dorfschmied. Wenn wir nun von Dima, sei es den Kuilu oder den Kassai selbst oder den Sankuru hinauffahren, treffen wir etwa jeden zweiten Tag eine Faktorei, die auf einer hohen Uferböschung gelegen ist. Die Kompanie besitzt ungefähr fünfzig Stationen, von denen etwa die Hälfte direkt durch Dampfschiff, die andere Hälfte aber entweder durch Stahlboot oder zu Fuß, weit im Inlande belegen, erreicht werden kann. Außer diesen Faktoreien sind noch eine ganze Reihe kleiner Posten vorgeschoben, in denen Adjoints oder »Kapitas« leben.
Die Faktoreien sind einander außerordentlich ähnlich. Um einen mehr oder weniger großen Platz liegen: ein Wohnhaus mit zwei Zimmern als Schlafzimmer und Bureau des Agenten, ein Warenspeicher, ein Kautschuktrockenspeicher, gewöhnlich ein mehr oder weniger großer Pavillon für Besucher (Inspecteur, Chef de Secteur) und im Hintergrunde die Küche auf der einen und Klosett auf der anderen Seite. Die Häuser sind alle nach dem Prinzip des arabisch-afrikanischen Wohnhauses gebaut: eine etwas erhöhte Plattform aus Lehm geschlagen, geschlagene Lehmwände, ein mächtiges Blätter- oder Strohdach, welches über die Mauern weit vorragt und so einer sehr breiten Veranda Raum gibt. Das Lattengerüst ist vollständig gebunden. Nur der Kautschuktrockenboden hat keine Lehmwände. Der Wind muß durchstreichen können, und hierfür ist die Wand aus den Blattstengeln der Bambuspalme die geeignetste. Im Hintergrunde der Station wohnen die schwarzen Arbeiter in Häusern, die meist nach der Art ihres Heimatlandes gebaut sind. Die kleinen weiter vorgeschobenen Posten, in denen Adjoints dem Kautschukhandel nachgehen, sind oft recht kümmerlich, während dagegen die größeren Transit-Stationen, welche auch Sitz der Abteilungschefs sind, recht weitläufig angelegte Gebäude aufweisen. Dima macht schon einen sehr stattlichen Eindruck. Stehen doch hier schon zwei Häuser, die aus gebrannten Ziegeln gebaut sind. Die kleine Villa des Direktors weist manchen hübschen Luxus auf, wie ja denn überhaupt Dr. Dryepondt mit seiner behaglichen Naturbetrachtung und seinen freundlichen Kulturbestrebungen himmelhoch über den Durchschnitt der hier arbeitenden europäischen Intelligenz erhaben ist.
In den englischen Kolonien der Westküste besteht ein Uebergangstypus zwischen der leitenden europäischen Intelligenz und der ungebildeten, mehr oder weniger gänzlich unerzogenen eingeborenen Arbeiterschaft. Das ist der Clerk. Dieser Typus fehlt im Kongostaate so gut wie ganz; nur einige der gebildeteren Handwerker in Dima und vielleicht zwei nach dem Inlande vorgeschobene, des Englischen und der Schreibkunst kundige Clerks von der Goldküste haben Verwendung gefunden. An seiner Stelle hat das portugiesische System Einzug gehalten, demzufolge der Europäer sich aus seinen Arbeitern den intelligentesten und einflußreichsten aussucht und ihn zum Führer derselben, zum Kapita ernennt. Der Kapita arbeitet selbst wenig, hat aber alles zu beaufsichtigen; er führt im allgemeinen die Strafen aus und nimmt eine Stellung ein, die etwa der eines Unteroffiziers im Zuge entspricht. Kapita werden aber auch diejenigen Leute genannt, die einzeln oder zu zweien in das Inland wandern und bei den eigentlichen Eingeborenen einquartiert sind, die sie teils zur Kautschukproduktion anregen sollen oder mit denen sie Elfenbein- und Kautschukhandel treiben. Etwa jeden Ersten im Monat kommen die Kapitas auf der Station des Gérant zusammen, liefern den Kautschuk ab und nehmen Waren dafür in Empfang. Nur verhältnismäßig selten bringen die Häuptlinge resp. die Eingeborenen des Landes selbst den Kautschuk auf die Stationen, um ihn zu verkaufen. Man kann sagen, daß die alten schwarzen Urwaldvölker, bei denen die Frauen alle Arbeiten verrichten, dies im allgemeinen nicht tun, während die braunen Söhne der südlichen Steppe, in deren Stammesbrauch die Männerfeldarbeit Aufnahme gefunden hat, sich recht leicht zur selbständigen Produktionsarbeit anregen lassen. So kommt es denn auch, daß in den Distrikten der alten schwarzen Waldvölker das System der braunen Kapitas Einzug gefunden hat. Dies System hat nun eine sehr gefährliche Seite. Die wunde Stelle liegt in der alten portugiesischen Institution des »Vorschusses«. Der Gérant übergibt nämlich einem solchen Kapita ein gewisses Quantum von Ware und sagt zu ihm: »Jetzt geh unter die Eingeborenen und handele mir für diese Waren Kautschuk ein. Du mußt das und das Quantum bringen.« Nun ist dieser Kapita im allgemeinen nicht genügend vorgebildet, um sich darüber klar zu sein, daß er die Verantwortung für diese Fragen übernommen hat. Leichtsinnig, wie der Sohn der roten Erde ist, wird er zunächst einmal von diesem »Besitztum« flott leben. Kommt dann der Zeitpunkt, wo er seinen Kautschuk abliefern muß, so hat er entweder gar keinen oder er hat zu wenig. Ist er ein Kerl, der infolge seiner Intelligenz über die geistig weniger veranlagten Eingeborenen meistens bald eine gewisse Suprematie ausübt, so erzwingt er von ihnen den Kautschuk. Dann kommt es vor, daß er sich zu Gewalttätigkeiten und auch Grausamkeiten hinreißen läßt. Gelingt ihm das nicht und er kommt nun in der Station mit einem Defizit an Waren wieder an, so wird es sehr leicht vorkommen, daß der Gérant sich dem Kapita gegenüber zu Erpressungen und eventuell Gewalttätigkeiten hinreißen läßt, da er für das Defizit verantwortlich ist.
Es muß betont werden, daß dies System offiziell verboten ist. Aber viele der Verbote werden ja gegeben, um im erwünschten Falle zu offizieller Strafe greifen zu können. Stillschweigend ist dies System in vielen Gebieten gestattet. Es gibt nun nichts Gefährlicheres, als irgend eine Sache zu verbieten und nur dann zu bestrafen, wenn bei Nichteinhaltung des Verbotes ein Nachteil erwächst resp. eine Verfehlung offenkundig wird. Ich glaube, daß dies System der Kapita-Entsendung, richtig gehandhabt und gehörig überwacht, durchaus brauchbar gestaltet und zu einem Erziehungsmittel für die Negerschaft herausgebildet werden kann. Wenn das System aber von oben verboten und dennoch geduldet wird, so ist es das Gefährlichste, was es gibt. Denn nun sucht der Agent die Waren, die ihm durch verbotenen Vorschuß abgegangen sind, auf jede Weise wieder einzutreiben. Auf einer der am weitesten in das Inland vorgeschobenen Stationen, in einem Gebiet, in welchem vom Chef de Secteur bis zum Adjoint herunter jeder Mann dies System übte, erlebte ich es, daß ein durch allzugroßen, auf solche Weise entstandenen Warenmangel in Angstgefühle versetzter Agent seinen leichtsinnigen Kapitas die Frauen fortnahm und sie verkaufte, und daß er auch sonst vor keinem Mittel zurückschreckte, um genügenden Warenvorrat einzubringen und das auf unerlaubte Weise entstandene Defizit wieder zu decken.
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Die Agenten erhalten mehr oder weniger umfangreiche Warenlager und genaue Verzeichnisse der Preiswertung. Außerdem wird ihnen mitgeteilt, zu welchem Preise sie Kautschuk kaufen dürfen. Um die Buchführung für den ganzen Kompaniebetrieb zu erleichtern, sind möglichst wenig Sorten von Waren eingeführt. Dabei sind die Waren nicht immer gerade die besten. Die Stoffe, die zu meiner Zeit in Umlauf gebracht wurden, hielten keinen Vergleich aus mit jenen, die einst das holländische Haus eingebürgert hatte. Es liegt eine gewisse Absicht darin. Alles ist auf möglichst schnellen Konsum berechnet. Dünnere und schlechtere Stoffe, die nur durch energische Appretur einen gewissen Halt bekommen, vergehen recht schnell. Und die Eingeborenen nehmen sie, weil jede Konkurrenz, die Besseres bietet, bis jetzt fehlt. Deshalb ist auch Salz sehr beliebt. Je schneller die Tauschwaren verbraucht werden, desto schneller muß ja der Neger wieder zur Kautschukarbeit schreiten, um seine kleinen Luxusbedürfnisse befriedigen zu können. Vom kaufmännischen Standpunkte aus betrachtet, ist dieser Gedankengang natürlich außerordentlich verlockend, für eine großzügige wirtschaftliche Betrachtung ist er aber traurig. Denn hier sehen wir ja ganz deutlich: es wird möglichst viel an wertvollerem Gehalt dem Lande möglichst schnell entzogen und dafür möglichst Vergängliches eingeführt. Das Fazit ergibt für den eigentlichen Wirtschaftswert des Landes naturgemäß ständig wachsende Unterbilanz.
Das Elfenbein war früher der Hauptwert der Eingeborenen. Es ist unwahr, wenn behauptet wird, es hätte wertlos herumgelegen. Nein, lange ehe die Kongo- und Kassaistraßen eröffnet wurden, galt das Elfenbein als Wertbesitz. Es wird jetzt mehr und mehr verschwinden. Das, was von jetzt noch bestehenden Elefantenrudeln stammt, ist ganz minimal. Ich habe so oft und in so vielen Teilen mit Eingeborenen darüber gesprochen, ich habe außerdem selbst so klar wie nur möglich gesehen, wie machtlos der Sohn der Steppe dem Elefanten gegenübersteht, daß ich mir ein Urteil erlauben darf. Und da kann ich sagen, daß es meistenteils schon lange aufgespeichertes Elfenbein ist, welches heutzutage ausgeführt wird. Als Gegenwert zieht mehr oder weniger wertloser und schnell vergänglicher Tand ins Land ein. Also, diese Rechnung zeigt eine Entwertung des Volksbesitzes.
Daß der Kautschuk einer der sichersten und großartigsten Reichtümer dieser Länder ist, kann kaum bestritten werden. Aber was bringt nun der Europäer im Austausch dafür ins Land? Da wird nun die Antwort gegeben, gerade hierin habe der Kongostaat ein sehr schönes Verfahren eingeschlagen, indem jeder, der so und so viele Tonnen Kautschuk ausführt, so und so viele junge Kautschukpflanzen im Jahre zu setzen hat. Dadurch will man den dem Lande entzogenen Standwert wieder ersetzen. Es ist nicht zu leugnen, daß dies zahlenmäßig eingehalten wird und daß jedes Jahr ein Waldkontrolleur im Lande herumzieht und jede Pflanzung auf ihren Zuwachs hin revidiert. Mit der Frage aber, welche Bedeutung diese Anpflanzung hat, ist die andere Frage verbunden, wie es überhaupt mit den Anbau- und Plantagenverhältnissen als Wertzuwachs der Kolonialarbeit bestellt ist. Im ganzen Kassaigebiet bestehen folgende Pflanzungen: für die Kassai-Kompanie Madibi, Tse Modane, Bolombo, Bena Makima, für die Société anonyme Belge Mange, für zwei kleine Kompanien alter Zeit Galikoko und Lubefu und endlich noch zwei kleine alte Anpflanzungen. Am berühmtesten war bisher eine Plantation in der Gegend von Lussambo. Im Jahre 1898 wurde viel davon gesprochen; der Gründer derselben war der erste, der als Privatmann eine Plantage anlegte. »Un agronome au Congo!« Ein Ansiedler! Hm! Die Pflanzungen sind von ihm gegründet worden. Ihr Schöpfer war ein hochbedeutender Mensch in seiner Art. Ich bin überzeugt, daß seine Pflanzungen früher wirklich sehr wertvoll waren. Er ist auch ein recht wohlhabender Mann geworden. Aber nun kommt die Kehrseite: er hat sein Vermögen nicht etwa als Ansiedler erworben, sondern als Kautschukkaufmann. Er hat genau so den Kautschuk sammeln lassen, wie ihn heute noch die Kassai-Kompanie sammelt. Seine Leute zogen vom Sankuru ins Lubudigebiet und gründeten Demba. Ich glaube, er hat ungefähr acht Tonnen Kautschuk den Monat gewonnen, aber nicht etwa aus seinen Plantagen, sondern durch Abbau des Waldkautschuks. Die Plantations bestanden weiter und sie bestehen heute noch, und die Welt war bis vor kurzem davon überzeugt, daß hier etwas sehr Wertvolles existiere, bis ein deutscher Gärtner als Angestellter dieser Pflanzungen eintraf, der nun das traurige Resultat kund gab, daß zurzeit alles so ziemlich wertlos sei und daß man von vorn anfangen müsse. Die höchsten Beamten der Kassai-Kompanie gingen als Sachverständige zur Nachprüfung in die Pflanzung. Sie waren es, die mir den Zustand geschildert haben. Bei der Gelegenheit wurde mir auch gar manche lange Vorlesung über das Thema »Wert der Pflanzungen in dem Kassai- und Kongogebiet überhaupt« zuteil. Es waren recht betrübende Nachrichten, die ich erhielt, sie deckten sich aber vollständig mit den Beobachtungen, die ich selbst z. B. in Bena Makima gemacht habe.
In Wahrheit besitzen die Pflanzungen, welche im Kongostaate angelegt worden sind, einen Wert, der nur dem allerminimalsten Teile des riesenhaften Reichtums entspricht, der aus dem Lande geführt wird. Wer die Geschichte der Kaffeepflanzungen aus dem Bangalagebiet kennt, der weiß, daß nicht nur die Kautschukpflanzungen, sondern auch wohl der größte Teil aller Kulturanlagen dieser Art einen höheren Wert nicht besitzt. Wir müssen diesen streichen. Bei der Gelegenheit möchte ich übrigens betonen, daß ich gegen den Grundgedanken, das wieder anzupflanzen, was durch Abbau entzogen wird, absolut nicht Stellung nehmen will. Im Gegenteil. Nur ist es gänzlich falsch, eine kaufmännische Ausnutzungskompanie mit der Verpflichtung des für sie wertlosen Plantagenbaues zu belasten. Sie kann daran kein großes Interesse haben, sie wird darauf nicht viel Liebe verwenden. Daß diese Kautschukproduzenten mit ihrem Konzessionssystem so hohe Einnahmen erzielen, daß man von ihnen verlangen kann, die Mittel zu zahlen, die zum Ersatzanbau nötig sind, das muß ohne weiteres zugegeben werden. Ich möchte aber vorschlagen, daß man das lieber in der Form einer Abgabe regelt, die der Staat einzieht und entweder selbst zum Anbau verwendet oder denjenigen Plantagenfirmen zur Verfügung stellt, die aufforsten wollen, und die dies nur deswegen nicht können, weil die ersten Jahre zu teuer sind. Wenn ich hier vom Staate rede, so meine ich die Kolonie selbst. Derartige Dinge sollten immer in der Kolonie selbst als selbständigem Wirtschaftsorganismus zu einer kräftigen Entwicklung geregelt werden.
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Ich komme nun zur letzten Frage, wie sich nämlich die Verhältnisse im Punkte der Eingeborenenpolitik entwickelt haben. Für unsere nordische weiße Rasse sind große Teile der breiten Tropenwelt als Ansiedelungsgebiete nicht nutzbar zu machen, weil eine vollständige Akklimatisation für unsere Rasse erst nach Generationen eines regen Austausches zwischen Tropen und unserer gemäßigten Zone erreichbar ist. Des ferneren ist unsere Rasse im allgemeinen nicht geeignet für die Feldarbeit in jenen Gegenden. Infolgedessen brauchen wir die eingeborene dunkelfarbige Bevölkerung, und diese Bevölkerung ist dementsprechend das wertvollste Gut, welches die Kolonien bergen. Die Erhaltung, Erziehung und Verwertung der schwarzen Arbeitskraft sollte deshalb die erste Aufgabe sein, die sich eine kolonisierende Macht stellt. Der Wendepunkt in der Eingeborenenfrage ist eingetreten um die Wende des siebzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts, als nämlich die europäischen Mächte gegen die Sklaverei auftraten. Bis dahin waren Millionen und aber Millionen von Negern Westafrikas nach Amerika hinübertransportiert worden. Damals war der westafrikanische Neger der beste Arbeiter. Ein großer Teil des blühenden Plantagenbaues in den Regionen des mittleren Amerika ist lediglich auf die ausgezeichnete Leistung aus Westafrika importierter Negerarbeit zurückzuführen.
Und heute haben wir das Gegenstück. Die »Arbeiterfrage« ist in Westafrika die schwierigste. Man beschwert sich darüber, daß die Neger nichts zu arbeiten vermögen, man klagt, daß man nicht genug Arbeiter erhalten könne. An Bevölkerungsmangel kann das nicht liegen, denn Westafrika ist zum Teil sehr stark bevölkert; auch liegt es nicht daran, daß zu viele Sklaven ausgeführt werden. Eine kurze Fahrt an der westafrikanischen Küste, der Besuch einiger Hafenplätze genügt, um schnell zu erkennen, woran das liegt. Es liegt an einer großartigen Entsittlichung. Die niedrigeren Instinkte der durch schwachen Charakter ausgezeichneten Rasse sind zur Blüte gebracht und die besseren und höheren sind unterdrückt worden. Dies Arbeitertum ist das Produkt einer falschen Erziehung. Es ist gradezu wunderbar, daß schon Tausende von klar sehenden Menschen dies erkannt haben und daß noch niemand es gewagt hat, dagegen energische Schritte anzuraten oder zu unternehmen. Ich glaube, daß unsere Expedition die erste gewesen ist, die Experimente in dieser Hinsicht unternommen hat, und ich hoffe, daß die Resultate unserer Arbeiten dazu führen werden, die europäischen Kolonialmächte oder die in Afrika arbeitenden Kolonialverwaltungen zu einer Revision der jetzt bestehenden Erziehungsverhältnisse zu veranlassen. In Kürze will ich hier schildern, wie die Verhältnisse im Kassai-Kongo-Gebiet liegen.
Land und Leute waren bis vor kurzer Zeit unberührt. Hier können wir die Uebergangsformen sehen. Es ist just der Moment, wo die Entwicklung eintritt. Es ist der Augenblick, in dem noch Einhalt geboten werden kann. Die Arbeiten im Dienste der Kompanie sind im allgemeinen zweierlei Art. Die eine ist die eigentliche Kautschukproduktionsarbeit, der Handel mit Elfenbein usw., die andere ist die Stationsarbeit. Letztere beruht darin, daß die Station gebaut und gesäubert, daß der Kautschuk aus dem Inlande und die europäischen Waren an die großen Ströme geschafft werden, daß der Kautschuk geschnitten und in Magazinen getrocknet und gewendet, alsdann in Säcke gefüllt und verfrachtet wird. Zur Erledigung dieser beiden Arbeitsarten, der Produktionsarbeit und der Stationsarbeit, werden zwei verschiedene Kategorien von Arbeitern verwendet. Der Produktionsarbeiter ist ein mehr oder weniger unabhängiger Mann. Er ist selten fest angestellt, sondern verdient eben das, was er durch Arbeit erwirbt. Der Stationsarbeiter dagegen ist gegen festes Gehalt und wöchentliche Rationierung angestellt. Während die ersteren kommen und gehen (und zwar meistens um den Ersten des Monats herum; siehe, was ich oben über die Kapitas gesagt habe) und in ihren eigenen Dörfern resp. als eingeführte Kapitas bei den eigentlichen Eingeborenen zu Gaste wohnen, sind die Stationsarbeiter bei der Station selbst angesiedelt. Im allgemeinen kann man sagen, daß diese Produktionsarbeit freie und ungebundene Leistung darstellt, während die Stationsarbeit nur unter bestimmtem Zwange auszuführen ist. Ich stelle fest, daß ich hier zunächst keinen Vorwurf erheben will, denn ich möchte selbst für die gebundene Arbeit plädieren, aber ich möchte im folgenden zeigen, inwieweit diese Arbeitsleistung erzielt wird.
In den eigentlichen Waldgebieten und bei den eigentlich schwarzen Völkern stellt sich der Stationsarbeiter nicht von selbst ein, sondern er wird von seinem Häuptling, dessen Sklave er ist, geschickt. Der Häuptling erscheint denn auch von Zeit zu Zeit auf den Stationen und heimst den Lohn ein. Im Süden bei den braunen Völkern erscheinen die Arbeiter ohne Häuptling. Ein großer Irrtum ist es aber, wenn man etwa annehmen wollte, daß dies Freie sind; keineswegs, das sind auch Sklaven, nur funktioniert hier im Süden alles nach größerem Vertrauen und nach größerem Stile, und so kann man sehen, daß von Zeit zu Zeit diese Arbeiter verschwinden und den größten Teil, wenn nicht den ganzen durch Stationsarbeit erworbenen Lohn ihrem Besitzer überbringen. Einen sehr wesentlichen Bestandteil der eigentlichen Arbeit für den Stationsdienst verrichtet aber die belgische Mission, die eine sehr merkwürdige Stellung zur Kassai-Kompanie einnimmt. In dem großen Zentralgebiet dieser Mission hat der Staat seinerzeit Sklaven angesiedelt, die im Araberkriege befreit wurden. Diese Leute dürfen das Gebiet nicht verlassen; laufen sie fort, so werden sie wieder eingefangen. Die Arbeit der Mission basiert zum großen Teil auf der Tätigkeit für die Kassai-Kompanie. Eine Station liefert allein über vierhundert Kautschukträger per Monat. Eine der Pflanzungsstationen der Kompanie steht unter der Leitung solcher Missionare. Der eine ist als Gérant angestellt, der andere als Adjoint, und sie beziehen auch dementsprechend ihren Gehalt. Im übrigen haben sie eine Missions-Station, eine Kapelle und Gottesdienst. Die Station hat zu Ehren des Generaldirektors resp. dessen Patrons den Namen St. Victorien erhalten. Ich sage das nur, um zu zeigen, welche enge Beziehung zwischen Kompanie und Mission besteht. Auch mit anderen Missionen belgischen Ursprungs ist ein Arbeitskontrakt geschlossen, so z. B. am Kuilu, wo die weißen Väter von Bandundu Holzstapelplätze errichtet haben und von ihren Kindern für ihren Dampfschiffs-Verkehr Holz schlagen lassen. Außerdem liefern sie nach Dima aus ihren Gärten Gemüse, welches direkt per Scheck bezahlt wird. – So weit die gebundene Arbeit im Kassai-Gebiet.
Wie erreicht nun die Kassai-Kompanie die freie Produktionsarbeit? Da gibt es verschiedene Methoden. Zunächst genießt sie in einzelnen Teilen eine gewisse Unterstützung durch den Staat. Die Eingeborenen sind nämlich verpflichtet, Kupferkreuze als Steuer zu zahlen. Diese Kupferkreuze sind das alte eingeborene Geld. Der Staat verkauft die Kupferkreuze an die Kompanie. Um nun für den nächsten Steuertag wieder Kupferkreuze in der Hand zu haben, muß der eingeborene Häuptling sie von der Kompanie erwerben, und von dieser bekommt er sie nur gegen Kautschuk. So veranlaßt also der Staat auf direktem Wege die Eingeborenen zur Kautschukproduktion und erhebt dabei noch selbst seine Steuer. Eine zweite Art der Anregung zur Kautschukproduktion beruht in der Ausnutzung der Tatsache der Nahrungsarmut einiger Kautschukgebiete. Jenseits des Gebietes A, welches nahe bei einer Station liegt und sehr nahrungsreich ist, befindet sich das an Nahrungsmitteln sehr arme Gebiet B, in welchem die Eingeborenen nach Fleisch lechzen. Da werden die Leute von A mit ihren Ziegen nach B geschickt. In B wird sogleich das Kautschukproduzieren beginnen. Die A-Leute verkaufen ihre Ziegen, kommen mit dem eingetauschten Kautschuk nach der Station und erhalten hier dafür viel mehr, als sie für ihre Tiere hätten bekommen können. – Das System der Aussendung von Kapitas habe ich oben schon erwähnt.
Die Frage ist nun die, ob bei diesem ganzen System eine Förderung der allgemeinen Kulturverhältnisse eintritt. Förderung der Kultur ist gleichbedeutend mit Förderung der Arbeitsleistungsfähigkeit. Ich gebe natürlich zu, daß die Momentanleistung hier eine ausgezeichnete ist. Dafür sprechen ja die enormen Zahlen. Aber diese enormen Zahlen sagen auch zum zweiten, daß ostentativ für die Kultur keine Aufwendungen gemacht werden, und das bezieht sich ganz besonders auf die Eingeborenenkultur. Es gibt z. B. wohl verschiedene Missionare im Lande, die sich mit Schulunterricht, sei es häufiger, sei es seltener, befassen. Aber wirkliche Leistungen in dieser Hinsicht weisen nur eine amerikanische und eine kleine englische Mission auf. Vor allen Dingen aber habe ich keinerlei Förderung der Eingeborenenverhältnisse im Sinne der Eingeborenen beobachtet. Die Eingeborenen haben vordem eine geradezu grandiose Industrie gehabt, haben wundervolle Plüschstoffe, sehr schöne Korbwaren, gutes Eisengerät, viel Schnitzerei und zum Teil unvergleichlich schöne Töpfereifabrikate produziert. Sie haben hochentwickelte Institutionen des Familien- und Vaterrechts, Staatskompositionen und auch ethische Lebensregeln besessen. Daß ein großer Teil dieses alten Kulturbesitzes unter dem Andrange der Kulturwelle Europas zerstört werden muß und auch leider meist zerstört wird, versteht sich von selbst. Es ist nur immer die Frage, was an seine Stelle tritt. Ich weiß z. B. nicht, ob alle Industrien untergehen müssen. Und vor allen Dingen schmerzt es mich tief, zu sehen, wie an Stelle des alten wertvollen Eingeborenenbesitzes, der bleibenden Wert hatte, ein urjämmerliches, schnellvergängliches europäisches Exportfabrikat Einzug hält. Wenn schon die alte Blüte der Handarbeit durch die Industrieartikel zerstört wird, so sollte doch wenigstens irgend ein gutes Fabrikat Einzug halten. Aber dies sind alles Dinge, über die sich streiten läßt.
Nicht streiten aber läßt sich über das Folgende. Es ist eine alte Regel, daß niemand zweien Herren dienen kann. Des weiteren: die Grundlage aller Kultur ist die soziale Gliederung. Diese beiden Tatsachen, diese wahren Lebensgesetze der Kulturentwicklung werden aber direkt mit Füßen getreten. Früher saßen da die kleinen Häuptlinge, sprachen Recht nach alten Sitten, es war ein ungestörtes einheitliches Bild. Heute siedelt sich vielleicht in der Nähe eine Faktorei an. Der Faktoreichef tritt nun natürlich neben alle diese Häuptlinge. Er schlichtet nun alle kleinen Streitigkeiten. Natürlich tut er es nicht nach dem Eingeborenenrechte, das er nicht versteht, sondern er tut es im besten Falle nach seinem europäischen Rechtsgefühl, das in sehr, sehr vielen Punkten der Eingeborenensitte widerspricht, wodurch ein Dilemma hervorgerufen wird, welches durch die sehr häufigen Mißverständnisse, entstanden durch mangelhafte Sprachkenntnis, noch verschlimmert wird. Dann spricht der Kaufmann auch noch von »Bulamatari« (Kongostaat), der sie strafen würde, wenn sie nicht artig wären. Vor Bulamatari herrscht im größten Teile des Landes eine furchtbare Angst, aber gar kein Zutrauen zu seiner Gerechtigkeit; und das beruht nicht etwa darauf, daß der Staat besonders ungerecht ist, nein, der Grund hierfür ist, daß die Eingeborenen nie etwas von Bulamatari gesehen, aber in seinem Namen sehr viele Drohungen gehört haben. Dazu kommt, daß der Eingeborenenname für die Soldaten des Kongostaates »Pumbulu« ist, d. h. Hyäne, was zwar die meisten Agenten nicht wissen, wenn sie sagen: »Paßt auf, daß Bulamatari mit seinem Pumbulu nicht kommt!«, was aber einen sehr schlechten Eindruck auf die Zuhörer macht. Denn Hyänen hat man auch in Afrika nicht gern in seinen Dörfern. – Kurz und gut, trotz alles besten Willens wird das Eingeborenenrechtsgefühl zerstört und die Autorität der Eingeborenenhäuptlinge untergraben. Das ist der Anfang der Entsittlichung.
Dann zieht aber mit den Agenten auch das Stationsgesindel ein. Und das Stationsgesindel repräsentiert die größte Gefahr für die Kultur der Eingeborenen. Es ist jener Typus von Leuten, der im Mittelalter den marschierenden Heeren folgte und der sich überall da einstellt, wo große Kraft große Erfolge erzielt, und wo nun dieses kleine Lumpenpack im Dunkeln Kleinigkeiten fischt. Es sind alte Frauen, die auf den Dampfern mitfahren, alte Boys, »Haushälterinnen« der Weißen, »erprobte Nachtwächter« und dergleichen. Ueberhaupt die Dampfschiffe sind die großen Wege der Entsittlichung. Das Stationsgesindel repräsentiert das weit Gereiste, Wissende, Schwatzhafte. Es ist fürchterlich, was man am Feuer abends hören kann, wenn diese Leute Schauerdinge vom Europäer erzählen. Es naht sich auf diesem unscheinbaren Wege dem naiven Volk die Untergrabung der Autorität, die Erziehung zur Verlogenheit, die dem Neger so nahe liegt.
Wenn solche Station auf einige Jahre Arbeit zurückblickt, dann sind die fundamentalen sozialen Einrichtungen der alten Zeit vernichtet. In lauernder Gier hat der Eingeborene es gelernt, kleinen billigen Erfolgen nachzulaufen. Kein großzügiger Handel ist ins Land gekommen, sondern die Zersetzung des Alten. Ich wiederhole: niemand kann zweien Herren dienen. Die Grundlage aller Kultur ist soziale Gliederung.
Nun wäre die Frage zu beantworten, in welchem Punkte denn schwere Verfehlungen gegen die Forderungen der Eingeborenenpolitik ins Auge fallen. Und da habe ich vor allem das eine zu betonen, daß es im Sinne der Eingeborenenpolitik nur zwei Möglichkeiten gibt, welche eine gesunde Eroberung eines neuen Gebietes bedeuten: Entweder der Staat geht voran und wacht überall darüber, daß nach einem bestimmten Gesichtspunkte die Umwälzung der Dinge vorgenommen wird, so daß direkt an Stelle der eingeborenen Häuptlinge die Staatsgewalt der neuen Kolonialmacht tritt. In solchem Falle mag die Ausnutzung einer konzessionierten Gesellschaft überlassen werden. Es muß aber Sorge dafür getragen werden, daß der Staat diese Industrieschulen unterhält und die Entwicklung großer Handelsplätze der Eingeborenen fördert. Oder aber es kann ein Gebiet vom Staate dem freien Handel eröffnet werden. Dann können sich unter Mitarbeiterschaft der betreffenden Kolonialmacht gesunde republikanische Verhältnisse entwickeln, dann muß der Staat Industrieschulen anlegen und dem Handel fällt ohne weiteres die Aufgabe zu, die Handelsplätze zu schaffen.
Diese beiden Forderungen müssen gestellt werden. Wenn ich von der Erziehung des Negers spreche, dann meine ich nicht, daß er anfangen soll mit dem Erlernen von Schreiben und Lesen. Das sind Dinge, die wir auch in Europa so spät von Volkswegen gelernt haben, daß die meisten Staaten heute noch genügend Analphabeten aufweisen. Man soll da anfangen, wo die Eigenart der Rasse Anhaltspunkte gibt. Und da kann ich sagen, daß nach meinen Studien und Beobachtungen und vor allen Dingen nach meinen Experimenten – um nur eins zu erwähnen – die Neger Westafrikas in wenigen Generationen den größten Teil der Holzwaren und Schnitzereien würden produzieren können, den heute die Welt benötigt. Der Eisenreichtum Westafrikas würde es ermöglichen, Kunstschmiedeartikel zu fabrizieren. Die wundervollen Faserungen bestimmter Produkte tropischer Wälder würden gemeinsam mit der billigen Negerarbeitskraft mit Leichtigkeit große Erfolge auf dem internationalen Industriemarkt erzielen.
Habe ich das Einsetzen der Staatsgewalt und Erziehung und eine vernünftige Schulung als erste Forderung bezeichnet, so bringe ich als zweite die Erklärung, daß im Kassai-Gebiet so viel wie nichts, ja man kann sagen garnichts für die Förderung des Eingeborenenverkehrs getan wird. Man vergleiche, was die verrufenen und berüchtigten Araber in diesem Punkte im Sudan und in Ostafrika geleistet haben. Das Resultat ist großartig, und es gibt manche Kolonialmacht, die sich schämen muß, wenn sie dieses sieht. Es wird kaum ein Weg gebaut. Wir haben es erlebt, daß der aus dem Süden kommende Kautschuk durch einen zwei Stunden langen Sumpf geschleift wurde. Es war der offizielle Weg. Es wäre eine Kleinigkeit gewesen, eine Brücke zu schlagen. Verkehrswege schaffen den Verkehr und Handel; das ist ein uraltes Gesetz. Aber um den Eingeborenenhandel, den Handel der Eingeborenen untereinander, der nach neuen und wachsenden Werten, nach Besitzzuwachs strebt, kümmert sich hier kein Mensch, nicht Kompanie, nicht Staat. Es ist überhaupt schlimm, daß diese konzessionierte Gesellschaft in solch großer Unabhängigkeit vom Staate handeln und wandeln kann, wie es der Augenblick erheischt und wie es die momentanen Interessen fordern. Es hat da gar keinen Sinn, zu sagen, wie einfach es ist, unter Berücksichtigung der eingeborenen sozialen Verhältnisse auch die Kautschukproduktionsarbeit zu vervielfachen, denn der größte Teil der Agenten würde es kaum verstehen, und die Kompanie kann mit dem momentanen Nutzen zufrieden sein. Ob die sozialen Gebilde zerstört werden, ist ihr gänzlich gleichgültig.
So wie das ganze System heutzutage der Schöpfung des Kongostaates widerspricht, so ja auch natürlich jede Einzelheit. Für den freien Handel wurde er geschaffen und konzessionierte Gesellschaften »exploitieren« das Land. Der arme Kaufmann, der da oben Handel treiben will, fällt einem Staatsprozeß anheim, der ihn all sein Gut kosten kann. Es ist der wahre Segen, daß jetzt überall öffentlich sowohl als besonders im stillen Verhandlungen gepflogen werden, wie dem jetzigen Zustand abgeholfen werden könne. Bei dieser Ueberlegung wird natürlich das Fragennetz der Eingeborenenpolitik eine große Rolle spielen, denn aus »Humanitätsrücksichten« hat ja Leopold II. die Anregung zur Gründung des Kongostaates, die unter Bismarcks Leitung bei rückhaltloser Anerkennung dieser hohen Gesichtspunkte auch erfolgte, gegeben.
Wenn ich nun aber auf die Fragen des vorigen Abschnittes zurückkomme, so müssen wir erklären: keine Förderung, eher Entwertung auch auf dem Gebiete der Eingeborenenkultur.
Endlich zurück zum ersten Gedanken dieser kleinen Skizze. Viele denken sich das so einfach: Irgend ein europäisches Land pflückt so eine Kolonie etwa wie eine Zitrone, preßt den Saft heraus und wirft die Schale fort. Derartige koloniale Zitronenpresserei können sich mehr oder weniger private Kapitalisten leisten, aber eine Kulturmacht als solche vermag die Verantwortung für solche Art nicht zu tragen. Persönlich gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß vorstehende Anregungen für das Land, in dem ich so lange arbeiten konnte, von Wert werden möchten.