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9.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Landen verwildern,
Palästen im Mondenschein.

Eichendorff.

Gräfin Mutter promenirte mit Dagmar und Lothar in den kurzgeschorenen Taxusgängen des Parkes, welche sich am südlichen Bergabhang hinzogen und durch die bogenartig ausgeschnittenen Fenstercoulissen die Aussicht auf das Panorama des Flachlandes gewährten, welches in duftigem Sonnennebel weit gestreckt zu Füßen Casgamalas lag.

»Hier also wirst Du die Lampions anbringen lassen, Lothar?« fragte Excellenz, den schwarzen Spitzenshawl etwas tiefer von den Schultern sinken lassend, »der Platz ist gut gewählt und wird sicherlich viel von den Herrschaften frequentirt werden!«

»Wenn das Wetter morgen Abend anhält und unser schönes Fest nicht verregnen läßt!« nickte der junge Offizier. »Bis jetzt hat sich alles fast beängstigend günstig arrangirt, keine einzige Absage, keine einzige verspätete Kiste aus der Residenz, der Koch weder krank noch verhindert, ein förmlich feudales Trompetercorps in blauen Husarenröcken, nun noch die hohe Genehmigung des Jupiter pluvius und die Fackeln Casgamalas können entzündet werden!«

Einen Augenblick herrschte Schweigen, Frau Leontine lächelte in angenehmsten Gedanken, und Dagmar schrieb mit ihrem Sonnenschirm mechanisch Figuren in den Sand, plötzlich blickte sie auf.

»Wird Graf Desider auch erscheinen?« fragte sie kurz.

Lothar sah sie erstaunt an. »Desider? Grâce à Dieu, ich hoffe doch nein! Eingeladen habe ich ihn nicht, aus dem einfachen Grunde, weil er seit jenem Abend auf der Terrasse völlig wie vom Erdboden verschwunden scheint, ich soll doch dem eigensinnigen Patron nicht noch nachlaufen, um mir eine gnädige Absage zu holen!«

»Dennoch fürchte ich, wird es ein Gerede geben wenn sich der Majoratsherr von unserem Feste ausschließt,« warf Gräfin Mutter nachdenklich ein, »um der Leute willen sollte es mir lieb sein, wenn er sich in unserm Kreise zeigte!«

»Willst Du es übernehmen, ihn aufzufordern, chère maman

»Auf eine schriftliche Einladung sagt er ab, und ihn in dem Kiosk aufzusuchen, hat ja der galante Herr Sohn selbst seiner Mutter verboten!« Die Gräfin zuckte mißmuthig die Achseln. »Es scheint, als wolle er sich in das Renommee eines verzauberten Prinzen bringen!«

Dagmar schaute mit glänzenden Augen auf. «Es darf Niemand in den Kiosk? Mon Dieu, wie interessant das klingt! so interessant, daß es mich noch mehr wie jedes andere Verbot reizt, ihm entgegen zu handeln! Wissen Sie etwas Neues, liebe Tante Leontine? Ich lade Graf Desider persönlich ein! Ich gehe selber in den Kiosk und sehe einmal nach, was der Märchenprinz für Blaubartkünste darin treibt, vielleicht entdecken wir einen zweiten Sebastian Faust in ihm und für Geld und gute Worte giebt er uns womöglich ein paar Taschenspielerkunststückchen morgen Abend zum besten!« Dagmar lachte hell auf und warf die Haare in den Nacken, der übermüthige Trotz stand dem kleinen Mund ganz allerliebst.

Auch Lothar stimmte ihr aus voller Kehle bei. »Sie wollen in den Kiosk, Fräulein Dagmar? Bitte tausendmal um Vergebung, ich traue Ihnen viel Courage zu, aber eine solche Mission gestatten keine Damennerven! Kennen Sie nicht die Geschichte von dem Menschenfresser, dessen größte Delikatesse schöne Mädchenaugen waren? Wer weiß, ob jener unheimliche Gesell da drüben nicht einer gleichen Passion huldigt?«

Dagmar biß sich auf die Lippen. »Ich werde Ihnen zeigen, wie viel Muth ich habe, Graf Lothar, denn nun gehe ich erst recht!« sagte sie kurz.

Lothar verneigte sich chevaleresk. »Eine Gelegenheit mehr Sie zu bewundern, meine Gnädigste! Aber gestatten Sie noch eine Bemerkung, welche vielleicht recht wenig galant klingen mag: Glauben Sie vielleicht, mein Bruder wüßte solch' ein Opfer zu würdigen und litt an derselben Schwäche wie andere Männer, solch' reizendem Boten gegenüber machtlos zu sein? Ich fürchte, selbst Ihre dunkeln Blicke gleiten kraftlos an diesem Sohn der Wildniß ab, und ich würde jegliche Wette eingehen, daß Ihre Einladung ebenso erfolglos sein wird, wie die unsere, denn sein Haß ist größer als seine Galanterie!«

Dagmar war tiefer in den Schalten des Taxus zurückgetreten, ihr Gesicht war jäh erbleicht und namenlose Gereiztheit sprühte aus den schwarzen Augen. »Er soll und wird kommen!« rief sie mit bebenden Lippen, »ich habe es mir jetzt in den Kopf gesetzt, und es würde bei Gott das erste Mal sein, daß ich meinen Willen nicht durchsetzte! Sie wollen wetten, Graf Echtersloh? Wohlan, wetten wir; was gilt der Eintritt Ihres Bruders in den Ballsaal?«

Mit zurückgeworfenem Haupte hoch aufgerichtet, stand Fräulein von der Ropp vor dem jungen Offizier, ein fast leichtfertiges Lächeln zuckte um den schönen Mund.

»Zwölf Flaschen Sect!« rief Lothar frivol, »mehr gilt mir selbst die Wette über den besten Gaul nicht!«

»Zwölf Flaschen Sect!« wiederholte Dagmar mit starrem Blick des Triumphes, »gut, so wetten wir um zwölf Flaschen Sect! Und nun Adieu, ich werde jetzt auf Aventiure ausziehn!«

»Apropos, mein gnädiges Fräulein, der Sect muß selbstverständlich kredenzt werden!« lachte Lothar, sich dichter zu ihr neigend. »Ich opfere den Göttern für meinen Sieg!«

Dagmar maß ihn schweigend mit kurzem Blick, und ihre Hand fast heftig aus den Fingern der Gräfin reißend, welche sie kopfschüttelnd zurückhalten wollte, stürmte sie mit glühenden Wangen den Taxusgang hinab, direkt durch den kleinen Eichenhain nach der Gitterthür des alten Gartentheils.

Die Sonne stand schon hinter den hohen Eichenkronen und warf flimmernde Lichter auf den moosigen Boden, zwischen dessen knorrigen Baumwurzeln die bunten Waldglöckchen nickten. Dagmar blieb einen Augenblick stehen, und preßte die Hand auf das klopfende Herz, der eilige Gang hatte ihr glühende Röthe in die Wangen getrieben.

Vor ihr erhob sich schwarz und ernst das hohe Eisengitter mit seiner wunderlich verschnörkelten Thür, in deren Mitte zwei Löwenköpfe grimmig die Zähne fletschten und die beiden mächtigen Riegel bewachten, welche sich an Ketten quer über die breiten Flügel legten. Dieses Thor hatte früher den Eulenthurm von dem alten Schloßbau getrennt, war jedoch von Graf Desider aus der zerfallenen Mauer gelöst und hierher in den Park versetzt worden.

Dagmar zog mit beiden Händen die schwere Metallstange zurück und öffnete beherzt das Thor, welches kreischend auf dem Kiessand in seinen Angeln zurückwich. Sie lehnte es hinter sich wieder an, und schritt nach kurzem Umblick auf die hohe Fichtengruppe zu, hinter welcher die grünlich schillernde Kioskkuppel sichtbar wurde.

Mit großen, erstaunten Augen blickte das junge Mädchen umher; da lagen im hellen Sonnenschein die gestürzten weißen Marmorbilder, überflutet von einer Last wild wuchernder Rosen, welche sich um die zersplitterten Sockel wanden. Dort ragt ein wunderlich fremder Strauch empor, glutrothe Blüten hängen bis tief auf den verwilderten Boden herab, darunter liegt eine Sphynx, überdeckt noch von dem dürren Eichenast, welchen der Sturm herab gerissen und welcher im Fall den linken Flügel des mythischen Ungeheuers zerschmetterte. Und weiter geht Dagmar über die ausgewaschenen Wege, auf welchen Gras und Unkraut, Dornen und Disteln ungestört ihre Wurzeln geschlagen, ein stachlicher Cactus steht zur Seite, und nicht weit davon ein paar vertrocknete gelbe Cedern, und hinter diesen erhebt sich plötzlich eine schlanke Palmenart, dicht neben den Ruinen der Ecclesia, deren einzig wohlerhaltene Rückwand im grellen Sonnenlicht aus den dunkeln Gebüschen ragt.

Dagmar geht neugierig ein paar Schritte über den Rasen und staunt den mächtigen Obelisk an, welcher auf kahlem Sand schwarz und düster emporragt. Er trägt eine spanische Inschrift. »Casga Mala« ist das einzige Wort, welches die junge Dame enträthseln kann.

Alles ist wirr und wüst um sie her, wie das verzauberte Reich eines schlafenden Dornröschens, denn Rosen wuchern und blühen aller Wegen, in allen Farben, allen Arten und Gestaltungen. Da endlich tauchen die bunten Mosaikmauern des Kioskes vor ihr auf. Todtenstille war's umher, nur in den hohen Rothbuchen zwitscherte ein Vogel und strich mit glänzenden Schwingen über die Dachkuppel in den Wald hinein. Rings um den Thurmbau erhoben sich dunkle Fichten, und einzelne Platanen versteckten den niederen Anbau, welcher sich nach Westen hin an den wunderlich geformten Thurm anschloß. Hohe, gewölbte Fenster mit bunten Glasscheiben zierten die Front, in der Mitte durch eine kunstvoll gehauene Sonne unterbrochen, deren grelle Farben im Lauf der Zeit jedoch fast gänzlich erbleicht waren. Darüber schimmerten abermals die einst golden gewesenen Lettern einer spanischen Inschrift, und von köstlichen Sculpturen getragen erhob sich der gewölbte Vorbau, auf vier schlanke Säulen gestützt, welche in Form von buntblättrigen Palmen aus je fünf breitgehörnten Büffelköpfen emporstiegen. Wenige ausgetretene Marmorstufen führten zu der schmalen Vorhalle empor, von welcher man durch eine sichtbar stark restaurirte Thür in das Innere des Thurmes eintrat. Ein freier Kiesplatz breitete sich davor aus, begrenzt von den düstern Coulissen der Cedern und Taxus, und geschmückt in seiner Mitte von den spärlichen Ueberresten eines Bassins, an dessen rothgeadertem Steinrand noch halbzerschlagene Delphine ruhten.

Regungslos stand Dagmar und schaute auf das seltsame Bild, welches trotz seines verwahrlosten Zustandes einen wunderbaren Zauber schwermüthigster Poesie athmete. Hier also in diesen buntschimmernden, grünbemoosten Mauern hauste der Mann mit der so eigenthümlich klaren, stolzen Stimme, der Menschenfeind Echtersloh, welcher selbst ihrer Bitte ein unerschütterliches »Nein!« entgegenschleudern wird.

Dagmar athmete tief auf und starrte zu den Fenstern empor. Sie waren weit geöffnet, und ein damastartiger Purpurvorhang hing lässig zurückgeschlagen über das bröckelnde Gesims.

Noch immer war es grabesstill. Da plötzlich klang ein leises wunderliches Klingen an ihr Ohr, fein wie Silber, in kurzen regelmäßigen Schlägen, und dann ein kurzes Poltern, und abermals ein Picken und Hämmern, so klar und melodisch, als ob krystallene Becher klängen!

Athemlos lauschte das junge Mädchen. Magnetisch zogen sie die geheimnißvollen Töne an, Schritt um Schritt ging sie näher, lautlos die Stufen empor, über die Vorhalle bis zu der halbgeöffneten Thür. Da neigte sie sich vor, um zaghaft zu öffnen – durch die Spalte sieht sie die hohe Gestalt des Grafen stehen, vor ihm aber ... da knirscht die Thür in den Angeln, Desider schrickt zurück und starrt auf die Gestalt des jungen Mädchens, welche von Sonnenlicht umfluthet in der Thür steht! – Ein Laut fast ärgerlicher Ueberraschung – mit hastiger Bewegung wirft er ein weißes Leinentuch über das noch durch seine hohe Gestalt völlig verdeckte Räthsel, und mit hastigen Schritten tritt er ihr entgegen.

Dagmar war erschrocken zurückgewichen, er folgte ihr in die Säulenhalle und warf die Thür hinter sich in das Schloß.

»Fräulein von der Ropp!« sagte er mit kurzer Verneigung, »verzeihen Sie, daß ich vor lauter Eifer bei der Arbeit Ihr Kommen überhörte. Sie sind in dem Park irre gegangen und wollen nach dem Heimweg fragen, gestatten Sie, daß ich Ihnen denselben zeige!« – Es lag eine eigenthümliche kurze Härte in seiner Stimme, und die höfliche Geste, mit welcher er bat, ihm die Treppe voran hinab zu schreiten, trug fast das Gepräge eines Befehls. Auch er trat jetzt in das helle Sonnenlicht, und mit bebenden Lippen stand Dagmar vor ihm und starrte in sein Antlitz empor. Das blonde Haar fiel wie schimmerndes Gold um die weiße Stirn; zwei blaue Augen blitzten zu ihr nieder.

»Darf ich bitten, mein gnädiges Fräulein, ich führe Sie!« wiederholte der Graf mit aufsteigender Röthe in den Wangen, als Dagmar regungslos verharrte, und die kleinen Hände krampfhaft um die Bänder ihres Strohhutes klammerte, welcher sich leicht bei dieser Bewegung vor ihren Knieen schaukelte.

»Verzeihen Sie, Graf Echtersloh, ich habe mich nicht geirrt, ich wollte Sie aufsuchen, wollte zu Ihnen in den Kiosk!« stotterte sie endlich nach Fassung ringend, sein Blick, welcher wie gebannt auf ihren Zügen ruhte, trieb ihr pochende Glut in die Schläfen.

»Zu mir? Sie kommen zu mir?« Desider wich einen Schritt zurück, als könne er den Sinn dieser Worte gar nicht fassen, wie ein schnelles, verklärendes Leuchten zog es über die bleichen Züge.

»Ja, zu Ihnen, Graf, ich – ich habe einen Auftrag, welchen ich hier ausrichten soll!«

Eine Wolke zog über seine Stirn und scheuchte das schnelle Lächeln, stumm trat er zu einem hochgeschnitzten Armsessel, welcher, wie es schien, vor einen kleinen Theetisch in die Halle geschoben war, und rollte ihn mit höflicher Geste der jungen Dame zu. »Ein Auftrag, mein gnädiges Fräulein, und damit belästigte man Sie? Warum wenden sich die Betreffenden nicht direkt an mich?«

Dagmar blieb wie ein schüchternes Kind neben dem dargebotenen Sitz stehen, fast angstvoll hoben sich die kecken Augen bei dem Klang seiner ernsten Stimme.

»Ich habe mich falsch ausgedrückt – oder Sie mißverstehen mich, Herr Graf, es ist mehr eine Bitte, welche ich Ihnen auszusprechen habe – –«

»Eine Bitte?!«

»Allerdings auch im Namen Ihrer Angehörigen,« fuhr Fräulein von der Ropp beherzter fort, sie begann sich allmählich in ihre Situation zu finden, »ich komme nämlich als Herold der Göttin Fröhlichkeit zu Ihnen, um Sie für ein heiteres Fest zu gewinnen, welches Exzellenz mir zu Ehren in Casgamala morgen Abend veranstalten wird. Es kommt fast die ganze Nachbarschaft, und da sollte es uns allen herzlich leid thun, wenn Sie, als Haupt der Familie nicht zugegen sein würden!«

Mit wachsendem Erstaunen hatte Desider ihren Worten gelauscht. Leichte Röthe schimmerte über die schmalen Schläfen und halb zur Seite gewandt blickte er mit leicht gefalteten Brauen auf die lückenhafte Mosaik des Fußbodens hernieder.

»Meine Mutter weiß, daß ich derartige Feste nicht liebe,« sagte er leiser wie erst, »ich wünsche jede Geselligkeit zu meiden!«

»Und werden Sie nicht mir zu Ehren einmal eine Ausnahme machen, Graf Echtersloh?« bat das junge Mädchen so weich und schüchtern, wie wohl noch niemand je zuvor ein Wort von diesen Lippen gehört hatte; sie fühlte, daß es jetzt Zeit sei, einen Trumpf auszuspielen. »Ich bin darum selber zu Ihnen gekommen, weil ich überzeugt war, daß Sie einer Dame keine abschlägige Antwort geben werden!«

Einen Augenblick sah Desider scharf in dieses reizende Gesicht, es war, als wolle er jeden einzelnen dieser Züge in seine Seele bannen, dann trat er plötzlich jäh zurück und verneigte sich hastig und kurz.

»Sie sollen sich nicht darin getäuscht haben, mein gnädiges Fräulein, ich werde kommen. Aber vorher noch eine Frage. Haben Sie es gewünscht, daß ich zugegen sein soll, oder fürchtet meine Mutter nur die neugierigen Fragen der verleumderischen Welt?«

Dagmar sah tödtlich verlegen empor. »Aber ich bitte Sie, wie kann das –«

»Sagen Sie die Wahrheit. Fräulein von der Ropp!« lächelte der junge Mann fast bitter, »warum wollen Sie mir ausweichen? Ihre Augen strafen Ihre Zunge Lügen, wenn sie anders reden will, als wie Sie denken! Was zögern Sie? Es fällt Ihnen doch sonst nicht schwer, Ihre Ansicht auszusprechen, wenn dieselbe auch noch so tiefe Wunden schlägt. Meine Mutter wünscht meine Anwesenheit, nur sie allein?!«

Dagmar preßte die Lippen zusammen, ein flammender Blick brach aus ihren Augen. »Ja!« sagte sie kurz, voll ungestümen Trotzes.

»Ganz natürlich und gerechtfertigt!« Desider kreuzte gelassen die Arme über der Brust und lehnte sich gegen die Säule zurück. »Wie kommt es aber, daß gerade Sie zur Botin abgesandt worden sind, Baronesse, ich hätte nie geglaubt, daß Sie sich zu derartigen Missionen hergeben würden.«

Das junge Mädchen zuckte empor. Welch' unsagbarer Ausdruck lag in der stolzen Stimme dieses Mannes, welch' empörende Keckheit, sie hier zu behandeln wie ein Schulkind! In den dunklen Augen blitzte ihr gekränkter Stolz, die ganze Heftigkeit ihres Charakters zitterte durch die hastig hervorgestoßenen Worte.

»Warum ich mich dazu hergab? Durchaus nicht etwa, weil es mir befohlen wurde, sondern weil ich es wollte, ich ganz allein! Glauben Sie, ich machte mich zum Werkzeug von anderer Leute Plänen? ich reichte meine Hand, um fremde Intriguen auszuspinnen? O, wie schlecht kennen Sie Dagmar von der Ropp! Nein, weil ich es wollte, weil ich meinen Willen durchsetzen mußte, darum kam ich her!«

»Sie? Also war es dennoch Ihr Wille, Fräulein Dagmar, warum leugneten Sie es zuerst ab?« Der Majoratsherr von Casgamala trat hastig naher und blickte leuchtenden Auges zu ihr nieder. »So schickte Sie meine Mutter nicht – so –«

Dagmar wich zurück, mit fast wildem Triumph schüttelte sie den Kopf.

»O glauben Sie nicht, Graf Echtersloh, daß ich mich jetzt mit unverdientem Lobe brüsten werde, Sie sagen ja selber, daß ich nicht lügen könne, sondern lieber bittere Wahrheit sage! Wohlan, so hören Sie denn diese Wahrheit, die auch jetzt ihre Wunden schlagen wird, Sie forderten sie selber heraus! Ja wohl, ich bin aus freiem Antrieb hierher gekommen, nicht jedoch, weil ich mich nach Ihrer Gesellschaft gesehnt hätte, sondern aus eitel Hoffahrt und Uebermuth, weil ich mehr kennen wollte wie andere Leute, weil ich mich damit rühmen wollte, den Sonderling Echtersloh in einen Ballsaal gelockt zu haben! Das war der Grund und die Ursache meiner Einladung, nicht Ihnen galt sie, sondern meiner Eitelkeit!« Dagmar trat abermals einen Schritt zurück und warf herausfordernd den Kopf in den Nacken. »Um zwölf Flaschen Sect habe ich mit Graf Lothar gewettet, ob es mir gelingen würde, eine Zusage von Ihnen zurück zu bringen, zwölf Flaschen Sect, Sie können sich selber geschmeichelt fühlen, Herr Graf, denn über ein Rennpferd selbst wettet Ihr Bruder kaum höher!« und tief aufathmend hielt sie einen Moment inne, um dann ruhiger fortzufahren. »Meine Wette ist verloren, Graf Echtersloh, aber einen Triumph habe ich dafür gefeiert, den, Ihnen bewiesen zu haben, daß mir die Wahrheit dennoch höher gilt als meine Eitelkeit!« Und Dagmar wandte sich mit kurzem Gruß zurück und trat zu der Treppe.

Mit schnellem Schritt stand Desider neben ihr und hielt sie sanft zurück. Er war sehr bleich, aber es war keine Spur von Erregung in seinen Zügen zu lesen, er lächelte sogar.

»Sie irren, mein gnädiges Fräulein,« sagte er leise und weich, »Sie haben Ihre Wette gewonnen, denn ich bitte Sie, meiner Mutter zu bestellen, daß ich auf jeden Fall von der Erlaubniß Gebrauch machen werde, ihr Gast zu sein!«

Betroffen schaute die junge Dame empor. »Sie wollen dennoch kommen, jetzt, wo ich Sie so sehr beleidigt habe?«

»Die Wahrheit beleidigt nie; im Gegentheil, die Gewißheit, zwölf Flaschen Sect werth zu sein, ist viel werth für einen Menschen, welcher sich selber gar nichts schätzt! Dennoch halten auch Sie mich jetzt für besser, als wie ich bin, umsonst ist nichts auf der Welt, selbst Ihre gewonnene Wette nicht, ich verlange eine Belohnung für mein Kommen!«

Fräulein von der Ropp senkte das lockige Köpfchen tief auf die Brust. Eine solche Aufnahme ihrer rücksichtslosen Offenheit hatte sie nicht erwartet, und ärgerlich in dem Gefühl, abermals durch ihn beschämt zu werden, nagten ihre weißen Zähne unmuthig die Lippe.

»Reden Sie nicht in solch' liebenswürdigem Ton zu mir, Graf Echtersloh!« sagte sie trotzig »Ich habe Sie beleidigen wollen, weil Sie mich zuerst gekränkt haben und meine Heftigkeit reizten, wir sind also quitt.«

»Schon einmal versicherte ich Ihnen, daß mich Ihre Eröffnungen nicht im mindesten verletzt haben, Baronesse, und da Sie leider die Absicht haben, sich an mir rächen zu wollen, so muß ich schon bitten, dies auf eine andere Weise zu thun! Warum ziehen Sie Ihre Einladung nicht zurück, da Sie doch sehen, daß es mir jetzt Freude macht, das Fest meiner Mutter zu besuchen?«

»Weil diese Rache kleinlich sein würde! Sie sprachen übrigens vorhin von einer Belohnung, welche Sie für Ihr Kommen verlangen, vielleicht den Pflichttheil der zwölf Flaschen Sect?«

Desider schien den Spott zu überhören; er lehnte sich abermals mit dem gleichgiltigsten Gesicht der Welt auf die Treppenrampe und blickte über die Sprecherin hinweg in das dunkle Platanenlaub.

»Wenn Sie jetzt zurückkommen zu meinem Bruder und ihm mit kochendem Grimm im Herzen sagen müssen: Sie haben recht gehabt, Graf Lothar, selbst meine Bitte ist an diesem ungeschliffenen Einsiedler im Kiosk machtlos abgeglitten, mein Einfluß reicht nicht um einen Atom weiter wie der Euere, und zum ersten Mal im Leben hat Dagmar von der Ropp einsehen müssen, daß es doch noch einen Willen auf der Erde giebt, welcher dem ihren seine Schranke setzt. Dann höre ich bereits das schallende Gelächter des flotten Lieutenants, sehe seine sarkastische Verneigung und den Blick, welcher bei jedem neuen Glase Sect versichert, daß ihn lange nichts so erfreut hat, als wie diese Niederlage, welche ihm zwölf Flaschen Champagner eingetragen! Wie denken Sie sich diese Situation, mein gnädiges Fräulein?!«

»Empörend genug, um von Ihnen ausgemalt zu werden!« Dagmars Athem flog und die kleinen Hände schlossen sich krampfhaft, Desider aber fuhr ruhig fort:

»Es liegt in meiner Macht, Sie davor zu schützen, Ihnen jenen stolzen, königlichen Triumph zu bereiten, vor meinen Bruder zu treten und zu sagen: der Sieg ist mein und mein Wille ist durchgesetzt, wie er es bisher stets gewesen! Was für Euch eine Unmöglichkeit war, gelang einem einzigen Blick meiner Augen, was Ihr als Danaidenarbeit verwarft, vollbrachte ein einziges meiner kleinen Worte und darum, mein Herr Graf, bitte ich um Ihren Arm, es dürstet mich nach einem Glase Sect! Wie würde Ihnen dieser Ausgang der Wette gefallen, Fräulein Dagmar?«

Das junge Mädchen wandte fast heftig den Kopf und blickte mit blitzendem Auge zu ihm empor.

»Die Belohnung muß groß sein, wenn sie Ihnen das Opfer ersetzen soll, mich triumphiren zu sehen!«

»Groß bis zur Selbstverleugnung, und klein wie eine alltägliche Form der Geselligkeit, ich verlange nur einen Beweis von Ihnen, daß Ihr Stolz und Muth größer ist, als Ihr Scheu vor dem Spotte giftiger Zungen!«

Dagmar stützte sich fest auf das Postament der Säule, einem steinernen Bilde gleich stand sie vor ihm. Die Abendsonne wob ein schimmerndes Goldnetz um das Haupt des Grafen, welches ernst und stolz, ein Bild der Kraft und Hoheit, unter dem gewölbten Portale lehnte, sein Auge ruhte in dem ihren, und wie eine zauberische Gewalt wirkte dieser feste Blick, das Herz des jungen Mädchens erzitterte unter ihm.

»Und was verlangen Sie von mir?« rang es sich endlich von ihren Lippen.

»Den ersten Tanz!« Er sagte es langsam und laut, keine Wimper zuckte in seinem Gesicht.

Wie ein Schauer rieselte es durch ihre Glieder. – »Den ersten Tanz?«

»Versagen Sie ihn mir? Ueberlegen Sie, noch ist es Zeit! Bedenken Sie dieses Flüstern und Lächeln, dieses Spötteln und Kichern rings im Ballsaal, wenn der verrückte Graf mit Fräulein von der Ropp den Ball eröffnet! Ganz allein werden wir das erste Mal durch den Saal tanzen, alle Augen werden uns sehen, alle Zungen es kritisiren, und es findet sich nicht leicht ein Zweiter, der noch schlechter tanzt wie ich! Damit werfen Sie der ganzen Welt den Fehdehandschuh hin und die giftigen Pfeile der Bosheit, welche über mich geschleudert werden, die treffen erbarmungslos auch Sie! Wollen Sie mit mir tanzen?«

Er war einen Schritt näher getreten, und sein bleiches Antlitz zeigte die Qual, welche er selber unter seinen erbarmungslosen Worten erduldete.

Dagmar antwortete nicht, ihre Pulse flogen, und vor ihren Augen tanzten wirre Bilder voll Spott und zischelnder Worte, da hob sie jäh den Blick, wollte in wilder Flucht davonstürmen – und blieb wie gebannt unter der Gewalt seines Auges stehen. In leidenschaftlicher Hast preßte sie die Hände gegen die Brust und hob entschlossen das Haupt. »Verliere ich meine Wette, so ist es nur ein Einziger, dessen Spott ich ertragen muß, tanze ich aber mit Ihnen, so fordere ich die ganze Gesellschaft heraus! Ermessen Sie selbst die Ungleichheit dieser Wahl, und erkennen Sie, wie wenig mir selbst das Urtheil der Menge gilt, kann ich ein Unrecht an Ihnen dadurch abbüßen! Wohlan, Graf Echtersloh, die Welt soll mich mit Ihnen tanzen sehen und ihre scharfen Stacheln entweder in der Spitze brechen, oder sie zwischen uns austheilen – der erste Tanz sei Ihnen!«

Ein Glanz strahlender Glückseligkeit flog über sein ernstes Antlitz. »Ich danke Ihnen, Fräulein von der Ropp, und verlasse mich auf Ihr Wort – jener erste Tanz ist mein erster Sieg, welchen Sie mir neidlos gönnen mögen, er wird theuer genug erkauft sein!«

Wie ein gehetztes Wild stürmte Dagmar durch den Garten davon, zurück durch das Gitter, tief hinein in die neuen Anlagen. Da stand in dichter verwachsener Laube eine kleine Moosbank, darauf warf sie sich nieder und drückte das brennende Antlitz in die Hände.

»Meine Wette habe ich gewonnen und meinen Willen verloren; er ist der erste Mann, dem ich mich beugen mußte, und darum hasse ich ihn!« Und brennende Thränen rannen über die rosigen Wangen, und jede einzelne von ihnen sagte in ohnmächtigem Trotz: »Ich hasse ihn!«


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