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In diesen Tagen hielt Emin sein Schicksal in der Hand. Mit einem festen Griff konnte er es hinaufheben auf einsame Höhe, konnte in Ehren und für alle Zeiten sich den Beinamen verdienen, den ihm vorschnelle Bewunderer später verliehen haben, den aber die Geschichte keinesfalls anerkennen wird: den Beinamen eines »Helden von Wadelai«. Er hat die Kraft zu diesem einen festen Griff nicht gefunden, hat wahrscheinlich auch gar nicht erkannt, wie nahe ihm ein großes Schicksal war. Wohl wich die Hybris unvermittelt tiefster Niedergeschlagenheit, doch hielt auch diese nicht an, und er fand in die alte Verblendung zurück, sowie erst, und zwar ohne sein Dazutun, die unmittelbare Gefahr gebannt schien. Da ihn bis zu Stanleys Ankunft immer noch Post erreichte, so fühlte er wohl auch das Nahen der Wogen, die ihn auf ihrem Kamme hochtragen mußten. Der ägyptische Verwaltungsbeamte war, wie wir früher gezeigt haben, durch ein Spiel des Zufalls in einen der Brennpunkte hoher Weltpolitik gestellt worden: er hat diesen Zufall nicht zu nutzen verstanden. Für jedes unbefangene Auge läuft seine Schicksalskurve von diesem 27. Mai 1884 an im absteigenden Aste der Parabel, bis Bagamoyo: dort hat er seinen Tod gesehen, hat gesehen, daß ihm nichts weiter übrig blieb, als diesen Tod zu suchen und hat ihn nach langen Irrgängen auch gefunden.
Am 27. Mai 1884, einem Dienstag, brachte ein Chutari (arabischer Milizsoldat) aus Rohl drei Briefe, die, nach Vita Hassan, schon durch ihre Aufschriften nichts Gutes kündeten, denn der eine davon war gerichtet nicht an den Gouverneur Emin Bey, sondern an den Emir Mohammed Emin, der andere an Osman Scherif, statt Osman Latif (den Untergouverneur), der dritte an Dr. Junker. Emir Karam Allah, Heerführer des Mahdi, teilte mit, daß er die Bahr-el-Ghasalprovinz unterworfen, daß Lupton sich ihm ergeben habe und daß nun auch Emin sich und seine Provinz unverzüglich übergeben solle.
Emin berief eine Versammlung ein, deren Zusammensetzung Beachtung verdient. Außer Emin selbst, Dr. Junker und Vita Hassan waren nämlich dazu geladen: der Direktor des Schlachthauses, der Vorsteher der Magazine, der Schulmeister, der Kadi, der Chef des Personals, der Chef des Rechnungswesens, ein Priester und zwei Schreiber, endlich auch der Platzkommandant von Ladò mit seinem Stellvertreter und einem sudanesischen Hauptmann – bei fünfzehn Teilnehmern also drei Offiziere zur Beratung einer doch wohl hauptsächlich militärischen Angelegenheit. Die Beschlußfassung war danach.
Osman Erbab, der Neffe des Mahdi, trotzdem aber zweiter Sekretär der Provinz, riet zur Übergabe, sein Antrag erhielt Stimmenmehrheit. Es wurde beschlossen, augenblicklich eine Gesandtschaft an Scheich Karam Allah zu senden und ihm die Übergabe der Provinz anzuzeigen. Zu dieser Gesandtschaft meldeten sich mehr Mitglieder als nötig, vor allem Emin Bey selbst. Schließlich wurden zu seinen Begleitern der Kadi, der Schulmeister und Osman Erbab, der Neffe des Mahdi, gewählt.
Noch am gleichen Tage teilte Emin diesen Beschluß Professor Schweinfurth brieflich mit: »27. Mai 1884. Die Mudirie Bahr-el-Ghasal hat sich dem Heere des Mahdi ergeben, nachdem Lupton von allen seinen Leuten verlassen worden. Scheich Karam Allah, Befehlshaber der Okkupationsarmee, schreibt mir, daß der Sudan verloren, Chartum belagert, Hicks und Alaëddin mit 36 000 Mann gefallen seien, und fordert mich auf, sofort zu ihm zu kommen und mich zu unterwerfen. Es wäre Wahnsinn, den Kampf anzunehmen, ohne Gewehre, ohne Munition, ohne zuverlässige Leute, die Danagla vor und hinter mir! Montag gehe ich also nach Ghasal. Junker hat sich entschlossen, den Weg über Mtesa nach Sansibar zu versuchen. Geleite ihn Gott! Mit ihm sende ich den Brief. Bewahren Sie mir ein freundliches Andenken!« Tags darauf auch dem Kapitän Casati, der sich in der Nähe des Flusses Gadda befand. Diesem Schreiben lag ein Brief Dr. Junkers an Casati bei, mit der dringenden Einladung, ihm nach Süden zu folgen. Casati eilte über Mandi nach Ladò, fand aber bei Durchquerung der bis dahin friedlichen Negerländer westlich von Ladò erhebliche Schwierigkeiten. In seiner leicht pathetischen Art gedenkt er wohl der Fährnisse, die er zu bestehen hatte, meint auch, die Neger, »aufgereizt gegen alles und alle, klagten uns an, an ihrem Ruin gearbeitet zu haben«, unterläßt aber die Feststellung, wie sehr dies Verhalten der Stämme berechtigt war. Die ägyptischen Eroberer waren ja mit der Versicherung ins Land gekommen, sie wollten die geplagten schwarzen Brüder aus der Gewalt ihrer bisherigen Zwingherren, der arabischen Sklavenhändler, befreien. Die Neger hatten zum Teil dieser Versicherung geglaubt, hatten sich unterworfen und geduldig zugesehen, wie ihnen fortab ihr Vieh, statt durch arabische Plünderer, durch ägyptische Soldaten genommen wurde. Nun sollten die neuen Herren vertrieben, die alten wieder zur Macht gekommen sein – die Neger fürchteten mit Recht, daß sie mit Gut und Blut die Zeche zu bezahlen haben würden. Daß der Niederbruch der weißen Eroberung gerade in den Negerländern so rasch, fast kampflos vor sich ging, machte das Maß erst richtig voll.
Die Menschen, die in Ladò zusammengedrängt saßen, waren recht wenig danach angetan, die weiße Idee zu verkörpern; die meisten dachten überhaupt nur daran, ihre geschätzte Haut zu retten, ohne zu bedenken, daß diese Haut, mehr oder weniger, weiß war und Verpflichtungen auferlegen konnte. Casati und Junker trifft kein Vorwurf; sie haben persönlich ihre weiße Würde stets gewahrt; die weiße Eroberungsidee zu vertreten, waren sie nicht beamtet, konnten es auch nicht unternehmen, solange ein weißer Gouverneur die Macht – eifersüchtig genug – in Händen hielt. Dieser Gouverneur aber, Emin, ragte gerade damals weder als weißer noch überhaupt als Kopf aus der großen Schar seiner gelben, braunen und schwarzen Untergebenen hervor. Und die Schuld, die er damit auf sich lud, wog später einmal nicht leicht in seiner Schicksalsbürde.
Als Gegenstück zu der Planlosigkeit der Herren in Ladò mag hier die Übersetzung des Briefes Platz finden, den Scheich Karam Allah an »Dr. Junker, den Reisenden« gerichtet hatte. Er gibt ein Bild von dem Geiste, der damals selbst die Unterführer des Mahdi erfüllte: »Im Namen Gottes des Allbarmherzigen etc. etc. Aber nach diesem: Der Sklave seines Gottes, der Emir Karam Allah Scheich Mohammed, an Dr. Junker, den Reisenden. Nach meinem Gruß an Dich tue ich Dir kund, o Reisender: Jedenfalls hast Du gehört, daß die Zeiten sich geändert haben und die Macht der Türken gebrochen ist durch das Erscheinen des Nachfolgers des Propheten Gottes, den wir erwartet, unseres Herrn Mohammed El-Mahdi – ihm sei Gruß! So hast Du auch gehört, wie er zu wiederholten Malen die Heere der Türken getötet, zuerst auf der Insel Aba, zweitens das Heer, dessen Anführer Raschid-Bey, genannt Abu Kuka, der Mudir von Faschoda, drittens das große Heer unter Anführung des Jussuf Pascha es-Schellali und mit ihm tüchtige und gewandte Leute in Anzahl von 9000 Mann, viertens das Heer unter Führung von Mohammed Pascha Imam in Anzahl von 12 000 Mann, fünftens die Eroberung der Mudirije Kordofan, sechstens das Heer des Generalgouverneurs des Sudan, Alaëddin Pascha, und mit ihm ein Generalstabsoffizier, genannt Hicks, und eine Anzahl Mudire und Offiziere, und mit ihnen wunderliche Kanonen, sieben von ihnen fünfläufige Mitrailleusen und sieben von ihnen Krupp, die auf eine Entfernung von 24 Stunden schießen, und der Rest gewöhnliche Kanonen aus der Zeit Ismail Paschas (Eyub), alle zusammen 56 Kanonen und sieben Raketenbatterien, und alle zusammen 36 000 Mann und mehr, und alle wurden getötet von den Anhängern des Mahdi – ihm sei Gruß! – wie ein Augenblinzen, mit Übernahme aller Mudirijen des Sudan und ihrer Unterwerfung unter die Gewalt des Mahdi, wie die Mudirijen Dongola, Berber, Chartum, Taka, Senaar und Faschoda, und im Westen Fascher, Kolkol, Kerkebie und andere sind zu Freunden des Mahdi geworden – ihm sei Gruß! – Und er sandte mich als Vertreter von seiner Seite mit Weisungen und Befehlen, geziert mit dem heiligen Siegel, nach dem Bahr-el-Ghasal, um ihn aus der Finsternis ins Licht zu bringen, und am Dienstag, den 26. des laufenden Monats und von allen Autoritäten und dem Mudir empfangen; alle unterworfen den Befehlen des Mahdi – Gruß ihm! – und bereit, mit mir nach Kordofan zu reisen, und da Du hier Effekten liegen hast und ich fürchte, daß in Zukunft Dir die Straßen verschlossen bleiben, haben wir dies an Dich gerichtet als Unterweisung, damit Du bei Ankunft dieses aufbrichst und hierher kommst zur Übernahme Deiner Sachen ohne Zögern, und wenn nicht, so werden gewiß die Sachen verlassen und verloren sein, und zum Schluß der Gruß!
29. Djumad el-achir 1300
Siegel
In der Aufregung dieser Tage tat Emin einen Ausspruch, der seinem Ansehen bei den schwarzen Truppen den letzten Stoß versetzt hat. Vita Hassan gibt neben dem arabischen Original die wörtliche Übersetzung: »Mit Gottes Hilfe kann ich die Sorge für Euch übernehmen, und ich kenne meinen Weg über Uganda. Wenn ihr mir gehorcht, verpflichte ich mich, euch nach Kairo zu bringen. Die Schreiber und Offiziere kann ich durch Uganda und Unjoro hindurchbringen; hinsichtlich der Soldaten aber glaube ich nicht, daß Kabarega ihnen den Durchzug durch sein Land gestatten wird. Der Chedive gebraucht die paar alten Remingtongewehre und die paar Sudanesensoldaten nicht; es ist besser für sie, wenn sie in ihrem Lande bleiben. Wenn ihr mir aber gehorcht, hoffe ich euch glücklich nach Kairo bringen zu können.« Der Apotheker bestreitet aber, daß der Sinn, der den Worten allgemein gegeben wurde – böswilliges Verlassen der schwarzen Soldaten – von Emin gemeint gewesen sei.
Nach Casati ließ der Ausspruch gar keine andere Deutung zu als die letztgenannte: »Bei der allgemeinen Ermattung des 27. Mai hatte Emin, mehr um einen Rettungsgedanken zu suchen, an den man sich anklammern könnte, und um seinen eigenen Zauber zu retten, ein unvorsichtiges Wort ausgesprochen: ›Wir Weiße werden uns retten; das ist meine Aufgabe. Wir werden die schwarzen Soldaten Kabarega, dem König von Unjoro, meinem guten Freunde, übergeben, und er wird uns den Durchzug durch sein Land gestatten.‹ Er sagte so, und die Geschwätzigkeit der Ägypter verbreitete dieses Wort des Hauptes der Provinz alsbald weiter; die schwarzen Soldaten vernahmen es, und mit der gewohnten Zurückhaltung, dem Vorzug der Rasse, fühlten sie das Erschütternde dieser Worte, schlossen aber ihre Lippen. Das Mißtrauen und der Verdacht erzeugten zuerst Verweigerung des Gehorsams; später schritt man zum Aufruhr; die Leute betonten ihre Eigenschaft als Soldaten und schüttelten die Schmach des Sklaventums ab. Die Rettung beruhte auf den Waffen; das Land war in ihren Händen, sie brauchten und mißbrauchten ihre Überlegenheit.« Und schließlich wird auch der letzte Zweifel beseitigt durch die Zeilen, die Emin selbst am 5. Juni 1886 von Kibiro aus an Dr. Junker richtete: »Ich werde übrigens dem Gouvernement ganz offen schreiben, daß man gut tun wird, die hiesigen sudanesischen Soldaten und Offiziere – ausgenommen diejenigen, welche selbst nach Ägypten zu gehen wünschen, und die ich natürlich befördern würde – direkt aufzugeben. Es kann dem Gouvernement nur zum Mißkredit gereichen, wenn man plötzlich diesen Haufen von Weibern, Mädchen, Jungen usw. an der Küste erscheinen sieht, und Ägypten hat nicht nötig, sich neuerdings als sklavenfreundliches Land hinstellen zu lassen. Die paar alten Gewehre usw., die man verliert, haben nichts zu sagen.«
Daß die Verhältnisse in Äquatoria von denen im Bahr-el-Ghasal durchaus verschieden waren, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß im Bahr-el-Ghasal die arabische, in Äquatoria aber die Negerbevölkerung vorherrschte. Den weit überlegenen Verteidigungszustand Äquatorias bestätigt u. a. Junker ausdrücklich: »Auch lagen die Verhältnisse in der Provinz Emin Beys doch anders als im Bahr-el-Ghasalgebiet. Lupton hatte nur über wenige hundert reguläre Soldaten zu verfügen. Alle anderen Bewaffneten waren Araber, besonders Basinger und undisziplinierte Dragomane, die dem momentan Stärkeren ihre Dienste leihen. In Ladò aber fanden sich noch viele geschulte Soldaten aus Bakers Zeit, und die Provinz besaß doch immerhin gegen 2000 Mann Regulärer mit Remingtongewehren und etlichen altgedienten Offizieren. Auf diese Mannschaft war einiger Verlaß, und dies fand seinen Ausdruck auch in dem seit Jahren festgewurzelten Haß der regulären Negersoldaten gegen die Irregulären, d. h. die mit Gewehren bewaffneten Araber.«
Emin aber wußte mit diesen Streitkräften nichts anzufangen – sie zerrannen ihm unter der Hand. Vita Hassan sagt, er habe die Verteidigung, noch vor dem Mahdieinfall übrigens, organisiert und die Zuneigung der Soldaten dadurch zu gewinnen gesucht, »daß er in der Strenge der Disziplin etwas nachließ, sobald nicht etwa Lebensinteressen der Armee dabei ins Spiel kamen«. Das mochte dem Apotheker als passende Maßregel erscheinen – ihre Früchte sehen wir in den Zuständen, die Junker wiederholt erwähnt. Die Schreiber aus Ladò ließen, während der Übersiedlung der Regierung nach Dufilé, nicht nur sich selber, sondern auch ihre koptischen oder arabischen Frauen auf Angarebs (Bettstellen aus Bambus) tragen. »Unter Gordons oder Gessis Augen wäre wohl solches nicht denkbar gewesen. Wo früher dem weißen ägyptischen Soldaten ein Träger gewährt wurde, verlangte jetzt der schwarze sudanesische deren drei.« Junker erzählt sogar, er habe bei seiner ersten Ausreise aus Chartum nach Süden gezögert, ein Angareb für seinen eigenen Gebrauch mitzunehmen, da Gessi Pascha gemeint hatte, es würde auf der Reise unnütz und beschwerlich sein. »Jetzt ließ sich oft der Soldat sein Angareb nachtragen, wenn er die Wache bezog.«
Um das in seiner vollen Tragweite zu begreifen, muß man sich vor Augen halten, daß die Massen von schwarzen Trägern durchaus nicht etwa angeworben oder überhaupt besoldet wurden. Im günstigsten Falle wurde ein befreundeter oder unterworfener Häuptling ersucht oder angehalten, eine entsprechende Anzahl zu »stellen«. In minder günstigen Fällen wurde anders verfahren. Emin schreibt z. B. noch wenige Wochen vor seinem Tode in sein Tagebuch (1.August 1892): »Gewöhnliches Elend wegen Trägern, schließlich Razzia, Frauen gegriffen, in Eisen gelegt und Lasten verteilt.«
Hier können wir abermals den Finger auf eine Wunde legen: die arabischen Händler, die in bewaffneten Scharen im Lande umherzogen, da und dort ein Dorf umstellten und die körperlich brauchbaren Neger wie die Hasen zusammenfingen, die Bresthaften und Unmündigen aber schlachteten – sie hatten doch den Mut, sich zu ihrem furchtbaren Gewerbe zu bekennen, gebärdeten sich nicht als Befreier, Sendboten höherer Gesittung. Die weißen Eroberer aber fügten zur Gewalt die Lüge, indem sie Befreiung predigten und doch nur neue Ketten ins Land brachten. Das erzeugte einen Zwiespalt, in dem jeder an der Bewegung verantwortlich Beteiligte seine inneren Kräfte aufbrauchen mußte, und sei er so kühl und wirklichkeitsfremd geartet gewesen wie Emin. Denn die Lüge ist ein fressendes Tier, das einen Mann von innen her aushöhlen kann, so daß nur die kraftlose Schale bleibt. Diese Lüge, diese weiße Lüge aber war es auch vor allem, die Emin mit seinem Opfertod zu sühnen hatte. Denn der Haß wegen dieser einen Lüge führte seinen Henkern das Messer.
Der innere Widerspruch brachte es auch mit sich, daß jeder Tag, um den sie älter wurde, die ägyptische Verwaltung haltloser machte. Zugegeben, daß Emin ganz besonders ungeeignet war, durch äußere Strenge zu ersetzen, was ihm an Überzeugungskraft fehlte. Doch haben selbst Gordon die Hetzereien seiner Beamten und Schreiber zu schaffen gemacht, und es ist nie einwandfrei aufgeklärt worden, ob Chartum durch Gewalt oder Verrat gefallen ist.
Die Rolle, die Emin in jenen Maitagen 1884 in Ladò zu spielen hatte, war peinlicher als die Gordons in Chartum genau um den Abstand, der Emins Wankelmut von Gordons Tatkraft trennte. Die ägyptischen Schreiber wurden über jedes Maß frech; von einem von ihnen, dem er eine übertriebene Forderung an das Magazin nicht bewilligen wollte, mußte sich Emin sagen lassen: »Ihre Zeit ist abgelaufen und die Karam Allahs beginnt. Sie haben hier keine Befehle mehr zu erteilen!« Nach Vita Hassans Schilderung warf Emin Bey dem Frechling einen durchbohrenden Blick zu und biß sich auf die Lippen: »Die Überlegung und die Klugheit gewannen die Oberhand über seinen Zorn.« Kurz darauf betont aber der gleiche Apotheker, daß er Emins Benehmen für schwach und verfehlt gehalten habe.
Um diese Zeit wurde Hauasch Effendi wieder in Gnaden aufgenommen und um seine Meinung über die Verteidigungsmöglichkeiten gefragt. Er widerriet die Übergabe und bat, ihm selbst die Verteidigung im Norden zu übertragen, Morgan Aga Danassuri aber, dem zweiten Adjutantmajor, den Oberbefehl über die Stationen im Süden. Emin machte es umgekehrt: er hatte nie das Glück, den rechten Mann auf den rechten Platz zu stellen.
So mußte sich Hauasch, von dem Junker abermals betont, daß er ein scharfes Regiment zu führen wußte, in Dufilé mit dem Schreibergesindel herumärgern, während Morgan Aga, wie wir noch sehen werden, in Amadi schändlich versagte.
Die Übergabekommission war glücklich abgereist, hatte übrigens aus den Magazinen neben manchem anderen auch 105 Dutzend Remingtonpatronen mitgenommen, angeblich zur Ergänzung der Bestände in den neuerlich von den Dinka bedrohten Stationen des Nordens. Osman Erbab war wohl kaum der richtige Bote für solche Fracht – doch Emin scheint vorübergehend tatsächlich nicht gewußt zu haben, ob er noch ägyptischer oder schon Untergebener des Mahdi war.
Junker, Casati, Vita Hassan bezeugen übereinstimmend, wie sehr die Lage der Provinz durch die Zersplitterung der Kräfte erschwert war. Emin selbst nennt in Briefen an Professor Schweinfurth diese Zersplitterung als Hauptgrund für die kampflose Übergabe: »Zudem waren meine Soldaten, an und für sich wenig, über ein weites Gebiet zerstreut, und ihre Zurückziehung nur mit größter Vorsicht zu bewerkstelligen.« Noch am 14. August 1884 schreibt er, wieder an Professor Schweinfurth: »Inzwischen sind die Truppen aus Süden teilweise angekommen. Mit blutendem Herzen habe ich alle nicht durchaus nötigen Stationen aufgeben müssen und die Distrikte Fauwera, Fadibek, Latuka völlig evakuiert (die beiden ersten von Emin selbst 1880 neu besetzt! Anm. d. V.). Natürlich tragen diese wiederholten Räumungen nicht dazu bei, das Prestige des Gouvernements unter den Negern zu erhöhen. Hätte man von vornherein einen richtigen Weg eingeschlagen, so wären wir jetzt nicht wo wir sind; das unheilvolle Prohibitionssystem, die halben Maßregeln, das Spielen mit der Sklavenfrage, die hohlen Redensarten über sudanische Gleichberechtigung – – sie alle rächen sich jetzt und meine Voraussetzungen sind wohl eingetroffen.«
Da berührt es doch mehr als merkwürdig, wenn Junker um genau die Zeit dieses zweiten Briefes, die Wende Juli – August, erwähnt: »Er (Emin) schrieb unter anderem, er lasse eine neue Station Abu Nachra am Westufer zwischen Dufilé und Wadelai anlegen. Sie kam auch bald zustande, wurde aber wegen Feindseligkeit der Neger wieder aufgegeben. Die dortigen Eingeborenen waren nämlich nicht unterworfen und zeigten sich von jeher feindlich, obwohl die Dampfer den Bahr-el-Gebel seit Jahren befuhren.« Im Brief an Schweinfurth also Erkenntnis und Kritik in Worten, gleichzeitig aber Wiederholung des erkannten und gerügten Fehlers in Taten: dieser Seelenzustand ist auf herkömmliche Weise wohl nicht mehr zu erklären, wir müssen bei der Hybris bleiben, die sich jetzt wieder geltend machte, wo seit Abgang der Gesandtschaft einige Wochen ohne neue Hiobspost verstrichen waren.
Die im ersten Schrecken zweifellos ehrlich gemeinte Unterwerfung war, wohl unter dem Druck einiger Offiziere mit Hauasch an der Spitze, zur diplomatischen Maßregel umgebogen worden: diese Unterwerfung sollte nur scheinbar sein, berechnet, den Heerführer des Mahdi hinzuhalten, Zeit zu gewinnen, bis die Truppen zusammengezogen, die Verbindung mit Chartum wieder hergestellt oder sonst irgendein günstiges Ereignis, auf das man unentwegt hoffte, eingetreten wäre. Auch diese stete Hoffnung angesichts der Gefahr konnte von Größe zeugen – nur hätte die durch die Scheinunterwerfung gewonnene Zeit dann tatsächlich auch zu fieberhafter Tätigkeit genützt werden müssen. Doch es geschah fast nichts. Zwar wurden im Norden einige Stationen geräumt und ihre Besatzungen in Amadi zusammengezogen, doch ließ Emin in dieser wichtigsten Schlüsselfestung dem völlig unfähigen Morgan-Aga freies Spiel und rührte sich selbst keinen Schritt aus Ladò hinaus.
Über die Kämpfe vor Amadi enthält sich Dr. Junker eines abschließenden Urteils, laßt es aber an Andeutungen über Morghan-Agas Unfähigkeit nicht fehlen. Der Grund für dieses Verhalten ist leicht ersichtlich: Junker hat sofort nach seiner Rückkehr aus Afrika in der deutschen Öffentlichkeit lebhaft für Emin Paschas Entsatz geworben, sei es, um den Freund zu retten, sei es, weil er besser und früher als Emin selbst die weltpolitische Bedeutung von Äquatoria erkannt hatte und mit seinem Hilferuf für Emin dem deutschen Reich nur den Weg zu jenem Knotenpunkte weisen wollte. Bei diesen Werbungen sind ihm ohnedies einige Übertreibungen und Widersprüche unterlaufen, von denen später die Rede sein wird. Er durfte also nicht, selbst wenn er die Möglichkeit dazu besaß, ein Urteil über die militärischen Maßnahmen anfügen, das nach Lage der Dinge für Emin unmöglich günstig ausfallen konnte.
Casati, der sich in der kritischen Zeit in Wandi aufhielt, sprach sich von Anfang an für die Aufgabe von Amadi aus. Er wollte den Widerstand weiter südlich, in einem Festungsgürtel Kabajendi-Wandi-Ndirfi gesammelt und dadurch Ladò und die Nilstraße gesichert sehen. Daß dieser Rat nicht befolgt und Amadi trotzdem gehalten wurde, erregte seinen (übrigens immer schnell bereiten) Unwillen, der im Ton seiner Berichterstattung über die späteren Ereignisse deutlich nachklingt. Ob die von Casati empfohlene Verteidigungslinie strategisch wirklich so viel besser gewesen wäre, kann hier weder untersucht noch entschieden werden.
Unbestreitbare Tatsache aber bleibt, daß der Fall von Amadi, zumindest in so kurzer Zeit, völlig unnötig war. Wie empfindlich die Mahdisten hier, am Südrande ihres Machtgebietes, gegen Niederlagen waren, zeigen am besten die Folgen des Sieges der Regierungstruppen bei Rimo.
Vita Hassan, der zum Unterschied von Emin, Junker und Casati längere Zeit in dem belagerten Amadi zubrachte, widmet in seinem Buche der Schilderung der Verhältnisse in der Festung nahezu 10 Seiten. Wenn auch bestimmt nicht alles, was er zu erzählen weiß, die reine und unverfälschte Wahrheit darstellen mag, so geht es doch auch nicht an, die Schilderungen dieses einzigen Augenzeugen einfach mit Stillschweigen zu übergehen, wie es Junker, Casati und Schweitzer tun. Emin selbst erwähnt Vita Hassans Bericht zwar, kümmerte sich aber weiter nicht darum. Sein Verhalten in der ganzen Frage erscheint überhaupt fast rein mohammedanisch, kismetgläubig, jedenfalls so undeutsch wie nur möglich.
Amadi hatte nach Junker einen buchmäßigen Munitionsbestand von 100 000 Remingtonpatronen.
Die Besatzung betrug anfangs etwa 700 Mann mit 2 Kanonen und 4 leichten Feldgeschützen, wurde später durch Zuzug mehrfach verstärkt und wird von Vita Hassan zu Beginn des Jahres 1885 beziffert wie folgt: ungefähr 1000 Mann unter Waffen, davon fast die Hälfte Reguläre, 720 Remington-, 400 Perkussionsgewehre, 4 Haubitzen Kaliber 12, wovon 2 außer Dienst, 2 Raketengeschütze, 17 000 Remingtonpatronen, 370 000 Ladungen für die Perkussionsgewehre mit mehr als 30 000 Zündhütchen zum Wiederladen, 360 Geschützkartuschen, 110 Kugeln, 190 Granaten, 80 Raketen.
Um einen Begriff davon zu geben, was diese Munitionsmengen in entschlossener Hand in Innerafrika bedeuteten, setzen wir am besten die Bestandsaufnahme hierher, die Dr. Peters, ganz auf sich gestellt, nach seinen ersten großen Kämpfen mit den Massais, um Weihnachten 1889, machte:
»Wir hatten in dem Gefecht sieben Mann verloren, ein Verlust, welcher im Hinblick auf unsere geringe Anzahl empfindlich genug war. Aber weitaus bedenklicher war die Tatsache, welche ich feststellte, während die Flammen von Elbejet emporloderten, daß nämlich die Somalis 900 Patronen aus ihren Repetiergewehren verschossen hatten, und daß mir demnach nur noch 600 Patronen übrig geblieben waren. Auch die Träger hatten unverhältnismäßige Massen von Munition verschossen. In der Tat, ich konnte mit Pyrrhus ausrufen: ›Noch ein solcher Sieg, und ich bin verloren!‹ Denn ich war ja nicht einmal mehr imstande, ein zweites Gefecht wie das soeben gelieferte durchzuführen. Die Massais brauchten nur immerfort anzugreifen, um uns so mit mathematischer Gewißheit schließlich zu Tode zu hetzen.«
Das befestigte Lager Amadi lag am Ostufer des Flusses Jei, so daß ihm mit Ausnahme der heißen Zeit, wo er wenig oder kein Wasser führte, der Fluß als Bastion gegen Westen diente.
Die Feindseligkeiten begannen im Oktober 1884, indem eine Mahdistenabteilung am Westufer des Flusses erschien und den ägyptischen Soldaten über den Fluß herüberrief, sie käme mit einem Brief des Scheichs Karam-Allah, um, dem Schreiben Emin Beys gemäß, die Festung und die Provinz zu übernehmen.
Angesichts der Überzahl der Soldaten befestigten die Derwische den Brief an einer am Flußufer eingerammten Lanze und zogen sich zurück.
Der Kommandant Morgan-Aga ließ den Brief holen und befahl, auf die Derwische, falls sie sich nochmals zeigen sollten, Feuer zu geben. Das geschah und führte zu einer mehrtägigen Schießerei.
Als die Derwische, etwa 250 Mann stark, Bäume zu fällen begannen, um daraus eine Seriba (Schutzwall) zu erbauen, wodurch das Gewehrfeuer aus der Station wirkungslos werden mußte, erbat ein Kapitänleutnant, Cheir Allah Hamed, vom Kommandanten die Erlaubnis, mit 300 Mann bei Nacht einen Ausfall machen und die Feinde vertreiben zu dürfen. Das hätte selbst im schlimmsten Falle bei völliger Vernichtung der Ausfallsabteilung (für die aber angesichts der Kräftegleichheit tatsächlich keinerlei Wahrscheinlichkeit vorlag) immer noch keine Gefährdung der Festung bedeutet, da ja trotzdem noch weitere 400 Mann zur Verfügung standen und Verstärkungen im Anzug waren. Morgan-Aga aber erklärte, diese Verstärkungen abwarten zu wollen und verbot den Ausfall.
So nahm die »Belagerung« ihren Fortgang. Die Derwische versuchten keinen Sturm, hielten sich still in ihrer Seriba. Die Tatsache aber, daß ihr kleines Häuflein die zahlenmäßig und an Bewaffnung weit überlegenen Regierungstruppen so mühelos im Schach hielt, verschaffte ihnen ständigen Zustrom an Überläufern, Unzufriedenen usw., an denen es ja unter den Arabern der Provinz nicht fehlte.
Der Kommandant Morgan-Aga verschloß sich jedem Rat und gab sich mit den ihm befreundeten Offizieren einem wilden Schlemmerleben hin. Kurz vor Beginn der Belagerung waren in Amadi, als Jahrestribut der benachbarten Negerstämme, einige Transporte Lebensmittel, besonders Korn eingetroffen. Aus diesen reichen Kornvorräten ließ Morgan unentwegt Merissa brauen, eine Art Bier, das, in genügender Menge genossen, hinlängliche Räusche erzeugt. Im Rausche erwachte dann im Kommandanten regelmäßig der alte Krieger – er hatte schon in Mexiko gefochten –, doch hielt sich sein Tatendrang immer in bescheidenen Grenzen: er befahl von den Wällen herunter Lagenfeuer der Geschütze, Salvenfeuer der Fußtruppen, kümmerte sich aber in keiner Weise darum, ob die Schüsse auch trafen, berauschte sich nur an Getöse und Pulverdampf und brüllte nach jeder Geschütz- oder Gewehrsalve ein begeistertes »Afarim« (Bravo).
Damit aber, daß der Kommandant sich als Saufbold verächtlich machte, hatte das Unglück in Amadi nicht sein Bewenden. Er verstieg sich zu noch weit schmutzigerem Tun, wozu eine Verfügung Emins den Vorwand bieten mußte. Nachdem nämlich Ibrahim Gurguru, Emins ehemaliger Günstling, und Bachit Beys Nachfolger in Makraka, wie früher erwähnt, zu den Mahdisten übergegangen war, hatte Emin die, wie Hassan sich ausdrückt, »energische und weise Maßregel ergriffen, jede des Verrats oder des Einverständnisses mit den Mahdisten verdächtige Person vor ein summarisches Kriegsgericht zu stellen«. Da diese Maßregel erlassen wurde, während die Gesandtschaft mit der Unterwerfung an den Mahdi unterwegs war, so war sie vielleicht weder energisch, noch weise, da sie den Wankelmut, der sie diktiert hatte, in die breite Masse der Beamten und Soldaten tragen mußte, die nun überhaupt nicht mehr wußten, woran sie waren. Keinesfalls sind von irgendeinem Gesichtspunkte aus die entsetzlichen Grausamkeiten zu rechtfertigen, zu denen die Handhabung dieser Maßregel führte.
Vita Hassan sowohl wie auch Casati wissen Schauerdinge über das System der Ächtungslisten unter Morgan Agas Leitung. Es wurden Männer gemordet, deren einzige Schuld darin bestand, »etwa hundert Taler und fünfzig Ochsen zu besitzen«. Ein andermal gab man sechzig Araber in die Hände der Sandeh-Bamba, schwarzer Hilfsvölker, die die Gefangenen abschlachteten und fraßen.
Emin wußte davon. Denn er schreibt selbst an Junker, Morgan Aga habe »absolut zu nichts weiterem sich befähigt gezeigt, als sich die Taschen zu füllen, wobei er nicht einmal die Hinterlassenschaft der verstorbenen Offiziere verschont«. – »Morgan-Aga«, heißt es dann weiter, »hat mir einen sehr ehrerbietigen Brief geschrieben und bleibt für den Moment, um nicht Skandal zu machen, später aber wollen wir sehen.«
Einen noch viel bezeichnenderen Fall führt Vita Hassan an, der Gelegenheit gehabt hatte, sich an Ort und Stelle von den haarsträubenden Mißständen zu überzeugen. Er hatte es sogar unternommen, dem Kommandanten wegen seiner Pflichtversäumnis heftigen Vorhalt zu machen und war daraufhin zur sofortigen Abreise gezwungen worden. Unterwegs nun traf er einen Negerboten mit Geheimbefehlen für Amadi, deren Inhalt aber dem Boten auf irgendwelche Weise trotzdem bekannt war. Vita Hassan entlockte ihm durch Bestechung das Geheimnis und erfuhr so, daß auf Morgan-Agas Anzeige hin der Gouverneur Marco Gaspari und zwei andere wegen Einverständnisses mit dem Feinde zum Tod verurteilt hatte. Dieser Marco Nicolo Gaspari war ein griechischer Händler, der längere Zeit in Ajak ansässig gewesen, dann, nach Räumung der nördlichen Stationen, nach Amadi gekommen war und sich während der Belagerung teils kämpfend, teils durch aufopfernde Pflege der Verwundeten hervorgetan hatte. Auch Junker erwähnt ihn mit Anerkennung und freute sich, ihn später in Dufilé »begrüßen zu können«.
Vita Hassan war, wie sich denken läßt, über das Todesurteil gerade gegen Gaspari besonders entsetzt, denn er wußte natürlich genau, daß es Morgan-Aga dem Gouverneur nur angeraten hatte, um den reichen Händler beerben zu können. Doch der Apotheker scheint gewußt zu haben, was er sich bei seinem Chef erlauben durfte: er nahm dem Boten den Befehl weg, verpflichtete ihn durch ein gutes Trinkgeld und durch Bedrohung mit dem Tode zu unverbrüchlichem Schweigen, ließ dann den Boten nach Amadi weiterziehen und setzte selbst den Marsch nach Ladò fort. Dort angekommen schilderte er dem Gouverneur Morgan-Agas Befehlsführung in den düstersten Farben, riet dringend zur Ernennung eines anderen tüchtigen Kommandanten und flocht einige Lobeserhebungen auf Gasparis Mut und Hingabe ein. Emin Bey wechselte die Farbe, schien verzweifelt, rief schmerzerfüllt aus: »Welch schreckliches Unglück! Ohne Zweifel ist der arme Marco zu dieser Stunde nicht mehr am Leben!« Als Vita Hassan ihn beruhigte und ihm den unterschlagenen Befehl zeigte, stand der Gouverneur auf und umarmte den Apotheker stürmisch. An Schweinfurth schrieb Emin um die gleiche Zeit (12. Januar 1885): »Der eben aus Amadi zurückgekehrte Apotheker nennt alles, was eben erzählt, Lügen. (Anm. d. V.: Berichte Morgan-Agas über ungeheure Truppenmengen der Angreifer.) Es seien höchstens 300 Mann vor Amadi und des Schreibers Osman Effendi Briefe seien sämtlich darauf berechnet, uns irre zu führen. Mag sein oder nicht: beim Rückzug nach Süden bleibt es.«
Während Emin noch am 22. Oktober 1884 an den gleichen Professor geschrieben hatte, er habe Ladò inzwischen zu einer ganz respektablen Festung umgeschaffen, mit tiefem Wallgraben, hohen Wällen, Bastionen, Zugbrücken usw., und »wenn es nun einmal ans Sterben gehen soll, so wollen wir wenigstens einen ehrlichen Soldatentod sterben«, sehen wir, daß er zu Beginn des Jahres schon zum Rückzug entschlossen war, ohne sich inzwischen durch Augenschein vom Verteidigungszustand, der Verteidigungsmöglichkeit usw. in Amadi, seiner Hauptfestung, überzeugt zu haben. Wenn also Schweitzer bei Gelegenheit der Schlacht gegen Hicks Pascha erwähnt: »Der Mahdi hatte übrigens auch an diesem Kampfe nicht selbst teilgenommen, sich vielmehr ebenso, wie bei den früheren blutigen Zusammenstößen, in sicherer Ferne gehalten,« so bleibt es befremdlich, daß derselbe Schweitzer an Emins Verhalten während der Belagerung von Amadi so gar nichts auszusetzen findet. Auf den »ehrlichen Soldatentod« hat es Emin übrigens, wie wir sehen werden, auch in Ladò nicht ankommen lassen. Nach Junker war ferner auch die Anlage der Befestigung Ladòs durchaus nicht etwa Emins Werk. Die Arbeit wurde vielmehr von Mahmud Effendi Adjemi, einem ägyptischen Offizier, der den russisch-türkischen Krieg mitgemacht hatte, durchgeführt und von Junker selbst beaufsichtigt, »da Emin Bey zu dieser Zeit an einem kranken Fuß litt und überhaupt sehr selten die Station verließ«.
Angeregt durch Vita Hassans Berichterstattung, versuchte Emin, Morgan-Aga abzusetzen und an seiner Stelle Soliman Sudani zu ernennen. Nach seiner Art aber wählte er für diese Absetzung den Umweg, Morgan-Aga in freundlichem Tone zum Zweck einer Beratung über militärische Fragen nach Ladò einzuladen. Durch einen gefälligen Schreiber erhielt Morgan-Aga Kenntnis von dem wahren Grund dieser Einladung, leistete ihr einfach keine Folge und blieb demnach Befehlshaber. Er setzte sein trauriges Regiment mit Saufgelagen, sinnloser Munitionsverschwendung und willkürlicher Hinrichtung begüterter Einwohner bis zuletzt ungestört fort. Vita Hassan erzählt, daß der Kommandant bei jedem Neumond zu seiner und seiner Zechgenossen Erheiterung die kostbaren Remingtonpatronen hundertweise in die Luft verfeuern ließ. Und manch andres Stücklein außerdem.
Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, daß die Belagerer Amadis sich in der Hauptsache aus Überläufern usw. zusammensetzten, und daß reguläre Streitkräfte des Mahdi kaum oder gar nicht dabei beteiligt waren. Der Mahdi hatte damals vor Chartum und späterhin in den anderen Nordprovinzen für seine Armee reichlich genug zu tun und legte auf die gewaltsame Eroberung der »Schwarzen Provinz« wohl nicht allzuviel Gewicht. Es ist nicht abzusehen, wieviel eine entschlossene Verteidigung von Äquatoria nicht nur für die Rettung dieser Provinz bewirkt, sondern auch dem Ansehen des Mahdi im Süden geschadet und dem Glauben an den weißen Menschen genützt hätte. Doch: »während jener ganzen Zeit, früher wie später, verließ Emin Bey Ladò niemals«.
Beim Belagerungsheere war inzwischen auch Osman Erbab, Emins ehemaliger Schreiber und Neffe des Mahdi, mit einiger Begleitung erschienen und riet in immer neuen Briefen dem »Emir« und seinen Offizieren dringend zur Übergabe, sonst würde er aus dem Bahr-el-Ghasal Tausende, ja Zehntausende von Mahdistenkriegern herbeiholen und das Land überrennen.
Allerdings hatten die Belagerer ziemlichen Zulauf, doch war bis zuletzt weder von Tausenden noch gar von Zehntausenden die Rede. Die einfachste Überlegung mußte vielmehr jedem Kundigen sagen, daß die Mahdisten solche Kräfte zu diesem Zweck überhaupt kaum verfügbar hatten und in ausgesogenen Negerländern sicher auch nicht einsetzen würden. Doch in Ladò nahm man Osman Erbabs Prahlereien furchtbar ernst, umsomehr, als auch Morgan-Aga, um seine Freudenfeste und die Munitionsvergeudung zu bemänteln, immer wieder von gewaltigen Heerhaufen berichtete, die die Festung bedrängten.
Die erbetenen Verstärkungen wurden zwar abgesandt, drangen aber nicht mehr bis zur Feste durch.
Die Regierung in Ladò war vom zeitigen Frühjahr 1885 an fluchtbereit: der Abzug nach Osten nach Zerstörung der beiden Dampfer »Chedive« und »Nyansa« und Vernichtung der Vorräte in den Magazinen wurde erwogen und vorübergehend sogar beschlossen. Bezeichnend für die Befehlsverhältnisse in der Provinz ist es, daß Vita Hassan, unterwegs zwischen Dufilé und Ladò, den offiziellen arabischen Befehl erhielt, Major Hauasch von diesem Beschluß zu verständigen und zu seiner Befolgung anzuhalten, zugleich aber auch eine vertrauliche Bitte Emins in italienischer Sprache, Hauasch sollte zur Ausführung des Befehls nicht gezwungen werden. Tatsächlich widersetzte sich Hauasch auch dem für sein Soldatenhirn unfaßbaren Plan, die Flinte derart ins Korn zu werfen, und Vita Hassan ließ ihn gerne gewähren. Schon im März 1885 war die Einschließung Amadis vollendet. Die Hungersnot, eine Folge der früheren Lotterwirtschaft, zwang zu einem Entschluß, zu dem Morgan-Aga immer noch nicht die Kraft fand. Schließlich durchbrach Soliman Aga Sudani, der als Nachfolger Morgan-Agas gedacht gewesen, doch, wie erwähnt, nicht an seine Stelle gekommen war, den Ring der Belagerer und schlug sich bis nach Rimo in Makraka durch, wo er sich mit den aus Mombuttu gekommenen Truppen unter Rihan-Aga vereinigte.
Amadi, von den Resten der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigt, wurde von den Mahdisten besetzt und diese »Waffentat« von Karam-Allah großsprecherisch an Emin nach Ladò berichtet. Morgan-Aga und einige seiner Zechgenossen zahlten mit ihren leeren Köpfen ihre Schuld nur zum Teil: ihr Tod wog den so vieler tapferer Soldaten nicht auf.
In Ladò wirkte die Kunde wie eine Bombe: von den Häuptern der Provinz, den Beamten und Schreibern um Emin, dachte niemand an weitere Verteidigung, jeder nur an die Rettung, und zwar plötzlich nach Süden. Ein weiterer Brief Karam-Allahs brachte in Abschrift die Mitteilung von Mohammed Achmed, dem Mahdi, aus Chartum, vom 28. Januar 1883 datiert, daß die Stadt am 25. Januar in seine Hände gefallen sei. Das zerstörte den letzten Rest von Besinnung.
Casati widerriet die Räumung von Ladò angesichts des vortrefflichen Verteidigungszustandes und wollte, wenn schon geflohen werden sollte, wenigstens nach Nordosten abziehen, weil er voraussah, daß die schwarzen Soldaten, aus Angst, von ihrem Mudir verraten und verkauft zu werden, einen Zug nach Süden nicht mitmachen würden.
Emin stimmte Casatis Gründen in einem längeren Zwiegespräch bei, wußte aber dann in einer »Generalversammlung« (so nennt es Casati; als ob Äquatoria eine Aktiengesellschaft gewesen wäre) seinen eigenen Plan, den Abzug nach Süden, durchzusetzen, was Casati natürlich bös verstimmte.
Für uns liegt das Hauptgewicht nicht auf der Frage, ob nach Osten oder Süden, sondern einzig darauf: daß überhaupt abgezogen wurde. Denn nach der Besetzung Amadis hatten sich die Mahdisten sofort zur Verfolgung Soliman Agas Sudani aufgemacht und ihn bei Rimo erreicht, als er sich mit Rihan-Agas Truppen vereinigt hatte.
Hier, bei Rimo, kam es zur einzigen Schlacht in diesem »Feldzug der Schande«, wo die schwarzen Truppen unter anständigen Offizieren zeigen konnten, wieviel von Bakers und Gordons Geist trotz allem noch in ihnen lebte. Mit ihren Offizieren an der Spitze stürzten sich die Regierungstruppen auf die Derwische, zersprengten sie und machten den Hauptteil in der Schlacht, fast den gesamten Rest auf der Verfolgung in den Wäldern nieder. So vernichtend war die Niederlage, daß Karam-Allah auf die Kunde davon augenblicklich das kaum besetzte Amadi niederbrannte und in größter Eile nach Norden abzog.
In Ladò freilich blieb »höheren Orts« dieser schöne Sieg ohne Wirkung. Am 7. April 1885 erfochten, mußte er der »Generalversammlung« vom 22. April bekannt sein. Umsonst. Am 24. April verließ Emin Ladò. Bei seinem Abschied grüßten ihn am Hafen nur zwei Menschen, Casati und Rihan-Aga, der eine Sieger von Rimo. Unmittelbar nach seinem Abzug weckte der Witz eines sudanesischen Soldaten: »Unser Mudir ist ausgerissen« Spott und Verachtung. Von diesem Tage an war Emin wahrhaft einsam. Aber er wußte es nicht.
Von verschiedenen Seiten wird die Rettung Emins und seiner Provinz geradezu einer wunderbaren Fügung zugeschrieben. Sogar Junker weiß, allerdings in Sperrdruck, von dem Abzug der Nubo-Araber nach dem Bahr-el-Ghasal nur zu sagen: »Und dieser Umstand allein, nichts anderes, hat die Provinz Emin Beys vor einem schweren Schicksal, ja sehr wahrscheinlich vor dem Untergang gerettet.« Den Sieg von Rimo, den doch auch Casati ausdrücklich erwähnt, hat Junker in seiner Tragweite nicht begriffen. Zu seiner Entschuldigung muß betont werden, daß er allerdings nur von Emin berichtet war, und demnach nur von einem »günstigen, jedoch späten Erfolg« wußte. Emin schrieb sogar ausdrücklich, »daß der größte Teil der Danagla bereits nach dem Ghasal abgereist sei, der Rest mit Karam Allah eifrigst sich zur Abreise vorbereite, was aber ist der Grund der eigentlichen Abreise?«
Dieses Fragezeichen ist Emin teuer zu stehen gekommen. Denn solange die Welt steht, hat eine Truppe eher noch übertriebenen Tadel für eine Niederlage ertragen, als ungenügendes Lob für einen Sieg. Die Schlacht bei Rimo war ein Sieg, war von verzweifelten, halb verhungerten Soldaten sozusagen eigenmächtig gewonnen worden, gegen einen Feind, der sich unbesiegbar und von Gott behütet nannte. Hatte Emin sich während der Belagerung in Amadi schon nicht gezeigt, so konnte er doch jetzt, nach dem Sieg bei Rimo, die Soldaten mit einigen Worten der Anerkennung dauernd an sich binden, konnte auch dem hartnäckigen Gerücht, daß er sie zu verlassen oder als Sklaven zu verkaufen dachte, für immer den Boden entziehen. Aber wenn er auch gelegentliche Paraden abhielt und sich an militärischem Klingklang zu erfreuen liebte, so war Emin doch nichts weniger als ein Feldherr. Jede innere Beziehung zur Seele der Truppe fehlte ihm.
Der Abzug der Regierung aus Ladò verbitterte die Truppen wie die Offiziere des ersten Bataillons, weil sie für den Tag von Rimo mit Recht mehr Anerkennung erwarten durften. Überdies machte Emin auch nicht, wie er versprochen, Gondokoro zum Regierungssitz, sondern zog weiter nach Redjaf. Dort drängten ihn die Offiziere zum Bleiben, unter dem Hinweis darauf, daß die öffentliche Meinung den Rückzug hartnäckig als Flucht bezeichne, und daß der Gouverneur trachten müsse, sein und der Regierungsgewalt Ansehen zu retten! Umsonst! Emin zog weiter. Er versprach, in Laboré zu bleiben; da ihm aber die Stimmung in Bedden, Kiri, Mugi nicht behagte, zog er über Laboré hinaus nach Chor-Aju.
Hier spielte sich ein Vorfall ab, der zeigt, welchen Grad das Mißtrauen gegen Emin erreicht hatte. Emin lud Hauasch, den Kommandanten von Dufilé, nach Chor-Aju ein, um verschiedene Maßnahmen mit ihm zu besprechen. Hauasch aber kam nicht, entschuldigte sein Ausbleiben auch nicht und erschien erst dann, als Emin seine Aufforderung mehrmals und schließlich so dringend wiederholt hatte, daß ein Nichtbefolgen offener Widersetzlichkeit gleichgekommen wäre. Es ergab sich, daß Hauasch von einem Schreiber Ahmed Raif gewarnt worden war, hinter der Einladung nach Chor-Aju stecke Verrat. Daß ein Schreiber solches von einem weißen Gouverneur zu behaupten wagte, scheint nicht minder bezeichnend als die andere Tatsache, daß er damit bei einem höheren Offizier Glauben fand. Aber wir haben ja gesehen, daß Emin sich eigenartiger Methoden zu bedienen wußte, um Mißliebige los zu werden. Und da Emin sich Verdächtigungen stets zugänglich zeigte, so konnte keiner seiner Untergebenen jemals sicher sein, ob und warum er mißliebig geworden war.
Immerhin: Hauasch war ein persönlich tapferer Mann, war seiner Truppen ziemlich sicher und überdies Mohammedaner. So mag er sich schicksalsgläubig auf den Weg gemacht haben. »Auf den Seiten des Buches steht alles geschrieben! Insh' Allah (so Gott will)!« Hauasch wurde aber leutselig aufgenommen, zum Major befördert und überhaupt mit Auszeichnung behandelt und konnte beruhigt nach Dufilé zurückkehren.
Bei der Weiterreise nach Süden schickte Ahmed Mahmud, Emins Adjutant, seine Mutter und Tochter mit geringer Begleitung voraus, trotzdem ihm bekannt sein mußte, daß der Landweg von Chor-Aju nach Dufilé nicht sicher war. Tatsächlich wurden die beiden Frauen mit ihrer Begleitung von räuberischen Negern niedergemetzelt. Nur ein Diener konnte sich nach Dufilé retten. Casati behauptet, dieser Hinterhalt sei von Hauasch angezettelt und nicht den beiden harmlosen Frauen, sondern dem Gouverneur selbst gelegt gewesen. Er vermag nicht den Schimmer eines Beweises dafür zu erbringen und hat sich entschieden von seiner Abneigung gegen Hauasch für jede Wahrscheinlichkeit blenden lassen. Vita Hassan dagegen glaubt den Gouverneur gegen den Vorwurf verteidigen zu müssen, Emin habe Ahmed Mahmuds Mutter für sich gefangen nehmen lassen wollen und sie sei nur versehentlich ermordet worden.
Gefährlich ist das Spiel mit dem Meuchelmord – Mambangas und Lorons Schatten tauchten wieder auf, auch Bachit Bey war unvergessen.
Ende Juni kam Emin nach Dufilé, beeilte sich aber, diese Atmosphäre zu verlassen, die, wie er sich ausdrückte, »nach der Kaserne stank«. Am 10. Juli 1885 brachte ihn der Dampfer nach Wadelai, das nun bis zuletzt sein Hauptsitz blieb.
Das erste Bataillon in den Nordstationen war damals schon nicht mehr in Emins Hand. Das ergibt sich aus zwei Tatsachen: Maßlos gereizt durch die fortwährenden Beutezüge der Truppen und durch Emins Abzug in dem Glauben bestärkt, die Türkenherrschaft sei zu Ende, hatten die mächtigsten Negerstämme des Nordens, die Bari und Dinka, sich zusammengetan und Ladò, Gondokoro und Redjaf überfallen. Die Besatzung von Ladò schlug die Angreifer vernichtend (Oktober 1885). Es waren wieder die Sieger von Rimo, Rihan-Aga und Soliman Sudani, die die ägyptische Waffenehre retteten. Diesmal aber erwarteten die Truppen keine Anerkennung mehr von dem Mudir, der seit Monaten viele hundert Kilometer weit weg im Süden saß, fragten wohl auch nicht mehr danach, sondern beschlossen eigenmächtig die Neubesetzung der Stationen in Makraka.
Im April des nächsten Jahres 1886 versuchte der Kommandant des ersten Bataillons dennoch ein letztes Mal, die Einheitlichkeit der Regierung herzustellen, indem er Emin zu einer Besprechung nach Kiri lud. Sein Brief begann nach Casati mit den Sätzen: »Wer ist Mudir? Ich kann nicht dulden, daß mir Befehle von dem Major, der in Dufilé kommandiert, gesandt werden.« Im weiteren betonte er seine Treue zur ägyptischen Regierung, aber auch seinen und seiner Leute festen Entschluß, die Stationen nicht zu verlassen.
Am 19. Mai, also wenige Wochen nach seinem Brief an Emin, starb Rihan-Aga sehr plötzlich, und das Gerücht, er sei vergiftet worden, wollte nicht verstummen. Auch Casati erwähnt es und nennt einen ägyptischen Hauptmann Ali Effendi als geheimen Auftraggeber.
Emin ging der Tod des braven Offiziers jedenfalls nicht sehr nahe. In einem Briefe an Junker findet er kein Wort ehrender Erinnerung für den Sieger von Rimo und Ladò, rügt aber, daß sich im Nachlaß einundzwanzig Gewehre (davon sechs neue Remington) vorgefunden und daß das Personal des Majors mit Frau und Sohn fünfundneunzig Personen betragen habe. Nach der Versicherung, »daß jeder hiesige Offizier, ob Ägypter, ob Sudaner, ein ähnliches Arsenal von gestohlenen Gouvernementswaffen in seinem Hause hat«, versteigt sich Emin zu dem Satz: »Ich teile Ihnen diese Tatsache absichtlich mit und ermächtige Sie, jeden beliebigen Gebrauch davon zu machen, besonders aber, wenn Sie dazu kommen, selbe dem Vize-König oder Nubar-Pascha mitzuteilen, zur Bekräftigung meiner Ansicht, daß das Gouvernement am besten täte, diese Bande von soit-disant-Offizieren völlig aufzugeben und sich nicht der Welt gegenüber zu kompromittieren. Diese letzte Mitteilung ist natürlich konfidentiell und bleibt von Veröffentlichungen ausgeschlossen.«
Nach dem letzten Satze sollte man meinen, Emin würde so annähernd gewußt haben, was er mit solchen Worten sagte. Daß aber der Gouverneur einer rings von Feinden umstellten Provinz sein Heil immer noch in verzwickter Diplomatie suchte und erprobte Kämpfer so gar nicht zu werten wußte, daß er ihnen sogar den Besitz von Waffen verübelte (die doch in ihren Händen wahrhaftig besser aufgehoben waren als in denen der diebischen Magazinverwalter) –: für all dies bleibt wohl wieder nur die tragische Verblendung das Schlüsselwort.
Nun galt es, einen Nachfolger für Rihan-Aga zu ernennen und den Truppen vorzustellen. Wieder eine Gelegenheit, die unterbrochene Verbindung mit dem ersten Bataillon aufzunehmen und die Gemüter der Soldaten zu gewinnen. Emin benützte sie nicht, sondern schickte Vita Hassan, den Apotheker, als seinen Vertreter. Dieser wurde in Kiri, der ersten Station des Nordbataillons, glänzend ausgenommen, fand auch keine Schwierigkeiten bei Einsetzung des neuen Befehlshabers, des Majors Hamid-Aga, wurde aber mit Fragen bestürmt, warum der Mudir sein kampferprobtes erstes Bataillon im Stiche gelassen habe, warum er es nicht mehr sehen wolle und nur noch das zweite kenne. »Sind wir nicht mehr Soldaten des Vize-Königs?«
Verlangt wurde die Absetzung von Hauasch Effendi, dessen Strenge bei den Soldaten gefürchtet war. Diese letzte Forderung war wohl auf die Quertreibereien der Beamten zurückzuführen, denen Hauasch allerdings ein harter und unbequemer Vorgesetzter war. Auch war ja Hauasch Befehlshaber des zweiten Bataillons und ging also die Leute des ersten tatsächlich nichts an. Überdies hatte Hauasch sich in Dufilé unbestreitbare Verdienste erworben, die allerdings nicht der hartnäckige Casati, wohl aber Junker ausdrücklich anerkennt, der vor allem die energische Betreibung des Feldbaus, den früher vernachlässigten Anbau von Baumwolle und ferner noch erwähnt, daß Hauasch Effendi in Dufilé hierin allen voran ging. Auch Vita Hassan, der zwar aus seiner Vorliebe für Hauasch nie ein Hehl macht, rühmt wiederholt die Musterwirtschaft in Dufilé und erwähnt einmal: »Der Anbau von Zwiebeln und Baumwolle, die Verfertigung von Damur (Baumwollzeug, Anm. d. V.) und Stiefeln und seine zahlreichen Herden konnten nicht nur die Bedürfnisse der Provinz zum großen Teile befriedigen, sondern bildeten für ihn auch eine erhebliche Einnahmequelle.«
Daß Hauasch aus seiner Arbeit Nutzen zog, schien z. B. auch Dr. Junker so selbstverständlich, wie jedem anderen unbefangenen Beurteiler. Die verfaulten ägyptischen Schreiber sahen aber nur die Geldeinnahme und neideten sie dem Major in blindem Haß. Tatsächlich kaufte Junker bei seiner Abreise aus Äquatoria dem Major für 35 Taler neugewebtes Damurzeug ab und entlieh von ihm überdies noch 700 Taler bares Geld.
Es darf als ziemlich sicher gelten, daß Hauasch allein es war, der in Ackerbau, Viehzucht, Heimindustrie so ziemlich alles das ausgeführt, was Emin nur geplant, aber doch nach Europa berichtet hat.
Mochten nun, wie gesagt, die Beschwerden des ersten Bataillons gegen Hauasch gerecht sein oder nicht – keinesfalls war der Apotheker der Mann, ihnen abzuhelfen. So blieb der Bruch mit dem ersten Bataillon bestehen.
Von Junker müssen wir hier nachtragen, daß er nach zehntägigem Aufenthalt am ersten Tage des Jahres 1886 Wadelai für immer verlassen hatte, um sich über Unjoro und Uganda den Weg zur Ostküste zu suchen. Vita Hassan, der vielseitige Apotheker, hatte ihn in Emins Auftrag an Kabaregas Hof zu begleiten, um die Verbindung mit dem Negerkönig und damit auch den Postweg nach Osten sowie die mögliche Rückzugsstraße zu sichern. Als heitere Einzelheit verdient Erwähnung, daß die beiden Herren dreihundertzwanzig Träger brauchten. Hassan schreibt: »Die Zahl von 320 Trägern darf nicht verwundern. Wir schleppten nicht viel Gepäck mit uns; aber man mag noch so wenig haben, man gebraucht doch stets eine größere Anzahl Träger, da der Neger keine schweren Lasten liebt; das Maximum, was man ihm auflegen darf, sind 20 bis 25 Kilogramm.«
Abgesehen davon, daß auch 40 bis 50 Pfund in tropischer Hitze ein beträchtliches Marschgepäck darstellen, geben 320 Lasten zu 40 Pfund schon 128 deutsche Zentner oder rund 6,5 Tonnen. Da aber Junker, der große Forscher und Sammler, für sich nur so Lasten erwähnt, so bleibt für den Apotheker ein Rest, auf den die Bezeichnung »nicht viel Gepäck« kaum mehr paßt, nämlich 5,5 Tonnen = 5500 Kilo.
Die Mission Junkers und Hassans wurde erschwert durch den Ausbruch eines neuen Krieges zwischen Unjoro und Uganda, wo der König Muanga ein Schreckensregiment errichtet hatte. Nach mancherlei Fährnissen reiste Junker trotz des Krieges weiter, durchquerte Muangas Reich, kam am 29. November 1886 in Bagamoyo an der Ostküste, etwa Mitte Januar in Kairo und, mit Aufenthalt in München und Berlin, im April 1887 in Petersburg an. Junker ist in der breiten Öffentlichkeit eifrig für Emin Pascha und seine Provinz eingetreten und hat neben Professor Dr. Schweinfurth das Hauptverdienst an der guten Aufnahme, die Emin später in Deutsch-Ostafrika gefunden hat.
Vita Hassan hatte bei der Antrittsaudienz Kabarega in Emins Namen unter anderem auch »Gewehre, Munition oder selbst eine Kanone« angetragen. Bei dem bald darauf folgenden Kriege zwischen Kabarega und seinem mächtigen Nachbarn unterließ Emin jedoch die Lieferung dieser Waffen sowohl, wie jede andere Unterstützung, da er sich für keinen der beiden Könige entscheiden wollte, um die Verbindung mit dem Osten nicht zu gefährden. Diese Politik hatte das leicht vorauszusehende Ergebnis, daß er sich beide zu Feinden machte.
Für die Art, in der Emin sich seine Urteile bildete, sei hier noch ein kleines Beispiel erwähnt: Junker erzählt, daß Kabarega ihn und Vita recht schlecht untergebracht und lange Zeit auf die Antrittsaudienz habe warten lassen. Da sei ihnen eines Tages die Geduld gerissen und sie hätten sich unaufgefordert zum König auf den Weg gemacht, nicht ahnend, daß es als todeswürdiges Verbrechen galt, sich ohne höheren Befehl der Residenz des Herrschers zu nähern. Dieses Vorgehen führte, nach Junker, zu einem längeren Wortwechsel mit Abgesandten des Königs, doch zu keinen weiteren Folgen: die Audienz kam einige Tage später zustande, mit dem unmittelbaren Erfolg, daß große Post in Empfang genommen und neue über Uganda abgesandt werden konnte.
Von einem Zerwürfnis Hassans mit Kabarega sagt Junker kein Wort. Junker brach am 2. März nach Südsüdwest auf, Vita kurz nach ihm nach Nordwest, während aber Junker dem unmittelbar bevorstehenden Kriege eingehende Betrachtungen widmet, erwähnt Vita Hassan, der tüchtige Botschafter: »Ich selbst ahnte nicht im entferntesten, daß wir am Vorabend eines Krieges zwischen Unjoro und Uganda standen.«
Wie dem auch sei: am 13. März reiste auch Hassan, allerdings recht beschleunigt, zurück, setzte auf eine Insel Tonguru, am Nordende des Albertsees gelegen, über und errichtete dort ohne weiteres eine Station.
Bald darauf schrieb Emin an Junker, Vita habe sich bei Kabarega unmöglich gemacht und Kabarega habe in einem längeren Briefe an Emin erklärt, »er würde unter keinen Umständen Vita wieder bei sich aufnehmen, sondern wünsche einen anderen Vertreter von hier: Vita sei ein Hitzkopf und Schwätzer.« Emin erwähnt weiter noch, Hassan sei »mit Gewalt in Kabaregas Haus gedrungen« und »auch gleich bei seiner Ankunft mit Ihnen hat er, was Ihnen nicht bekannt geworden ist, mit den Leuten wiederholt Skandal gehabt.«
Nach Vita Hassan wurde Casati zu Kabarega gesandt. Dieser betont in seinem Buche die Schwierigkeiten der neuen Stellung: »Es war eine Schädelstätte; allein ich zögerte nicht, sie zu besteigen. Am 20. Mai verließ ich Wadelai an Bord des Dampfers Khedive, der nach Kibiro ging.«
Von einem Versagen seines Vorgängers weiß Casati genau so wenig wie Junker. Was es mit dem »gewaltsamen Einbruch« in Kabaregas Haus auf sich hatte, wissen wir gleichfalls von Junker. Und Kabaregas Ablehnung eines Regierungsvertreters, der in Negerländern immerhin als Weißer gelten konnte, zeugt nur von der dünkelhaften Übergebung des Negerfürsten, der sich umworben fühlte. Für Emin aber war Kabaregas Urteil doch so maßgebend, daß er an Junker, Hassans Reisegefährten, berichten konnte: »– was Ihnen nicht bekannt geworden ist.« Hassan weiß zu sagen: »Emin machte mir (in Wadelai, Frühjahr 86, Anm. d. V.) über mein Benehmen bei Kabarega und über meinen Gedanken, Tonguru zu besetzen, seine Komplimente.« Tatsächlich billigte Emin nicht nur die Gründung von Tonguru, sondern auch, nach Hassans Rückkehr vom ersten Bataillon, die einer zweiten Station Mswa am Westufer des Albertsees, trennte das ganze Gebiet, Mahagi genannt, als besonderen Bezirk von der Südhälfte der Provinz ab und überließ Hassan die Verwaltung.
Die Station Mswa war im Gebiet eines Negerhäuptlings Schisa gegründet worden, der zwar dem Kabarega hörig war, die Besetzung aber angeblich erbeten oder doch zumindest erlaubt hatte. Kabarega erhob dagegen Einspruch. Die Regierung kümmerte sich nicht darum. Aber dem unglücklichen Schisa kostete es das Leben. Auch der Häuptling Anfina, der immer treu zur Regierung gehalten und zum Beispiel auch Junker lange Zeit beherbergt hatte, fand keine Unterstützung gegen seinen Lehnsherrn Kabarega und büßte seine Freundschaft zu den »Turk« mit dem Leben.
Mit der Post, die, wie erwähnt, Junker und Vita Hassan von Kabarega aus an Emin weitergeleitet hatten, war auch, am 26. Februar 1886, als erste amtliche Nachricht seit März 1883, ein Erlaß Nubar Paschas eingetroffen, bemerkenswert durch die Aufschrift: »An Emin Pascha, den Kommandanten von Gondokoro« und im übrigen folgenden Wortlauts:
»Kairo, 13 Chaban, 1302
(27. Mai 1885)
An Emin Pascha, den Kommandanten von
Gondokoro.
»Die aufrührerische Bewegung im Sudan zwingt die Regierung Seiner Hoheit, diese Gegenden aufzugeben. Infolgedessen können wir Ihnen keine Hilfe senden. Andererseits wissen wir nicht genau, in welcher Verfassung Sie sich befinden, sowohl Sie, als Ihre Garnisonen. Wir können Ihnen auch nicht Instruktionen darüber geben, was sie zu tun haben, und wenn wir Sie auffordern wollten, uns über Ihre Lage und die Ihrer Garnisonen zu unterrichten, um Ihnen darauf einen Befehl zukommen zu lassen, so würde dies zuviel Zeit wegnehmen und der Zeitverlust könnte Ihre Lage verschlimmern.
»Der Zweck dieses Schreibens, das Ihnen durch Vermittlung von Sir John Kirk, Generalkonsul Ihrer Britischen Majestät in Sansibar, via Sansibar zukommen wird, ist, Ihnen vollkommene Aktionsfreiheit zu lassen. Wenn Sie es für sich und Ihre Garnisonen sicherer finden, abzuziehen und nach Ägypten zurückzukehren, so würden Sir John Kirk sowohl als auch der Sultan von Sansibar den Chefs der verschiedenen Stämme an der Straße schreiben und darauf bedacht sein, Ihnen den Rückmarsch zu erleichtern.
»Sie sind hierdurch ermächtigt, sich Geld zu verschaffen, indem Sie Tratten auf Sir John Kirk ausschreiben. Ich wiederhole Ihnen, daß Sie carte blanche haben, um am besten für Ihr eigenes Wohl und das Ihrer Garnisonen zu handeln. Indem wir Ihnen mitteilen, daß die einzige Route, die Sie nehmen können, wenn Sie entschlossen sind, Gondokoro zu verlassen, die Route nach Sansibar ist, bitte ich Sie, sobald Sie sich entschieden haben, mir hiervon Mitteilung zu machen.
Der Präsident des Konseils
Nubar Pascha.
Postskr. Sir John Kirk wird Ihnen übrigens selbst schreiben, um Ihnen die Mittel und Wege mitzuteilen, die er versuchen könnte, um Ihnen den Rückzug Ihrer Garnisonen überall zu erleichtern.«
Über diesen Erlaß selbst und über die Aufgabe, die ihm damit gestellt wurde, hat sich Emin wiederholt bitter beklagt. So schreibt er an Professor Schweinfurth am 3. März 1886: »Eine kühle Geschäftsdepesche in wahrem Sinne des Wortes – nicht ein Wort der Anerkennung für drei Jahre Sorgen und Kämpfe mit Danagla und Negern, Hunger und Nacktheit, nicht ein Wort der Aufmunterung zu der mir bevorstehenden übermenschlichen Arbeit, die Soldaten heimzuführen.« Und am 5. Mai 1886 an den Geschäftsfreund Harders: »Das ägyptische Gouvernement verwöhnt seine Beamten nicht, und obgleich ich der einzige Gouverneur im ganzen Sudan bin, der es verstanden hat, seine Provinz vor Untergang zu bewahren, hat man in Ägypten nicht einmal ein Wort der Anerkennung oder Aufmunterung finden können.«
Der angeführte Brief ist besonders noch durch eine andere Stelle bemerkenswert. Emin schreibt nämlich zusammenfassend über die Lage: »Es mag demnach genügen, anzuführen, daß, nachdem wir die Bari- und Dinkabewegungen niedergeschlagen haben, jetzt verhältnismäßige Ruhe herrscht.« Gemeint ist der oben geschilderte Sieg bei Ladò, den das verlassene erste Bataillon auf eigene Faust erkämpft hatte, während Emin weit im Süden saß. Doch Emin sagt: »Wir«.
Anschließend wollen wir die Schilderung der Erlebnisse einfügen, die Casati als Emins Abgesandter bei Kabarega hatte und von denen Casati und Vita Hassan viel zu sagen wissen, Schweitzer aber so gut wie nichts. Zugegeben sei ohne weiteres, daß Casati ein eigenwilliger Mensch war, dessen Benehmen zwischen soldatischer Straffheit und Liebe zu den schwarzen Brüdern seltsam schwankte. Doch er war Emins treuer Freund. Sehen wir zu, wie ihm diese Treue gelohnt wurde. Die besonderen Schwierigkeiten seiner Stellung bei Kabarega hatte nicht nur er selbst, sondern auch Dr. Junker vorausgesehen. Er hatte eine »ablehnende und hinhaltende Politik« zu vertreten, sollte unter Freundschaftsversicherungen die Postbeförderung nach Uganda erbitten, durfte aber die erbetene Hilfe gegen Uganda nicht gewähren.
Daß die Regierung, also Emin, Kabarega im Kriege gegen Uganda im Stiche ließ, schuf einen Zustand, der sich nur durch das Fehlen einer formellen Kriegserklärung von offenem Kriege unterschied. Casati traf daran keine Schuld. Er riet zur Hilfeleistung, zur Übersendung von Geschenken, bat um häufigere Korrespondenz – umsonst: »Emin war beleidigt, als ob ich auf Tadel, auf Anmaßung einer Macht abzielte; und statt aller Antwort schrieb er mir: ›Nicht ein Stück Elfenbein, nicht eine Patrone werde ich abgeben, ehe nicht ein Blutbündnis geschlossen ist‹.«
Ein unmögliches Verlangen – welchen Grund sollte Kabarega wohl zum Blutbündnis mit einem Manne haben, der ihm gegen seine Feinde nicht half, mit Geschenken sparte und überhaupt nach Lage der Dinge mehr zu erbitten als zu gewähren hatte?
Doch Casati harrte aus, trotzdem er im Laufe des Jahres 1887 wiederholt Mordanschlägen ausgesetzt war, deren Gelingen nur sein Glück und seine Wachsamkeit vereitelten.
Die Besetzung Tongurus und Mswas erschwerte naturgemäß Casatis Stellung noch mehr.
Im Mai 1887 aber griff Emin zu einer Maßregel, die merkwürdig genug anmutet: Er ließ ohne vorherige Kriegserklärung oder Warnung von den beiden Dampfern alle Kähne der Schuli, eines Kabarega hörigen Stammes, auf dem Albertsee rammen oder in den Grund schießen. Vita Hassan, der vielgewandte, machte das – übrigens nicht sonderlich wagemutige – Seemannsstücklein zunächst mit, fuhr aber dann nach Wadelai, Emins damaliger Residenz am Nil, hinunter, um Aufklärung über die Gründe dieses Angriffs auf »unseren Verbündeten, bei welchem unsere Provinz noch ihren Vertreter Casati hatte«, zu verlangen. Emin blieb die Aufklärung nicht schuldig und wußte den Freund und Untergebenen davon zu überzeugen, die Schuli hätten Böses im Schilde geführt und die energische Maßnahme werde von heilsamster Wirkung sein. Vita Hassan ließ sich überzeugen, so gründlich sogar, daß er halb überrascht schließt: »Casatis Beziehungen zu Kabarega wurden nun immer gespannter.« Das Gegenteil nämlich wäre verwunderlich gewesen.
Noch weit merkwürdiger allerdings als das Verhalten Emins, der so seinen Gesandten der Rache des Feindes preisgab, ist die Einstellung Casatis auf diesen Vorgang. Er hat nicht den Treubruch daran zu tadeln, sondern den »Mißerfolg« der Regierungstruppen, weil er, hier ganz Soldat, Kabarega mit Waffengewalt unterworfen sehen wollte, da doch kein Bündnis zustande zu bringen war: »Die gewohnte Etikette vergessend, fuhr mich der König in arabischer Sprache an, indem er mir Verschwörung gegen seine Person und Einverständnis mit dem Gouverneur von Äquatoria zu seinem und seines Reiches Untergang zur Last legte. Was war denn geschehen? Die Dampfer waren unversehens im Viktoria-Nil erschienen, die Expedition der Wanjoro, die bereits den Übergang über den Fluß begonnen hatte, hatte kaum die Zeit zum Rückgang gefunden; die Barken der Eingeborenen waren insgesamt weggenommen und zerstört worden; der Häuptling Rokora war aus seinem eigenen Dorfe, das den Flammen preisgegeben wurde, vertrieben und einige Eingeborene und Banassura waren von den Soldaten getötet worden. Die mir allerdings an sich neue Tatsache überraschte mich immerhin wegen des Mißerfolges der Expedition der Regierung, die man der Unfähigkeit des Befehlshabers zu danken hatte; die Verlegenheit wuchs um uns herum, meine Lage konnte ernstlich gefährdet werden.«
Auf dem Rückweg von dieser Audienz entging Casati nur durch die Treue seiner Leute dem Tod durch Mörderhand. Aber er blieb, weil er sich von seinem Bleiben Vorteil für Emin versprach. Er verlangte nur, daß Emin alle sieben Tage einen Boten und alle vierzehn Tage einen Dampfer nach Kibiro schicken sollte, letzteren mit dem ausdrücklichen Befehl, auf Casatis Zustimmung zur Abfahrt zu warten; auch erbat er sofort einige ausgesuchte Elefantenzähne und eine Kiste Patronen, um Kabarega ein Geschenk machen zu können.
Die Regierungsdampfer waren bei den Negern tatsächlich gefürchtet. Stellten sie doch, stark bemannt und nötigenfalls mit Kanonen bestückt, Kampfeinheiten dar, gegen die die Neger wehrlos warm. Das regelmäßige Erscheinen eines solchen Dampfers vor Kabaregas Hauptküstenort konnte also sehr gut hinreichen, Casatis Stellung zu sichern.
Emin versprach alles und reiste von Kibiro zurück nach Norden. Er hatte nämlich eine neuerliche Einladung des ersten Bataillons bekommen, sich zu einer Besprechung in Redjaf einzufinden. Dies soll man nicht als Wankelmut etwa der Truppen auslegen. Es waren ja keine Meuterer im gemeinen Sinne, die sich einer Oberhoheit bald entzogen, bald unterwarfen. Es waren allerdings Halbwilde, aber tapfere und treue Soldaten, die gegen ihren weißen Gouverneur wesentlich mehr Anlaß zur Klage hatten, als er etwa gegen sie. Denn die Truppen hatten Emin nicht verlassen, wohl aber er die Truppen; er hatte sie verlassen, von Feinden umringt, von jeder Zufuhr abgeschnitten, im Norden den Mahdi, im Süden aber, nach des Führers Eingeständnis (so empfanden es die Truppen) die noch schlimmere Gefahr, an Kabarega verkauft zu werden. Gewiß waren Quertreiber und Hetzer am Werke – daß sie aber Erfolg haben konnten, lag nicht an den schwarzen Soldaten, deren Treue und Zuverlässigkeit, neben vielen andern, auch Gordon noch in seinem Tagebuch aus dem eingeschlossenen Chartum glänzend bezeugt.
Mehr noch als für jeden anderen gilt für den Negersoldaten der Satz »Treue um Treue«. Und Treue führte Emin wohl gern im Munde, seine Taten aber ließen sie oft vermissen.
Diesmal immerhin leistete er der Einladung des ersten Bataillons Folge, doch es half nichts mehr; das gegenseitige Mißtrauen hatte einen Grad erreicht, der keine Verständigung mehr zuließ. Casati sagt: »Mißtrauisch und argwöhnisch, sandte er unwissende Spione nach Redjaf und verbreitete seinerseits Mißtrauen und Argwohn.« Das Reisetempo wurde immer langsamer, die Soldaten, wütend, daß ihrer Einladung so zögernd Folge geleistet wurde, ließen den Gedanken laut werden, den Gouverneur einholen zu lassen: »Sind wir nicht mehr Soldaten des Vizekönigs? Ist er nicht unser Mutir? Warum kommt er nicht, uns zu sehen, uns, seine Kinder? Haben wir nicht oft genug für ihn geblutet?«
Am 10. Dezember 1887 wurde Emin in Kiri mit der Nachricht geweckt, die Truppen von Redjaf seien unterwegs, um ihn gefangen zu nehmen. So floh er bei Nacht, kaum bekleidet, nach Mugi zurück, schloß sich dort ein und gab Befehl, jeden Versuch nördlicher Truppen, sich der Station zu nähern, mit Gewalt zurückzuweisen. Hier in Mugi erreichte ihn eine Postsendung Casatis, die unter anderem auch die Ernennung zum Pascha, die Bestätigung aller Beförderungen und Belobung der Truppen enthielt. Zu spät! Das Band mit dem ersten Bataillon war zerrissen. Das zweite allerdings jubelte dem neuen Pascha zu und grüßte ihn mit elf Kanonenschüssen.
Emin fühlte sich nur im Bereich des zweiten Bataillons sicher. Das hinderte ihn nicht, in Dufilé in sein Tagebuch zu schreiben: »Vor längerer Zeit hatte ich den hiesigen Stationschef, einen sehr großen Lumpen, aber intelligenten Menschen, darauf aufmerksam gemacht, wie man die Fäden von Hibiscus Sabdariffa, die von Negern vielfach gebaut wird und deren Samen wir als Kaffeesurrogat gebrauchen, zu groben Gespinsten gebrauchen könne. Heute brachte er mir die erste praktische Ausführung meiner Anregung, ein Stück grober Sackleinewand, das für einen ersten Versuch sehr hübsch ist und jedenfalls nach Europa gehen soll.«
Dieser große Lump ist Hauasch Effendi, unter dessen Schutz sich Emin gerade befand und über den er übrigens noch im April des gleichen Jahres an Junker höchst anerkennend geschrieben hatte. –
Zu dieser Zeit lagen die Dampfer zu Wadelai im Dock, wurden repariert, gefirnißt, gestrichen und vom »Nyansa« schreibt Emin stolz in sein Tagebuch: »Er ist jetzt so gut wie neu.«
Bei Kabarega aber saß Casati in Todesgefahr, ein halber Gefangener, und wartete auf die versprochenen Dampfer. Mit ihm war Biri, ein mohammedanischer Händler, der eben zum zweiten Male Post und einige dringend benötigte Waren für Emin durch Uganda bis zu Casati durchgeschmuggelt hatte. Auch Biri, der an die Erledigung seines Auftrags zu seinem Leben auch noch seine Habe gewagt hatte, verdiente unbedingt Schutz und Hilfe. Doch: »Kein Abgesandter des Paschas war angekommen, kein Dampfer erschien auf der Reede.«
Am 8. Januar 1888 wurden Casati und Biri von Guakamatera, Kabaregas Wesir, vorgeladen. Beiden schwante Übles. Doch Fernbleiben bedeutete offenen Bruch. So leisteten sie am 9. Januar der Einladung Folge.
Aber die Scheu vor dem weißen Abgesandten des weißen Gouverneurs war dahin: die Unglücklichen wurden samt ihren Dienern grausam gefesselt, mißhandelt, geschmäht. Inzwischen wurde Casatis Haus geplündert, seine Aufzeichnungen, Tagebücher usw. den Flammen übergeben, ein Verlust, der Casati näher ging als alles leibliche Ungemach. Biri wurde hingerichtet. Casati entging dem gleichen Los nicht so sehr wegen seiner weißen Haut, als vielmehr aus dem anderen Grund, weil bei Durchsuchung seines Hauses weder Soldaten noch Waffen gefunden wurden, die er, der Anklage nach, zu verräterischem Überfall bereit gehalten haben sollte. Doch brachte ihn die Strafe, die ihm zugedacht war, dem Tode ziemlich nahe: er wurde mit seinen Dienern in die Wildnis hinausgejagt und ein Machtwort des Königs verbot, den Flüchtlingen Nahrung, Wasser, Obdach zu gewähren oder den Weg zu zeigen. Man tötete sie nicht, trieb sie aber unter Stockschlägen und Verwünschungen von Dorf zu Dorf. Einzig Kagoro, der Häuptling von Kibiro, nahm sie hilfreich auf, obwohl er sich damit Kabaregas, seines Oberherrn, Zorn aussetzte. Länger als einen Tag und eine Nacht aber konnte auch er die Unglücklichen nicht beherbergen; bis zum nächsten Dorfe, dem Tokondschas, stellte er ihnen einen Führer, Tokondscha wiederum ließ sie zu Kapidi geleiten. Dort aber holte sie abermals Kabaregas Befehl ein: »Weder Speise noch Wegweiser!«
Von Dornen zerfetzt, zerlumpt und halb verhungert schleppten sie sich weiter durch das Uferschilf, gerieten nochmals in ein Kesseltreiben wütender Neger, konnten aber doch einen der Ihren, einen Dongolaner namens Fadl, in einer zufällig entdeckten Barke über den See nach Tonguru schicken.
Dort war Emin nach seiner Rückkehr aus dem Norden zum Besuche Vita Hassans eingetroffen. Der Dampfer, der ihn gebracht, hatte eine Barke mit Lebensmitteln geschleppt, die aber in Nacht und Sturm gekentert war. An ihrer Bergung arbeiteten beide Regierungsdampfer zwei Tage lang. Vita Hassan schreibt: »Es scheint, daß die Vorsehung diesen Unfall zur Rettung Kapitän Càsatis veranlaßt hatte.« Es scheint wirklich so. Es scheint aber auch vor allem, daß Emin seinen Gesandten und das ihm gegebene Versprechen ganz vergessen hatte.
Als nun der Bote Fadl nach Tonguru gerudert kam, machte sich Emin allerdings auf dem »Nyansa« auf, um die Küste nach Casati abzusuchen. Die Rauchfahne des Dampfers am fernen Horizont reichte hin, um die Negerschar, die Casati und seine Begleiter eben mit dem Tode bedrohte, in augenblickliche Flucht zu jagen. Nun mag Casati selbst das Wort nehmen: »Weh den Besiegten! Ich war ein Gefallener. Der freudige Empfang verstummte alsbald; die Botschaft, welche die Soldaten Fadl und Hurschid von den Lippen Guakamateras gehört hatten, traf völlig zu und zerstörte die Hoffnung auf die Zukunft. Ich hätte die Lage der Regierung durch eine überaus schroffe Haltung erschwert, die Beziehung zu dem König von Unjoro und den Großen leichtsinnig und starrköpfig behandelt, die Zukunft der Statthalterei untergraben, das Elfenbein weggeworfen, die Wohltat eines Weges für die Korrespondenz und die Wiederinstandsetzung der Magazine unmöglich gemacht, das Herz eines Königs, der so reich an Wohlwollen gewesen, entfremdet. Indem Emin diesen Stimmen einzelner Ausdruck verlieh, fügte er bei, die Sache werde keine verhängnisvollen Folgen haben; Tschua (Tschua = der Löwe, Beiname Kabaregas. D. V.) habe aus rein persönlichem Hasse gehandelt; er sei daran, die unterbrochene Beziehung ehestens durch einen willkommenen Gesandten wieder anzuknüpfen, der Fürst Unjoros sei auf das Bündnis und seine Beziehungen zu ›dem befreundeten Doktor‹ stolz.
»Bei meiner Ankunft hatte ich dem Gouverneur vorgeschlagen, einen der Dampfer nach Kibiro mit einem Briefe an den König zu schicken, in welchem er ihn aufforderte, innerhalb 14 Tagen Biri, den Soldaten, die Gewehre und das Elfenbein der Regierung, das er abgenommen hatte, auszuliefern, sowie auch meine Effekten, unter der Drohung, daß er, wenn er innerhalb der festgesetzten Zeit nicht der Aufforderung Folge leisten würde, in Gemäßheit seines Rechtes handeln und die erlittene Schmach rächen würde.
»Mein gerechter Vorschlag wurde von den einmütigen Äußerungen hervorragender Offiziere unterstützt, die genug Macht hatten und von dem Verlangen brannten, dem unmenschlichen Despoten eine gehörige, verdiente Lehre zu geben. Allein die Antwort des Gouverneurs entsprach der Erwartung der Mehrzahl nicht; ich sei noch am Leben, und das sollte mir genügen; was dringlich sei, sei die Aufrechterhaltung herzlicher Beziehungen zu Unjoro wegen des Weges über Uganda: dies sei ein Leichtes und seine ausschließliche Aufgabe.
»Es war ein wenig Undank, zugleich auch ein Aufflackern von Anmaßung, dem ich würdevolles Schweigen entgegensetzte. Ich war in meinem Gewissen überzeugt, meinen Auftrag mit Eifer, Vorsicht, Klugheit, Würde, ohne Intriguen und ohne Feigheit ausgeführt zu haben. Ich wollte keinen Dank und keinen Lohn; aufs tiefste aber verletzte mich die Anklage, die ein Freund, dessen Dienst ich mich ohne Entschädigung mit allen meinen Kräften bis zur Aufopferung des Lebens gewidmet hatte, wie ein Kind mit feinem Lächeln behandelte. Der Wahrheit zur Ehre ist mir aber die Erinnerung daran angenehm, daß ich Trost in Briefen und Worten vieler Offiziere und Beamten fand. Ich richtete an den Gouverneur eine Bitte wegen Belohnung der zwei Soldaten, die meine Begleiter auf der Flucht von Unjoro waren, und setzte nicht ohne Schwierigkeiten durch, daß Fadl zum Offizier und Hurschid zum Unteroffizier befördert wurden. Der letztere starb leider alsbald an den Folgen einer Krankheit, die er sich in jenen Tagen des Schreckens zugezogen hatte.«
Casati blieb übrigens doch nicht ganz ungerächt. Am 30. Mai 1888, nach Stanleys Ankunft, schien die Freundschaft mit Kabarega nicht mehr so wichtig. Nur wählte Emin, um Kabarega zu züchtigen, den Weg, Kibiro zu zerstören, also die Residenz gerade des einen Häuptlings, Kagoro, der Casati mutig beigestanden war und ohne dessen Hilfe der Kapitän die Verfolgung nicht überlebt hätte.
Casatis Fürbitte fruchtete nichts – in die hohe Politik ließ sich Emin von niemand hineinreden. Kibiro wies große Salinen auf, und das dort gewonnene Salz bildete eine der größten Einnahmequellen Kabaregas. Salz ist in Innerafrika selten und eine begehrte Tauschware. Junker drückt gelegentlich sein Bedauern darüber aus, »daß während so langer Jahre der Verkehr mit Kibiro trotz der vorhandenen Dampfschiffe nicht aufrecht erhalten werden konnte.« Gegen Salz nämlich wären, schon hundert Kilometer stromabwärts, Elfenbein, Straußenfedern, Kautschuk und vieles andere durch einfachen Tausch müheloser zu haben gewesen als durch die gewaltsameren Erwerbsmethoden der vielen Außenstationen.
Nun sollte also Kibiro zerstört und damit natürlich nicht nur Kabarega getroffen werden, sondern unmittelbar die hörigen Insassen Kibiros, letzten Endes aber auch alle Negerstämme im weitesten Umkreise, die auf Kibiro als auf die einzige erreichbare Bezugsquelle für Salz angewiesen waren.
Casati hatte als erster die Nachricht von Stanleys Nahen mitgebracht. Er hatte sie am 3. Januar 1888, noch bei Kabarega, von einem Boten erfahren, der vom Häuptling Uboga an Kabarega die Meldung brachte, im Lande der Walegga (südwestlich vom Albertsee) seien Europäer mit viel bewaffnetem Volke und einer Kleidung wie die Sansibariten angekommen.
Am 30. Januar fuhr Emin dieser Hilfsexpedition entgegen, kam aber nur bis Mswa, da über Kabaregas Haltung derartig widersprechende Berichte einliefen, daß ein weiteres Vordringen nicht rätlich schien. Um die Kühnheit der östlich vom See wohnenden Negerstämme etwas zu dämpfen, wurde ein Dorf der Lur geplündert und niedergebrannt. Eine andere »Expedition« in die gleiche Gegend brachte, nach Casati, »Korn in Masse und eine reichliche Anzahl Ziegen«.
Am 12. Februar schrieb Emin an Casati, er wünsche, mit ihm den Angriff auf Kibiro zu beraten, »um dort die Industrie und den Handel zu zerstören, der dem Lande Leben und Reichtum verleiht«. Casati litt an Fieber und entschuldigte sich.
Am 25. Februar brach Emin von Mswa auf, um Stanley längs des Sees zu suchen, kehrte aber ohne Erfolg am 6. März nach Mswa zurück. Die benachbarten Häuptlinge hatten unklare oder einander widersprechende Auskünfte gegeben, zum Teil auch, von ihren Untertanen gedrängt, jegliche Antwort verweigert.
Am 15. März mußte Casati, von Emin gerufen, doch in Mswa erscheinen, wiederum wegen des Angriffs auf Kibiro. Noch einmal gelang es ihm, das Schicksal aufzuhalten.
In der Nacht des 30. Mai aber wurde Kibiro überfallen. Casatis Schilderung merkt man es an, wie furchtbar nah ihm die unmenschliche Maßregel gegangen sein muß: »Weiber, Kinder, Säuglinge wurden von den fanatischen Angreifern erfaßt, ermordet, in die Flammen geworfen. In kurzer Zeit war von Kibiro nur noch rauchende Asche vorhanden. Nachdem der entsetzliche Blutdurst gestillt war, verlegte sich die wütende, trunkene Horde auf die Plünderung. Ziegen, Salz, alles, was von den Flammen verschont blieb, erbeuteten und schleppten sie fort; die Saline wurde zerstört.« Als einzigen Lichtblick erwähnt Casati die Gewißheit, daß Kagoro, der Häuptling, dem er persönlich sein Leben dankte, tags zuvor zufällig zu Kabarega berufen worden und so dem sicheren Tode entgangen war.
Vita Hassan nimmt den Vorfall nicht so tragisch. Er meint, es wäre »weder schwierig noch gefährlich gewesen« (o Held, du sprichst wie ein Apotheker), Genugtuung zu erhalten. Emin sei es nach Stanleys Ankunft nicht mehr nötig erschienen, Kabarega länger zu schonen, und so habe er von beiden Dampfern mit siebzig Mann Kibiro überfallen lassen. »Sie erbeuteten eine große Menge Salz und gegen fünfhundert Schafe, die für unsere Provinz ein wahres Manna waren.«
Schweitzer weiß von der Zerstörung Kibiros so wenig wie von manch andrem zweischneidigen Regierungsstücklein Emins.
Ende März sandte Emin einen Bergbewohner von Mswa mit einem Brief an Stanley ab. Dieser Brief kam richtig in Stanleys Hände, was sehr für die Tüchtigkeit des Boten spricht. Denn die Hand Kabaregas, des mächtigen Königs, lag schwer auf dem Lande, so schwer, daß kaum einer dem Gebot zu trotzen wagte: die »Turk« – Emin und seine Leute – dürften von dem Kommen anderer Weißer nichts erfahren. Durch dieses Verbot wurde Stanleys Zusammentreffen mit Emin schließlich zwar doch nicht verhindert, aber gewiß erheblich verzögert.
Am 23. April fuhr Stanleys Offizier, Mounteney Jephson, in dem Stahlboot »Advance« der Expedition von Kawalli ab, erreichte am 26. Mswa und gab unverzüglich seine Ankunft dem Pascha, der eben in Tonguru weilte, bekannt.
Damit war die Verbindung mit Europa hergestellt. Ein neuer Abschnitt in Emins Geschichte beginnt. Bevor wir aber in der Schilderung fortfahren, müssen wir den Zusammenhang mit den europäischen Ereignissen herstellen.
Trotz dem umfangreichen Briefverkehr, den Emin, wie er erzählt, vom ersten Tage in Ladò an aufgenommen und ständig ausgebaut hatte, war sein Name in der europäischen Öffentlichkeit doch unbekannt geblieben. So unbekannt, daß er erstmals Mitte 1885 in Verbindung mit Junker und Casati, und zwar als Forscher, genannt wurde. Das lange Ausbleiben aller Nachrichten von Dr. Junker hatte nämlich eine von sämtlichen geographischen Gesellschaften Deutschlands unterzeichnete Eingabe an den Fürsten Bismarck veranlaßt, die um Nachforschungen auf diplomatischem Wege bat. Diese Nachforschungen brachten am 14. Juli 1885 die telegraphische Nachricht vom deutschen Generalkonsul in Alexandrien, er habe in Wadi-Halfa erfahren, daß Dr. Junker und Casati sich in Ladò bei Dr. Schnitzer in Sicherheit befänden.
Daran schlossen sich einige Artikel in Tageszeitungen, die »Dr. Schnitzer« dem deutschen Publikum als deutschen Forscher vorstellten, später erst als überaus verdienstvollen Gouverneur der Äquatorialprovinz und Emin Bey.
Der Gedanke, den »drei Forschern«, namentlich den zwei »deutschen Landsleuten« Dr. Schnitzer (Emin Bey) und Dr. Junker von Reichs wegen Hilfe zu bringen, tauchte erstmalig im August 1885 in Verbindung mit der Nachricht auf, Dr. Junkers Bruder, ein Petersburger Bankier, beabsichtige, eine Entsatzkommission unter Dr. Gustav Adolf Fischer auf die Suche nach seinem Bruder zu schicken. Diese Expedition kam noch im gleichen Jahre zustande, mißlang aber völlig. Dr. Fischer erlag, nach Deutschland zurückgekehrt, einem Fieber, das er vom Viktoriasee mitgebracht hatte.
Nach längerem Stillstand kam die Bewegung erst wieder in Fluß, als die »Kölnische Zeitung« am 17. November 1886 mit einigen Begleitworten Dr. Schweinfurths ein Schreiben veröffentlichen konnte, das der Gelehrte am 8. November in Kairo erhalten hatte und das von Dr. Wilhelm Junker am 16. August 1886 in Msalala, südlich des Viktoriasees, geschrieben war. Während aber Junker hauptsächlich verlangt: »Den Strang, den Strang für Muanga und seine Bande! Befreiung Ugandas, Unterstützung Emin Beys und Neubesetzung jener Provinzen!!! Ich kehre nur mit jenem Gedanken nach Europa zurück!« knüpfte Professor Schweinfurth daran schon die Feststellung: »Dr. Schnitzer, der vielgenannte Schlesier, der unter dem Namen Emin Bey sich während einer nahezu zehnjährigen musterhaften Verwaltung der einst ägyptischen Äquatorialprovinz am obersten Nil bleibende Verdienste um unser gesamteuropäisches Kulturwerk in den Wildnissen von Afrika erworben.«
Doch auch in England war man nicht müßig. Am 10. Dezember druckten die »Times« ein Schreiben Emins an Dr. Felkin in Edinburg vom 7. Juni 1886 ab, das seiner Ausführlichkeit halber hier nicht im Wortlaut angeführt werden kann. Emin kündigt darin seinen Entschluß an, die Provinz zu halten. Zum Unterschied von dem deutschen konnte das englische Blatt dieser Nachricht über Emin schon die andere hinzufügen, daß eine Privatexpedition unter Führung des Afrikareisenden Stanley organisiert werde, um Dr. Emin Bey Entsatz zu bringen. »Die ägyptische Regierung wird einen Teil der Kosten der Expedition tragen.«
Wir haben früher schon dargetan, daß in dem »Wettrennen nach Emin«, das hiermit anhob, England sich einen Vorsprung von zweieinviertel Jahren sicherte. Dies verdient besondere Beachtung, als Beweis, nicht etwa für die überragende Menschenfreundlichkeit, sondern für die tiefgehende politische Schulung des englischen Volkes. Denn wenn auch fraglos Dr. Peters und einige ihm Geistesverwandte Emins Stellung als Schlüsselbewahrer zum Innersten Afrikas und die politische Tragweite, die seine Rettung haben mußte, richtig erfaßt hatten – so war doch der breiten deutschen Öffentlichkeit weit weniger mit diesem machtpolischen, sondern vor allem mit dem rein idealistischen Beweggrund beizukommen: es gelte dem deutschen Landsmann, Forscher, Kulturapostel Hilfe zu bringen.
Schweitzer trifft vielleicht den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt: »In England wollte man Emin entsetzen, in Deutschland Emin nur Hilfe bringen.« Liest man für »entsetzen« – »dienstbar machen«, so ist die Lage tatsächlich gekennzeichnet.
Das Unternehmen des Dr. Peters wächst dadurch zu einsamer Größe. Daß ihm der Erfolg versagt blieb, ändert nichts an seinem Verdienst. Ein überragender Ehrenplatz unter Deutschlands Helden ist ihm für alle Zukunft sicher. –
Nun wollen wir noch kurz die engeren Voraussetzungen prüfen, die für Emins Rettung bestanden und die sich auf das Bild gründeten, das vor allem Emin selbst, doch auch Junker und Casati von den Zuständen in Äquatoria entworfen hatten. Es muß gesagt werden, daß dieses Bild den Tatsachen recht wenig entsprach, wenn zum Beispiel Emin gelegentlich von »dem Schein von Autorität, der ihm geblieben« spricht, oder von der Widersetzlichkeit der Truppen und Beamten, so werden diese Geständnisse für den Fernstehenden allzu leicht ausgewogen durch Berichte an anderer Stelle über begeisterte Empfänge, Hochkultur der Felder und vor allem durch die peinlich genaue Forscherarbeit, die doch wohl ungestörte Muße voraussetzte.
Nun soll es gewiß nicht bezweifelt werden, daß Emin weitreichende Pläne für die Hebung seiner Provinz hegte und auch schätzenswerte Anregungen dazu zu geben wußte. Hauasch ist aber so ziemlich der einzige, der diese Anregungen zu Taten werden ließ, und zwar, wie betont sein muß, ganz aus sich heraus und im eigenen Wirkungskreise. Daß er dafür bei Emin nicht immer Anerkennung, bei vielen anderen Haß und Neid geerntet hat, haben wir schon gesehen. Dabei hätte die Anlegung auch edlerer Kulturen, wie Reis, Kaffee und Baumwolle, durchaus nicht etwa mit den Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, an die man bei »Urbarmachung der Wildnis« zu denken geneigt ist. Als Beweis sei hier nur Junker angeführt, der während der Wartezeit bei Anfina in einem neu angelegten Garten prachtvolle Ernten erzielte und eigens betont: »Man wird aber gestehen, daß Länder, wo ohne besondere Auswahl des Platzes und ohne künstliche Bewässerung das Jahr doppelte Ernten verleiht, zweifellos zu den bevorzugteren gehören.«
An Arbeitskräften hätte es nicht gefehlt, wie ja die von Emin selbst, Junker, Casati und Hassan mehrfach erwähnten erstaunlichen Kopfzahlen der einzelnen Haushaltungen beweisen.
Aber wie aus den früher angeführten Bemerkungen Junkers zur Genüge hervorgeht, diente das massenhafte Personal, vom obersten Beamten bis zum letzten Soldaten hinunter der persönlichen Bequemlichkeit, das weibliche noch traurigeren Zwecken. Zur Arbeit fühlten die Leute keinen Trieb, und außer Hauasch war niemand da, der sie dazu anzuhalten wußte. Andererseits bewiesen gerade die Erfolge, die Hauasch erzielte, was bei tatkräftiger Durchführung im großen zu erreichen gewesen wäre. Guter oder böser Wille des »Personals« kam gar nicht in Frage, denn Hassan gibt wiederholt zu, daß diese Hausangestellten – einfach Sklaven waren.
Wie völlig es an dem Willen von oben fehlte, verrät derselbe ahnungslose Hassan, als er von seinem Besuch bei Junker in Anfina-Station erzählt, er habe des Morgens immer »als einfacher Zuschauer« den Gartenarbeiten zugesehen, mit denen sich der Forscher regelmäßig alle Vormittage beschäftigte und an denen er ein »eigenes Vergnügen« fand. »Es war spaßhaft, ihn, in Ermanglung anderer Kleider nur mit einer weiten arabischen Unterhose bekleidet, wie den ersten besten Gärtner graben, begießen und jäten zu sehen.«
Das ist so ganz orientalisch gedacht, daß es dem Manne aus Tunis hingehen mag. Denn für den Orientalen gipfelt der Begriff »Vornehmheit« in der peinlichen Unterlassung jeder körperlichen Arbeit.
Emin war ja aber kein Orientale. Er hatte in seinen Anfängen, in Antivari, sein Gärtchen immer selbst bebaut, hatte sogar noch in der ersten Zeit in Chartum, wie wir von Giegler Pascha wissen, Verrichtungen auf sich genommen, die weit eher danach angetan waren, den hohen gesellschaftlichen Abstand des Weißen zur farbigen Umgebung zu verwischen. Auch war jetzt die Provinz von jeder Verbindung abgeschnitten, ganz auf sich gestellt, wie ein Schiff in Seenot, und brauchte wahrhaftig alle Mann an Bord. Schließlich haben Junker seine Gärtnerarbeiten ja doch nicht geschadet; er blieb bis zuletzt der »Weiße«, dem mit Anstand und Ehrfurcht begegnet wurde. Und er hatte nicht nur selbst den Nutzen davon, sondern er konnte auch, wie er erzählt, »mit vollen Händen geben, während auf den Stationen Trägheit und Unverstand der Leute nur wenig schuf und alles gar karg bemessen war«. Junker schickte sogar an Emin Bey Körbe voll einheimischer Gurken, Bohnen, Tomaten u. dgl.
Für die Beamten wie für die Soldaten schien es freilich einfacher, Korn und Vieh mit Waffengewalt aus den Negerdörfern zu holen.
Doch davon erfuhr Europa nichts.
Es bleibt als letzte Frage die: was Emin von einer Hilfsexpedition erwartete oder wünschte. Die Antwort ist schwierig, weil Emin gerade hierüber sich oft widersprechend geäußert hat. An Bitten um Unterstützung hat er es nicht fehlen lassen. Doch den Gedanken, nach Osten, Westen oder Süden »abzuziehen«, hat er eben so oft erörtert. Nimmt man aus seinen Auslassungen das arithmetische Mittel, so ergibt sich zweierlei: Erstens, daß ihm durchaus nicht darum zu tun war, unter eine neue und naturgemäß straffere Oberhoheit zu kommen. Trotz allen oft bitteren Klagen über die ägyptische Scheinherrschaft fühlte er sich doch in der unbeschränkten Machtvollkommenheit sehr wohl, die sie ihm ließ. Andererseits aber klingt immer wieder die Sehnsucht durch, diese Machtvollkommenheit von fremder, stärkerer Hand wieder hergestellt zu sehen.
Der Widerspruch zwischen diesen beiden Wünschen ist nur ein scheinbarer. Gerade in dem Menschen Emin konnten sie sehr gut nebeneinander bestehen.
Wir haben früher schon erwähnt, daß es sein kennzeichnendster Wesenszug war, sich selbst und die Umwelt nicht in das richtige Verhältnis setzen zu können. Es war, wenn der Ausdruck gestattet ist, ein seelischer Sehfehler, der ihm den Blick für die Weite nahm. Es ist also sicher anzunehmen, daß Emin die ungeheure strategische Bedeutung von Äquatoria nicht erkannt hat.
Von manchen Seiten ist behauptet worden, Emin habe von den verschiedenen Kolonisationsbestrebungen der achtziger Jahre, insbesondere von den deutschen in Ostafrika, nichts gewußt, und Stanley habe sie ihm böswillig verschwiegen, um ihn für andere Zwecke einfangen zu können.
Das ist nicht wahr.
Am 3. März 1886 schreibt Emin an Professor Schweinfurth von »Andeutungen über deutsche Kolonisationsbeginne im Westen und Osten von Afrika, im pazifischen Ozean und sonstwo«.
Am 5. März 1886 an Harders in Kairo: »Was Teufel haben denn die Deutschen in Sansibar gehabt?«
Am 20. Januar 1887 endlich an Junker: »Was die Hilfe von Europa betrifft, für welche Sie freundlicherweise sich zu interessieren versprechen, so muß ich offen gestehen, daß ich mich in dieser Beziehung keinerlei Illusionen hingebe. Von Ägypten ist nichts zu erwarten. Daß andere Mächte sich schließlich zu Ausgaben veranlaßt sehen sollten, um uns zu unterstützen, liegt meiner Ansicht nach außer dem Bereiche aller Möglichkeit. Wäre unser Land no man's land, so könnte wohl eine einfache Besitzergreifung stattfinden: bis heute sind wir aber auf ägyptischem oder türkischem Boden, und wo immer es nötig wird, die Diplomatie ins Spiel zu ziehen, da ist auf befriedigende Resultate kaum zu rechnen. So fest ich davon überzeugt bin, daß Sie alles aufbieten werden, uns beizustehen, und so herzlich ich Ihnen jetzt für Ihre Anstrengungen im Interesse meiner Leute verpflichtet bin, so wenig verspreche ich mir von alledem. Die europäischen Mächte sind, wie ich aus den mir von Herrn Mackay freundlicherweise zugesandten Telegrammen und Zeitungen ersehe, anderweitig völlig in Anspruch genommen und der einzige Staat, der augenblicklich all seine Aufmerksamkeit auf Kolonialpolitik gewandt hat, Deutschland, hat meiner Meinung nach für diese Binnenländer kaum Interesse, warten wir in Geduld: Tout vient enfin à qui sait attendre.«
Die Nachrichten von Stanleys Expedition beantwortet er noch am 15. April 1887, ebenfalls an Junker, mit den Sätzen: »Kommt Stanley oder Thomson wirklich hierher, so würde dies natürlich für uns alle ein unverhoffter Glücksfall sein. Ich möchte aber schon jetzt darauf hindeuten, daß, falls wir genügend Munition zugeführt erhalten, und wir mit Uganda und Unjoro zu einem dauernden Verhältnisse bezüglich unserer Verbindungen mit der Küste kommen können, es durchaus nicht in meiner Absicht liegt, mich von hier fortzubegeben. Nach zwölfjährigem Aufenthalte gerade jetzt mich zurückzuziehen, wo für all unsere Länder eine neue Ära anzubrechen scheint, wäre unverantwortlich, und sind auch in letzter Zeit die Leute einigermaßen störrisch gewesen, ein Umstand, der jedenfalls nicht den Sudanern, sondern nur den Ägyptern zur Last fällt, so bin ich doch fest überzeugt, daß meine Leute zu mir stehen und es sehr ungern sehen würden, wollte ich sie gerade jetzt verlassen. Auch muß ich gestehen, daß ich jedenfalls in großer Verlegenheit wäre, wen ich an meine Stelle zu setzen hätte. Also sehen wir davon ab und bleiben!«
Eine Woche vorher schreibt er in einem anderen Briefe: »Unsere Länder aufgeben? Gewiß nicht!« Nach dem ersten Zusammentreffen mit Jephson aber, am 27. April 1888 trägt er in sein Tagebuch ein: »Stanley ist auf den Bergen von Njamsassi, wo er meiner wartet. Danach habe ich freilich nicht viel Hoffnungen – aber mein Entschluß ist gefaßt: Gehen werde ich nicht!« –
Nein, nein, so hart es klingen mag, es bleibt kein anderer Schluß: Emin war der Überzeugung, daß Europa sich aufmachen würde, um ihm, dem Naturforscher Dr. Emin Pascha, einen Wirkungskreis zu erhalten, an dem er übrigens, der Wahrheit die Ehre, mit echter Liebe hing. Die Selbstüberschätzung, die darin liegt, kann ihm nicht zum Vorwurf gereichen, braucht nicht einmal Wunder zu nehmen. Sie ist verständlich bei einem Mann, der in zwölfjähriger Abgeschiedenheit den Maßstab dafür verloren hatte, was er der weißen Welt bedeutete, und was diese weiße Welt ihm schuldig war. Sich selbst als Aushängeschild für tiefer reichende fremde Machtpläne zu empfinden, kam ihm sogar nach Stanleys Ankunft nicht in den Sinn. Der junge Mounteney Jephson konnte ihn darüber nicht aufklären, und Stanley wollte es zunächst nicht tun. Das tragische Mißverhältnis zwischen dem eigenen Wollen und Können ging Emin erst später auf.
Zum Schlusse wollen wir hier noch die Betrachtung anführen, die Schweitzer über Emin als Gouverneur anstellt: »Gerade diese Summe von Tugenden und Schwächen war es, die es Emin gestattet hatte, sich unter so schwierigen Verhältnissen Jahre lang über Wasser zu halten. wäre er ein Hitzkopf gewesen – wie man auch im Sudan sagt: ›Ein heißer Mann ( ragl hami) taugt nicht für den Sudan‹ – dann wäre er bald erlegen. Ein Choleriker hätte da nichts getaugt und alle Kolonialrowdies der Welt zusammen hätten das nicht zu leisten vermocht, was Emin erreicht hat. Wäre er von jener unbeugsamen Willensstärke gewesen, dem britischen Stahl (unser Stahl ist geschmeidiger, er hat nämlich etwas Gold in sich von dem Brillengold unserer Denker) gleich, hart aber brüchig, die einen Gordon beseelte, so wäre es ihm ergangen wie Lupton.«
Diese Betrachtung ist, abgesehen von ihrem Stil, der für uns ja keine Rolle spielt, geradezu das Musterbeispiel eines Fehlurteils. Es mag dahingestellt bleiben, an wen Schweitzer bei »Kolonialrowdies« denkt, dahingestellt auch, warum es Emin hätte wie Lupton ergehen sollen, wenn er von Gordons unbeugsamer Willensstärke gewesen wäre. Wir wollen lieber nach Schweitzer das Urteil zitieren, das Fürst Bismarck über Emin abgegeben hat: »Emin mag ja viel geistreicher sein als Wißmann, und ein Gelehrter ist er jedenfalls: aber wenn ich sein Profil hier hätte, so würde es sich herausstellen, daß ihm der Hinterkopf fehlt, die volle tierische Energie, auf welche man in Afrika nicht ganz verzichten kann.«