Johannes Freumbichler
Philomena Ellenhub
Johannes Freumbichler

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Der große Brand

Böse Gerüchte durchschwirrten das Dorf. Der Koadjutor Kletzl war seit jener Nacht verschwunden. Einige behaupteten, er sei geflohen, andere, man habe ihn heimlich in ein Kloster nach Tirol gebracht. Es war schwer, die Wahrheit herauszufinden. Weiter wurde die Nachricht kolportiert, in Wien sei die Rebellion im vollen Gang und jeden Tag könnten Abteilungen der Nationalgarde hier durchkommen. Diese Nachricht setzte alle in Aufregung. Man versteckte Wertsachen und Geldstrümpfe, legte Wassereimer und Feuerhaken zurecht, und die Mannsbilder luden die Hausbüchsen, während die Weiber und Kinder auf den Hügel liefen.

Die Mena ließ sich ihre Arbeit angelegen sein, da der Bräu und seine Frau, wie alljährlich um diese Zeit, verreist waren. Nach München hieß es; das dünkte ihnen allen eine feine und frohsinnige Stadt. Da war die Mena dann auch in der Wirtschaft tätig. Sie stand eben in der Bräuküche und horchte in die Gaststube hinaus. Lamberts Stimme drang herein. Er schien die doppelten Kosten des Herabputzens bereits verschmerzt zu haben: »Handel und Wandel müssen im Gang bleiben, sonst ist's weit gefehlt! Weit gefehlt!« Der Staatsschuldenmann kam zu ihr. »Gelt, Mena«, jammerte er, »wie's heutzutag zugeht in der Welt! Hast du keine Angst? – Oft liest man, daß die Anführer gefaßt, zum Galgen verurteilt oder zu Pulver und Blei begnadigt werden. Ich könnt dir viel erzählen . . . Wenn du mir eine Maß zahlst, setz ich mich zu dir in die Küch!«

Sie dachte an den Toni und bestellte das Bier, hörte aber mehr auf das, was man draußen sprach. Die Bauern sagten: »Was wollen denn die Rebellen noch? – Der Kaiser hat ja alles bewilligt. Robot und Zehent sind abgeschafft, und die Grunduntertänigkeit auch.«

Trommelwirbel rief alle vors Haus. Der Kalbl-Stumpf hielt mit einer Abteilung frisch geworbener Garden. Wie er so, eine rote Schärpe um den Leib, kommandierte, war den Gaffern das Lachen nahe; aber wie die Kerle ihre Büchsen aufs Pflaster stießen, verging es ihnen. Die Bauern fragten gemütlich: »Stumpf, wohin denn?« 410

»Nach Wien! – Revolution machen! Ich hoff, daß ihr zu uns haltet. Sonst aber rat ich euch, geht zu Haus und leckt euren Ausbeutern weiter die Stiefel.«

Der Bräumeister war verlegen. Er rief den Vorgeher, die Erstköchin, die Erst- und Zweitdirn, und sie beratschlagten.

In der ersten Hitze wollte man ihnen nichts vorsetzen, aber die Mena schlug ein anderes Mittel vor: sie reichlich zu bewirten, und wären sie satt, verliefen sie sich von selber. Dem stimmte man zu; und sogleich wanderten die gefüllten Maßkrüge und Teller mit den dampfenden Speckwürsten in den Garten, wo die Gardisten sich niedergelassen hatten.

Als sie voll waren, verlangten sie Schnaps; der Bräumeister redete folgendermaßen: »Man hat euch freiwillig Speis und Trank vorgesetzt. Es soll nichts kosten. Aber nun ist's auch genug. Räumt den Garten und geht in euer Quartier.«

Die Antwort war ein Gejohle. Der Kalbl-Stumpf, der diesen Augenblick sein ganzes Leben herbeigesehnt hatte, erhob sich. Nur eins tat ihm leid, daß der Herr Bruder und die hochnäsige Frau Schwägerin nicht zur Stelle waren. »Bester Herr Bräumeister«, sagte er und strich sich den Schnurrbart, »wir gehen schon. Haben aber noch ein kleines Anliegen. Wir armen Teufel müssen für die Freiheit unser Blut hergeben, weil wir eben sonst nichts haben; die Reichen aber müssen von ihrem Geldhaufen hergeben! Und bei meinem Herrn Bruder fangen wir an, mit dreitausend Gulden; beim Krämer Lambert hören wir auf, mit einem halben Tausend.«

Der Bräumeister fragte: »Willst du nicht lieber das Doppelte nehmen? – Dein Bruder hat's doch!« und ging.

Es währte aber kaum zwei Vaterunser lang, so tappten, in Stiefeln, in Holzschuhen und barfuß, Bräu- und Hausknechte, Roßknechte und Feldknechte über die Steinfliesen, die längs des Bräuhauses gelegt waren, und wimmelten im Nu in den Gastgarten hinein. Die Gardisten kamen gar nicht zur Abwehr; die fürchterlichen Fäuste und Tatzen stießen, pufften und trieben sie unter Geschimpf auf die Straße hinaus.

Die Mena ging an diesem Abend nicht so in ihre Schlafkammer, wie sie es gewohnt war. Das Ereignis des Tages hatte ein Gefühl der Beunruhigung in ihr zurückgelassen. Auch kam sie sich etwas vereinsamt vor, da sie niemand mehr hatte, den sie bemuttern konnte. 411 Neben ihrem Körbchen mit Äpfeln und Nüssen hatte sie drei Briefe liegen. Von Silvester, der war kurz und meldete, daß er, als Offizier der Nationalgarde, Tag und Nacht beschäftigt wäre, und die Stadt fieberhaft an ihrer Verteidigung arbeitete. Weiter ein Schreiben von einem der Brüder, die unter Radetzky dienten. Es lautete:

»Vielgeliebte Schwester! – Im Anfange meines Schreibens begrüße ich Dich. Die zehn Gulden habe ich richtig erhalten. Meine liebe Schwester, die sich ihr Geld so hart verdienen muß, schickt es mir, ohne daß ich sie darum gebeten habe. Wir marschieren viel in der Lombardei herum. Bei der Einnahme von Mailand hat mir ein Katzelmacher meine Pfeife zerschossen; so kurzweg, daß mir nur der Spitz im Maul geblieben ist. Gott erhalte Dich gesund, wie auch ich es bin, bis zu dem Tage, wo wir uns wiedersehen werden. –

Dein Dich liebender Bruder.«

Wunderlich dünkte ihr, daß die Briefe so unversehrt aus Italien ankamen, wo, ihrer Phantasie nach, Tag und Nacht die Kanonenkugeln durch die Lüfte fuhren.

Endlich hatte sie noch einen dritten Brief bei sich, der kam von der schönen Lena. Die beiden hatten sich nie geschrieben, und es war eine ähnliche Entfremdung zwischen ihnen, wie zwischen Paul und ihr. Vielleicht traf keine von ihnen eine Schuld. Es hatte nie einen Streit zwischen ihnen gegeben, aber auch nie eine eigentliche Vertraulichkeit; und nun schrie, heulte, tobte in diesen Zeilen, was eben nur zwischen Mann und Weib in der Ehe toben, heulen und schreien kann. Es war nichts, als lauter erschütterndes Unglück. – Wie ist dies möglich? fragte sie sich. Sie hatte ihre Schwester im Besitz des vollständigsten Glückes gehalten. Wiederum ging ihr eine Welt auf: Der Schein trügt . . . Köder und Angel . . . Heiliger Ähnl, steh mir bei!

Sie löschte das Licht, kehrte sich zur Wand und dachte: ich hab meine Pflicht getan; komme, was kommt!

Sie war eben dabei, einzuschlafen, als von der Straße her ein Lärm erscholl; zuerst undeutlich, bis sie endlich die Worte verstand: Feuer! 412

Sie fuhr ins Gewand und lief ins Freie. Was sie sah, verschlug ihr den Atem: aus dem Dach des Stalles stieg kerzengrade eine rote Fackel. Sie trommelte schreiend an die Türen der Mägdekammern und stürzte hinab. Hier schlug ihr dicker, weißer Qualm entgegen. Die Rinder brüllten. Es gelang ihr, zwei, drei Kühe abzuhängen und hinauszujagen, aber schon sank sie, von Rauch betäubt, auf einen der Dengelstöcke neben dem Eingang hin. Die Mägde warfen ihre Sachen in Bündeln auf die Straße und schrien und weinten. – Es ist meine Pflicht, dachte sie und stürzte sich wiederum in den brennenden Stall. Sie kettete ein Rind nach dem andern ab, schlug mit den Fäusten und stieß mit den Füßen. Jetzt sah sie auch hie und da eine Magd und einen Knecht, die schreiend herumliefen. Sie machte wiederum ein paar Tiere los und kam an einen Stier, der brüllend an seiner Kette riß. Im Ausgang quetschte er sie an die Wand; sie fiel ins Freie, über und über mit Ruß und Blut bedeckt.

Es war, als ob aus den Stalldächern Fackeln gestoßen würden; alle Augenblicke schoß eine neue Flammengarbe unter Gekrach zum Nachthimmel. Auch das Feuerhorn gellte und die vier kleinen Glocken huben an zu läuten. Zuweilen setzten sie aus, als wollten sie Atem schöpfen; dann gellte nur die Sterbeglocke, so daß es schien, als ob die letzte Stunde für das Dorf gekommen wäre! Man wollte nun an alles zugleich denken; das eigene Haus behüten, Familie und Kinder beruhigen, und zur Brandstätte eilen, um zu helfen. Von den Höfen liefen die Knechte, die angeschirrten Gäule am Zügel, die Straße herab; Steine und Funken flogen. Spritzenwagen rasselten, und schneidendes Peitschengeknall erscholl.

Lambert stand mit Frau und Kindern vor dem Haus. »Mein heiliger Gott«, jammerte die Frau, »und der Bräu nicht daheim!« Er brummte. »Was liegt schon so einem dran, wenn ihm ein paar Fuder Heu verbrennen? – Aber das Vieh? Ich denk an das arme Vieh!« – »Und an die Mena!« sagte die Lambertin.

»Warum denn nicht?« fragte er zurück. »Die Arme wird nicht wissen, wo aus und wo ein. Beim Bräu saufen sie sich am Sonntag alle voll wie die Schwämm!« Er stellte Eimer und Schaffeln mit Wasser bereit, schlüpfte in einen alten Winterrock und ebensolche Stiefel, setzte einen schäbigen Filzhut auf und band ihn mit einem Schnupftuch unterm Kinn fest. Sogar Fäustlinge, mit Leder benäht, vergaß er nicht. So ausstaffiert, marschierte er los. 413

Schon bei der Bräu-Villa war die Straße mit Menschen verstopft. Zwischen den Gebäuden arbeiteten die Spritzen; drei oder vier Wasserstrahlen fielen in die züngelnden Flammen, jedoch von der Wirkung war nichts zu sehen. Knechte, Mägde und freiwillige Helfer schleppten allen möglichen und unmöglichen Hausrat ins Freie. Die Kopflosigkeit schien allgemein. Das Geschrei dieser Leute, das Gebrüll der Stalltiere und das Krachen des Dachgestühls erfüllten die Luft. Lambert entging nichts. In einer Seitengasse bemerkte er eine Menschengruppe, die bemüht war, mit Wiesbäumen ein Fensterkreuz herauszuwinden. Er pfiff durch die Lippen. Bei einer Spritze blieb er stehen. Bräuknechte trugen in Steinkrügen und rottüchernen Wassereimern Bier zu; und wo sie im grellen Brandlicht auftauchten, griffen viele Hände gierig danach. Die Leute bliesen den flockigen Schaum weg und bogen sich beim Trinken weit zurück. Die Arbeit war anstrengend, und das Labsal kostete nichts. Als sie Lamberts ansichtig wurden, riefen sie: »Hoh! Hoh! Der feige Krämer traut sich auch her? – Daß dir nur dein Fettbauch nicht schmilzt! – Aber das wär seiner Frau gerad recht: sie tät es in die Margarin mischen und als Rindschmalz verkaufen.«

Die Schimpfereien ließen ihn kalt. Er hatte eine dicke Haut und war in vielen Dingen unverwundbar. Gendarmen, Bajonett auf, drängten sich durch. Ihre Hahnenfederbüsche glänzten im Feuerschein. Er zupfte einen davon am Ärmel und sagte: »Herr Wachtmeister, schauen Sie einmal dort unten nach! Dort steht dem Bräu seine eiserne Kasse.«

Die Gendarmen riefen: »Platz! Platz!« Und dann: »Was geschieht denn da?«

Die Männer mit den Hebebäumen waren unwillig. »Was soll denn geschehen?« brummten sie. »Die Kasse retten!« Lambert fing an zu lachen. Sein Leibesumfang schüttelte sich; sein Lachen steckte auch die Leute und die Gendarmen an, und überall, wo im Lauf der Nacht und des folgenden Tags ein Haufe gegen das Feuer vorrückte, rief man ihm zu: »Die Kasse retten! Die Kasse retten!«

Lambert wandelte gelassen weiter. Der Lärm war im Steigen begriffen, und durch das Getöse hörte man ein dumpfes Röhren. – War das nicht ein junges Kalb? Oder zehn junge Kälber? – Und wo mochte die Mena sein? – Er stieg über Balken, Schläuche und Haufen von Feldgerät. Endlich hörte er ihre Stimme und sah, wie 414 sie Kühe von der Brandstätte wegzutreiben versuchte. Denn immer wieder stürmten einzelne, ja ganze Haufen mit hochgestellten Schweifen gegen die Stalltüren. Lambert erwischte einen Knüttel, half ihr, und dann liefen sie mitsammen gegen den Fremdenstall zurück. »Die fremden Küh!« schrie die Mena. »Heiliger Gott im Himmel! Zwanzig Stück! Schnell! Schlag die Türen ein!«

Der sogenannte »Fremdenstall«, wo die Viehhändler ihre Rinder einzustellen pflegten, brannte lichterloh. Man hörte den schauerlichen Trompetenton der angeketteten Tiere und dazwischen das jämmerliche Plärren der Kälber. Aber wer sollte hinein? – Die Mena versuchte es; aber schon beim Eingang mußte sie wieder zurück. Beherzte Bauernburschen gingen los; jedoch kaum waren sie verschwunden, flogen sie wieder ins Freie, mit glühenden Kleidern und Haaren. Andere tauchten ihre Röcke in Wasser und rannten neuerlich in die Flammen; sie kamen auch mit zwei Kühen glücklich heraus, fielen aber dann hin. So viele Leute sich auch inzwischen angesammelt hatten, wagte es doch niemand mehr, hineinzudringen. Man sah durch die offenen Doppeltüren, wie die Rinder an ihren Ketten zerrten, Kälber sich im Todeskampf wälzten und eine Glutschwade nach der andern durch die geborstene Decke ins Innere fiel. In seiner Mitte, wo eine Steinsäule den Hauptdippelbaum trug, stand eine prachtvolle, hochtragende Scheckin.

Die Mena stieg auf einen umgestürzten Wasserbottich, um besser sehen zu können. Der Feuerschein beleuchtete sie. Der Nachtwind wehte ihr die Röcke eng an den Leib. Ihr Gesicht war mit Blut überronnen; ihre Hände ineinandergekrampft. – »Ist denn niemand hier, der's noch einmal wagt? Wo sind denn die Raufer und Messerstecher?« schrie sie laut. »Heiliger Gott im Himmel: die Scheckin kalbt! – Männer, Buben, traut sich denn keiner mehr?«

Aber an den Türstöcken fraßen schon überall die feurigen Zungen. Die Kuh legte sich, schoß empor und stieß einen grausigen Todeston aus, der durch Mark und Bein ging. Dann rührte sich etwas Weißlichbraunes zwischen ihren Füßen: ein Kalb zappelte im Streu und dann noch eins. Menas Stimme rief schluchzend: »Mein Herr und mein Gott, die Kälber!« Plötzlich stampfte sie wütend mit dem Fuß und schrie mit gellender Stimme: »Gibt's denn keine Mannsbilder mehr auf der Welt?«

Ein dicker Kerl faßte einen der Eimer, die voll herumstanden, 415 weil das Löschen doch keinen Zweck mehr hatte, und goß ihn mit einem Schwung über den eigenen Kopf. Und mit einem lauten »In Gottes Namen!« sprang er in den brennenden Stall.

Die Menge rührte sich nicht. Man sah die Gestalt in den Flammen vorwärtslaufen, verschwinden, wieder erscheinen; sah glühende Balken ins Innere fallen und hörte halblaute Stimmen: »Der kommt lebendig nimmer heraus!« – Dann gellte ein Ruf: »Er hat sie!«

Im Ausgang erschien, unsicher und schwankend, ein Mensch. Auf seinen Schultern zuckten Flämmchen, und in seinen Armen trug er zwei weißbraungefleckte Kälbchen. Die Menge heulte: »Wer denn? Wer?«

»Der Krämer Lambert!«

Während man den Retter mit Wasser überschüttete, drückte er die beiden Tiere fest an sich und trug sie dann gegen den Anger hinaus. »Macht Platz, ihr Teigaffen!« sagte er übermütig lachend.

Inzwischen war das Feuer mächtig angewachsen und mit ihm die Verwirrung. Erst der Alt-Zimmermeister brachte etwas Ordnung in die Löschaktion. Seine Kommandorufe übertönten das Schreien der Leute, das Krachen der Dachstühle und das dumpfe Bersten der Mauern. Allgemein hieß es, das Vieh wäre gerettet, die Stallungen und die Futterei verloren; man sollte nur mehr an den Schutz der Wohngebäude denken. Auf einmal hörte man ein wildes Geschrei: »Das Bräuhaus brennt!«

Lambert, der sah, daß es hier nichts mehr zu retten gab, und um das übrige Dorf und um sein eigenes Haus bangte, drückte sich durch die Menge, um sich bei einem Brunnen oberhalb des Obstgartens Gesicht und Hände zu waschen. Wie er sich umsah, erschrak er: eine schwarze Gestalt stand schweigend vor ihm. »Peregrin, gehst du nicht löschen?« fragte er, um den unheimlichen Menschen zum Reden zu bringen.

Der lächelte. »Wenn ich irgendwo auf dem Gebäude stehen könnt«, sagte er, »ein Klafter höher als das Feuer: der Brand war in einer halben Stund aus.«

Lambert blickte halb ängstlich, halb belustigt, auf den armen Maler. »Davon versteh ich nichts«, sagte er. »Aber eins weiß ich bestimmt: wenn der Wind umschlägt, ist das Dorf verloren.«

Peregrin sah dem davoneilenden Lambert nach und murmelte: 416 »Elender Pfefferkrämer!« Dann stand er regungslos und starrte auf die Feuersbrunst hinab.

Zuerst vereinzelt, dann in ganzen Schwärmen, begann ein Funkenregen über das Dorf niederzugehen; es flogen ganze Bündel brennenden Heus und Strohs durch die Luft und weit ins Tal hinaus. Peregrin schritt zum Brandplatz hinab. Die Leute an den Spritzen waren betrunken. An den Pumpenstangen arbeiteten zwischen den Männern auch Weibsbilder, die beim ersten Feuersignal herangerast waren. Sie soffen wie die Mannsbilder; diese ließen ab und zu die Stange los und griffen seitlich hinab, welche Griffe laute Schreie auslösten.

Endlich fand der Maler den Alt-Zimmermeister: »Weise mir einen Platz an«, sagte er, »so groß wie ein Zinnteller; aber ein Klafter höher als die höchste Feuerflamm.« Er bekam keine Antwort. Doch die Umstehenden hatten seine Rede vernommen. »Der närrisch Maler! Was will er denn da? Das Feuer beschwören! Soll lieber ordentlich zugreifen.« Eine überlaute Rotzbubenstimme schrillte: »Servus, verpatzter Student!« Da er ihnen im Weg stand, pufften sie ihn derb, so daß er auf einen rauchenden Schutthaufen mit zerbrochenen Gläsern fiel. Er raffte sich auf und ging zwischen den brennenden Gebäuden eine steinerne Stiege hinab, in einen Bachgrund, der mit großen Huflattichblättern bewachsen war. Er gewahrte erst jetzt, daß er seinen Hut verloren und daß es ihm warm über die Wange rieselte. Es war Blut – »Tiere«, murmelte er, plötzlich wütend. »Tiere, die von der Macht des Geistes keine Ahnung haben! Aufrecht gehende, dressierte Tiere!« Sie hatten seine Weisheit für Unsinn erklärt und ihn wie einen Hund fortgejagt. Er schüttelte die Faust. »Brenn alles nieder, Feuer! Das ganze Dorf! Vertilg sie, diese Wanzen! Dieses Ungeziefer, das die göttliche Schönheit der Erde befleckt.«

Vor einer Hütte, mit Holzlatten vergittert und von einem Bacharm durchflossen, blieb er stehen. Wohl an die hundert prächtiger Forellen schwammen drin im hellen Feuerschein, den sie wohl für die Morgenröte eines neuen Tages hielten. »Für mich ist es nur ein Schauspiel«, murmelte der Maler, »nichts weiter! Soll und kann nichts anderes sein! – Dieser Brand, diese Nacht, alles, was je mein Auge sah, mein Ohr hörte, mein Herz fühlte – ein Schauspiel, nicht mehr!«– Die einsamen Jahre fielen ihm ein; die Jahre der 417 Not, des Hungers, der Kälte, des Elends, bis er sich in seine jetzige Gestalt, halb die eines Handwerkers, halb eines Bettlers verwandelt hatte.

Plötzlich stieß er einen Schrei aus: die Fischhütte brannte lichterloh. Er riß in wilder Hast die lose Ummauerung auf, die den Kalter gegen den Bach hin abschloß. Jauchzen hätte er mögen, als er gewahrte, wie sich in seinem Kanal ein Wässerchen zeigte, wie er voll Wasser lief, und endlich Forelle auf Forelle, manchmal ein halbes Dutzend übereinander, in den Dorfbach hinabsprang. Er war wie berauscht. »Gerettet! Alles gerettet!« rief er. Aber wie er sich aufrichtete, erblaßte er: aus dem Kirchendach schlugen Flammen . . .

Peregrin schritt gegen das Dorf hinab. Beim Bräu brannten sämtliche Baulichkeiten; sie gaben allein eine kleine Ortschaft. Die Pumpstangen gingen maschinenmäßig auf und nieder; und die Wassereimer wanderten die Menschenkette entlang. Überall torkelten Betrunkene, fielen gröhlend hin und rafften sich wieder auf. An den Bäumen hingen gebratene Äpfel, und Peregrin kostete einen. Er war so schmackhaft, daß er nach einem zweiten und dritten griff. In den Gassen liefen die Leute schreiend hin und her. Andere stiegen auf die Dächer und trugen Eimer mit Wasser hinauf. Gebückte alte Weiblein schlichen die Häuser entlang, Rosenkränze in den Händen, und murmelten Gebete mit hellen Stimmen, in kaum verhehlter Freude. – Das Bräuhaus, wohin sie in ihren schlaflosen Nächten so oft mit Neid und Zorn geblickt, aus dem so viel Musik, Gesang und Gelächter gedrungen, war vernichtet! – Wenn aber dann ein Haufe rußgeschwärzter Männer vorbeieilte, heulten sie plötzlich auf und stoben auseinander, ganz sinnlos vor Entsetzen. Hin und wieder standen Rinder mit gehobenen Köpfen und ließen ein langgezogenes Brüllen hören; es klang in der Nachtstille wie schaurige Schreckensposaunen. In einer der erleuchteten Wohnstuben lagen Menschen auf den Knien. Ein Greis versuchte die mageren Hände zu falten; aber durch Schrecken wie gelähmt, zitterten sie jämmerlich in der Luft, bis sie sich endlich schlossen und seine dünne Stimme anfing, Worte aus der lauretanischen Litanei zu beten: »Du Stern Davids, bitt für uns!« – »Du goldenes Haus, erbarme dich unser!«

Peregrinus dachte: Wer die Menschen von der Angst errettet, ist ein großer Mensch und ein wahrer Heiliger. Wer ihnen die 418 Hoffnung belebt, ist ein Führer und ein Held, wer ihnen aber den immerwährenden Mut einflößt, den Mut, die Kämpfe des Lebens zu bestehen, ist ein Gott!

Er trat ohne Verzug ins Haus. »Glaubt ihr an die Allmacht?« fragte er laut.

Die Beter riefen mit weinerlicher Stimme wie aus einem Mund: »Wir glauben daran, Peregrin, hilf uns!«

Der Maler schwankte, als ob er von einem Blitz getroffen worden wäre: Einmal im Leben allmächtig sein! Einmal ein Wunder tun!

Auf dem Kirchenplatz bemühte sich die Gendarmerie, die schwarzen Menschenbündel in die Gassen zurückzudrängen. Feuerwehrmänner liefen die Stiege auf und ab und flickten an den Schläuchen, die immer wieder undicht wurden. Ihre Helme funkelten. Meßgewänder, Bilder und Kruzifixe wurden herabgeschleppt. Die Stiege war sehr lang, in Absätzen von vier bis fünf steinernen Stufen. – Diese Stufen schritt jetzt Peregrinus hinan. »Der närrische Maler!« riefen viele Stimmen und sahen ihm kopfschüttelnd nach, bis er im Schlitz der Kirchhofsmauer verschwand.

Er betrat das Glockenhaus. Hier war noch kein Feuer. Die Gewölbe ließen es nicht so schnell durch. Die Empore jedoch war schon ziemlich verqualmt; er tastete sich weiter, fühlte wieder Stufen und eine glühende Hitze, die ihm aus dem Mauerwerk entgegenströmte.

In der Turmkammer fing er sogleich an, die Glocken zu läuten. Die schreienden Stimmen verstummten; die tuchenen Eimer standen still; und sogar die Leute an den Pumpen ließen die Hände sinken. Eine Bewegung ging durch die Menge. Im Turmfenster, von einer Balustrade aus kegelförmigen Hölzern abgeschlossen, stand die hagere Gestalt des Peregrinus. Er hob ein Querholz aus der Fuge und warf es hinab; dann noch eins und wieder eins. Er streckte seine langen Arme weit vor, und seine Stimme, von einem inneren Jauchzen getragen, erscholl:

»Feuer, du brennheiße Flamm,
Dir gebeut, Jesus Christus,
Der liebwerte Mann:
Du solltest stille stehn,
Sollst nicht mehr weitergehn: 419
Im Namen Gottes, des Vaters,
Des Sohnes und des
Heiligen Geistes. Amen.«

Er breitete seine Arme aus, als wollte er ein unsichtbares Gebilde umfangen, und stürzte sich in die Tiefe. Ein einziger Aufschrei ertönte. Dann war es still.

Plötzlich rief eine schluchzende Frauenstimme: »Es regnet!«

Dem einen fiel ins Gesicht, dem andern auf die Hand ein nasser Tropfen, bis der Gewitterregen gleichmäßig herniederprasselte. 420

 


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