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Venus, stets von Groll gegen Telemach entbrannt, verlangt seinen Untergang von Jupitern, aber da das Verhängnis nicht gestattete, daß er umkäme, geht die Göttin zu Neptun, um mit ihm über die Mittel zu rathschlagen, ihn von Ithaka zu entfernen, wohin Adoam ihn führte. Sie bedienen sich einer täuschenden Gottheit, den Piloten Athamas zu hintergehen, der, wähnend in Ithaka anzulangen, mit vollen Segeln in den Hafen der Salentiner einläuft. Ihr König Idomeneus empfängt Telemach in seiner neuen Stadt, wo er eben Anstalt zu einem Opfer für Jupiter machte, damit dieser ihm in einem Kriege gegen die Mandurier Glück verleihen möchte. Der Opferpriester befragt die Eingeweide der Opferthiere, läßt Idomeneus den glücklichsten Erfolg hoffen, und verkündet ihm, daß er sein Glück seinen zwei neuen Gastfreuden zu danken haben werde.
S o sprachen Telemach und Adoam, vergaßen des Schlafes und merkten nicht, daß die Nacht ihren Lauf schon halb geendigt hatte, und eine feindliche und täuschende Gottheit sie von Ithaka entfernte, das Athamas, ihr Pilot, vergebens zu finden sich bemühte. Neptun, wie sehr er die Phönizier auch liebte, vermochte es nicht länger zu ertragen, daß Telemach dem Sturme entronnen war, der ihn an Kalypso's Felsen geschleudert hatte. Venus zürnte noch heftiger, da sie sah, wie dieser Jüngling sich seines Sieges über die Liebe und alle ihre Reizungen triumphirend erhob. Schmerzlich bekümmert verließ sie Cythera, Paphos und Idalium, und achtete nicht mehr der Opfer, die ihr in Cypern dargebracht wurden. Nicht länger vermochte sie, da zu weilen, wo Telemach ihrer Macht gespottet hatte. Sie schwang sich empor zum strahlenden Olymp, wo die versammelten Götter Jupiters Thron umgaben. Von dieser Höhe sehen sie die Gestirne unter ihren Füßen sich wälzen. Der Erdball erscheint ihnen als ein Klümpchen Erde; die unendlichen Meere als Wassertropfen, die dieses Klümpchen ein wenig benetzen. Die größten Reiche liegen unter ihren Augen da, wie ein wenig Sand, der die Oberfläche dieses Klümpchens bedeckt. Die zahllosen Völker und die gewaltigsten Heere dünken ihnen Ameisen, die sich um Grashalme darauf streiten. Die Unsterblichen lachen der wichtigsten Angelegenheiten, die die schwachen Menschen treiben; als Kinderspiele erscheinen sie ihnen. Was man hienieden Ruhm, Größe, Macht und tiefe Klugheit benennt, däucht den erhabenen Bewohnern des Himmels nur Elend und Schwäche.
An diesem so hoch über der Erde erhabenen Orte ruht Jupiters Thron unbeweglich. Seine Augen durchdringen die Tiefe, und erforschen den innersten Winkel des Herzens. Ruhe und Freude ergießen seine sanften und heitern Blicke über den ganzen Erdkreis, aber schüttelt er sein Haupthaar, so wanken erschüttert Himmel und Erde. Die Götter selbst, die ihn umgeben, von seiner strahlenden Glorie geblendet, nahen sich ihm nur mit Beben.
Alle Götter des Himmels waren jetzt um ihn versammelt. Mit allen Reizen geschmückt, die ihrem Busen entblühen, trat Venus vor ihn. Schimmernder war ihr fliegend Gewand als die Farben, womit Iris in düstern Wolken prangt, wenn sie den bangen Sterblichen das Ende der Stürme und die Wiederkehr schöner Tage verkündet. Jener berühmte Gürtel, auf dem die Grazien abgebildet sind, umschloß sie. Kunstlos waren die Haare der Göttin von hinten mit einem goldenen Bande zusammen gebunden. Die Götter erstaunten über ihre Schönheit, als ob sie sie jetzt zum ersten Mal erblickten. Wie Phöbus nach langer Nacht den Sterblichen wieder leuchtet und ihre Augen blendet, so wurden die Augen der Götter von ihrem Anblick geblendet. Verwundert sahen sie sich unter einander an; aber stets kehrten ihre Blicke wieder zu der Liebesgöttin zurück. Sie sahen die Augen der Göttin in Thränen schwimmend, und bittere Schwermuth über ihr Antlitz verbreitet.
Sanften, leichten Tritts nahte sie sich Jupiters Throne, dem Vogel ähnlich, der den weiten Raum der Luft in eilendem Fluge durchschwebt. Liebevoll blickte Jupiter sie an, lächelte sanft, erhob sich und schloß sie in seine Arme.
»Liebes Kind,« sprach er zu ihr, »welcher Kummer drückt dein Herz? Wie könnte ich ohne Rührung deine Thränen sehen! Fürchte nicht, dein Herz mir zu öffnen; du weißt ja, wie zärtlich ich dich liebe, wie gern ich deine Wünsche erfülle.«
Mit holder Stimme, aber von Seufzern unterbrochen, antwortete ihm Venus:
»O, Vater der Götter und der Menschen! du, der du alles siehst, könnte dir verborgen sein, was mir die Seele trübt? Minerva, nicht zufrieden, das prächtige Troja, das ich vertheidigte, in Trümmer gestürzt und sich an Paris gerächt zu haben, der meine Schönheit der ihrigen vorzog, geleitet durch alle Länder und über alle Meere den Sohn des Ulysses, dieses grausamen Zerstörers von Troja. Minerva begleitet ihn, darum erscheint sie nicht hier unter den andern Göttern. Sie führte den übermüthigen Jüngling in die Insel Cypern, damit er mir Hohn spräche. Er hat meine Macht verachtet, er würdigte nicht, Weihrauch auf meine Altäre zu streuen, mit Abscheu sah er die Feste, die man mir zu Ehren feierte. Allen Freuden der Liebe verschloß er sein Herz. Vergebens hat Neptun auf meine Bitte Winde und Wogen gegen ihn aufgeboten, ihn zu strafen. Ein schrecklicher Schiffbruch warf ihn an Kalypso's Insel. Hier triumphirte er über Amor selbst, den ich auf diese Insel gesendet hatte, das Herz des jungen Griechen der Liebe zu öffnen. Nicht die Jugend, nicht die Reize Kalypso's und ihrer Nymphen, nicht Amors flammende Pfeile vermochten über die arglistige Minerva zu siegen. Sie entriß ihn der Insel. Ich bin beschimpft; ein Kind trägt den Sieg über mich davon.«
Mit tröstenden Worten antwortete ihr Jupiter:
»Es ist wahr, meine Tochter, Minerva schützt das Herz dieses jungen Griechen gegen die Pfeile deines Sohnes, und bereitet ihm einen Ruhm, der vor ihm nie einem Jünglinge zu Theil ward. Es schmerzt mich, daß er deine Altäre verachtete; aber deiner Macht kann ich ihn nicht unterwerfen. Möge er noch ferner (und dies allein kann dir meine Liebe bewilligen) durch Länder und Meere irren, und fern von seinem Vaterlande, von Leiden und Gefahren aller Art bedrängt, leben, aber das Verhängniß will nicht, daß er umkomme, noch daß seine Tugend den Vergnügungen erliege, mit denen du den Menschen schmeichelst. Tröste dich also, meine Tochter, und laß dir genügen, so viele andere Helden und Unsterbliche deiner Macht unterworfen zu sehen.«
Er sprach's und lächelte voll Anmuth und Würde gegen die Liebesgöttin. Leuchtender Glanz, dem durchdringenden Blitze ähnlich, strahlte aus seinen Augen. Er küßte sie zärtlich. Ambrosische Gerüche entflossen ihm, und erfüllten den Olymp. Die Göttin konnte sich nicht erwehren, bei den Liebkosungen des größten der Götter sanfte Empfindungen zu fühlen. Trotz ihres Kummers und ihrer Thränen lachte die Freude aus ihrem Gesichte. Sie ließ ihren Schleier herab, um die Röthe ihrer Wangen und die süße Verwirrung zu verbergen, in der sie sich befand. Die ganze Götterversammlung gab Jupiters Worten Beifall.
Venus verzog nicht länger; sie eilte zu Neptun, mit ihm zu rathschlagen, wie sie Rache an Telemach nehmen möchte. Sie machte ihm Jupiters Willen kund.
»Des Himmels unwandelbare Schicksale,« sprach er zu ihr, »waren mir nicht verborgen. Ist es uns aber nicht vergönnt, Telemach in die Tiefe des Meeres zu versenken, so wollen wir wenigstens nichts unterlassen, ihm Leiden zu bereiten, und seine Rückkehr nach Ithaka zu verzögern. Ich kann nicht zugeben, daß das phönizische Schiff untergehe, auf dem er sich befindet. Ich liebe die Phönizier, sie sind mein auserwähltes Volk; kein anderes verherrlicht, wie sie, mein Reich. Durch sie wurde das Meer ein Band, das alle Völker der Erde vertraulich umschlang. Sie ehren mich durch häufige Opfer auf meinen Altären. Sie sind gerecht, verständig, betriebsam im Handel. Durch sie wird Gemächlichkeit und Ueberfluß allenthalben verbreitet. Nein, ich kann nicht gestatten, o Göttin, daß eines ihrer Fahrzeuge Schiffbruch leide. Aber ich werde machen, daß ihr Pilot des Weges verfehle, und daß er von Ithaka sich entferne, wohin er zu steuern gedenket.«
Venus, dieser Zusage sich freuend, lachte mit schadenfrohem Herzen, und kehrte auf ihrem fliegenden Wagen zurück nach Idaliums blühenden Auen, wo die Grazien, die Scherze, die Liebesgötter sich ihrer Wiederkehr freuten, und in Kreisen um sie her auf Blumen tanzten, die diesen lieblichen Wohnort mit süßen Düften erfüllen.
Alsbald sendete Neptun eine trügliche Gottheit, ähnlich dem Gott der Träume. Doch täuschen Träume nur im Schlaf, dieser aber berückte auch die wachenden Sinne. Sie kam, diese übelthätige Gottheit, umschwebt von tausend geflügelten Lügen, und umzog mit feinen Zauberdünsten die Augen des Steuermanns, welcher aufmerksam den leuchtenden Mond, den Lauf der Gestirne und das Ufer von Ithaka betrachtete, dessen schroffe Felsen er schon in der Nähe erblickte.
Mit einmal sahen die Augen des Piloten die wahre Gestalt der Dinge nicht mehr. Ein falscher Himmel, eine trügliche Erde schwebte vor ihm. Die Gestirne schienen ihren Lauf geändert zu haben, und rückwärts gegangen zu sein. Das Gewölbe des Himmels schien sich nach andern Gesetzen zu drehen, die Erde eine andere Gestalt zu haben. Ein falsches Ithaka zeigte sich stets den Blicken des Schiffers, seine Aufmerksamkeit zu beschäftigen, indessen er sich von dem wahren entfernte. Je näher er dieser Truggestalt der Insel kam, je mehr wich sie zurück; immer floh sie vor ihm, und er begriff diese Flucht nicht. Bisweilen däuchte ihm, er höre schon das rege Getümmel des Hafens. Schon rüstete er sich, wie ihm befohlen war, im Verborgenen auf einer kleinen Insel, nahe der großen, zu landen, um den Freiern Penelopens, die sich gegen Telemach verschworen hatten, dessen Ankunft zu verbergen. Er scheute die Klippen, die diese Meeresküste umgeben und wähnte, die Wogen zu hören, die mit furchtbarem Getöse an diesen Klippen sich brachen. Jetzt auf einmal wurde er gewahr, daß das Land noch fern von ihm war. Er sah aus dieser Entfernung die Berge nur wie kleine Wolken, die beim Niedergang der Sonne bisweilen den Horizont trüben. Athamas staunte; die täuschende Gottheit, welche seine Augen bezauberte, flößte ihm einen geheimen Schauer ein, den er noch nie empfunden hatte. Er wurde sogar versucht, zu glauben, daß er nicht wache, und daß ein Traum seine Sinne äffe.
Jetzt befahl Neptun dem Ostwind zu blasen, um das Schiff an Hesperiens Küsten zu treiben; der Wind, dem Gotte gehorchend, stürmte mit solcher Gewalt, daß das Schiff bald das Gestade erreichte, das Neptun bezeichnet hatte. Schon verkündete Aurora den Tag. Schon sanken die düster funkelnden Sterne, die Strahlen der Sonne scheuend, neidisch in den Ocean, als der Pilot ausrief:
»Nun bleibt mir kein Zweifel mehr übrig. Schon sind wir Ithaka ganz nahe. Freue dich, Telemach, in einer Stunde wirst du Penelopen sehen, vielleicht sogar deinen Vater finden, der wieder auf seinem Throne sitzt.«
Telemach, von den Armen des Schlafes fest umschlungen, erwacht bei diesen Worten, steht auf, tritt an's Steuer, umarmt den Piloten, und mit kaum geöffneten Augen betrachtet er aufmerksam den benachbarten Strand. Er seufzt, er erkennt nicht das Ufer seiner Heimat.
»Götter! wo sind wir!« rief er aus. »Das ist nicht mein geliebtes Vaterland. Du täuschest dich, Athamas, du kennest nicht diese Küste, die fern von unserm Vaterlande ist.«
»Nein, nein,« erwiederte Athamas, »ich täusche mich nicht, indem ich die Ufer dieser Insel betrachte. Wie oft bin ich in deinen Hafen eingelaufen! Jeder Fels ist mir bekannt; das Gestade von Tyrus ist meinem Gedächtnisse nicht gegenwärtiger. Siehest du diesen hervorragenden Berg? Betrachte diesen Felsen, der wie ein Thurm emporsteigt! Hörest du nicht die Wogen, wie sie sich an jenen Klippen brechen, die ins Meer herabzustürzen drohen? und erblickst du nicht den Tempel der Minerva, der sich in die Wolken erhebt? Hier ist die Feste und die Burg des Ulysses deines Vaters.«
»O, Athamas!« antwortete Telemach, »du irrest; ich sehe im Gegentheil eine ziemlich erhabene, aber ebene Küste; ich erblicke eine Stadt, die nicht Ithaka ist. Götter! spielet ihr so mit den Menschen?«
Indem Telemach diese Worte sprach, erblickte Athamas auf einmal wieder die wahre Gestalt der Dinge. Der Zauber zerrann. Er sah das Ufer, wie es wirklich war, und erkannte seinen Irrthum.
»Es ist, wie du sagst, o Telemach!« rief er aus. »Irgend eine feindselige Gottheit hinterging meine Augen. Ich glaubte, Ithaka zu sehen; sein ganzes Bild stellte sich meinen Blicken dar, aber in diesem Augenblick verschwindet es, wie ein Traum. Ich sehe eine andere Stadt. Ohne Zweifel ist es Salent, von Idomeneus, dem Flüchtling aus Kreta, in Hesperien gegründet. Ich erblicke Mauern, die sich erheben, und noch nicht vollendet sind, ich sehe seinen Hafen, der noch nicht ganz befestigt ist.«
Während Athamas die verschiedenen neuen Gebäude dieser werdenden Stadt betrachtete, und Telemach sein unglückliches Schicksal beweinte, kamen sie mit vollen Segeln, vom Winde getrieben, den Neptun wehen ließ, auf einer Rhede an, wo sie sicher und dem Hafen ganz nahe waren.
Mentorn war Neptuns Rache nicht verborgen geblieben, nicht die grausame List der Venus, und er hatte nur über Athamas Irrthum gelächelt. Als sie auf der Rhede angekommen waren, sagte er zu Telemach:
»Jupiter prüft dich, aber er verlangt nicht dein Verderben, ja er sendet dir diese Prüfung nur, um dir den Weg des Ruhms zu öffnen. Gedenke der Arbeiten des Herkules; die Leiden deines Vaters müssen stets vor deiner Seele schweben! Wer nicht zu dulden weiß, besitzt kein großes Herz. Das widrige Geschick findet seine Lust daran, dich zu verfolgen; ermüde es durch deine Geduld und deinen Muth. Wie schrecklich auch die Gefahren sein mögen, die Neptun über dich verhängt, ich fürchte sie weniger, als ich die schmeichelnden Liebkosungen der Göttin fürchtete, die dich in ihrer Insel gefangen hielt. Was säumen wir, in diesen Hafen einzulaufen? Wir kommen zu einem freundlich gesinnten Volke; es sind Griechen, die wir finden. Idomeneus, im Leiden geübt, wird sich der Unglücklichen erbarmen.«
Er sprach's, und sie liefen in den Hafen von Salent ein. Ohne Bedenken wurde das phönizische Schiff eingelassen, denn die Phönizier handeln mit allen Völkern der Erde, und leben im Frieden mit ihnen.
Mit Bewunderung sah Telemach diese aufblühende Stadt, wie eine junge Pflanze, vom milden Nachtthau getränkt; sie fühlt vom frühen Morgen an die Strahlen der Sonne, die sie verschönern. Sie wächst empor; sie öffnet ihre zarten Knospen; die grünen Blätter entkeimen ihr; sie entfaltet ihre wohlriechenden Blüthen mit tausend neuen Farben; jeder Augenblick enthüllt neue Schönheiten an ihr. So blühte auch die neue Stadt des Idomeneus an des Meeres Gestade. Jeden Tag, jede Stunde wuchs ihre Pracht. Schon von ferne zeigten sich den Fremden auf dem Meere die neuen herrlichen Werke der Baukunst, die bis zum Himmel stiegen. Das ganze Gestade ertönte vom Rufen der Arbeiter und den Schlägen der Hämmer. Die Bausteine, durch Krahne an Seilen in die Höhe gezogen, schwebten in der Luft. Mit dem Erwachen des Tages feuerten die Obern das Volk zur Arbeit an. Ueberall gab Idomeneus selbst die Befehle, und beförderte die Arbeiten mit rastlosem Eifer.
Kaum war das phönizische Schiff im Hafen angelangt, als Telemach und Mentor von den Kretern mit allen Zeichen einer aufrichtigen Freundschaft aufgenommen wurden. Eilend brachten sie dem Idomeneus Bothschaft von der Ankunft des Sohnes des Ulysses.
»Der Sohn des Ulysses!« rief er aus, »Ulysses, dieses theuren Freundes, dieses klugen Helden, durch den wir endlich Troja stürzten! Er werde hieher gebracht, damit er erfahre, wie sehr ich seinen Vater geliebt habe!«
Alsbald wurde Telemach vor ihn geführt. Er nannte dem Könige seinen Namen, und bat ihn um die Gastfreiheit.
Mit sanfter, lächelnder Miene erwiederte Idomeneus:
»Hätte man mir auch nicht gesagt, wer du seiest, dennoch, ich zweifle nicht, würde ich dich erkannt haben. Wahrlich Ulysses selbst! Seine Augen voll Feuer! Sein fester Blick! Seine anfangs kalte und zurückhaltende Miene, die aber so viel Lebhaftigkeit, so viel Anmuth verbarg. Ich erkenne sogar sein einnehmendes Lächeln, seine kunstlosen Bewegungen, seine sanften, einfachen, einschmeichelnden Worte, die sich in das Herz einschlichen, ehe man Zeit gewann, sich gegen sie zu verwahren. Ja, du bist Ulysses Sohn, aber du sollst auch der meinige sein. O, mein Kind, mein liebes Kind! Welches Ereigniß führt dich an dieses Gestade? Suchst du deinen Vater? Ach! ich kann dir keine Kundschaft von ihm geben. Beide, ihn und mich, verfolgte das Schicksal. Ihn traf das Unglück, sein Vaterland nicht wieder zu finden, mich das unselige Geschick, in das meinige, belastet mit dem Zorn der Götter, zurückzukehren.«
Indem er dies sagte, heftete Idomeneus seine Augen auf Mentorn. Er glaubte, das Angesicht eines Mannes zu sehen, den er kenne auf dessen Namen er sich aber nicht besinnen konnte.
Telemach antwortete ihm mit thränenden Augen:
»O König! vergib meinem Schmerz, ich kann ihn nicht zurückhalten, wiewohl ich jetzt nur Freude und Erkenntlichkeit für deine Güte äußern sollte. Durch das Mitleiden, das du mir über den Verlust meines Vaters zu erkennen gibst, lehrest du mich selbst das Unglück fühlen, ihn nicht wieder finden zu können. Schon lange suchte ich ihn, die Meere durchirrend; aber die erzürnten Götter vergönnen mir nicht, ihn wieder zu schauen; auch lassen sie mich nicht erfahren, ob er Schiffbruch gelitten hat; noch kann ich nicht nach Ithaka zurückkehren, wo Penelope schmachtet, und so sehnlich wünscht; ihre Freier von sich zu entfernen. Ich hoffte, dich in Kreta zu finden. Dort erfuhr ich dein trauriges Verhängniß. Nimmer dachte ich Hesperiens Küsten zu sehen, wo du ein neues Reich gegründet hast. Aber das Schicksal, das unserer Entwürfe spottet, und mir bestimmte, in allen Ländern, fern von Ithaka umher zu irren, hat mich endlich an dieses Ufer verschlagen. Unter allen Leiden, die es mir sandte, ist dieses noch das erträglichste. Wenn es mich von meinem Vaterlande entfernt, so lehrt es mich doch den weisesten und edelsten aller Fürsten kennen.«
Bei diesen Worten umarmte Idomeneus den Jüngling zärtlich. Er führte ihn in seinen Palast und sagte zu ihm:
»Wer ist aber der verständige Greis, der dich begleitet? Mir däucht, ich habe ihn schon eher gesehen.«
Telemach erwiederte:
»Es ist Mentor; Mentor, der Freund Ulysses, dem er meine Kindheit anvertraute. Wie sollte ich Worte finden, dir zu sagen, was ich ihm alles verdanke!«
Jetzt trat Idomeneus vor, und reichte Mentorn die Hand.
»Wir haben uns vordem schon gesehen,« sprach er zu ihm. »Erinnerst du dich noch der Reise, die du nach Kreta machtest, und der heilsamen Räthe, die du mir ertheiltest? Aber damals riß mich Jugendhitze und der Hang zu eitlen Vergnügungen dahin. Das Unglück sollte mein Lehrmeister sein, es sollte mich von dem überzeugen, was ich in bessern Tagen nicht glauben wollte. Ach! hätte ich dir gefolgt, verständiger Greis! Aber mit Erstaunen bemerke ich, daß seit so vielen Jahren beinahe keine Veränderung mit dir vorgegangen ist; ich erblicke noch dasselbe blühende Gesicht, dieselbe gerade Leibesstellung, dieselbe Munterkeit; deine Haare nur haben sich ein wenig gebleicht.«
»Wäre ich ein Schmeichler, großer König,« versetzte Mentor, »so würde ich dir sagen, daß auch du noch dieselbe Jugendblüthe zeigest, die vor Troja's Belagerung auf deinem Gesichte glänzte. Aber solltest du es auch mit Mißfallen hören, so müßte ich doch die Wahrheit reden. Ueberdies sehe ich aus deinen klugen Reden, daß du die Schmeichelei nicht liebest, und daß man nichts wagt, wenn man aufrichtig mit dir spricht. Du hast dich sehr verändert, und nur mit Mühe würde ich dich wieder erkannt haben. Auch ist mir die Ursache davon sehr begreiflich. Vieles littest du in deinem Unglück, aber wie vieles hast du auch durch deine Leiden gewonnen! Du bist durch sie weise geworden. Wie leicht ist es, sich über die Runzeln zu trösten, die unser Gesicht überziehen, wenn nur das Herz sich in der Tugend übt, und in ihr erstarkt. Wisse auch, daß sich die Fürsten weit früher abnützen, als andere Menschen. Im Unglück altern sie vor der Zeit, von den Sorgen des Geistes und den Anstrengungen des Körpers erschöpft; im Glück werden ihre Kräfte durch den Genuß des Vergnügens noch mehr abgenützt, als selbst durch alle Mühseligkeiten des Krieges. Nichts ist so zerstörend, als unmäßig genossenes Vergnügen. So führen also die Leiden, die die Könige im Kriege zu erdulden haben, und die Ergötzlichkeiten, die sie im Frieden genießen, das Alter früher bei ihnen herbei, als es nach dem Laufe der Natur erfolgen sollte. Ein nüchternes, mäßiges, einfaches, geordnetes, arbeitsames, von Sorgen und Leidenschaften freies Leben erhält den Gliedern eines weisen Mannes jene Jugendkraft, welche, wenn man diese Vorsicht vernachlässigt, immer bereit ist, auf den Fittigen der Zeit davon zu fliehen.«
Idomeneus, von Mentors Worten bezaubert, hätte ihm noch lange zugehört, wenn man ihn nicht an ein Opfer erinnert hätte, das er Jupitern darzubringen gedachte. Telemach und Mentor folgten ihm, umgeben von einer großen Menge Menschen, welche diese zwei Fremdlinge mit unruhiger Neugierde betrachteten.
Die Salentiner sagten unter einander:
»Diese zwei Menschen sind sehr verschieden. Eine angenehme Lebhaftigkeit zeigt sich in dem jüngern; alle Reize der Schönheit und Jugend sind über sein Antlitz und seinen Körper ausgegossen, aber seine Schönheit hat nichts Verzärteltes, nichts Weibisches. Bei all dieser Jugendblüthe erscheint er kraftvoll, stark und der Arbeit gewohnt. Der Andere, wiewohl weit älter, hat noch nichts von seiner Stärke verloren. Anfangs zeigt sein Ansehen nur wenig Würde und Anmuth; aber näher betrachtet, entdeckt man in dieser Einfalt Spuren einer Weisheit und Tugend und eine Hoheit, die mit Erstaunen erfüllt. Sind die Götter zur Erde gekommen, sich den Sterblichen zu offenbaren, so haben sie gewiß die Gestalt dieser reisenden Fremdlinge angenommen.«
Sie langten in Jupiters Tempel an, den Idomeneus, ein Abkömmling dieses Gottes, prachtvoll ausgeschmückt hatte. Eine zweifache Reihe Säulen von jaspisfarbigem Marmor umschloß ihn. Die Knäufe waren von Silber. Der Tempel war ganz von eingelegtem Marmor erbaut. In halb erhabener Arbeit erblickte man Jupiter in einen Stier verwandelt, den Raub der Europa, wie sie mitten durch das Meer nach Kreta getragen ward. Die Wellen schienen sich vor Jupitern zu demüthigen; obgleich sie ihn unter einer fremden Gestalt sahen. Auch Minos Geburt und seine Jugendjahre waren abgebildet, und wie dieser weise König in reifern Jahren seinem Lande Gesetze gab, um ihm auf immer blühenden Wohlstand zu sichern. Auch die vornehmsten Begebenheiten der Belagerung Troja's bemerkte Telemach, wo sich Idomeneus den Ruhm eines großen Heerführers erworben hatte. Er suchte seinen Vater unter den Vorstellungen der Schlachten, und erkannte ihn daran, daß er die Pferde des Rhesus wegführte, den Diomedes getödtet hatte, daß er sich mit Ajax vor allen Führern des versammelten griechischen Heers um Achills Waffen stritt und zuletzt dem verhängnißvollen Pferde entstieg, um das Blut vieler Trojaner zu vergießen.
Telemach erkannte ihn sogleich an diesen rühmlichen Thaten, von denen er so oft reden gehört, und die ihm Mentor selbst erzählt hatte. Thränen entfielen seinen Augen, er änderte die Farbe, sein Gesicht trübte sich. Idomeneus sah es, obgleich Telemach sich umwandte, um seine Unruhe zu verbergen.
»Schäme dich nicht,« sagte jener zu ihm, »uns sehen zu lassen, wie sehr der Ruhm und die Leiden deines Vaters dein Herz bewegen.«
Unterdessen hatte sich das Volk in großer Menge unter den weiten Hallen versammelt, welche die doppelte Reihe Säulen, die den Tempel umgeben, bildeten. Man sah zwei Haufen junger Knaben und junger Mädchen, welche Lieder zur Ehre des Gottes sangen, der den Donnerkeil in seiner Hand hält. Diese auserlesenen Kinder waren von der lieblichsten Bildung. Ihre langen Haare flatterten um ihre Schultern. Ihr Haar war mit Rosen bekränzt und duftete Wohlgerüche. Alle waren weiß gekleidet. Idomeneus brachte Jupitern hundert Stiere zum Opfer, um sich die Gunst dieses Gottes bei einem Kriege zu erflehen, den er gegen seine Nachbaren unternommen hatte. Von allen Seiten rauchte das Blut der Opferthiere, und strömte in tiefe Schalen von Gold und Silber herab.
Während des Opfers stand der Greis Theophanes, ein Freund der Götter und Priester des Tempels, sein Haupt in das Ende seines Purpurgewandes gehüllt. Alsdann erforschte er die noch zuckenden Eingeweide der Opferthiere. Er setzte sich auf den heiligen Dreifuß.
»O, ihr Götter!« rief er aus, »wer sind diese zwei Fremdlinge, welche der Himmel an diesen Ort gesendet hat? Ohne sie würde der unternommene Krieg ein trauriges Ende für uns gehabt haben, und Salent wieder in Trümmer zerfallen sein, noch ehe es sich auf seinen Grundfesten erhoben hätte.Ich erblickte einen jungen Helden, den die Weisheit bei der Hand führt. Aber es ist dem Munde eines Sterblichen nicht vergönnt, mehr zu sprechen.«
Dieses sagend, schaute er mit wilden Blicken umher. Seine Augen funkelten. Er schien andere Gegenstände zu erblicken, als die vor seinen Augen schwebten. Sein Gesicht war entflammt. Er war in Verwirrung und außer sich. Seine Haare sträubten sich, sein Mund schäumte, seine Arme starrten bewegungslos empor. Seine veränderte Stimme tönte lauter, als eines Menschen Stimme. Er war athemlos und vermochte nicht den Gott, der ihn trieb, in sich zu verschließen.
»Glücklicher Idomeneus!« begann er von Neuem. »Was sehe ich? Welchen Gefahren entgangen! … Welch lieblicher Friede von innen, aber welch Schlachtengetümmel von außen! … Welche Siege! … O, Telemach, deine Thaten übertreffen die Thaten deines Vaters … Der trotzige Feind ächzt im Staube, von deinem Stahle getroffen! … Eherne Pforten, unersteigliche Wälle stürzen zu deinen Füßen … O, große Göttin! … Wie wird sein Vater … O, Jüngling! Wiedersehen wirst du endlich …«
Hier erstarb das Wort in seinem Munde, und von Erstaunen gefesselt, beharrte er wider seinen Willen in tiefem Stillschweigen.
Starres Entsetzen hatte das ganze Volk ergriffen. Idomeneus bebte. Er wagte es nicht, ihn zu bitten, daß er endigen möchte.Telemach selbst, in Bestürzung gesetzt, weiß kaum, was er gehört hat, und kann mit Mühe glauben, diese hohen Vorhersagungen vernommen zu haben. Mentor war der einzige, den der Geist des Gottes nicht erschüttert hatte.
»Du hörest,« sagte er zu Idomeneus, »den Rathschluß der Götter. Welches Volk du auch zu bekämpfen hast, der Sieg wird dir nicht entgehen, und dem jungen Sohne deines Freundes wirst du das Glück deiner Waffen zu danken haben. Beneide ihn nicht; nütze, was dir die Götter durch ihn zu Theil werden lassen.«
Idomeneus, noch immer nicht von seinem Erstaunen zurückgekommen, versuchte vergebens zu sprechen, noch war seine Zunge gelähmt.
Telemach, gefaßter, sagte zu Mentor:
»All dieser verheißene Ruhm rührt mich nicht; aber was mögen die Worte bedeuten, mit denen er endigte: wiedersehen wirst du … meinen Vater oder nur Ithaka? Ach, warum sprach er nicht aus? Er hat mich nur in noch größerer Ungewißheit zurückgelassen. O, Ulysses, o mein Vater! Sollte ich dich selbst wiedersehen? Sollte es wahr sein? Aber warum schmeichle ich mir? Grausames Orakel! Du freuest dich, eines Unglücklichen zu spotten. Noch ein Wort, und meine Glückseligkeit wäre vollkommen gewesen!«
Mentor sagte
»Ehre, was die Götter kund thun, und strebe nicht zu entdecken, was sie verbergen wollen. Eine vermessene Neugierde ist strafbar. Die liebevolle Weisheit der Götter hüllt die Schicksale der Sterblichen in undurchdringliches Dunkel. Es ist nützlich, dasjenige vorher zu wissen, wobei wir selbst auf eine wohlthätige Weise wirksam sein können, aber es ist nicht minder zuträglich, daß uns dasjenige verborgen bleibe, was die Götter mit uns vorhaben, wenn es nicht von uns abhängt, unser Verhängniß zu ändern.«
Telemach, von diesen Worten gerührt, zähmte seine Neugierde, aber es kostete ihm Mühe.
Idomeneus hatte sich jetzt von seiner Bestürzung erholt, und begann den großen Jupiter zu preisen, der ihm den jungen Telemach und den weisen Mentor gesendet hatte, um ihm den Sieg über seine Feinde zu verleihen. Ein herrliches Mahl folgte dem Opfer. Nachdem sie es genossen, sprach er also zu den beiden Fremdlingen:
»Ich gestehe, daß ich in der Kunst zu regieren noch sehr unerfahren war, als ich nach Troja's Belagerung nach Kreta zurückkehrte. Die Unglücksfälle sind euch bekannt, geliebte Freunde, die mir die Oberherrschaft über diese große Insel raubten; denn ihr versichert mich ja, daß ihr nach meiner Abreise von dort daselbst gewesen seid. Glücklich genug für mich, wenn die harten Schläge des Schicksals dazu dienten, mich zu unterrichten und mir mehr Mäßigung zu geben! Einem Flüchtlinge gleich, den der Götter und Menschen Rache verfolgt, floh ich über die Meere hin. Meine ehemalige Größe diente nur, meinen Fall beschämender und mir unerträglicher zu machen. Ich flüchtete meine Hausgötter an diese öde Küste, wo ich nur ungebautes Land, Gesträuche und Dornen, Wälder, die so alt waren, als das Land, und unzugängliche Felsen, den Aufenthalt wilder Thiere, fand. Ich mußte mich noch glücklich schätzen, mit einer kleinen Anzahl bewaffneter Männer und anderer Genossen meines Unglücks, zum Besitze dieses wilden Landes gelangt zu sein, und hier ein zweites Vaterland gefunden zu haben, da ich nicht hoffen konnte, jene beglückte Insel wieder zu schauen, in der ich geboren ward, und wo die Götter mir bestimmt hatten, zu regieren. Weh mir! sagte ich bei mir selbst. Welcher Wechsel! welch schreckenvolles Beispiel bin ich nicht für alle Fürsten! Man sollte mich allen Herrschern der Welt zeigen, damit sie durch meine Schicksale belehrt würden. Ueber andere Menschen erhaben, leben sie in stolzer Sicherheit; aber eben diese Erhabenheit über andere ist es, die ihnen den Fall droht. Ich war von meinen Feinden gefürchtet, von meinen Unterthanen geliebt. Ein mächtiges und kriegerisches Volk gehorchte meinen Befehlen. Der Ruf nannte meinen Namen in den entferntesten Landen. Ich war der oberste Gebieter einer fruchtbaren, reizenden Insel. Hundert Städte gaben mir jegliches Jahr einen Theil ihrer Reichthümer als Tribut. Meine Unterthanen ehrten in mir den Abkömmling Jupiters, der in ihrem Lande geboren ward. Sie liebten mich als den Enkel des weisen Minos, dessen Gesetze sie zu einem so mächtigen, so glücklichen Volke machten. Was mangelte meinem Glücke sonst noch, als die Kunst, es mit Mäßigung zu genießen. Aber mein Stolz und die Schmeichelei, der ich Gehör gab, stürzten meinen Thron um, und so werden alle Fürsten fallen, die sich von ihren Begierden und den Eingebungen der Schmeichler hinreißen lassen.
Am Tage bemühte ich mich meinen Gefährten lauter Hoffnung im heitern Gesichte zu zeigen, um ihren Muth aufrecht zu erhalten.
›Laßt uns eine neue Stadt gründen,‹ sagte ich zu ihnen, ›die uns über den Verlust dessen tröste, was wir verloren haben. Rings umwohnen uns Völker, die uns mit schönem Beispiel zu dieser Unternehmung vorangegangen sind. Tarent erhebt sich in unserer Nähe. Phalant mit seinen Lacedämoniern gründete dieses neue Reich. Philoktet erbaute auf dieser Küste eine große Stadt, und gab ihr den Namen Petilia. Metapontum ist eine ähnliche Pflanzstadt. Werden wir weniger entschlossenen Muth zeigen, als alle diese Fremdlinge, die umherirrten wie wir? Das Schicksal behandelt uns nicht strenger, als sie.‹
Durch solche Worte suchte ich die Leiden meiner Gefährten zu besänftigen; aber im Innersten meines Herzens verbarg ich einen tödtlichen Gram. Es war ein Trost für mich, daß das Licht des Tages wich, und die Nacht mich in ihre Schatten hüllte, um mein jammervolles Schicksal ungestört beweinen zu können. Meine Augen waren zwei Bäche geworden, die bittere Thränen vergossen. Der süße Schlaf besuchte mich nicht. Wenn der Tag wieder anbrach, fing ich meine Arbeit wieder mit neuem Eifer an. Siehe Mentor, dies ist die Ursache, warum du mich so alt gefunden hast.«
Als Idomeneus die Erzählung seines Unglücks geendigt hatte, bat er Telemach und Mentor um ihren Beistand in dem Kriege, in den er verwickelt war.
»Ich werde euch nach Ithaka zurücksenden,« sprach er, »sobald der Krieg geendigt sein wird, und indessen sollen meine Schiffe nach den entferntesten Küsten auslaufen, Kundschaft von deinem Vater einzuholen. An welchen Ort der uns bekannten Welt der Orkan oder irgend eine erzürnte Gottheit ihn auch verschlagen haben mag, ich werde ihn doch von demselben zurückzubringen wissen. Geben nur die Götter, daß er noch lebe! Dich aber werde ich auf den besten Schiffen, die je in Kreta gebaut worden sind, in deine Heimath senden. Diese Schiffe sind aus dem Holze erbaut, das auf dem wahrhaften Berg Ida gefällt wurde, wo Jupiter geboren ward. Dieses geheiligte Holz kann in den Wellen nicht untergehen. Winde und Klippen fürchten und ehren es. Neptun selbst, zürnte er auch noch so gewaltig, würde es nicht wagen, die Wellen gegen dasselbe zu erregen. Fasse also die zuversichtliche Hoffnung, daß du glücklich und ungehindert nach Ithaka kommen werdest, und daß keine feindliche Gottheit mächtig genug sein werde, dich länger auf den Meeren in der Irre umherzuführen. Kurz und leicht ist die Ueberfahrt. Sende das phönizische Schiff, das dich hierher brachte, wieder zurück, und laß es dein rühmliches Bestreben sein, dem Idomeneus sein neues Reich aufrichten zu helfen, damit er sein erlittenes Ungemach vergessen möge. Auf diese Art, Sohn des Ulysses, wirst du deines Vaters würdig werden; und sollte er auch auf des strengen Schicksals Gebot schon in die dunkle Behausung Pluto's hinabgestiegen sein, so wird ganz Griechenland sich seines Sohnes freuen, und ihn in dir wiederzusehen glauben.«
Hier unterbrach Telemach den König.
»Laß uns,« rief er aus, »das phönizische Schiff zurücksenden! Was zögern wir, die Waffen zu ergreifen und deinen Feinden entgegenzugehen? Sie sind auch die unsrigen. Wenn wir in Sicilien siegreich für Acestes, den Trojaner und Griechenlands Feind, gefochten haben, wird uns jetzt nicht höherer Muth beseelen, und werden uns die Götter nicht günstiger sein, wenn wir für einen der griechischen Helden streiten werden, die Priamus treulose Stadt gestürzt haben? Die Stimme des Orakels, die wir eben vernommen haben, läßt uns nicht daran zweifeln.«