Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XVII.

Das große Sommerrennen in Horn hielt die ganze sportfreundliche Welt Hamburgs in Aufregung. Es waren besondere Festtage auch für alle die Straßen, durch welche die teilweise glänzende Korsofahrt nach und von dem Rennplatz ihren Weg nahm.

Auch in der Gärtnerstraße waren alle Fenster, Balkons und Verandas mit Schaulustigen besetzt. Auch die Wittfoth hatte Stühle und Schemel vor ihre Ladenthür auf das Trottoir gestellt, für sich und die beiden Mädchen.

Hermann, der sonst an einem dieser Tage zu kommen pflegte, war ausgeblieben. Er hatte sich überhaupt lange nicht bei der Tante sehen lassen, zu deren und Theresens großer Verwunderung. Nur Mimi wußte, warum er nicht kam.

Sie fühlte keine Reue über ihre Ablehnung seiner Werbung. Sie hatte sich nach Fertigstellung ihres Briefes, dessen nach ihrer Meinung elegante Redewendungen ihr nicht leicht geworden waren, mit dem Gefühl zur Ruhe gelegt, als hätte sie etwas Rechtes, etwas Großes gethan.

Am nächsten Morgen hatte sie nur noch das eine Gefühl der Neugier: Was wird er wohl sagen? Was wird er nun thun?

Pohlenzens Bemühungen um sie fanden einen fruchtbaren Boden. Schnell schoß das neue Verhältnis unter dem befruchtenden Segen der vierzigtausend Mark in die Halme, das bescheidene Grün der alten Beziehungen zu Hermann überwuchernd und erstickend.

Mimi hatte zum zweiten Renntag, dem Sonntag, eine Einladung von Pohlenz angenommen. Sie hatte am ersten Tag Hermann in Begleitung einiger Freunde vorbeifahren sehen, hatte jedoch Therese und deren Tante nicht auf ihn, der sich wie absichtlich abwandte, aufmerksam gemacht.

Ob sie ihn wohl auch am Sonntag auf dem Rennplatz treffen würde? Sie wünschte es beinah. Es wäre pikant. Auf jeden Fall würde sie an der Seite ihres neuen Verehrers dem Abgedankten imponieren.

Pohlenz wollte ein Cabriolet nehmen und selbst fahren. Hermann hätte sich das nicht leisten können, hätte auch wohl kaum zu fahren verstanden.

Den ganzen Tag lag ihr nichts mehr im Kopf, als diese mögliche Begegnung zwischen ihr und Hermann. Wie eine Theaterszene malte sie es sich aus.

Sie war nie beim Rennen gewesen und brannte vor Ungeduld. Sorgfältig beobachtete sie die Insassinnen der vorüberrollenden Equipagen und Mietsfuhrwerke und dachte sich an deren Stelle, vornehm nachlässig zurückgelehnt, chic gekleidet, alle Blicke auf sich ziehend.

Pohlenz hatte ihr ein neues Kostüm geschenkt, in dem sie ohne Frage gefallen würde. Sie hatte nach kurzem Bedenken diese »kleine Aufmerksamkeit« von ihm angenommen.

Ihn hatte sie gebeten, sich zu kleiden, wie damals in Buxtehude, und geschmeichelt hatte der überaus Eitle es versprochen. Er hatte ihr zu sehr in diesem Anzug gefallen. Er hatte so etwas exotisches darin. Reiche Brasilianer und indische Nabobs, Helden früher von ihr gelesener Romane, lebten in ihrer Erinnerung auf. Der tief brünette Pohlenz mit dem großen Panamahut, dem weißen Röckchen, eine seiner feinen Cigaretten rauchend, eigenhändig den schlanken Traber lenkend, sie neben ihm im neuen Kostüm, immer wieder kehrten ihre Gedanken zu diesem Bilde zurück.

Da fuhr Hermann vorüber in einer gewöhnlichen Droschke, etwas krumm, vornübergeneigt, wie immer, wenn er es sich bequem machte Er sah sehr blaß aus, wie übernächtig. Auch die drei Herren neben ihm waren keineswegs elegante Erscheinungen. Der eine erregte sogar ihre Heiterkeit durch eine geschmacklose kirschrote Krawatte.

Wie gewöhnlich das ganze Fuhrwerk aussah. Sie möchte sich nicht darin unter diese eleganten Equipagen mischen.

Hermann hatte Mimi schon von weitem auf ihrem Schemel stehen sehen, neben seiner kleinen Tante, die einen Stuhl erklettert hatte, um besser sehen zu können. Rechtzeitig wandte er sich ab, um nicht ihrem Blick zu begegnen.

Ihre Absage hatte ihm sehr weh gethan. Er liebte sie wirklich und konnte sie nicht vergessen. Selbst der ungebildete Stil ihres Schreibens, der kleine grammatikalische Schnitzer, beleidigten ihn nicht. Es war ihm ja nicht unbekannt, daß ihre Bildung keine lückenlose war, ihr Charakter nicht ohne Schwächen. Aber welches Weib hat nicht seine Schwächen. Vom Weibe verlangt man etwas anderes, als Charakter und Grammatik. Eine vollkommene Frau hätte ihn gar nicht gereizt. Er hatte es sich so schön geträumt, Mimi allmählich zu erziehen, zu veredeln, die schlummernden guten Anlagen zu wecken.

Der Traum war aus.

Hermann mied das Haus der Tante seit Mimis Brief. Er suchte Zerstreuung und überredete auch seine Freunde, gemeinschaftlich das Rennen zu besuchen. Er hoffte die Geliebte dort oder beim Vorüberfahren zu sehen. Er malte sich eine Begegnung aus: Kühler, höflicher Gruß von seiner Seite, mit einem leisen Anflug von Schmerz. Farbe der Resignation. Männliche Gefaßtheit. Sie errötend, dann erblassend, mit dem bekannten schnippischen Wurf ihres hübschen Köpfchens die Sache schnell und geringschätzig abthuend.

Einen Augenblick hatte er geglaubt, das Spiel noch nicht verloren geben zu sollen. Mimi würde sich wohl noch besinnen, er müsse ihr Zeit lassen. Sie wäre auch gar zu wenig vorbereitet gewesen.

Vielleicht bedauerte sie schon ihre Abweisung seines Antrags, der nur edle selbstlose Motive zu Grunde lagen. Das Leben ist so furchtbar ernst, hatte sie geschrieben. Sie war nicht schlecht, sie hatte ein gutes Herz. Vielleicht empfand sie auch selbst ihre Unbildung und glaubte, nicht für ihn zu passen. Und er sah sie in Gedanken blaß, traurig, weinend in ihrem engen Stübchen sitzen, das ihm immer ihrer so wenig würdig vorgekommen war.

Aber solchen Illusionen konnte er sich nicht länger hingeben, seitdem ihm einer seiner Freunde auf Ehre versicherte, Mimi mit Herrn Pohlenz Arm in Arm, im Zoologischen Garten getroffen zu haben.

Also doch! Im Grunde glaubte er ja auch selbst nicht an seine Beschönigungen. Warum sich belügen? Sie war eine Kokette, seiner nicht wert. Er mußte sie vergessen.

Als er sie jedoch am zweiten Renntage auf dem Rennplatz wieder traf, an der Seite des verachteten Nebenbuhlers, entflammte aufs neue der heftigste Schmerz in ihm.

Mimi sah auch entzückend aus. Er hatte sie nie in diesem Kostüm gesehen. Es musste ganz neu sein und schien ihm über ihre Verhältnisse zu gehen. Sollte sie sich bereits von dem Probenreiter kleiden lassen?

Mimi trug ein enganschließendes, taubengraues Kleid von vornehmer Einfachheit. Eine leuchtende rote Rose schmückte die anmutig volle Büste. Ein kleiner runder, grauer Herrenfilz mit weißem Taubenflügel saß kokett auf dem hübschen Blondkopf.

Und nichts von Trauer, Gedrücktheit oder Nachdenklichkeit lag auf diesem frischen, lebhaften Mädchengesicht. Das war ganz die muntere, sorglose, genußfreudige Mimi, die ihn immer so bezaubert hatte mit ihrer Lebenslust.

Er mußte sich zusammennehmen, damit der aufwühlende Schmerz ihm keine Thränen entlockte, der Schmerz und die Wut auf den verhaßten Sieger. Er trennte sich von den Freunden, um aus Mimis Nähe zu kommen.

Die Tribüne verlassend, traf er auch die Behnsche Familie, die vom Wagen aus dem Derby zusah. Er grüßte hinauf, ohne von den ganz von der Sportlust in Anspruch Genommenen einen Gegengruß zu erhalten. Nur von Lulu erhaschte er einen matten, ausdruckslosen Blick.

Es fiel ihm auf, wie blaß das Mädchen aussah, fast leidend.

Seit ihrer Tanzbodenbegegnung hatte er Lulu nur dann und wann flüchtig am Fenster gesehen, von der Wohnung der Tante aus. Er hatte sich damals seine eigenen Gedanken über sie gemacht, nicht zu ihrem Vorteil. Er hatte keine hohe Meinung von ihr. Ein leichtsinniges Mädchen, das sicher auch andere Vergnügungen nicht verschmähen würde, wenn es sich nicht für zu gut hielt, mit diesem Droschkenkutscher die Tanzböden zu besuchen.

Auch in dem kleinen Kreis der Tante Wittfoth herrschte keine andere Ansicht über Lulu. Er hatte immer nur geringschätzig über sie sprechen hören.

Was stimmte ihn nun auf einmal so günstig für das Mädchen? Wie Mitleid überkam es ihn. Sie hatte so bedrückt, so unglücklich ausgesehen.

Seine Einbildungskraft suchte nach Ursachen, anknüpfend an jenes Ottensener Abenteuer und auf dem Faden ihres Verhältnisses zu Beuthien allerlei romantische Vermutungen aufreihend.

Er wird sie betrogen haben, dachte er, und lachte bitter auf: Tout comme chez nous, mit vertauschten Rollen.

Es that ihm wohl, eine Leidensgefährtin in Lulu zu haben, wenn auch nur in seiner Einbildung. Er wog Lulu gegen Mimi und gab ihr den Preis vor dieser, mit einer Art schmerzlichen Wollustgefühls befriedigter Rache.

Lulu war ihm das Opfer ihrer Liebe, ihrer Leidenschaft, Mimi eine herzlose, oberflächliche Kokette, eine käufliche Dirne.

Ja, eine Dirne war sie, verkauft hatte sie sich diesem Affen, diesem Knopfkrämer.

Wie ekel war ihm das Leben, wie schal, wie kindisch erschien ihm das ganze Treiben hier, diese Hetzjagd um den Preis, dieses Wetten und Spielen.

Er kam sich einsam unter der Menge vor. Er strebte dem Ausgang zu.

Da ward ihm ein Gruß.

Es war Beuthien, der mit anderen Rosselenkern zusammenstand, jeder ein halbgeleertes Bierseidel in der Hand, fachmännische Gespräche mit derben Witzen würzend.

Wie roh sahen die Leute aus. Selbst Beuthien, der alle um Haupteslänge überragte, von Hitze und Biergenuß gerötet, stieß ihn ab. Lulus Geschmack war ihm unverständlich.

Und doch, was wollte er denn?

Kaufkraft und Muskelkraft, das sind ja die Kräfte, vor denen die Weiber Respekt haben.


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