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Im tiefen Waldesdunkel
Da steht ein altes Schloß:
Ein Bild vergangener Zeiten,
War prächtig einst und groß
Doch heute ist's zerfallen.
Und Raben hausen drin,
Die schönen alten Hallen
Sind wie die Zeit dahin!
Bernard
Nun läßt der Himmel seine Purpurgluten
In vollen Strömen um die Trümmer fluten
Und von den Zinnen seh ich Epheuranken,
Vergänglichkeit, Dein grünes Wappen schwanken.
Geibel.
Die Mittagssonne strahlte über Casgamala. Wie ein fremdes, wunderliches Felsennest hing das grüne Gemäuer auf dem plateauartigen Vorsprung des Bergkammes, welcher jäh zu dem Flachland abfallend, seine pittoresken Granitformen scharf gegen die blau verschwimmende Himmelsluft abzeichnete. Weit vor ihm dehnte sich die Ebene aus, öd' und einsam, wechselnd zwischen rothschimmernder Haide und endlos gedehnten Waldungen, deren dunkle Färbung der ganzen Gegend einen düsteren, fast melancholischen Charakter verlieh. Plötzlich aber von dem Gebirgszug begrenzt, dessen gewaltige Felsmassen wild und klüftig emporragten, ein schwindelnder Horst dem Geier, eine rauhe Wiege dem tobenden Bergwasser, welches brausend aus enger Kluft hervorschießt. Hoch überragt von zackigen Firnen liegt Casgamala, ein Räthsel dem Wanderer, eine verwehte Blüthe spanischer Herrlichkeit, welche fern an deutscher Bergwand Wurzel geschlagen.
Rings umher athmet deutsches Leben, weht deutsche Luft und strahlt der deutsche Himmel, Casgamala aber steht fremd und unverstanden inmitten und wartet gleich dem verzauberten Dornröschen auf den heißen Liebeskuß seines Erretters, um noch einmal in lang versunkener Märchenpracht aufleben zu können. Es ist sehr selten, daß ein Fremder durch diese Gegend streift, es müßte denn gerad' einer von den tausend wunderlichen Gelehrten sein, welcher hinauf in die Felsen klettert und allerlei Kraut und Pflänzlein zwischen dem Geröll hervorsticht; wenn er aber tagelang über die Haide, durch eintönigen Wald und flache Felder gefahren ist und nun endlich die majestätischen Riesenhäupter vor sich zum Himmel ragen sieht, dann richtet er sein Glas plötzlich ganz erstaunt auf einen weiß schimmernden Punkt, und je näher er kommt, desto größer wird sein Interesse, bis es sich endlich in Worten kund giebt.
»Ist das ein Schloß oder eine Ruine da oben?« fragt er den Kutscher, und der nimmt für einen Augenblick die Pfeife aus dem Munde und entgegnet in seiner lakonischen Weise: »Das ist halt Casgamala, Ew. Gnaden!«
»Casgamala? Welch sonderbarer Name, wie kommt der urplötzlich in diese deutsche Einöde?« Und der Wißbegierige nimmt sein Reisebuch zur Hand und schlägt auf: »Casgamala, altes Schloß auf der östlichen Seite des †††Gebirges (zum Theil Ruine); 600 Fuß über dem Meeresspiegel, vermuthlich aus dem dreizehnten Jahrhundert, mit theilweise restaurirtem Neubau verschiedener Jahrhunderte, Überresten orientalischer Bauten und Parkanlagen, worunter bemerkenswerth ein Obelisk mit spanischer Inschrift, sowie eine noch wohlerhaltene Eklesia verschiedenartigster Skulptur und Deckenmalerei. Das Schloß ist im Besitz des Grafen von Echtersloh, unbewohnt.« Das war alles, was in dem alten Schriftchen zu finden war. Entweder fuhr der Reisende unbekümmert weiter, oder er machte den kleinen Umweg über Casgamala, ließ sich von dem lahmen Kastellan treppauf und treppab führen, hörte kopfschüttelnd das »Märchen von der schönen Gräfin, dem Irrgeist des Schlosses,« wandelte staunend durch die wunderliche Gartenwildniß voll rankender Rosen, gestürzter Säulen und wuchernden Unkrauts und athmete auf, wenn sich endlich wieder das rostige Eisengitter hinter ihm schloß.
Umzittert von der Sonne
Liegt morsch der Kirch' Gestein,
Geöffnet sind die Grüfte,
Zerstreut liegt das Gebein.
Einst durftest stolz Du prunken,
Bild der Vergangenheit,
Verfallen und versunken –
Das ist der Fluch der Zeit! –
Etwas höher am Gebirge, kaum zwanzig Minuten entfernt liegen die Ruinen eines Klosters. Dahin kommt wohl nie eine Menschenseele, nur der Steinmarder springt im Mondenschein über die ausgewaschenen Fliesen und Fledermäuse kreisen um das modernde Gestein. Wenn die Sonne darüber steht und ihre blendenden Strahlen hinab in die feuchten Gewölbe tauchen oder neugierig um den letzten Überrest des ehemaligen Kreuzganges spielen, an dessen nördlicher Wand ein paar Steinbilder starren, mit todten Augen und zerbrochenen Gliedern, in deren gemeißelten Vertiefungen grünliches Moos wuchert, dann reckt sich wohl auch hie und da ein schillerndes Köpfchen mit klugen Rubinaugen aus den Rissen und Spalten, lugt vorsichtig ringsum und klettert dann, den schlanken Eidechsenleib behende nach sich ziehend, über Geröll und Wurzeln hin in den warmen Sonnenschein, welcher so verlockend auf den grauen Statuen glüht. Ernste, steife Mönchsgestalten sind es, mit faltigen Gewändern und hoher Bischofsmütze, im Arm die Bibel oder den Hirtenstab, zu Füßen die tiefgravirte Gedenktafel, vor deren lateinischen Räthseln die Dorfkinder oft still stehen und die kleinen Köpfe schütteln.
Ja, die Dorfkinder sind noch die besten Freunde von den stummen Gesellen im Kreuzgang, wenngleich sie sich auch nur in großer Schar in das alte Gemäuer wagen, um in dem Schatten der Trümmer eine kurze Weile auszuruhen. – Wie lieblich sitzt es sich zur Mittagsstunde auf den verwitterten Blöcken und Marmorsäulen, am Arm das Körbchen voll duftender Waldbeeren, voll bunter Glöckchen und zierlicher Farrenblätter, zu Häupten den hochgespannten Sommerhimmel, und vor den Blicken die weite Thalebene, dahingestreckt bis an den blauen Horizont, lauter Haide, Steppe und Nadelwald, selten ein schmaler Goldstreifen wogenden Getreides. Direkt zu Füßen liegt Casgamala in seinem Zauberschlafe, hohe majestätische Hallen, durch deren spitzgewölbte Fenster der Himmel schaut, ragende Thürme mit zackig gebrochenen Häuptern, aus welchen das grüne Gesträuch herniederhängt, leise vom Wind bewegt, als wolle es dem wuchernden Epheu winken, welcher seit Jahrhunderten schon mit sehnsüchtigen Ranken zu ihm emporstrebt. Rechts zur Seite erhebt sich der Neubau, mit massiven Quadermauern und blinkenden Fensterscheiben, röthlich schimmernd im Sonnenlicht, und gekrönt von runden Eckthürmen, welche fest und trotzig an allen vier Seiten emporragen.
Zwei uralte Gemäuer schließen sich ihm an der westlichen Seite an, schwankend zwischen Verfall und Bestehen, bemoost und überschattet von den dunkeln Lindenkronen, welche im Schloßhof vor grauen Jahren von der Hand eines Echtersloh als unscheinbare Reislein in den Boden gesenkt wurden. Dieser Theil des Schlosses sah übel aus, finster und unheimlich, zum Theil durch den letzten zerstörenden Brand geschwärzt und eingeäschert, dennoch war er noch nicht Ruine. Eine Reihe saalartiger Gemächer zog sich durch den ersten Stock, wenig möblirt, manche sogar völlig unwohnbar gemacht durch die hohen Schutthaufen, welche niederfallender Mörtel und Kalk auf dem schwärzlichen Parkett gebildet hatten; schwere Moderluft wehte darin und die kostbaren alten Brokatstoffe auf Möbeln und Wänden hingen zerfetzt und schimmelnd an dem wurmstichigen Gehölz hernieder. Hier hatte jedes einzelne Zimmer seine Geschichte, jedes einzelne seinen besonderen Spuk, welcher nächtlich darin hauste und schleppenden Schrittes die Stufen niederstieg bis in die grausigen Verließe, an deren Steinpfeilern noch eiserne Halsringe und Ketten von der Grausamkeit der guten alten Zeit erzählten!
O ja, Casgamala hatte schon viel gesehen und erlebt auf seinem steilen Bergeshang. Da war gleich rechts am Eingang dieses verrufenen Schloßflügels die große kellerartige Halle, von Säulen getragen und durch tiefgehöhlte Fenster spärlich erhellt, in welcher die Grafen von Echtersloh vor grauen Jahren Gericht über ihre Leibeigenen hielten, ein strenges, unerbittliches Gericht! Noch jetzt führte eine enge Wendeltreppe direkt in die Gewölbe hinab, deren furchtbare Finsterniß manch unglückliches Opfer verschlungen hatte. Wehe dem vorwitzigen Sterblichen, welcher sich um Mitternacht allein in diesen Raum wagt, er hört ein Wimmern und Stöhnen, ein Aechzen und Seufzen und klagenden Hilfeschrei, um ihn her huscht es wie dunkle Schatten und die Stufen herauf rasselt und klirrt es, eine dumpfe Stimme spricht das »Zeter über die vermaledeite Hexe!« und splitternd bricht der Stab.
Droben im ersten Stock, das dritte Zimmer! Die Wand ist mit bräunlichen Eichenplatten getäfelt, ein mächtiger Kachelofen ragt noch empor, sonst ist alles leer, blind und staubig darin. Um die zwölfte Stunde aber prangt inmitten eine kleine, reichgedeckte Tafel voll gewaltiger Humpen und Kannen, drum her johlt und lacht es, tolle, übermüthige Kriegsgesellen mit Stulpstiefeln, Sporen und Koller. »Wer weiß, ob wir morgen noch leben, d'rum laßt uns heute lustig sein!« ruft der kleine Feldherr mit dem Knebelbart und den stechenden Grauäuglein, »die verfluchten Brandenburger haben uns genug Freudenfeuer dazu angesteckt!« Und er faßt den Humpen mit beiden Händen und setzt ihn an. »Nieder mit Brandenburg!« lallen ihm die weinschweren Zungen nach. Da klirrt es leise auf der Treppe, die schwere Thüre fliegt krachend auf und helle Schwerter blitzen darin. »Verrath! Verrath!« schreit es gellend auf, wilder, kurzer Kampf um Ehre und Leben, und der rothe Wein fließt über die Dielen und das rothe Blut mischt sich darein, und unter dem Tisch liegt der Mann mit dem Federhut und der goldenen Kette auf der Brust, mit klaffender Stirnwunde und dem zerbrochenen Degen in der Hand. »Heil dem Hause Oesterreich!« hat die erbleichende Lippe geseufzt.
Und weiter. Hörst Du nicht das geheimnißvolle Rascheln und Kichern auf dem langen Korridor? Da kniet ein alter hagerer Mann mit wirrem Haupthaar auf den eingesunkenen Dielen, ein grauer, pelzbesetzter Schlafrock hängt lässig um ihn her, knochige ringgeschmückte Finger halten den Scheuerwisch und fegen und reiben mit zitternder Hast das morsche Holz. Ein dunkler Flecken zeichnet sich darauf ab, und je mehr der Alte scheuert, desto röther tritt er hervor: »Hihihi!« kichert der zahnlose Mund, »jetzt ist er gleich fort. Alles fort, keine Spur mehr! Dann soll noch Einer kommen und sagen, meine Kugel hätte den frechen Gesellen getroffen – hihihi! Beweist mir's! Der Fleck ist fort, alles fort, weiß wie Schnee.«
Die hohe Wendeltreppe herab rauscht es wie seidene Frauengewänder, röthlicher Lichtschein flackert über Flur und Wand und lautlos schwebt es näher, ... der Irrgeist von Casgamala.
Ein bleiches, dämonisch schönes Weib, einen goldenen Stirnreif in dem langwallenden Lockenhaar, mit starrem Lächeln auf der Lippe und glühender Leidenschaft im Auge. Langsam wandelt sie durch die lange Flucht der Zimmer, die Thüren fliegen ächzend aus ihren rostigen Riegeln, die Schlösser weichen dem leisen Wink ihrer Weißen Hand und hoch empor hält sie eine kleine Lampe, deren Docht eine rothe spitze Feuerflamme brennt. Hinab in den Hof schreitet die unheimliche Wandlerin, geradeaus durch die geschwärzten Mauertrümmer, tief in den Park. Achtlos gleitet ihr Fuß über Ranken und wucherndes Gestrüpp, das breite Gitter an den Parkanlagen des Grafen Desider weicht scheu aus seinen Angeln, Gräfin Casga schreitet hinein in die blühende Rosenpracht, vor ihr her zuckt die rothe Flamme. Starr richtet sich ihr Blick auf den Kiosk, ihre Lippen beben und verzerren sich, wildes, wahnwitziges Hohnlachen gellt durch die Nacht, dann schwebt sie plötzlich nicht mehr, nein, sie rast wie ein Dämon durch Wald und Haide. hinab zu den Marmorbrüchen. Dann hört man ihre seidenen Gewänder flattern, und das rothe Licht glüht auf und wird größer und immer größer, gnade Gott dem einsamen Wanderer, welcher jetzt den Weg des Irrgeists kreuzt. – –
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Noch immer waren die grünseidenen Fenstervorhänge im Zimmer des Grafen Lothar hernieder gelassen. Er selber lag in dem hohen Himmelbett, bleich und krank noch, mit breiter Binde um das dunkellockige Haupt und einer kaum vernarbten Wunde auf der Stirn.
»Jesabell,« bat er endlich mit leichtem Unmuth in der Stimme, »laß doch endlich ein wenig Luft und Licht in diese Krankenhöhle, ich ersticke unter den modrigen Vorhängen, und mit Euren infamen Arzneipullen bleibt mir erst recht vom Halse, ich habe keine Lust, mich von diesem verrückten Landquacksalber zu Tode kuriren zu lassen!« Seine schlanke Hand griff ungeduldig in die schweren Damastfalten der Bettgardine und schlug sie zur Seite.
Die Comtesse erhob sich und trat lächelnd zu dem Bruder.
»Nun, all' Deine Wünsche sind ja das beste Zeichen für Deine Genesung, Lothar!« rief sie fröhlich, »und ich will die letzte sein, welche Dir den lieben Sonnenschein da draußen vorenthält! Fühlst Du Dich wirklich wohler heute?« Sie faßte mit ernstem Gesichtchen seine Hand, »o ja, das Fieber ist fast ganz weg, und Deine Lippen fangen schon wieder an recht hübsch roth zu werden; Gott sei Lob und Dank, daß wir wieder soweit sind!« Sie strich ihm liebkosend das schwere Haar aus der Stirn, einen langen innigen Blick auf das schöne Gesicht des Kranken heftend.
»Du thust ja, als hätte ich am Tod gelegen, Schwesterchen,« entgegnete er milder, »Schnacken, so leicht stirbt sich's nicht, und zum Trotz Eures verfluchten Irrgeistes stehe ich mich recht leidlich mit Dame Fortuna. Nun mach' aber die Fenster auf!«
Jesabell schritt schnell an die hohen Spiegelscheiben und zog behutsam die verblichenen Rouleaux in die Höhe, Strahl um Strahl des hellen Sonnenlichtes fiel in das Zimmer, erst auf das dunkle Getäfel des Fußbodens, dann empor auf Möbel und Wände, bis endlich die ganze Stube in strahlenden Glanz getaucht schien.
Lothar richtete sich stöhnend auf. Sein Blick flog fast neugierig durch das alterthümliche Gemach und haftete endlich auf der schlanken Gestalt des jungen Mädchens, welche sich liebreizend in dieser grellen Beleuchtung von dem tiefblauen Himmel im Hintergrund abzeichnete.
»Sieh mal ein Mensch an, wie groß unser Nesthäkchen geworden ist!« rief er mit blinzelnden Augen. »Auf Ehre, Jesabell, ich habe bei der bisherigen Finsterniß noch gar nicht bemerken können, wie – ähnlich wir beide uns sehen!« Und Graf Lothar lachte leise auf und stützte den Kopf in die Hand, das junge Mädchen aber erglühte bis auf den weißen Nacken und öffnete die hohen Fensterflügel; herrlicher Duft quoll von dem Rosengarten herauf und der frische Luftzug ließ die leichten Stirnlöckchen der Comtesse erzittern.
»Komm einmal näher, Du brünettes Gretchen!« fuhr Lothar mit bedeckter Stimme fort, »und laß Dich in der Nähe betrachten. Parbleu, ich glaube wahrhaftig, ich habe meinem reizenden Pflegemütterchen noch nicht einmal zum schuldigen Dank die Hand geküßt« – er zog die weißen Finger der Schwester chevaleresk an die Lippen – »und muß mich erst von dem Sonnenschein aufmerksam machen lassen, welch' ein geschmackloser Krautjunker bereits aus mir hier in diesem Krähenhorst geworden ist! Nimm Platz, petite, ich möchte mir recht viel von Dir erzählen lassen!«
Jesabell gehorchte. Sie schlang die Hände um das Knie, schüttelte die dunkeln Locken zurück und lachte die eigene Befangenheit weg.
»Das würde ein Kunststück sein, lieber Bruder, und umgekehrt wohl richtiger. Du kommst aus der Residenz, aus der lustigen bunten Welt voll Neuigkeiten, und ich bin hier seit fünf Monaten das einzige achtzehnjährige Wesen auf vier Meilen Umkreis!«
Lothar drehte den glänzenden Schnurrbart, sein Blick ruhte unverwandt auf ihrem rosigen Gesichtchen. »Armes, kleines Ding,« murmelte er, »nur getrost, es soll bald wieder anders werden. Hm – sag' mal, wie geht es denn eigentlich mit der Alten bei solchen Verhältnissen? Wohl meistens bös Wetter auf Zollern?«
»Mama?« Die Comtesse seufzte leise auf, »sie fügt sich mit geballten Händen in das Unvermeidliche, besser eigentlich, als wir je zu glauben wagten; ja, ich bin überzeugt, daß sie ganz glücklich hier sein könnte, wenn –«
»Nun? Nur weiter im Text, ma belle!«
»Wenn Dolores nur etwas mehr mit ihr sympathisiren wollte! Aber statt sich zu bessern, wird das Verhältniß von Tag zu Tag gereizter, sie brauchen kaum fünf Minuten zusammen zu sein, so bricht auch schon die Feindschaft in hellen Flammen aus!«
Lothars weiße Stirn faltete sich. »Dolores ist das Kuckucksei in unserm friedlichen Familienkreis,« sagte er scharf, »sie scheint mir ebenfalls reif zu sein, um mit dem verrückten Herrn Bruder im Kiosk die gemeinschaftliche Reise in der Zwangsjacke anzutreten; ich entsinne mich so dunkel, während meiner Fieberträume ein graues Gespenst hier am Bett gesehen zu haben, mit scharfen regungslosen Augen, war das etwa meine hochgeborene älteste Fräulein Schwester?«
Jesabell nickte leicht erröthend. »Ganz recht, sie war einmal hier, um jenes Heiligenbild über Deinem Haupte aufzuhängen, sonst war sie –«
»Meistens in der Kapelle, um für den verlorenen Sohn zu beten?« unterbrach sie der junge Offizier mit schallendem Auflachen, dann sich ächzend wieder in den Kissen zurecht rückend, fuhr er fast höhnisch fort: »Ich danke für die Bemühungen der frommen Dame und hoffe auch ohne das Ja und Amen der guten Leute da oben im Leben fertig zu werden! Ihre Märtyrerfratzen mag sie sich selber übers Bett hängen, ich huldige vor der Hand noch dem illustrirten Couplet!« Und er hob die abgemagerte Hand, riß das kleine Bild der heiligen Barbara mit hastigem Griffe von der Wand und schleuderte es zerknittert weit in das Zimmer hinein.
Jesabell sprang mit leisem Schreckensschrei empor. »Um Gottes Willen. Lothar, was thust Du?« rief sie, es aufnehmend und sorgsam wieder glättend, »willst Du Dir Dolores zeitlebens zur Feindin machen? Sie wird die Vernichtung dieses Bildes als persönliche Beleidigung auffassen!«
»Wenn ihr das Plaisir macht, warum nicht?« Lothar zerpflückte gelassen die köstliche Rose, welche in einem Kelchglas neben dem Bett stand, »ich werde nie ein Hehl daraus machen, daß mir bigotte Weiber noch verhaßter sind wie Kreuzspinnen! – Hat es nicht eben an die Thür geklopft? – Herein!«
Die Comtesse sprang auf und öffnete die breiten Flügel.
»Ah, Mama! Das ist schön, daß Du kommst, Lothar ist vor Kurzem aufgewacht und befindet sich Gott Lob recht wohl heute!«
» Quelle chance!« Und Gräfin Mutter huschte mit strahlendem Lächeln in das Zimmer, geräuschvoll die Stühle und Sessel fortstoßend, um sich alsdann mit heiterstem Gruß über den Kranken zu neigen.
» Bon jour, mein Liebling, mein Lothar!« rief sie, seine Stirn und Lippen hastig küssend, »es geht Dir besser, Du kannst Besuche empfangen? O, das ist ja herrlich, mein Augapfel, charmant! Und die Fenster habt Ihr endlich geöffnet? Ja, das ist ein Segen, Kinder, das war sehr recht! Nun ist es wenigstens wieder hell und frisch hier, nicht mehr diese entsetzliche Krankendämmerung und Zimmerluft! Jetzt werde ich öfters zu Dir kommen, mein Junge, jetzt ist es mir behaglicher hier! Und Jesabell? Wie geht es Dir, petite? Ja, ja, ein bischen bleich und die Augen trübe! Das kommt von den Nachtwachen, pauvre ange!« Und Frau Leontine warf sich in den Sessel, welchen sie mit wenig Vorsicht neben Lothars Bett gerollt hatte, und entfaltete mit kurzem Aufathmen ihren gewaltigen Fächer: »Ich bringe eine excellente Neuigkeit, Kinder, ja, ja, mein Junge, eine Neuigkeit für Dich!« Und sie blinzelte dem jungen Grafen neckisch zu, »aber erst rathet einmal, welches neunte Weltwunder soeben passirt ist, darauf kommt Ihr, glaub' ich, alle Beide nicht!«
»Für mich? – Neuigkeiten?« gähnte Lothar wenig interessirt, »Schuß Clavigo! was ist's denn, Mama?«
Die Gräfin richtete sich empor und ein unsagbar spöttisches Lächeln flog über die hageren Züge. »Erstlich eine Nachfrage nach Deinem Befinden, darling!« entgegnete sie lebhaft, »von einer Persönlichkeit, deren plötzliches Interesse amüsant wäre, würde es nicht ridicule sein. Eben ging ich auf der Terrasse auf und nieder, als plötzlich ein alter Mensch mit weißem Kopf und sehr wenig devotem Wesen an mich herantritt. »Ich komme im Auftrage des Herrn Grafen Echtersloh, um nach dem Herrn Lieutenant zu fragen!« brummt er mich an, mit ein paar Augen, als wolle er mich beißen dazu. Hahaha; es ist zum Todtlachen, Herr Desider fängt urplötzlich an, sich für das Leben und Treiben im Schlosse hier zu interessiren.«
»Du irrst, Mama!« unterbrach Jesabell mit mildem Ernst, »der Bruder hat mehr Antheil genommen, als Ihr beiden glauben mögt. Schon in jener Nacht, als wir Lothar in den Steinbrüchen fanden, begegnete er uns auf der Chaussee im Jagdanzug, und da er die Ursache unserer nächtlichen Fahrt vernahm, schloß er sich sofort uns an, und half Lothar suchen. Wenn ich an den Tagen darauf in den Garten ging, und zufällig in die Nähe des Gitters kam, dann stand regelmäßig der alte Lebrecht an irgend einem Bosquet und fragte in Desiders Namen nach dem Befinden des Kranken. Einmal begegnete ich sogar dem Bruder selbst« – die Stimme der Comtesse steigerte sich und ihr Auge blitzte, hochaufgerichtet stand sie neben dem Lager des jungen Offiziers, »und die Art und Weise, wie er zu mir sprach, wie viel Antheil er an uns allen nahm, sein ganzes, freundliches Wesen, das hat jenes Bild zusammengeschlagen, welches ich mir im Geist so abschreckend von dem Verrückten gemalt hatte. Desider macht nicht den Eindruck eines Mannes, welcher Eurer Ansicht nach in ein Irrenhaus gehört. Ein Sonderling mag er sein, ja sogar ein recht großer Sonderling, seine Gedanken aber sind ebenso klar und bestimmt wie die unsern, und ich freue mich auf den Augenblick, wo Ihr ihn persönlich kennen lernt und Euch am besten davon überzeugen werdet!«
Ein unbeschreiblicher Ausdruck lagerte auf den Zügen der Gräfin. »Was Du nicht sagst, petite!« lachte sie gezwungen auf, »es scheint ja, als hätte der unheimliche Mensch große Sympathien bei Dir erworben. Ein für alle Mal, Jesabell« – die Stimme Leontinens ward hoch und schrill – »verbiete ich Dir dergleichen Ansichten zu äußern, deren Tragweite so ein Gänschen wie Du gar nicht ermessen kann. Wie wagst Du überhaupt Dir ein Urtheil anzumaßen, welches kein Mensch von Dir verlangt und der Meinung Deiner ganzen Familie die Spitze bietet. Bedenke, daß die Welt kein lieberes Handwerk betreibt, als ein möglichst schiefes Licht auf ihre Mitmenschen zu werfen, wie viel mehr, wenn ein naseweises kleines Fräulein mit vorwitzigen Reden Veranlassung dazu giebt.«
»Auf alle Fälle würde der Herr Graf sehr entzückt sein, wenn er ahnte, welch allerliebste Fürsprecherin sich hier um ihn verdient macht!« lachte Lothar voll beißenden Hohns auf, ein scharfer Blick streifte das erglühende Gesichtchen der Comtesse, »da dieses Thema aber durchaus keiner Debatten mehr bedarf, so ersuche ich Dich vielmehr, verehrtestes Schwesterchen, mir ein Glas Wasser zu besorgen.«
Ohne ein Wort zu entgegnen, höchste Bestürzung im Antlitz, verschwand das junge Mädchen hinter der Thür.
Kaum hatten sich die schweren Flügel hinter ihr geschlossen, als sich Lothar mit Anstrengung in den Kissen aufrichtete. Ein fast diabolischer Zug entstellte seine schönen Züge.
»Mama!« flüsterte er zwischen den Zähnen, »Jesabell wird nie ihren Vater verleugnen, sie hat sein weiches, sentimentales Gemüth geerbt, das taugt schlecht in unsere Situation. Auf alle Fälle empfehle ich Dir dringend an, sie nie auch nur das Mindeste von unseren Plänen errathen zu lassen; sie wäre im Stande, mit einem einzigen unvorsichtigen Wort alles zu verderben.«
Die Gräfin ließ finster ihr Haupt auf die Brust sinken.
»An Deinen Schwestern wirst Du nie eine Stütze haben, mein Sohn,« sagte sie ingrimmig, »Dolores sowohl wie die Kleine werden gegen uns sein, wenn die Katastrophe da ist, die eine aus Malice und Widerspruch, die andere aus übertriebener Gutmüthigkeit. Dennoch bin ich der Hoffnung, daß Jesabell sich sehr von Dir beeinflussen lassen wird; sie ist au fond ein lenksamer, milder Charakter, und wohl auch noch zu naiv, um über die Handlungen ihrer Mutter ernstlich nachzudenken. Machen wir jedoch andere Erfahrungen an ihr, so wird es Mittel und Wege geben, um sie noch rechtzeitig von Casgamala zu entfernen.«
Lothar reichte der Gräfin die Hand entgegen. »Ich verlasse mich vollkommen auf Dich, Mama, Du weißt, welche Versprechungen ich Dir gemacht habe; dieselben zu erfüllen wird mir Ehrensache und freudige Pflicht sein. Ihr verkehrt gar nicht mit Desider?«
»Nein, er hat mich mit einem einzigen Besuch beehrt, und hierauf sein Gitter abermals verschlossen, als müsse er sich vor den Dieben hüten.«
Lothar lachte laut auf. »Excellent! Nun, und welchen Eindruck hat Dir der Herr Graf bei diesem kurzen Besuch gemacht?«
Leontine zuckte mit schnellem Aufblick die Schultern. »Sehr reservirt, kühl, trotzdem mit aller verwandtschaftlichen Courtoisie, etwas steif und linkisch – aber verrückt durchaus nicht!« Sie hatte sich dicht zu dem Ohr des jungen Offiziers geneigt, und ihr blasses Gesicht hatte bei den letzten Worten einen abschreckenden häßlichen Ausdruck.
»Hm, aber was nicht ist, kann noch werden? Meinst Du nicht auch?«
»Wenn man das Mäntelchen richtig zu drehen versteht, warum nicht? Es kommt nur darauf an, wer diesmal der Düpirte ist. Nur unbesorgt, vor der Hand halten wir noch das Heft in der Hand, Lothar.«
»Aber Vorsicht, Mama, Vorsicht!« und der Kranke legte gleichzeitig den Finger auf den Mund und wies dann nach der Thür, hinter welcher Jesabells leichter Schritt wieder hörbar wurde.
Gräfin Mutter lehnte sich mit dem heitersten Lächeln in den Sessel zurück und zog einen Brief aus der Tasche, Lothar schloß wie ermattet die Augen und griff hastig nach dem Glas, welches ihm die Comtesse auf weißem Teller präsentirte.
»Nun setz' Dich zu uns, Bellachen!« nickte Excellenz mit gnädigem Lächeln, »hör mit an, welch' eine Freude ich für meine beiden Lieblingskinder heimlich ausgedacht habe. Kennst Du diese Schrift, petite?« Sie hielt dem jungen Mädchen das überaus elegante Couvert entgegen, auf dessen Rückseite ein pomphaft buntes Monogramm unter siebenpunktiger Krone prangte. Mit leisem Freudengeschrei griff Jesabell nach dem weißen Blatte. »Von Dagmar! o bitte, gieb mir, Mama!«
Die Gräfin zog den Brief lächelnd zurück. »Nur Geduld, mon ange, diesmal ist die Adresse an Ihre Excellenz Frau Gräfin Echtersloh gerichtet!«
»Ein Brief von Fräulein von der Ropp, Mama?!« Lothar richtete sich wie elektrisirt empor und starrte die alte Dame mit weitgeöffneten Augen an, eine jähe Blutwelle ergoß sich über seine bleichen Züge.
»Ganz recht, von Dagmar von der Ropp!« lächelte Frau Leontine selbstgefällig, einen leisen Schlag mit dem duftenden Papier gegen die Wange des Kranken führend, »nicht wahr, das interessirt Dich, mein Junge? Aber nun hör' erst, was mir das liebe Mädchen schreibt.«
»Laß mich selber lesen, Mutter, ich bitte darum!« klang es hastig von seinen Lippen, und schon hatte er den Brief in Händen und entfaltete ihn erregt.
»Was schreibt sie denn, Mamachen?« schmeichelte Jesabell, sich über den Sessel der Gräfin neigend, und athemlos die Züge des Lesenden studirend, »Neuigkeiten aus der Residenz?«
»Noch besseres als das!« Und Excellenz entfaltete abermals den Fächer, um ihn langsam vor der Brust auf und nieder zu bewegen. Mit gespanntem Ausdruck haftete ihr Blick an Lothars Gesicht.
Plötzlich klang ein lauter Jubelschrei durch das Zimmer, der junge Offizier schwenkte den Brief übermüthig in der Luft, ergriff stürmisch die Hände der Gräfin, und zog die Überraschte zu sich herab in die Arme.
»Sie kommt hierher, Mama! auf Ehre, sie kommt! Das hast Du brav gemacht, Du allerklügste kleine Excellenz Du!« und Lothar warf Jesabell lachend den Brief zu, »da, lies selber, petite, was Deine zukünftige Schwägerin für allerliebste Briefe schreibt!«
»Dagmar kommt! – meine Schwägerin?« stotterte die Comtesse glühend roth, »Lothar, lieber, guter Lothar, könnte es denn wirklich möglich sein?«
Die Gräfin war wieder tief athmend in ihre Polster zurückgesunken. »Still. Kinder, ich bitte Euch, nicht so laut.« lachte sie. »unser zärtliches Geheimniß weiß ja sonst das ganze Schloß! Aber, Gott sei Dank, mein Schlachtplan scheint geglückt zu sein, Dagmar hat meine Einladung in dieses verzauberte Märchenreich gnädigst angenommen; das ist mir das beste und sicherste Zeichen, daß sie doch nicht so ganz ungestraft in die dunkeln Augen meines lieben Dragoners hier geschaut hat. Nun Scherz bei Seite, Kinder, jetzt heißt es ernstlich über die Situation nachgedacht, um ihr gleich von vorn herein jede günstige Seite abzugewinnen. Warum soll ich ein Hehl aus meinem Wunsche machen, Dagmar mit Lothar zu verloben? Die Kleine ist sehr reich, in einem Jahre mündig und unumschränkte Herrin ihres Vermögens, dabei recht hübsch, recht amüsant, allerdings auch ziemlich verwöhnt, n' importe! Ich wüßte momentan keine bessere Frau für Dich. Die umworbene kleine Prinzessin zu erobern, wird für den schönsten Offizier der Residenz Kinderspiel sein, und wie tief ihr Interesse für Dich bereits Wurzel geschlagen hat, beweist am besten, daß sie den hiesigen Aufenthalt einer Badereise nach Ostende vorzieht.«
»Im großen Ganzen habe ich ihr eigentlich gar nicht so toll den Hof gemacht. Mama!« lachte Lothar, seine Bartspitzen drehend, »ich wollte die Kleine etwas reizen dadurch, Tant mieux, wenn es bereits so guten Erfolg hatte! Hahaha, ich weiß so ziemlich, wie die Weiber behandelt sein sollen, und wenn Eure Einöde hier nicht schon aus Langeweile verliebt macht, dann will ich meinen kleinen Finger verwettet haben!«
»Ach, diese Einöde!« seufzte plötzlich Jesabell erschrocken auf, »wie wird Dagmar in unsere bescheidenen Verhältnisse hier passen? Bedenke doch, Mama, wie wenig Bedienung wir haben, wie unser Mittagstisch so einfach ist, wie gar keine Abwechslung und Unterhaltung wir dem anspruchsvollen Residenzkinde bieten können!«
»In dieser Beziehung beurtheilst Du die Kleine vielleicht falsch, liebe Schwester,« zuckte Lothar gleichgültig die Achseln. »Fräulein von der Ropp ist auf dem Lande groß geworden und lebte nur die letzten zwei Winter in der Residenz; übrigens, sind denn die Verhältnisse hier wirklich so pauvre, daß man nicht einmal Gäste laden kann?«
Die Gräfin richtete sich resolut in die Höhe. » Bêtise!« sagte sie mit scharfer Stimme, »Dagmar mit allem Komfort hier zu bewirthen, wird meine Sorge sein! Der alte Christian wird in Livree gesteckt, ebenso kann Laubmann gleichzeitig als Kutscher und Jäger figuriren. Sibylle hat sich als meine Kammerfrau zu geriren, Lore, als einzig gewandter und routinirter Ueberrest unserer alten Herrlichkeit, wird Dagmar bedienen. Eine perfekte Köchin werden wir allerdings für die paar Wochen kommen lassen müssen, ebenso verschiedene Konserven und Delikatessen, Mon Dieu, ein paar Kisten mit Wein und Konfekt werden wohl auch noch zu erschwingen sein, und wenn es gilt, einen guten Fang zu thun, so darf man auch die Unkosten nicht scheuen. Das ganze Schloß, seine Einrichtung und Umgebung macht ja einen äußerst gediegenen Eindruck, nun, und schließlich wird es die kleine Ropp selbstverständlich finden, daß man sich eine »Landidylle« nicht durch moderne Schwülstigkeit beeinträchtigt. Wir finden es selber äußerst originell und amüsant, einmal eine kleine Robinsonade auf diesem Felsennest aufzuführen!«
»Natürlich, Mama, das ist selbstverständlich!« nickte Lothar mit blasirter Nonchalance. »Es kommt ja stets darauf an, wie eine gewisse Sache beleuchtet wird. Und wie steht es mit kleinen fêtes champê tres? Man könnte bengalische Feuer, Wasserfahrten, Waldparthien arrangiren, vielleicht mal eine italienische Nacht, wenn ich die Absicht habe, mich zu erklären – – , gar keine nennenswerthe Nachbarschaft da, he?«
»Nachbarschaft genug, wenn auch etwas entfernt!« seufzte Frau Leontine leicht auf, »alter, sehr reicher Landesadel, bei welchem ich mich natürlich in meiner jetzigen Lage nicht zu präsentieren wagte. Nun ist das etwas Anderes.« Gräfin Echtersloh richtete sich entschlossen auf, »noch heute werden Jesabell und ich nach Schloß Gralsdorf zu Baron von Friesacks fahren und Dich und Dolores mit Kranksein entschuldigen. Morgen geht es dann nach Rohrbach, übermorgen zu Graf Leuchtenbergs; wir müssen entschieden unsere Visiten absolvirt haben, ehe Dagmar kommt.« – Gräfin Echtersloh erhob sich. – »Ich werde sofort meine Toilette wählen, petite, nach Tisch kann Laubmann anspannen. – Bon jour, mon ange!« Und sie neigte die Lippen auf Lothars Stirne, »versuche jetzt wieder zu schlafen, damit Du gegen Abend wieder eine Stunde aufstehen kannst; bis Dagmar kommt, mußt Du ganz gesund sein, mein Liebling!«
Lothar küßte ihre Hand. »Ich fühle mich ganz wohl, Mamachen, und werde mich sogar schon nach der Siesta erheben. Glück auf Eure Fahrt, und vergiß nicht, mich zu exkusiren. Wo ist Dolores eigentlich?«
Die Lippen der Gräfin zuckten in malitiösem Lächeln.
»Die hat frommen Besuch, mein Sohn, der Pater Rupert hält ihr Vortrag über das Fegefeuer!« Und mit schrillem Lachen wandte sie sich zur Thür. »Lerne nur erst noch einmal den Katechismus auswendig, ehe Du Dich in diese geheiligte Atmosphäre begiebst, darling, der Rosenkranz wird Dir als einem reuigen Lamm von Hochwürden selber umgehängt!« Und sie klopfte Jesabell im Vorbeischreiten auf die Wange und verschwand hinter der Portiere. – »Halleluja!« sang ihr Lothar mit frivolstem Gelächter nach.