Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XI.

Einige Tage nach diesem »himmlischen« Ausgehsonntag Mimis war Herr Emil Pohlenz, von der Firma Müller und Lenze, ohne Probenkoffer, im Gesellschaftsanzug, mit hellen Glacés und modernstem Cylinder in einer Droschke vorgefahren und hatte um die Hand der Frau Caroline Wittfoth angehalten.

Unter gegenseitiger Verlegenheit, die hinter Räuspern und Fußscharren einen Versteck suchte, hatte man sich den schmalen Korridor entlang bis ins gute Hinterzimmer komplimentiert. Der große, altväterische Kleiderschrank, der diesen Gang noch beengte, hatte es auf dem Gewissen, daß der etwas kurzsichtige Herr Pohlenz im Eifer der Höflichkeit die Wand streifte und mit einem weißen Aermel die »gute« Stube erreichte.

Das hatte willkommenen Anlaß gegeben, im Verlauf der Reinigungsbemühungen die beiderseitige Verlegenheit zu überwinden.

Auf der Kante des verblichenen gelbbraunen Rips-Sessels balancierend, mit schmachtendem Blick über das goldene Pincenez hinweg, hatte dann Herr Pohlenz der Witwe sein Herz zu Füßen gelegt, »nach reiflicher Ueberlegung und mit der festen Ueberzeugung, daß sie zusammen glücklich werden würden«.

Frau Caroline hatte ihrerseits kein Hehl daraus gemacht, daß sie in ihrem fünfjährigen Witwenstand noch keineswegs die Vorzüge der Ehe zu schätzen verlernt hatte, und ließ durchblicken, daß die gebotene Gelegenheit zur Rückkehr in den verlassenen Hafen ihr einer Beachtung nicht unwert erschien.

Herrn Pohlenzens kaufmännische Tüchtigkeit würde unbedingt das Geschäft ungeahntem Glanz entgegenführen, das Kapital von sechstausend Mark, das er mitbrächte, wäre nicht zu verachten, und was »das Uebrige« anbelangte, so fühle sie sich ungemein geschmeichelt und wäre überzeugt, daß gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme das erhoffte Glück verbürgen würden.

Herr Pohlenz stellte seine Achtung, seine ganz besondere Hochachtung über allen Zweifel, und »Rücksichtnahme, mein Gott, Rücksichten müßten wir ja alle nehmen. Wie sollte sonst die Welt bestehen«.

Nachdem man noch eine Viertelstunde über das Glück der Ehe im allgemeinen und die Vorteile einer Verbindung Wittfoth und Pohlenz im besondern mehr oder weniger sentimentale Betrachtungen angestellt hatte, mußte Frau Caroline doch bitten, sie nicht schon heute zu diesem inhaltsschweren Schritt zu drängen. Acht Wochen Bedenkzeit möge er ihr gestatten, dann wolle sie sich endgiltig entscheiden, und, wie gesagt, sie wisse die Ehre zu schätzen.

Herr Pohlenz wollte durchaus nicht drängen. Acht Wochen wäre zwar eine lange Zeit, »wenn es sich um das Glück eines Lebens handelt«. Hierbei unterzog er seinen Cylinder von allen Seiten einer so genauen Besichtigung, als überlegte er, ob derselbe auch diese Prüfungszeit überstehen würde.

Aber es sei auch sein Grundsatz, betonte er, nichts ohne reifliche Ueberlegung zu thun. Kopf und Herz seien ihm immer, so zu sagen, wie Mann und Frau vorgekommen, und der Mann wäre denn doch immer »derjenige, welcher«.

Diese Bemerkung, so geistreich sie in seinen Augen auch war, war doch immerhin für einen Freier etwas ungeschickt, und er suchte den Eindruck durch einen kurzen Verlegenheitshusten zu verwischen.

Frau Caroline bestellte noch, es fiel ihr gerade ein, »an alles muß man selbst denken«, ein Gros Perlmutterknöpfe, kleinste Nummer. Dann trennte man sich, nachdem Herr Pohlenz noch einige andere Muster ohne Erfolg angestellt hatte, mit verbindlichem Händedruck.

Der vertröstete Freier hatte noch nicht den Schlag seiner Droschke geöffnet, als auch schon Frau Caroline hinter seinem Rücken ihre Rechte heftig an den Falten ihres Wollkleides scheuerte.

In diese kalte, feuchte Hand sollte sie die ihre legen, für immer?

Jedenfalls würde sie sich das in den acht Wochen noch gründlich überlegen.

Die beiden Mädchen, die schon lange über Herrn Pohlenzens spekulatives Herz so gut im Klaren waren wie die teilnahmsvolle Nachbarschaft, hatten keinen Augenblick Zweifel darüber gehegt, welche geschäftlichen Angelegenheiten die Tante und Prinzipalin mit dem Stadtreisenden von Müller und Lenze in der Staatsstube zu verhandeln hatte.

Mimi wollte sich »tot« lachen, als die Wittfoth auf die fragenden Blicke der Mädchen mit einem nicht mißzuverstehenden Lächeln deren Vermutungen betätigte.

»Frau Pohlenz, gratuliere«, rief sie, sich schüttelnd vor Heiterkeit. Sie durfte sich diese Keckheit schon herausnehmen, da sie wußte, wie die Wittfoth über ihren Verehrer dachte. Sie fand es zu »gediegen«: Dieser Knirps, dieser Pomadenhengst.

»Wenn ich ihn nur nicht haben sollte«, meinte sie.

»Na, na!« neckte Therese.

»Den? nicht vergoldet«, beteuerte Mimi.

Therese zweifelte im Ernst nicht an Mimis Abneigung gegen Pohlenz, wußte sie nun doch zur Genüge, daß zwischen Hermann und Mimi ein ernsteres Verhältnis bestand, als sie sich bisher eingestehen wollte. Der Verkehr der beiden hatte nach jenem, für Hermann so »teueren« Sonntag die bisherige Unbefangenheit verloren. Es bedurfte nicht der Augen einer Eifersüchtigen, um das zu bemerken. Auch die Tante war hellsichtig genug und hatte nicht nur Therese gegenüber Andeutungen gemacht, sondern auch ihren Neffen einmal selbst vorgenommen.

Hermann, der in der Seligkeit, in die ihn der freiwillig gewährte Gutenachtkuß versetzte, seinen Geldverlust schnell verschmerzt hatte, war mit sich und seiner Liebe im Klaren. Mimi oder keine.

So hielt er denn auch der Tante gegenüber nicht hinter dem Berg. Es sei seine feste Absicht, sich mit Mimi zu verloben. Ihres Jawortes glaubte er sicher zu sein. Von Michaelis an erführe sein Gehalt die planmäßige Aufbesserung um dreihundert Mark. Dann wolle er bei den Eltern des Mädchens werben, bis dahin aber auch Mimi noch nicht vor die Entscheidung stellen.

Frau Caroline hatte keine Gründe dagegen, hielt es aber doch für ihre Tantenpflicht, vor Uebereilung zu warnen.

Eigentlich berührte diese Frage sie nicht tiefer, als irgend eine andere. Ihr kam sogar der Gedanke an das Aufsehen, das eine Doppelverlobung verursachen würde. Tante und Neffe, Prinzipalin und Gehilfin, vielleicht an einem Tage. Das würde etwas für die Nachbarn sein.

Ja, seit Hermann die feste Absicht ausgesprochen, zu heiraten, hing auch sie ihren Heiratsgedanken noch eifriger nach.

Mimi hatte sich nach jenem Tag in Ottensen über die Küsserei geärgert. Sie war höchst unzufrieden mit sich. Wie sollte sie sich nun Hermann gegenüber benehmen?

An und für sich war ihr die »dumme Geschichte« sonst nicht so unangenehm. Sie dachte nicht ohne Genugthuung an den Eindruck, den sie auf Hermann gemacht.

War Hermann jetzt im Zimmer, in ihrer Nähe, war es ihr immer, als müßte er sie jeden Augenblick umfassen und küssen. Gewöhnlich suchte sie sich den Rücken zu decken. Manchmal aber stand sie zitternd, wie unter einem Bann, wenn sie ihn hinter sich wußte, allein mit ihm, und wie ein Wunsch nach verbotenen Früchten stieg es heiß in ihr auf.

Das war nicht ohne Reiz. Aber es war doch auch sehr »genant«, Therese und der Prinzipalin gegenüber. Sie wäre auch noch eher darüber weg gekommen, wenn er nur die Unbefangenheit besser zu bewahren verstanden hätte. Aber das war jetzt alles so peinlich.

Oft war er befangen, wie ein Schuljunge, und dann wieder von einer Liebenswürdigkeit, die sie den andern gegenüber in Verlegenheit setzen mußte.

Daß er jetzt ihr gehörte, ganz, daß sie nur die Hand nach ihm auszustrecken brauchte, war ihr über jedem Zweifel. Ueber kurz oder lang mußte er sich erklären. Was dann?

Sie war wirklich in einer schwierigen Lage. Das Gefühl, das sie für ihn empfand, unterschied sich in nichts von dem Interesse, das ihr jeder gesunde Mann einflößte, der heiratsfähig und im Besitz seiner graden Glieder war. Liebe war das nicht.

Ueber die Liebe hatte sie überhaupt ihre eigenen Gedanken.

Wie hatte sie im vorigen Jahr für den braunen, schwarzbärtigen Postsekretär in der Neustraße geschwärmt. Und jetzt? Neulich sah sie ihn noch am Arm einer andern, seiner Braut vermutlich. Das Herz war ihr nicht gebrochen.

Und der hübsche Oberkellner im »Hirsch« in ihrer Vaterstadt Bergedorf, und der dunkeläugige, finsterblickende Bahnhofsinspektor, der ihr immer so interessant erschienen war, und zwei oder drei andere. Für jeden hatte ihr Herz schneller geschlagen, als für Hermann.

Ob das Liebe war?

Dann war es nichts Beständiges, die Liebe, und jedenfalls nichts Unentbehrliches zum Heiraten.

Freilich, sie möchte mal so recht verliebt sein, so ordentlich verliebt, wie es in den Büchern steht, und wie es sich Therese immer ausmalt.

»Du meine Wonne, Du mein Schmerz.«

Therese hatte es ihr vorgelesen. Therese las sehr schön vor, so wie sie auf dem Theater sprechen, mit »schtehn« und »schpielen,« und so mit Gefühl, daß man manchmal wirklich glaubte, sie meinte das alles so, und lese es nicht nur.

Aber die Dichter und Romanschreiber übertreiben immer.

Nein, Mimi hielt nicht viel von diesen hohen Gefühlen.

Und das mochte sie auch an Hermann nicht, daß er manchmal so sentimental sprechen konnte, so salbungsvoll, wie ein Pastor auf der Kanzel, was Therese gerade so »reizend« an ihm fand.

Aber er war ja Lehrer, und die haben immer so etwas Apartes. Gewohnheit thäte ja viel. Wenn sie erst immer zusammen wären, fiele ihr das vielleicht nicht mehr so auf.

Frau Hauptlehrer Heinecke. Mimi prüfte oft in Gedanken, wie sich das ausnähme; es schien ihr nicht übel zu klingen.


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