Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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IX.

Hermann Heineckes Liebe zu Mimi Kruse war erfinderisch in allerlei kleinen Aufmerksamkeiten gegen das hübsche Mädchen, obgleich er sich mit Rücksicht auf Therese immer noch Zurückhaltung auferlegte. Sein gutes Herz erlaubte ihm nicht, Mimi mit einem Geschenk, einem Bouquet, einer Rose, oder was der Tag und der Zufall brachte, zu erfreuen und die Cousine leer ausgehen zu lassen. Und selten hatte er ja Gelegenheit, die Geliebte länger als fünf Minuten alleine zu sprechen.

Nebenbei widerstrebte es seinem Stolz, Heimlichkeiten mit ihr zu haben, sie zu bitten, der Tante und Cousine nichts zu erzählen, wenn er ihr eine Blume oder ein Fläschchen Odeur mitgebracht hatte. So sah er sich genötigt, alles zweifach und manchmal, um die Tante nicht zurückzusetzen, dreifach zu spenden, und mit der Erfindungsgabe des Verliebten den für Mimi bestimmten Gegenständen noch irgend einen kleinen Ueberwert zu verleihen, aus dem sie entnehmen konnte, daß er sie auszeichnen wollte.

Nur den Ring, den er ihr gekauft hatte, damit sie den häßlichen grünen Stein ablegte, hatte er ihr doch heimlich zusenden müssen. Ein solches Wertstück konnte er ihr unmöglich öffentlich überreichen, ohne die Kritik der Tante herauszufordern. Diese Heimlichkeit war in seinen Augen entschuldigt.

Mimi hatte den Ring mit unverhohlener Ueberraschung und lebhafter Freude entgegen genommen. Er ward zu einem gewichtigen Verbündeten der goldenen Brille Hermanns. Herr Heinecke war entschieden eine höchst annehmbare Partie, ein Verehrer, den man warm halten mußte. Sie fand ihn schon ansehnlicher, als vor acht Wochen, eigentlich doch gar nicht so übel.

Hermann freute sich der Wirkung des Ringes. Als er damals mit den beiden Mädchen nach dem Konzert soupiert hatte und er in seiner gehobenen Stimmung Theresens Anwesenheit störend empfand, war ihm der lebhafte Wunsch gekommen, einmal einen Tag mit Mimi allein zu verbringen. Aber wie sollte er das anfangen. Er durfte sie doch nicht gradezu einladen, sie war doch immer das Ladenmädchen seiner Tante.

Und heimlich? Freilich, das Versteckspielen hat seine Reize.

Da kam ihm der Zufall zu Hilfe. Ein verabredeter Sonntagnachmittagsspaziergang nach der Elbschlucht, einem an der Flottbecker Chaussee gelegenen Restaurant mit wundervoller Aussicht auf den Elbstrom, drohte durch Theresens Kopfschmerzen in Frage gestellt zu werden, als die Tante, durch Mimis kindlich zur Schau getragene Trauer gerührt, antrieb, den Spaziergang doch ohne Therese zu machen.

Es war ein herrlicher Maisonntag, als die beiden jungen Leute auf dem Rathausmarkt die Pferdebahn verließen, um eine Droschke erster Klasse anzurufen. Mimi, entzückt über Hermanns Gentilität, strahlte vor Vergnügen, als sie, bequem in den weichen Fond des sauberen Gefährts zurückgelehnt, wie eine Dame durch die Straßen rollte.

Sie sah allerliebst aus. Ihre volle, jugendfrische Büste kam in dem straff anliegenden schwarzen Jäckchen, das sich wirkungsvoll von dem schlichten, perlgrauen Kleid abhob, zur schönsten Geltung. Eigenhändig hatte ihr Hermann eine dunkelrote, halberschlossene Rose ins Knopfloch gesteckt. Ein leichtes Strohhütchen, nur mit weißen, duftigen Spitzen garniert, stand ihrem frischen lachenden Gesicht vortrefflich.

Hermann, der auch seine kleinen Schwächen besaß, hatte Mimis Vorliebe für das Pincenez das Opfer gebracht, sich ein solches zuzulegen, und war nun alle paar Minuten beschäftigt, den ungewohnten Nasenreiter mit seinen bismarckfarbenen Händen--er trug mit Vorliebe diese Modehandschuhe--wieder in den Sattel zu setzen. Uebrigens verlieh diese Gesichtszierde ihm ein vornehmeres Aussehen, und die Wenigsten suchten gewiß in diesem distinguierten Paar einen Volksschullehrer und eine Ladenmamsell.

Unterwegs entschloß man sich, die Fahrt, die beiden viel Vergnügen bereitete, etwas weiter auszudehnen, und befahl dem Kutscher, nach dem eine halbe Stunde weiter elbabwärts gelegenen Parkhotel zu fahren. Von da wollte man mit einem der kleinen Elbdampfer nach Hamburg zurückkehren und den Tag in irgend einem Konzertgarten beschließen.

Aber ein Blick in den Vergnügungsanzeiger, der im Hotel auslag, hatte Mimis Tanzleidenschaft angeregt, und in guter Laune beschlossen sie, auf Hermanns Vorschlag, dem nächstgelegenen Tanzlokal, dem Ottensener Park, einen Besuch abzustatten, wo man sich so gut wie fremd fühlen und ohne Furcht gesehen zu werden, der höchste Vorteil einer großen Stadt, unter die Tänzer mischen durfte.

Arm in Arm gingen sie einen einsamen Seitenweg durch die Felder; der Umweg war ihnen willkommen.

Es war schon dämmerig. Lange Strecken gingen sie zwischen Hecken und Knicks, oder auf schmalen Fußsteigen an Wiesenrändern, ohne einen Menschen zu treffen.

Mimi war sehr aufgeräumt. Die genossene Chartreuse that ihre Wirkung. Man alberte mit einander, suchte sich in die kleinen wasserlosen Gräben zu drängen, kitzelte sich mit langhalmigen Gräsern unter die Nase und trieb allerlei Kindereien.

Mimi war selten so animiert gewesen. Alles erschien ihr in rosigem Licht heute, auch Hermann. Er kam ihr fast hübsch vor.

Ihre Gedanken nahmen in der Einsamkeit der Felder mit einem Mal eine eigentümliche Richtung an, und sie erschrak mitten unter ihren Narrheiten.

Gab es eine passendere Gelegenheit für ihn, sich auszusprechen? Forderte ihn nicht alles dazu auf? Ob ihm gar keine derartigen Gedanken kommen würden?

Sie ward stiller und ging nicht mehr auf seine Neckereien ein. Einige Minuten gingen sie schweigend weiter, sie vorauvorausdurch die Enge des Weges genötigt, hinter ihr.

»Sehen Sie, die blühen schon,« rief sie plötzlich, stehen bleibend, und zeigte auf einen schwankenden, überhängenden Weißdornzweig, an dem die ersten Knospen sich erschlossen hatten.

Er wollte ihr den Zweig brechen, aber sie erhob sich auf den Zehen und streckte, den Sonnenschirm fallen lassend, beide Arme danach aus.

Da sie vor ihm stand, mußte er sie gewähren lassen. Aber sie mühte sich vergeblich, und er griff über ihre Schulter weg gleichfalls nach dem Zweig.

Wie sie so aneinandergedrängt standen, alles an ihrem schlanken, jugendkräftigen Körper straff gespannt, faßte es ihn mit Gewalt. Er umfing sie und drückte der erschrocken Aufkreischenden einen heftigen Kuß auf den Mund.

Hatte sie auch an etwas derartiges vorhin mit halbem Wunsche gedacht, und in ihrer Chartreusestimmung eine romanhafte Entwicklung dieses Spazierganges nicht ungern gesehen, so fühlte sie sich doch bei dieser unerwarteten Berührung plötzlich ernüchtert. Sein heißer Atem, die feuchte Wärme seiner breiten, schwülen Lippen flößten ihr Widerwillen ein. Der Bier- und Cigarrendunst aus seinem Munde erregte ihr Ekel.

Scham, Zorn und Bestürzung ließen sie anfangs auf Sekunden verstummen. Wortlos ordnete sie ihre verschobenen Kleider. Aber der Unmut auf ihrem Gesicht, das sich in jähem Wechsel zwischen rot und weiß verfärbte, zeigte ihm deutlich, daß er zu kühn gewesen war.

Betreten suchte er durch einen flauen Scherz über die Verlegenheit hinweg zu kommen.

»Das lassen Sie aber bitte nach,« sagte sie nach einer kurzen, peinlichen Pause. »Dann kehre ich sofort um«.

»Aber Fräulein, Sie werden doch nicht«, zweifelte er.

»Ganz gewiß«, beteuerte sie.

Sie empfand schon Mitleid mit ihm. Er sah gar zu bestürzt aus.

»Wenn Leute kommen. Hier auf offenem Felde«, lenkte sie ein.

»O, das hat niemand gesehen«, meinte er, glücklich, sie ihre gute Laune wieder gewinnen zu sehen.

»Sind Sie mir böse«? fragte er, sich ihr nähernd.

»Ja«. Trotzig trat sie einen Schritt hinter ihn, als fürchte sie eine neue Umarmung. Der Bierdunst seines Atems hatte sie wieder gestreift.

Nun wurde auch Hermann ärgerlich. Hatte sie sich nicht frei und ausgelassen genug benommen, daß er auch seinerseits sich wohl vergessen konnte?

»Wenn es Ihnen lieber ist, Fräulein Kruse«, sagte er verletzt, »so bringe ich Sie bis zur nächsten Pferdebahn. Es thut mir leid, wir waren so vergnügt, und ich bitte Sie um Verzeihung«.

Sie wurde ganz rot. Was fiel ihm denn ein? Das hatte sie nicht erwartet. Er hätte freilich den Kuß unterwegs lassen können, aber so tragisch war doch die Geschichte nicht. Oder sollte er selbst vielleicht genug von der Partie haben und die Gelegenheit benutzen wollen, sich ihrer für den Rest des Abends zu entledigen?

»O, ich finde die Pferdebahn auch alleine«, gab sie ihm schnippisch zur Antwort.

»Wenn Sie es vorziehen, bitte«. Er gab ihr den Weg frei und lüftete den Hut.

Sie zögerte und bohrte die Spitze ihres weißen Spitzenschirmes in den tiefen weichen Sand.

»Sie sind abscheulich!« stieß sie plötzlich hervor. Sie zog die Unterlippe unter die Oberlippe, und Thränen standen ihr in den Augen.

Sofort war er gerührt.

»Aber liebes Fräulein, machen Sie doch keinen Unsinn. Kommen Sie.« Er legte ihren Arm mit sanftem Zwang in den seinen und zog sie mit sich.

Zum Schein sich sträubend, mit der behandschuhten Rechten eine große Thräne von der linken Backe wischend, folgte sie ihm. Sie schämte sich, und ein noch halb mit dem Weinen kämpfendes Lachen förderte einen drolligen, hellen, glucksenden Ton zum Vorschein.

Dieser komische Laut gab Anlaß zu erneutem Lachen, und der Friede war geschlossen.

Sie hätte sich jetzt noch einmal von ihm küssen lassen, aber er ging sittsam neben ihr her.

Der Umweg erwies sich größer, als Hermann ihn geschätzt hatte, und es herrschte völliges Dunkel, als man aus den Feldern heraus in den bebauten Weg einbog, der nach dem erwähnten Tanzlokal führte. Die Straßenlaternen brannten schon, und auch der nun sichtbar werdende Garten, das Ziel der Wanderung, erstrahlte im Licht seiner vielen Lampen.


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