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(1488-1542)
Einkehr in die kleinen Kreise des deutschen Lebens. – Der Bauer in der Reformation, der Bauernkrieg, Johannes Eberlin. – Einwirkung des römischen Rechts. – Aufsteigende Volkskraft. – Unsicherheit des Lebens. – Familiengeschichte des Bartholomäus Sastrow
Das Jahr 1500 fand den Bauer in Süddeutschland tief erbittert über den Druck, der auf ihm lag, und geneigt, sich dagegen zu empören. Allmählich teilte sich die Aufregung den Franken und Thüringern mit, sie arbeitete unter den Westfalen und zog hinab bis an die Hansestädte der Nord- und Ostsee. Zwei Generationen vergingen, bevor die große sozialistische Bewegung des 16. Jahrhunderts unterdrückt wurde.
Es ist allerdings wahrscheinlich, daß die Erschütterungen des europäischen Geldmarktes dazu beitrugen, den Landmann aufzuregen. Das Sinken der Metallwerte seit der Entdeckung von Amerika wurde von den Produzenten zunächst als ein dauerndes Steigen der Getreidepreise empfunden. Dem Bauer wurde jeder Scheffel Getreide und damit auch seine Arbeit wertvoller; in demselben Maße erhielt beides für den Grundherrn höhere Bedeutung. Es war natürlich, daß der Bauer ebensosehr auf eine Befreiung, hier und da auf eine Ablösung der Lasten dachte, während das Interesse des Grundherrn wurde, die Dienste zu erhalten, ja zu steigern. Dennoch wird man die große Bewegung nicht vorzugsweise auf solche Ursache zurückführen. Der Siegesstolz der Schweizer, welche die Ritter Burgunds zu Boden geschlagen hatten, das Selbstgefühl der neuen Landsknechte und vor allem die religiöse Bewegung und die politische Farbe, welche dieselbe in Süddeutschland erhielt, setzten die Seele des Bauern in fieberhafte Erwartung, daß eine neue Zeit auch für ihn heraufkomme. Zum ersten Male wurde seine Lage von den Gebildeten mit Teilnahme betrachtet. Der Landmann wurde fast plötzlich auch in der Literatur urteilend und mitredend eingeführt. Seine Beschwerden gegen die Geistlichkeit, aber auch gegen die Grundherren wurden mit vielem Geschick in populärer Sprache immer wieder vorgetragen. Wenig Jahre zuvor hatte er bei den Fastnachtsspielen der Nürnberger die stehende Rolle eines Tölpels gespielt, jetzt schrieben die Klosterbrüder, sogar die Stadtbürger, wie Hans Sachs, Dialoge in herzlichem Mitgefühl mit seiner Lage, und die Figur des einfachen, verständigen, arbeitsamen Bauern, des »Karsthans«, wurde wiederholt in Anspruch genommen, um das Urteil und den Witz des Volkes gegen die Pfaffen aufzuregen.
Aber wie gefährlich der große Bauernaufstand des Jahres 1525 durch mehrere Wochen erschien und wie mannigfaltig die Charaktere und Leidenschaften waren, welche darin ausbrannten, der Bauer selbst war fast nur die wogende Masse, seine Demagogen und Leiter gehörten zum Teil andern Ständen an; im ganzen betrachtet ist die Intelligenz und Tüchtigkeit der Anführer, auch der bäuerlichen, doch nur gering, ebenso gering die kriegerische Tüchtigkeit der Haufen. Deshalb liegt hier, wo der Bauer zum erstenmal durch die Gelehrten der Zeit mächtig beeinflußt wird, mehr Reiz in Betrachtung der Geister, welche ihm die Seele aufwühlten. Es ging diesmal, wie immer bei Volksaufständen: zuerst erregten die Maßvolleren, Weiterblickenden die Besseren und Ehrlichen, dann verloren sie die Herrschaft an eitle und rohe Demagogen, wie Andreas Karlstadt und Thomas Münzer.
Nächst Luther hat kein einzelner Mann vor dem Bauernkriege so tiefe Einwirkung auf die Stimmungen des süddeutschen Landvolkes ausgeübt als ein Barfüßer-Observanzer, welcher aus dem Kreuzgang des Franziskanerklosters zu Ulm unter das Volk trat, Johann Eberlin von Günzburg. Er hatte mehrere Eigenschaften eines großen Agitators und stand unter den Gestalten der ersten Reformationszeit als eine der liebenswürdigsten. Wärmer als ein anderer ergriff er die soziale Seite der Bewegung. Schon im Jahre 1521 verkündete er sein Ideal eines neuen Staates und eines neuen Gemeindelebens anonym in volkstümlichster Form durch kleine populäre Schriften. Die alten Forderungen, welche später ein Prädikant in den »zwölf Artikeln der Bauernschaft« zusammengefaßt hat, finden sich mit mehreren andern fast sämtlich in einer Sammlung kleiner Volksbüchlein, in den »fünfzehn Bundesgenossen«. Die Beredsamkeit Eberlins wirkte hinreißend auf die lauschende Menge, Fülle der Rede, poetischer Schwung, herzliche Wärme und zugleich eine Ader von guter Laune und von dramatischer Gewalt machten ihn überall, wo er erschien, zum Liebling. Dazu kam eine harmlose Selbstgefälligkeit und so viel behagliches Hängen an der Stunde als nötig war, ihm seine Erfolge wert und die Verfolgungen seiner Gegner erträglich zu machen. Und doch war er nichts weniger als ein behender Demagoge. Als er aus seinem Orden schied in ehrlicher Überzeugung, mit einem Herzen, welches durch die Versunkenheit der Kirche und durch die Not des Volkes leidenschaftlich erregt war, konnte er freilich auch nach damaligem Zuschnitt kaum für einen unterrichteten Mann gelten, erst nach und nach kam ihm in einzelnen sozialen Fragen die Klarheit; dann war er gewissenhaft bemüht, frühere Behauptungen zu widerrufen; wie gern er auch von sich selbst spricht, immer ist es ihm heiliger Ernst mit der Wahrheit. Dabei hatte er einen stillen aristokratischen Zug, er war ein Bürgerkind, hatte angesehene Verwandte, auch aus adligem Geschlecht, und rohe Gewalttat widerstand seinem Wesen, in welchem ein starker gesunder Menschenverstand unablässig das auflodernde Gefühl zu beherrschen suchte. Mit großer Pietät hing er an allen seinen Vorgängern, die seine Bildung gefördert hatten, zunächst an den Wittenberger Reformatoren. Nachdem er mehrere Jahre in Süddeutschland unstet herumgetrieben war, zog es ihn nach Wittenberg, dort wirkte Melanchthon sehr stark auf den beweglichen Süddeutschen, er wurde ruhiger, mäßiger, besser geschult. Ferner aber gehörte er – wie sein Klostergenosse Heinrich von Kettenbach – zu den Prädikanten, welche sich um Hutten und Sickingen sammelten. Und diese persönliche Verbindung der großen süddeutschen Volksredner hat die volkstümliche Bewegung kurz vor der Katastrophe Sickingens in eine Richtung gelenkt, welche keine Dauer haben konnte. Denn eine kurze Zeit schien es, als ob in Süddeutschland die religiöse und soziale Bewegung von den adligen Gutsbesitzern, wenn nicht geführt, doch benutzt werden könnte; es war ein Irrtum, an dem die beiden Ritter und ihre bessern Freunde zerbrachen, weder Hutten noch Sickingen hatten die Kraft und Einsicht, das Landvolk wirklich für sich zu gewinnen. Das kam sofort zutage, als Sickingen von seinen Nachbarfürsten bewältigt war. Die Bauern wurden die eifrigsten Helfer der Fürsten, um die Junker der Sickingischen Partei zu verfolgen und ihre Schlösser zu verbrennen. Und dieser Kriegszug ist in der Tat als Vorspiel des Bauernkrieges zu betrachten. Er hatte das Landvolk auch in den benachbarten Landschaften entfesselt und an das Brechen der Burgen gewöhnt. [...]
Von da ab erhielten die entschlossenen Demagogen das Ohr der Bauern, die gemäßigte Partei der Volksführer verlor die Herrschaft. Noch einmal hatte Eberlin Gelegenheit, in Erfurt als Vermittler vor den empörten Bauernhaufen die Energie seiner Beredsamkeit zu erweisen, unter seiner Rede fiel das gesamte Landvolk fromm und reuig in die Knie. Die Schwäche des Rates vereitelte den letzten Erfolg seiner Bemühungen. Er zog sich seitdem unter dem Schutz der Grafen von Wertheim auf ein Pfarramt in Wertheim zurück, wo er noch im Jahre 1530 dem verstorbenen Grafen Görg eine schöne kirchliche Gedächtnisfeier hielt, bei welcher er und 19 Mitpfarrer das versammelte Volk zu Tränen rührten. Mit ihm verlor sich ein gutes Stück von der Poesie der Reformation, die seit den Bauernkriegen in neuen Bahnen ging.
Grausam wurde der Aufstand durch die geängsteten Fürsten bestraft, am eifrigsten waren die kleinen Tyrannen, den Besiegten wieder das Joch aufzulegen. Und doch folgte dem Kampf in Süddeutschland und Thüringen eine wirkliche Verbesserung der materiellen Lage des Landvolkes. Man ist immer noch geneigt, die Einwirkung der römischen Rechtsanschauungen als eine Verschlechterung der Verhältnisse des deutschen Bauern zu betrachten. Allerdings waren die Gesichtspunkte, nach denen die römisch geschulten Juristen das Verhältnis zwischen Grundherren und Untertanen betrachteten, den letzteren nicht immer günstig, denn die Rechtsgelehrten waren geneigt, jede Art von Abhängigkeit des Bauern aus dem mangelnden Eigentumsrecht an seinem Boden zu erklären; aber sie waren ebenso bereit, die persönliche Freiheit des Landmanns anzuerkennen. So wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die alte Leibeigenschaft, welche in vielen Landschaften noch in harter Form bestand, gemildert und die Untertänigkeit an ihre Stelle gesetzt.
Was den Landmann des 16. Jahrhunderts in der allgemeinen Schätzung herabdrückte, war nicht das fremde harte Recht, sondern die Erhebung der anderen Volksschichten durch die neue lateinische Bildung, an welcher er weniger teilhatte als die Gutsherren und Städter. Doch gewann auch er durch die lateinische Schule, weil die Reformatoren und die Beamten der Landesherren, welche zu römischem Recht erzogen waren, in den Territorien des 16. Jahrhunderts allmählich geordnetere Zustände schufen und dem Bauern überhaupt die Möglichkeit sicherten, zu schaffen und zu gedeihen. Durch die Kirchen- und Schulzucht hob sich in dem größten Teil Deutschlands Sittlichkeit und Kultur der Dörfer. Von den größeren deutschen Landesherren hatten mehrere einen hausväterlichen Sinn, und in den neuen Ordnungen, welche sie in Übereinstimmung mit ihren Geistlichen entwarfen, wurde auf das Wohl des Bauern sorgfältig Rücksicht genommen. Das geschah vor allem durch das Haus der Wettiner in ihrem Franken, Thüringen und Meißen, nicht am wenigsten durch Kurfürst August. Und die Autorität der sächsischen Kanzlei, welche seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland bestand, trug wesentlich dazu bei, solche sächsische Verordnungen zu Mustern für das übrige Deutschland zu machen.
Doch kann nicht geleugnet werden, daß einige Jahrzehnte vor dem Dreißigjährigen Kriege, wenigstens in den Landschaften jenseits der Elbe, z. B. in Pommern und Schlesien, wieder eine Steigerung der Adelsansprüche fühlbar wird. Unter schwachen Regenten wuchs der höfische Einfluß des Adels; die unaufhörlichen Geldverlegenheiten der Fürsten steigerten das Selbstgefühl der Landstände, welche die Steuer bewilligten, und die Bauern hatten mit Ausnahme von Tirol, Ostfriesland, der alten Landvogtei Schwaben und weniger kleiner Territorien keine Vertreter unter den Landständen. So hielten sich die Grundherren für die Bewilligungen, welche sie dem Fürsten machten, an ihren Landleuten doppelt schadlos. In Pommern wurde 1617 die Leibeigenschaft wieder förmlich eingeführt.
Noch anderen Segen brachte die Reformation. Sie bahnte der aufstrebenden Volkskraft neue Wege. Wieder muß daran erinnert werden, daß von je der Bauernstand die große Quelle war, aus welcher neue Familienkraft in die Zunftstuben und die Arbeitszimmer der Gelehrten aufstieg. [...]
Im folgenden wird das Leben einer Familie geschildert, welche am Ende des 15. Jahrhunderts aus dem Dorf in die Stadt übersiedelte und in der dritten Generation eine größere Handelsstadt regierte. Allerdings ist aus der Erzählung zu erkennen, daß Kinder- und Familienleben auch damals treuherzige und naive Heiterkeit nicht entbehrte; aber man wird nicht ohne Befremden sehen, wie rauh die Pflicht geübt und das Leben aufgefaßt wurde, wie gering die Humanität, wie stark das Familiengefühl war. Dicht neben Gewalttat und räuberischem Überfall wird man die Anfänge einer sehr modernen Polizei finden, die ersten Verfolgungen wegen Preßvergehen.
Wir sind zwar gewöhnt anzunehmen, daß das einzelne Menschenleben vor dreihundert Jahren weniger galt als jetzt, aber man wird doch in dem alten Bericht mit Verwunderung lesen, wie leicht Gewalt und Bluttat den Frieden einer Häuslichkeit stören konnten. In friedlicher Bürgerfamilie wird der Großvater durch überlegten Mordanfall getötet, der Vater wieder ersticht in Notwehr einen andern; ein Sohn wird auf offener Landstraße von Wegelagerern angefallen, er erlegt einen Räuber und wird von einem andern bis zum Tode verwundet. – Zuletzt endlich wird es manchem von Interesse sein zu erkennen, wie der große Theologe, welcher damals die Christenheit in zwei Lager teilte, bis an den Strand der Ostsee als Familienrat einwirkte, und wie er durch sein Wort fremde Seelen in Verehrung und Gehorsam unterwarf.
Allerdings geben die Zustände, welche hier geschildert werden, nicht in allen Einzelheiten ein normales Bild von den Verhältnissen Deutschlands. An den Küsten von Pommern, wo sich der niedersächsische Stamm auf slawischer Unterlage ausgebreitet hatte, war das Leben rauher, die Leidenschaft rücksichtsloser, die Stunde des Genusses weniger anmutig als in den großen Reichsstädten des Südens, wo längerer Wohlstand, höhere Städtemacht, größere Verfeinerung wenigstens manchem einzelnen zugute kam. Aber zu groß wird man den Unterschied auch nicht finden, wenn man die Lebensläufe anderer Zeitgenossen mit dem vorliegenden vergleicht, zuweilen ansprechendere Formen und einen hübscheren Ausdruck für das gemütliche Behagen, aber weder höhere Auffassung der Pflichten noch reinere Sittlichkeit, noch größere Sicherheit des Lebens und Eigentums.
Die folgenden Mitteilungen sind wieder der umfangreichen Selbstbiographie entnommen, welche Bartholomäus Sastrow, Bürgermeister von Stralsund, verfaßte. Sein eigenes Leben war ungewöhnlich bunt und reich an Eindrücken.
Er wurde als junger Mann mit seinem älteren Bruder zum Reichskammergericht nach Speyer geschickt, dort einen Prozeß seines Vaters treiben zu helfen und sich selbst ein Unterkommen zu suchen. Er war in allerlei Diensten bei Advokaten, bei einem Komtur des Johanniterordens, schlug sich nach Italien, um aus den Händen der römischen Geistlichkeit die Hinterlassenschaft seines älteren Bruders zu erheben, welcher vom Kaiser als lateinischer Gelegenheitsdichter mit dem Lorbeer gekrönt und geadelt worden und darauf wegen einer unglücklichen Liebe mit gebrochenem Herzen nach Italien gegangen und im Dienst eines Kardinals gestorben war. Von Italien wand sich der jüngere Bruder durch die Wirren des Schmalkaldischen Krieges nach der Heimat zurück, trat in herzoglichen Dienst, wurde von den pommerschen Herzögen als politischer Agent in das Kaiserlager, zum Reichstag nach Augsburg, als Sollizitator an das Kammergericht geschickt, ließ sich dann in Greifswald nieder, gründete einen Hausstand, erlangte als gewandter Notarius in Pommern Praxis und Vermögen, zog nach Stralsund, wurde dort Bürgermeister und starb hoch an Jahren in Ehren als ein schlauer, hitzköpfiger und wahrscheinlich nicht selten harter und parteiischer Herr. So beginnt sein Bericht:
Um das Jahr 1487 ist mein Vater zu Ranzin im Kruge, der am Kirchhof auf Anklam zu liegt und unter die Junker Osten zu Quilow gehört, dem Wirt Hans Sastrow geboren worden. Nun hatte dieser Hans Sastrow an Vermögen, Gestalt, Stärke und Verstand die Junker Horne, welche ebenfalls zu Ranzin wohnten, weit übertroffen, so daß er schon vor seinem Ehestande sich mit ihren Hofhufen wohl vergleichen konnte. Das hat denn die Horne übel verdrossen, sie haben sich aufs äußerste beflissen, ihm Schimpf, Spott, Schaden, Nachteil zu bereiten, ihm auch Gesundheit und Leben zu gefährden. Und da sie für ihre Person nicht konnten noch durften, haben sie ihren Vogt abgerichtet, in den Krug zu gehen, zu zecken, Zank und Unwillen mit dem Wirt anzufangen und denselben mit Schlägen bis zum Tode abzufertigen. Denn obgleich der Horne vier in Ranzin saßen, so sind doch ihre Hufen, Einnahme und Vermögen so gering gewesen, daß sie sich alle vier mit einem Pflugvogt haben behelfen können. – Aber was geschieht? Da der Wirt wußte, daß die Horne ihm nachstellten, und leicht vermerkte, was der Vogt im Sinne hatte, ist er diesem zuvorgekommen und hat ihn so abgefertigt, daß er kaum auf allen vieren aus dem Kruge hat kriechen können.
Als Hans Sastrow nun spürte, daß der Horne Feindseligkeit nicht aufhörte, sondern täglich zunahm, so hat er, um sich und die Seinen aus der Gefahr zu bringen, ungefähr ums Jahr 1487 sich mit seinem Junker, dem alten Hans Osten zu Quilow, wegen seiner Bauernpflicht in Güte gänzlich auseinandergesetzt, hat darauf zu Greifswald das Bürgerrecht gewonnen, daselbst in der Fleischhauerstraße das Eckhaus, Herrn Brand Hartmann gegenüber, gekauft und allmählich das Seinige von Ranzin in sein gekauftes Haus geführt. So hat er sich ein Jahr vor meines Vaters Geburt von den Osten geschieden und ist bürgerlichen Standes geworden.
Was geschieht? – Merkt diese greuliche, mörderische Tat! Anno 1494 ist Kindelbier zu Gribow, wo auch ein Horne seinen Sitz hat, es liegt nicht weit von Ranzin, rechts, wenn man von Greifswald nach Ranzin fährt. Zu demselben Kindelbier ist mein Großvater Hans Sastrow als nächster Verwandter geladen, hat seinen Sohn, meinen Vater, der damals ungefähr sieben Jahr war, bei der Hand genommen und ist den kurzen Kirchweg dahin gegangen.
Die Horne von Ranzin haben zum Valet und Abschied diese Gelegenheit nicht versäumt, sondern ins Werk setzen wollen, was sie seit vielen Jahren im Herzen gehegt. Sie sind auch nach Gribow geritten, als wollten sie daselbst ihren Vetter besuchen, und um die bequemste Gelegenheit selbst zu ersehen, sind sie ins Kindelbier gegangen und haben sich mit an den Tisch gesetzt, woran mein Großvater saß. Denn sie waren so herunter, daß sie die Bauernkost und Gesellschaft nicht verschmähten. Als sich die Horne nun spät am Nachmittag vollgetrunken, sind sie sämtlich aufgestanden und haben ihren Biergang in den Stall gemacht. Und vermeinten, sie wären dort allein. Es stand aber einer von meines Großvaters Verwandten auch im Stall in einem Winkel, der hörte an, wozu sie sich entschlossen hätten, sie wollten eilig auf ihre Pferde fallen, sobald sie merkten, daß mein Großvater aufbräche, um ihm unterwegs zu begegnen und alsdann ihn und auch sein Söhnlein zu Tode zu schlagen.
Der Mann kommt zu meinem Großvater, sagt ihm, was er im Stall gehört hat, und rät ihm, daß er sich noch bei Tage aufmachen und heimgehen solle. Dem ist auch mein Großvater gefolgt, ist aufgestanden, hat seinen Sohn, meinen Vater, bei der Hand genommen und ist nach Ranzin gegangen. Als er aber auf halbem Wege zwischen Ranzin und Gribow in das Gehölz im Moor kam, das mit Buschwerk und Gestrüpp bewachsen ist, haben die mörderischen Bösewichter ihm den Weg versperrt, haben ihn mit den Pferden zu Boden getreten und ihm den Leib voll Wunden gehauen, so daß sie nicht anders meinten, als er wäre tot. Sie sind aber daran noch nicht ersättigt gewesen, sondern haben ihn an einen großen Stein geschleppt, der noch jetzt vorn in dem Moor liegt, haben ihm auf dem Stein die rechte Faust abgehauen und ihn so für tot liegenlassen. Der Junge aber, mein Vater, ist mittlerweile ins Moor gekrochen, hat sich im Gesträuch auf einem Rasenhügel versteckt, daß sie mit den Pferden nicht zu ihm kommen und, da es anfing finster zu werden, ihn in den Büschen auch nicht finden konnten.
Die andern Bauern sind nachgeritten zu sehen, was die Horne gemacht hätten, haben den Verwundeten so zugerichtet gefunden und den Jungen aus dem Moor geholt. Einer unter ihnen ist nach Ranzin gerannt, hat schnell Wagen und Pferde geholt. Darauf hat man den Verwundeten gelegt, an dem kein Leben mehr gespürt wurde, als daß er bei der Ankunft in Ranzin noch einmal aufjappte und verschied.
Des unmündigen Knaben, meines Vaters, nächste Freunde, besonders die zu Greifswald in der Stadt wohnten, machten alles zu Geld und verkauften wieder das Haus, so daß sie im ganzen über zweitausend Gulden zusammenbrachten. Wenige Edelleute lassen in jetziger Zeit ihre Untertanen zu einem solchen Vermögen kommen! Sie hielten den Knaben aufs beste, ließen ihn lesen, schreiben und rechnen lehren und schickten ihn nach Antwerpen, auch nach Amsterdam, damit er etwas von Kaufmannschaft lernte. Als er zur gebührenden Größe und nach Hause kam und das Seine in die Hand erhielt, kaufte er die Ecke der Langen Gasse und Hundstraße, rechts gegenüber der St.-Nikolaus-Kirche, zwei Häuser und zwei Buden in der Hundstraße. Aus dem einen Haus hat er das Wohnhaus, aus dem andern das Brauhaus und aus der Bude den Torweg mit viel Arbeit und Unkosten gebaut. Da nun seine Person den Leuten gefiel und man sah, daß er sich zur Nahrung wohl anließ, haben meiner Mutter Vormund und nächste Verwandte ihm diese ehelich versprochen.
Meine Mutter war die Tochter des Bartholomäus Smiterlow, welcher Bruder des Herrn Bürgermeisters Nikolaus Smiterlow war, eine junge gar schöne Frau, klein, zart von Gliedern, freundlich, kurzweilig, ohne Hoffart, reinlich, häuslich und bis in ihr letztes Stündlein gottesfürchtig und andächtig. Anno 1514 haben meine Eltern Hochzeit gehalten, Anno 1515 gab ihnen der liebe Gott einen Sohn, den sie nach meinem väterlichen Großvater Johannes nennen ließen. Anno 1517 ist meine Schwester Anna, Herrn Peter Frubos, Bürgermeisters zu Greifswald, nachgelassene Witwe, geboren, Anno 1520 bin ich zur Welt gekommen und nach meinem mütterlichen Großvater Bartholomäus genannt worden.
Von meinen fünf jüngeren Geschwistern war meine Schwester Katharine ein treffliches, schönes, freundliches, getreues und frommes Mädchen. Als mein Bruder Johannes von Wittenberg, wo er studierte, nach Haus kam, begehrte sie von ihm zu lernen, wie man lateinisch sagen könnte: »Das ist wirklich eine schöne Jungfrau.« Er sagte: »profecto formosa puella.« – Sie fragte weiter, wie man denn lateinisch antworten könnte: »So ziemlich!« Er: »sic satis.« Nach Verlauf etzlicher Zeit kamen drei Studenten von Wittenberg her, vornehmer Leute Kinder, nur um die Stadt zu besehen; die hatte Christian Smiterlow an seinen Vater, den Bürgermeister Herrn Nikolaus Smiterlow, zum Beherbergen empfohlen. Und dieser wollte sie auch gut traktieren und ihnen gute Gesellschaft schaffen. Da er selbst drei erwachsene Töchter hatte, war neben andern Gästen auch diese meine Schwester eingeladen. Die Studenten nun haben mit den Jungfern allerlei Scherzworte gewechselt und auch lateinisch untereinander geredet, was sich vor Jungfrauen deutsch zu sagen nicht geziemte, wie junge Gesellen wohl tun. Da hat auch der eine zum andern gesagt: »profecto formosa puella«; darauf entgegnete meine Schwester: »sic satis«; da sind sie sehr erschrocken, vermeinend, daß sie auch ihre vorhergehende amatorische Rede verstanden hätte. Sie ist aber Anno 44 zu einer ganz unglücklichen Heirat gekommen, mit Christoph Meier, dieser war ein ungeschlachter Mensch, vertat, verfaulte und verbankettierte alles, was er hatte, auch was er mit meiner Schwester erfreite.
Meine Mutter hielt ihre Töchter von Jugend auf zu der gebührenden häuslichen Arbeit. Als meine Schwester Gertrud mit fünf Jahren von ohngefähr beim Rocken saß und spann – denn damals waren die Spinnräder noch nicht in Gebrauch –, erzählte mein Bruder Johannes, daß die Kaiserliche Majestät einen Reichstag ausgeschrieben hätte, wohin Kaiser, König, Kurfürsten, Fürsten, Grafen und große Männer zusammenkämen, und auf die Frage, was sie dort machten, antwortete er: sie verordneten und beschlössen, wie es in der Welt gemacht werden und zugehen sollte. Da fing dies Mägdlein beim Rocken gar hoch und tief zu seufzen an und sagte in großer Wehmut: »Ach du lieber Gott! wenn sie doch auch ernstlich verordnen möchten, daß solche kleine Mädchen nicht spinnen dürften.« – Diese meine Schwester ist mit meiner seligen Mutter und mit noch zweien meiner Schwestern, mit Magdalene und Katharine, im Jahre 1549, als die Pestilenz gar heftig grassierte, selig entschlafen. Zuerst meine Mutter, und als meine Schwestern bitterlich weinten, hat sie denselben im Verscheiden gesagt: »Was weinet ihr? Betet vielmehr, daß mir Gott meine Pein gnädiglich wolle kürzen.« Einige Tage darauf entschlief selig Gertrud, meine jüngste Schwester. Die älteste unverheiratete Schwester Magdalene war auch schon dem Tode nahe, stand gleichwohl aus dem Bett, schloß auf und legte nicht allein Gertrudens Totenhemd und Laken heraus, sondern auch was man ihr selbst um- und antun sollte, und befahl, wenn Gertrud begraben würde, nur das Grab offen zu lassen, etwas mit Erde zu bedecken und sie neben Gertrud zu setzen. So legte sie sich wieder zu Bett, bis den andern Tag, nachdem Gertrud begraben war. Da starb auch sie, die größte und stärkste unter allen meinen Schwestern, eine treffliche, verständige, arbeitsame Haushälterin. Dies schrieb mir meine Schwester Katharine zwei Tage vor ihrem Tode, und daß es mit ihr selbst ebenso stünde, sie sei auf dem Weg, der Mutter und den Schwestern zu folgen, und sie sehne sich danach und ermahnte mich, daß ich mich nicht grämen sollte.
Meine Eltern nun, die beiden jungen Eheleute, hatten sich wohl eingerichtet, alles fertig gebaut, saßen in voller Nahrung und Gedeihen mit Federn, Wolle, Honig, Butter, Korn, hatten ihr stattliches Malz- und Brauwerk –, da wendete sich ihre Glückseligkeit in einen betrübten, gar üblen Zustand.
Denn in demselben Jahre 1523 kauft Georg Hartmann, der Tochtermann des Doktor StojentinValentin Stojentin, Jugendfreund Ulrichs von Hutten, damals Herzoglicher Rat, einflußreiche Beförderer der Reformation., von meinem Vater ein Viertel Butter und gerät darüber mit ihm in Wortwechsel. Um solches zu klagen, geht Hartmann, der ohnedies einen Kurzdegen zu Herrn Peter Korchschwantz trug, zu seiner Schwiegermutter. Diese, von Natur hochtrabend und sehr reich, hatte einen Doktor, des Landesfürsten Rat, zur Ehe, achtete also geringere Leute wenig. Sie gibt ihm ein Handbeil mit diesen Worten in die Hand: »Sieh, da hast du ein Viertelstück, geh auf den Markt und kauf dir ein Herz.« – So begegnet ihm mein Vater, der nach der Waage gehen wollte, sich einen Kessel Honig wägen zu lassen, oben in der Gasse, wo die Kleinschmiede wohnen, ohne Wehr, er hatte kein Brotmesser bei sich. Den überfällt Hartmann mit dem Degen und Handbeil bewaffnet. Mein Vater entspringt ihm in das Haus eines Kleinschmiedes, erwischt die Fleischgabel, die nehmen ihm die Schmiedeknechte, desgleichen wehren sie ihm auch die Leiter, die an der Galerie stand; er aber reißt von der Wand einen Knebelspieß, läuft damit zum Haus hinaus auf die Gasse und ruft, wo der sei, der ihm sein Leib und Leben habe nehmen wollen. Darauf springt Hartmann aus des Nebenschmiedes Haus, hat zu seinen beiden vorigen Wehren noch vom Amboß einen Hammer genommen, wirft mit demselben nach meinem Vater, und obgleich dieser den Wurf mit dem Spieß pariert, so gleitet doch der Hammer längs dem Spieß auf die Brust, daß er etliche Tage Blut spie. Gleich darauf trifft ihn Hartmann mit dem Handbeil in die Schulter. Da dieser nun mit Hammer und Handbeil getroffen hat, vermeint er, es könne ihm nicht mehr mißraten, entblößt den Degen und läuft damit meinem Vater auf den Spieß. Dieser stößt ihm den Spieß bis an den Knebel in den Leib, daß er stürzt. Dies ist dieser kläglichen Historie wahrhaftige Narration. Ich weiß wohl, daß die Gegner das anders berichten, mein Vater habe den Hartmann erstochen, als dieser sich in des Schmiedes Stube wehrlos hinter dem Ofen versteckt gehabt; aber es klingt nicht, nugae sunt, fabulae sunt.
Mein Vater eilte stracks nach dem Kloster der schwarzen Mönche, er war mit den Mönchen bekannt; die führten ihn in die Kirche oben unter dem Gewölbe in ein Steinspind. Doktor Stojentin mit großem Beistand und Dienern durchsuchte alle Winkel des Klosters und kam auch in die Kirche. Mein Vater meinte, sie sähen ihn; er wollte sie ansprechen und bitten, ihn zu verschonen, da er in seiner Unschuld nur Notwehr geübt habe. Doch der barmherzige Gott gab, daß er schwieg und daß dem Gegenteil die Augen zugehalten wurden, daß sie ihn nicht sehen konnten.
In der Nacht brachten ihn die Mönche über die Mauer, so daß er längs dem Damm in das Dorf Neukirchen am Ende des Dammes kommen konnte. Dorthin hatte mein Stiefgroßvater einen Bauernwagen aus Leist bestellt, der einen Sack mit Gerste, auch einen Futtersack und meinen Vater im Sack verborgen nach Stralsund führte. Auf den Bauern ist Stojentin in der Nacht getroffen und hat gefragt, wo er hin wolle. Jener: »Nach Stralsund.« Er hat auf die Säcke gestoßen und gefragt, was er geladen habe. Jener: »Gerste und einen Futtersack.« Er: ob er nicht jemand reiten oder laufen gesehen hätte. Jener: »Ja, es wäre einer ganz eilend den Weg nach dem Dorf Horst geritten, ihm hätte gedeucht, es wäre Sastrow von Greifswald, er verwunderte sich, daß er in der Nacht so eilend mit dem Pferd rennte.« So hat Doktor Stojentin den Bauern verlassen und ist den Horster Weg geritten, mein Vater aber ist zu Stralsund angekommen und hat von dem Rat daselbst Geleit erlangt.
Es hat aber mein Vater solchem Geleit allerdings nicht zu trauen gehabt, weil der Entleibte selbst unter dem Geleit meines gnädigen Herrn Herzog Georgs gestanden hatte, und Doktor Stojentin, Sr. Fürstlichen Gnaden Rat, dies Geleit gegen meinen Vater trefflich geltend machte und auch sonst der Gegenteil reich, stolz und mächtig war. So ist er in Dänemark, auch zu Lübeck, Hamburg und anderswo umhergeschweift, bis er mit dem Landesfürsten um eine ansehnliche Summe Geld vertragen wurde, die er auch bar erlegen mußte.
Und obgleich später nach vielfältigem Ansuchen, aufgewandtem Fleiß und Arbeit meines Stiefgroßvaters mein Vater mit der beleidigten Partei auf Entrichtung von 1000 Mark Blutgeld verglichen wurde, so konnte ihm doch wegen dieser Gegner der Aufenthalt in der Stadt Greifswald nicht freigemacht werden. Wie aber solch Blutgeld dem Sohn und Erben des Entleibten, dem Brand Hartmann, gediehen ist, hat der Augenschein ergeben. Unglück und Unheil wurde an Leib, Gut, Nahrung, an Weib und Kindern gespüret.
So mußte meine Mutter in ihrer Jugend ohne Mann bei vier kleinen unerzogenen Kindern haushalten. Daß sie mit schwermütigen traurigen Gedanken beladen gewesen, kann man leicht ermessen. [...]
Anno 1528, da meine Eltern spürten, daß der Hartmannsche Anhang durch nichts zu erweichen war, meinen Vater in die Stadt und Nahrung zu lassen, wollten sie, wie frommen Eheleuten gebührt, die Last der Haushaltung miteinander tragen, und so hat meine Mutter meinem Vater nachziehen müssen. Deswegen hat mein Vater das Bürgerrecht zu Stralsund gewonnen und ein Haus daselbst gekauft, meine Mutter ist von Greifswald aufgebrochen, hat ihr Haus daselbst verhandelt und ist so im Frühling nach dem Sund gezogen. Um dieselbe Zeit hat mein Stiefgroßvater, der damals Kämmerer zu Greifswald war, mich zu sich genommen, daselbst zu studieren. – Ich studierte aber gar wenig, hatte die Pferde, um darauf spazierenzureiten und mit dem Großvater auf die Stadtdörfer zu fahren, lieber als die Bücher, weshalb ich auch in studiis wenig fortschritt.
Der älteste Sohn von Herrn Bertram Smiterlow, Klaus genannt, fünf Jahre alt, aber länger und stärker von Gliedern als ich, war ein verzweifelter Schalk; er tat den Kindern in der Nachbarschaft viel Gewalt und Unrecht, von seinem Vater wurde er nicht nur nicht gestraft, sondern auch gegen die Klagen der Nachbarn mit großer Rauheit verteidigt, so daß der Großvater, um ein großes Parlament, ja Mord und Totschlag zwischen dem Vater und den Nachbarn zu verhüten, den Jungen zu sich nahm. Er schlief mit mir in der Kammer in einem Bett. Einst am Morgen, als wir aufgestanden und uns beide nebeneinander auf der hohen Kiste am Fuß des Bettes anzogen, stieß er mich, ohne jeden Wortwechsel oder gegebene Ursache, sondern allein aus boshaftem Mutwillen – denn er war so gewöhnt, daß er seine unaussprechliche Bosheit nicht unterlassen konnte – vor die Brust, daß ich rückwärts von der Kiste hinunterstürzte; wahrlich ein gefährlicher Fall. Und einst richtete der Großvater ein großes Nachtmahl an, wozu er nicht allein seine Kinder, sondern auch andere lud. Am Abend, als die Knechte ihren Herren die Leuchten brachten und bei dem Feuer saßen, kam dieser Lecker zu ihnen und trieb gegen sie allerlei Schalkheit. Die Knechte fürchteten den Vater und ließen sich alles gefallen. Zuletzt unterstand er sich, einem nach dem andern mit dem Finger an den Lippen zu brummen; da erdreistete sich einer und schlug ihn aufs Maul. Er lief in die Stube hinter den Vater und sagte dem, welcher Knecht ihm die Maulschelle gegeben hatte. In der Nacht, als das Bankett geendigt war, die Gäste aufstanden nach Hause zu gehen, die Laternen angezündet wurden und man aus dem Hause auf die Gasse kam und allenthalben und bei einem jeden nichts anderes als Stille und guter Friede bemerkt wurde, entblößte der Vater des Knaben den Kurzdegen, den er an der Seite hatte, und hieb dem Knecht, welcher vor seinem Herrn die Laterne trug, eine greuliche Wunde in die Schulter hinein. Um mich unverletzt gegenüber dem Lecker zu erhalten und nicht deswegen in noch größere Sorge zu geraten, mußte mich mein Großvater nach Stralsund zu den Eltern fahren lassen. In solchem Mutwillen wuchs der Knabe auf, worin der Vater ihn nicht allein nicht strafte, sondern vielmehr seinen Gefallen daran hatte, so daß auch niemand darüber klagen durfte. Als er nun erwachsen und an siebenundzwanzig Jahr alt war, wollte er einst gen Rostock reiten und blieb in Röwershagen über Nacht. Im andern Krug gegenüber zog ein Wagen mit Kaufleuten ein, weil sie bei diesem Menschen – denn sie kannten seinen bösen Kopf wohl – nicht sein wollten. Der eine Kaufmann hatte einen Schießhund, der lief in den Krug, worin Smiterlow war, und dieser band den Hund an, als wäre er sein, um ihn zu behalten. Am andern Morgen, als sie aufbrechen wollten, vermißte der Kaufmann seinen Hund und fand ihn bei Smiterlow, der auch aufgesessen war und den Hund am Strick mit sich führte. Der Kaufmann begehrte seinen Hund, Smiterlow wollte ihn nicht ablassen, sondern zog sein geladenes Rohr auf den Kaufmann hervor. Der Kaufmann aber wurde eher fertig und schoß ihn oben am Leib durch den Schenkel. Er ritt wohl kümmerlich nach Rostock und wurde dort verbunden, aber nach wenigen Tagen war er des Todes. Der Kaufmann ritt seine Straße und kam davon, es krähte, wie man sagt, weder Hund noch Hahn danach, nur der Vater bekam das Kratzen im Nacken. Solches schreib' ich Herrn Bertram und seinen Kindern nicht zu Verdruß noch Schmach, da solche doppelt mit uns verwandt sind, sondern meinen Kindern zur Verwarnung und Vermahnung, daß sie ihre Kinder von Jugend auf in geziemender Zucht und Zwang halten.
Im Jahre 1529 ging meine Mutter schweren Fußes und wollte vor der Entbindung noch scheuern und waschen lassen, wie es die Frauen im Brauch haben. Nun hatten meine Eltern diesmal eine Magd, die vom bösen Geist besessen war. Sie hatte sich bis dahin nicht hervorgetan, aber jetzt, als sie das große Wandgerät zu scheuern hatte, Kessel und Tiegel herunterzunehmen, warf sie diese herab auf den Boden, sehr greulich und rief mit lauter Stimme: »Ich will heraus!« Als man nun den Grund merkte, nahm ihre Mutter (die in der Pantinenmacherstraße wohnte) die Magd zu sich, und sie wurde etlichemal in die Kirche zu St. Nikolaus in einem rigaischen Schlitten geführt. Wenn die Predigt geendigt war, wurde der Geist beschworen und ergab sich aus seinem Bekenntnis, daß ihre Mutter einen frischen sauren Käse gekauft und in den Schrank eingesetzt hatte, die Magd war in Abwesenheit ihrer Mutter an den Schrank gekommen und hatte vom Käse gegessen. Als nun die Mutter gesehen, daß jemand beim Käse gewesen war, hatte sie dem den bösen Geist in den Leib geflucht; seitdem hatte er in der Magd hausgehalten. Als er darauf gefragt wurde, wie er denn bei und in der Magd hätte bleiben können, da sie in der Zeit zum Sakrament gegangen war, gab er die Antwort: »Es liegt wohl ein Schelm unter der Brücke und läßt einen frommen Mann über sich hingehen«, er hätte mittlerweile ihr unter der Zunge gesessen. Er wurde aber nicht allein gebannt und beschworen, sondern es ward auch von männiglich, so in der Kirche dabei- und umherstand, auf den Knien fleißig und andächtig gebetet. Mit dem Exorcismo trieb er sein lautes Gespött; denn als der Prediger ihn beschwor, daß er ausfahren sollte, sagte er: ja, er wollte weichen, er müßte ja wohl das Feld räumen, aber er forderte allerlei, was man ihm mitzunehmen erlauben sollte; wenn ihm das eine Geforderte abgeschlagen würde, so stünde ihm das Bleiben frei. Es stand einer unter den Anwesenden, welcher den Hut aufbehielt, als diese beteten, da begehrte er von den Predigern, ihm zu erlauben, daß er dem den Hut vom Kopf nehmen dürfte, den Hut wolle er mit sich nehmen und weichen. Ich trage Sorge, wäre es ihm von Gott gestattet worden, Haut und Haar hätten mit dem Hut gehen müssen. – Zuletzt, als er wußte, daß seine Zeit, die Magd zu plagen, verflossen war, und merkte, daß unser Herrgott das gläubige Gebet der gegenwärtigen Leute gnädiglich erhörte, forderte er gar spöttisch eine Tafel Glas aus dem Fenster über der Turmuhr, und als ihm eine Raute aus demselben erlaubt wurde, hat sich dieselbe zusehends mit einem Klang abgelöst und ist davongeflogen. Nach der Zeit hat man nichts Böses bei der Magd vermerkt. Sie hat auf dem Dorf einen Mann bekommen und von ihm Kinder erhalten.
Ich ging in die Schule, lernte so viel, als ich vor Wildheit konnte, das Ingenium war ziemlich, wie sich merken ließ, aber Stetigkeit war nicht vorhanden. – Des Sommers badete ich mich mit meinen Gesellen am Strand, das sah mein Ohm aus seinem Garten hinter seiner Scheuer und zeigte es meinem Vater an, der kam mit einer guten Rute des Morgens auf den Saal vor mein Bett; während ich schlief, nestelte er sich mittlerweile auf und redete laut, damit ich erwachen sollte. Wie ich dann erwachte und ihn vor mir stehen und die Rute auf dem Nebenbett liegen sah, verstand ich wohl, was die Glocke geschlagen hatte, da fing ich an mit bitterlichem Weinen zu flehen und zu bitten. Er fragte, was ich getan hätte. Ich gelobte, ich wollte mein Lebtag am Strand nicht mehr baden. »Ja, Junker,« sagte er (wenn er mich ihrzte und Junker nannte, wußte ich wohl, daß die Sache zwischen ihm und mir schlecht stand), »habt Ihr gebadet, so muß ich quästen.« Dabei ergriff er die Rute, warf mir die Kleider über den Kopf und lohnte nach Verdienst. Meine Eltern erzogen ihre Kinder ganz gut. Mein Vater war etwas hastig, und wenn die Galle überhandnahm, konnte er kein Maß halten. Einst erzürnte er sich über mich; er stand im Stall, ich aber unter der Tür des Stalles, da erwischte er die Stakengabel und schoß die nach mir. Ich entsprang dem Wurf, der war so stark, daß die Gabel in einen eichenen Ständer der Badestube so tief zu stecken kam, daß man sie mit Gewalt herausziehen mußte. Damals hat der gnädige Gott des Teufels Vorhaben gegen meinen Vater und gegen mich vorsorglich gehindert. Die Mutter aber, welche überaus glimpflich und holdselig war, sprang in solchen Fällen hinzu, sagte wohl: »Stäupe stärker, der verzweifelte Bub hat es wohl verdient«, und unterdes, ohne daß es die Kinder merkten, faßte sie ihm den Arm und die Hand, worin er die Rute hatte, daß er nicht zu stark zuschlagen konnte.
Meines Vaters Haus war noch sehr unfertig, außerdem war eine Bude hereingebaut, mit dem Eingang hart am Brunnen. Darin wohnte ein Müller, Lewark genannt, der hatte viele und böse Kinder, die weinten Tag und Nacht. Des morgens, wenn der Tag anbrach, fingen die jungen Lerchen an zu zirpen; das währte den ganzen Tag, daß man davor weder sehen noch hören konnte, bis mein Vater die alten Lerchen mit ihren jungen Lewarken herausjagte, die Bude einriß und den Bau des ganzen Hauses mit Ernst, großer Arbeit und Unkosten angriff. Denn meine Eltern bekamen von Greifswald eine ziemliche Barschaft, weil meine Mutter alles zu Geld machen mußte, so daß viele Leute meinen Vater deshalb den reichen Mann in der Vehrstraße nannten. Dies wurde aber in wenig Jahren sehr ungewiß gemacht, so daß meinen Eltern große Sorge und Geldversplitterung, auch ihren Kindern Verhinderung des gehofften Glückes, also merklicher Schaden und Nachteil entstand.
Denn es waren damals zu Stralsund zwei Weiber, die man Schadenträgerinnen nicht unbillig nennen möchte, die eine hieß Lubbe Keßke, die andere Engeln, wohnten alle beide in der Altbüßerstraße. Die kauften von meinem Vater allerhand Tuch, das verkauften sie wieder andern Leuten, man wußte aber nicht wem; sie entliehen Geld zu fünfzig, hundert, hundertundfünfzig und mehr oder weniger Talern, sagten auch nicht, für wen sie die entliehen; wenn sie von den Leuten gefragt wurden, von wem sie solches Geld holten, antworteten sie: »Vom reichen Mann in der Vehrstraße.« Der Taler galt damals achtundzwanzig lübische Schillinge, sie machten ab, den zum Termin, auf den man übereingekommen war, mit achtundzwanzig und ein halb Schilling zu bezahlen. So auch mit dem Kaufgeld für die Tücher, sie zahlten bisweilen wohl etwas ab, aber wenn sie einmal hundert Gulden entrichteten, so nahmen sie stracks wieder für zweihundert oder mehr Gulden. Solcher Handel war meiner Mutter gar nicht recht, denn sie sah wohl, wenn der Vater sein Geld auf die gebührende Rente von fünf Prozent austäte, würde dasselbe ungleich mehr bringen. Und ihr sagte das Herz, die Weiber würden den Vater endlich betrügen, wie auch wirklich geschah, sie flehte, bat und ermahnte, manchmal mit Vergießung heißer Tränen, für sich selbst, auch durch die Prediger, Knipstro und andere, er sollte doch mit den Weibern zu handeln unterlassen. Als nun die Forderung sehr groß wurde, die Weiber nicht zwanzig Gulden zu zahlen vermochten und er wissen wollte, wohin sein Gut gekommen wäre, fand sich, daß er an die Frau eines Tuchschneiders, des Hermann Bruser, welche einen stattlichen Tuchhandel hatte, da sie das Tuch im Ausschnitt wohlfeiler verkaufte, als andere Tuchhändler tun konnten, siebzehnhundertundfünfundzwanzig Gulden und an die Mutter des Jakob Leweling achthundert Gulden weggegeben hatte. Mein Vater zog die beiden Weiber mit der Frau des Bruser zur Rechenschaft, diese Frau und ihr Mann Hermann Bruser erboten sich zu bezahlen. Bruser gab meinem Vater Siegel und Brief, ihm in festgesetzten Terminen die Zahlung zu leisten. – Was geschieht? Der erste Termin der Bezahlung fiel in den Aufruhr gegen den Bürgermeister Herrn Nikolaus Smiterlow, und von den vornehmsten der Aufrührer war Hermann Bruser einer; er meinte, es wäre nun sowohl mit meinem Vater als mit dem Herrn Bürgermeister aus, er widersetzte sich der Bezahlung, also seiner gegebenen Schuldverschreibung, und ließ sich mit meinem Vater in einen Prozeß ein. Die Gegner brachten den Bürgermeister Vorber durch Verehrung etlicher Goldgulden auf ihre Seite, so daß nach langem Rechtsgang erkannt wurde, Bruser sollte schwören, daß er von dem Handel nichts gewußt, und beweisen, daß derselbe wucherisch gewesen. Bruser hat solchen Eid vor dem Niedergericht leiblich geleistet und vermeldet, seine Zeugen wären »über See und Sand«, er bitte deswegen zur Vollführung seines Beweises Jahr und Tag. Als ihm auch solches zuerkannt wurde, appellierte mein Vater an den Rat und von da an den Ehrbaren Rat zu Lübeck.
Die Herren zu Lübeck erklärten, Bruser solle bezahlen, laut Siegel und Brief. Davon appellierte dieser an das Kaiserliche Kammergericht zu Speyer. Zu Speyer hat man viele Jahre prozessiert; Bruser schwur den Eid paupertatis, doch steuerte er seine Tochter gleich eines Bürgermeisters Tochter mit Perlen und Geschmeide aus, verkaufte seine Häuser, und sein Schwestermann brachte Siegel und Brief dem Buchstaben nach älter als meines Vaters Schuldbrief, worin ihm alle Güter des Bruser als Hypothek verpfändet waren. Endlich ist das Kammergericht von den protestierenden Reichsständen rekusiert worden, und man hat mit dem Prozeß stillhalten müssen, bis dasselbige nach sechs Jahren wiederum besetzt worden ist, von da hat man die Sache bis zum Beschluß durchgeführt. Ich aber bin nach dem Beschluß selbst zwei ganze Jahre in Speyer gewesen und habe die Publikation des Urteils nicht herausbringen können, so daß mein Vater sich zuletzt, nachdem er mit Bruser und seiner Partei über vierunddreißig Jahre prozessiert, mit den Erben von Brusers Schwestermann so verglichen hat, daß dieselben tausend Gulden als ein und alles gegeben haben. Die Hauptschuld ist gewesen siebzehnhundertundfünfundzwanzig Gulden, meines Vaters aufgewandte Kosten haben mehr als tausend Gulden betragen, was ist das lucrum cessans? Daß mein Vater sein Geld an die vierzig Jahre entbehren müssen, daß meinen Eltern und ihren Kindern merklich große Ungelegenheit entstanden ist. Ich bin darüber aus meinem Studieren und mein Bruder Magister Johannes ums Leben gekommen, so daß man im Grunde sagen muß, das Diktum des Hesiodus: »Die Hälfte ist mehr als das Ganze«, passe nicht übel auf den Rechtsprozeß, sonderlich beim Kaiserlichen Kammergericht; so daß es viel nützlicher sei, man nimmt im Anfang die Hälfte, als daß man das Ganze durch Erkenntnis des Kammergerichts erhalte.
Hierauf will sich gebühren, meinen Kindern zur Lehre nicht vorzuenthalten, wie den gottlosen Gesellen, nachdem sie meine Eltern in die dreißig Jahre tribuliert und vexiert haben, gelohnt worden ist. Denn im 75. Psalm steht: »Der Herr hat einen Becher in der Hand mit starkem Wein voll eingeschenkt, und schenkt aus demselben« – diesen Kelch hat er auch mir daraus zu trinken dargereicht, ziemlich so viel als er gewußt, daß ich habe vertragen können. Aber die Gottlosen haben auch daraus getrunken und die Hefen aussaufen müssen, so daß ich an meinen und der Meinigen Feinden meine Lust gesehen habe. Denn der Hauptschuldige, Hermann Bruser, ist mit seinem hoffärtigen Weib, der Erzbetrügerin, in die äußerste Armut geraten, daß sie von ihren Verwandten und Bekannten etliche Jahre gefüttert worden; endlich hat er sich in Schweden als Kammerknecht vermietet und zu Stockholm hat ihm in seines Herrn Krambude der Teufel den Hals entzweigebrochen, daß er mitten in der Krambude liegend gefunden wurde, das Angesicht nach dem Rücken gedreht. Seine Tochter, die, wie oben gemeldet, mit meines Vaters Gütern gleich eines Bürgermeisters Tochter ausgesteuert wurde, ist, ehe sie verstorben, bloß und arm geworden, hat Haus und Hof aufgeben müssen, und ihr Mann muß seit ihrem Tode, der viele Jahre her ist, bis auf den heutigen Tag im Hospital zum Heiligen Geist von Almosen leben.
Mit seinem Sohn hat es nirgend glücklich hinausgewollt, er ist aus einer Leichtfertigkeit in die andere gefallen. Ihn hat man zu Kalmar eines Morgens früh auf dem heimlichen Gemach tot sitzend gefunden, und seine Kinder müssen von einem zum andern in der Stadt und auf dem Lande herumlungern.
Die andere Gegnerin meiner Eltern, die Leweling, eine Witwe, hatte von ihrem Mann einen Sohn, sie war trefflich reich an Stadt- und Landgütern, an Häusern, an Buden, Gärten und Äckern im Felde; man sagte, daß sie an stehenden sicheren Pachten auf jeden Tag, das ganze Jahr durch gerechnet, ein Huhn und einen Goldgulden hatte. Sie hatte aber mit ihrem Sohn alles durchgejagt, so daß sie nicht allein meinem Vater die achthundert Gulden, sondern auch andern mehr so viel schuldig geworden, daß sie nach Urteil und Recht sich in ihrem abgetragenen Weibermantel aus ihrem Hause führen lassen mußte und dasselbe ihren Kreditoren einräumen. Ihrem Sohn, der ein Bengel von fünfzehn Jahren war, mußte sie in ihrem Hause eine eigene Dirne halten, wenn sie nicht wollte, daß er des nachts in den Dirnenhäusern liege, bis sie ihm in so großer Jugend eine Eheweib gab, daß sich männiglich darüber verwunderte. Was er noch an Äckern, Wiesen, Dörfern, Wald, Hauen, Hufen und Katen übrigbehielt, mußte alles dem andern folgen. So hielt er auch seinen Ehestand so rein wie der Hund die Fasten. Denn bei Herzog Philipps Huldigung lag die Herzogin in seinem Haus zur Herberge, damals kam seine Frau mit einer jungen Tochter in die Wochen, er bat die Herzogin zu Gevatter, wie er die Tochter auch nach Ihrer Fürstl. Gnaden Maria nennen ließ, daneben aber hatte er seine Dirne im Garten bei der Niedermühle, mit der hielt er grob und ärgerlich haus. Ferner bestahl er mit einem andern, der Valentin Bus hieß, des Nachts dem Teichmeister die Reusen und fingerte sonst umher, daß es wohl des Henkers wert war. Valentin Bus wurde auch deswegen gefänglich eingezogen und hätte hängen müssen, wenn ihm nicht wegen des Lewelings, der mit ihm in gleicher Schuld stand, das Richten wäre erlassen worden. Leweling aber hat sich mit dem Ehrbaren Rat verglichen und sich mit Geld vom Galgen gekauft. Wie er denn sein noch übriges Dorf Bessin, in dessen Kapelle sein Vater begraben ist, also seinen Vater mit dem Dorf einem Ehrbaren Rat verkauft und sich so mit dem Rat abgefunden hat. Weil mein Vater mit andern Kreditoren zu Recht erhalten, daß seine Mutter ihr Haus räumen mußte, hat dieser junge, übelerzogene, gottlose Lecker auf ihn gewartet, als er nach der Kirche zu Haus gehen wollte, und ist ihm mit seiner Wehr gefolgt, ihn zu erstechen oder gröblich zu verwunden, mein Vater ist aber nach Haus geeilt und hat die Tür gewonnen, ehe er an ihn gelangen konnte. Als nun dieser Sohn alles durchgejagt, ist er in großer Armut gestorben und hat seine oben gemeldete Tochter Maria hinterlassen, die man jetzt manchmal auf dem Markt sitzen sieht, Fische zu verkaufen. Das hat daraus folgen müssen, daß Mutter und Sohn in die Fußstapfen ihrer Voreltern getreten und nicht durch ihr Exempel gewitzigt worden sind. Denn die Mutter ist von des Bürgermeisters Wulf Wulflam Freundschaft und Geblüt gewesen, von dem geschrieben ward, daß er in Reichtum keinen Gleichen an der Seeküste hatte. Die Frau desselben ist so stolzen Geistes gewesen, daß sie des Fürsten zu Pommern Spielleute von Stettin holen ließ, als sie zur zweiten Ehe schritt, und an ihrem Brauttag an einem englischen Stück Tuch, das sie von ihrem Hause bis zur Kirche breiten ließ, nach der Kirche ging; item, daß sie den reinsten, weichsten rigaischen Flachs auf dem heimlichen Gemach gebraucht hat, den Hintern damit zu wischen. Aber von dem gerechten Gott, der die Hoffart vom Himmel verstoßen hat, wurde sie mit Armut gestraft, daß sie nur noch eine silberne Schale gehabt hat; mit derselben hat sie von Haus zu Haus die Almosen gebeten mit diesen Worten: »Gebt der armen reichen Frau etwas!« und hat ihre alte Dienstmagd flehend angerufen, ihr um Gottes willen Leinenzeug zum Halskragen und ein Hemd zu geben. Als diese ihr solches brachte, hat sie gesagt: »Seht, Frau, das Garn, woraus die Leinwand gemacht ist, habe ich von dem Flachs gesponnen, womit ihr den Hintern pflegtet zu wischen, den ich aber mit Fleiß aufhob, verwahrte und rein aushechelte.« [...]
Mein Bruder aber, M. Johann, als er von Lübeck und Rostock zurück nach Hause reisen wollte, hat er auf dem Fuhrwagen zum Gefährten gehabt Herrn Heinrich Sonneberg und eine Frau, außerdem ist neben dem Wagen geritten Hans Ladebusch und ein junger feiner Gesell Hermann Lepper, der hatte gegen boguslawische Schillinge und ander Geld etliche hundert Gulden Münze aus Gadebusch, die dort geprägt waren, geholt, die lagen auf dem Fuhrwagen. Solches wurde etlichen Schnapphähnen verraten. Denn es war die Straßenräuberei im Lande Mecklenburg deshalb gar gemein, weil dieselbe nicht ernstlich gestraft wurde, und es ließen sich welche vom Adel aus vornehmem Geschlecht dabei finden.
Jedoch wird der schätzbare Adel, worunter viel ehrliche Leute, die aller Wege wert zu achten sind, damit nicht gemeint. Jetzt ist gottlob! im Fürstentum Mecklenburg ernstliche Aufsicht, damals aber durften die Buschreiter sagen: wenn wir dreihundert Gulden abgeben, bringen wir uns dadurch aus aller Gefahr und behalten immer noch zweihundert übrig. Wie die Reisenden nun an die Ribbenitzer Heide kamen, stiegen die, so auf dem Wagen saßen, mit ihren Wehren vom Wagen, die beiden Reiter hätten an dem unsichern Ort auch beim Wagen bleiben sollen, aber sie ritten etwas voraus. Gegen diese sammelten sich die Schnapphähne. Einer insonderheit machte sich an den Ladebusch, sie redeten gesellig. Als sie so nebeneinander ritten, daß er Ladebuschens Zündrohr erreichen kann (es war damals nicht gebräuchlich, doppelte Rohre am Sattel zu führen), reißt er ihm die Büchse, welche gespannt und der Hahn aufgezogen war, aus der Holfter, übereilet dann den Hermann Lepper, der zurück nach dem Wagen reitet, und erschießt den, daß er vom Klepper herunterpurzelt. Hans Ladebusch nimmt das Hasenpanier, reitet dann auf Ribbenitz zu. Herr Heinrich Sonneberg läuft ins Holz, versteckt sich in den Büschen. Mein Bruder hatte einen Schweinspieß, er stellte sich an das eine Hinterrad, damit die Bösewichter ihn von hinten nicht beschädigen könnten, von vorn wehrte er sich, wies einen nach dem andern ab, nicht ohne ihren Schaden, denn er stieß einem den Spieß neben dem Bein in den Leib, daß er zu Busch ritt, von dem Pferd kam, das er laufen ließ, und dort liegenblieb. Da ritt ein anderer grimmig auf meinen Bruder zu, hieb ihm ein Stück vom Kopf wohl einen Taler breit, so daß ein Stück der Hirnschale, fast einen Deut groß, an dem abgehauenen Stück sitzenblieb, und in demselben Hieb mit der Spitze des Schwertes eine Wunde in den Hals, ein halbes Viertel lang, daß er stürzte und als tot behandelt wurde. Die Bösewichter plünderten den Wagen, bekamen alles, was darauf war, ergriffen auch das Pferd ihres verwundeten Gesellen, und da sie sahen, daß der soviel bekommen, daß nicht mehr viel von seinem Leben vorhanden war, und da sie ihn nicht mit sich wegbringen konnten, ließen sie ihn liegen. Dem Fuhrmann haben sie seine Pferde gelassen und sind mit dem erlangten Raub davongeritten. Herr Heinrich Sonneberg ist aus den Büschen wieder zum Wagen gekommen, sie haben meinen Bruder auf den Wagen gelegt, die Frau hat sein Haupt mit ihren Tüchern umwunden in ihrem Schoß gehalten, den toten Körper legten sie ihm zwischen die Beine und fuhren so langsam nach Ribbenitz. Dort wurde ihm so weit die Wunde verbunden, daß der Chirurgus ihm an den Hals etliche Hefte legen mußte. Das erscholl zu Rostock. Der Rat schickte seine Diener an den Ort, die fanden den verwundeten Schnapphahn und nahmen ihn mit sich nach Rostock, aber sobald sie ihn in das Gefängnis brachten, verschied er leider, so daß man von ihm nicht erfahren konnte, wer die andern waren. Doch blieb es nicht so ganz geheim, aber es wurde von der Freundschaft vertuscht, daß es nicht jedermann erfahren möchte, und so getrieben, daß gebührender Ernst von der hohen Obrigkeit nicht gebraucht ward. Der tote Bösewicht jedoch wurde vors Recht gebracht und vom Gericht hinaus vor die Landwehr geführt, daselbst wurde ihm der Kopf abgehauen und auf den Staken gesetzt, worauf er viele Jahre gesehen ward. Ladebusch brachte die Geschichte nach Stralsund, der Rat ließ meinem Vater einen verschlossenen Wagen mit vier Stadtpferden folgen, wir nahmen Betten mit und fuhren noch den Abend aus und durch die Nacht, so daß wir am Morgen früh zu Ribbenitz ankamen. Wir fanden meinen Bruder gar schwach, blieben aber um der Pferde willen den Tag zu Ribbenitz und ließen den entleibten Hermann Lepper, nachdem gebührenderweise vor Gericht das Recht über ihn ergangen war, christlich und ehrlich zur Erde bestatten. Gegen Abend fuhren wir aus Ribbenitz, die Nacht über nur Schritt vor Schritt, so daß wir den andern Tag gegen Mittag in Stralsund ankamen. Als Meister Joachim Geelhar, der berühmte Wundarzt, die Wunde in rechten Schick gebracht, wurde der Patient ordentlich und bald geheilt.