Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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Uns sind zwei Selbstbiographien frommer Seelen aus der Schule Speners erhalten, welche auch andere Richtungen des deutschen Lebens gut beleuchteten. Beide gehören zusammen, es ist Mann und Frau, welche sie uns hinterlassen haben, gutherzige Menschen von warmem Gemüt, einiger Gelehrsamkeit und nicht vorzugsweise kräftigem Gefüge des Geistes, der Theologe Johann Wilhelm Petersen und seine Gattin Johanna Eleonore geb. von Merlau. Nachdem die Gatten sich nicht ohne einen angenehmen Wink Gottes ehelich verbunden hatten, führten sie miteinander ein geistliches Leben; einträchtig, wie ein Vogelpaar, flatterten sie durch Anfechtungen und Beschwerden dieses Erdentales. Gemeinsam kamen ihnen die himmlischen Tröstungen und Offenbarungen, oft mußten sie von einem Zweig auf den andern fliegen, weil das Lied, welches sie zusammen eingeübt hatten, der Welt für schwärmerisch galt. Bei den Besten unter den Stillen aber blieben sie bis an ihr Lebensende in Ansehen, zuverlässig wegen ihrer Herzensgüte, welche auch durch die fromme Eitelkeit nicht erstickt wurde. Der Mann, von Haus eine fleißige und pflichtgetreue Natur mit poetischer Empfindung und dem Bedürfnis sich anzulehnen, von nicht unbedeutender philologischer Bildung, wird offenbar durch die entschlossenere Frau, welcher ihr »weltlicher Adelsstand« auch unter den Frommen Ansehen gibt, sehr beeinflußt. Erst seit seiner Verheiratung ist unruhige Erregung, zuweilen eine Maßlosigkeit des Eifers in ihm sichtbar. Die Frau aber, einige Jahre älter als er, hatte einst an kleinem Fürstenhof ihre strenge Frömmigkeit im Kampf gegen das Kavalierleben herausgebildet; man darf aus ihrer Biographie schließen, daß sie nicht frei von Ehrgeiz und Herrschsucht und nicht ohne einen Beisatz von herber Strenge war. Ihr langer stiller Widerspruch hatte sie übereifrig gemacht, und die fromme Frau Baur von Eyseneck, bei welcher sie später in Frankfurt lebte, gehörte ebenfalls zu den enthusiastischen Gemeindegliedern, welche Konventikel hielten und ihrem Seelsorger Spener deshalb Kummer machten. So ist anzunehmen, daß vorzugsweise der Einfluß der Frau den Gatten auf dem Weg forttrieb, der ihn zuletzt aus seinem Amt entfernte und als Schwärmer und Chiliasten in Verruf brachte. Aber durch den Haß der Orthodoxen ist beiden Unrecht geschehen, sie waren ehrlich, auch da, wo sie Auffallendes verkündeten. Hier werden zuerst die Jugendjahre der Frau, dann einige hierher gehörige Züge aus dem Leben des Mannes mit ihren eigenen Worten berichtet. Johanna Eleonore Petersen, geb. von und zu Merlau (geboren 1644, den 25. April), erzählt von sich folgendes:

Die Furcht des Herrn hat mich bewahret und seine Güte und Treue hat mich geleitet.

Den Trieb seines guten Geistes habe ich von zarter Kindheit an empfunden, aber demselben guten Geist aus Unwissenheit oft widerstrebt. Ich habe ihm in meinem weltlichen Adelstand große Hindernisse bereitet, weil ich ihm die Welt gleichstellte, bis mir das Verständnis kam und bis das heilbringende Wort eine kräftige Überzeugung in mir gewirkt hat. Denn als ich ungefähr vier Jahr alt war, traf es sich, daß meine lieben Eltern, welche der Kriegsunruhe wegen in Frankfurt gewohnt hatten, wieder aufs Land zogen, weil überall Friede war. Sie hatten schon vieles aufs Land bringen lassen, und die selige Mutter war mit mir und meinen beiden Schwestern auf einem Gut bei Hettersheim, Philippseck genannt, und besorgte nichts Übles. Da kam das Dienstvolk und berichtete, wie ein ganzer Trupp Reiter käme, worauf denn jeder geschwind das Seine auf die Seite brachte und die selige Mutter mit drei kleinen Kindern allein ließ, von denen das älteste sieben, ich vier Jahre und das dritte an der Brust war. Da nahm die selige Mutter das jüngste an die Brust, uns beide an die Hand und ging ohne Magd nach Frankfurt, welches eine große halbe Meile entfernt war. Es war aber im Sommer, die Frucht stand auf dem Felde, und man konnte den Schall der Soldaten hören, welche etwa einen Pistolenschuß von uns marschierten. Da wurde der seligen Mutter sehr bange und ermahnte uns zum Gebet. Als wir aber zum äußeren Schlage der Stadt kamen, wo wir in Sicherheit waren, setzte sich die selige Mutter mit uns nieder und vermahnte, dem höchsten Gott zu danken, der uns behütet. Da sprach meine älteste Schwester, die drei Jahre älter war als ich: »Warum sollen wir jetzt beten? Jetzt können sie ja nicht mehr zu uns kommen.« Da habe ich in meinem Herzen einen rechten Schmerz über diese Rede gehabt, daß sie Gott nicht danken wollte oder meinte, daß es nun nicht nötig wäre. Das verwies ich ihr mit brünstiger Liebe gegen den Herrn, dem ich von Herzen dankte. – Item, als ich beredet wurde, daß die Bademutter die Kinder aus dem Himmel holte, habe ich großes Verlangen gehabt mit der Bademutter zu reden, habe ihr anbefohlen, den Herrn Jesum herzlich zu grüßen und von ihr zu wissen begehrt, ob der liebste Heiland mich auch lieb hätte. Das waren die ersten Kinderbewegungen, deren ich mich noch genau erinnern kann.

Als ich in das neunte Jahr ging, wurden wir mutterlose Waisen und erging es uns nicht zum besten. Denn der Vater hielt sich fünf Meilen von unserm Gut bei Hofe auf und nahm zu uns Kindern eine Schulmeisterwitwe ins Haus. Diese hatte ihre eigenen Kinder im Flecken und wandte ihnen zu, was uns gebührt hätte, ließ es uns aber fehlen, so daß wir oft gern nahmen, was andere nicht mochten. Auch geschah es durch ihre Praktiken, daß sie uns oft bei Abendzeit im Hause allein ließ. Dann kamen gewisse Leute, die sich in weiße Hemden gekleidet, ihre Gesichter mit Honig bestrichen und Mehl hineingestreut hatten; sie gingen mit Lichtern im Hause herum, brachen Kisten und Kasten auf und nahmen daraus, was sie wollten. Darüber bekamen wir solche Furcht, daß wir uns zusammen hinter den Ofen setzten und vor Angst schwitzten. Solches geschah so lange, bis das Haus sehr ausgeräumt wurde. Weil aber der Vater sehr hart gegen uns war, hatten wir nicht das Herz etwas zu klagen, wir waren nur froh, wenn er wieder fortgereist war und litten das Unwesen so lange, bis einst der von Praunheim, der nunmehr meine Schwester hat, uns besuchte, welcher damals noch sehr jung war. Dem klagten wir unsere Not, und er nahm sich vor, im Hause verborgen zu bleiben bis an den Abend und zu sehen, ob das Gespenst wiederkommen wollte. Als es nun kam und gleich nach dem Schrank ging ihn aufzubrechen, da sprang er hervor und wurde gewahr, daß es Leute aus dem Flecken waren, Söhne eines Wagners, welche gute Bekanntschaft mit der Witwe hatten, die uns behüten sollte. Aber weil er allein war, sprangen sie davon und wollten's nicht zugeben, daß sie es gewesen wären. Doch kam das Gespenst nicht wieder, und wir erhielten auch vieles zurück, was sie auf den Boden über die Küche geschleppt hatten.

Diese Witwe schaffte der selige Vater ab und wurde ihm eine Kapitänsfrau vorgeschlagen, welche in der Haushaltung und andern Geschicklichkeiten berühmt war; da meinte der selige Vater uns gar wohl versorgt zu haben, aber es war eine unchristliche Frau, die ihre Soldatenstücke noch nicht vergessen hatte. Denn als sie einst eine Menge fremder kalekutischer Hühner auf dem Wege sah, ließ sie dieselben ins Haus treiben, griff das beste, und die andern ließ sie wieder fortjagen. Zu diesem ihrem gestohlenen Braten wollte sie trockenes Holz haben und schickte mich, um solches zu erlangen, auf einen hohen Turm, der fünf Stockwerk hoch und viereckig gebaut war. Dort war unter dem Dach ein Taubenhaus gewesen, wo lose dürre Bretter lagen, von diesen Brettern sollte ich ihr holen. Und als ich einige heruntergeworfen hatte und eins abreißen wollte, das noch an einer Stelle fest war, schlug ich zurück, fiel zwei Stockwerke hoch hinab und kam an eine Treppe zu liegen; hätte ich mich umgewendet, so wäre ich noch zwei Stockwerke tief gefallen. Ich lag aber etwa eine halbe Stunde in Ohnmacht, und als ich wieder zu mir selbst kam, wußte ich im Anfang nicht, wie ich dorthin gekommen, stand auf und fühlte, daß ich sehr matt war, ging die Stiege hinunter und legte mich in das Bett, das in einem Gemach desselben Turmes stand, auf welchem der selige Vater zu schlafen pflegte, wenn er zu Hause war. Dort schlief ich etliche Stunden, und hernach stand ich auf und war frisch und gesund. Es war aber während der Zeit keine Nachfrage nach mir geschehen, und als ich sagte, daß ich gefallen wäre, bekam ich Scheltworte, warum ich mich nicht vorgesehen. Ich ging aber auf die Seite und wollte nicht von dem gestohlenen Braten essen; es erschien mir als eine rechte Schmach, und ich hatte doch nicht das Herz, etwas zu sagen.

Als ich nun in das elfte Jahr ging, wurde meine selige Schwester, die drei Jahre älter war, zum Pastor geschickt, daß sie wegen des heiligen Abendmahls unterrichtet werden sollte. Da bekam ich solche Lust und wollte gern mitgehen, der selige Vater aber wollte mich nicht dazu lassen, weil ich kürzlich erst zehn Jahr alt geworden. Ich aber hielt so lange an, bis der Vater darein willigte, wenn der Herr Pastor mich für tüchtig halten würde. Dieser kriegte mich vor und fragte mich nicht allein nach den Worten, sondern auch nach dem Verstand der Worte. Da gab mir Gott solche Gnade in den Antworten, daß der Herr Pastor vergnügt war und mich zuließ.

Etliche Zeit danach kam meine Schwester nach Stuttgart, und ich mußte die Haushaltung über mich nehmen und von allem Rechenschaft geben, was mir sehr schwer war, weil der selige Vater, sooft er nach Hause kam, mir sehr hart begegnete, und alles, was zerbrochen oder sonst nicht recht nach seinem Sinne war, von mir forderte, und mich oft, wenn ich unschuldig war, hart strafte. Darüber bekam ich solche knechtische Furcht, daß ich zusammenfuhr, wo ich nur eine Stimme hörte, die der Stimme meines Vaters ähnlich war. Darüber habe ich manchen Seufzer zu meinem Gott geschickt; aber wenn er wieder weg war, wurde ich gutes Muts, sang und sprang und war sehr fröhlichen Geistes. Dabei hatte ich aber einen rechten Ekel vor allem, was nicht sittsam oder kindlich war, mochte auch nichts mit dem Hochzeit- oder Kindtaufspielen der Mädchen und dergleichen zu tun haben, denn ich schämte mich davor.

Mit zwölf Jahren wurde ich an den Hof getan, zu der Gräfin von Solms-Rödelheim. Diese hatte es in den sechs Wochen bekommen, daß sie bisweilen nicht recht bei Sinnen war. Damals aber ging es noch ziemlich mit ihr. Als sie aber bald darauf entbunden wurde und zwei Kinder zugleich bekam, einen jungen Herrn und ein Fräulein, wurde es von Tag zu Tag schlechter mit ihr, so daß sie mich öfter für ihren Hund ansah, welcher ein kleines Löwenhündchen war, und mit seinem Namen nannte und mich schlug wie ihn. Auch geschah es oft, daß wir auf dem Wasser fuhren, denn in Winterszeit sind die Wiesen zwischen Frankfurt und Rödelheim ganz mit Wasser überlaufen, so daß das Wasser in die Kutschen ging; da fuhren die Kutschen ledig, wir aber auf einem Kahn, bis wir wieder am Ende des Wassers einstiegen. Wenn wir so fuhren, hat sie mich oft ins Wasser stürzen wollen, ich sollte als ihr Hündchen schwimmen, aber der Höchste hat mich bewahrt. Einmal wurde ich gewahr, daß sie aus ihrem Schrank ein Messer mit einer Scheide zu sich steckte; ich sagte es der Kammermagd, welche schon etwas ältlich war, diese aber wollte mir kein Gehör geben und meinte, die Gräfin hätte kein Messer, es wäre Kinderei von mir. Es ging aber aus der Gräfin Schlafkammer eine Tür in unsere Kammer und eine andere Tür in des Grafen Gemach. Als es nun Nacht war, wollte ich mich nicht niederlegen, weil mir das Messer im Sinn lag, die Kammerfrau aber zürnte mit mir und drohte dem Grafen zu sagen, daß ich mich so kindisch stellte, doch legte ich mich nur mit den Kleidern aufs Bett. In der Nacht aber hörte ich einen Tumult, ich weckte alle auf und stieg aus dem Bett. Da hörten sie den Grafen aus der Kammer laufen, und sofort kam die Gräfin und hatte das Nachtlicht und das bloße Messer in der Hand. Als sie uns nun alle wach sah, erschrak sie und ließ das Messer fallen; da sprang ich zu, als wollt' ich ihr das Messer langen, lief aber damit zur Tür hinaus und im Dunkeln die Treppe hinab. Als ich auf der Treppe war, hörte ich den Grafen rufen: »Wo ist meine Gemahlin?« Dem antwortete ich, daß ich das Messer hätte. Ich war aber so furchtsam, daß ich mich nicht wieder umzukehren traute, sondern ich ging in einen Saal, welcher der Riesensaal genannt ward und sehr unheimlich ist, da blieb ich. Die Kammerfrau aber war eine Leibeigene von der Frau Mutter der Gräfin aus Böhmen, die ging weg und kam nicht wieder; da war ich etliche Wochen ganz allein um die Gräfin, mußte sie aus- und ankleiden, was mir sehr hart ankam.

Es erfuhr aber der selige Vater von andern, daß ich in solcher Gefahr war, und nahm mich da weg. Hernach kam ich etwa fünfzehn Jahre alt zu der Herzogin von Holstein, einer geborenen Landgräfin von Hessen, welche dem Herzog Philipp Ludwig aus dem Suderburgischen Hause vermählt war. Der Herzog hatte aus der ersten Ehe eine Prinzessin, welche gerade an den Kaiserlichen Kammerpräsidenten Grafen von Zinzendorf verheiratet wurde. Für diese fürstliche Braut wurde ich zur Hofjungfer angenommen, ihre Kammerjungfer war eine von Steinling, die schon an dreißig Jahre alt war. Gleich nach meiner Ankunft wurde die Reise nach Linz angetreten, wo das Beilager sein sollte. Wir fuhren auf der Donau, und es ging sehr lustig zu, die Pauken und Trompeten gaben einen schönen Ton auf dem Wasser, und überall auf der ganzen Reise wurden wir sehr herzlich empfangen auf Veranstaltung derer, die gesandt waren, die fürstliche Braut zu holen. Es kam mir auf meine vorige Angst sehr fröhlich vor, und ich hatte keine Sorge, als daß ich dachte: Wenn's nur der Seele nichts schadet, weil ich an einen papistischen Ort kam. Sooft wir nun in das Quartier kamen, suchte ich ein Gemach, wo niemand war, fiel auf meine Knie und bat, Gott möchte das alles verhindern, was mir an meiner Seligkeit schädlich sein könnte. Dies Beiseitegehen merkte das Kammermädchen der Braut, schlich mir einst nach und wollte sehen, was ich doch allein machte, da sie mich noch für sehr kindisch ansah, weil ich sehr schmal war. Als sie mich aber auf den Knien betend fand, ging sie still wieder zurück, ohne daß ich wußte, daß sie mich gesehen hatte. Aber als einst die fürstliche Braut mich fragte, ob ich auch betete, antwortete die Kammerjungfer, man dürfe keine Sorge um mich haben. Da merkte ich, daß sie mich im Gemach wahrgenommen hatte. Als wir nun nach Linz kamen, war das Beilager auf dem kaiserlichen Schlosse, und ging alles sehr prächtig zu. Am andern Tage mußte die fürstliche Braut in die Schloßkapelle gehen, da ward ein Segen über sie gesprochen und ein goldener Becher voll Wein gegeben, das nannten sie den Johannissegen, daraus mußte der Graf und sie trinken. Da geschah es, daß nach dem Beilager, als jedes wieder an seinen Ort ziehen wollte, unter der Herrschaft ein Disputat meinetwegen entstand. Der Graf von Zinzendorf nämlich sagte, er könnte nur das Kammerfräulein (wie man dort die adligen Jungfern nennt) an seine Tafel nehmen, die andern müßten mit der Hofmeisterin speisen. Das wollte der Herzog nicht zugeben, indem er sagte, daß die Hofmeisterin nur bürgerlichen Standes wäre, ich aber wäre von einem alten Hause und nicht geringer als die andere; er könnte es nicht verantworten, daß ein so großer Unterschied zwischen uns gemacht würde, ich wäre seiner Gemahlin Taufpate.

Als aber das nicht helfen wollte, ward beschlossen, daß ich wieder mit der Herzogin zurückkehren sollte, und als mir auch die Ursache angesagt wurde, deuchte sie mir gar wunderlich, denn es war mein Wunsch, allein mit der Hofmeisterin zu speisen, lieber als an des Herrn Tafel. Aber ich wußte nicht, daß es die Barmherzigkeit Gottes so fügte, und daß mein armes Gebet so gnädig erhört wurde; denn nach Verlauf einiger Jahre fielen die Fürstin und alle Personen, die mit ihr gekommen waren, zur päpstlichen Religion. Damals aber war ich sehr betrübt, daß ich wieder zurücksollte, ich dachte, man könnte meinen, ich hätte mich nicht recht geschickt, auch war mir bange, wieder unter die harte Zucht des seligen Vaters zu kommen.

Da der Herzog von Holstein aber Wiesenburg von Kursachsen überkommen hatte, zehn Meilen von Leipzig, eine Meile von Zwickau, und dort wohnte, da beliebte der Herzogin, mich bei sich zu behalten. Ich übte mich in allerlei Geschicklichkeiten, so daß ich sehr beliebt wurde, auch im Tanzen hatte ich vor andern den Preis, was mir die Eitelkeit lieb und angenehm machte; auch zur Kleiderpracht und dergleichen Nichtigkeiten hatte ich rechtes Belieben, weil es mir wohl anstand, und ich von jedermann gerühmt wurde. Niemals sagte mir jemand, daß es nicht recht wäre, man lobte solche Eitelkeiten an mir und hielt mich für gottselig, weil ich gern las und betete und zur Kirche ging und oft die Predigt in allen Punkten wiedererzählen konnte; ich wußte, was das vorige Jahr über denselben Text gepredigt worden. Ich ward von Geistlichen und Weltlichen für eine gottselige Jungfrau gehalten, und doch führte ich meinen Wandel noch mit weltlichen Gedanken und war in die wahre Nachfolge Christi noch nicht getreten.

Da fügte es die Barmherzigkeit Gottes, daß ein Oberstleutnantssohn vom Geschlecht Brettwitz in mich verliebt wurde, und als er durch seinen Vater bei meiner Herrschaft und nachher bei meinem seligen Vater um mich ansuchte, da hieß es auf allen Seiten: ja. Er sollte ein Jahr als Kornett hinausziehen, dann sollte er die Kompanie des Vaters haben, der Oberstleutnant unter dem Kurfürsten von Sachsen war. Da er nun hinauskam in den Krieg, hörte ich oft von andern, daß sein Leben nicht gottselig, sondern nach der Welt war; da betrübte ich mich heimlich und lag auf meinem Angesicht vor Gott und flehte, daß entweder sein Gemüt oder unser Verlöbnis geändert werden möchte. Ich wußte aber nicht, daß der Höchste solches geschehen ließ, damit ich vor anderen adligen Heiraten behütet würde; denn ich war damals noch sehr jung, und es fiel manche Gelegenheit zu heiraten vor, denen allen ich durch diese Verlobung auswich, obgleich auf seiner Seite schon an manche andere gedacht worden war, da er in der Fremde sich bald hier, bald da engagiert hatte. Das währte etliche Jahre, in denen ich viele heimliche Betrübnisse hatte, welche die Freude der Welt sehr in mir dämpften. In diesen Jahren geschah eine zehnmalige Veränderung mit dem Brettwitz, daß er allemal anderen Sinnes wurde und seinen Sinn auf andere stellte; und wenn mit solchen nichts wurde, kehrte er immer wieder um und schrieb von Beständigkeit, welches ich alles dem Höchsten anheimstellte und mich mit Gott näher zu vereinigen suchte. Dabei wurde mir manche Erquickung durch die Heilige Schrift mitgeteilt, zuweilen im Schlaf durch göttliche Träume, wo ich mit solcher Kraft die Worte der Schrift redete und darüber aufwachte, daß meine Gespielin, welche ein gottseliges Herz hatte, oft sehr darüber betrübt wurde, daß sie dergleichen nicht empfing. Diese tröstete ich immer damit, daß sie mich als ein Kind ansehen sollte, welches vom Vater mit Zucker gelockt würde, sie aber wäre bewährt und hätte solche Lockungen nicht nötig. Und das ging mir von Herzen. Denn ich sah wohl, daß die Welt mich an sich zog wegen des freudigen Geistes, der in mir war, mein Gott aber zog mich durch seine Freudigkeit und Liebe wieder zu sich.

Endlich kam die Person, welche sich so oft verändert hatte, nach Hause und sprach an unserm Hof vor. Da wollte ihm mein geistlicher Zustand nicht anstehen, weil er meinte, es würde sich für eine Soldatenfrau nicht schicken, so viel in der Bibel zu lesen. Er hätte gern gesehen, daß ich ihm aufgesagt hätte, weil sein Vater eine reiche Heirat in Dresden für ihn wußte, wenn er mit Manier von mir abkommen könnte, und doch wollte er nicht gern untreu genannt werden; so hätte er es gern auf mich geschoben. Aber ich blieb still und kehrte mich an gar nichts, sondern vertraute meinem himmlischen Vater, der würde es wohlmachen. Als nun einer, genannt von Fresen, mich gern gewarnt hätte, in der Meinung, ich merkte nicht, daß gedachter von Brettwitz nicht aufrichtig wäre, schrieb derselbe einen Brief an mich, denn er hatte keine Gelegenheit mit mir zu reden, da ich fast immer bei meiner Herzogin im Gemach war. Diesen Brief bekam gedachter Brettwitz in die Hände und meinte großen Beweis darin zu haben, um mich zu beschuldigen, daß ich gegen andere Affektionen hätte oder mit andern freite. Sein Vater, der damals gegenwärtig war, dachte auch, daß es eine gute Gelegenheit für sie wäre und sie jetzt mit guter Manier die reiche Heirat antreten könnten, ging zum Herzog und zeigte ihm den Brief vor, als wenn andere mit mir freiten und deshalb sein Sohn sich keine Hoffnung mit mir machen könnte, noch wollte, sondern sein Glück weiter suchen müßte. Es verdroß zuerst den Herzog, solches von mir zu hören, da ich bisher zu seiner Verwunderung alle Gelegenheiten ausgeschlagen hatte. Mich aber wollte sehr schmerzen, daß die Herrschaft solches von mir denken sollte. Als ich nun mit Tränen in mein Gemach ging, fielen mir in meinem Herzen die Worte bei: »Was ich jetzt tue, das weißt du nicht, du wirst es aber hernach erfahren.« Darauf gab ich mich zufrieden. Als nun am andern Tage der Brief recht gelesen ward, da fand sich, daß der Schreiber darin klagte, wie er nie eine Gelegenheit habe, mit mir zu reden und seine ehrliche Liebe zu offenbaren, und wie ich mich doch durch falsche Personen abhalten ließe, die Liebe anderer anzunehmen. Da wurde erkannt, daß ich unschuldig wäre, und die Brettwitze konnten so nicht loskommen. Es fragten mich aber der Herzog und die Herzogin, wie ich gesinnt wäre, es müßte jetzt entschieden werden. Da bat ich, man möchte den Brettwitz nicht dazu antreiben mich zu nehmen. Darauf sandte gedachter von Brettwitz zween Kavaliere an mich, um zu hören, wie ich gegen ihn gesinnt wäre, ob ich noch einige Zeit auf sein Glück warten wolle. Ich aber gab ihm seine Freiheit, meinetwegen sein Glück zu suchen, wo er wollte, denn ich fühlte mich nicht länger verpflichtet, mein Gemüt an solch ein untreues Herz zu wenden, das womöglich gern mich aller Untreue beschuldigt hätte. Darauf wurde ein falsches Kompliment ausgerichtet, das Mißverständnis wäre ihm leid, und es wäre dabei ausgemacht, daß er weiter keinen Anspruch an mich haben sollte. Die reiche Heirat aber ging nicht vor sich, er selbst ist auch später kontrakt geworden.

So wurde ich die Last los, und ich war unterdes so stark geworden, daß andere Heiratsgedanken nicht bei mir stattfanden. Immer lag mir im Sinn, daß unter Edelleuten so große Mißbräuche wären, die dem Christentum ganz und gar zuwider sind. Erstens, daß sie zum Trinken mehr Gelegenheit haben als andere Standespersonen; zweitens, daß sie gleich um jedes unrechte und leichtsinnige Wort Leib und Seele in Gefahr setzen müssen, wenn sie nicht beschimpft sein wollen. Solche Dinge gaben mir ein sehr tiefes Nachsinnen, daß man sich einbilden darf ein Christ zu sein und doch ganz gegen die Lehre Christi leben darf; und daß ihnen nicht einmal angesonnen wird, von solchem Vornehmen abzustehen, das hat mir allen Mut benommen zu heiraten. Denn obgleich ich einige feine Gemüter kannte, die einen Abscheu gegen diese Laster hatten, so lag mir doch im Sinn, daß die Nachkommen wieder in dieselbe Gefahr gesetzt würden. Eine Mannsperson aus anderem Stand, dachte ich, dürfte ich doch nicht nehmen, weil der selige Vater sehr auf sein altes Geschlecht sah.

Da gab mir Gott immer mehr Gnade. Ich wurde mit einem rechten Gottesmann in Frankfurt bekannt. Denn da meine gnädigste Herrschaft nach dem Emser Bad reiste, war ein Fremder auf dem Schiff, in dem wir nach dem Wasserbad fuhren. Er kam durch Gottes sonderbare Schickung neben mich zu sitzen und wir gerieten in einen geistlichen Diskurs, welcher etliche Stunden währte, so daß die vier Meilen von Frankfurt bis Mainz, wo er ausstieg, mir nicht eine Viertelstunde deuchten. Wir redeten ohne Aufhören zusammen, und es war nicht anders, als ob er in mein Herz sähe. Da kam alles heraus, worüber ich bis dahin noch in Zweifel gelebt. Ja, ich fand in diesem Freunde das, was ich an einem Menschen in der Welt zu finden bezweifelt hatte; lange hatte ich mich danach umgesehen, ob auch wahre Täter des Wortes sein könnten, und hatte mich daran gestoßen, daß ich keinen fand. Aber als ich an diesem gewahr wurde, daß er so große Einsicht hatte und bis auf den Grund meines Herzens sehen konnte, auch solche Demut, Sanftmut, heilige Liebe und Ernst den Weg zur Wahrheit zu lehren, da wurde ich recht getröstet und sehr gestärkt und suchte durchzubrechenDer Fremde war Spener.. Da kam eine göttliche Überzeugung in mein Herz, ich bekam immer mehr einen Abscheu vor der Welt. Und ich sprach bei mir selbst: »Soll ich mich um schnöde, vergängliche Lust der göttlichen Natur berauben? Nein, ich will mit Gottes Hilfe durchdringen, es koste, was es koste.« Ich schrieb darauf an den Freund, der mir so göttliche Gabe mitgeteilt, daß ich ihn als einen Vater liebte, ich hätte vor, mich von allen Banden der Welt loszumachen. Der aber war in Sorgen, daß ich nicht möchte stark genug sein, alles zu ertragen, was mir dabei begegnen könnte. Mir aber waren das Gleichnis von den fünf törichten Jungfrauen und andere dergleichen heilsame Örter der Heiligen Schrift immer im Herzen, sie trieben mich an, die Freuden der Welt von mir abzulegen; und doch hatte ich vor meiner Herrschaft eine Furcht, die ich nicht überwinden konnte. Da tanzte ich oft mit Tränen und wußte mir nicht zu helfen. »Ach«, dachte ich oft, »daß ich doch eines Viehhirten Tochter wäre, so würde mir nicht verdacht werden, in der einfältigen Lehre Christi zu wandeln, niemand würde auf mich achten.« Als ich aber erkannte, daß mich kein Stand entschuldigen könnte, wurde ich entschlossen, mich weder durch Tod noch Leben aufhalten zu lassen, ich ging darauf zu meiner seligen Herzogin und begehrte meine Entlassung. Diese wurde mir durchaus verweigert. Als sie aber wissen wollten, was mich dazu bewegte, sagte ich frei heraus, daß mein Wandel, wie ich ihn bei Hofe führen müßte, wider mein Gewissen stritte. Da wollte die liebe selige Herzogin mir solches aus dem Sinn reden, sah es für eine Melancholei an und sprach: »Ihr lebet ja als eine tugendsame Jungfrau und leset und betet fleißig; sehet doch die und die an, welche auch christliche Leute sind und solche Dinge mittun, es ist ja nicht verboten, wenn man nur nicht das Herz daran hängt.« Ich aber zeigte, ihr das einzige Exempel Christi und sein Wort, ich wollte andere Menschen nicht beurteilen, aber mit ihrem Exempel könnte ich mich doch nicht beruhigen. Da nun meine liebe Herzogin sah, daß ich mich nicht ändern würde, versprach sie mir alles zu erlassen, was ich wider mein Gewissen fände; ich sollte nur bei ihnen bleiben und im übrigen meine Dienste verrichten wie früher. Ich aber stellte vor, daß sie dadurch vieler Aufwartung beraubt sein würden zumal wenn Fremde kämen, wo es leicht kommen könnte, daß die andere Jungfer krank würde; dann würden sie ganz ohne Aufwartung sein, weil ich bei angestellten Fröhlichkeiten nicht gegenwärtig sein wollte, und das würde den Fremden Anlaß zum Spotten geben. Sie aber ließen sich nicht irren, sondern versprachen mir treulich, daß ich aller Aufwartung bei Eitelkeiten überhoben sein solle. Darauf sagte sie es dem Herzog; der kriegte mich hart vor und sprach, es wäre vom Teufel, ich wäre eine junge Dame, bei Hohen und Niedern beliebt, und wollte mich nun in eine solche Verachtung stürzen, daß man mich für eine Törin halten würde; was denn die Meinen dazu sagen sollten? Als nun alles Zureden nichts helfen wollte, wurden mir einige sogenannte Geistliche über den Hals geschickt, die wollten mich bereden, daß ich die Worte der Schrift nicht recht verstände. Aber ich fragte sie auf ihr Gewissen, welcher von diesen beiden Wegen der sicherste wäre; in aller Einfalt den Fußstapfen Christi nachzufolgen, oder im Genuß der weltlichen Freuden davon zu reden und eine Verehrung desselben zu bezeigen und doch anders zu tun. Da sprachen sie, das erstere wäre freilich besser, wer vermöchte aber so zu leben, wir wären alle sündige Menschen. Da sprach ich: »Mir ist befohlen, das Beste zu erwählen, um das Können und Vermögen lasse ich meinen Gott sorgen.« Da ließen sie mich gehen.

Sie versuchten's aber noch auf eine andere Weise und dachten mich durch Hohn abzubringen. Denn über der fürstlichen Tafel sah oft einer den andern an und dann mich und lachten gegeneinander, auch redeten sie oft, daß den Frauenzimmern nicht zieme, so viel in der Bibel zu lesen, sie würden sonst allzu klug. Ich aber ließ sie spotten. Als das nun fast ein Jahr gewährt, und es schien, daß mich auch der Geringste am Hofe, ausgenommen etliche fromme Herzen, spöttisch behandelte, während ich es gering achtete, um Christi willen zu leiden, da wendete sich's ganz um. Und der große wunderbare Gott legte eine solche Furcht in aller Herzen, sowohl Hohen als Niedern, daß sie sich scheuten, in meiner Gegenwart etwas Unrechtes zu reden oder zu tun; ob sie sich gleich nicht vor dem Hofprediger scheuten, so war es doch in meiner Gegenwart ganz still; auch die sonst wilde Jugend stellte sich ganz still und ehrbar, wenn sie mich kommen sahen. Da dachte ich oft mit Tränen bei mir selbst: »Du wunderbarer Gott, mit welcherlei Macht habe ich's doch zuwege gebracht, daß Große und Kleine sich in meiner Gegenwart scheuen, unrecht zu tun?« Solches blähte nicht mein Herz auf, sondern zog mich zur Demut; ich zerfloß gleichsam vor meinem Gott, da ich seine Größe fühlte und sah, daß er der Fürsten Herzen lenken könnte wie Wasserbäche. In solchem Zustand bin ich noch drei Jahre am Hofe, gewesen, und ich kann wohl sagen, daß ich ungemeine Güte, nicht allein von der lieben Herrschaft, sondern von jedermann erfuhr; aber ich habe mich durch Gottes Gnade bewahrt, daß ich die Gnade der Hohen nicht im Überfluß annahm, noch zu etwas Zeitlichem verwendete.

Als ich nun drei Jahre in aller Einfalt meinen Wandel bei Hofe geführt und alle vergnügliche Lust von mir abgelehnt hatte, wodurch nur das Fleisch und nicht der Geist erquickt wird, da geschah es, daß mein seliger Vater mich verlangte, weil die Stiefmutter im Kindbett gestorben und das Kind damals noch am Leben war; da sollte ich dem Vater die Haushaltung führen und wurde so vom Hofe abgefordert. Es hielt aber sehr hart, daß ich meine Entlassung bekam, weil meine liebe selige Herzogin mich liebte, als wenn ich ihr Kind wäre, auch mit vielen Tränen meinen Abschied beklagte, so daß mir auch nachgesandt wurde, ich möchte doch wiederkommen und nicht nachgelassen, bis ich versprach, daß, sofern ich wieder nach Hofe ginge, ich ihnen allen verbunden sein wollte. Als ich aber nach Hause kam, war unterdes das Kind gestorben, und der Vater hatte sich resolviert, Hofmeister bei der Fürstin von Philippseck zu werden. So bekam ich Freiheit, mich bei einer vornehmen gottseligen Witwe, Baurin von Eyseneck, geb. Hinsbergin, in die Kost zu begeben, deren Lebenswandel jedermann in Frankfurt bekannt gewesen ist, und ihr Ende ist im Segen. Bei ihr bin ich sechs Jahre gewesen, und wir haben uns geliebt wie ein Herz und eine Seele.

In dieser Zeit hat mich der Herr in einer Wassergefahr so mächtig gestärkt, daß ich mich freute, während andere zitterten und zagten. Denn es geschah, daß ich auf dem Marktschiff von Frankfurt nach Hanau fuhr, meine Schwester zu besuchen; da waren auf dem Schiff unterschiedliche Leute, auch einige Soldaten, die mit vier unkeuschen Weibspersonen sehr grobe und unzüchtige Scherzreden führten. Ich wurde betrübt, daß die Menschen ihre Seelen so ganz vergaßen, lehnte mich an das Schiff und suchte einzuschlafen, daß ich solche Reden nicht länger hören möchte. Im Schlaf träumte mir der Spruch Psalm 14: »Der Herr schauet vom Himmel auf die Menschenkinder.« Damit erwachte ich, und schon im Wachen kam mir's vor, als ob ein großer Sturmwind das Schiff umdrehe; da erschrak ich und dachte: »Du wachst ja, wie ist dir denn zumute?« Und es war nicht eine Viertelstunde darauf, da kam ein mächtiger Wirbelwind, der das Schiff faßte. Wir waren in sehr großer Gefahr, so daß sie alle vor Angst schrien und den Namen Jesu um Hilfe anriefen, den sie zuvor in ihrem leichtfertigen Scherz oft so unnütz genannt. Da tat mir Gott meinen Mund auf, daß ich ihnen vorstellte, wie gut es sei in der Furcht des Herrn zu wandeln, und daß man in aller Not Zuflucht haben möchte. Als nun der Höchste Gnade gab, daß sich der unvorhergesehene Sturm legte, war eine von den Frauensleuten so frech, daß sie scherzweis sagte, es wäre hier auch bald gegangen, daß unser Schifflein wäre mit Wellen bedeckt worden, »aber weil ein Heiliger hier ist, sind wir bewahrt worden«, wobei sie laut lachte. Worüber ich recht eifrig wurde und sagte: »Ihr freches Frauenzimmer, denkt Ihr nicht, daß uns die Hand des Herrn noch finden könnte?« Und kaum hatte ich meinen Mund zugetan, da erhob sich der vorige Wind, und in das Schiff wurde ein Loch geschlagen, daß alle ihr Leben aufgaben. Ich aber bekam eine sehr ungewöhnliche Freude und dachte: »Soll ich nun meinen Jesum sehen; was wird hier im Wasser bleiben? Nichts anderes als das Sterbliche, das mich sooft beschwert hat; was in mir Leben gewesen, stirbt nicht usw.« Schon hatte das Schiff sehr viel Wasser, alles Zustopfen und Ausschöpfen wollte nichts helfen, auch der Sturm hielt an, daß man weder zur Rechten noch zur Linken ans Land konnte, und wir meinten schon, daß das Schiff sinken wollte: da auf einmal wurde es ganz still in der Luft, und der Schiffer drang an das Land. Da sprangen sie aus dem Schiff, und die wilden Soldaten hatte meine Worte zu Herzen genommen, nahmen genau acht auf mich, daß ich wohl an das Land kam, und dankten, daß ich ihnen zu Herzen geredet.

Als ich etwa ein Jahr bei der Baurin war, hatte die liebe Herrschaft erfahren, daß der Vater mich nicht nötig hätte; also schrieb meine liebe Herzogin selbst, daß ich doch wiederkommen sollte und meine Dienste antreten, sie wollten Kutsche und Pferde schicken und mir doppelte Besoldung geben, ich sollte auch den Namen einer Hofmeisterin haben; aber ich entschuldigte mich damit, daß ich die Aufsicht über des Vaters Güter führen und oft dort gegenwärtig sein müsse. Als ich aber sechs Jahre bei der lieben Baurin zugebracht hatte, fügte es der höchste Gott, daß mein lieber Mann, welcher mich etliche Jahre zuvor in Frankfurt gesehen, einige Gedanken bekam, mich zu heiraten; er gab zu Lübeck einer gewissen Person die Kommission, mit mir zu reden, welche das erst nach einer geraumen Zeit tat, aus Mangel an Gelegenheit. Als mir aber dies ausgerichtet wurde, konnten mir gar keine Gedanken zum Heiraten in den Sinn kommen, sondern als ich mit einem Gebet vor Gott gewesen, setzte ich mich nieder und schrieb es ab und schlug eine andere sehr tüchtige Person vor. Aber mein lieber Mann ließ sich nicht irren, sondern schrieb an meinen lieben Freund und vornehmen Geistlichen und auch an meinen seligen Vater. Den Brief an diesen behielt ich im Anfang zurück, bis ich in meinem Gewissen gedrungen wurde, die ganze Sache meinem Vater zu übergeben, weil sie keinen andern Zweck hatte, als der Ehre Gottes zu dienen. Da schrieb ich ihm und sandte ihm seinen Brief und war dabei so still, als ob mich's gar nicht anginge. Alles, was in diesem Brief an meinen Vater stand, war mir unbekannt, ich dachte auch nicht, daß mein seliger Vater seine Einwilligung geben würde. Als ich aber seine Antwort bekam, worin er schrieb, er hätte viele Ursachen, mich jetzt in seinem Alter nicht so weit von sich zu lassen, und hätte sich noch nie resolvieren können, ein Kind außerhalb seinem Stand zu verheiraten, doch wüßte er nicht, wie er dem Willen Gottes widerstreben sollte: da ging es mir zu Herzen, und ich dachte, es muß von Gott sein, weil meines Vaters Herz so gegen alles Vermuten gerührt war. Er stellte die Sache in meinen Willen, was ich aber nicht annehmen wollte, sondern alles seinem Willen überließ. Mein Schwager, der von Dorfeld, Hofmeister am Hanauischen Hof, war sehr dawider, aber mein seliger Vater antwortete ihm sehr christlichDer Vater war jetzt an einem frommen Hofe angestellt, die Fürstin, welcher er aufwartete, war selbst bei der Partie als Vermittlerin tätig.; es wäre nicht fein, daß wir in der evangelischen Religion die Geistlichen so gering achteten, da die Päpstlichen ihre Geistlichen so hoch hielten; ferner: seine Tochter schickte sich für keinen Weltmann, sie heiratete nicht in Leichtsinn aus ihrem Stand, das wäre jedermann bekannt, Gott hätte mich zu solchem Werk berufen. Damit mußten sie stille sein, und mein seliger Vater gab das Ja. Darauf reiste mein lieber Mann nach Frankfurt, und unsere Trauung geschah am 7. September 1680 durch Dr. Spener in Beisein Ihrer Durchlaucht der Fürstin von Philippseck, meines seligen Vaters und einiger vornehmen Leute, es waren ungefähr dreißig Personen, und alles ging so christlich und wohl ab, daß jedermann vergnügt war. Es konnte aber auch der Lästerteufel seine Tücke nicht lassen, sondern es verdroß seine Werkzeuge, daß die Hochzeit nicht mit Fressen, Saufen und wildem Wesen vollbracht wurde. Da erdachten sie die Lüge, der Heilige Geist hätte sich in dem Gemach, wo wir getraut wurden, in Feuergestalt sehen lassen, und wir hätten die Offenbarung Johannis ausgelegt. Solche Lügen wurden auch gegen Herrn Dr. Heiler erzählt, welcher aber selber auf unserer Hochzeit gewesen war. Als er aber widersprach und vermeldete, daß er selbst dabei gewesen, und daß es nicht anders als christlich und recht zugegangen wäre, haben sie sich ihrer Lügen schämen müssen.

So weit die Gattin. Eine Ergänzung ihrer Mitteilung ist der Bericht ihres Mannes. Vorher soll auch er seine Jugendzeit und einige Erfahrungen, die er als Seelsorger gemacht, erzählen. Dr. Johann Wilhelm Petersen beginnt:


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