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Ich weiß, ich hatte viel verschuldet,
Doch nicht so viel, als Du gemeint.
Geibel.
Dagmar schritt durch die Gartenanlagen um Jesabell aufzusuchen. Mit strahlendem Lächeln hatte ihr die Freundin ein paar räthselhafte Worte namenloser Glückseligkeit in das Ohr geflüstert, als beide junge Mädchen nach Tisch neben der Gräfin Mutter auf der Terrasse standen, um Lothars übermüthige Reiterstücklein zu bewundern, welche er auf einem »erwetteten« Goldfuchs vor dem Schlosse producirte. Dann war Jesabell bei der ersten günstigen Gelegenheit wie ein ungeduldig Vöglein davon geflattert, und Dagmar konnte nur in der Richtung folgen, in welcher sie das helle Sommerkleid zuletzt hatte durch die Büsche leuchten sehen. Jetzt sah sie die Comtesse an der Mauer stehen, welche Park und Fahrstraße trennt, tief herabgebeugt, um einen blühenden Akazienzweig auf einem grünen Jägerhut zu befestigen. Dagmar traut ihren Augen nicht, lautlos schreitet sie näher, um in stillem, lächelndem Staunen jenes holde Räthsel zu lösen: Jesabell plaudert Hand in Hand mit dem jungen Malzhoff!
Schweigend ungesehen wendet sie sich ab und enteilt auf moosigem Pfad. Das Herz blutet ihr und erträgt nicht den Anblick jenes jungen Glückes; weit hinein in die Einsamkeit des flüsternden Waldes lenkt sie ihre Schritte. Die Sonne glüht durch das buschige Eichenlaub, buntschimmernde Insekten tanzen über den blumigen Waldboden, und wie schillernder Goldstaub wirbelt die Libelle von dem nahen Quell herüber.
Dagmars ernster Blick streift durch den zauberischen Sommerwald, gedankenvoll folgt sie dem felsigen Pfad, welcher steil an dem Berg emporführt. Brombeeren ranken sich über das Gestein und klammern sich an ihren Kleidersaum, stachliger Wachholder verwundet die rosigen Finger, welche ihn im schnellen Vorübergehen streifen, und süßer einschmeichelnder Duft weht aus dem nahen Gebüsch herüber, durch welches die schlanke Waldrebe ihre Ranken geflochten. Mechanisch bricht Dagmar die Blüthen zum Strauß und steckt sie an die Brust.
Höher und höher steigt sie, endlich lichtet sich der Wald, Mauertrümmer ragen vor ihr auf und jäh überrascht tritt die junge Baronesse in die Klosterruine, deren sonniger Kreuzgang breit vor ihr liegt. Wie schön schaut sichs auf Casgamala herab! Sinnend setzt sich Dagmar auf die Mauerbrüstung, faltet die Hände um das Knie und senkt das Haupt in tiefen Gedanken, regungslos – weltvergessen.
Ueber das Gebirge steigen schwarze Wolkenmassen, höher und höher ballen sie sich wie wogende Meerfluth, leises Grollen zieht durch die schwüle Luft. Die Sonne versteckt sich, ein scharfer Luftzug streicht jäh um die grauen Mauern und läßt Dagmars rosige Bandschleifen hoch aufflattern, das junge Mädchen schaut empor und athmet voll Wonne die frische Luft, erstaunt fliegt ihr Blick über Ruine und Wald, welche plötzlich im tiefen Schatten hinter ihr liegen; gleichzeitig fühlt sie kühle Tropfen in ihr Antlitz schlagen. Ueberrascht erhebt sie sich, um mit jähem Aufschrei die Hände vor die Augen zu schlagen, ein greller Blitz zuckt vor ihr durch die schwarze Wolkenwand. Dagmar rafft ihren Hut empor und wendet sich hastig zum Gehen, schon aber stürzt der Regen mit fast unglaublicher Gewalt hernieder und rathlos flüchtet sie sich in den schützenden Kreuzgang. Dunkel wie die Nacht wird es um sie her, mit donnerartigem Getöse braust der Regen hernieder, blitzt und kracht es in den Lüften, und wie mit einem Zauberschlag gleicht der Klosterhof einem schäumenden See. »Das ist ein Wolkenbruch!« zuckte es durch Dagmars erregte Seele, bleich und zitternd klammert sie sich an das alte Mönchsbild, welches einst ihren Kranz getragen, und schließt die Augen in fassungslosem Grauen. Wilder und wilder stürmt das Wetter, Dagmars Glieder beben vor Frost und Entsetzen, und mit gellendem Hilfeschrei sinkt sie kraftlos zwischen den Grabsteinen zusammen. Da ist es ihr plötzlich, als höre sie ein leises Geräusch hinter sich, mit fahlen Wangen starrt sie auf die graue Marmorplatte, auf dieselbe, über welcher jüngst die gespenstige Flamme geschwebt hatte – und, nein, es ist kein Traum – das junge Mädchen sieht deutlich wie sich der Stein langsam hebt, wie ein schmaler klaffender Spalt sichtbar wird, und mit lautem Schrei des Entsetzens springt sie empor und jagt wie ein gehetztes Wild in das Unwetter hinaus, in zügelloser Hast den steinigen Parkpfad hinab. Um sie her braust das Wasser, welches wie entfesselte Bäche das steile Geröll herniederstürzt, die Zweige schlagen ihr in das Gesicht und durchnässen Haar und Kleider, aber Dagmar achtet dessen nicht, fiebernd vor Aufregung stürmt sie weiter. Da schrickt sie jäh zurück. Durch das Wasser aus dem Boden gewühlt sperrt angeschwemmtes Gesträuch den Weg, zur Rechten der schroff abfallende Felsen, zur Linken das weit geöffnete Gitterthor Desiders!
Dagmar verschlingt die Hände in rathlosem Kampf, höher und höher schwillt das Wasser um sie her, und von der Verzweiflung getrieben stürmt sie durch das Thor. Wenige Schritte vor ihr schimmert der Kiosk durch die Bäume, und zu ihren Füßen schäumt gleich einem reißenden Bach das wilde Bergwasser. »Hilfe!« klingt es todtenmatt von ihren bleichen Lippen und mit wankenden Knieen taumelt Dagmar gegen die Flut.
Da wird das Gebüsch hastig getheilt. »Gnädiges Fräulein! Gott erbarme sich!« ruft ein weißhaariger Alter in hohen Wasserstiefeln, »einen Augenblick Geduld, ich komme schon!« und Lebrecht arbeitet sich durch den gurgelnden Schwall, faßt die Halbohnmächtige mit nervigen Armen und trägt sie ohne Frage in den Kiosk.
Mit angstvoll geöffneten Augen sträubt sich die Baronesse einzutreten. »Ist der Graf daheim?« fragt sie athemlos.
»Nein, gnädiges Fräulein, er ist nicht daheim!« Und der Alte leitet sie sorglich in den weichen Polsterstuhl, streicht ängstlich mit der schwieligen Hand über die nassen Kleiderfalten und überlegt einen Augenblick. »Wir haben da so einige uralte Stücke liegen, Baronesse!« sagte er endlich mit vergnügtem Gesicht, »ein paar Weiberröcke, die der Herr Graf aus dem alten Schloß mit herüber genommen hat, der Rarität wegen, die werde ich holen, damit Sie das nasse Zeug von dem Körper kriegen!«
Dagmar will ihm wehren, aber ihre Zähne schlagen vor Kälte zusammen und die kleinen Hände sind starr wie Eis, sie nickt dem Alten dankend zu und schließt in tiefer Ermattung die Augen. Nach wenigen Augenblicken kehrt Lebrecht zurück, über seinem Arm rauscht köstlicher pelzverbrämter Brokat, in seiner Hand flimmert ein Paar wunderlicher, goldgestickter Pantöffelchen, wie sie wohl die Ahnfrau droben auf dem glatten Schloßparquet getragen hat.
»So nun machen Sie sich warm, gnädiges Fräulein, ich koche derweil einen Schluck Thee im Vorzimmer, damit Sie wieder Leben in die starren Knöchelchen bekommen!« Und mit fast zärtlichem Blick faßt der Alte die kleinen Hände, um sie einen Augenblick sanft zwischen den seinen zu reiben. »Großer Gott, wie arg Ihnen das bischen Wasser zugesetzt hat!« und dabei nickte er ihr noch einmal freundlich zu und geht zur Thür. Auf der Schwelle wendet er sich zurück: »Der Herr Graf kommt vor Abend nicht zurück, Baronesse!« sagt er mit seltsamem Zwinkern um die weißbuschigen Augenbrauen, »Sie brauchen also nicht in Sorge sein, soviel ich weiß, ist er für Graf Lothar in die Stadt gefahren, um ein paar Papiere in Ordnung zu bringen!« und er faßt die Thürklinke und geht hinaus.
Dagmar athmet auf und erhebt sich, mit fast kindlichem Interesse betrachtet sie die wunderliche Maskerade, welche Lebrecht neben sie auf den Stuhl niedergelegt hat, ein leises Grausen überkommt sie beim Anblick dieser verblichenen Herrlichkeit: »Schlüpft nicht am Ende gar der Irrgeist nächtlich in dieses knisternde Gewand, um seine ruhelosen Wanderungen durch Schloß und Park anzutreten?«
Dagmar schrickt zurück; ein scheuer Blick huscht zum Fenster, gegen welches der Sturm die unaufhörlichen Regenfluten peitscht, und tief seufzend, jäh entschlossen tritt sie hinter die schnell gelöste Damastgardine, um ihre nassen Kleider mit dem Prachtgewand der Ahnfrau zu vertauschen. Die Taille läßt sich nach Belieben weit und eng schnüren, sie paßt vortrefflich und der Pelz schmiegt sich köstlich warm um den schlanken Mädchenhals, aber die einstige Trägerin dieser Garderobe muß eine fürstlich hohe Gestalt gewesen sein, die schweren Seidenfalten liegen gleich einer Schleppe vor ihren Füßen. Dagmar lächelt und weiß sich zu helfen, ein paar Nadeln raffen den Stoff zu beiden Seiten und geben die kleinen Füße frei, welche bereits in die gewirkten Pantöffelchen geschlüpft sind. Die junge Dame betrachtet sich amüsirt, unwillkürlich huscht ihr Blick nach der Wand, um das seltsame Bild im Spiegel zu schauen, vergeblich, der Besitzer des Kiosk ist nicht eitel. Langsam schreitet Dagmar zu dem Lehnstuhl zurück und schmiegt sich tief in seine Polster, es ist so dämmerig und todtenstill in der saalartigen Halle, an den Wänden hängen Waffen und Thierfelle, alte Helme und zerhauene Schilder, und über dem Sims des gebrechlichen, vielfach unschön geflickten Wandgetäfels prangen wunderliche Vasen und Steinfiguren, uralt und modern, bunt durch einander gewürfelte Herrlichkeiten, welche dem ganzen Zimmer den Anstrich eines Antiquitätenladens geben. Auch die Folianten, Chroniken und zersetzten Pergamente fehlen nicht auf wurmstichigen Gestell neben dem Kamin. Und mitten unter diesem seltsamen Geruch saß eine junge Dame im geschnitzten Lehnsessel mit modern frisirtem Köpfchen und hundertjährigem Schleppkleid, wie eine verzauberte Prinzessin im Dornröschenschloß.
Da wird leise an die Thür geklopft, Lebrecht bringt auf gemaltem Porzellan die Tasse Thee für das gnädige Fräulein.
Er betrachtet sie lächelnd, nickt ihr freundlich zu und bedauert die bleichen Wangen, welche noch immer »recht schlimm erkaltet« dreinschauen.
Dagmar dankt mit herzlichen Worten für seine Fürsorge, nimmt hastig einen wärmenden Schluck und weist traurig nach dem Fenster. »Es regnet noch unverändert fort, Herr Lebrecht! Der Kiosk liegt in einem See, welcher mich gefangen hält und im Schloß werden sie sich um mich ängstigen!«
»Ist mir für die schon lange recht!« zuckte Lebrecht trocken die Achseln, »warum lassen sie solch' ein junges Fräulein allein in den Wald laufen!«
Dagmar senkt den Kopf. »Ich habe niemand Anzeige von meinem Spaziergang gemacht, Lebrecht, ich bin nach der Art böser Kinder durchgegangen.«
»So! Dann konnte Ihnen der Schreck auch nichts schaden, und war eine gute Lehre für alle Zeit!« nickte der Alte mit väterlichem Schmunzeln, »da wird es ja nun ein gutes Lamento drüben im Neubau sein und dem alten Lebrecht nichts anderes übrig bleiben als durchzuwaten und den Postillon zu spielen. Fürchten brauchen Sie sich nicht, wenn ich Sie allein lasse, Baronesse, der Himmel hat für gute Wassergräben um diese Festung gesorgt, und in fünfzehn Minuten bin ich wieder zurück, halte mich, bei Gott nicht länger wie nöthig drüben auf!«
»Lebrecht! wenn nun der Graf zurückkommt währenddessen!« Dagmar sprang empor und hielt den Alten angstvoll zurück.
»Dann sehen Sie ihn noch lange nicht Fräulein!« schüttelte der Getreue zuversichtlich das buschige Haupt. »Graf Desider kommt selten durch diese Halle, er geht zumeist durch jene Seitenpforte in sein Arbeitszimmer nebenan, wo er so emsig beschäftigt ist, daß ich oft Mühe habe, ihn zum Essen herauszuklopfen! Unbesorgt, Sie werden ungestört bleiben!« Und damit hing er den dunklen Mantel um die Schultern, zog einen altersschwachen Regenschirm aus der Ecke und schritt zur Thür, »bei solchem Wetter kann uns der liebe Herrgott ein Dach über dem Kopf nicht übelnehmen!« nickte er treuherzig, wies einladend mit dem Daumen auf den Nebentisch, wo Theekanne und Zuckerdose standen, und verschwand hinter der Thür.
Regungslos stand Dagmar und starrte nach der Seitenthür, welche Lebrecht als zu dem »Arbeitszimmer,« gehörig bezeichnet hatte! hier also war der Schauplatz seiner geheimnißvollen Thätigkeit, hier hinter der gebrechlichen Thür stand jenes verschleierte Räthsel, welches ihr Auge niemals schauen durfte, welches Lothar an das Tageslicht ziehen wollte, um den Bruder als Entehrten, als Verbrecher dem Zuchthause preiszugeben! Fieberschauer schüttelten die schlanke Gestalt des jungen Mädchens; alle Qual und Herzensangst erwachten aufs neue, dieser furchtbare Kampf zwischen Glauben und Mißtrauen, welche ihre Seele mit nagendem Gift erfüllt hatte! Ein Blick in dieses Nebenzimmer, und jeder Zweifel war gelöst, ein Blick hinter die weißen Schleier, und seine Ehre war gerettet. Dagmar trat in jäher Leidenschaft einen Schritt vor, sie hebt die Hand nach der Thürklinke und läßt sie langsam wieder sinken. Hoch und stolz richtet sie sich empor. »Mein Glauben an Sie ist größer, als die Angst um mein Lebensglück!« hatte Desider einst zu ihr gesagt, sie hörte seine ernste Stimme, sah seine traurigen Augen und sie warf das Haupt in den Nacken und lächelte mit verklärtem Blick: »Gleiches um Gleiches, Desider! Du hast an mich geglaubt, ohne Grund und Ursache zu einem Zweifel zu haben, ich aber will an Dich glauben, da selbst der eigene Bruder Deine Ehre steinigt!« Und sie trat mit festen Schritten zu dem Fenster und blickte hinaus. Da sah sie plötzlich, wie das Gebüsch sich leise regte, ein Arm, ein Haupt taucht daraus hervor und schaut sich spähend um – Lothar! Ein kalter Schauder weht durch Dagmars Herz, wie mit einem Zauberschlag tönen die Worte des Erbärmlichen vor ihren Ohren: »Und müßte ich gleich dem Dieb in der Nacht in den Kiosk schleichen, ich will sein Geheimniß erforschen!«
Schwindelnde Angst erfaßt die Seele des jungen Mädchens, jene Hand dort im Gebüsch hebt sich mit blinkendem Dolch, um den Todesstoß auf des Bruders Ehre und Freiheit zu thun, wenige Minuten und Desider ist verloren, für ewige Zeit der Schande preisgegeben, ein Verbrecher vor aller Welt! Schwarze Schatten fliegen vor ihrem Blick, sie preßt ihre Hände gegen das wehe Herz und erkennt es in den Qualen ihrer Todesangst, daß sie ihn liebt, den sie zu hassen meinte, den verspotteten, verfehmten, bedräuten Mann!
Graf Lothar schleicht behutsam am Rande des Gebüsches, um eine Stelle zu erspähen, wo das schwellende Wasser den geeignetsten Durchpaß gewährt. Dagmars Herzschlag stockt, sie sieht, wie sein lauernder Blick die Front des Kiosk überfliegt, wie er versuchend den Fuß in das Wasser setzt, um seine Tiefe zu messen. Da faßt Verzweiflung die Seele des jungen Weibes, ihrer nicht mehr mächtig stürmt sie zu der Nebenthür, das gefährdete Geheimniß des Geliebten mit dem eignen Leib zu decken, ihre Hand faßt das Schloß, sie stößt die Thür zurück und taumelt jenem Räthsel entgegen welches sich, mit weißen Tüchern behangen, jäh vor ihr erhebt. Vor ihren Füßen liegt Feile und Meißel, die Verräther seiner geheimnißvollen Schuld und mit leisem Aufschrei schlingt Dagmar die Arme um die weißen Tücher, um das Entsetzliche in den fernsten Winkel des Gemaches zu retten. Da fühlt sie es eiskalt unter ihren Händen – von der jähen Bewegung gleiten die Hüllen herab, und wie gelähmt weicht Dagmar zurück, fassungslos, kaum ihren Augen trauend. Vor ihr erheben sich auf dunklem Sockel ein schimmernd weißes Marmorbild, ein Mädchenkopf voll zauberischer Schönheit, eine Rose an der Brust und einen Epheukranz im Haar – Dagmar von der Ropp! Die Hände gefaltet, überwältigt von unaussprechlichen Gefühlen steht das junge Mädchen vor dem eigenen Bild, starrt auf die beiden Statuen, welche am Fuße des Sockels eilig mit unter die Tücher geschoben scheinen – wieder und wieder ihr Angesicht.
Da knirscht hinter ihr eine Thür in den Angeln, ein leiser Schrei der Empörung schlägt an ihr Ohr und mit schnellem Schritt steht er vor ihr – Desider.
Stumm schaut Dagmar empor in sein todtenbleiches Angesicht, die Worte versagen ihr unter dem flammenden Blick, welcher zornig, fast verachtend auf sie niederglüht, mit leidenschaftlicher Erbitterung faßt Graf Echtersloh den schweren Hammer und läßt ihn zerschmetternd auf das schöne Marmorhaupt herniederwuchten.
Mit zitterndem Angstruf fällt ihm Dagmar in den Arm, er aber schüttelt sie von sich, wie ein giftiges Insekt.
»Zurück!« .ruft er mit donnerndem Zorn in der Stimme, »mein Glauben an Sie ist zerschmettert, wie dieses Zeichen meines armseligen Herzens, das lange Jahre hindurch seine Götzenbilder voll blutenden Wehes gemeißelt hat! Ich flehte Sie an, bei dem Heil meiner Seele, jene Schleier nicht zu zerreißen, welche einen Abgrund überbrücken, dessen Kluft unsere Wege für alle Zeiten trennen würde, Ihre Neugierde war aber größer als mein Glauben an ein edles Weiberherz, und auf den Trümmern meines Glückes erkenne ich, auf welch' schwankenden Grund ich es gebaut!« Mit leidenschaftlichster Erregung trat er einen Schritt gegen die zitternde Mädchengestalt vor, welche in flehender Betheuerung die Hände zu ihm erhob, und warf das edle Haupt stolz in den Nacken zurück. »Hier, jener Marmor hat Ihnen das Geheimniß meiner Seele verrathen, gehen Sie hin, Fräulein von der Ropp, künden Sie es der Welt mit spöttischem Lachen als neueste Verrücktheit des Grafen Echtersloh, daß er lange Jahre hindurch ein Weib geliebt, welches einst verachtend den schönen Kopf von ihm wandte, mit den herzlosen Worten: »Häßlich! häßlich über alle Begriffe!«
Mit jäher Bewegung faßte er Dagmars Hand und preßte sie mit fast schmerzendem Druck in der seinen. »Ja, Dagmar, ich habe Sie geliebt, mehr wie mein Herzblut, habe Sie zu dem Schicksal meines Lebens gemacht, das mich hinaus in diese wilde Einsamkeit getrieben, um in qualvollem Ringen nach der Kunst zu streben, das geliebte Antlitz in dem Marmor nachzubilden, der ebenso kalt, ebenso fühllos ist, wie das Herz und die Seele, welche sich dahinter birgt! Sie, Dagmar, waren der höchste Schmerz und das höchste Glück meines Lebens, meine Liebe zu Ihnen nahm mir Alles, Jugend, Lebensstellung, Achtung der Welt, welche mich einen Verrückten nennt, aber sie gab mir auch das Schönste und Herrlichste, meine Kunst. Jene Rose, welche mir Ihr Uebermuth dereinst auf den Teller gelegt, habe ich versucht in Wachs, in Holz, in Stein nachzubilden, erst ein einzelnes Blättlein, dann die ganze Rose, dann das Angesicht seiner Geberin; und wie mit Zaubermacht fielen die Schleier von meinen Augen, ich erkannte mein Talent, welches mir den Meißel heiliger machte, denn das Schwert in der Hand! Dennoch war es nur ein Auge, eine Stirn, ein Lächeln, welches ich zu bilden wußte, ein liebes, spottendes, erbarmungsloses Angesicht, das Ihre, Dagmar! Das ist vorbei für alle Ewigkeit! Sie selber rissen mit kindischer Neugierde den Abgrund auf, welcher von Stund' an unsere Wege scheidet, ich habe Sie geliebt, Dagmar, mit der ganzen tiefinnigen Leidenschaft meines Herzens, jetzt angesichts dieses enthüllten Bildes – verachte ich Sie!«
Und vernichtend in hoheitsvollem Stolz wandte er sich ab, von ihrer regungslosen Gestalt, welche mit dumpfem Aufschrei an dem Sockel der Statue zusammenbrach.
»Nicht aus Neugierde, Graf Echtersloh!« rang es sich verzweifelt von ihren Lippen, »nicht aus Neugierde!«
Er hob abwehrend die Hand, ein wehes, schmerzliches Lächeln zuckte um seine bleichen Lippen: »Dann aus Mißtrauen oder Eigensinn, Fräulein von der Ropp,« sagte er leise; wie gebannt hing sein Auge an ihrer seltsam schönen Erscheinung und seine Stimme zitterte, als er fortfuhr. »Ich weiß, daß ich von jeher Ihr Spott gewesen, Sie haben mich verachtet, um meiner Häßlichkeit willen, und weil ja ein häßlicher Mensch zu allem Bösen fähig ist, so mußte sich hinter den weißen Tüchern auch ein verdammenswerthes Geheimniß bergen! Lachen Sie, Fräulein von der Ropp, daß es nur eine überspannte Schwärmerei eines – Verrückten war!« Und Desider fuhr hastig mit der Hand über die Augen, wandte sich kurz ab und verschwand mit schnellen Schritten hinter der Thür.
Laute Stimmen klangen in der Vorhalle, Lebrecht und Lothar wollten die junge Baronesse in den Neubau herüberholen, sie traten ein, mit leisem Ruf der Ueberraschung starrte der schöne Offizier auf das enthüllte Geheimniß, Lebrecht aber hob mit finsterem Blick die leblose Gestalt Dagmars auf die Arme und trug sie schweigend nach dem Neubau hinüber.