Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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VI
Aus deutschen Dörfern

1200–1500

Ritter und Bauer. Zustände des Landvolks, Schilderung des Dorflebens zur Zeit des Neidhart von Reuental. Streben des Landmanns nach dem Ritterschild. – »Meier Helmbrecht« von Wernher dem Gartenäre und Erzählung vom Bauer, der ein Ritter werden wollte. – Ehen zwischen Rittern und Bauern. Die freien Bauern. – Der Landmann im 15. Jahrhundert

Groß war in den Jahren des reisigen Minnegesanges die Abneigung zwischen Hof und Dorf, zwischen höfisch und bäurisch; die Ritter sahen aus ihrer Trinklaube hochmütig auf die Dorflinden und den grünen Anger hinab, die Bauern feindselig auf die gepanzerte Schar am Waldesrand. Viele Jahrhunderte hatten gearbeitet, den Stolz des Landmanns zu verringern; nicht nur, wer den Ritterschild trug, auch der Handwerker in der Stadt fühlte sich in besserem Recht und höherer Kunst als der Bauer. Uns ist möglich, Einblick in das Gemüt des Landvolkes und in viele Einzelheiten seines Lebens zu erhalten. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts haben die Handschriften manchen unschätzbaren Zug aus dem Leben des Bauern überliefert. Mit Erstaunen erkennen wir aus solchen Quellen, daß der Landmann damals in ganz anderer Weise ein Teil der Volkskraft war als viele Jahrhunderte später.

Der Leibeigene zwar stand nicht nur unter hartem Druck, er war auch gering geachtet, durch schlechte Tracht, durch kurzes Haar mußte er sich äußerlich von dem Freien unterscheiden. Der freie Bauer aber und wer als Höriger mit besserem Recht unter einem Herrn saß, fühlte sich mit Recht als Bewahrer der heimischen Sitte, das Schwert an der Seite schritt er zur Versammlung unter dem Baum oder am Gerichtsstein des Dorfes. Und stammte er von vier freien Ahnen und saß er auf drei freien Hufen, so war nach altem Sachsenrecht sein Rang höher als der eines Ritters, in dem unfreies Blut war, und wer ihn schädigte, der hatte es zu büßen wie einem von Fürstengeblüt. Gerade nach 1200 fing der Bauer an, seinen Acker sorgfältiger zu bestellen, es scheint um diese Zeit aufgekommen zu sein, dem Sommerfeld vor der Saat die zweite Furche zu geben. In der Nähe der reichen Klöster gedieh auch feinere Gartenkultur, schon wurden die Weinberge eifrig gepflegt, und in den Niederungen des Rheins, bei Holländern und Flämingen blühte eine Ackerwirtschaft des Moor- und Sumpfbodens, welche durch zahlreiche Kolonisten dieser Stämme in die Elblandschaften und bis tief in den Osten getragen wurde.

Wohlhäbig steht der größere Bauer in seinem Hof, fröhlich, vergnügungslustig tummelt sich das junge Volk in den Dorfgassen und auf dem Anger. Zwar ist der Titel Herr nach höfischem Brauch die Ehre des Ritters, aber in freundlichem Verkehr wird auch der Bauer Herr genannt, nicht nur von seinen Knechten, ebenso von den Hofleuten, »stolz« ist ehrendes Beiwort der Burggenossen, aber auch das Bauernmädchen wird als »stolze Magd« von dem Ritter gerühmt. Unvermindert ist die alte Freude des Landvolkes an dem Erwachen der Natur, ungeduldig erwarten die Mädchen das Ausbrechen der ersten Kätzchen an Weide und Hasel, sie sehen nach dem Laub, das aus der Knospe dringt, und suchen im Grunde nach den ersten Blumen. Das früheste Spiel des Sommers ist der Ball in der Dorfstraße oder dem sprießenden Anger, er wird von jung und alt, von Männern und Frauen geschwungen. Wer den bunten Federball zu werfen hat, sendet ihn mit einem Gruß nach einem, den er lieb hat. Die behenden Bewegungen, der kräftige Wurf, die kurzen Zurufe an Freunde und Gegner sind die Freude der Zuschauer und der Spielenden. Und kommt der sonnige Mai, dann holen die Mädchen den Festschmuck aus der Lade und winden Kränze in ihr Haar und das ihres Freundes. So ziehen sie bekränzt und mit Bändern geschmückt, den Handspiegel als Zierat an der Seite, mit ihren Gespielen auf den Anger, wohl hundert Mädchen und Frauen sind dort zum Reihen versammelt. Dorthin eilen auch die Männer, zierlich ist ihre Tracht, das Wams mit bunten Knöpfen besetzt, vielleicht sogar mit Schellen, welche eine Zeitlang der anspruchsvolle Schmuck der Vornehmen sind; die Seide fehlt nicht wie im Winter nicht die Pelzverbrämung. Der Gürtel ist wohlbeschlagen mit glänzendem Metall, ein Eisenhemd ist in das Kleid gesteppt, die Spitze des Schwertes klingt im Gehen an die Ferse. Die stolzen Knaben sind voll Freude am Kampf, herausfordernd, jeder eifersüchtig auf seine Geltung. Mit Leidenschaft werden die großen Reihen getanzt, kühn sind die Sprünge, voll Jubel die Freude, überall die Poesie einer fröhlichen Sinnlichkeit. Laut singt der Chor der Umstehenden den Text des Reihens, leise singt das Mädchen die Weise mit. Und noch größer wird unser Befremden, wenn wir den Rhythmus und Text dieser alten Volkstänze näher betrachten, es ist eine Grazie nicht nur in der Sprache, auch in den menschlichen Verhältnissen, die vielmehr an die antike Welt erinnert als an die Empfindung unserer Landleute. Auf einleitende Strophen, welche in zahllosen Variationen das Aufgehen des Frühjahres rühmen, folgen andere, zum Teil in lockerem Zusammenhang wie improvisiert, den Schnadahüpfeln ähnlich, welche sich in Oberdeutschland bei Volkstänzen bis jetzt erhalten haben. Oft ist der Inhalt ein Streit zwischen Mutter und Tochter, die Tochter schmückt sich zum Fest, die Mutter will vom Tanz zurückhalten, oder ein Lob schöner Mädchen oder drollige Aufzählung der tanzenden Paare, oft enthält der Text Angriffe auf eine Gegenpartei unter den Tänzern, welche geschildert und verhöhnt werden. Denn leicht bilden sich beim Tanz Parteien, durch spitze Verse wird der Gegner herausgefordert; der Ruhm des jungen Burschen ist, sich nichts bieten zu lassen, der kräftigste Tänzer, der gewandteste Sänger, der kühnste Schläger zu sein. Auf den Reihen folgen die Trinkgelage mit lauter und übermütiger Fröhlichkeit. Der Winter bringt neue Freuden, die Männer spielen Würfel, im Schlitten wird auf dem Eis gefahren, in einer großen Stube sammelt sich das Volk zum Tanz. Dann werden die Schemel und Tische herausgetragen, zwei Geiger machen Musik, der Vorsänger beginnt die Weise, ein Vortänzer führt an. Verschieden ist der Charakter der Reihen und Tänze, altertümlicher und volksmäßiger läuft Weise und Text der Reihen in dem altheimischen Parallelismus von je zwei Sätzen; die Tänze des Winters sind kunstvoller und modischer. Denn in den erhaltenen Tanzliedern, welche wir als verschönerte Abbilder der alten Rhythmen und Texte betrachten dürfen, ist überall das höfische Gesetz der Dreiheit in den Strophen durchgeführt, man erkennt die Nachahmung des ritterlichen romanischen Brauches. Unter den verschiedenen Arten der Tänze wird auch der slawische Reidawak genannt. – Bei diesen Vergnügungen des Dorfes trinkt und tanzt der Ritter mit dem Bauer, schon mit dem Stolz feinerer Sitte; aber wie sehr er geneigt ist, über seine Umgebung zu spotten, er fürchtet sie auch, nicht nur ihre Fäuste und Waffen, auch die Schläge ihrer Zunge. Der langlockige Bauer bietet dem Ritter den Becher und zieht ihn schnell von dem Greifenden zurück, setzt ihn dann nach Hofgebrauch vor dem Trank auf das eigene Haupt und schleift auf den Zehen durch die Stube, dann freut sich der Ritter, wenn der Becher dem Dorftölpel vom Haupt fällt und ihn begießt; aber der Ritter findet auch kein Bedenken darin, sich auf schnöde Flucht zu begeben, wenn ihn zornige Dorfknaben suchen, weil er etwa ihren Frauen und Mädchen zu große Aufmerksamkeit geschenkt hat.

So sieht das Dorfleben in den Liedern Neidharts von Reuental aus, des geistvollsten und launigsten aller ritterlichen Sänger im 13. Jahrhundert. Seine ganze Poesie ruht auf den Liedern und Freuden der Bauern, wie der größte Teil seines Lebens unter ihnen verlief. Er hat das volle Selbstgefühl eines feingebildeten Mannes, aber er ist trotzdem den Landleuten gegenüber nicht immer im Vorteil. Ein Bauernbursch, Engelmar, hat ihm das größte Leid seines Lebens bereitet, es scheint, daß er ihm seine Geliebte Friderun, auch ein Dorfkind, abspenstig gemacht hat, der Stachel blieb dem Ritter in der Seele, solange er lebte; aber auch bei späteren Huldigungen, welche er Mädchen des Dorfes widmet, hat der Ritter die Bewerbungen der jungen Bauern sehr zu fürchten, und nicht selten quält ihn bittere Eifersucht.

Und dies Verhältnis des Ritters Neidhart zu den Landleuten war im Anfang des 13. Jahrhunderts noch keine Ausnahme. Allerdings verhärtete sich der Stolz des Ritters gegenüber dem Bauer schnell zu einem ausschließenden Standesbewußtsein.

Unerträglich dünkte ihn die Anmaßung des Bauern, der es ihm in Kleidern und Waffen gleichtun wollte und seinen Einbrüchen in die Gemeindeherde den gepanzerten Fausthandschuh entgegenhielt. Im Jahre 1244 verbot Herzog Otto von Bayern in seinem Landfrieden den Bauern, Brünne, Eisenhut oder Halsberge, lateinische Messer oder andere Stahlwaffen in ihrem Dorf zu tragen; nur den Reutel, den Stab, der zum Säubern des Pflugbrettes dient, sollten sie führen. Ein ähnliches Verbot erging in Österreich. Aber es wurde nicht beachtet. Kurz darauf wird wieder geklagt, daß die Bauern in allen Ritterkleidern prangen, seidene Stoffe, Kettenpanzer führen und mit dem Schwert klirren.

Und das war natürlich. Dem Landmann trat in wilder Zeit die Versuchung nahe, selbst Rechte und Privilegien des Ritterstandes zu gewinnen. Wie unvollkommen ihm höfische Sitte kund wurde, sie übte doch ihren modischen Zauber aus. Das Schönste, was ihm der Spielmann sang, das Glanzvollste, was seine Augen erblickten, war Werben um kriegerischen Preis im Kampf und Turnier. Wer ungenügsam sich in seiner Kraft fühlte, der strebte aus dem Bann des Zaunes und der heimischen Feldmark, um lieber andere zu schlagen, als selbst geschlagen zu sein. Auch der Sohn des Bauern zog als reisiger Knecht in die Burg und dachte, darauf den Rittergurt umzuschnallen. Dies Aufstreben in den Ritterstand erregte wieder Zorn und Spottlust der Edlen und ihrer Vasallen, es verdarb das Selbstgefühl des Landmanns, es stand ohne Zweifel den Begehrlichen sehr oft übel an und machte viele ruchlos und schlecht. Es fand unter den Bauern selbst, welche friedlich über ihre Scholle schritten, herbe Beurteilung, nicht mildere bei ernsthaften Dichtern und Volkspredigern: es war doch ein nicht aufzuhaltender Prozeß.

Eine der merkwürdigsten Überlieferungen aus dem dreizehnten Jahrhundert wirft ein scharfes Licht auf diese Verhältnisse. Es ist eine wahre Geschichte, welche sich auf altbayrischem Grund, in dem jetzigen Innviertel Österreichs, da, wo die Salzach mit dem Inn zusammenfließt, ereignet hat. Wer bei Burghausen die Salzach überschreitet und auf der alten Harterstraße eine halbe Stunde durch einen Wald gegangen ist, welcher unter dem Namen Weilhart große Strecken des Innviertels bedeckt, der sieht, kurz nachdem er den Wald verlassen, auf der linken Seite der Straße zwei Bauernhöfe, von denen der erstere jetzt Lenzengut heißt, früher Helmbrechtshof genannt wurde. Er ist alten Leuten noch unter diesem Namen bekannt. Der Hof war einst größer, einer der ansehnlichsten Meierhöfe der Landschaft. Dieser Hof ist Mittelpunkt der Geschichte, welche hier erzählt werden soll. Sie ist uns in poetischer Form überliefert, in einem Gedicht, das als Zeitgemälde von höchstem Wert ist, auch als Dichtung von großer Schönheit. Der diese Dorfgeschichte zwischen den Jahren 1234 und 1250 niederschrieb, nennt sich selbst Wernher der Gartenäre. Sein Gedicht »Helmbrecht« wurde von Moriz Haupt nach den beiden erhaltenen Handschriften herausgegeben in Band IV der Zeitschrift für deutsches Altertum; später hat Friedrich Keinz in einer guten Monographie: »Meier Helmbrecht und seine Heimat« aus den Ortsangaben des Gedichtes die Lokalität nachgewiesen und die Erinnerungen daran, welche noch in der Gegend leben, gesammelt. Leider kann der Inhalt des Gedichtes hier nur kurz zusammengefaßt werden; auch aus dieser unvollkommenen Form wird man den Wert, welchen die Erzählung für uns hat, würdigen können. So berichtet Wernher der Gärtner:

Der alte Meier Helmbrecht hatte einen Sohn. Dem jungen Helmbrecht hingen die blonden Locken bis auf die Achsel, er steckte sie in eine schöne seidene Haube, welche mit Tauben und Papageien und vielen Figuren gestickt war. Diese Haube hatte eine Nonne gestickt, die aus ihrer Zelle wegen einer Liebschaft entronnen war, wie das so mancher geht. Bei ihr lernte Helmbrechts Schwester Gotelind Sticken und Nähen; das Mädchen und ihre Mutter verdienten es wohl an der Nonne, sie gaben ihr zum Lohn ein Rind, viele Käse und Eier. Schwester und Mutter schmückten den Knaben noch mit feinem Linnengewand, einem Kettenwams und Schwert, mit Tasche und Gewand und einem schönen Überrock von blauem Tuch mit goldenen, silbernen und kristallenen Knöpfen verziert, sie leuchteten hell, wenn er zum Tanz ging, die Nähte waren mit Schellen besetzt, sooft er im Reihen sprang, klang es den Frauen durch die Ohren.

Als der stolze Knabe so geschmückt war, sprach er zu seinem Vater: ›Jetzt will ich zu Hofe gehen, gib auch du, lieber Vater mein, mir etwas zur Hilfe.‹ Der Vater erwiderte: ›Wohl könnte ich dir einen schnellen Hengst kaufen, der über Zaun und Graben springt; aber, lieber Sohn, laß ab von der Fahrt nach Hofe, Hofbrauch ist hart für den, der ihn nicht von Jugend gewöhnt ist. Nimm den Pflug und baue mit mir die Hufe, so lebst und stirbst du in Ehren. Sieh, wie ich lebe, treu, ehrbar, redlich; ich gebe alljährlich meinen Zehnten und habe nicht Haß, nicht Neid mein ganzes Leben durch erfahren. Meier Ruprecht will dir sein Kind geben, dazu viel Schafe, Schweine und zehn Rinder. Bei Hofe leidest du Hunger, mußt hart liegen und alle Liebe entbehren, dort wirst du der Spott der rechten Hofleute, vergebens suchst du, es ihnen gleichzutun, und wieder gerade dich trifft der größte Haß des Bauern, am liebsten wird er an dir rächen, was ihm die andern vornehmen Räuber genommen haben.‹ Der Sohn aber sprach: ›Schweig, lieber Vater, nimmer sollen mir deine Säcke den Kragen reiben, nimmer lade ich Mist auf deinen Wagen, meinen langen krausen Locken, meinem schönen Rock und meiner gestickten Haube stände das übel an, nicht will ich durch ein Weib tatlos werden. Soll ich drei Jahre über einem Füllen ziehen oder einem Rind, da ich doch alle Tage einen Raub haben kann? Ich treibe fremde Rinder über die Ecke und führe die Bauern bei ihrem Haar durch die Zäune. Eile, Vater, ich bleibe nicht länger bei dir.‹ Da kaufte der Vater den Hengst und sprach: ›O weh, verlorenes Gut!‹ Der Knabe aber schüttelte das Haupt, sah sich auf seine beiden Achselbeine und rief: ›Ich bisse wohl durch einen Stein, so wild ist mein Mut, ich wollte Eisen fressen. Über Feld will ich traben, ohne Sorge um mein Leben, aller Welt zum Trotz.‹ Und beim Scheiden sprach der Vater: ›Ich kann dich nicht halten, ich lasse dich, aber noch einmal will ich dich warnen, du schöner Jüngling, hüte deine Haube mit den seidenen Vöglein und wahre dein langes Lockenhaar, du gehst unter solche, denen man flucht, die vom Schaden der Leute leben. Mir träumte, ich sah dich gehen an einem Stock mit ausgestochenen Augen, und wieder träumte mir, du standest auf einem Baum, wohl anderthalb Klafter waren von deinen Füßen bis auf das Gras, über deinem Haupt auf einem Zweig saßen ein Rabe und eine Krähe, verworren war dein krauses Haar, zur Rechten strählte dir's der Rabe, zur Linken scheitelte dir's die Krähe. Mich reut's, daß ich dich erzogen habe.‹ Der Sohn aber rief: ›Ich lasse nicht von meinem Willen bis zu meinem Tod. Gott behüte dich, Vater, die Mutter und eure Kinder.‹

So trabte er durch das Gatter und ritt auf eine Burg, deren Herr vom Kampf lebte und gern die behielt, welche Reiterdienste taten. Dort ging der Knappe unter das Gesinde und wurde bald der behendeste Reiter. Kein Raub war ihm zu klein und keiner zu groß, er nahm das Roß, er nahm das Rind, er nahm Mantel und Rock, auch was ein anderer liegen ließ, stopfte er alles in seinen Sack. Es ging ihm das erste Jahr nach Wunsch, mit günstigen Segelwinden floß sein Schifflein. Da begann er nach Haus zu denken, nahm Urlaub vom Hof und ritt auf seines Vaters Haus. Alles lief zusammen, der Knecht und die Magd riefen nicht: ›Sei willkommen, Helmbrecht!‹ das war ihnen widerraten, sie sprachen: ›Mein junger Herr, seid Gott willkommen!‹ Er antwortete: ›Kindeken, ik wünsch üch ein gud Leven.‹ Die Schwester lief ihm entgegen und umfing ihn mit den Armen, da sprach er zur Schwester: › Gratîa vestra!‹ Die Alten zogen hintennach und umarmten ihn vielmals, da rief er dem Vater zu: › Dieu vous salue!‹ und zur Mutter sprach er böhmisch: › Dobra ytra!‹ Vater und Mutter sahen einander an; die Mutter sprach zu ihrem Mann: ›Herr Wirt, uns sind die Sinne verstört, es ist nicht unser beider Kind, es ist ein Böhme oder Wende.‹ Der Vater rief: ›Es ist ein Welscher; mein Sohn, den ich Gott befahl, er ist es nicht, so ähnlich er ihm sieht‹, und seine Schwester Gotelind sprach: ›Es ist nicht euer Sohn, zu mir redete er lateinisch, es muß wohl ein Pfaffe sein‹, und der Knecht meinte: ›Was ich von ihm vernommen habe, danach ist er in Sachsen oder Brabant zu Hause, er sprach ik und Kindeken, es wird sicher ein Sachse sein.‹

Da rief der Wirt mit schlichter Rede: ›Bist du's, mein Sohn Helmbrecht. Ehre deine Mutter und mich, sprich ein Wort Deutsch, und ich selbst will dir deinen Hengst abwischen, ich und nicht mein Knecht.‹ – ›Ei wat segget ihr Gebureken, min Parit, minen klaren Lif sall kein Burenmann nimmer angripen.‹ Da erschrak der Wirt gar sehr und sprach wieder: ›Bist du Helmbrecht, mein Sohn. Noch heut nacht will ich dir ein Huhn sieden und eins braten. Seid Ihr aber ein Fremder, ein Böhme oder ein Wende, so fahrt hin zu den Winden. Seid Ihr ein Sachse oder ein Brabanter, so müßt Ihr Euer Mahl mit Euch führen, von mir erhaltet Ihr nichts, und währte die Nacht ein ganzes Jahr. Für Euch, Junker, habe ich keinen Met noch Wein, den müßt Ihr bei den Herren suchen!‹

Nun war es spät geworden und kein Wirt in der Nähe, der den Knaben behalten hätte; so überlegte er und sprach: ›Freilich bin ich der, ich bin Helmbrecht, einst war ich Euer Sohn und Knecht.‹ Der Vater sprach: ›Ihr seid es nicht.‹ – ›Ich bin es doch.‹ – ›So nennt mir erst die vier Namen meiner Ochsen.‹ Da nannte der Sohn die vier Namen: ›Auer, Räme, Erke, Sonne, ich habe oft meine Gerte über sie geschwungen, es sind die besten Ochsen der Welt, wollt Ihr mich jetzt erkennen. Heißt mir das Tor aufschließen.‹ Der Vater rief: ›Tür und Tor, Gemach und Schrein, jetzt soll dir alles offen sein.‹

So ward der Sohn wohl empfangen, von Schwester und Mutter weich gebettet, die Mutter rief der Tochter zu: ›Lauf, hole ein Polster und ein weiches Kissen.‹ Das ward ihm unter den Arm auf den warmen Ofen gelegt, und behaglich wartete er, bis das Essen bereitet war. Es war ein Herrenessen, kleingeschnittenes Kraut mit gutem Fleisch, eine fette Gans am Spieß gebraten, groß wie eine Trappe, gebratenes und gesottenes Huhn. Und der Vater sprach: ›Hätte ich Wein, heute müßt' er getrunken werden; so aber trink, lieber Sohn, von dem besten Quell, der je aus der Erde floß.‹

Und der junge Helmbrecht packte seine Geschenke aus, dem Vater einen Wetzstein, Sense und Beil, die besten Bauernkleinode der Welt, der Mutter einen Fuchspelz, den er einem Pfaffen abgezogen hatte, seiner Schwester Gotelind eine seidene Binde und eine beschlagene Borte, die besser für eine Edelfrau gepaßt hätte, er hatte sie einem Krämer genommen. Und er sprach: ›Ich muß schlafen, ich bin viel geritten, mir ist heute nacht Ruhe not.‹ Da schlief er bis hoch in den anderen Tag in dem Bett, über welches seine Schwester Gotelind ein neugewaschenes Hemd ausgebreitet hatte, denn ein Leilach war dort unbekannt.

So weilte der Sohn bei dem Vater sieben Tage.

Darauf fragte der Vater den Sohn, wie der Hofbrauch da sei, wo er bis jetzt gelebt habe. ›Auch ich‹, sprach er, ›ging einst, als ich ein Knabe war, mit Käse und Eiern zu Hofe; damals waren die Ritter von anderer Art, höflich und von guten Sitten, sie übten ritterliches Waffenspiel, dann tanzten sie mit den Frauen und sangen dazu, dann kam der Spielmann mit seiner Geige, und wenn er anfing, standen die Frauen auf, die Ritter gingen auf sie zu, nahmen sie zierlich bei der Hand und tanzten artig, und wenn das vorbei war, kam wieder einer und las aus einem Buch vor von einem, der Ernst hieß. Alles war damals in fröhlicher Geselligkeit. Die einen schossen mit dem Bogen nach dem Ziel, andere gingen jagen und pürschen, der schlechteste von damals wäre jetzt wohl der allerbeste. Denn jetzt wird wert gehalten, wer horchen und lügen kann, Treue und Ehre sind in Falschheit verkehrt, jetzt sind die Turniere nach alter Art nicht mehr Brauch, dafür sind andere im Schwange. Sonst hörte man im Ritterspiel so rufen: Heia, Ritter, sei froh! Jetzt schallt es durch die Lüfte: Jage, Ritter, jage, jage; stich, schlage, verstümmle den, schlag' mir dem den Fuß ab, hau' diesem die Hände ab, den sollst du mir hängen, diesen reichen Mann fangen, der zahlt uns wohl hundert Pfund. So war es, denke ich, früher besser als jetzt. Erzähle du, mein Sohn, mehr von der neuen Sitte.‹

›Das will ich tun. Jetzt ist der Hofbrauch: Trink, Herr, trinke, trink; trink du dies, so trink ich das. Man sitzt nicht mehr bei den Frauen, nur bei dem Wein. Das Leben der Alten, glaubt mir, die da leben, wie Ihr, das ist jetzt bei Frau und Mann so verhaßt wie der Henker. Bann und Acht ist jetzt ein Spott.‹

›Sohn‹, sprach der Vater, ›laß den Hofbrauch fahren, er ist bitter und sauer. Viel lieber bin ich ein Bauer als ein armer Hofmann, der jederzeit um sein Leben reiten muß und darum sorgen, daß ihn seine Feinde fangen, verstümmeln und hängen.‹

›Vater‹, sprach der Junge, ›ich danke dir, aber es ist länger als eine Woche, daß ich keinen Wein getrunken, seitdem habe ich den Gürtel um drei Löcher zurückgeschnallt. Ich muß Rinder erbeuten, eh' der Ring wieder an der Stelle steht, wo er früher war. Mir hat ein Reicher schweres Leid getan: über die Saat meines Paten, des Ritters, sah ich ihn einst reiten, er bezahlt mir's teuer, seine Rinder, seine Schafe und Schweine sollen traben, weil er einem lieben Paten von mir so den Acker zertrat. Ich weiß noch einen reichen Mann, der tat mir auch schweres Leid: er aß Brot zu Kräpfeln, bei meinem Leben, das will ich rächen. Noch einen anderen Reichen weiß ich, der hat mir mehr Schmerz zugefügt als irgendein anderer; ich wollte es ihm nicht schenken, und wenn ein Bischof für ihn betete, denn als er einst bei Tisch saß, hat er recht unanständig seinen Gürtel niedergelassen. Wenn ich erwische, was sein heißt, soll es mir zu einem Weihnachtskleid helfen. Und da ist noch ein anderer einfältiger Narr, der blies in einen Becher so unschicklich den Schaum vom Bier. Räche ich das nicht, so will ich nimmer ein Schwert um meine Seite gürten und einer Frau wert sein. Man hört in kurzem Kunde von Helmbrecht.‹

Der Vater sprach: ›Ei! nenne mir doch die Knaben, deine Gesellen, die dich gelehrt haben, einen reichen Mann zu berauben, wenn er Krapfen und Brot zusammen ißt!‹ Da nannte der Sohn seine Gesellen: ›Lämmerschling und Schluckdenwidder, Höllensack und Rüttelschrein, Kühfraß, Knickekelch und Wolfsgaumen, Wolfsrüssel und Wolfsdarm – diesem gab seinen Hofnamen die edle Herzogin von Nonarra Narreia –, das sind meine Schulmeister.‹

Der Vater sprach: ›Und wie nennen sie dich?‹

›Ich bin genannt Schlingdengau, bin nicht die Freude der Bauern, ihre Kinder müssen Wasserbrei essen, was die Bauern haben, das ist mein, dem einen drücke ich das Auge aus, dem anderen haue ich in den Rücken, den binde ich in den Ameisenhaufen, den hänge ich bei seinen Beinen an die Weide.‹

Da brach der Vater los: ›Sohn, die du da nennst und rühmst, wie hitzig sie auch sind, doch hoffe ich, wenn ein gerechter Gott lebt, es kommt der Tag, wo der Scherge sie faßt und von seiner Leiter hinabstößt.‹

›Vater, Gänse und Hühner, Rinder und Futter habe ich dir oft vor meinen Gesellen bewahrt, jetzt tue ich's nimmermehr. Ihr sprecht zu sehr gegen die Ehre frommer Gesellen. Eure Tochter Gotelind wollte ich meinem Gesellen Lämmerschling zur Frau geben, bei ihm hätte sie das beste Leben gehabt. Das ist jetzt vorbei, Ihr habt zu gröblich gegen uns gesprochen.‹ Und seine Schwester Gotelind nahm er beiseite und sagte ihr heimlich: ›Als mein Geselle Lämmerschling mich zuerst um dich bat, da sprach ich zu ihm: Du wirst gut mit ihr fahren; nimmst du sie, so sei ohne Sorge, daß du lange am Baum hängst, sie wird dich mit ihrer Hand abnehmen und zum Grab auf die Wegscheide ziehen, mit Weihrauch und Myrrhen umschreitet sie räuchernd dein Gebein ein ganzes Jahr. Und hast du das Glück, nur geblendet zu werden, sie führt dich an ihrer Hand auf Wegen und Stegen durch alle Länder; wird dir der Fuß abgeschlagen, sie trägt dir die Stelzen alle Morgen zum Bett, und nimmt man dir auch noch die Hand, sie schneidet dir Fleisch und Brot bis an dein Ende. Da sprach Lämmerschling zu mir: Ich habe drei volle Säcke schwerer als Blei mit feiner Leinwand, mit Röcken, Hemden und kostbaren Kleidern, mit Scharlach und Zobel, ich habe sie in einer nahen Schlucht versteckt, die will ich ihr zur Morgengabe geben. Um das alles, Gotelind, bist du durch deines Vaters Schuld gekommen; jetzt nimmt dich ein Bauer, bei dem du Rüben graben mußt, und in der Nacht liegst du an dem Herzen eines Unedlen. Wehe über deinen Vater! Denn mein Vater ist er nicht. Ich bin sicher, daß ein Hofmann zu meiner Mutter geschlichen ist, von ihm habe ich den hohen Mut.‹

Und die törichte Schwester sagte: ›Lieber Bruder Schlingdengau, mache, daß mich dein Geselle heiratet, ich verlasse Vater, Mutter und Verwandte.‹ Die Eltern vernahmen nicht die Rede; der Bruder beriet heimlich mit der Schwester. ›Ich will dir meinen Boten senden, dem du folgen sollst, halte dich bereit. Gott behüte dich, ich ziehe dahin, der Hauswirt hier gilt mir so wenig als ich ihm. Mutter, Gott segne dich.‹ So fuhr er seinen alten Strich und sagte seinem Gesellen den Willen der Schwester. Der küßte sich vor Freuden die Hand und verbeugte sich vor dem Winde, der von Gotelind her wehte.

Manche Witwe und Waise ward ihres Gutes beraubt, da der Held Lämmerschling und sein Gemahl Gotelind auf dem Brautstuhl saßen. Die Knappen fuhren und trieben auf Wagen und auf Rossen emsig gestohlenen Trank und Speise in Lämmerschlings Vaterhaus. Als Gotelind aber kam, ging der Bräutigam ihr entgegen und empfing sie: ›Willkommen, Dame Gotelind.‹ – ›Gott lohne Euch, Herr Lämmerschling.‹ So begrüßten sie einander freundlich, und ein alter Mann, weise in Worten, stand auf und stellte beide in einen Ring, und fragte dreimal den Mann und die Magd: ›Wollt ihr euch zur Ehe nehmen, so sprechet Ja.‹ So gab er sie zusammen. Alle sangen das Brautlied, der Bräutigam trat der Braut auf den Fuß. Darauf wurde das Hochzeitsmahl bereitet. Aber seltsam war es, vor den Knaben schwand die Speise, als wenn sie ein Wind vom Tisch wehte, sie aßen unendlich, was ihnen der Truchseß von der Küche auftrug, und es blieb nicht so viel daran, daß der Hund die Knochen abnagen konnte. Man sagt, jedem Menschen, der so unmäßig ißt, dem naht sein Ende. Der Braut Gotelind begann zu grausen und sie klagte: ›Wehe! uns naht ein Unheil, mir ist das Herz so schwer! Wehe mir, daß ich Vater und Mutter verlassen habe; wer zuviel will, dem wird wenig, diese Gierigkeit führt in den Abgrund der Hölle.‹

Noch eine Weile saßen sie nach dem Essen, schon hatten die Spielleute von Braut und Bräutigam ihre Gabe empfangen: da sah man den Richter mit fünf Männern kommen. Es war ein kurzer Kampf, mit den fünfen siegte der Richter über zehn, denn ein rechter Dieb, wie kühn er auch sei, und schlüge er auch ein ganzes Heer, ist wehrlos gegen die Schergen. Die Räuber schlüpften in den Ofen und unter die Bank; wer sonst nicht vor vieren floh, den zog jetzt der Knecht des Schergen allein bei seinem Haar hervor. Gotelind verlor ihr Brautgewand, an einem Zaun fand man sie, erschreckt, entblößt, verachtet. Den Dieben aber wurden die Häute der Rinder, die sie geraubt, an den Hals gebunden als der Gewinn für den Richter. Der Bräutigam trug seinem Tag zu Ehren nur zwei, die anderen aber mehr. Der Scherge hing neun, den zehnten ließ er am Leben nach Henkersrecht, und dieser zehnte war Schlingdengau Helmbrecht. Der Scherge rächte den Vater an ihm, er stach ihm die Augen aus, er rächte die Mutter und schlug ihm eine Hand und einen Fuß ab. So führte den blinden Helmbrecht ein Knecht am Stabe heim vor seines Vaters Haus.

Hört, wie ihn der Vater grüßte: › Dieu salue, Herr Blinder. Geht von dannen, Herr Blindeken; wenn Ihr Euch säumt, so lasse ich Euch durch meinen Knecht fortschlagen, hebt Euch weg von der Tür.‹

›Herr, ich bin's, Euer Kind.‹

›Ist der Knabe blind geworden, der sich nannte Schlingdengau? Jetzt fürchtet Ihr nicht des Schergen Drohen, nicht alle Richter der Welt! Hei, wie Ihr Eisen aßet, als Ihr auf dem Hengst rittet, um den ich meine Rinder gab. Weicht und kehret nimmermehr wieder.‹

Und wieder sprach der Blinde: ›Wollt Ihr mich nicht als Kind erkennen, so laßt mich als einen elenden Mann in Eurem Hause kriechen, wie Ihr mit armen Kranken tut. Die Landleute sind mir gram, ich kann mich nicht erretten, wenn Ihr mir ungnädig seid.‹

Dem Wirt bebte sein Herz, denn der blind vor ihm stand, war doch sein Blut und sein Sohn, und doch rief er hohnlachend: ›Ihr fuhrt so trotzig in die Welt, manches Herz seufzte um Euch, mancher Bauer ist durch Euch seiner Habe beraubt worden. Gedenkt an meinen Traum. Knecht, sperr ab und stoß den Riegel vor, ich will heut nacht Ruhe haben. Eher behielte ich bis an meinen Tod einen Fremden, den sonst nie mein Auge sah, ehe ich Euch ein halbes Brot gäbe.‹ Und er schlug den Knecht des Blinden. ›Zieh von mir ihn, den die Sonne haßt; ich täte so deinem Meister, nur daß ich mich schäme, einen Blinden zu schlagen.‹ So rief der Vater, und die Mutter gab ihm doch ein Brot in die Hand wie einem Kind. So ging der blinde Dieb dahin, die Bauern riefen ihm nach und höhnten.

Ein Jahr litt er Not. Einst an einem Morgen früh ging er durch den Wald, um Brot zu betteln, da sahen ihn Bauern, welche Holz lasen; einem von ihnen hatte er eine Kuh genommen, die siebenmal gekalbt hatte, der rief jetzt die andern, sie sollten ihm helfen. Alle hatte er gekränkt, dem einen hatte er die Hütte aufgebrochen und ganz ausgeraubt, einem anderen die Tochter entehrt; der vierte zitterte vor Begier wie Laub und sprach: ›Ich töte ihn wie ein Huhn, er stieß mein schlafendes Kind bei Nacht in einen Sack, und als es erwachte und schrie, schüttete er es aus in den Schnee, daß es gestorben wäre, wenn ich ihm nicht zu Hilfe kam.‹ Alle wandten sich gegen Helmbrecht: ›Jetzt hüte deine Haube.‹ Die Stickerei, welche einst der Henker unberührt gelassen hatte, wurde zerrissen und auf den Weg gestreut mit seinem Haar. Seine Beichte ließen sie den Elenden sprechen, der eine brach einen Brocken von der Erde und gab diesen dem ehrenwerten Mann in die Hand als Torgeld für das Höllenfeuer. So hingen sie ihn an einen Baum. – Wo noch ritterlustige Kinder bei Vater oder Mutter sind, die seien gewarnt durch Helmbrechts Geschick.

So endet die Geschichte vom jungen Helmbrecht, der ein Ritter werden wollte. Noch heute wissen die alten Leute der Umgegend von einem Bauernsohn zu erzählen, der unter die Räuber ging, und im Walde, eine halbe Stunde vom Helmbrechtshof, steht eine Kapelle, dort, sagen die Leute, sei ein Soldat gehenkt worden, der seinen Eltern entlaufen war.

Man würde irren, wenn man dieses Bild, welches mit erschütternder Wahrheit ein wirkliches Ereignis schildert, für Überlieferung eines Ausnahmefalles halten wollte. Zahlreiche Berichte der Zeitgenossen lehren, daß im 13. Jahrhundert ähnlicher Übergang in den Ritterstand sehr häufig war. Er gelang in anderen Fällen besser und vollzog sich ohne auffälligen Verderb des Bauern. Ein Edler z. B. oder ein großer Dienstmann brauchte Geld, der Bauernsohn, welcher als reisiger Knecht bei ihm diente, half ihm mit dem Gut seines Vaters aus der Not; oder der Herr sollte zum Fürstenhof reiten, und sein Stolz machte ihm wünschenswert, mit zahlreichem Gefolge von Rittern einzuziehen; oder ein ritterliches Lehen war erledigt und die ritterbürtigen Familien seiner Lehnsherrschaft schienen dem Herrn nicht ergeben und nicht zuverlässig: in diesen und ähnlichen Lagen gab er Ritterschwert und Lehngut dem rüstigen Landmann. Auch die Ehe half diesen Übergang fördern. Hatte der Ritter eine arme Verwandte zu heiraten, dann erinnerte er sich wohl einer reichen Bauernfamilie im Dorf, die ihm selbst verschwägert war. Wir vermögen ganz genau Worte und Gebaren anzugeben, mit denen er um 1300 einen Bauer in seiner Verwandtschaft suchte. Er ritt vor das Bauernhaus: »Gott grüße dich, Muhme, wie gehabst du dich?« – »Gut, lieber Herr.« – »Kennst du mich noch?« – »Nein, lieber Herr.« – »Ich bin es ja, dein Oheim; sage mir, lebt noch deine Schwester, meine Muhme Hedwig?« – »Ja, Herr, erst gestern sah ich sie.« – »Nun, wie geht's deinem Sohn Ruprecht?« – »Ei, Herr, das ist ein tüchtiger Gesell, er ist heuer älter als er vordem war, trägt sein erstes Schwert, hohen Hut und zwei Eisenhandschuh, er ist den Mädchen Vorsänger beim Reihen und Liebling der Nachbarn.« – »Nun, Muhme, ich weiß eine junge Maid, eine Tochter meines Bruders, sie war ihrem Vater und mir sehr lieb und oft hat man uns um sie gebeten, sie ist von Gott Euch aufbewahrt. Die sollten wir deinem Sohn zum Weibe geben.« – »Gott helfe mir, Herr; wenn ich das erleben könnte, ich wollte ja meinen Sohn um so reicher ausstatten.« – »Gut, liebe Muhme, ich muß fortreiten, gib meinem Pferd ein Futter und mir ein Huhn, und du komm nächstens zu mir, dann laß uns das mit der Maid besprechen.« Darauf füttert er, reitet von dannen in sein leeres Haus und die Ehe wird geschlossen.

Auch der Ritter verschmähte nicht, seine Truhen damit zu füllen, daß er mit einer reichen Bauerstochter in den Ring der Zeugen trat und sie zu rechter Ehe empfing. – Die Kinder aus allen solchen Verbindungen wurden von höfischen Dichtern gern mit der Elster verglichen, deren Gefieder aus Weiß und Schwarz bunt gemengt ist. Wenn sie Söhne von Bauern waren, wurden sie Ritter »mit einem Schild«, und diesen Neuen ward gern Arges nachgesagt, auch daß gerade sie die ärgsten Landplacker wären. – Lange hat sich in einzelnen Landschaften solcher Übergang der Familien erhalten. In Rügen z. B. taten es noch zu Luthers Zeit die wohlhabenden Bauern dem Adel gleich. Sie lebten, wie ein Edelmann jener Zeit berichtet, übermütig und streitlustig, und die beklagenswerten Ehen waren nicht selten.

Aber sogar der Bauer, welcher kein Ritterlehn nahm und nicht bei Hofe unter Schild ging, wurde Rival der rittermäßigen Familien, wenn er freier Eigentümer seines Grundes war oder mit gutem Dienstrecht auf dem Erbgut saß. Er verglich sein altes Recht mit dem der Dienstmannen und der freien Vasallen des Adels, und er fand, daß er das bessere Recht hatte. Diese freien Bauern saßen nach 1200 ungleich verteilt auf deutschem Boden, sie fehlten aber in keiner Landschaft, sie stellten in einigen den Kern der Landbevölkerung dar. In dem fränkischen Gebiet freilich, welches unter den Merowingerkönigen den Thüringern, Schwaben, Burgundern und Alemannen abgenommen war, lagerten die reisigen Franken als Edle und Reichsritterschaft dichtgedrängt über der unterworfenen Bevölkerung; in diesem Teil Deutschlands, der die größte Zersplitterung in kleine Territorien erfuhr, wurde auch das gute Recht fränkischer Landsiedler niedergedrückt, und die Lage der Bauern war unter den kleinen Tyrannen nicht günstig. Auch in Thüringen und einem Teil des Sachsengebietes war viel Land durch Okkupationen und Landanweisungen mit fremden Ansiedlern besetzt. In sehr früher Zeit hatte dort ein erobernder Stamm einzelnen seiner Krieger die Dorffluren in Besitz gegeben, welche seitdem die Endung -leben führen. Dazwischen hatten fränkische Lehnsleute ihre Höfe mit -heim und -hausen erbaut, dort waren viele Unfreie, arme Leute der Ritter, darunter auch Slawen, dazwischen kräftige Bauerndörfer der Kirche und des Landgrafen mit geringer Dienstpflicht. Auch in Schwaben wurde die Lage der Landleute durch Teilung des Herzogtums unter kleine Gebieter mit Rudolf von Habsburg schlechter. Aber in der Schweiz, im südlichen Alemannien, in Oberschwaben, vor anderen in Bayern, in dem altfränkischen Gebiet am Niederrhein und wieder in weiten Landstrichen der Sachsen, bei Friesen und den Nordalbingen der Westsee war der freie Bauer wohlhabend und mächtig, ja neben der Kirche hie und da der einzige Herr des Bodens.

In besonderer Lage waren Österreich, Salzburg, Steier, Kärnten. Dort in der Ostmark waren die Awaren unter den Karolingern getilgt, die Ungarn unter den Sachsenkaisern erschlagen, das Land durch bayerische Kolonisten besiedelt worden, auch die friedlichen Slowenen waren unter günstigen Bedingungen dem Reich angeschlossen, der Bauer in Österreich wußte wohl, daß er ein freier Mann war. Dasselbe Selbstgefühl erhob von 1200–1400 die deutschen Ansiedler in Schlesien und Böhmen. Dagegen war in den eroberten Landschaften der unteren Oder, in der Mark Brandenburg, in Mecklenburg und Pommern die Germanisierung nicht durch friedliche Bauernsiedlung, sondern entweder durch kriegerische Bewältigung der Slawen oder durch Belehnung deutscher Ritterfamilien erfolgt. Dort saßen die räuberischen Lehnsleute trotzig über den Bauern.

Längs der Alpen und am Nordmeer dachte der Bauer wohl daran, daß er der ältere Herr des Bodens war. Auch seine Vorfahren waren vielleicht zu Roß in den Kreuzzug geritten – wenigstens werden von den Geschichtsschreibern dieser Fahrten außer Rittern und ihren Knechten noch andere Reitermassen erwähnt –, er hatte am Giebel seines Hauses ähnliche Geschlechterzeichen, wie sie alte Ritterfamilien in ihrem Schild trugen, ja auch aufgemalte Schildfarben von den Vätern her.

Diese alten Freisassen wurden überall dem Lehnswesen unbequem. Sie schienen weder Bauern noch Ritter, saßen stolz zu Roß und setzten ihre Hausmarken oder ein Tierbild auf ein dreieckig Brettlein oder gar an ein Fahnentuch. Auch sie nahmen zuweilen die herrschenden Laster des Ritterstandes an und wurden Räuber und Brenner ohne Ritterrecht.

Noch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wo die Ritterbürtigen zwar vom Adel unterschieden, aber im Tagesverkehr hie und da bereits Edelleute genannt wurden, dauerten die reisigen Ansprüche der freien Landleute fort. Und man sagte manchen der Fürsten nach, daß sie zu ihrem Schaden lieber mit den Bauern Ritterwerk trieben als mit ihren alten Vasallen, diesen Schildbauern aber, daß sie unzuverlässig im Kampf wären und nur die Privilegien, nicht die Lasten des Ritterstandes tragen wollten. Und man wußte über sie ein bedenkliches Gleichnis zu erzählen. Die Vögel hatten einst Krieg, luden dazu und sandten auch zu der Fledermaus. Diese sprach, man möge ihr den Zug freundlich erlassen, denn sie sei eine Maus. Da mutete man ihr den Streit nicht zu. Darauf kamen die Mäuse in Zwist. Auch dazu wurde die Fledermaus geladen. Wieder sprach sie: »Was geht's mich an? Seht ihr nicht, daß ich Flügel habe? Ich stehe in Pflicht bei den Vögeln.« So treiben es die Bauernritter. Wenn der Fürst in Landesnot alle aufbietet, die in reisigem Dienst stehen, so gehen sie an die Arbeit, denn sie haben kein Ritterlehn. Der Fürst läßt sie also zu Hause, und er legt auf das Land eine große Steuer. Und wieder sagen sie: »Wir sind zu gut, um mit den Bauern zu zinsen, wir müssen mit Schild und Speer zu Felde dienen, wir edlen Leute; wir wagen unsere Haut, darum sind wir steuerfrei.« Da war auch ein Bauer, der hieß lange ein ritterlicher Mann; dem sagte der Richter bei einer Buße, als Edelmann müßte er 10 Mark geben, wäre er aber Bauer, so käme er mit 60 Pfennigen davon. Ehe der Gesell die 10 Mark gab, erklärte er, er sei keines von beiden, sondern er sei ein Edelknecht.

Für den fleißigen Landmann kam seit Kaiser Friedrich II. eine harte Zeit. Die wilden Gewalttaten und der Druck des räuberischen Adels treiben viele Hilfesuchende in die Städte, die Unternehmenden in die Fremde. Noch immer ist Gelegenheit, unter dem Kreuzeszeichen gegen Slawen, Wenden und Polen zu kämpfen, und im Osten der Elbe öffnen sich weite Länder für die Waffen und den Pflug des deutschen Landmanns. Auch in den Geistern arbeitet eine Aufregung. Der neue Despotismus der römischen Päpste und der fanatischen Bettelorden drängt am Rhein die Katharer, in Niedersachsen die Stedinger bis zum Abfall von der Kirche. Wo die freien Bauern dicht zusammensitzen und durch die Natur ihres Landes begünstigt werden, erheben sie sich in Waffen gegen den Druck der feudalen Herren. In den Tälern der Schweiz, in den Marschländern der Nordsee erkämpfen die Landgenossen Sieg über die gepanzerten Reiter, welche noch jetzt zu den glorreichen Erinnerungen des Volkes gehören. Aber im Innern Deutschlands wird der Bauer unter steigendem Druck, welchen der Adel und eine entartete Kirche auf ihn ausüben, schwächer, untüchtiger, roher; immer mächtiger erheben sich über ihn die Burgherren, selbst der altangesessene Freibauer der Niedersachsen wird tief herabgedrängt von der Ehrenstelle, die er einst über den ritterlichen Dienstmann behauptet hat. Auch der Städter gewöhnt sich im Gefühl einer höheren Bildung und kunstvolleren Sitte, den Landmann zu verhöhnen, seine ungeschlachte Eßlust, plumpe Einfalt und betrügerische Pfiffigkeit werden mit endlosem Spott übergossen, in Liedern, Erzählungen, Schwänken, Fastnachtspielen.

Und doch war dem Landmann noch im 15. Jahrhundert viel von gutem alten Recht und einiges von der alten Kraft geblieben. Noch stellt er in seinen Liedern den eigenen Beruf hoch und ist geneigt, mit Laune das unstete Treiben der andern zu betrachten. Von drei Schwestern heiratet in bekanntem Volkslied die eine den Edelmann, die andere den Spielmann, die dritte den Bauern; die beiden Schwäger kommen mit ihren Frauen zum Besuch auf den Bauernhof, »da spielte der lustige Spielmann, da tanzte der hungrige Edelmann, da saß der Bauer und lachte«. Und am Ende des 15. Jahrhunderts schildert das Gedicht eines Städters eine Tanzszene im Dorf, ähnlichen Brauch wie in den Zeiten Neidharts, nur wilder und roher. Die stolzen Knechte kommen von verschiedenen Dörfern bewaffnet mit Hellebarden und Spießen unter die Linde zum Tanz, die Parteien sind durch Abzeichen geschieden, Weiden und Birkenreiser und Hopfenblätter an der Schulter und auf der Mütze, aus dem einen Dorf sind alle vierundzwanzig Knechte in rotes lundisches Tuch gekleidet, mit gelbem Wams und Hosen. Eine schmucke Dirne, beliebte Tänzerin, will nur mit der einen Partei tanzen: so kommt es zu Stachelreden, die Waffen werden gezogen, der Schreiber aus der Stadt mit so nachdrücklicher Drohung verfolgt, daß er sich den wilden Gesellen durch schnöde Flucht entzieht.

Und ist nun Tanz und Zank zu Ende, dann setzen sich die Männer nieder, die Frauen aber bleiben stehen. Hat man ausgeruht, dann tritt die Gesellschaft zum Ringelreihen an. Alle fassen einander bei den Händen, singen im Wechsel und gesellen die Paare, welche den Reihen springen.

Der Spielmann, welcher mit seiner Geige in das Dorf kam oder sich unter den Bauern niedergelassen hatte, brachte ihnen neue Lieder und Melodien; und der unendliche Vorrat heimischen Liederstoffes: die letzten Trümmer der alten Heldensage, was der wandernde Landsknecht über eine neue Fehde oder Schlacht zu singen wußte, dann solche Lieder, welche die Stimmungen des eigenen Lebens ausdrückten, klangen unter der Dorflinde und beim Rocken in der Spinnstube. Die alte Freude an dem Leben der Natur war unvermindert, der Gesang der Stubenvögel, die Zucht seiner Tiere waren dem Bauern regelmäßige Hausfreude; noch zu Luthers Zeit, wenige Jahre vor dem großen Bauernkrieg, begegnete einem treuherzigen Bauern, daß er in der Freude sein schmuckes Füllen auf den Hals küßte; ein lauernder Mönch hatte es gesehen, der Bauer wurde vor das geistliche Gericht zitiert und mit einer harten Geldstrafe belegt, weil dergleichen unschicklich sei. Karsthans ballte deshalb die Faust gegen die Pfaffen.

Der Bauer fühlte sich damals als bewaffneter Mann. Zwar war er auf freiem Felde schutzlos dem Überfall Gepanzerter preisgegeben, aber in der Schar der Dorfgenossen wußte er seine Wehr wohl zu brauchen, und in dem größten Teil Deutschlands, wo die Häuser des Dorfes in Gassen aneinander lagen, war sein Dorf nicht nur durch Zaun, oft durch Mauer, Graben und Tor geschützt, und vor den Toren standen zuweilen auch Blockhäuser, in denen er einen andringenden Haufen abzuwehren versuchte. Inmitten des Dorfes war die hohe Kirchhofmauer wieder zur Verteidigung eingerichtet, zuweilen mit Türmen besetzt, und wenn das Dorf angesengt war, rettete er Weib und Kind, Vieh und Habe in die Nähe des Heiligen und stand in Krebs und Eisenkappe hinter der Mauer, sein Liebstes zu verteidigen, während die Sturmglocke den Überfall auf Feldern und in benachbarten Gemeinden verkündete. [...]


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