Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XV.

Auch für Therese und Mimi war dieser Sonntag ein amüsanter gewesen.

Hermann hatte sich frühzeitig genug eingestellt, um noch der Tante einen Gruß mit dem Taschentuch nachwinken zu können.

Das Dampfboot nach Buxtehude fuhr erst um halb neun Uhr von der Landungsbrücke in St. Pauli ab. Ohne zu eilen, konnte man sich mit der Pferdebahn dorthin begeben.

Schon beim Betreten des Schiffes geriet man in eine muntere Gesellschaft. Ein mittelgroßer Herr mit breitrandigem Panamahut, weißem Leinenrock, grauem Beinkleid und leichten gelben Lederschuhen bildete den Mittelpunkt einer Gruppe rauchender, schwatzender und sehr aufgeräumter junger Herren. Die Ankunft Hermanns und der Damen unterbrach die Unterhaltung. Mimi zog sofort alle Blicke auf sich. Die Herren lüfteten die Hüte und gaben mit übertriebener, geckenhafter Höflichkeit den Weg frei.

»Ah, Fräulein Kruse,« rief plötzlich der Herr in Weiß überrascht und mit schlecht verhehlter Verlegenheit.

»Fräulein Saß, Sie auch?« wandte er sich an Therese.

»Herr Pohlenz! Gott, nein, wie komisch,« lachte Mimi.

Hermann erkannte unter den andern jungen Leuten einen Bierfreund. Die Begrüßung wurde intimer, man schloß sich aneinander an und wurde nicht müde, über diese zufällige Begegnung geistvolle Betrachtungen anzustellen.

Hermann wäre lieber mit den Mädchen allein geblieben. Er sah voraus, daß Mimi ihm auf Stunden durch die Aufmerksamkeit der anderen entzogen sein würde. Keinenfalls wollte er sich in Buxtehude jener Gesellschaft anschließen. Am Bord war man ja nun einmal auf einander angewiesen.

Auch Therese war anfänglich etwas peinlich von Mimis Triumphen berührt. Sie gönnte sie ihr ohne Neid und hätte nicht ungern gesehen, sie würde so sehr von den Fremden in Anspruch genommen, daß Hermann mehr auf ihre, Theresens, Gesellschaft angewiesen wäre. Sie sah dem Eifersüchtigen schon den Mißmut an.

Seit Hermanns offenem Geständnis der Tante gegenüber, hatte Therese sich an den Gedanken gewöhnt, Mimi bereits als seine heimliche Braut zu betrachten. Es war ihr gelungen, Schmerz und Eifersucht niederzukämpfen, ein leises feindliches Gefühl gegen Mimi zu besiegen.

So ließ auch dieser Erfolg der hübschen Freundin bei der männlichen Fahrgesellschaft keine unedlen Regungen bei ihr aufkommen, obwohl sie es schmerzlich empfand, auch hier wieder zurückstehen zu müssen. Erst als sie, um nicht ganz übersehen zu werden, ihre Stimmung meisterte, und sich unbefangen an der Unterhaltung beteiligte, als man auf ihre oft treffenden Bemerkungen und witzigen Einfälle aufmerksam wurde, fand auch sie ihre Rechnung bei dieser Umgestaltung des Programms, die an Stelle eines Trios eine so vielstimmige Symphonie setzte.

Die ausgeladene Höflichkeit der kleinen Herrengesellschaft war bald erklärt und begründet. Herr Pohlenz hatte in der Stadtlotterie einen namhaften Treffer gemacht, vierzigtausend Mark waren ihm zugefallen. Nun spielte der glückliche Gewinner den freigiebigen Freund und begann schon im Anfang der Fahrt alle am Bord Befindlichen, Kapitän und Schiffsvolk eingeschlossen, zu traktieren.

Hinter der Gloriole des liebenswürdigen Schwerenöters verschwand selbst in Theresens Augen die komische Figur des vertrösteten Freiers. Selbst sie fand Herrn Emil Pohlenz doch eigentlich ganz nett, und Mimi erklärte, man könne sich doch oft sehr in einem Menschen täuschen.

Das herrliche Wetter that das seine, die Fahrt durch die schmale, vielgewundene Este zu einer genußreichen zu machen. Die fetten, im schönsten Sommerschmuck prangenden Marschufer boten mannigfache, wechselnde Reize: Breite Deiche, mit üppigem Pflanzenteppich behangen: großblättriger Huflattich in wuchernder Ausbreitung, hochstielige Schafsgarbe mit ihren weißen Blütenkronen, dazwischen gestreut, wie eine Hand voll Gold, die fettigen, gelben Blüten der Butterblume. Auf grasreichen Wiesen weidende Kühe. Auf den Stegen, hinter den Hecken der freundlichen obstreichen Gärten, kichernde rotwangige Landmädchen, die Kußhände und losen Scherzworte, die ihnen die Herren vom Schiff aus zuwarfen, dreist erwidernd oder verlegen empfangend.

Ein jüdischer Handelsmann, der sich am Bord befand, machte den ortskundigen Cicerone und lobte die reiche Gegend, in der er lohnende Geschäfte zu machen pflege.

Und in der That verriet das saubere behäbige Aussehen der einzelnen Höfe sowohl, als der ganzen Dörfer, deren Rückseite sich oft bis hart an das schilfumrauschte Ufer des Flüßchens erstreckte, gediegenen Wohlstand.

Selbst Hermann verlor während der Fahrt seine Mißstimmung. Hoffte er doch auch, sich in Buxtehude mit den Mädchen verabschieden zu können.

Doch er sah sich getäuscht. Die Herren wollten die Gesellschaft der Damen nicht wieder missen, diesen selbst gefiel es nur zu gut im Kreise so vieler galanter Ritter, und da man sich durch Annahme vieler Gefälligkeiten und Liebenswürdigkeiten verpflichtet hatte, konnte auch Hermann schließlich, wenn er nicht unartig erscheinen wollte, nur gute Miene zum bösen Spiel machen.

Schwer genug ward es ihm. Eifersüchtig sah er, wie Herr Pohlenz seine ganze Aufmerksamkeit Fräulein Kruse zuwandte, und wie Mimi sich geschmeichelt fühlte.

Allerdings war sie dann später zartfühlend genug, Herrn Pohlenzens taktlose Aufforderung zur Mittagstafel mit einem Hinweis auf Hermanns ältere Rechte abzulehnen. Aber jener wandte sich an Therese und wählte seinen Platz so, daß er Mimi zur Linken hatte. Zwischen beiden Damen sitzend, zeigte er sich als interessanter Gesellschafter, so daß Hermann auch jetzt noch nicht zur ungeschmälerten Freude an Mimis Gesellschaft kam.

Und so blieb es. Auch für den Rest des Tages war Mimi die Königin, der alles huldigte, und das hübsche Mädchen spielte die ihr zugewiesene Rolle mit Geschick und Liebe zur Sache.

Auf der Rückkehr nach Hamburg änderte sich das Wetter. Ein leichter Regen fiel, ohne jedoch die fröhliche Gesellschaft vom Deck zu vertreiben. Man scheute die Stickluft der engen Kajüte. Die meisten, erhitzt von Wein und Frohsinn, empfanden die kleine Douche als Erfrischung. Auch Therese und Mimi blieben oben, um nicht die allgemeine Gemütlichkeit zu stören. Sie fanden genügenden Schutz hinter der Kajütenwand, und auch eine warme Decke trieb man auf, in die sich die empfindlichere Therese einhüllen konnte.

Hatte man einmal A gesagt, sollte man nun auch B sagen. Herr Pohlenz wehrte sich auch nach der Ankunft in Hamburg noch lebhaft gegen eine Trennung.

»Sie sind meine Gäste, Sie müssen bleiben,« rief er. »Jetzt wird's erst fidel.«

Und man blieb zusammen, hörte einige Musikstücke in Hornhardts Konzertgarten an, ging, den Widerspruch einzelner besiegend, noch auf ein Glas Bier zu Mittelstraß, einem beliebten Restaurant, und schloß endlich zu später Stunde mit einer Tasse Melange in Görbers Café.


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