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Eilftes Buch.

Telemach, der Mentorn mitten unter den Verbündeten erblickt, will wissen, was zwischen ihnen vorgeht. Er läßt sich die Thore von Salent öffnen, gesellt sich zu Mentor, und seine Gegenwart trägt bei den Verbündeten dazu bei, daß die Friedensbedingungen angenommen werden, welche Mentor ihnen im Namen des Idomeneus vorgeschlagen hatte. Die Fürsten ziehen als Freunde in Salent ein. Idomeneus bestätigt alles, was festgesetzt ist. Es werden gegenseitig Geißeln gegeben, und ein Opfer wird zwischen der Stadt und dem Lager gebracht, den Bund des Friedens zu bekräftigen.


T elemach widerstand nicht länger seinem ungeduldigen Verlangen. Er entzieht sich der umstehenden Menge, er nähert sich dem Thore, aus welchem Mentor gegangen war, und verlangt gebietend, daß man es ihm öffne. Bald sieht Idomeneus, der ihn noch an seiner Seite glaubt, mit Erstaunen, daß er mitten durch das Feld hineilt, und schon schon nahe bei Nestor ist. Nestor erkennt ihn, und eilt langsamen und gehaltenen Schrittes, ihn zu empfangen. Telemach wirft sich an seinen Hals, und hält ihn sprachlos in den Armen. Endlich ruft er aus:

»Ach, mein Vater! (denn ich fürchte nicht, dich mit diesem Namen zu, benennen; das Unglück, meinen wahren Vater nicht finden zu können, und die Beweise der Liebe, die ich von dir empfing, berechtigen mich, dir diesen zärtlichen Namen zu geben). Mein Vater, mein theurer Vater, so seh' ich dich wieder? Ach, daß ich auch so den Ulysses wieder sehen möchte! Aber wenn irgend etwas mich trösten könnte, seiner beraubt zu leben, so würde es der Gedanke sein, in dir einen zweiten Vater zu finden.«

Bei diesen Worten weinte Nestor, und eine geheime Freude wallte durch sein Herz, als er sah, daß sich auch über Telemachs Wangen liebliche Thränen ergossen. Die Schönheit, Liebenswürdigkeit und die edle Zuversicht dieses jungen Fremdlings, der furchtlos durch viele feindliche Schaaren wandelte, setzten alle Bundesgenossen in Erstaunen.

»Sollte dies nicht,« sagten sie unter einander, »der Sohn dieses Greises sein, der mit Nestorn sprach? Es ist dieselbe Weisheit in den zwei entgegengesetztesten Stufen des menschlichen Lebens. Bei dem einen zeigt sie sich nur erst in ihrer Blüthe, bei dem andern trägt sie schon reife Früchte im Ueberfluß.«

Mentor sah mit Vergnügen, wie zärtlich Nestor Telemach empfing, und er nützte diese glückliche Stimmung.

»Du siehest hier, weiser Nestor,« sprach er zu ihm, »den Sohn des Ulysses, der Griechenland so theuer ist, der auch dir theuer ist. Nimm ihn hin, ich übergebe dir ihn als Geißel, als das kostbarste Unterpfand der treuen Erfüllung der Zusagen des Idomeneus. Du kannst leicht denken, wie schmerzlich es mir sein müßte, wenn das traurige Schicksal des Vaters auch den Sohn träfe, und die unglückliche Penelope Mentorn beschuldigen könnte, daß er ihren Sohn dem Ehrgeiz des neuen Königs von Salent aufgeopfert habe. Mit diesem Pfand in der Hand, versammelte Fürsten so vieler Völker, das sich selbst darbietet und die friedliebenden Götter euch senden, komme ich, euch Vorschläge zu thun und auf immer einen dauerhaften Frieden zwischen uns zu stiften.«

Bei dem Worte Frieden hörte man ein dumpfes Murmeln die Reihen durchlaufen. Alle diese Völker tobten vor Zorn, und hielten die Zeit für verloren, die den Kampf verzögern. Sie glaubten, daß diese Unterredung keinen andern Zweck habe, als ihre Wuth zurückzuhalten, und ihnen ihren Raub zu entreißen. Die Mandurier vor allen ergrimmten, daß Idomeneus hoffte, sie noch einmal zu hintergehen. Zu wiederholten Malen versuchten sie, Mentorn zu unterbrechen, weil sie besorgten, die weisen Vorstellungen dieses Mannes möchten ihre Bundesgenossen von ihnen abwendig machen, und schon fingen sie an, ein Mißtrauen in alle Griechen zu setzen, die in der Versammlung waren. Mentor bemerkte es, und eilte, dieses Mißtrauen zu vermehren, und eine Trennung der Gemüther bei diesen Völkern hervor zu bringen.

»Ich gestehe gern,« sagte er, »daß die Mandurier Ursache haben, sich zu beklagen, und einigen Ersatz für die Beleidigungen fordern können, die ihnen angethan worden sind. Aber es ist nicht minder Unrecht, daß die alten Einwohner des Landes die Griechen, die sich auf dieser Küste niedergelassen haben, mit mißtrauischen und gehässigen Augen ansehen. Nein! Eintracht müsse unter den Griechen herrschen, und die andern Völker müssen sie ehren! Nur leite Mäßigung ihre Handlungen, und nie müssen sie es unternehmen, sich das Eigenthum ihrer Nachbarn anzumaßen! Ich weiß, daß Idomeneus das Unglück hatte, bei euch Verdacht gegen sich zu erregen; aber es ist nicht schwer, alle eure Besorgnisse zu zerstreuen. Telemach und ich bieten uns euch zu Geißeln an, die für ihn Bürgschaft leisten. Wir werden in eurer Verwahrung bleiben, bis alles erfüllt ist, was man euch zusagen wird. Was euch aufbringt, Mundurier,« rief er, »ist, daß die Kreter sich mit List der Zugänge zu euren Bergen bemächtigt haben, welches sie in den Stand setzt, so oft es ihnen einfällt, und ohne daß ihr es hindern könnet, in das Land einzufallen, in das ihr euch zurückgezogen habt, um jenen die Ebenen zu überlassen, die sich längs des Meeres hinziehen. Diese Pässe, welche die Kreter durch hohe Thürme unzugänglich gemacht haben, und die mit zahlreichen Kriegern besetzt sind, sind also die wahre Ursache des Krieges. Antwortet Mandurier, habt ihr sonst noch einen Grund, euch zu beklagen?«

Hieran trat der Anführer der Mandurier hervor, und sprach also:

»Was haben wir nicht gethan, um diesem Kriege auszuweichen? Die Götter mögen es uns bezeugen, daß wir nur dann erst dem Frieden entsagt haben, als es kein Mittel mehr gab, ihn zu erhalten, und der nie rastende Ehrgeiz der Kreter es uns unmöglich machte, ihren Schwüren zu trauen. Unbesonnenes Volk, das uns die verhaßte und schreckliche Nothwendigkeit aufgelegt hat, der Verzweiflung gegen sie Raum zu geben, und unsere Sicherheit nur in ihrem Untergange zu suchen. So lange sie diese Zugänge behaupten werden, müssen wir immer glauben, daß sie Willens sind, uns unser Land zu entreißen, und uns der Freiheit zu berauben. Hätten sie für die Zukunft keine anderen Absichten, als mit ihren Nachbaren in Frieden zu leben, so würden sie sich mit dem begnügen, was wir ihnen so willig abgetreten haben, und sie würden nicht darauf bestehen, die Zugänge zu diesem Lande behaupten zu wollen, wenn sie mit keinen ehrgeizigen Entwürfen gegen seine Freiheit umgingen. Du kennst sie nicht, kluger Alter, diese Menschen; zu unserm großen Unglück haben wir sie kennen gelernt. Höre auf, von den Göttern, geliebter Greis, einen gerechten, einen nothwendigen Krieg hintertreiben zu wollen, ohne welchen Hesperien vergebens einen dauerhaften Frieden hoffen würde. Undankbares, trugvolles, grausames Volk, das die erzürnten Götter uns gesendet haben, unsere Ruhe zu stören und uns für unsere Vergehungen zu strafen! Ihr werdet uns strafen, ihr Götter! aber dann werdet ihr uns auch rächen: ihr werdet nicht minder gerecht gegen unsere Feinde sein, als gegen uns.«

Diese Worte machten einen großen Eindruck auf die ganze Versammlung. Mars und Bellona schienen die Reihen zu durchwandeln, um in den Herzen die Mordlust anzufachen, welche Mentor zu besänftigen bemüht war. Er begann von neuem:

»Käme ich nur mit Versprechungen zu euch, so möchtet ihr immerhin Bedenken tragen, ihnen Glauben beizumessen. Aber was ich euch anbiete, ist zuverlässig und liegt vor euren Augen. Ist es euch noch nicht genug, mich und Telemach zu Geißeln zu haben, so gebe ich euch noch zwölf der edelsten und tapfersten Kreter. Es ist billig, daß auch ihr eurerseits uns Geißeln gebet, denn Idomeneus, der den Frieden aufrichtig wünscht, wünscht ihn, ohne von Furcht und Feigheit dazu angetrieben zu sein. Er verlangt ihn aus eben dem Grunde, aus dem auch ihr ihn zu verlangen vorgebet, aus Weisheit und Mäßigung; nicht, als ob er ein weichliches Leben liebte, und ihn die Gefahren schreckten, womit der Krieg bedroht. Bereit umzukommen oder zu überwinden, zieht er den Frieden den glänzendsten Siegen vor. Er würde sich schämen, wenn er fürchtete, überwunden zu werden, aber er fürchtet, ungerecht zu sein, und schämt sich nicht, seine Fehler wieder gut zu machen. Mit den Waffen in der Hand bietet er euch Frieden an. Er ist weit entfernt, die Bedingungen desselben mit stolzem Uebermuthe vorschreiben zu wollen. Ein erzwungener Friede würde für ihn keinen Werth haben. Er wünscht einen Frieden, mit dem alle Theile zufrieden seien, der jeder Eifersucht ein Ende mache, der jede Erbitterung besänftige, alle Besorgnisse zerstreue. Glaubet mir, Idomeneus hegt solche Gesinnungen, wie ich gewiß bin, daß ihr sie bei ihm zu finden wünschet. Es kommt jetzt nur darauf an, euch von demselben zu überzeugen, und diese Ueberzeugung euch zu geben, soll mir nicht schwer werden, wenn ihr mich nur mit unbefangenem und ruhigem Gemüthe anhören wollet. So höret also, muthige Völker, und ihr weise und durch innige Eintracht verbundene Feldherren, höret, was ich euch im Namen des Idomeneus vorschlage. Es ist allerdings der Billigkeit nicht gemäß, daß es in seiner Macht stehe, in die Länder seiner Nachbarn einzufallen, aber es wäre eben so wenig billig, wenn es bei seinen Nachbarn stände, in die seinigen einzufallen. Er willigt ein, daß die Pässe, die er durch hohe Thürme befestigt hat, mit Kriegsvölkern, die keinem Theile zugethan sind, besetzt werden. Du, Nestor, und du, Philoktet, ihr seid von Geburt Griechen, aber bei dieser Gelegenheit habt ihr euch gegen Idomeneus erklärt. Man kann euch also nicht im Verdacht haben, daß ihr ihm zu sehr zugethan seid. Der Friede und die Freiheit Hesperiens, dieses gemeinsame Gut, ist es allein, was euch am Herzen liegt. Nehmet also selbst diese Pässe, die Ursache des Krieges, in euren Schutz und Verwahrung. Es muß euch eben so viel daran liegen, zu verhindern, daß die alten Völker Hesperiens Salent, diese neue griechische, der eurigen ähnliche Pflanzstadt zerstören, als daß Idomeneus die Länder seiner Nachbaren an sich reiße. Erhaltet das Gleichgewicht zwischen beiden Theilen. Statt mit Feuer und Schwert gegen ein Volk zu ziehen, das euch theuer sein muß, strebet nach dem Ruhm, die Richter und Mittler zwischen den Völkern zu sein. Ihr werdet mir sagen, daß diese Bedingungen euren Beifall haben würden, wenn ihr versichert sein könntet, daß Idomeneus sie mit Redlichkeit erfüllen würde; aber ich werde eure Bedenklichkeiten heben. Die Geißeln, von denen ich euch sprach, sollen zu gegenseitiger Sicherheit so lange in den Händen beider Theile bleiben, bis die Pässe von euch in Verwahrung genommen sein werden. Wenn das Wohl von ganz Hesperien, wenn das Wohl Salents selbst und des Idomeneus in eurer Hand sein wird; werdet ihr dann zufrieden sein? In wen sollet ihr fortan ein Mißtrauen setzen? Etwa in euch selbst? Ihr truget Bedenken, dem Idomeneus zu trauen, und Idomeneus ist so wenig fähig, euch zu hintergehen, daß er sich euch ganz anvertrauen will. Er legt die Ruhe, das Leben, die Freiheit seines ganzen Volkes und seiner selbst in eure Hände. Wenn euer Vorgeben wahr ist, daß ihr nichts als einen dauerhaften Frieden wünschet, so wird ein solcher euch jetzt angeboten. Welchen Vorwand könnet ihr noch haben, ihn auszuschlagen? Ich wiederhole es, bildet euch nicht ein, daß die Furcht es sei, die Idomeneus diese Anerbietungen abdringe: Weisheit und Gerechtigkeit bestimmen seinen Entschluß, und er würde ruhig dabei sein, wenn ihr der Schwäche zuschreiben wolltet, wozu allein die Tugend ihn antreibt. Im Anfang beging er Fehler, und jetzt setzt er seine Ehre darin, sie durch die Opfer zu vergüten, die er euch freiwillig darbringt. Es ist Schwäche, es ist lächerliche Eitelkeit, es ist grobe Mißkenntniß seines eigenen Vortheils, wenn man hofft, seine Fehltritte dadurch bemänteln zu können, daß man ihnen mit stolzem Uebermuth das Wort spricht.Wer seinem Feinde seine Fehler bekennt, wer sich verbindet, sie wieder gut zu machen, zeigt eben dadurch, daß er unfähig sei, neue zu begehen, und daß dieser Feind alles von seiner Weisheit und Standhaftigkeit zu fürchten habe, wofern er sich nicht zum Frieden bequemet. Gebet nicht zu, daß jetzt die Reihe an ihn komme, auch euch der Ungerechtigkeit zu beschuldigen. Solltet ihr den Frieden und die Gerechtigkeit von euch weisen, die euch entgegenkommen, so werden sie sich an euch rächen. Der Zorn der Götter, den Idomeneus mit Recht fürchtet, wird sich gegen euch kehren. Telemach und ich werden für die gute Sache streiten. Ich nehme alle Götter des Himmels und der Unterwelt zu Zeugen der Billigkeit der Vorschläge, die ich euch gethan habe.«

Als Mentor, ausgeredet hatte, erhob er seinen Arm und zeigte den Völkern den Oelzweig, den er als ein Sinnbild des Friedens in der Hand hielt. Die Heerführer, die ihm nahe standen, erstaunten über das göttliche Feuer, das aus seinen Augen flammte und sie blendete.

Er zeigte eine Hoheit und Würde, die bei keinem Sterblichen, selbst dem größten nicht erscheint. Die Anmuth seiner zugleich sanften und nachdrücklichen Worte riß alle Herzen mit sich fort. Sie glichen jenen Zauberworten, die in tiefer Stille der Nacht plötzlich den Lauf des Mondes und der Gestirne mitten am Himmel aufhalten, das empörte Meer beruhigen,Winde und Wogen schweigen machen, und den Lauf reißender Ströme hemmen.

Mentor stand unter diesen empörten Völkern wie Bacchus, von Tigern umringt, die ihrer Wuth vergessend, und durch die Gewalt seiner sanften Stimme bezwungen, sich nahten, seine Füße zu lecken und ihm durch ihre Liebkosungen zu huldigen. Erst lag ein tiefes Schweigen auf dem ganzen Heer. Die Häupter sahen einander an.Sie konnten weder diesem Manne widerstehen, noch mit sich einig werden, wer er sei. Das ganze Heer stand mit unbeweglich auf ihn gehefteten Augen. Man scheute sich zu reden, aus Furcht, er möchte noch etwas zu sagen haben und man möchte ihn hindern gehört zu werden, und doch wußte Niemand zu dem, was er gesagt hatte, noch etwas hinzuzusetzen. Er schien nur wenig gesprochen zu haben, und jeder wünschte, er hätte länger geredet. Alles, was er gesagt hatte, blieb den Herzen aller wie eingegraben. Seine Worte wirkten Liebe und Ueberzeugung. Jeder horchte ihm, wie entzückt, und faßte begierig auch den geringsten Laut auf, der seinem Munde entging.

Lange dauerte dieses Schweigen, endlich aber hörte man ein dumpfes Murmeln, das allmählich zunahm. Es war nicht mehr jenes verworrene Getös des Unwillens, das diese Völker in wilde Bewegung gesetzt hatte; es war ein sanftes Säuseln von günstiger Vorbedeutung. Milde Heiterkeit begann sich über die Gesichter zu verbreiten. Die aufgebrachten Mandurier fühlten, daß die Waffen ihren Händen entfielen. Mit Erstaunen sahen der unbändige Phalant und seine Lacedämonier ihre Herzen von Eisen in sanftere Empfindungen zerfließen. Auch die andern begannen dem glücklichen Frieden entgegenzuseufzen, den man sie hoffen ließ. Philoktet, sanfteren Herzens als die übrigen, und durch traurige Erfahrungen belehrt, konnte seine Thränen nicht zurückhalten. Nestor, durch Mentors Reden in Entzücken hingerissen, vermochte nicht zu sprechen; zärtlich umarmte er den Freund, und das ganze Heer, als hätte man ihm ein Zeichen gegeben, rief auf einmal aus:

»Weiser Greis, du hast uns entwaffnet, Friede! Friedel!«

Einen Augenblick nachher wollte Nestor zu reden anfangen, aber das ungeduldige Volk, befürchtend, er möchte irgend eine Einwendung machen, rief noch einmal: »Friede! Friede!« und nicht eher konnte es zum Schweigen gebracht werden, als bis auch alle Heerführer zugleich mit ihm ausriefen: »Friedel! Friedel!«

Nestor, der wohl sah, daß es nicht in seiner Macht stand, eine zusammenhängende Rede zu halten, begnügte sich, zu sagen:

»Du siehst, Mentor, was die Rede des Rechtschaffenen vermag. Wenn Weisheit und Tugend sprechen, so verstummet jede Leidenschaft. Unser gerechter Unwille hat sich in Freundschaft und Sehnsucht nach einem dauerhaften Frieden verwandelt. Wir nehmen ihn an, wie du uns ihn anbietest.«

Zu gleicher Zeit streckten alle Häupter ihre Hände empor, zum Zeichen ihrer Einwilligung.

Mentor eilte den Thoren von Salent zu. Er ließ sie öffnen, und Idomeneus melden, daß er ohne Bedenken aus der Stadt gehen könnte.

Mittlerweile umarmte Nestor den Telemach.

»Liebenswürdiger Sohn des weisesten aller Griechen,« sprach er zu ihm, »möchtest du ihm an Weisheit gleich kommen, aber minder unglücklich sein, als er! Hast du nichts von seinen Schicksalen vernommen? Die Erinnerung an deinen Vater, dem du so ähnlich bist, hat dazu beigetragen, unsere Gemüther zu besänftigen.«

Selbst der rauhe, wilde Phalant, wiewohl er den Ulysses nie kannte, wurde doch von dessen Leiden und denen seines Sohnes gerührt. Schon drang man in Telemach, seine Begebenheiten zu erzählen, als Mentor, von Idomeneus und der ganzen kretischen Jugend begleitet, aus der Stadt zurückkehrte.

Beim Anblick des Idomeneus erwachte der Zorn von Neuem in den Verbündeten. Aber Mentors Worte erstickten die beginnende Flamme.

»Was säumen wir, diesen heiligen Bund zu schließen, und die Götter zu Zeugen und Beschützern desselben aufzurufen? Ihre Rache treffe den Ruchlosen, der es wagt, ihn zu verletzen! Mögen die schrecklichen Plagen des Krieges, statt über die Redlichen und Schuldlosen verhängt zu werden, auf das meineidige, fluchwürdige Haupt des Ehrgeizigen stürzen, welcher die heiligen Rechte dieses Bundes unter die Füße treten wird! Von Göttern und Menschen verabscheut, ernte er nie die Fürchte seiner Treulosigkeit! In gräßlichen Gestalten müssen die höllischen Furien über ihn kommen, und ihn zur Wuth und Verzweiflung treiben! Er liege todt und ohne Hoffnung des Begräbnisses! Sein Körper werde den Hunden und Geiern zum Raube, und größere Qualen dulde er in der Unterwelt in den tiefen Schlünden des Tartarus, als Tantalus, Ixion und Danaide. Möge er fest und unerschütterlich stehen, dieser Friede, wie die Felsen des himmelstützenden Atlas! Mögen alle diese Völker ihm huldigen, und die nachfolgenden Geschlechter noch seiner Früchte genießen! Die Namen derer, die ihn beschworen haben, müssen noch von unsern spätesten Nachkommen mit Liebe und Ehrfurcht genannt werden! Dieser Friede, auf Gerechtigkeit und Treue gegründet, sei allen Nationen der Erde, die einst Frieden schließen werden, ein Vorbild, und alle Völker, die ihre Glückseligkeit in der Eintracht der Gemüther suchen, müssen Hesperiens Völker nachahmen!«

Nach diesen Worten beschworen Idomeneus und die andern Könige den Frieden auf die obigen Bedingungen. Man gab von beiden Seiten zwölf Geißeln. Telemach wollte unter der Zahl derer sein, die Idomeneus gab; aber man gestattete nicht, daß Mentor ihnen beigesellt wurde, weil die Verbündeten wünschten, daß er bei Idomeneus bleiben möchte, um für sein und seiner Rathgeber Verhalten zu stehen, bis alles Zugesagte in Erfüllung gebracht sein würde. Man opferte zwischen der Stadt und dem Lager hundert schneeweiße Rinder und eben so viele Stiere von gleicher Farbe, deren Hörner vergoldet und mit Blumen geziert waren. Furchtbar hallte das Gebrüll der Opferthiere, die unter dem heiligen Messer fielen, bis in die nahen Berge. Nach allen Seiten entströmte das rauchende Blut. Viel köstlicher Wein wurde den Göttern zum Opfer gebracht. Die Weissager untersuchten die noch zuckenden Eingeweide. Die Opferpriester streuten Weihrauch auf die Altäre; eine Rauchwolke wallte empor, und Wohlgerüche erfüllten weit umher das Gefilde.

Indessen hatten die Krieger ihre feindlichen Gesinnungen gegen einander abgelegt. Sie fingen an, mit einander von ihren Abenteuern zu reden. Schon ruhten sie von ihren Arbeiten aus, und schmeckten zum Voraus die Annehmlichkeiten des Friedens. Viele, die mit Idomeneus gen Troja gezogen waren, fanden Bekannte unter Nestors Völkern, welche mit ihnen in demselben Kriege gestritten hatten. Zärtlich umfingen sie sich und erzählten einander, was ihnen begegnet war, seitdem sie die prächtige Stadt zerstöret, die Zierde Asiens. Schon ließen sie sich auf dem Grase nieder, bekränzten sich mit Blumen, und tranken den Wein, der in großen Gefäßen aus der Stadt gebracht wurde, um den glücklichen Tag festlich zu begehen.

Auf einmal erhob sich Mentor und sprach:

»Versammelte Könige und Feldherren! Hinfort werdet ihr unter verschiedenen Namen und Anführern nur ein Volk ausmachen. So schlingen die gerechten und liebevollen Götter das Band vollkommener und ewiger Eintracht um die Menschen, ihr Werk. Das ganze Menschengeschlecht ist nur eine auf der Oberfläche der Erde zerstreute Familie. Alle Menschen sind Brüder, und wie Brüder sollen sie sich auch lieben. Wehe den Ruchlosen, die eine grausame Ruhmsucht treibt, das Blut ihrer Brüder zu vergießen, das doch ihr eigenes ist!

Die Nothwendigkeit gebeut bisweilen den Krieg, es ist wahr; aber welche Schande für die Menschheit, daß es Fälle gibt, wo er nicht vermieden werden kann! O, ihr Könige, saget mir, daß man ihn wünschen müsse, um Ruhm zu erwerben. Der wahre Ruhm besteht darin, menschlich zu sein. Wem sein eigener Ruhm süßer ist, als die Gefühle der Menschlichkeit, ist ein stolzes Ungeheuer, kein Mensch. Was er erringt, ist nur ein täuschender Ruhm, denn der wahre begleitet nur die Mäßigung und Güte. Zwar wird es seiner thörichten Eitelkeit an Lobrednern nicht fehlen, aber der Wahrheitliebende wird ihn im Verborgenen verdammen, und ihn der Ehre um so weniger würdig halten, je mehr er zu Befriedigung seiner ungerechten Leidenschaften nach ihr strebt. Er verachtet die Menschen; aus wüthender Eitelkeit verspritzt er ihr Blut; wie wäre es möglich, daß sie ihn ehren könnten? Wie beglückt ist dagegen ein Fürst, der sein Volk liebt, der von ihm wieder geliebt wird, der seinen Nachbarn traut, und auch ihr Zutrauen besitzt, der, weit entfernt, sie selbst zu bekriegen, die Kriege zwischen ihnen zu hintertreiben sucht, und so regiert, daß alle fremden Völker seine Unterthanen um das Glück beneiden, ihn zum König zu haben.

Fürsten, die ihr die mächtigsten Staaten Hesperiens beherrschet, unterlasset nicht, euch von Zeit zu Zeit zu versammeln. Veranstaltet alle drei Jahre eine allgemeine Zusammenkunft, und jeder der Könige, die hier gegenwärtig sind, finde sich dabei ein, um durch frische Schwüre diesen Bund zu erneuern, die gelobte Freundschaft zu befestigen, und über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu berathschlagen. So lange ihr verbunden bleibet, wird in diesem schönen Lande Friede, Ruhm und Ueberfluß herrschen, und kein auswärtiger Feind wird euch je besiegen können. Die Zwietracht allein, die der Hölle entstieg, die Menschen zu quälen, würde die Glückseligkeit stören können, die euch die Götter bereiten.«

Nestor antwortete ihm:

»Aus der Bereitwilligkeit, womit wir Frieden schließen, ersiehst du, wie weit wir entfernt sind, aus eitler Ruhmsucht oder einer ungerechten Begierde, uns zum Nachtheil unserer Nachbarn zu vergrößern, Krieg führen zu wollen. Aber was soll man thun, wenn man einen gewaltigen Fürsten in der Nähe hat, der kein anderes Gesetz kennt, als seinen Eigennutz, und keine Gelegenheit versäumt, andere Staaten feindlich anzufallen? Glaube nicht, daß ich von Idomeneus rede; nein, ich denke jetzt ganz anders von ihm. Es ist Adrast, der König der Daunier, von dem wir alles zu fürchten haben. Er ist ein Verächter der Götter; er wähnt die Menschen nur dazu geboren, durch ihre Unterwerfung zu Werkzeugen seiner Größe zu dienen. Er verlangt nicht Unterthanen, deren König und Vater er sei; er will nur sclavische Anbeter zu seinen Füßen sehen; er läßt sich göttliche Ehre erweisen. Bis hierher hat ein blindes Glück seine ungerechtesten Unternehmungen begünstigt. Wir eilten, Salent anzugreifen, um uns des schwächsten unserer Feinde zu entledigen, der nur erst angefangen hatte, seine Macht auf dieser Küste zu gründen, um sodann unsere Waffen gegen diesen mächtigen Feind zu kehren. Schon hat er sich mehrerer Städte unserer Bundesgenossen bemächtiget. Die Einwohner von Krotona haben zwei Schlachten gegen ihn verloren. Er verschmäht kein Mittel, seine Ruhmsucht zu befriedigen; Gewalt oder List, alles gilt ihm gleich, wenn er nur seines Feindes Meister werden kann. Er hat große Schätze aufgehäuft. Seine Schaaren sind geübt und kriegerisch. Seinen Feldherren fehlt es nicht an Erfahrenheit. Sie dienen ihm mit Eifer. Mit schwerer Strafe belegt er das geringste Versehen, und belohnt mit freigebiger Hand die Dienste, die man ihm leistet. Durch seine eigene Tapferkeit unterstützt und belebt er den Muth seiner Krieger. Er würde ein vollkommener König sein, wenn Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit seine Handlungen leiteten. Aber weder die Furcht vor den Göttern, noch die Vorwürfe seines Gewissens schrecken ihn. Die Meinung der Menschen hat keinen Werth für ihn, er hält sie für ein nichtiges Schreckbild, das nur schwache Seelen im Zaum halten könne. Große Reichthümer zu besitzen, gefürchtet zu sein, und sich das ganze menschliche Geschlecht zu unterwerfen: dies sind die Güter, denen er allein einen Werth beilegt. Bald werden seine Heere auf unserm Boden erscheinen, und wenn nicht alle diese Fürsten sich vereinigen, ihm zu widerstehen, so bleibt uns keine Hoffnung übrig, unsere Freiheit zu behaupten. Es ist eben so sehr der Vortheil des Idomeneus, als der unsrige, einem Nachbar sich entgegen zu stellen, der es nicht ertragen kann, freie Menschen um sich her zu sehen. Sollten wir überwunden werden, so würde Salent dasselbe Unglück zu fürchten haben. Wohlan! so lasset uns denn insgesammt eilen, ihm zuvor zu kommen!«

Also sprach Nestor.

Während dieses Gesprächs war man der Stadt nahe gekommen, denn Idomeneus hatte die Könige und die vornehmsten Heerführer eingeladen, in sie einzuziehen, und die Nacht daselbst zuzubringen.



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