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13.

Was kommst Du bei nächtlicher Weile
durchwühlen das alte Gestein?
Und förderst herauf aus den Gräbern
nur Staub und Todtengebein?

Adalb. von Chamisso.

Fräulein von der Ropp hatte einen seltsamen Fund gethan. Glühendes Verlangen, das verhüllte Grabmal des Irrgeistes zu schauen, hatte sie in Begleitung der beiden Comtessen in die Schloßkapelle geführt, und nun stand sie vor dem wunderlichen Stein, auf dessen umgekehrtem Wappenschild eine rothe Feuerflamme und eine geknickte Purpurrose zu schauen war. Seltsame Symbole, durch keinen Buchstaben erklärt, nur der Name »Casga-Mala« stand in goldenen Lettern darunter eingegraben – Casga-Mala? wer war sie? Kein Stammbaum wies ihren Namen auf, denn als im Jahre 1802 eine Feuersbrunst den orientalischen und mittelsten Theil des Schlosses zerstört hatte, waren die Chroniken und Familienurkunden bis auf wenige ein Raub der Flammen geworden. Wohl erzählte sich die Tradition, daß ein Graf Echtersloh dereinst im Gesandtschaftsdienst des Kaisers gen Spanien gezogen sei dort ein wunderholdes Weib gefreit habe, »Casga-Mala« genannt, zu Ehren welcher er seinen alten Rittersitz habe durch einen neuen Bau verherrlichen lassen, ganz im spanischen Stile ausgeführt, und zum großen Neid der deutschen Ritterschaft. Wer kann aber solchen Dingen glauben? Ja, wären nicht die Trümmer der versunkenen Herrlichkeit die beredtesten Zeugen dieses Ammenmärchens gewesen, es wäre längst mit seiner zauberischen Heldin zu Moder und Staub zerfallen!

Dagmar stand vor dem Grabstein, ernst und sinnend. Sie löste die rothe Rose aus ihrem Gürtel und wollte sie als pietätvolle Gabe an den Rand des Schildes stecken, der dornige Stengel wollte nicht festhalten, und als ihn die junge Dame mit festerem Druck zwischen die Fugen zwängen wollte, da begann das Schild sich zu regen, gab den rosigen Fingern nach und drehte sich leicht knarrend zur Seite. Ein hohler Raum ward sichtbar, und als Jesabell und Dolores staunend näher traten und Dagmar mit zitternder Hast das wurmstichige Holz noch weiter in seinen Angeln bewegte, da offenbarte es sich plötzlich, daß das umgekehrte Wappenschild eine Art Drehscheibe war, hinter welcher sich ein schmales Gefach befand.

Fiebernd vor Erregung schauten die Mädchen hinein, ein schwarzer, silberbeschlagener kleiner Kasten stand darin, ein rostiges Schloß umspannte noch mit festen Riegeln seinen Deckel, sonst ringsum nur ein feiner, knirschender Staub versunkener Jahrhunderte.

Dagmar trug ihren kostbaren Fund hastig hinauf in das Boudoir der Gräfin, in welchem Lothar neben dem Schreibtisch seiner Mutter im Sessel lag und die feine Cigarette zwischen den Fingern drehte. Er sprang empor und eilte den jungen Damen chevaleresk entgegen, er schien ganz der Alte gegen Dagmar, fast noch vertraulicher wie gestern Abend, als er ihr zum Schluß des Balles die Hand küßte und den Irrgeist einen neidischen Gesellen nannte, welcher ihn um eine süße Antwort gebracht hatte! Er warte noch immer darauf.

Der geheimnißvolle Kasten erregte einen Sturm lebhaftester Neugierde.

»Die Familiendiamanten!« jauchzte Gräfin Mutter außer sich vor Entzücken, zwei brennend rothe Flecken traten auf die spitzen Backenknochen und die mageren Hände reckten sich voll gierigen Eifers nach dem antiken Geheimniß.

»Wart's ab, m'amour, erst laß mich aufmachen!« wehrte Lothar mit fast nervöser Hast, »die Familiendiamanten, bei Gott, das wäre kein schlechtes Körnlein, welches Fräulein Dagmar da aus dem Staube gescharrt hätte, aber, mille diantres, das kleine Satansding ist ja wie zugemauert, besorge 'mal das starke Tranchirmesser her, Jesabell, wollen sehen, ob es zum Brecheisen taugt, oder halt, wart' petite, ich werde erst meinen Champagnerbrecher probiren!«

»Sie wollen das Schloß sprengen, Graf Lothar?« fragte Fräulein von der Ropp befremdet, »wie schade für das kunstvolle, alte Werkchen! Ein Schlosser würde es gewiß unbeschädigt öffnen!«

»Um alsdann der ganzen Welt unsern kostbaren Fund auf die Nase zu hängen, meine Gnädigste?« Lothar lachte scharf auf, »das würde zum mindesten sehr christlich einfältig von uns sein. Denn so lange wir das Geheimniß bewahren, bleibt sein goldener Segen uns allein, an die große Glocke aber geschlagen, würde sowohl Desider, wie Vetter Magnus und Fritz Anspruch erheben und ich hege für keinen der drei Herren eine solch' opfermüthige Liebe, daß ich ihrem Goldstrom noch weitere Quellen zuleiten möchte.«

»Ganz richtig, darling! Mon Dieu, was liegt jenen Millionären an ein paar blanken Steinchen und uns sind sie lieb und werth, schon um des Angedenkens der Ahnfrauen willen, deren Souvenirs man ja heilig halten soll!« Und Gräfin Mutter kräuselte die Lippen zu heuchlerischem Lächeln und rückte näher zu dem jungen Offizier heran, unter dessen gewaltsamen Anstrengungen der Deckel des Kastens splitternd auseinander barst.

Dolores streifte die Mutter mit ironischem Blick.

»Heilig halten, indem man sie so schnell wie möglich in klingende Münze umwandelt!« warf sie schonungslos ein, »jenes köstliche Rubinhalsband, welches König Gustav Adolfs unglückliche Gemahlin meiner Ahne eigenhändig um den Nacken gelegt haben soll, erklärtest Du ja für unmodernen Trödel, um es mitsammt den werthvollen ausländischen Orden des Großvaters einem Trödler feil zu geben!«

»Schweig giftige Zunge!« fuhr Frau Leontine in bissigstem Tone auf, »wenn man für die modernen Ansprüche seiner Fräulein Töchter alte Erbstücke opfern muß, so finde ich dies traurig genug, und unerhört, daß dessen vor fremden Ohren Erwähnung gethan wird!«

»Ansprüche der Fräulein Töchter!« Dolores' Blick flammte voll bitterer Verachtung über das farblose Gesicht der Gräfin. »Für das Rubinhalsband machte die Frau Generalin von Echtersloh eine Reise nach Italien, und die Ordensdiamanten mußten die Schulden des Sohnes decken, welcher sonst schimpflich von der Presse gejagt worden wäre!«

Lothar hatte sich erhoben, seine Lippen bebten vor Zorn.

»Noch ein Wort, Schwester, und Du zwingst mich, Mittel zu ergreifen, welche energisch genug sein werden, um dem blödsinnigen Geschwätz einer alten Jungfer Schranken zu setzen! Alterire Dich nicht, theuerste Mama, Du weißt ja, daß man Nachsicht mit ihrer kranken Vernunft haben muß! Hier, laß uns lieber den Schleier von dem Geheimniß des Irrgeistes ziehen!«

Mit schnellem Schritt trat Dolores an den Tisch und legte die schmale Hand mit festem Druck auf den Deckel des Kastens, kein Blutstropfen kreiste in ihrem Gesicht, wie ein steinernes Bild, stolz und starr stand sie Mutter und Bruder gegenüber. »Halt!« klang es dumpf von ihren Lippen, »ehe der Deckel fällt, meinen Schwur! Was dieser Kasten auch enthalten möge, werth und unwerth, sein Inhalt wird nicht eher berührt, als bis der Majoratsherr von Casgamala, mein Bruder Desider, zur Stelle ist. Und ich erkläre jedermann vor Gott und aller Welt als einen ehrlosen Dieb, wenn nicht mit diesem Fund nach Fug und Recht verfahren, sondern der Pflichttheil der Verwandten unterschlagen und verheimlicht wird!« Schnell wie der Gedanke riß sie den Deckel fort. »Pergamente. Gott sei Lob und Dank!«

Ein allgemeines »Ah!« des Erstaunens, der bittersten Enttäuschung flog durch die kleine Runde.

»Pergamente?« schrie Lothar mit heiserer Stimme, »ha ha ha, Ihr Füllhorn schüttet respektable Schätze über uns, Dagmar! Pergamente, so wahr ich lebe, Pergamente! Na, Mama, laß Dich die Brillanten nicht allzusehr auf den Nacken drücken!« Und er warf sich in den Sessel zurück, schlug mit der flachen Hand klatschend auf die Tischplatte und brach abermals in ein convulsivisches Gelächter aus.

Die Gräfin hielt regungslos die Sessellehne umklammert, fahle Blässe lag auf dem unschönen Gesicht und die schmalen Lippen schimmerten fast bläulich.

»Excellenter Scherz, et tant de bruit pour une omelette!« rief sie mit mißglücktem Versuch zu scherzen. »Um ein paar gelber Papiere willen ließ sich Comtesse Dolores zu einer meisterlichen Leistung der Comédie tragi-comique hinreißen! Klascht ihr Bravo, lieben Kinder, es war ein würdiges Vorspiel zu der vermuthlichen Liebesgeschichte der Dame Casga-Mala!« und sie verneigte den Kopf verächtlich gegen den schwarzen Kasten. » Voyons donc, was enthält die Chatulle?«

Dolores hielt dieselbe in Händen und nahm die Schriften vorsichtig heraus. »Heilige Souvenirs unsrer Ahnen!« entgegnete sie spottend, neigte sich zum Licht und las nicht ohne Mühe die wunderlich verschnörkelten Buchstaben.

»Curriculum vitae.«

»An meine Leibeserben und Kindeskinder, die Nachkommen des gräflichen Geschlechtes von Echtersloh als eine Beichte und Buße schwerer Schuld.«

»Lest und vergebt ihr um der ewigen Barmherzigkeit eures Gottes willen.«

»Casga-Mala, die gratia comitissa Echterslohe; piae memoriae.

Natus die XXV. mensis Julii MCCCXVIII.

Denatus die XX. mensis Octobris

MCCCCLXXVIII anno dom. Lugent illustrissimi.

Qui sunt relicti quinque liberi

Moestissimi.

In madatum avocatorium

Jordanus Desiderius von Echterlohe«

Sie wandte das Schriftstück um und betrachtete das große, unverletzte schwarze Wachssiegel, welches die Pergamente schloß. »Der Aufschrift nach haben wir eine Biographie der Gräfin Casga-Mala zu erwarten!« sagte sie ruhig, »ich werde mit Eurer Genehmigung Desider für heute Abend zu uns herüber bitten lassen, um diese Blätter im Familienkreise vorzulesen!«

» Pardon, wenn ich mich unterstehe, diese ordre du jour in einer Kleinigkeit zu ändern.« warf Lothar ironisch ein. »Heute Abend beabsichtige ich zu meinen Kameraden in die Garnison zu fahren und bedaure, nicht rücksichtsvoll genug zu sein, um mein Vergnügen Deinen Befehlen zu unterjochen; falls Dir Dein Betschemel Urlaub giebt, bestelle doch den Herrn Bruder zum Kaffee auf die Terrasse!«

Gräfin Mutter kicherte impertinent auf, Dolores aber zuckte mit keiner Wimper.

»Ich habe niemals Rücksichten von Dir erwartet, noch solche erfahren,« entgegnete sie kalt, »und es durch Dein leuchtendes Beispiel gelernt, mit gleicher Münze zurückzuzahlen! Gewiß werde ich Desider auch zum Nachmittag bitten können, denn mein Betschemel ist weniger despotisch wie Dein Spieltisch, mich kettet keine Ehrenschuld daran!«

Vernichtend ruhte ihr graues Auge auf seinen fahlen Zügen, dann nahm Comtesse Echtersloh gelassen die schwarze Chatulle in den Arm und schritt ohne weiteren Gruß aus dem Salon. In der Thür glitt der Deckel von dem Kasten und fiel auf die Schwelle nieder. Lothar sprang herzu, hob ihn auf und neigte sich mit outrirter Devotion vor der grauen Gestalt. »An diese Stunde sollst Du mir gedenken, Natter!« raunte er haßfunkelnden Blickes in ihr Ohr, dann lachte er auf und fügte laut hinzu: »Also sammelt ein Cavalier und galanter Bruder feurige Kohlen auf das Haupt seiner Verleumderin!«


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