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Die Blüthe fiel, mir blieb der scharfe Dorn,
Noch immer aus der Wunde quillt das Blut;
Es sind das Weh, die Sehnsucht und der Zorn
Mein einzig Gut.
Geibel.
Es war im Juni. Blendende Sonnenglut lag auf dem weit gedehnten Häuserkomplex der Kadettenanstalt, flimmernd, wie ein unabsehbares Strahlennetz, welches mit tausend feinen Goldmaschen Himmel und Erde umsponnen hält. Die jungen Gartenanlagen standen matt und welk, einzelne Schmetterlinge hingen an den Blumen, und die Fliegen blitzten wie übermüthige Gedanken durch die Luft, ebenso bunt und schillernd wie der Sonnenstaub, in welchem sie sich tummelten. Hinter dem Hauptgebäude dehnte sich der Reitplatz aus, da war Schatten.
»Durch die Mitte der Bahn changirt!« klang die Summe des unterrichtenden Kavallerieoffiziers. Er ließ die Reitpeitsche sinken, stemmte die Arme in beide Seiten und ließ die erhitzten Pferde an sich vorüber defiliren. Mit glühendem Gesicht führten die jungen Reiter das Manöver aus, mit fast peinlicher Genauigkeit, und dennoch war kein einziger bei der Sache. Zur Seite des Platzes nämlich, dicht an der Barrière, stand ein kleiner Kreis sehr eleganter Zuschauer; die hohe, imposante Gestalt eines Herrn mit dem Band des eisernen Kreuzes im Knopfloch, mit weißem Schnurrbart und hellen Handschuhen, und ihm zur Seite die Frau Majorin, seine Gemahlin, klein, korpulent, mit der Lorgnette vor den Augen.
»Dagmar!« wandte sie sich plötzlich mit strengem Blick zur Seite, »geh' von dem Geländer herunter! Du bist nicht allein hier!«
Dagmar war ein Backfischchen, graziös, kokett, von Kopf bis zu Füßen rosa. Die kleine Nase mit ihrem kecken, aufwärts strebenden Spitzchen wandte sich halb zur Seite. »Da unten sehe ich nichts, Tante!« rief sie mit leicht gefaltetem Mündchen, »und Frieda und Herr von Sangers stehen ja vor mir!« Und ohne nur die mindeste Notiz von dem mißbilligenden Gesicht der Majorin zu nehmen, rückte sie sich noch übermüthiger auf ihrem Sitz zurecht und warf die wilden Kraushaare in den Nacken zurück.
»Sagen Sie mir doch, Herr von Sangers, wer ist jener entsetzlich häßliche Mensch dort auf dem Schimmel!« lachte sie plötzlich laut auf, ihre tiefdunkeln Augen zu dem jungen Kürassieroffizier hebend, welcher lächelnd mit dem Blick der Richtung folgte, die ihm die kleine Hand ungenirt angab, »nein, das ist ja haarsträubend! Wie eine Leiche sieht er aus und hängt auf dem Pferde wie ein Hampelmann! Hahaha! Fritz!« Und sie wandte sich jäh zu einem rothwangigen, zehnjährigen Knaben zurück, welcher dicht hinter ihr stand: »Daß Du mir niemals solch einen Ritter von der traurigen Gestalt abgiebst, sonst verleugne ich Dich bei Gott vor aller Welt!«
»Da kannst Du ruhig sein, Dagmar!« schüttelte Fritz mit wegwerfendem Naserümpfen den Kopf, »ich glaube, wir Beide reiten jetzt schon besser wie all' die Kerls da zusammen!«
»Aber Kinder, bitte, menagirt Euch!« wandte sich die Majorin mit strafendem Blicke um, und auch Frieda schüttelte ganz verlegen ihr achtzehnjähriges Blondköpfchen und sagte in entschuldigendem Flüsterton zu Herrn von Sangers: »Die beiden Kleinen sind gar zu wild, das kommt von dem ewigen Landaufenthalt bei uns; ich bin recht bange, wie Fritz sich hier einleben wird!«
Der schöne Offizier strich lächelnd seinen glänzenden Schnurrbart. »Unbesorgt, mein gnädiges Fräulein, lassen Sie den kleinen Vetter erst ein paar Monate bei uns sein, und Sie werden Ihre Freude erleben, welche Wunder das Kadettenkorps bewirkt. – Wie befahlen Sie, Fräulein Dagmar?«
»Ich befahl, daß Sie mir nun endlich sagen, wer jenes junge Scheusal auf dem Schimmel ist!« klang es mit grausamer Betonung von den frischen Lippen und Dagmar zupfte kokett an der dunkelrothen Rose, welche, weithin leuchtend, in ihrem Knopfloch stak, »jetzt kommt er eben hier angeritten, der dritte – heiliger Laurentius, wenn er doch einmal herunterfiele!« Und mit hellem Gelächter strich sie das schwere Haar aus der Stirn und hämmerte ausgelassen mit dem spitzen Stiefelhacken gegen die hölzerne Barrière.
»Bitte, nicht so laut, Fräulein Dagmar!« raunte ihr Sangers mit leichtgefalteter Stirn zu, »Graf Echtersloh ist unser zukünftiger Moltke, klug, strebsam, sehr brav und tüchtig.«
»Aber häßlich! Häßlich über alle Begriffe!« Laut und scharf klang die Stimme Dagmars über den Platz, ein spöttischer Ausdruck umspielte ihre rothen Lippen, fest und groß hafteten ihre Augen auf dem Gesicht des Kadetten, ein fast herausfordernd trotzig moquanter Blick, welcher jedoch den Zauber des pikanten Gesichts eher erhöhte als vernichtete.
Wie von einem Dolch getroffen schrak Graf Echtersloh empor, momentan ruhte Auge in Auge, jeder Blutstropfen wich aus seinen an und für sich schon sehr bleichen, großgeschnittenen Zügen, starr wie das Antlitz eines Todten schaute er zu ihr herüber.
»In abgekürztem Tempo Galopp – Marsch!« klang das Kommando des Offiziers dicht neben ihm. Der Schimmel zuckt auf, mit jäher Bewegung setzt er sich in das rasche Tempo seiner Vorgänger, und Graf Echtersloh, überrascht, verwirrt, wie aus tiefem Traum erwachend, sucht schwankend die Balance zu halten – umsonst, mit schneller Wendung kündigt der Schimmel den Gehorsam und sein Reiter fliegt vornüber in schwerem Sturz aus dem Sattel.
»Nun haben Sie ja Ihren Willen gehabt, Fräulein Dagmar,« flüsterte Sangers zwischen den Zähnen, und ein fast finsterer Blick streift die Kleine, welche momentan leicht erbleichend auf das herrenlos dahintrabende Pferd starrt. »Das hätte leicht recht schlimm ablaufen können. Aber Gott sei Dank, unser braver Selektaner scheint sich nicht erheblich verletzt zu haben! Sie scheinen sehr viel Gewicht auf das Aeußere zu legen, Fräulein von der Ropp, für Sie existirt nur die Schönheit?«
»Natürlich!« Dagmar warf ihr reizendes Köpfchen in den Nacken: »Es giebt drei Dinge auf der Welt, welche mir verhaßt sind: Kälte, Dunkelheit und häßliche Gesichter, und wenn Ihr Graf Echtersloh auch ein wahrer Ausbund von Klugheit und Geist wäre, er ist für meine Begriffe ein Monstrum von Häßlichkeit, und das genügt, um ihn für mich aus dem Register der Existirenden zu streichen!«
»Du übertreibst, Dagmar,« warf Frieda mild ein, »es ist nur seine auffallend bleiche Gesichtsfarbe, welche ihn auf den ersten Blick unschön erscheinen läßt, seine einzelnen Züge sind nicht häßlich, im Gegentheil, sie sind fast zu regelmäßig ausgeprägt für das hagere Gesicht!«
»Gesicht! Wie kann man einen solchen Todtenkopf nur Gesicht nennen!« zuckte die Kleine geringschätzend die Achseln, »wenn nicht seine zwei großen Räderaugen darin flammten, wäre es eine Wachsmaske, puh, und diese Augen, ich finde sie schrecklich, seht doch, wie er jetzt wieder hierher starrt, als ob er mich verschlingen wollte!«
»Ist Graf Echtersloh leidend?« fragte Frieda teilnehmend.
»Nein, mein gnädiges Fräulein, aber zu übertrieben fleißig,« nickte Sangers mit freundlichem Blick auf den Genannten, »die jungen Leute präpariren sich für das Offiziersexamen, und ich hoffe, daß die unermüdlichen Studien Echterslohs alsdann ihre glänzenden Früchte tragen!« –
Major von der Ropp besichtigte mit viel Interesse die innere Einrichtung der gewaltigen. Gebäude; er schritt an der Seite des Kommandanten, und es drehte sich die Unterhaltung der Herren hauptsächlich um den angemeldeten Kadetten Fritz, welcher heute von seinem Vormund mit dem zukünftigen Aufenthalt bekannt gemacht wurde.
Dagmar und Fritz von der Ropp waren Geschwister, früh verwaist und bei dem Onkel Major auf einsamem Landgut erzogen, beide aufgewachsen in zügelloser Freiheit, welche sich hartnäckig gegen alles sträubte, was nur im mindesten einem Zwange ähnlich sah.
»Nun sieh Dir mal an, Dagmar, Rettige, Brod und Bier giebts hier zum Abendessen!« raunte Fritz ins Ohr der Schwester, mit fast feindseligem Blick den gewaltigen Saal überfliegend, in welchem, eng gedeckt, Tafel an Tafel zusammenstand, »das ist ja scheußlich, das esse ich nicht, und wenn sie sich auf den Kopf stellen!»
Dagmar war neugierig an die langen Eßtische getreten. »Wer sitzt denn hier unten vor, Herr von Sangers?« rief sie über die Schulter.
»Ein Selektaner, um die jüngeren zu überwachen!« war die kurze Antwort.
»Von denen, die vorhin ritten?«
»Ja!«
Ein jäher Gedanke blitzte durch das Köpfchen der kleinen Dame, ebenso übermüthig und keck wie all seine tollen Geschwister. Unbemerkt blieb sie ein paar Schritte zurück, löste schnell die Rose aus ihrem Knopfloch und legte sie heimlich unter die erste beste Selektanerserviette. »Der soll sich mal wundern, der dieses Abendessen findet!« dachte sie, »ich wette, er macht ein sentimentales Gedicht darauf! Wenns nur nicht das Monstrum ist, dessen Verse würden gewiß ebenso häßlich sein, wie sein Gesicht, pfui, wenn ich nur an den Menschen denke!« Und Dagmar drehte sich auf den Hacken um und zog das Näschen kraus; im nächsten Augenblick gab es schon wieder anderes zu sehen und zu denken. Und als nach einer halben Stunde die Equipage mit Majors nach Berlin zurücksauste, da träumte Dagmar bereits von dem Vergnügungsregister der nächsten Tage, und hatte Rose und Kadettenkorps längst vergessen.
Droben an einem Fenster des Korpsgebäudes aber lehnte ein bleiches, schmerzbewegtes Antlitz und murmelte mit zuckenden Lippen: »Häßlich! Häßlich über alle Begriffe!« Und an den dunkeln Wimpern zitterte es feucht und rollte langsam, fast unbewußt über die eingefallene Wange. Eine rothe Rose lag in seiner Hand und stets von neuem kehrte sein Blick zu ihr zurück, dann wars wie ein seliges Aufflammen in dem ernsten Gesicht und er nickte leise und träumend vor sich hin, »und dennoch ist es ihre Rose, ich kenne sie ja aus Tausenden heraus! Warum hat sie mir gerade diese Blüthe auf den Teller gelegt? Aus Mitleid! Es thut ihr leid, daß ich weiß, wie bitter häßlich sie mich findet!« – Und der Mondschein huschte durch die Scheibe und küßte die rothe Blume in seiner Hand, da sah sie so mild und lieblich aus, und that dem Auge nicht mehr so weh wie im hellen Sonnenbrand auf dem Reitplatz draußen.
»Wie kann ich Dich ewig so frisch und schön erhalten, kleine Rose?!« flüsterte der Jüngling, »daß Du nicht stirbst und vergehst wie Deine Schwestern?« – –
»Bist Du schon fertig mit Deinen Arbeiten, Echtersloh?« fragte jemand hinter ihm.
Er schaute wirr auf. »Arbeiten? Ich arbeite nicht!«
»Du wolltest ja Deine Mathematik heute Abend noch vornehmen!« fuhr der Andere erstaunt fort. Wie geistesabwesend starrte ihn Echtersloh an.
»Das hat ja Zeit! Mathematik? Was ist Mathematik? Zähle zusammen wie viel Wunder ein Rosenkelch birgt, wie viel grausame Worte zwei rothe Lippen sagen können, wie viel Elend schon ein häßlich Gesicht in der Welt gestiftet hat, dann hast Du die Mathematik, und wenn Du sie nicht hast, dann vielleicht etwas Anderes, den Wahnsinn!« Und Echtersloh lachte gell auf, und schritt hastig aus der Thür.
*
Monate vergingen.
»Echtersloh ist verrückt geworden!« flüsterten sich die Kadetten in die Ohren, wichen ihm scheu aus und nickten sich nur verständnißvoll zu, wenn der junge Mann, schwankend wie in tiefem Traum, einsam einherschritt, leise vor sich hinlächelnd, oder die Stirn in schwere Falten gelegt, als grüble er über Unergründliches. – Echtersloh arbeitete nicht mehr, er sah seine Bücher nicht mehr an, er lachte geheimnißvoll, wenn seine Kameraden fragten, was er oft so heimlich an dem Fenster treibe. »Ich finde mich selber!« antwortete er kurz.
Die Lehrer schüttelten die Köpfe und redeten ihm ernst in das Gewissen: »Arbeiten Sie, Echtersloh, es sind nur noch wenige Wochen bis zu dem Examen!« Aber der Graf hörte nicht. Sangers nahm ihn bei Seite und beschwor ihn, Aufschluß über sein seltsam verändertes Wesen zu geben. Er meinte es gut mit ihm, er hatte ihn aufrichtig lieb. Der junge Mensch ward roth und verlegen, redete wirres Zeug, und stotterte mit angstvollem Blick: »Ich kann nicht Offizier werden, ich weiß es jetzt!«
»Sollte ihm der Sturz von dem Pferde geschadet haben, ist es möglich, daß der Unglückliche eine Gehirnerschütterung erlitten hat?« fragte man den Arzt. Dieser untersuchte den vermeintlich Kranken, beobachtete ihn scharf und entgegnete kopfschüttelnd: »Er ist ebenso gesund wie früher, aber dennoch scheint er an der fixen Idee zu leiden, kein Offizier werden zu wollen!«
Das Examen kam; Echtersloh, der Stolz des ganzen Korps – fiel durch. Er lächelte und athmete auf: »Ich muß heim!« rief er mit ausgebreiteten Armen. Wohin? Zu seiner Stiefmutter in die Residenz? Nimmermehr! »Nach Casgamala, in das liebe Ruinenschloß! Da ist's still und ruhig, da giebt es weite wunderliche Gärten voll blühender Rosen, zerfallene Säulen und modernde Pracht, da bin ich ganz allein, nur das Mondlicht huscht durch die bunten Scheiben und leuchtet mir, da will ich arbeiten!«