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Mentor bewegt den Idomeneus, den Protesilaus und Timokrates in die Insel Samos zu verweisen, und den Philokles zurückzurufen, um ihn wieder in seine vorige Würde bei ihm einzusetzen. Hegesippus, dem dieser Befehl übertragen wird, vollzieht ihn mit Vergnügen. Er langt mit diesen beiden Menschen in Samos an, und sieht seinen Freund Philokles wieder, der bei seiner Armuth und in seiner Einsamkeit zufrieden lebt. Er willigt nur nach langem Widerstreben ein, wieder zu den Seinigen zurückzukehren; aber, nachdem er erkannt, daß es der Götter Wille sei, geht er mit Hegesippus zu Schiffe, und langt in Salent an. Idomeneus, welcher ganz anderen Sinnes geworden, nimmt ihn huldreich auf.
A ls diese Unterredung zu Ende war, rieth Mentor dem Idomeneus, den Protesilaus und Timokrates ohne Verzug zu entfernen, und den Philokles zurückzurufen. Den König hielt nur noch eine Bedenklichkeit zurück. Er fürchtete die strenge Tugend des Philokles.
»Ich kann es nicht bergen,« sagte er, »wie sehr ich ihn auch liebe und achte, so ist mir doch ein wenig bange auf seine Zurückkunft. Von früher Jugend an bin ich an Schmeichelei und an ein eifriges Bestreben, mir zu gefallen, gewöhnt worden, und alles dies kann ich nicht hoffen, bei diesem Manne zu finden. Sobald ich etwas that, das er nicht billigte, konnte ich in seiner traurigen Miene mein Verdammungsurtheil lesen. Wenn wir allein waren, war sein Betragen gegen mich zwar ehrfurchtsvoll und bescheiden, aber zugleich kalt.«
»Siehest du nicht,« antwortete Mentor, »daß Fürsten, die die Schmeichelei verdorben hat, alles trocken und unangenehm finden, was doch nur die Wirkung edler Freimüthigkeit ist? Ihre Verblendung geht so weit, daß sie glauben, derjenige habe keinen Diensteifer, und sei ein Hasser ihres Ansehens, welcher keine knechtische Seele hat, und nicht geneigt ist, ihre Ungerechtigkeit und den Mißbrauch ihrer Macht gut zu heißen. Wer ein Wort spricht, das von freier und edler, Gesinnung zeugt, deucht ihnen stolz, tadelsüchtig und zur Empörung geneigt. Sie sind so reizbar, daß alles, was nicht Schmeichelei ist, sie verwundet und aufbringt. Aber laß uns weiter gehen. Ich setze, Philokles sei wirklich kalt und strenge in seinen Grundsätzen; ist diese Strenge nicht heilsamer, als die verderbliche Schmeichelei deiner Rathgeber? Wo wirst du einen Menschen ohne Fehler finden? Und solltest du den Fehler eines Mannes, der dir die Wahrheit mit Freimüthigkeit sagt, nicht unter allen am wenigsten fürchten? Was sage ich? Ist dieses Gebrechen nicht sogar nothwendig, deine eigenen zu heilen; und die Abneigung vor der Wahrheit zu besiegen, die dir die Schmeichelei gegeben hat? Du bedarfst eines Mannes, der nur die Wahrheit und dich liebe, der dich mehr liebe, als du dich selbst liebest, der dir die Wahrheit sage, auch wenn sie dir zuwider ist, der dein Herz bis in seine geheimsten Schlupfwinkel verfolge; und dieser unentbehrliche Mann ist Philokles. Wisse, daß ein Fürst sich glücklich zu preisen hat, wenn nur ein einziger Mensch mit einer solchen edlen Seele unter seiner Regierung geboren wird, daß er das kostbarste Kleinod des Staats ist, und daß ihn die Götter nicht strenger bestrafen können, als wenn sie ihn eines solchen Menschen berauben, weil er seinen Werth nicht einsieht, und den er nicht zu besitzen verdient.
Wenn rechtschaffene Männer auch Fehler haben, so kommt es nur darauf an, sie kennen zu lernen. Man muß sich dieser Männer aber doch bedienen. Weise sie zurecht; überlaß dich nicht blindlings ihrem unüberlegten Eifer, aber sei bereitwillig, sie zu hören. Ehre ihre Tugend; zeige der Welt, daß du ihren Werth nicht verkennest, Vor allem aber hüte dich vor den Fehltritten, die du bisher begangen hast. Verwöhnte Fürsten, wie du einer warst, begnügen sich, schlechte Menschen zu verachten, aber sie gebrauchen sie dennoch, schenken ihnen ihr Vertrauen, und überhäufen sie mit Wohlthaten. Auf der andern Seite wollen sie auch das Ansehen haben, die Rechtschaffenen zu kennen, aber sie schränken sich auf ein unbedeutendes Lob ihrer Vorzüge ein, sie ertheilen ihnen keine Aemter, sie würdigen sie nicht ihres vertrauten Umgangs, sie lassen ihnen keine Wohlthaten zufließen.«
Idomeneus gestand jetzt, daß er beschämt sei, so lange gewartet zu haben, die unterdrückte Unschuld zu befreien, und diejenigen zu bestrafen, die ihn hintergangen hätten. Und nun kostete es Mentorn keine Mühe mehr, den König zu bewegen, seinen Günstling zu verstoßen.
»Denn hat man es nur so weit gebracht, den Fürsten ihre Lieblinge verdächtig und verhaßt zu machen, so werden sie ihrer sogleich müde; ihre Gegenwart setzt sie in Verlegenheit, und sie säumen nicht, sich von ihnen los zu machen; die Freundschaft hat ein Ende, alle Dienste sind vergessen, der Liebling fällt unbedauert; man eilt, ihn aus seinen Augen zu entfernen.«
Sogleich gab der König dem Hegesippus, einem der ersten Hofbedienten, geheimen Befehl, den Protesilaus und Timokrates in Verhaft zu nehmen, und sie unter sicherer Begleitung nach der Insel Samos zu bringen, sie daselbst zu lassen, und Philokles aus dem Orte seiner Verbannung zurückzuführen
Hegesippus, von diesem Befehl überrascht, konnte sich nicht erwehren, Freudenthränen zu vergießen.
»Wie glücklich,« sagte er zum König, »wirst du deine Unterthanen machen! Dein ganzes Unglück, alle Leiden deines Volks rührten von diesen beiden Menschen her. Zwanzig Jahre lang zwangen sie alle Rechtschaffenen zu seufzen, und kaum wagte man, seine Seufzer laut werden zu lassen, so grausam war der Druck, unter dem man lebte. Sie verfolgten alle diejenigen, welche es versuchten, ohne ihre Vermittlung Zutritt zu dir zu finden.«
Jetzt entdeckte Hegesippus dem König eine Menge treuloser und unmenschlicher Handlungen, welche diese zwei Menschen begangen hatten, und die dem König unbekannt geblieben waren, weil es niemand gewagt hatte, sie anzuklagen. Auch erzählte er ihm, was er von einer geheimen Verschwörung gegen Mentors Leben gehört habe. Mit Entsetzen vernahm der König alle diese Dinge.
Hegesippus säumte nicht, den Protesilaus in seinem Palaste zu ergreifen. Er war nicht von so großem Umfange, aber weit bequemer und anmuthiger, als der Palast des Königs und in einem bessern Geschmack aufgeführt. Die Kosten, mit welchen Protesilaus ihn ausgeschmückt hatte, waren von den Unglücklichen erpreßt. Er befand sich gerade damals in einem marmornen Saal neben seinen Bädern, nachlässig ausgestreckt auf einem Ruhebette von Purpur mit goldenem Stickwerk. Er schien müde und erschöpft von seinen Arbeiten. Seine Augen und seine Augenbraunen zeigten etwas Unruhiges, Finsteres und Wildes. Die Großen des Reichs saßen auf Teppichen rund um ihn her. Ihre Mienen richteten sich nach den seinigen. Der kleinste Wink seiner Augen entging ihnen nicht. Kaum öffnete er den Mund, so brachen schon alle in laute Bewunderung dessen aus, was er zu sagen im Begriffe war. Einer der Angesehensten der Versammlung erinnerte den Protesilaus mit lächerlicher Uebertreibung an seine dem König geleisteten Dienste. Ein anderer wollte ihn glauben machen, daß Jupiter seine Mutter getäuscht, und ihm das Leben gegeben habe, und daß er ein Abkömmling des Vaters der Götter sei. Ein Dichter sagte ihm Verse her, deren Inhalt war, daß Protesilaus, von den Musen unterwiesen, es dem Apoll an Werken des Geistes gleich gethan habe. Ein anderer Dichter trieb seine Kriecherei und Schamlosigkeit noch weiter, und nannte ihn in seinem Gedichte den Erfinder der schönen Künste und den Vater des Volks, das er glücklich mache. Er stellte ihn vor, das Füllhorn in der Hand haltend.
Protesilaus hörte alle diese Lobsprüche mit gleichgültiger, zerstreuter und verächtlicher Miene an, als ein Mensch, der überzeugt ist, daß er noch größere verdiene, und demjenigen eine Gnade erweise, von dem er sich loben lasse. Ein Schmeichler wagte es, ihm etwas in das Ohr zu flüstern; es war ein lustiger Einfall über die neue Ordnung, die Mentor im Staate einführen wollte. Protesilaus lächelte, die ganze Versammlung lachte mit, obgleich die Wenigsten wissen konnten, was gesagt worden war. Aber da Protesilaus gleich wieder seine ernste und trotzige Miene annahm, so kehrte auch jeder wieder zur Furcht und zum Stillschweigen zurück. Viele der angesehensten Personen sahen dem Augenblick mit Sehnsucht entgegen, wo Protesilaus sich gegen sie wenden, und sie anhören würde; sie schienen furchtsam und verlegen zu sein. Ihre demüthige Stellung zeigte, daß sie gekommen waren, eine Gnade von ihm zu erbitten. Sie glichen an Unterwürfigkeit einer Mutter, die, vor die Altäre der Götter hingeworfen, die Unsterblichen um die Genesung ihres einzigen Kindes ansieht. Alle schienen zufrieden und mit Liebe und Bewunderung gegen Protesilaus erfüllt zu sein, obgleich in ihren Herzen unversöhnlicher Haß gegen ihn wohnte.
In diesem Augenblick trat Hegesippus herein, bemächtigte sich des Schwertes des Protesilaus, und kündigte ihm im Namen des Königs an, daß er nach der Insel Samos gebracht werden sollte. Bei diesen Worten sank der Trotz des Günstlings, wie ein Felsen sinkt, der sich vom Gipfel eines steilen Berges losreißt. Zitternd wirft er sich dem Hegesippus zu Füßen; er weint, er sucht Worte, seine Zunge stammelt, er bebt, er umfaßt die Knie eines Mannes, den er eine Stunde vorher keines Blickes gewürdigt hatte. Alle, die ihn vergöttert hatten, gingen, da sie ihn ohne Rettung verloren sahen, von den Schmeicheleien zu den unbarmherzigsten Verwünschungen über.
Hegesippus erlaubte ihm nicht, weder den Seinigen das letzte Lebewohl zu sagen, noch gewisse geheime Papiere zur Hand zu nehmen. Man bemächtigte sich derselben, und überbrachte sie dem König. Timokrates wurde zu gleicher Zeit in Verhaft genommen. Er gerieth in das größte Erstaunen, denn da er mit Protesilaus zerfallen war, glaubte er nicht, sein unglückliches Schicksal theilen zu müssen. Man brachte sie auf ein Schiff, das schon für sie bereit lag. Sie reisten ab. Man langte in Samos an, Hegesippus ließ diese zwei Unglücklichen daselbst, und um ihr Unglück vollkommen zu machen, ließ er sie beisammen. Von Wuth ergriffen, warfen sie sich hier die Verbrechen vor, die sie begangen, und die ihren Fall bewirkt hatten. Hier lebten sie ohne Hoffnung, Salent je wiederzusehen, verurtheilt, fern von ihren Weibern und Kindern ihr Dasein hinzubringen: ich sage nicht, fern von ihren Freunden, denn sie hatten keine. Man hatte sie in ein fremdes Land gebracht, wo sie kein anderes Mittel hatten, ihr Leben zu erhalten, als ihre Arbeit; sie, die so viele Jahre im Vergnügen und in stolzer Ueppigkeit gelebt hatten. Sie glichen zwei wilden Thieren, immer bereit, einander zu zerreißen.
Jetzt erkundigte sich Hegesippus, an welchem Orte der Insel Philokles lebe. Man sagte ihm, daß er fern von der Stadt auf einem Berge wohne, wo ihm eine Grotte zum Aufenthalt diene. Jedermann sprach mit Bewunderung von diesem Fremdling. Seitdem er auf der Insel lebt, sagte man, hat er Niemand beleidigt. Alles bewundert seine Geduld, seinen Fleiß, seine Seelenruhe. Obgleich arm, scheint er doch immer zufrieden zu sein. Von allen Geschäften entfernt, ohne Vermögen, ohne Ansehen, weiß er doch alle diejenigen zu verbinden, die es verdienen, und es fehlt ihm nicht an tausend sinnreichen Mitteln, seinen Nachbaren Vergnügen zu machen.
Hegesippus näherte sich dieser Grotte. Er fand sie offen und leer; denn bei der Armuth und Einfalt, worin Philokles lebte, brauchte er sie beim Weggehen nicht zu verschließen. Eine grobe Matte von Schilf diente ihm zum Lager. Selten zündete er Feuer an, weil er nichts Gekochtes aß. Im Sommer nährte er sich von den Früchten, die er frisch vom Baume pflückte, im Winter von getrockneten Datteln und Feigen. Eine klare Quelle, die weiß beschäumt vom Felsen herabfiel, stillte seinen Durst. Seine Grotte enthielt nichts, als die zur Bildhauerei nöthigen Werkzeuge und einige Bücher, die er zu gewissen Stunden las, nicht um seinen Geist zu schmücken, oder seine Neugierde zu befriedigen, sondern beim Ausruhen von seiner Arbeit sich zugleich zu unterrichten, und zur Tugend zu bilden. Die Bildhauerkunst trieb er nur, seinen Körper zu üben, dem Müßiggange zu entgehen, seinen Unterhalt zu gewinnen, und der Hülfe anderer entbehren zu können.
Hegesippus bewunderte bei seinem Eintritt in die Grotte die angefangenen Arbeiten. Er bemerkte einen Jupiter, aus dessen heiterm Antlitz eine solche göttliche Hoheit strahlte, daß man hieran leicht den Vater der Götter und Menschen erkannte. Dort erblickte er einen Mars, den wilder trotziger Muth bezeichnete. Aber was am stärksten auf ihn wirkte, war eine Minerva, welche die Künste aufmunterte. Aus ihrem Angesichte leuchtete Anmuth und Würde. Ihre Leibesgestalt war groß und ungezwungen. Ihre Stellung athmete so viel Leben, daß man glaubte, sie wolle sich bewegen.
Nachdem Hegesippus diese Bildsäulen mit Vergnügen betrachtet hatte, ging er aus der Höhle und erblickte den Philokles von weitem unter einem großen Baum. Er saß auf dem Rasen und las in einem Buche. Er ging auf ihn zu. Philokles ward ihn gewahr und wußte nicht, was er von dieser Erscheinung denken sollte.
»Ist dies nicht,« sagte er bei sich selbst, »Hegesippus, mit dem ich so lange in Kreta gelebt habe? Aber wie unwahrscheinlich, daß er in diese entlegene Insel kommen sollte. Sollte es sein Schatten sein? Ist er todt und kommt er von den Ufern des Styx?«
Indem er in dieser Ungewißheit war, kam ihm Hegesippus so nahe, daß er ihn erkennen mußte. Er umarmte ihn.
»Bist du es,« sagte er zu ihm, »mein trauter, alter Freund? Welcher Zufall, welcher Sturm hat dich an dieses Gestade geworfen? Warum hast du Kreta verlassen? Hat dich ein Unglück, ähnlich dem meinigen, unserm Vaterlande entrissen?«
Hegesippus antwortete:
»Kein Unglück, nein, die Gunst der Götter führt mich hierher.«
Und nun erzählte er ihm die langwierige Tyrannei des Protesilaus, die heimlichen Ränke, die er mit Timokrates gespielt, das Unglück, in welches er den Idomeneus gestürzt, den Fall dieses Fürsten, seine Flucht nach den Küsten von Hesperien, die Gründung der Stadt Salent, die Ankunft Mentors und Telemach's daselbst, die weisen Grundsätze, die jener dem König eingeflößt und den Sturz dieser zwei Verräther. Er fügte hinzu, daß er sie nach Samos gebracht habe, damit sie hier in eben der Verbannung lebten, die sie dem Philokles zugezogen hätten, und er endigte damit, daß er ihm sagte, daß er Befehl habe, ihn nach Salent zurückzubringen, und daß der König seine Unschuld erkannt habe, ihm seine Geschäfte anvertraue, und ihn glücklich machen wolle.
»Siehst du,« erwiederte Philokles, »jene Höhle, die eher gemacht scheint, der Aufenthalt wilder Thiere zu sein, als von menschlichen Wesen bewohnt zu werden. Hier habe ich schon so lange Jahre mehr Annehmlichkeit und Ruhe genossen, als in den vergoldeten Palästen Kreta's. Die Menschen können mich nicht mehr hintergehen, denn ich habe keinen Umgang mehr mit ihnen, ich höre nicht mehr ihre glatten, vergifteten Worte. Auch bedarf ich ihrer nicht mehr. Meine Hände, zur Arbeit abgehärtet, verschaffen mir leicht die einfache Nahrung, die ich brauche. Ich habe, wie du siehst, nur ein leichtes Stück Zeug zu meiner Bedeckung vonnöthen. Ohne Bedürfnisse einer tiefen Ruhe, einer süßen Freiheit genießend, wovon meine Bücher mich einen guten Gebrauch machen lehren, was sollte ich sonst noch unter den mißgünstigen, heuchlerischen und wankelmüthigen Menschen suchen? Nein, trauter Hegesippus, beneide mir mein Glück nicht. Protesilaus ist an sich selbst zum Verräther geworden, indem er den König verrieth und mich ins Verderben stürzen wollte; aber er hat mir kein Uebel zugefügt; im Gegentheil, er hat mir die größte aller Wohlthaten erwiesen. Er hat mich aus dem Gewirr und der Dienstbarkeit des geschäftigen Lebens befreit. Ich habe ihm meine liebe Einsamkeit und die schuldlosen Vergnügungen zu danken, die ich genieße.
Kehre zum König zurück, mein Hegesippus, kehre zu ihm zurück. Hilf ihm die Lasten tragen, die seine Größe ihm auflegt; sei du ihm, was du wünschest, daß ich ihm sein möchte. Da ihm dieser Weise, den du Mentor nennest, endlich die Augen geöffnet hat, die der Wahrheit so lange verschlossen waren, so behalte er diesen Mann bei sich. Wie sollte ich mich entschließen können, den Hafen wieder zu verlassen, in welchen mich der Sturm nach erlittenem Schiffbruch so glücklich geführt hat, und mich aufs Neue wieder den Winden anzuvertrauen? Wie sehr sind die Fürsten zu bedauern; und wie sehr verdienen diejenigen, welche in ihrem Dienste sind, unser Mitleiden! Wenn sie böse sind, wie unglücklich machen sie die Menschen, und welche Strafen warten ihrer in dem schwarzen Tartarus! Wenn sie gut sind, mit welchen Schwierigkeiten haben sie zu kämpfen, welche Fallstricke zu vermeiden, welche Mühseligkeiten zu erdulden! Noch einmal, Hegesippus, mißgönne mir meine glückliche Armuth nicht.«
Indeß Philokles diese Worte mit lebhafter Bewegung sprach, betrachtete ihn Hegesippus mit Verwunderung. Er hatte ihn einst in Kreta gesehen, wo ihm die wichtigsten Geschäfte anvertraut waren. Damals war er abgezehrt, entkräftet, erschöpft. Sein feuriger unbiegsamer Geist, seine Anstrengungen nützten seinen Körper ab. Es war ihm unerträglich, das Laster ungestraft zu sehen. Er forderte eine Pünktlichkeit in den Geschäften, die man vergebens sucht. So wurde seine schwache Gesundheit durch seine Arbeiten zerstört. Aber in Samos sah ihn Hegesippus stark, kraftvoll. Trotz seiner Jahre blühte die Jugend wieder auf seinem Gesichte. Seine Mäßigkeit, sein ruhiges und arbeitsames Leben hatten ihm gleichsam eine andere Natur gegeben.
»Du wunderst dich, mich so verändert zu sehen,« sagte Philokles lächelnd; »meiner Einsamkeit habe ich diese frische Farbe, diese vollkommene Gesundheit zu danken. Was das höchste Glück mir nicht hatte geben können, ist mir durch meine Feinde zu Theil geworden. Wolltest du wohl, daß ich den wahren Gütern des Lebens entsagte, um nach falschen zu laufen? Daß ich mich wieder in meine vorigen Mühseligkeiten stürzte? Sei nicht grausamer gegen mich, als Protesilaus, wenigstens beneide mir das Glück nicht, das er mir verschaffte.«
Vergebens stellte ihm Hegesippus alles vor, was er glaubte, das ihn rühren könnte.
»Hat denn das Vergnügen,« sagte er zu ihm, »deine Verwandten und Freunde wiederzusehen, die deiner Zurückkunft so sehnlich harren, und die schon die Hoffnung, dich wieder zu umarmen, in Entzücken setzt, keinen Reiz für dich? Du fürchtest die Götter, du ehrest deine Pflicht; rührt der Gedanke dein Herz nicht, deinem Könige zu dienen, sein Gehülfe bei Ausführung seiner edlen Zwecke zu sein, und so viele Menschen glücklich zu machen? Ist es erlaubt, sich einer einsiedlerischen Weisheit zu überlassen, sich selbst dem ganzen menschlichen Geschlechte vorzuziehen, und seine Gemächlichkeit mehr zu lieben, als das Glück seiner Mitbürger? Wird man nicht glauben, daß du aus Groll dich weigerst, zu Idomeneus zurück zu kehren? Wenn er dir Unrecht gethan hat, so geschah es, weil er dich nicht kannte. Nicht den wahrheitliebenden, den biedern, den gerechten Philokles wollte er unglücklich machen; seine Strafe sollte einen ganz andern treffen. Aber jetzt, da er dich kennt, da du ihm in deiner wahren Gestalt erscheinst, jetzt fühlt sein Herz ganz wieder die alte Freundschaft für dich. Er harrt deiner. Schon streckt er seine Arme nach dir aus, um dich an seine Brust zu drücken. Ungeduldig, dich zu erblicken, zählt er Tage und Stunden. Sollte dein Herz verhärtet genug sein, den Bitten deines Königs, den Wünschen deiner zärtlichsten Freunde zu widerstehen?«
Philokles, dessen Herz Anfangs sanfte Bewegungen gefühlt hatte, als er den Hegesippus erkannte, nahm bei Anhörung dieser Worte wieder seine ernste Miene an. Einem Felsen ähnlich, gegen den die Winde vergeblich anstürmen, und an dem die Wogen sich mit ächzendem Getöse brechen, stand er unbeweglich, und weder Bitten noch Gründe fanden einen Eingang in sein Herz. Schon begann Hegesippus die Hoffnung aufzugeben, ihn zu bewegen, als Philokles die Götter befragte. Er ersah aus dem Fluge der Vögel, den Eingeweiden der Opferthiere und vielen andern Zeichen, daß es ihr Wille sei, daß er dem Hegesippus folge.
Jetzt widerstand er nicht länger. Er rüstete sich zur Abreise. Aber nicht ohne die traurigsten Empfindungen verließ er die Einöde, in der er so lange Jahre gelebt hatte.
»Ach!« seufzte er, »muß ich dich verlassen, liebliche Grotte, wo der friedliche Schlummer mich jede Nacht besuchte, wo ich von der Arbeit des Tages so sanft ausruhte! Hier mitten in meiner Armuth spannen die Parzen meinem Leben goldene und seidene Fäden.«
Weinend warf er sich zur Erde, um die Najade anzubeten, die ihn so lange aus ihrer klaren Quelle getränkt hatte, und die Nymphen, die die nahen Berge bewohnten. Echo hörte seine Klagen, und wiederholte sie in traurigen Tönen den Göttern des Feldes.
Philokles folgte dem Hegesippus in die Stadt, um sich mit ihm einzuschiffen. Er glaubte, daß Scham und Unwille den unglücklichen Protesilaus bewegen würden, seinen Anblick zu vermeiden; aber er täuschte sich; denn verworfene Menschen sind ohne Ehrgefühl, und immer zu jeder Niederträchtigkeit bereit. Philokles entzog sich bescheiden den Augen dieses Unglücklichen. Er fürchtete seine Leiden zu vermehren, wenn jener die Glückseligkeit eines Feindes erblickte, der auf den Trümmern seines Glücks erhoben werden sollte. Aber Protesilaus drängte sich zu Philokles. Er hoffte, sein Mitleid zu erregen, und ihn zu bewegen, bei dem Könige seine Rückkehr nach Salent zu vermitteln.
Philokles war allzu aufrichtig, um ihm zu versprechen, an seiner Zurückberufung zu arbeiten, denn niemand wußte besser, als er, wie verderblich seine Zurückkunft gewesen wäre. Aber er sprach sehr freundlich mit ihm, bezeigte ihm sein Mitleid, bemühte sich, ihn zu trösten, und ermahnte ihn, die Götter durch ein tugendhaftes Leben und durch Geduld in seinen Leiden zu versöhnen. Da er erfuhr, daß der König dem Protesilaus alle seine mit Unrecht erworbenen Güter genommen habe, versprach er ihm zweierlei, was er in der Folge treulich hielt: für sein Weib und seine Kinder zu sorgen, die in Salent in der bittersten Armuth lebten, und dem allgemeinen Unwillen Preis gegeben waren, und dem Protesilaus in diese entlegene Insel einiges Geld zu senden, um ihm seinen unglücklichen Zustand erträglicher zu machen.
Ein günstiger Wind füllte die Segel. Hegesippus, voll Ungeduld, beschleunigte die Abreise des Philokles. Protesilaus sah ihn zu Schiffe gehen. Seine Augen waren unbeweglich auf das Ufer geheftet; sie folgten dem Schiff, das die Wogen theilte, und das der Wind immer weiter entfernte. Jetzt sah er den Hegesippus nicht mehr, aber noch stand sein Bild vor ihm. Betäubt, von Wuth und Verzweiflung ergriffen, rauft er sich die Haare aus, wälzt sich auf der Erde, klagt die Strenge der Götter an, ruft den Tod, der unerbittlich und taub gegen sein Flehen ist. Er kommt nicht, ihn von seinem Elend zu befreien, und er selbst hat nicht den Muth, seinem unglücklichen Leben selbst ein Ende zu machen.
Das Schiff, von Wind und Wellen begünstigt, langte bald in Salent an. Man meldete dem König, daß es in den Hafen einlaufe. Sogleich erhob er sich, dem Philokles mit Mentorn entgegen zu gehen. Liebreich schloß er ihn in seine Arme und bezeigte eine lebhafte Reue über seine ungerechte Verfolgung. Dieses Geständniß, weit entfernt bei dem König als eine Schwachheit zu erscheinen, wurde von allen Salentinern als die Wirkung einer großen Seele angesehen, die sich über sich selbst erhebt, den Muth hat, ihre begangenen Fehler zu bekennen, und sie wieder gut zu machen. Allen Augen entquollen Thränen der Freude, als sie den rechtschaffenen Mann, den Menschenfreund wieder erblickten, und ihren König mit so viel Weisheit und Güte sprechen hörten.
Ehrfurchtsvoll und bescheiden empfing Philokles diese Liebesbeweise des Königs. Er eilte, sich dem Zujauchzen des Volks, zu entziehen. Er folgte dem König in seinen Palast. Bald faßten Mentor und er ein solches Zutrauen zueinander, als ob sie ihr ganzes Leben mit einander zugebracht hatten, wiewohl sie sich vorher nie gesehen hatten: denn die Götter, die den Lasterhaften die Gabe versagt haben, die Guten zu unterscheiden, haben den Tugendhaften die Einsicht verliehen; sich gegenseitig zu erkennen. Die Tugend schlingt um alle diejenigen, die Geschmack an ihr finden, das Band der Eintracht.
Bald nach seiner Ankunft bat Philokles den König um die Erlaubniß, sich an einen einsamen Ort nahe bei Salent zurückziehen zu dürfen, wo er das einfache Leben fortsetzte, das er in Samos geführt hatte. Der König und Mentor besuchten ihn fast alle Tage in seiner Einsamkeit. Hier besprachen sie sich über die Mittel, den Gesetzen Kraft und dem Staate eine solche Einrichtung zu geben, wodurch das allgemeine Glück gesichert würde.
Die zwei hauptsächlichsten Gegenstände, über die man zu Rathe ging, betrafen die Erziehung der Kinder und die Art und Weise, wie ein Staat im Frieden regiert werden müßte.
»Die Kinder,« sagte Mentor, »sind weniger das Eigenthum ihrer Aeltern, als des Staats. Sie sind die Kinder des Volks, seine Hoffnung, seine Stärke. Es ist zu spät, sie bessern zu wollen, wenn sie einmal verdorben sind. Was nützt es, sie von den Aemtern zu entfernen, wenn man sieht, daß sie sich derselben unwürdig gemacht haben? Besser ist es, dem Uebel zuvor zu kommen, als in die Nothwendigkeit gesetzt zu sein, es strafen zu müssen. Der König,« fuhr er fort, »der der Vater seines ganzen Volks ist, ist noch auf eine nähere Weise der Vater der Jugend seines Staats. Sie ist die Blüthe der Nation. Man muß für die Blüthe sorgen, wenn die Frucht reifen soll. Der König hielt es also nicht unter seiner Würde, für die Erziehung der Kinder zu wachen, und auch andere dafür wachen zu lassen. Er hielt fest darüber, daß Gesetze des Minos beobachtet würden, welche verordnen, daß man die Kinder gewöhne, den Schmerz und den Tod für kein Uebel zu halten, daß sie eine Ehre darein setzten, die Wollüste und die Reichthümer zu fliehen, Ungerechtigkeit, Lüge,Undank und Ueppigkeit für entehrende Laster zu halten, daß man sie von zarter Kindheit an lehre, das Lob jener von den Göttern geliebten Helden zu singen, welche im Dienste des Vaterlandes edle Thaten verrichtet, und ihren Muth in den Schlachten gezeigt haben, daß man durch den Zauber der Musik auf ihre Seelen wirke, um ihre Sitten zu verfeinern und zu veredeln, daß man ihnen Zärtlichkeit gegen ihre Freunde, Treue gegen ihre Bundesgenossen, Billigkeit gegen alle Menschen und selbst gegen ihre grausamsten Feinde einflöße, und sie gewöhne, die leisesten Vorwürfe ihres Gewissens mehr zu fürchten, als Marter und Tod. Wenn man durch die Anmuth des Gesangs diesen Gesinnungen frühzeitig Eingang in die Herzen der Kinder verschafft, und sie damit erfüllt, so werden nur wenige sein, welche nicht von Ruhmbegierde und Tugendliebe entflammt werden sollten.«
Mentor bemerkte, daß es von äußerster Wichtigkeit sei, öffentliche Anstalten zu haben, wo die Jugend zu den beschwerlichsten Leibesübungen gewöhnt würde, um sie der Weichlichkeit und dem Müßiggange zu entreißen, welche die schönsten Anlagen zerstören. Er glaubte, daß man eine große Mannigfaltigkeit von Spielen aller Art haben müsse, um das Volk aufzumuntern, vor allem aber, um die Körper gewandt, biegsam und stark zu machen. Preise wurden ausgesetzt, um einen edlen Wetteifer zu erregen. Aber nichts schien ihm zuträglicher zur Beförderung guter Sitten, als wenn sich die Jünglinge frühzeitig vermählten, und ihre Aeltern mit Unterdrückung aller eigennützigen Absichten ihnen gestatteten, solche Gattinnen zu wählen, die an Körper und Geist liebeswürdig wären; und zu denen sie eine, wahre Zuneigung fassen könnten.
Aber während man sich so mit den Mitteln beschäftigte, bei der Jugend Reinheit der Sitten, Unschuld, Arbeitsamkeit, Gehorsam und Ehrliebe zu erhalten, sagte Philokles, der den Krieg liebte, zu Mentorn:
»Umsonst wirst du die Jugend zu allen diesen Uebungen anhalten, wenn du ihre Kräfte in einem fortdauernden Frieden erschlaffen lässest, wo sie keine Gelegenheit, sich kriegerische Kenntnisse zu erwerben, und keine Antriebe haben, ihre Tapferkeit zu versuchen. Dadurch wird das Volk unvermerkt in einen Zustand der Entkräftung fallen, der Muth wird sich abstumpfen, die Vergnügungen werden die Sitten zu Grunde richten. Andere kriegerische Völker werden uns ohne Mühe unterjochen, und, indem wir den Uebeln entgehen wollen, welche der Krieg mit sich führt, werden wir in die schrecklichste Knechtschaft gerathen.«
»Die Uebel des Kriegs,« erwiederte Mentor, »sind noch weit schauderhafter, als du dir vorstellst. Der Krieg erschöpft einen Staat, und setzt ihn auch dann der Gefahr aus, zu Grunde zu gehen, wenn er auch noch so siegreich geführt wird. So glücklich er auch beginnen, mag, nie ist man gewiß, ihn zu endigen, ohne den traurigen Wechsel des Glückes zu erfahren. Mit welcher Ueberlegenheit von Kräften man sich auch in eine Schlacht einläßt, das geringste Versehen, ein leerer Schrecken kann uns den Sieg entreißen, der schon in unsern Händen war, und ihn dem Feinde zuführen. Und wüßten wir ihn auch mit Ketten an unser Heer zu fesseln, so würden wir uns doch selbst zerstören, indem wir unsere Feinde zerstörten. Das Land wird entvölkert, der Anbau des Bodens vernachlässigt, der Handel gestört. Aber was noch weit schlimmer ist, die besten Gesetze verlieren ihre Kraft, und die Sitten gehen zu Grunde. Die Jugend verliert den Geschmack an den Wissenschaften. Die dringende Noth zwingt uns, eine verderbliche Zügellosigkeit in dem Heere zu dulden. Gerechtigkeit, Ordnung, alles leidet in dieser Verwirrung. Ein Fürst, der das Blut so vieler Menschen verspritzt, und so vieles Elend verursacht, damit er ein wenig Ruhm erwerbe, oder die Gränzen seines Reichs erweitere, ist des Ruhmes unwürdig, nach dem er strebt, und verdient, auch das zu verlieren, was er besitzt, weil er an sich zu reißen suchte, worauf er keine Ansprüche hat.
Das Mittel, den Muth eines Volkes auch im Frieden zu üben, besteht in Folgendem: Wir haben schon von den Leibesübungen gesprochen, welche eingeführt werden sollen, von den Preisen zu Erweckung der Nacheiferung, von den Grundsätzen der Ehre und der Tugend, die wir unsern Kindern fast von der Wiege an einflößen, indem wir sie die rühmlichen Thaten der Helden singen lassen. Füge zu diesen Anstalten noch ein nüchternes und arbeitsames Leben. Aber dies ist noch nicht alles. Wenn ein mit dir verbündetes Volk einen Krieg zu führen hat, mußt du die Blüthe deiner jungen Mannschaft an diesem Kriege Theil nehmen lassen, vor allem diejenigen, bei welchen man Anlagen zur Kriegskunst entdecken wird, und von welchen zu vermuthen ist, daß sie Nutzen aus ihren Erfahrungen ziehen werden. Hierdurch wirst du dich immer in einem hohen Ansehen bei deinen Bundesgenossen erhalten; man wird sich um deine Freundschaft bemühen, man wird sich fürchten, sie zu verlieren. Ohne selbst Krieg zu haben, und ihn auf deine Kosten führen zu müssen, wird es dir nie an kriegerischen und unerschrockenen Jünglingen fehlen. Aber wenn du auch gleich selbst keinen Krieg zu führen hast, mußt du doch nicht unterlassen, diejenigen auf eine ehrenvolle Art zu behandeln, welche die dazu erforderliche Geschicklichkeit besitzen. Denn, das wahre Mittel, den Krieg von sich zu entfernen, und einen dauerhaften Frieden zu erhalten, ist, die Uebung in den Waffen nicht zu vernachlässigen, diejenigen zu ehren, die sie zu führen verstehen, immer Männer zu besitzen, die sich in fremden Ländern in der Kriegskunst geübt haben, und welche die Macht der Nachbarvölker, ihre Kriegszucht und die ganze Art ihres Kriegens kennen, endlich andern zu zeigen, daß man gleich unfähig sei, einen Krieg aus Ehrgeiz anzufangen, als ihn aus Feigheit zu fürchten. Auf diese Weise, indem man immer in der Verfassung ist, den Krieg führen zu können, wenn es die Noth erfordert, gelangt man dahin, desselben fast immer überhoben zu sein.
Wenn deine Bundesgenossen im Begriffe sind, einander zu bekriegen, so mußt du der Mittler zwischen ihnen werden. Dies wird dir einen dauerhaftern Ruhm verschaffen, als ein Eroberer je erlangen kann. Fremde Völker werden dich lieben und schätzen; du wirst ihnen allen unentbehrlich sein. Durch Zutrauen wirst du über ihre Gemüther herrschen, wie du durch dein königliches Ansehen über deine Unterthanen herrschest. Du wirst immer der Vertraute ihrer Geheimnisse, der Gewährsmann ihrer Verträge und der Gebieter über ihre Herzen sein. Dein Ruhm wird die entferntesten Länder erreichen, gleich einem süßen Geruch wird er sich über alle Völker verbreiten. Solltest du unter diesen Umständen von einem ungerechten Nachbar angefallen werden, so wird er dich gerüstet und geübt finden. Aber deine wahre Stärke wird darin bestehen, daß du geliebt bist, und daß du des Beistandes der andern versichert sein kannst. Für dich besorgt, werden sich alle deine Nachbarn erheben, überzeugt, daß die allgemeine Sicherheit von deiner Erhaltung abhange. Dies ist eine weit zuverlässigere Schutzwehr, als alle Mauern deiner Stadt, als die festesten Plätze. Dies ist wahrer Ruhm. Aber wenige Fürsten gibt es, die diesen Ruhm suchen, und die nicht einem ganz andern nachjagen! Sie verfolgen einen trüglichen Schatten, und entfernen sich von der wahren Ehre, die sie nicht kennen.«
Als Mentor geendigt hatte, blickte Philokles mit Erstaunen auf ihn. Er sah den König an, und wurde mit Entzücken gewahr, daß Idomeneus begierig alle Worte in seinem Herzen verschloß, die wie ein Strom der Weisheit dem Munde dieses Fremdlings entflossen.
So führte Minerva, Mentors Gestalt nachahmend, weise Gesetze und nützliche Regierungsgrundsätze in Salent ein, nicht sowohl, dem Reiche des Idomeneus blühenden Wohlstand zu verschaffen, als dem Telemach, wenn er zurückkäme, an einem auffallenden Beispiele zu zeigen, was eine weise Regierung thun könnte, ein Volk glücklich zu machen, und einem guten Könige einen unvergänglichen Ruhm zu sichern.