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6.

Es kam die Jungfrau und der Mann
des Nachts bei ihrer Herberg an.

Hartmann von Aue.

In ein Gewebe wanden
die Götter Freud' und Schmerz
sie webten und erfanden
ein armes Menschenherz.

Herder.

Dagmar von der Ropp war auf Schloß Casgamala angelangt. Mit großen, neugierig forschenden Augen war sie an Lothars Arm die breite Freitreppe emporgeschritten, hatte in heiterem Willkommensgruß die zärtliche Umarmung der Gräfin Mutter erwiedert, und trat alsdann in Jesabells Begleitung in ihr reizend ausgestattetes Boudoir, durch dessen weit geöffnete Bogenfenster das grüne Weinlaub schwankte.

»O Gott, wie himmlisch ist es bei Euch!« jauchzte die junge Dame, ihren eleganten Shawl auf den nächsten Sessel werfend, hastig in die tiefe Mauernische tretend, um die schlanken Hände in das üppige Gerank zu stecken, »wie glücklich werde ich mich hier fühlen, süße Bella, in dieser zauberischen Einsamkeit, in welcher man ohne Glaceehandschuhe durch Wald und Flur streifen kann. Jetzt soll es ein lustiges Leben auf Casgamala geben, dessen Parole die goldene Freiheit heißt!« Und Dagmar schlang den Arm um den Nacken der Freundin und küßte sie innig auf den Mund, dann wandte sie sich zu den eintretenden Dienstboten zurück und ordnete das Aufstellen ihrer Koffer an.

»Erst will ich mich ein bischen menschlich machen, Schatz!« lachte sie dann heiter, »es war eine schreckliche Fahrt bis hierher, an welche ich zeitlebens denken werde. Ihr wohnt ja am Ende der Welt und namentlich das letzte Stück Wegs auf dem Wagen wollte gar kein Ende nehmen!« Und Dagmar trat vor den hohen Spiegel, nahm das leichte Sommerhütchen achtlos von dem Kopf und fuhr mit den Fingern auflockernd durch das dunkle Haar, welches sich in genialem Gelock über der weißen Stirn aufbaute.

Jesabell saß während dessen auf dem Fensterbrette und schlang die gefalteten Hände um das Knie, tausend Fragen hatte sie zu thun, und das reizende kleine Wesen vor dem Spiegel plätscherte im frischen Quellwasser, stäubte Puder und Parfüm und erzählte mit übermüthigem Lachen von den jüngsten Neuigkeiten der Residenz, von der Ministerin, welche bei der letzten Matinee eine ganz skandalöse safrangelbe Robe getragen hatte, durch welche ihr, bei der auffallenden Magerkeit, der Spitzname »Sahara,« geworden sei. Ferner von dem jungen Baron Bartow, dessen berühmte »Miß Lurlei« bei dem letzten Rennen gestürzt sei – er selber starb leider nach zwei Stunden, aber das Pferd ist Gott sei Dank gerettet –; von Comtesse Erna, dieser überspannten Roman-Heldin, deren Verlobung natürlich wieder zurückging, wie alle Welt längst vorausgesehen hatte, und von so tausenderlei anderen Dingen, welche namentlich Gräfin Mutter drunten kolossal interessiren werden. Dagmar zog einen frischen Fliederzweig aus der Vase und steckte ihn zum Schluß ihrer Toilette nachlässig niederhängend in das volle Haar, dann nahm sie Jesabells Arm und zog sie mit sich zur Thür zurück.

Auf der weiten Flurhalle kam ihnen Lothar entgegen. Er trug Civil und eine Rosenknospe im Knopfloch.

»Wie lange haben wir Sie entbehren müssen, mein gnädiges Fräulein!« lächelte er chevaleresk, den Arm der jungen Dame wie in selbstverständlichem Ritterdienst auf den seinen legend. »Wissen Sie nicht, daß ein jeder Augenblick, welchen Jesabell Sie uns entzieht, ein schwerer Diebstahl an der Sonne Casgamalas ist?«

Dagmar blickte neckisch zu dem schönen Mann empor.

»Gut gebrüllt, Löwe!« lachte sie leise, »die Sonne dieser Felseneinsamkeit wird für solch elegante Schmeicheleien stets den vollen Glanz ihrer Huld über Sie ergießen, apropos, Sie sehen recht blaß aus, wollen Sie sich am Ende gar interessant machen?«

Ein sprechender Blick flammte zu ihr nieder. »Wie nun, wenn ich Ihnen mit der bekannten Thatsache antworte, daß die Sehnsucht bleiche Wangen macht?«

»Dann würde es vor allen Ding nothwendig sein, erst die verrätherische Narbe an der Stirn zu übermalen,« lachte Dagmar, das Köpfchen in den Nacken werfend, »denn es mag die Sehnsucht noch so schneidend sein, solch' tiefe Schmarren zeichnet sie unmöglich auf das Antlitz ihrer Opfer. Jetzt beichten Sie, wessen krummer Säbel verübte dieses Attentat?«

»Mein Gegner stand mir in der Geisterstunde gegenüber, und der Preis, um welchen wir stritten, war das Glück dieser nächsten Wochen, welches mir selbst bleiche Geister neiden!«

»Wie geheimnißvoll das klingt, bester Graf!« zuckte Fräulein von der Ropp die Achseln, »wollen Sie mich mit diesem dunkeln Sibyllenspruch abspeisen?«

»Was verlangen Sie zu hören?«

»Den Namen Ihres Feindes!«

Lothar blieb stehen, der Blick seines dunklen Auges senkte sich langsam in den ihren und über die schönen Züge flog ein schnelles, wundersames Lächeln. »Mein Feind, Fräulein Dagmar? Gut daß ich aus Ihrem Munde diese unbewußte Warnung höre, mein Feind ist – der Irrgeist von Casgamala!«

Noch klang das Wort an der gewölbten Decke des Korridors wieder, und ehe das junge Mädchen die frischen Lippen zu einer neugierigen Frage öffnen konnte, schrak sie auch schon mit leisem Schreckenslaut zurück und klammerte sich an den Arm des schönen Offiziers, welcher gleich ihr in momentaner Bestürzung zur Seite wich.

Direkt vor ihnen, jäh um die Ecke des Treppenhauses biegend, stand eine hohe, graue Gestalt, den Rosenkranz in den mageren Fingern und die bleichen Lippen halb geöffnet, um Gebete zu murmeln. Ein scharfer Blick streifte die beiden jungen Leute und die grauen Augen starr auf des Bruders Antlitz geheftet, trat sie lautlos noch einen Schritt näher.

»Der Irrgeist von Casgamala wird noch andere Furchen durch Dein Antlitz, noch andere Striche durch Deine Rechnungen und Deine Pläne ziehn!« klang es voll unheimlicher Ruhe zu ihm nieder, »hüte Dich vor ihm!« und das Haupt langsam nach Dagmar wendend, fuhr Comtesse Dolores mit erhobener Stimme fort, »Casgamala und seine geheimnißvollen Mächte heißen Sie willkommen, Fräulein von der Ropp, was Sie sehen, ist Schein und Larve, was Sie treten, ist der schwanke Boden eines Vulkans, darunter die wilden Flammen des Entsetzens wühlen, was Sie hören ist der Todesseufzer eines entwürdigten Geschlechts! Wohl Ihnen, wenn Sie jenen einzigen Fels im Sturm erkennen und zu ihm sich halten, zum Irrgeist von Casgamala!«

Noch ein durchbohrender Blick, und Dolores schwebte lautlos vorüber, um in dem Schatten des langen Säulenganges zu verschwinden.

»Dolores! War das Dolores?« fragte Dagmar fröstelnd. »Mein Gott, welch' wunderliche Begrüßung!« und sie zog Lothar stürmisch mit sich fort, als fürchte sie, jene farblose Gestalt könne zurückkehren und ihr abermals den Weg vertreten.

Da kam wieder Leben in die erstarrten Glieder des jungen Grafen, ein ungestümes Leben, welches in haßfunkelnden Blicken aus seinen Augen brach.

»Es ist unglaublich, empörend!« rang es sich durch seine knirschenden Zähne, »ich bitte tausendmal um Vergebung für das Betragen einer – Überspannten, Fräulein von der Ropp! Meine Schwester ist leider seit letzter Zeit völlig unberechenbar, und jene religiöse Schwärmerei, welche bereits in der Residenz begann, hat hier ein fast beängstigendes Stadium erreicht! Ich begreife nicht, Jesabell, wie Ihr die Arme so ohne jeglichen ärztlichen Beistand hier dulden könnt, noch heut am Tage werde ich mit Mama darüber Rücksprache nehmen!«

Comtesse Echtersloh neigte schweigend das Köpfchen, Dagmar aber schüttelte lachend das Haar aus der Stirn. »Brr, wie gräulich sah sie aus, wie eine Nonne, welche eben aus dem Grabe steigt. Aber ich entsinne mich gar wohl, daß sie bereits während des letzten Winter's in der Residenz einen horriblen Geschmack entwickelte, immer Grau in Grau, und mit ihren hundertundfünfzig Betbücher ärgerten wir sie ja damals schon. Nun machen Sie aber, bitte, nicht mehr solch bitterböses Gesicht conte mio, es wird mir sonst bange in Ihrer Nähe. Wie kann Sie wohl ein Mene tekel aus dem Mund eines Wesens irritiren, dessen Gedanken nur noch in der Welt wirrer Phantasien kreisen!«

»Jene sinnlosen Worte lassen mich kalt, mein gnädiges Fräulein, und würden es auch bei Gott nicht werth sein, sich nur einen Augenblick Skrupel darüber zu machen. Aber die taktlose Art und Weise meiner Schwester Ihnen gegenüber, sowie ihr ganzes Wesen, welches die Copie einer Cassandra schien, läßt mich bitter beklagen, es versäumt zu haben, meine Gäste vor solchen Willkommengrüßen zu bewahren!« Und Lothar riß mit noch immer tief gefalteter Stirne die breiten Thürflügel auf und ließ die jungen Damen voran auf die Veranda treten, woselbst Gräfin Mutter ihre »Lieblinge« erwartete.

Dagmar neigte ihr Köpfchen dicht zu der Schulter des schönen Mannes und blickte mit glänzenden Augen zu ihm empor. »Wenn das Ihre einzige Sorge ist, so trösten Sie sich, cher ami, wir wollen Comtesse Dolores beweisen, daß sich die Macht des Irrgeistes wohl über die todten Mauern dieses Schlosses, niemals aber über die Herzen ihrer lebensfrohen Kinder erstreckt!« Und sie zog schnell ihre Hand aus der seinen und eilte mit ausgebreiteten Armen auf Ihre Excellenz zu, um unter übermüthigem Lachen ihr »urkomisches Rencontre« mit der »Sancta Dolores« zu erzählen.

Darüber waren nun schon zwei Tage vergangen, und zum Entzücken Leontinens fühlte sich die kleine Prinzessin »wie im Himmel« bei ihnen. Schon am nächsten Tage wanderten die jungen Leute durch Schloß, Ruine und Park, und mit den Handschuhen und eleganten Toiletten ließ Dagmar das verwöhnte Stadtkind droben in ihrem Zimmer zurück, um mit verwehtem Haar und glühenden Wangen durch diese herrliche Wildniß zu streifen. Kaum konnten Lothar und Jesabell mit ihren übermüthigen Wanderungen Schritt halten und als Fräulein von der Ropp sogar erklärte, den alten gebrechlichen Eulenthurm besteigen zu wollen, da schüttelte Jesabell energisch den Kopf, und hatte ihr Leben lieber als die schöne Aussicht droben. Graf Echtersloh aber jauchzte ihr Beifall zu, und versprach ihr ein für allemal seine getreuen Ritterdienste, gälte es selbst bis hinauf zu den schwindelnden Bergfirnen zu klimmen, um das Abendroth mit kühnen Fingern von dem Himmel zu stehlen! – Ein stolzer strahlender Blick aus den großen Schwarzaugen war sein Lohn und die beseligende Gewißheit, jene schlanke Gestalt halten und stützen zu dürfen, allein mit ihr zu sein zwischen Himmel und Erde.

Wieder glühte das Abendroth an dem Himmel. Droben auf den alten Klosterruinen spielten seine zaubrischen Lichter und umwoben mit einem Goldnetz die beiden Mädchengestalten, welche Arm in Arm auf den Steintrümmern vor dem verfallenen Kreuzgang saßen.

Dagmar hatte den Hut neben sich in das Gras geworfen und schüttelte ungeduldig das dunkellockige Haar zurück, welches durch das wilde Laufen und Klettern lang aufgelöst über Nacken und Rücken wallte. Das Sonnenlicht säumte das jugendschöne Haupt mit strahlendem Golde und floß rosig über das weißgestickte Sommerkleid, welches in einfacher Eleganz, schon schmiegsam und zerknittert durch das Tragen, um die zierliche Figur bauschte. Auf ihrem Schooß hatte sie Farren und Waldglocken gesammelt, um sie jetzt mit launigen Fingerchen zu zerpflücken, oder sie spielend über den Mauerrand in die waldige Tiefe zu zerstreuen, es war nun einmal ihre Natur, im Vorbeieilen die Blüten und Gräser abzupflücken, um sich eine kurze Weile an ihrer Pracht zu freuen, und sie dann überdrüssig unter die kleinen Füße zu treten. Blumen und Männerherzen, wozu waren sie wohl sonst auf der Welt!

Jesabell saß schweigend und spähte aufmerksam in die Gegend hinab, interessirter wie gewöhnlich hing ihr Blick an der breiten Chaussee, welche sich von hier aus in weitem Bogen an dem Schloßberg überschauen ließ. Dagmar aber musterte mit lebhaftem Interesse die weiten Parkanlagen, welche sich direkt zu ihren Füßen am Berg hinaufzogen.

»Ei, petite, was ist das für ein wunderliches Gitter mitten durch den Garten hin?« rief sie plötzlich, »ist das etwa die Grenze Deines Bruders, von dessen Menschenhaß Deine Mama gestern sprach?« – Und Dagmar lachte hell auf und reckte neugierig das schlanke Hälschen.

»Grenze?« wiederholte Jesabell mit leichtem Unmuth, »einer solchen bedarf es zwischen Desider und uns nicht! Bis dahin reicht sein spezielles Besitzthum, und jener graue Thurm mit den zwei runden Seitenbauten ist der Kiosk, in welchem er schon seit Jahren wohnt!«

»Wo denn? – dort hinter den Bäumen? o wie schade, daß man ihn nicht ganz sehen kann!« und Fräulein von der Ropp zuckte abermals lachend die Schultern, »ich möchte gern einmal sehen, wie es bei einem Verrückten aussieht!«

Die Comtesse schrak mit finsterm Blick empor.

»Dagmar!« rief sie hastig, »beleidige meinen Bruder nicht! Wie kommst Du zu der verletzenden Idee, ihn verrückt zu nennen?!«

Mit großen Augen blickte sie die Gefragte an. »Weißt Du das nicht?« verwunderte sie sich, die weißen Händchen zusammenschlagend, »Deine Mama und Lothar haben es mir erst heute Morgen wieder erzählt, daß er vollständig ...« und dabei tippte sie mit unverkennbarer Geste an die Stirn – »unzurechnungsfähig ist. Auch in der Residenz weiß es alle Welt! Mon Dieu, das ist doch eine alte Geschichte!« fuhr sie leichthin fort, – »ich habe es damals selber mit angesehen im Cadettencorps, wie er auf den Kopf fiel, – pauvre garçon, er war so bodenlos häßlich, Jesabell, daß er mir nicht einmal leid that!« Und die junge Dame verschränkte muthwillig die Arme auf dem Rücken und lachte silberhell auf. »Ist er noch immer solch ein Ausbund von Unschönheit, Liebchen? dann will ich ihm morgen einen Condolenzbrief schreiben!« Alles Blut trat aus Jesabells Wangen, unwillig wich sie von der frivolen Spötterin zurück. »Ich hatte Dich nie für so herzlos gehalten, Dagmar,« entgegnete sie herb, »und niemals für so oberflächlich, einem schändlichen Altweiberklatsch Glauben zu schenken und ihn sogar noch weiter zu tragen. Mein Bruder ist weder geisteskrank, noch seit jenem Sturz von dem Pferde körperlich leidend, und seine Marotte, hier in der Einsamkeit zu leben, fußt einfach auf seiner großen Vorliebe für dieses Schloß. Auch ist er passionirter Jäger und kann seinem Vergnügen hier auf eigenem Grund und Boden am besten huldigen.«

Abermals starrte sie Dagmar mit weit geöffneten Augen an.

»Aber Kind, ich begreife Dich gar nicht!« rief sie fast ärgerlich, »Dein Bruder erzählte es aus freien Stücken allen Leuten, Deine Mama betrauert ihn öffentlich als unheilbar geisteskrank und Du willst mir plötzlich alles ableugnen! Da werde ein anderer klug daraus!«

Dunkle Glut flammte über das Gesichtchen der Comtesse.

»Dagmar,« sagte sie weich und leise, »ich weiß es leider, daß man so hart über Desider urtheilt, aber trotzdem theile ich die Ansicht der Menge nicht, ich kenne meinen Bruder und habe ihn lieb. Wenn Du mir also nicht bitter wehthun willst, dann sprich in meiner Gegenwart nicht so hart und herzlos über ihn, denn ein jedes gehässige Wort gegen ihn trifft mein Herz!« Jesabell schwieg erschrocken und wandte schnell den Kopf zurück, es hatte dicht hinter ihnen wie knirschendes Geröll geklungen.

»Es wird ein Vogel aufgeflogen sein, oder eine Eidechse hat geraschelt!« meinte Fräulein von der Ropp, dann blickte sie nachdenkend vor sich nieder. »Verkehrt denn dieser seltsame Herr Desider gar nicht bei Euch im Schloß?« fragte sie .nach einer kleinen Pause.

»Am Tage vor Deiner Ankunft war er zuletzt drüben,« nickte die Comtesse, »er kommt selten, namentlich jetzt wird er sich vor dem lustigen Leben und Treiben bei uns scheuen!«

»So ängstlich? ... Mein Gott wie unmodern! ... Na sag' mal Kindchen, und häßlich ist er noch immer?!«

»Das mußt Du selbst beurtheilen, ich kenne Deinen Geschmack nicht!«

»Gleicht er jetzt etwa Lothar?«

»Auch nicht die mindeste Spur!«

Dagmar rümpfte das Naschen und lächelte verächtlich.

»Dann werde ich mich nie für ihn interessiren, denn für mich existirt nur eine solch glühende, sprühende Schönheit wie die Deines jüngsten Bruders!«

»Wie leichtfertig geurtheilt!«

»Meinst Du? ... vielleicht doch nicht so sehr als Du denkst! Blick Dich um in der Natur – Alles was häßlich ist, ist giftig und verderblich, häßlich ist die Nacht, die Freundin des Verbrechens, häßlich ist die schwarze Wolke, welche Donner und Blitz im Schooße trägt, häßlich ist die Schlange, häßlich die Kälte, deren rauher Athem jegliches Leben mordet, – aber schön ist der junge Tag, schön ist die liebe Sonne und ihr heißer Kuß, schön sind alle Thiere, welche nützen und beglücken; und darum sage ich: »Schöne Menschen sind gut und brav, die Häßlichen aber sind die Kinder der tückischen Finsterniß!«

Ein ernster, leuchtender Blick traf sie aus dem Auge der jungen Comtesse. »Wohlan, Dagmar, Du stellst mir die Natur als Spiegel vor und darum will auch ich Dir nur mit einem einzigen Beispiel aus diesem selben Buche der ewigen Gottesschöpfung antworten! Welche Schalen bergen den süßesten Kern? die, welche am härtesten, am bittersten und am rauhesten scheinen! Und Gott sei Lob und Dank, daß es eine milde, versöhnende Nacht giebt, um all' die Wunden zu heilen, welche des Tages blendende Helle schlägt!«

Dagmar schüttelte die Haare zurück und blickte halb erstaunt, halb amüsirt in das erregte Gesicht der Comtesse.

»Du hast immer so fabelhaft altkluge Worte, Jesabell,« sagte sie, mit dem spitzen Stiefelhacken gegen das morsche Gestein hämmernd, »und wenn man mit Dir anfängt zu debattiren, heißt es, das Lexikon in der Tasche haben! Passons là dessus, heute bin ich denkfaul und kuriren kannst Du mich doch nicht, Liebchen, Lothar ist schön und Desider ist häßlich, damit punktum! Nun möchte ich aber um alles in der Welt wissen, wo unser Ritter ohne Furcht und Tadel bleiben mag, eine Uhr habe ich nicht mit und der Sonne nach müßte er längst von seiner Visite zurück sein; siehst Du ihn noch nicht auf der Chaussee, Jesabell?«

Die Genannte bog das Köpfchen vor und schaute eifrig in das Thal hinab, doch ehe sie noch die Lippen zu einer leicht verstimmten Verneinung öffnen konnte, klang fern aus dem Park herauf ein übermüthiger Jodler, welcher bei seinem letzten hohen Ton merkwürdig ins Schwanken gerieth.

»Da ist er! – Das ist Lothar!« – lachte Dagmar wie elektrisirt auf, – Grâce à Dieu, wie falsch er singt!« – und sie hielt sich die kleinen Hände scherzend vor die Ohren, »jetzt noch einmal! – hörst Du? ... Hahaha! Die Stimme kenne ich doch unter Tausenden heraus!« – und sie sprang empor, legte die rosigen Finger an die Lippen und antwortete mit glockenheller Stimme; wie Musik so rein und melodisch zogen die weichen Klänge durch die stille Luft.

»Dagmar! ... Holdiho! ... Dagmar!« schallte es schon etwas näher zurück, und die junge Dame warf keck das Näschen zurück und wandte sich lachend zu ihrer Gefährtin, »soll ich ihn mal ärgern, weil er so frech ist und »Dagmar« ruft?« und ohne eine Antwort abzuwarten, neigte sie sich über die Mauer und sang in schmachtenden, fast seelenvollen Tönen: »Desider!« Lang zog und hallte es über die stillen Wipfel, leise verklingend wie ein sehnsuchtsvoller Seufzer und getragen von dem leichten Luftzug, welcher momentan über die blühenden Rosen strich.

»Was raschelt denn nur hier hinter den Steinen?« wandte sich die Comtesse jetzt jäh zurück, noch die volle Bestürzung in den Zügen, welche Dagmars Kühnheit ihr geweckt hatte, – »eben fielen wieder ein paar Kalkstücke und dort in dem Kreuzgang neben dem alten Steinbild in der Wand wirbelt Staub auf!«

Fräulein von der Ropp schaute nach der angegebenen Richtung. »Vögel werden es sein, oder am Ende gar Mäuse,« entgegnete sie gleichgültig, um dann sofort wieder lebhafter fortzufahren. »Siehst Du? ... jetzt ist er ruhig! Wie schade, daß ich sein erstauntes Gesicht nicht sehen konnte! ... Schnell, Jesabell, setz' Dich wieder ganz still hierher auf die Marmorblöcke, wir thuen natürlich, als wären wirs nicht gewesen!« und Dagmar riß eifrig ein paar Epheuranken und wilde Rosenzweige von der Mauer und schlang sie mit geschickten Händen zum Kranz.

»Ein bischen putzen wollen wir uns aber für dieses Wiedersehen,« fuhr sie nach kleiner Pause fort, als Gräfin Echtersloh gedankenvoll gehorchte, »da, hier hast Du auch ein paar Blüthen, steck' sie Dir ins Haar, lieber Schatz!« und damit flog schon ein Strauß Waldglocken in den Schooß der Comtesse, während Dagmar selber ihr Kränzchen emporhob und es voll reizender Natürlichkeit durch das lose Gelock schlang. »Steht's mir gut?« fragte sie, den feinen Hals kokett nach allen Seiten drehend, und in Jesabells Augen eine entzückte Antwort lesend, setzte sie sich noch graziöser zwischen den nickenden Farrenblättern zurecht, lehnte das Köpfchen gegen die moosigen Steine zurück und schaute mit glänzendem Blick in den Himmel.

Kaum waren zehn Minuten vergangen, da saß zu ihren Füßen die schlanke Gestalt des jungen Offiziers, und zwei Augen glühten zu ihr empor, daß selbst der verwöhnten kleinen Zauberin der Residenz das Blut heiß in die Wangen stieg.

»Warum riefen Sie vorhin, ›Desider!‹ Fräulein von der Ropp?« fragte der schöne Mann, sich noch näher zu ihr neigend. »Wollten Sie mich ärgern?«

Dagmar lachte hell auf und nickte.

»Als ob Sie mich nicht schon genug quälten! Wie aber, wenn ich mich rächen würde?«

»Sie?« ... Dagmar schob die Arme neckisch unter den Kopf und blickte fast spöttisch zu ihm nieder, »wie wollen Sie das anfangen, wenn man fragen darf?!«

»Die Liebe macht erfinderisch! Viel schöner würde es aber sein, wenn Sie mich wieder versöhnten, anstatt es zu einem Akt der Verzweiflung kommen zu lassen!« – Lothar hatte seine Stimme gedämpft und blickte schnell zu Jesabell hinüber, welche wieder seitwärts an der Mauerbiegung stand, um in das Thal hinab zu spähen.

»Versöhnen?« Dagmar zog hastig eine Heckenrose aus dem Strauße an ihrer Brust und warf sie neckend gegen seine geneigte Wange. »Ich erlaube Ihnen, meine Farben zu tragen!«

Lothar drückte die Blüte mit sprechendem Blick an die Lippen und befestigte sie alsdann an seiner Brust. »Leben und Tod für das Zeichen meiner Dame! Und nun werden Sie mich niemals wieder mit dem verrückten Menschen aus dem Kiosk alteriren?« Noch verharrte Graf Echtersloh in der knieenden Stellung, welche er soeben eingenommen, er zog den Hut von dem lockigen Haar und schleuderte ihn zur Seite auf die Steinfließen, mit purpurnem Glanz flutete die Abendsonne um sein ideales Haupt.

»Nein, niemals wieder!« klang es lachend von den Lippen der jungen Dame, ihr Blick hing wie gebannt an seinem dunklen Auge, »er ist ja so häßlich!«

»Schwören Sie es mir!«

Erschrocken sprang Dagmar auf. »Haben Sie gehört? Eben hat es ganz deutlich hier hinter mir geseufzt! Hier aus dem alten Steinbild klang es, – Graf Echtersloh, ich fürchte mich!« Und Fräulein von der Ropp klammerte sich mit angstvollem Zittern an den Arm Lothars, welcher sich gleich ihr hastig von den Steinen erhoben hatte. »Gehört habe ich auch etwas!« sagte er kopfschüttelnd, mit festen Schritten auf das alte Steinbild im Kreuzgang zuschreitend, um es aufmerksam zu betrachten; »aber es schien mir eher hier aus dem hohen Mörtelhaufen zu klingen, vielleicht steckt ein Marder unter den Steinen!« und er stieß mit dem Fuß gegen das knirschende Geröll. »Ah, es wird der Wind gewesen sein, bei hellem Sonnenschein kann es doch unmöglich spuken,« und er setzte sich lachend wieder nieder, »es müßten denn die alten Mönchsgesellen drunten aus tiefem Schlaf erwacht sein und ahnen welch' reizender kleiner Schmetterling über ihre Gräber flattert!«

»Es hat schon vorhin ein paar Mal geraschelt!« beharrte Dagmar mit scheuem Umblick.

Lothar zog ihre kleine Hand an die Lippen. »Der Irrgeist von Casgamala beneidet mich vielleicht!« flüsterte er, mit wundersamem Ausdruck in den Zügen, »und kommt nun hierher, um mit seinem gespenstigen Seufzen abermals meinen Weg zu kreuzen.«

»Der Irrgeist von Casgamala?« unterbrach Dagmar, ihre Hand schnell aus der seinen lösend, »jene häßliche Flamme, welche an diesen rothen Narben schuld ist? ... o wie hasse ich sie darum!«

»Dagmar!« – abermals faßte er ihre beiden Hände und zog sie an die Brust – «lassen Sie mich für dieses Wort meinen Dank sagen! Den Irrgeist hassen – heißt mich ...«

Die junge Dame sprang laut lachend empor und flüchtete sich einige Schritte von ihm zurück. »Nicht weiter, Graf von Echtersloh, bei meinem heiligen Zorn!« rief sie mit brennenden Wangen, »Sie wissen, daß Ihnen die Sentimentalität durchaus nicht wohl zu Gesicht steht! Und wenn Sie noch einmal so aus dem Stegreif meine Hand küssen, dann ...«

»Dann? ...« Lothar drehte keck seinen dunklen Schnurrbart und warf einen zärtlichen Blick auf die Heckenrose an seiner Brust.

»Dann rette ich mich zu dem Irrgeist von Casgamala!« fuhr sie übermüthig fort, und mit schnellem Schritt zu dem steinernen Bischof im Kreuzgang tretend, löste sie den Kranz aus ihrem Haar, schlang ihn um das starre, bemooste Marmorhaupt und schmiegte sich mit allerliebster Koketterie an die Brust der ernsten Mönchsgestalt. »Hier, Du braver alter Gesell, Du wirst aus dem Grabe steigen, um eine Lanze für mich zu brechen, wenn die modernen Ritter in Dragoneruniform zu kühn werden wollen! Und Du wirst dieses Kränzlein dem Irrgeist von Casgamala bringen und ihm sagen, »Dagmar von der Ropp sendet Dir ihren Gruß und läßt Dir verkünden: »wähle zwischen Rosen und Dornen hier! Ihr Haß, wenn Du noch einmal die Wege ihres Freundes Lothar kreuzest, und ihre Liebe, wenn Du als freundlicher Schutzgeist über diesem Schloß und seinen Bewohnern wachst!« – – Und mit übermüthigem Lachen stellte sich die Sprecherin auf die Fußspitzen, lehnte momentan ihr glühendes Gesichtchen gegen die graue Wange des Kirchenfürsten und warf einen neckischen Blick nach dem jungen Offizier, welcher mit gekreuzten Armen an der Mauer lehnte.

»Sie treiben ein gefährliches Spiel, Fräulein Dagmar,« rief er mit schnellem Lächeln, glauben Sie, ich würde dem Irrgeist diesen Kranz ruhig überlassen?«

»Wehe ihm, wenn er sich denselben rauben läßt!«

»So schüren Sie den Kampf zwischen uns, anstatt ihn zu enden?« Lothars Stimme klang dumpf und grollend.

Dagmar schaute jäh auf, ihr Auge blitzte. »Ja, ich schüre ihn!« rief sie lebhaft, »laßt sehen, wer Sieger bleibt, Liebe oder Haß, Schönheit oder Häßlichkeit, die gespenstige Flamme in den Steinbrüchen, oder Helios, der leuchtende Gott der Sonne! Jene Narben auf Ihrer Stirne sind der Fehdehandschuh des Irrgeistes, zwei Feinde können nicht Herr auf einer Scholle sein, er wird weichen oder Sie! Und nun frisch auf zum Kampfe, ihr beiden gewaltigen Helden, der Kranz ist schon geflochten, welchen ich dem Sieger mit eigenen Händen um die Stirne winden werde, meinen Kranz!« Und Dagmar schüttelte das wilde Haar aus der Stirne und blickte lachend in Lothars Antlitz, mit blutigrothen Strahlengarben wogte der letzte Sonnengruß um ihre schneeige Gestalt, welche, schlank und duftig wie wehendes Sommergewölk, vor dem alten Steinbild über bemoosten Trümmern schwebte. Nie war Dagmar reizender gewesen, als in diesem Moment und Lothars Blick hing voll begehrlicher Gluth an den rothen Lippen, welche im tollen Scherz ahnungslos den Funken in das Pulver schleuderten und an einem Fundament rüttelten, auf welchem schon Jahre lang der morsche Bau des Friedens schwankte. Wird sein Grundstein erschüttert, bersten die Mauern, um sich selber im eigenen Sturze zu zermalmen.

Tiefer und tiefer sanken die Schatten, und fern im waldigen Schloßpark verklangen die heiteren Stimmen der drei jungen Leute. Droben in der Klosterruine ward es still und einsam, und Dagmars Blumen lagen zertreten und welk auf dem gefurchten Sandsteinboden umher.

Plötzlich dringt ein leise knirschender Ton durch den gewölbten Kreuzgang, feine Staubwolken wirbeln auf und jener breite Riß dort an dem schräggestellten Grabstein auf der Erde weicht ächzend auseinander, breit und immer breiter gähnt der dunkle Spalt, das lose Erdreich rollt an beiden Seiten nieder, der Mörtel bröckelt ab und die starren Grashalme biegen sich zitternd vor den quetschenden Steinplatten.

Eine lange, schmale Oeffnung reißt sich in die Fließen, der alte Grabstein weicht langsam zurück und zwischen seinen scharfen Marmorkanten erhebt sich langsam ein menschliches Haupt, Schultern und Brust folgen ihm und leisen Schrittes steigt die hohe Gestalt des Grafen Desider auf enger Treppe empor, lautlos und grau, wie ein stolzer Schatten, welcher um Mitternacht aus seiner Gruft steigt.

Er steht still und legt momentan die weiße Hand über die Augen, als müsse er sich erst an das Licht gewöhnen, welches noch in falbem Abglanz um die Ruinen zittert, dann schreitet er langsam zu dem alten Steinbild in der Mauer und schaut mit gefurchter Stirn zu ihm auf. – Graf Echtersloh ist sehr bleich, sein langes Blondhaar hängt wirr um Stirn und Schultern, und tiefer wie gewöhnlich senken sich die Schatten um seine ernsten Augen.

Mit fester Hand nimmt er den Epheu- und Rosenkranz von dem Haupte des stummen Gesellen und blickt finster darauf nieder. – »So öffne denn Deine kalten Lippen, ehrwürdiger Freund, und entledige Dich Deines Auftrages,« murmelte er, »Rosen oder Dornen sollst Du mir bieten, Haß oder Liebe, – wohlan, ich wage den Kampf und wähle mir die Dornen zum Bannerzeichen!« – und Desider trat in jäher Leidenschaft einen Schritt vor und preßte den kleinen Kranz gegen die Brust, – »Deinen Kranz hast Du zum Preise gesetzt, Dagmar, Deine Rosen abermals in meine Hand gelegt, damit sie zum zweiten Mal den Wendepunkt meines Lebens bilden und jenes Schwert in meine Hand drücken, welches einmal doch die Bande zwischen mir und ihm zerschlagen muß, ob früher oder später! – Der Sieg wird mein sein, Deinen Lohn aber halte ich schon in Händen und einen andern begehre ich nicht! – Ja, der Irrgeist von Casgamala wird über diesem Schloß wachen, anders aber, als Deine Seele ahnen mag, und die Flamme, welche die Gerechtigkeit entzündet, wird selbst den Helios in den Staub herniederschlagen!« – Und [dann] wandte sich Graf Echtersloh zurück und schaute zu dem Schlosse herab, über welchem die Schatten höher und höher zusammenschlugen; hoch und stolz richtete sich seine schlanke Gestalt empor, und den kleinen Kranz voll feierlichen Ernstes empor haltend, klang es leise, kaum hörbar von seinen Lippen: »Der Irrgeist von Casgamala hat von seinem Eigenthum Besitz genommen, wohlan, Lothar, komm! – wag' es und entreiße mir den Kranz!«

Still blieb es über den dunkeln Wipfeln, nur in den Ruinen zirpte es und flatterte mit schwerfälligem Flügel durch die ersten Mondstrahlen, welche noch bleich und lichtlos wie zitternder Nebel um das Gestein wehten.

Lautlos verschwand die Gestalt des Grafen in dem düstern Erdspalt, die beiden Marmorsteine fügten sich knirschend über ihm zusammen, die rauhen Riedhalme schnellten wieder aus dem rieselnden Staub empor und glatt und regungslos lag die Grabstätte in dem Kreuzgang, als hätte sie nie eine menschliche Hand aus ihrem langen Schlummer gestört.

»Esto mihi in dominum protectorem«, Ps. 31,3, glänzte in halb verwischten Buchstaben darauf, und der alte Bischof starrte mit tobten Augen vor sich nieder in die stille Nacht.


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