Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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XXIX
Aus der Garnison

Das Heer und die Verfassung des Staates. Die Landesmiliz und ihre Geschichte. – Das Kriegsvolk des Landesherrn. – Veränderte Organisation nach dem Kriege. Die Ergänzung. Die Anfänge der gezwungenen Aushebungen um 1700. Allmähliche Einführung der Kantonpflicht. Die Werbung und ihre Ungesetzlichkeiten. Gaunereien der Werber. Weiber und Kinder des Heeres. Verachtung des Soldatenstandes, Desertionen. Verhandeln der Armeen. – Das preußische Heer unter Friedrich Wilhelm I. Das Garderegiment zu Potsdam. Die preußischen Offiziere. – Ulrich Bräker. – Erzählung eines preußischen Deserteurs

Ein Schuß aus der Lärmkanone! Scheu tritt der Bürger vom Fenster zurück und blickt prüfend in die dunklen Winkel seines Hauses, ob sich eine fremde Menschengestalt darin verborgen. Der Bauer auf dem Feld hält seine Pferde an und überlegt, ob er wünschen darf, mit dem flüchtigen Mann zusammenzutreffen und das Fangegeld zu verdienen, oder ob er einen Verzweifelten fürchten und schonen soll, trotz der harten Strafe, welche jedem droht, der einen Deserteur entschlüpfen ließ. Wahrscheinlich wird er den Flüchtling entrinnen lassen, auch wenn er seiner Herr werden kann, denn in geheimer Seele regt sich ihm ein Mitgefühl, ja etwas wie Bewunderung des Verwegenen.

Kaum ein Kreis irdischer Interessen prägt so scharf die Besonderheiten der Zeitbildung aus als das Heer und die Methode der Kriegführung. Die Armee entspricht zu jedem Jahrhundert merkwürdig genau der Verfassung und dem Charakter des Staates. Die fränkische Landwehr der Merowinger, welche von ihrem Märzfeld zu Fuß gegen Sachsen und Thüringen zog, das Heer der ritterlichen Speerreiter, welches unter Kaiser Rotbart seine Rosse in die Ebenen der Lombardei hinabführte, die Schweizer und Landsknechte der Reformationszeit, und wieder das Söldnerheer des Dreißigjährigen Krieges, sie alle waren höchst charakteristische Bildungen ihrer Zeit, welche aus den sozialen Zuständen des Volkes erblühten und sich wandelten wie diese. So wurzelten das älteste Fußheer der Besitzenden in der alten Gemeinde- und Gauordnung, das riesige Ritterheer in dem feudalen Lehnwesen, die Fähnlein der Landsknechte in der aufblühenden Bürgerkraft, die Kompanien der fahrenden Söldner in dem Wachstum der fürstlichen Territorialherrschaft. Ihnen folgte in den despotischen Staaten des 18. Jahrhunderts das stehende Heer der dressierten Lohnsoldaten. [...]

Ihre Mängel im 18. Jahrhundert sind oft beurteilt worden, und jedermann weiß einiges von der herben Zucht in den Kompanien, mit welchen der Alte Dessauer die Schanzen von Turin stürmte und Friedrich II. den Besitz Schlesiens behauptete. Aber nicht ebenso bekannt, selbst von Kriegsschriftstellern ganz vernachlässigt, ist eine andere Seite der alten Kriegsverfassung, und von dieser soll hier zunächst die Rede sein.

Die Regimenter, welche die deutschen Souveräne des 18. Jahrhunderts in ihre Schlachten führten oder an fremde Potentaten vermieteten, waren nicht die einzige bewaffnete Organisation in Deutschland. [...]

Schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts, als die Landsknechte zu kostspielig und liederlich wurden, war man auf den Gedanken gekommen, aus den wehrhaften Männern der Stadt und des flachen Landes eine Miliz zu bilden, das Defensionswerk, welche innerhalb der Landesgrenzen zur Verteidigung verwendet werden sollte. Seit 1613 wurden die Defensioner in Kursachsen und den Nachbarländern, bald darauf in den andern Kreisen des Reiches organisiert, in Fähnlein geordnet, zuweilen zusammengezogen und militärisch geübt. Ihre Gesamtzahl ward festgestellt und auf die Ortschaften verteilt, die Gemeinden bestimmten und rüsteten die Leute; waren sie im Dienste, so erhielten sie Sold vom Landesherrn.

Der Dreißigjährige Krieg war zum größten Teil mit geworbenem Volk geführt worden, doch waren aus Not die Defensionen hier und da in Kriegsvolk umgewandelt worden, indem man entweder ganze Regimenter für den Felddienst bestimmte, oder mit den brauchbaren Leuten die Lücken der geworbenen Truppen ausfüllte. Im ganzen aber hatte sich die lockere Errichtung dieser Miliz nicht bewährt. [...]

Ganz getrennt von dieser Miliz stand das Kriegsvolk, welches der Landesherr für sich hielt und ganz aus seinen Einnahmen bezahlte. Es mochte nur eine Garde sein, zum Schutz und Schmuck seines Hofes, es mochten viele Kompanien sein, welche er sich warb, um einen Status zu sichern, Einfluß und Macht unter seinesgleichen zu gewinnen, Geld damit zu verdienen. Das war sein Privatgeschäft, und wenn er sein Volk nicht übermäßig dadurch belästigte, so war nichts dagegen einzuwenden. Es war ein freies Geschäft auch für den, welcher ihm dienen wollte, er mochte sich anwerben lassen, Inländer oder Fremder, er mocht sehen, wie ihm der Vertrag gehalten wurde. Kam das Land durch einen äußern Feind in Gefahr, so bewilligte die Landschaft dem Herrn auch für dies Kriegsvolk Geld oder einen besonderen Zuschuß, denn man wußte wohl, daß es kriegstüchtiger war als die Landesmiliz. So war es unter dem Großen Kurfürsten noch in Preußen, so blieb es in dem größten Teil Deutschlands bis tief in das 18. Jahrhundert.

Aber auch dies private Kriegsvolk, welches der Landesherr sich warb, hatte eine neue Einrichtung erhalten.

Bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte bei den meisten deutschen Heeren die Werbung nach Landsknechtbrauch auf das Risiko des Obersten stattgefunden. Der Oberst schloß den Kontrakt mit dem Fürsten, er besetzte und verkaufte die Hauptmannsstellen, der Fürst zahlte dem Obersten das Geld, welches von der Landschaft aufgebracht wurde. So waren die Regimenter in gründlicher Abhängigkeit vom Obersten, und dieser war eine Macht auch dem Landesherrn gegenüber. Die Disziplin war locker, die Offizierstellen von Kreaturen des Obersten besetzt, der Zusammenhalt des Regiments wurde durch seinen Tod gelöst. Die Gaunereien der Obersten und Kompanieführer, schon um 1600 von militärischen Schriftstellern beklagt, hatten eine gewisse virtuose Ausbildung erhalten. Selten war die Mannschaft, welche auf dem Papier stand, vollständig unter der Fahne. Die Offiziere bezogen den Sold für eine große Anzahl von Fehlenden, welche man »Passevolants« oder »Blinde« nannte; sie reihten ihre Knechte, Marketender aus dem Troß in die untern Chargen ein. Auch bei der kaiserlichen Armee hörten die Klagen nicht auf, von oben bis unten der rücksichtsloseste Eigennutz, die Offiziere plünderten mitten im Frieden ihre Quartiere in den Erblanden aus, sie fischten und jagten in der Umgegend, erhoben einen Aufschlag von den Stadtzöllen, sie ließen Fleisch schlachten und verkaufen, sie richteten Wein- und Bierschenken ein. Und wie die Offiziere raubten, so stahlen die Gemeinen. Das geschah z. B. noch 1677. Und diese Landesplage drohte eine beständige zu werden. Die Werbung der Rekruten aber war in dieser frühern Zeit noch wenig organisiert, und die Gaunereien, welche dabei nicht fehlen konnten, waren wenigstens nicht durch die höchsten irdischen Autoritäten sanktioniert.

In Brandenburg reformierte der Große Kurfürst gleich nach seinem Regierungsantritt 1640 das Verhältnis der Regimenter zum Landesherrn; die Werbung geschah fortan in seinem eigenen Namen, er ernannte die Obersten und Offiziere, welche ihre Stellen nicht mehr kaufen durften. Dadurch erst wurden die Söldnerscharen zu einem stehenden Heer mit gleichmäßiger Bekleidung, Bewaffnung und Ausrüstung, mit besserer Manneszucht, willenlose Werkzeuge in der Hand des Fürsten. Für das Kriegswesen war dies der größte Fortschritt seit der Erfindung des Feuergewehres, und Preußen verdankte der frühen und energischen Durchführung des neuen Systems sein militärisches Übergewicht in Deutschland. Auch die Verpflegung der Mannschaft wurde neu geordnet; sie erhielten, wenigstens im Krieg, ihre Tagesbedürfnisse in Rationen, der Unterhalt wurde aus großen Magazinen besorgt. Durch Montecuccoli und später durch Prinz Eugen erhielt auch Österreich kurz vor 1700 ein besser diszipliniertes stehendes Heer.

Die Ergänzung dieser Truppen des Fürsten konnte in Deutschland bis vor 1700 fast ausschließlich durch freie Werbung beschafft werden: denn noch lange nach dem großen Krieg blieb dem Volk die Unruhe und ein abenteuerlicher Sinn, der das Kriegshandwerk lockend fand. Das wurde allmählich anders. [...]

Vorsichtig und zögernd begann kurz vor 1700 die Heranziehung des Volkes zum Kriegsdienst seines Fürsten. Aber ohne Erfolg wurde das erstemal ausgesprochen, daß das Land Rekruten stellen müsse. Die Neuerung ward, wie es scheint, zuerst 1693 von den Brandenburgern versucht: die Provinzen sollten die fehlende Mannschaft werben und präsentieren, doch keine untertänige, der Kompanieführer sollte für den Mann zwei Taler Handgeld zahlen. Bald ging man weiter und legte (1704) zuerst einzelnen Klassen von Steuerzahlern, dann (1705) den Gemeinden die Stellung der Ersatzmannschaft auf. Die Rekruten sollten zwei bis drei Jahre dienen, wer freiwillig auf sechs Jahre und darüber kapitulierte, wurde bevorzugt. Ganz dasselbe wurde 1702 in Sachsen durch König August eingerichtet. Dort hatten die Gemeinden wie für ihre Miliz, jetzt auch für den Landesherrn eine bestimmte Zahl junger gesunder Leute zu liefern und über die Entbehrlichkeit des einzelnen zu entscheiden, Ort der Gestellung das Rathaus, Aufsicht übten die Kreis- und Amtshauptleute, der Mann wurde ohne Montur geliefert, Handgeld vier Taler, Dienstzeit zwei Jahre; verweigerte der Offizier nach zwei Jahren den Abschied, so konnte der Ausgediente sich eigenmächtig auf den Weg begeben. So furchtsam begann man einen neuen Anspruch geltend zu machen. Und trotz dieser Vorsicht war der Widerstand des Volkes zu erbittert und heftig, die neue Einrichtung verfiel, man kehrte wieder zur Werbung zurück, schon 1708 wurde die Rekrutierung in Preußen wieder aufgehoben, »weil die Zumutung zu groß war«. Erst der eiserne Wille Friedrich Wilhelms I. gewöhnte sein Volk allmählich an diesen Zwang. Seit 1720 wurden Verzeichnisse der kriegspflichtigen Kinder angelegt, 1733 das Kantonsystem durchgeführt. Das Land ward unter die Regimenter verteilt, die Bürger und Bauern wurden – mit gewissen Ausnahmen – für kriegspflichtig erklärt, alljährlich wurde ein Teil des Regimentsbedarfs durch Aushebungen gedeckt, bei denen die größte Willkür der Hauptleute ungestraft blieb. –

In Sachsen gelang es erst gegen Ende des Jahrhunderts, die Rekrutierung neben der Werbung durchzuführen. In anderen, zumal in kleinen Territorien, glückte das noch weniger.

So bietet das Heerwesen der Deutschen die merkwürdige Erscheinung, daß in derselben Zeit, in welcher die Aufklärung im Bürgertum größere Ansprüche, Bildung und Sittlichkeit heraufzieht, durch den Despotismus der Regenten allmählich ein anderer großer politischer Fortschritt in das Leben des Volkes geschlagen wird: die Anfänge unserer allgemeinen Wehrpflicht. Aber ebenso merkwürdig ist, daß diese Neuerung nicht in der Form einer großen und weisen Maßregel ins Leben tritt, sondern unter Nebenumständen, welche sie ganz besonders widerwärtig und abscheulich erscheinen ließen. Die große Härte und Gewissenlosigkeit des despotischen Staates kam gerade da zu Erscheinung, wo er den größten Fortschritt vorbereitete, nicht aber durchführte. Denn auch das ist bedeutsam, daß die Staaten des 18. Jahrhunderts neben der Rekrutierung die alte Werbung nicht entbehren konnten.

Zu roh und gewalttätig war das Verhalten der Offiziere, welche die junge Mannschaft auszuheben hatten, zu heftig Widerstand und Abneigung des Volkes. Die jungen Leute wanderten massenhaft aus, keine Drohung mit Galgen, Ohrabschneiden und Konfiskation ihrer Habe konnte die Flucht aufhalten, mehr als einmal sah sich der fanatische Soldateneifer Friedrich Wilhelms I. von Preußen gekreuzt durch die Notwendigkeit, seine Landschaften zu schonen, die sich zu leeren drohten. Niemals konnte mehr als etwa die Hälfte des Ersatzes durch die gezwungene Rekrutierung gedeckt, die andere Hälfte des Abgangs mußte durch Werbung aufgebracht werden.

Auch die Werbung wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts roher als sie sonst gewesen war; die Landsherren waren weit gefährlichere Werber als die Hauptleute der alten Landsknechte. Und obgleich die Übelstände dieses Systems offenkundig zutage lagen, man wußte sich durchaus nicht dagegen zu helfen. Zwar die große Unsittlichkeit, die dabei stattfand, beunruhigte die Regierenden in der Regel viel zu wenig, wohl aber die Unsicherheit, die Kostspieligkeit, die Reklamationen fremder Regierungen und die unaufhörlichen Händel und Schreibereien, welche damit verbunden waren. Die Werbeoffiziere selbst waren oft unsichere, ja schlechte Menschen, deren Tätigkeit und Ausgaben nur ungenügend kontrolliert werden konnten. Nicht wenige lebten jahrelang mit ihren Helfershelfern in der Fremde auf Kosten der Monarchen in Völlerei, berechneten teures Handgeld und fingen zuletzt doch nur wenige oder konnten ihren Fang nicht unverkürzt in das Land schaffen. Dazu ergab sich bald, daß nicht die Hälfte der so Geworbenen dem Heer zum Nutzen gereichte. Zunächst war die Mehrzahl davon das schlechteste Gesindel, in welches nicht immer militärische Eigenschaften hineingeprügelt werden konnten; ihre zerrütteten Körper und lasterhaften Gewohnheiten füllten die Spitäler und Gefängnisse, sie liefen davon, sobald sie konnten.

Schon die Werbungen im Inland wurden mit jeder Art von Gewalttat geübt. Die Obersten und Werbeoffiziere raubten und entführten einzige Söhne, welche frei sein sollten. Studenten von der Universität, ja ganze Kolonien von untertänigen Leuten, die sie auf ihren eigenen Gütern ansiedelten. Wer sich frei machen wollte, mußte bestechen, und er war selbst dann noch nicht sicher. Die Offiziere wurden so sehr bei ihren gewalttätigen Erpressungen geschützt, daß sie die gesetzlichen Beschränkungen offen verhöhnten. Trat vollends in Kriegszeiten Mangel an Mannschaft ein, dann hörte jede Rücksicht auf das Gesetz auf. Dann wurde eine förmliche Razzia angestellt, die Stadttore mit Wachen besetzt und jeder Aus- und Eingehende einer furchtbaren Untersuchung unterworfen, wer groß und stark war, festgenommen, selbst in die Häuser wurde gebrochen, vom Keller bis zum Bodenraum nach Rekruten gesucht, auch bei Familien, welche befreit sein sollten. Im Siebenjährigen Krieg wurde von den Preußen in Schlesien sogar auf die Knaben der oberen Gymnasialklassen gefahndet. Noch lebt in vielen Familien die Erinnerung an Schreck und Gefahr, welche das Werbesystem den Großeltern bereitet hat. Es war damals für den Sohn eines Geistlichen oder Beamten ein großes Unglück, hoch aufzuschießen, und eine gewöhnliche Warnung der bekümmerten Eltern: »Wachse nicht, dich fangen die Werber.«

Fast noch schlimmer waren die Ungesetzlichkeiten, wenn die Werber im Ausland nach Leuten suchten. Durch Annahme des Handgeldes wurde der Rekrut verpflichtet. Das bekannte Manöver war, arglose Burschen in lustiger Gesellschaft trunken zu machen, den Berauschten das Geld aufzudrängen, sie in feste Verwahrung zu nehmen und, wenn sie ernüchtert widersprachen, durch Fesseln und jedes Zwangsmittel festzuhalten. Unter Bedeckung und Drohungen wurden die Gefangenen zur Fahne geschleppt und durch barbarische Strafmittel zum Eid gezwungen. Nächst dem Trunk wurde jede andere Verführung angewendet: Spiel, Dirnen, Lüge und Betrug. Die einzelnen begehrenswerten Subjekte wurden tagelang durch Spione beobachtet. Von den Werbeoffizieren, welche für solchen Dienst angestellt waren, wurde verlangt, daß sie besondere Gewandtheit im Überlisten hatten; Beförderung und Geldgeschenke hingen daran, ob sie viele Leute einzufangen wußten. Häufig vermieden sie, auch wo ihr Werbebureau erlaubt war, sich in Uniform zu zeigen und suchten in jeder Art von Verkleidung ihr Opfer zu fassen. Greulich sind einzelne Schändlichkeiten, welche bei solcher Menschenjagd geübt und von den Regierungen nachgesehen wurden. Eine Sklavenjagd aber war es in der Tat, denn der geworbene Soldat konnte erst dann seine Dienste in der großen Maschine des Heeres verrichten, wenn er mit allen Hoffnungen und Neigungen seines früheren Lebens abgeschlossen hatte. Es ist eine trostlose Sache, sich die Gefühle zu vergegenwärtigen, welche in Tausenden der gepreßten Opfer gearbeitet haben, vernichtete Hoffnungen, ohnmächtige Wut gegen die Gewalttätigen, herzzerreißender Schmerz über ein zerstörtes Leben. Es waren nicht immer die schlechtesten Männer, welche wegen wiederholter Desertion zwischen Spießruten zu Tode gejagt oder wegen trotzigem Ungehorsam gefuchtelt wurden, bis sie bewußtlos am Boden lagen. Wer den Kampf in seinem Innern überstand und die rohen Formen des neues Lebens gewohnt wurde, der war ein ausgearbeiteter Soldat, das heißt ein Mensch, der seinen Dienst pünktlich versah, bei der Attacke ausdauernden Mut zeigte, nach Vorschrift verehrte und haßte und vielleicht sogar eine Anhänglichkeit an seine Fahne erhielt, und wahrscheinlich eine größere Anhänglichkeit an den Freund, der ihn seine Lage auf Stunden vergessen machte, den Branntwein.

Die Werbungen im Ausland mußten mit Einwilligung der Landesregierungen geschehen. Dringend wurde von den kriegerischen Fürsten bei ihren Nachbarn um die Erlaubnis nachgesucht, ein Werbebureau anlegen zu dürfen. Der Kaiser freilich war am besten daran, jedes seiner Regimenter hatte herkömmlich einen festen Werbebezirk im Reich. Die übrigen, vor andern die Preußen, mußten zusehen, wo sie eine günstige Stätte fanden. Die größeren Reichsstädte hatten häufig die Artigkeit, mächtigeren Herren die Erlaubnis zu erteilen; dafür gelang ihnen nicht immer, ihre eigenen Söhne aus angesehenen Familien zu schützen. Außerdem waren die Grenzen gegen Frankreich, Holland, die Schweiz günstige Fangorte; dann die eigenen Enklaven, welche von fremdem Gebiet rings umgeben waren, zumal wenn eine fremde Festung mit lästigem Garnisondienst in der Nähe lag, dann gab es immer Ausreißer. Für die Preußen war lange Ansbach und Bayreuth, Dessau, Braunschweig ein guter Markt.

Nicht gleich war der Ruf, in welchem die Werber der einzelnen Regierungen standen. Den besten Leumund hatten die Österreicher, sie galten in der Soldatenwelt für plump, aber harmlos, nahmen nur, was sich gutwillig halten ließ, beobachteten aber die Kapitulation genau. Es war nicht viel, was sie bieten konnten, täglich drei Kreuzer und zwei Pfund Brot, aber es fehlte ihnen doch niemals an Leuten. Dagegen waren die preußischen Werber, die Wahrheit zu sagen, am übelsten renommiert; sie lebten am großartigsten, waren sehr unverschämt und gewissenlos und dabei waghalsige Teufel. Sie ersannen die verwegensten Streiche, um einen stattlichen Burschen zu fangen, sie setzten sich den größten Gefahren aus; man wußte, daß sie zuweilen gefährlich durchgeprügelt wurden, wenn sie in der Minderzahl blieben, daß sie von den fremden Regierungen eingesperrt waren, daß mehr als einer von ihnen erstochen worden war. Aber das alles schreckte sie nicht. Diese üble Nachrede dauerte, bis Friedrich Wilhelm II. sein menschliches Werbereglement erließ.

Im Reich war einer der besten Werbeplätze Frankfurt am Main mit seinen großen Messen. Noch am Ende des Jahrhunderts saßen dort Preußen, Österreicher und Dänen nebeneinander; die Österreicher harrten seit alter Zeit phlegmatisch im Wirtshaus »Zum roten Ochsen«, die Dänen hatten ihre Fahne »Zum Tannenbaum« hinausgehängt, die unruhigen preußischen Werber wechselten, sie waren in dieser Zeit am ansehnlichsten und splendidesten. Es wurde ein diplomatischer Verkehr unter den verschiedenen Parteien unterhalten, sie waren zwar eifersüchtig aufeinander und suchten sich gegenseitig die Kunden wegzufangen, aber sie besuchten einander doch kameradschaftlich zu Wein und Tabak. Frankfurt aber war schon seit dem 17. Jahrhundert der Mittelpunkt für einen besonderen Zweig des Geschäftes, für das Fangen der Reichstruppen. Denn nicht nur Neulinge wurden von den Werbern gesucht, auch Deserteure; und die schlechte Zucht und der Mangel an militärischem Stolz, der in den kleinen süddeutschen Ländern zu beklagen war, sowie die Leichtigkeit zu entrinnen, machten jedem Taugenichts lockend, ein neues Handgeld zu erhaschen. In den Werbestuben der Preußen und des »Roten Ochsen« hing deshalb eine völlige Maskengarderobe von reichsständischen Uniformen, welche die Überläufer zurückgelassen hatten. Außer dem Wunsch, neues Handgeld zu erhalten, gab es aber noch einen Grund, welcher auch bessere Soldaten zur Desertion trieb, der Wunsch zu heiraten. Es wurde allerdings von keiner Regierung gern gesehen, wenn ihre Soldaten sich in der Garnison mit einer Frau belasteten, aber die so rücksichtslose Gewalt der Kriegsherren war in diesem Punkt doch ohnmächtig. Denn es gab eigentlich kein besseres Mittel, den geworbenen Mann wenigstens für einige Zeit zu fesseln, als durch die Heirat. Wurde sie verweigert, so war bei Garnisonen unweit der Grenze sicher, daß der Soldat mit seinem Mädchen zum nächsten Wirtshaus fremder Werber fliehen werde. Und ebenso sicher war, daß er dort auf der Stelle kopuliert wurde, denn jedes Werbegeschäft hielt für solche Fälle einen Geistlichen bei der Hand.

Diese Gefahr hatte zur Folge, daß ein unverhältnismäßig großer Teil der Soldaten verheiratet war, zumal in den kleineren Staaten, wo man eine Grenze leicht erreichen konnte. So zählte die sächsische Armee von etwa dreißigtausend Mann noch im Jahre 1790 an zwanzigtausend Soldatenkinder, auch bei dem Regiment von Thadden in Halle war fast die Hälfte der Soldaten mit Frauen versehen. Es ist belehrend, daß die barbarische Soldatenzucht jener Zeit das alte Leiden der Söldnerheere nicht zu bannen vermochte. So durchaus hängen die einzelnen notwendigsten Verbesserungen von einer höheren Entwicklung des gesamten Volkslebens ab. Die Soldatenfrauen und -kinder zogen nicht mehr wie zur Landsknechtzeit unter ihrem Weibel ins Feld, aber sie waren eine schwere Last der Garnisonstädte. Die Frauen nährten sich kümmerlich durch Waschen und andere Handarbeiten, die Kinder wuchsen in wilder Umgebung ohne Unterricht auf. Fast überall waren ihnen die städtischen Schulen verschlossen, sie wurden von dem Bürger wie Zigeuner verachtet. Selbst in dem wohlhabenden Kursachsen war beim Beginn der Französischen Revolution nur in Annaberg eine Knabenschule für Soldatenknaben, diese allerdings vortrefflich, eingerichtet, aber sie reichte nirgends aus. Für die Mädchen geschah gar nichts, bei den Regimentern waren weder Prediger noch Schulen. Nur in Preußen wurde für den Unterricht der Kinder und die Zucht der Erwachsenen durch Prediger, Schulen und Waisenhäuser ernste Sorge getragen.

Wem von dem Werbeoffizier Handgeld aufgedrängt war, dem war über sein Leben entschieden. Er war von der bürgerlichen Gesellschaft durch eine Kluft getrennt, welche nur selten ausdauernder Wille übersprang. In dem harten Zwang des Dienstes, unter rohen Offizieren und noch roheren Kameraden verlief sein Leben, die ersten Jahre in unaufhörlichem Drillen, die Folge unter einigen Erleichterungen, welche ihm erlaubten, einen kleinen Nebenverdienst zu suchen als Tagelöhner oder durch kleine Handarbeit. Galt er für sicher, so wurde er wohl auf Monate beurlaubt, er mochte wollen oder nicht; dann behielt der Hauptmann seinen Sold, er mußte sehen, wie er sich unterdes forthalf. Mit Mißtrauen und Abneigung sah der Bürger auf ihn, Ehrlichkeit und Sitten des Soldaten standen in so schlechtem Ruf, daß der Zivilist jede Berührung vermied; kehrte der Soldat in ein Wirtshaus ein, so entfernte sich augenblicklich der Bürger und der Handwerksgesell, jeder, der auf sich selbst hielt, und dem Wirt galt es für ein Unglück, von Soldaten besucht zu werden. So war der Mann auch in seinen Freistunden auf den Verkehr mit Schicksalsgenossen und mit entwürdigten Weibern angewiesen. Sehr hart war die Behandlung durch seine Offiziere, er wurde gestoßen, geknufft, auf die Füße getreten, mit dem Stock bei geringer Veranlassung gezüchtigt, auf das scharfkantige hölzerne Pferd oder den Esel gesetzt, der auf freiem Platz in der Nähe der Hauptwache stand; für größere Vergehen in Ketten geschlossen, auf Latten gesetzt, mit Spießruten, welche der Profoß abschnitt, von seinen Kameraden in langer Gasse gehauen, bei argen Verbrechen bis zum Tode. Die Unteroffiziere und Junker aber genossen den Vorzug, mit der flachen Degenklinge »gefuchtelt« zu werden, für größere Disziplinarvergehen wurden sie an Händen und Füßen geschlossen und stundenlang an die Säule gehängt, was ihnen die Ehre nicht minderte.

Wenn im Preußischen die Vorliebe der Könige für die Montur, und unter Friedrich der Kriegsruhm des Heeres den kantonpflichtigen Brandenburger mit des Königs Rock einigermaßen versöhnte, so war das im übrigen Deutschland viel weniger der Fall. Dem kantonpflichtigen Bürger- und Bauernsohn im Preußischen war es ein großes Unglück dienen zu müssen, im übrigen Deutschland war es eine Schande. Zahlreich sind die Versuche, sich durch Verstümmelung untauglich zu machen, auch das Abhacken der Finger machte nicht frei und wurde außerdem streng wie Desertion bestraft. Noch um 1790 schämte sich ein reicher Bauernbursch in Kursachsen, der durch den Haß des Amtmanns zum Dienst gezwungen worden war, sein Heimatdorf in der Montur zu betreten. Sooft er Urlaub erhielt, machte er vor dem Dorf halt und ließ sich seine Bauernkleider herausbringen; die Montierungsstücke mußte eine Magd durch die Dorfgasse tragen.

Deshalb hörten die Desertionen nie auf; sie waren das gewöhnliche Leiden aller Armeen und durch die furchtbaren Strafen – beim ersten und zweiten Male Spießruten, beim dritten die Kugel – nicht zu verhindern. In der Garnison war unablässiger Appell und stilles Spionieren nach der Stimmung der einzelnen unzureichende Hilfe. Gab aber die Kanone das Zeichen, daß ein Mann entflohen, dann wurden die Dörfer der Umgebung alarmiert. Die Einspännigen oder Heidereiter trabten auf allen Straßen, Kommandos zu Fuß und Roß durchzogen das Land bis an die Grenze, überall wurden die Dörfer benachrichtigt. Wer einen Deserteur einbrachte, erhielt im Preußischen zehn Taler, wer ihn nicht anhielt, soll das Doppelte als Strafe bezahlen. Jeder Soldat, der auf der Landstraße ging, mußte einen Paß haben; in Preußen hatte nach dem Befehl Friedrich Wilhelms jeder Untertan, vornehm oder gering, die Verpflichtung, jeden Soldaten, den er unterwegs traf, anzuhalten, nach seinem Ausweis zu fragen, zu arretieren und abzuliefern. Es war eine greuliche Sache für den kleinen Handwerksburschen, auf einsamer Straße einen verzweifelten sechsfüßigen Grenadier mit Ober- und Untergewehr zum Stillstand zu bringen und konnte durchaus nicht durchgesetzt werden. Noch schlimmer war es, wenn größere Trupps sich zur Flucht verabredeten, wie jene zwanzig Russen aus dem Regiment des Dessauers zu Halle, welche im Jahre 1734 Urlaub erhalten hatten, den griechischen Gottesdienst in Brandenburg zu besuchen, wo der König für seine zahlreichen russischen Grenadiere einen Popen hielt. Die zwanzig aber beschlossen, zu den goldenen Kreuzen des heiligen Moskau zurückzupilgern; sie schlugen sich mit großen Stangen durch die sächsischen Dörfer, wurden mit Mühe durch preußische Husaren aufgefangen und über Dresden in ihre Garnison zurückgebracht, dort mild behandelt. Weit schmerzlicher war dem König, daß sogar unter seinen großen Potsdamern eine Verschwörung ausbrach, als sich lange Grenadiere vom Serbenstamm verschworen hatten, die Stadt anzustecken und mit bewaffneter Hand zu desertieren. Es waren sehr große Leute darunter; die Hinrichtungen, das Nasenabschneiden und andere Zuchtmittel verursachten dem König einen Verlust von dreißigtausend Talern. Vollends im Feld war ein System von taktischen Vorschriften nötig, um die Desertion zu bändigen. Jeder Nachtmarsch, jedes Lager am Waldsaum brachte Verluste, die Truppen auf der Straße und im Lager mußten durch starke Husarenpatrouillen und Piketts umschlossen, bei jeder geheimen Expedition mußte das Heer durch Reiterschwärme isoliert werden, damit nicht einzelne Ausreißer dem Feind Nachrichten zutrugen. Das befahl noch Friedrich II. seinen Generälen. Trotz alledem war in jeder Kompanie, nach jedem verlorenen Treffen, selbst nach gewonnenen, die Zahl der Ausreißer zum Erschrecken groß. Nach unglücklichen Feldzügen waren ganze Armeen in Gefahr zu zerlaufen. Viele, die von einem Heer wegliefen, zogen spekulierend wie die Söldner im Dreißigjährigen Krieg dem andern zu; ja das Ausreißen und Wechseln erhielt für Abenteurer einen rohen, gemütlichen Reiz. Ein aufgefangener Deserteur war in der Meinung des großen Haufens nichts weniger als ein Übeltäter, – wir haben mehrere Volkslieder, in denen sich das volle Mitgefühl der Dorfsänger mit dem Unglücklichen ausspricht; der glückliche Deserteur aber galt sogar für einen Helden, und in einigen Volksmärchen ist der tapfere Gesell, welcher Ungeheuer bezwingt, dem Märchenkönig aus der Not hilft und zuletzt die Prinzessin heiratet, ein entsprungener Soldat.

Dieses fürstliche Kriegsvolk galt nach Auffassung der Zeit, auch nachdem die Volksbewaffnung jener Landesmiliz ganz in den Hintergrund gedrängt war, immer noch für einen Privatbesitz der Fürsten. Die deutschen Landesherren hatten nach dem Dreißigjährigen Kriege wie einst die italienischen Kondottieri mit ihrem Kriegsstaat gehandelt, sie hatten ihn an fremde Mächte verpachtet, um sich Geld zu machen und ihr Ansehen zu vergrößern. Zuweilen warben die kleinsten Territorialherren mehrere Regimenter im Dienst des Kaisers, der Holländer, des Königs von Frankreich. Seit die Truppen zahlreicher und zum großen Teil aus Landeskindern ergänzt wurden, erschien dieser Mißbrauch der Fürstengewalt dem Volk allmählich befremdlich. Aber erst seit durch die Kriege Friedrichs II. eine patriotische Wärme in das Volk gekommen war, wurde solche Verwendung ein Gegenstand lebhafter Erörterungen. Und als seit 1777 Braunschweig, Ansbach, Waldeck, Zerbst, vor andern Hessen-Kassel und Hanau, eine Anzahl Regimenter an England zum Dienst gegen die Amerikaner vermieteten, wurde der Unwille im Volk laut. Noch war es nicht mehr als eine lyrische Klage, aber sie schallte vom Rhein bis zur Weichsel; die Erinnerung daran ist noch jetzt sehr lebendig, noch heute hängt über einer der Regentenfamilien, die damals am frevelhaftesten das Leben ihrer Untertanen verschacherte, diese Untat wie ein Fluch.

Unter den deutschen Staaten war es Preußen, in welchem sich die Tyrannei dieses Militärsystems am schärfsten, aber auch mit einer einseitigen Größe und Originalität ausbildete, durch welche das preußische Heer während eines halben Jahrhunderts zu der ersten Kriegsmacht der Welt geformt wurde, zu einem Muster, nach dem sich alle übrigen Armeen Europas bildeten.

Wer kurz vor 1740 unter der Regierung König Friedrich Wilhelms I. preußisches Land betrat, dem fiel in der ersten Stunde das eigentümliche Wesen auf. Bei der Feldarbeit, in den Straßen der Stadt sah er immer wieder schlanke Leute von soldatischem Aussehen, mit einer auffallenden roten Halsbinde. Es waren Kantonisten, die schon als Kinder in die Soldatenregister eingetragen waren, zur Fahne geschworen hatten und eingezogen werden konnten, wenn der Staat des Königs ihrer bedurfte. Jedes Regiment hatte fünf- bis achthundert dieser Ersatzleute, man nahm an, daß dadurch die Armee – vierundsechzigtausend Mann – in drei Monaten um dreißigtausend Mann vermehrt werden konnte, denn alles lag für sie in den Montierungskammern bereit, Tuch und Gewehre. Und wer zuerst ein Regiment preußischen Fußvolks sah, dem wuchs das Erstaunen. Die Leute hatten eine Größe, wie sie an Soldaten nirgend in der Welt zu sehen war, sie schienen von einem fremden Stamm. Wenn das Regiment vier Glieder hoch in Linie stand – die Stellung in drei Gliedern wurde gerade damals erst eingeführt –, dann waren die kleinsten Leute des ersten Gliedes nur wenige Zoll unter sechs Fuß, fast ebenso hoch das vierte, die mittleren wenig kleiner. Man nahm an, daß, wenn die ganze Armee in vier Reihen gestellt würde, die Köpfe vier schnurgerade Linien machen müßten; auch das Gewehr war etwas länger als anderswo. Und nicht weniger auffallend war das propre Aussehen der Mannschaft; wie Herren standen sie da, mit reiner guter Leibwäsche, den Kopf sauber gepudert mit einem Zopf, alle im blauen Rock, zu den hellen Kniehosen Stiefeletten von ungebleichter Leinwand, die Regimenter durch Farbe der Westen, Aufschläge, Litzen und Schnüre unterschieden. Trug ein Regiment Bärte, wie z. B. das des alten Dessauers in Halle, so war der Bart sauber gewichst, jedem Mann wurde alljährlich vor der Revue eine neue Montur bis auf Hemd und Strümpfe geliefert, auch in das Feld nahm er zwei Anzüge mit. Noch stattlicher sahen die Offiziere aus, mit gestickter Weste, um den Leib die Schärpe, am Degen das »Feldzeichen«, alles von Gold und Silber, und am Hals den vergoldeten Ringkragen, in dessen Mitte auf weißem Feld der preußische Adler zu sehen war. In der Hand trugen Hauptmann wie Leutnant die Partisane, die man schon damals ein wenig verkleinert hatte und Sponton nannte, die Unteroffiziere noch die kurze Pike. Es galt damals für schön, daß die Kleidung eng und gepreßt saß, und ebenso waren die Bewegungen der Leute kurz, geradlinig, die Haltung eine gerade, straffe, der Kopf stand hoch in der Luft. Noch merkwürdiger waren ihre Evolutionen. Denn sie marschierten zuerst von allen Kriegsvölkern in einem Gleichtritt, die ganze Linie nach der Schnur wie ein Mann den Fuß aufhebend und niedersetzend. Diese Neuerung hatte der Dessauer eingeführt; es war ein langsames und würdiges Tempo, das auch im ärgsten Kugelregen wenig beschleunigt wurde, derselbe majestätische Gleichtritt, welcher in der heißesten Stunde bei Mollwitz die Österreicher in Verwirrung brachte. Auch die Musik erschütterte den, der sie hörte. Die großen messingenen Trommeln der Preußen (sie sind leider jetzt zur Kleinheit einer Schachtel herabgekommen) regten ein ungeheures Getöse auf. Wenn in Berlin zur Wachtparade von einigen zwanzig Trommeln geschlagen wurde – kein Fremder versäumte das anzuhören –, dann zitterten alle Fenster. Und unter den Hoboisten war sogar ein Trompeter, ebenfalls eine unerhörte Erfindung. Die Einführung dieses Instruments hatte überall in ganz Deutschland Staunen und Einwendung verursacht, denn die Trompeter und Pauker des Heiligen Römischen Reiches bildeten eine zünftige Genossenschaft, welche durch ein schönes kaiserliches Privilegium geschützt war und die unzünftigen Feldtrompeter nicht dulden wollte. Aber der König kehrte sich gar nicht daran. Und wenn vollends die Soldaten exerzierten, luden und feuerten, so war die Präzision und Schnelligkeit einer Hexerei ähnlich; denn seit 1740, wo der Dessauer den eisernen Ladestock eingeführt hatte, schoß der Preuße vier- bis fünfmal in der Minute, er lernte es später noch schneller, 1773 fünf- bis sechsmal, 1781 sechs- bis siebenmal. [...] Wenn die Salven der exerzierenden Mannschaft früh unter den Fenstern des Königsschlosses zu Potsdam dröhnten, war der Lärm so groß, daß alle kleinen Prinzen und Prinzessinnen aus den Betten sprangen.

Der Ort war ein ärmlicher Flecken gewesen zwischen Havel und Sumpf, der König hatte ein steinernes Soldatenlager daraus gemacht; kein Zivilist durfte dort einen Degen tragen, auch der Staatsminister nicht. Dort lagen um das königliche Schloß in kleinen Ziegelhäusern, die zum Teil auf holländische Art gebaut waren, die Riesen des Königs, das weltberühmte Grenadierregiment. Es waren drei Bataillone von achthundert Mann, außerdem sechs- bis achthundert unrangierte zum Ersatz. Wer von den Grenadieren mit Frau und Kindern behaftet war, der erhielt ein Haus für sich; von den andern Kolossen hausten je vier bei einem Wirt, der ihnen aufwarten und Kost besorgen mußte, wofür er etliche Klaftern Holz erhielt. Die Leute dieses Regiments wurden nicht beurlaubt, durften keine öffentliche Handarbeit treiben, keinen Branntwein trinken; die meisten »lebten wie Studenten auf der hohen Schule, sie beschäftigten sich mit Büchern, mit Zeichnen, mit Musik oder arbeiteten in ihren Häusern«. Sie erhielten außergewöhnlichen Sold, die längsten von zehn bis zwanzig Taler monatlich, schöne Leute in hohen blechbeschlagenen Grenadiermützen, wodurch sie noch um vier Hände breit höher wurden, und die Querpfeifer des Regiments waren gar Mohren. Wer zu der Leibkompanie des Regiments gehörte, der war so merkwürdig, daß er abgemalt und im Korridor des Potsdamer Schlosses aufgehängt wurde. Diese Enaksöhne in Parade oder exerzieren zu sehen, reisten viele distinguierte Leute nach Potsdam. Freilich wurde schon damals bemerkt, daß solche Kolosse schwerlich zum Ernst des Krieges brauchbar wären, und daß noch niemand in der Welt darauf verfallen sei, den Vorzug des Soldaten in der außerordentliche Größe zu suchen, das Wunder sei Preußen vorbehalten. Aber wer im Land selbst weilte, tat gut, dergleichen nicht laut auszusprechen. Denn die Grenadiere waren eine Leidenschaft des Königs, welche in den letzten Jahren fast bis zum Wahnsinn stieg, für die der König seine Familie, Recht, Ehre, Gewissen und was ihm sein Leben lang sonst am höchsten stand, den Vorteil seines Staates vergaß. Sie waren seine lieben blauen Kinder, er kannte jeden von ihnen genau, nahm an ihren persönlichen Angelegenheiten lebhaften Anteil, unterhielt sich, wenn er gnädig war, mit den einzelnen und ertrug lange Reden und dreiste Antworten. [...]

Was irgendwo in Europa von großen Leuten zu finden war, das ließ der König aufspüren und durch Güte oder durch Gewalt zu seiner Garde schaffen. Da stand der Riese Müller, der sich in Paris und London für Geld hatte sehen lassen – die Person zwei Groschen – er war erst der vierte oder fünfte in der Reihe; noch größer war damals Jonas, ein Schmiedeknecht aus Norwegen, dann der Preuße Hohmann, dem der König August von Polen, der doch ein stattlicher Herr war, mit der ausgestreckten Hand nicht auf den Kopf reichen konnte; endlich später James Kirkland, ein Ire, den der preußische Gesandte von Borke mit Gewalt aus England entführt hatte, und wegen dem beinahe der diplomatische Verkehr abgebrochen wurde, er hatte dem König gegen neuntausend Taler gekostet. Aus jeder Art von Lebensberuf waren sie zusammengeholt, Abenteurer der schlimmsten Art, Studenten, katholische Geistliche, Mönche, auch einzelne Edelleute standen in Reih und Glied. Wer zu spekulieren wußte, verkaufte seine Größe teuer. Der Kronprinz Friedrich sprach in den Briefen an seine Vertrauten oft mit Abneigung und Spott von der Leidenschaft des Königs; aber auch ihm ging etwas davon in das Blut über, und ganz ist die Freude daran noch heute nicht aus dem preußischen Heer geschwunden. Sie überkam auch andere Fürsten. Zunächst solche, welche zu den Hohenzollern hielten, die Dessauer, die Braunschweiger. Noch 1806 trieb der Herzog Ferdinand von Braunschweig, welcher bei Auerstädt tödlich verwundet wurde, bei seinem Regiment zu Halberstadt einen systematischen Menschenhandel; in seiner Leibkompanie ging das erste Glied mit sechs Fuß aus, der kleinste Mann hatte fünf Fuß neun Zoll, alle Kompanien waren größer als jetzt das erste Garderegiment. Aber auch an andere Armeen hing sich etwas von dieser Vorliebe. Am Ende des 18. Jahrhunderts bedauert ein tüchtiger sächsischer Offizier, daß die schönsten und größten Regimenter der sächsischen Armee sich nicht mit den kleinsten der Preußen messen konnten.


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