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Ein Vöglein singt, ein andres lauscht,
Fliegt näher ohne Bangen.
Und giebt, vom süßen Lied berauscht,
Dem Sänger sich gefangen.
Frau Sibylle stand in dem hohen Milchgewölbe und rahmte geschäftig ein paar irdene Schüsseln ab, um die dicke Milch für den Gesindetisch hinauf zu schicken; neben ihr, auf umgestülpter Waschbutte, saß Comtesse Jesabell und blickte trübselig vor sich nieder.
»Du meinst also wirklich, Sibylle, wir müßten einen Gang mehr einschieben, wenn Lothar morgen ein paar Kameraden aus der nächsten Garnison mitbringt? Ist es unbedingt nöthig, Sibylle, können wir uns gar nicht mit dem Truthahn allein behelfen? Die letzten Tage haben entsetzlich viel Geld gekostet!« Und das junge Mädchen seufzte tief auf und heftete einen angstvoll fragenden Blick auf das geröthete Gesicht der kleinen Frau.
Mutter Sibylle stemmte momentan überlegend beide Arme in die Seiten. »Ne, ne, Fräulein Bellachen, es geht nicht anders!« schüttelte sie endlich energisch den Kopf, »es gäbe ja einen Heidenspektakel bei der Frau Gräfin und dem Herrn Lieutenant! Noch dazu wenn die verwöhnten Bürschchen, die Musjö Husaren kommen und nachher die Nase über uns rümpfen wollten, wenn nicht alles hier zuginge wie in einem Grafenhaus! Wenn's nicht langt, soll ich borgen, sagt der Herr Bruder, und die Frau Excellenz stimmte ihm bei! Sehen Sie, liebe Comtesse, wie die kleine Hexe, die Fräulein Dagmar, hier in's Haus gekommen ist, da ging die tolle Wirthschaft los, da mußte alle Tage gesotten und gebraten werden und so und soviel Dienerschaft, und die feine Köchin aus der Stadt, die hier im Hause kommandirt, als wüchsen bei uns die Schmalztöpfe wie die Disteln im Feld. Ich habe gleich gesagt: das thut nicht gut, das nimmt noch ein böses Ende, und das Stadtprinzeßchen ist schuld daran! Na, weinen Sie nur nicht, Fräulein Bellachen, Sie thun mir ja in der Seele leid und brauchen sich auch Ihr Lebtag keine Vorwürfe zu machen, aber jetzt heißt's: mitgegangen, mitgehangen, und wer einmal A sagt muß auch B sagen! Es giebt noch ein Zwischengericht morgen, damit basta,« und Frau Laubmann klatschte vergnüglich mit dem breiten Holzlöffel auf den Milchnapf und nickte ihrer jungen Herrin ermuthigend zu.
»Aber was denn, Sibylle? Viel kosten darf es nicht, denn so lange wir es vermeiden können, dürfen keine Schulden gemacht werden!«
»Das versteht sich, Comteßchen! Und die Mamsell Köchin darf auch nicht merken, wie wir uns hier die Köpfe zerbrechen! Na, wie wär' es denn, wenn wir ein Fricassée von Täubchen vorher machten?«
Jesabell schüttelte sinnend den Kopf. »Zweimal Geflügel geht nicht, und eine Mehlspeise paßt nicht – aber halt, Sibylle, ich habe einen herrlichen Gedanken!« und sie sprang jubelnd empor und faßte die corpulente kleine Frau an beiden Schultern, »Sibylle, giebt es nicht in dem Merlwasser Fische?«
»Um Gottes Willen, Fräulein Bellachen – Fische!«
»Giebt's welche?«
»Dicksatt! Aber flink sind sie, und ehe man sie im Topfe hat, wollen sie gefangen sein, hier versteht's kein Mensch so recht.«
»Ich versuche es! Ich angele!« jauchzte Comtesse Echtersloh mit freudestrahlenden Augen, griff zu dem Hut und zupfte ihr rosa Kattunkleidchen wieder glatt; »ich gehe hinüber zum Pächter und frage ihn, der muß mir auch eine Gerte abschneiden, und nun Adieu, Sibylle, halt' mir den Daumen, daß die Forellchen beißen!« und hastig die Thränen von den lachenden Wangen wischend, stürmte sie die Steintreppe empor in den Hof.
Mit schnellen Schritten ging es durch den alten Schloßbau und die Gartenanlagen, hinüber zu den entfernter gelegenen Wirthschaftsgebäuden, welche mit rothen Dächern durch dunkelschattige Kastanienwipfel blickten.
Im Hofe war es während der Morgenstunden still. Das bunte Hühnervolk tummelte sich um einen Wagen voll hochgethürmter Getreidegarben, die Tauben sonnten sich auf der spitzen Dachfirst, und Lisson, der gewaltige Hofrüde, lag träge vor seinem Hunde-Haus, den gelben Kopf auf die ausgestreckten Vorderpfoten geduckt und schläfrig nach den verhaßten Puten schielend, welche so stolz und selbstbewußt auf den Steinfließen vor der Pachthaustreppe umherstolzirten. Fern am Brunnentrog scheuerte eine rotharmige Magd an ein paar Backtrögen, und Mamsell Mine, die wohlbeleibte Beherrscherin dieses friedlichen Reiches, trat soeben aus dem Gemüsegarten, ein Sträußlein Petersilie und Suppengrün in Händen.
Jesabell trat ihr hastig entgegen. »Grüß Gott, Mamsell! ist der Pächter daheim?«
Mine hielt die breite Hand schirmend über die Augen. »Na, schön willkommen, Comtesse! Lassen sich auch 'mal wieder bei uns blicken? recht so! Ist jetzt immer viel Leben im Schloß drüben, hab's von der Laubmannen gehört! Der Herr Kirschner? ja, daheim ist er schon, Fräulein Bellachen, aber in der Baumschule hinten, hat zu thun da! Wissen Sie den Weg? hier durch den Garten, immer gradaus, am Fohlengatter vorbei! – Guten Tag, Herr von Malzhoff! na, auch wieder da, bei der Hitze? Treten Sie nur ein, ich komme sofort!«
Jesabell hatte sich hastig zur Seite gewandt und schlug tief erglühend die Augen nieder, neben ihr klang Hufschlag und von schäumendem Fuchs herab grüßte der junge Jägersmann, welcher ihr damals an der Gartenmauer den Hut entgegengeschwenkt hatte.
»Danke, Mamsell, kann mich heute gar nicht aufhalten, ich muß direkt zum Herrn Grafen und dann wieder retour! Heda, Heinrich, nimm mir 'mal das Pferd ab!« und damit schwang er sich behende aus dem Sattel, warf dem heranspringenden Knecht die Zügel zu und klopfte mit der Reitgerte den Staub von dem grünen Jägeranzug, »Grüßen Sie Kirschner von mir, Mine, und sagen Sie, er soll's nicht übel nehmen, wenn ich heute keine Station mache, das nächste Mal desto länger! Adieu!« Noch einen langen, sprechenden Blick in das geneigte Gesichtchen der Comtesse, und der junge Forstmann schritt spornklirrend über das Pflaster zurück.
»Wer war das, Mamsell?« fragte Jesabell hastig, als seine schlanke Gestalt hinter dem Thor verschwunden war, »sagten Sie nicht Malzhoff?«
»Ganz recht, Fräulein, der Herr von Malzhoff; ein lustiges junges Blut, brav und ehrlich wie kein Zweiter, aber arm wie eine Kirchenmaus, hat drum auch in die Forstdienste beim Herrn Grafen Desider treten müssen. Ja, ja, es geht oft ganz wunderlich zu in der Welt, die Alten verprassen's und die Kinder müssen sich bei fremden Leuten herumschinden! Na, auf Wiedersehen denn, ich würde Sie ein Endchen begleiten, Comtesse, aber hier die Petersilie will noch gehackt sein! Adieu denn!«
»Adieu, Mamsell, danke für die Auskunft! Und Jesabell nickte ihr freundlich zu und trat durch die niedere Gitterthür in den Blumengarten.
Malzhoff aber blieb auf halbem Wege stehen und dachte nach. Ihm entgegen kamen ein paar Mäherinnen mit duftigen Lasten auf dem Kopf.
»Heda, Liese! dienst Du im Pachthof?«
Die Arbeiterin blieb stehen und starrte ihn blöde an.
»Ja, Herr Förster!« klang es endlich aus dem breitgezogenen Mund.
»Sage mal, Du wandelndes Grünfutter, kennst Du die junge Dame, die jetzt dort ist; schwarze Haare hat sie, und einen runden Hut auf, und wenn ich nicht irre, ein rosa Kleid mit unten so 'was Besetztem drauf, na, kennst Du die?«
Liese lachte. »Ach, der Herr Förster meinen wohl die Fräulein Malchen, die jetzt bei der alten Frau Kirschnern zum Besuch ist? Ja, die hat schwarze Haare und kommt aus der Stadt und hat eine erschrecklich hohe Singstimme, Lehrerin soll sie sein!«
»Schon gut! schon gut! Also richtig Fräulein Malchen! Na, grüß Gott, ihr Leute, kommt's wohl über!«
*
Wenn man ein Stück die gewundene Fahrstraße am Schloßberg hinabgeht, dann steht man plötzlich auf einer breiten Holzbrücke, unter deren gewölbten Bogen das grüne Merlewasser hinwogt, ruhig und langsam schon und müde von dem tollen Tanz über Felsen und Geröll, durch welche es sich vom Gebirg herab mühsam seine Bahn brechen mußte. Zu beiden Seiten zieht sich Gebüsch und Laubwald, über welchen die hohen Felszacken aufsteigen, deren abgedachte östliche Hälfte die stolzen Mauern von Casgamala trägt.
Hier sollte es viel Fische geben, hatte Herr Kirschner gesagt, und darum saß nun Jesabell oben auf der Brücke. Das ausgewaschene Kattunkleid hatte sie vorsorglich zusammengezogen und eine Fliege an der altersschwachen Angel des Pächters befestigt, welche von Zeit und Motten so arg zugerichtet war, daß es einer vollen Fischnaivetät bedurfte, um daran anzubeißen.
Soeben wollte die junge Dame ihr fragliches Werkzeug in das Wasser hinabwerfen, als ein fester Schritt die Brückenbohlen leicht erzittern ließ.
Die Comtesse schrak empor. »Bruder Desider, o mein Gott, wie kommst Du hierher?!«
Statt aller Antwort trat Graf Echtersloh hastig zu der Erglühenden heran und wies auf die schwanke Gerte in ihrer Hand.
»Du angelst, Jesabell, und hier an offener Landstraße?«
Die Comtesse senkte verlegen das Köpfchen. »Es soll hier die meisten Fische geben, Desider – und – und« – sie stockte in rathloser Verwirrung.
»Warum läßt Du dies Geschäft nicht durch die Dienstboten besorgen. Ist es gar Liebhaberei von Dir?« Jesabell blickte mit ängstlichen Augen auf. »Nein, Desider!« sagte sie treuherzig, »es ist einzig ein Nothbehelf. Wir erwarten heute Abend und morgen Mittag Gäste, und da wir wegen des Küchenzettels in Verlegenheit waren, so wollte ich mein Heil mit der Angel versuchen; es ist nur eine Liebenswürdigkeit von Herrn Kirschner, mir das Fischen hier zu gestatten, da er das ganze Merlewasser bis auf drei Stunden hinab gepachtet hat!«
Graf Echtersloh stützte sich auf das hölzerne Brückengeländer: »Warum holt Ihr die Fische nicht aus der Stadt, Schwester, wenn Ihr welche braucht? Es ist mir fatal, von einem quasi Untergebenen ein solches Geschenk anzunehmen!« Das junge Mädchen schwieg verlegen, Desider aber fuhr mit ernstem Blick etwas leiser fort: »Ist es Dir vielleicht zu theuer, ein paar Forellen zu kaufen, Kind? Oft habe ich mich schon gewundert, wenn ich einen Blick auf das seltsame Mosaik von Aufwand und Aermlichkeit warf, mit welchem Casgamala jetzt gepflastert ist! das großartige Auftreten der Mutter sowohl wie Lothars paßt wenig zu dem zusammengeflickten Haushalt, in welchem jede dienende Kraft nur geborgt ist. Daß die Mutter in der Residenz sehr verschwendet hat, weiß ich, sie kam ja darum her in diese Einsamkeit, um ihre zerrütteten Finanzen wieder zu ordnen, daß es aber so schlimm bei ihr steht, daß ihre Tochter eigenhändig angelt, um ein paar Thaler in der Küche zu sparen, das habe ich nicht gewußt!« Desider neigte sich zu dem schweigenden Mädchen hernieder, und legte die Hand zärtlich auf den lockigen Scheitel. »Du bist eine brave, edle Seele, Jesabell, und wenn es auch eine unwürdige Rolle ist, welche Du hier so opfermüthig vertrittst, sie steht Dir dennoch wohl an und zeigt mir, daß es auch unter den modernen Weibern voll Oberflächlichkeit noch edle Ausnahmen giebt. Warum aber kommst Du nicht zu mir, Du wunderliches Kind, warum forderst Du nicht des Bruders Hilfe, wenn Dein liebes Köpfchen sich so sorgenvoll um Mittel und Wege quält? Ist meine Jesabell doch eine Gräfin Echtersloh, die lieber mit eigenen Händen ihr Brod verdient, anstatt es von mir zu erbitten?«
Die Gefragte war aufgestanden, sie schmiegte sich an die hohe Gestalt des Bruders.
»Ja, schelte mich, Bruder, daß ich kindisches Ding mich geschämt habe, unser Elend zu bekennen! Wie konnte ich zu Dir kommen und sagen: wenn auch Mama in Sammt und Seide spazieren fährt, so fehlt uns doch Salz und Brod im Hause! Alles ist Schein bei uns, ein morsches Gebäude von Flittergold, welches der nächste Windstoß in den Staub wirbelt! Und dennoch sind wir nicht ganz so leichtsinnig, als Du glauben magst, Desider! Wir hoffen durch dieses letzte Opfer des Hauses früheren Wohlstand wieder zu erkaufen, ist Dagmar erst unsere Schwägerin, so hat alle Noth ein Ende, denn sie ist sehr reich!«
Graf Echtersloh zuckte leise zusammen und wandte sich hastig zur Seite, um einen kleinen Kiesel mit der Fußspitze in das Wasser hinabzustoßen.
»Dagmar wird Lothars Frau werden?« fragte er gepreßt.
Die Comtesse nickte eifrig. »Wir hoffen es sehnlichst. Das Ropp'sche Vermögen wird Lothar und die Mutter retten!«
»Also ein kluges Geschäft! Liebt denn Fräulein von der Ropp Deinen Bruder?«
Jesabell zögerte momentan. »Ja, ich glaube es. Sie findet ihn sehr schön, und mehr verlangt sie ja nicht von einem Manne, um ihm anzugehören. Dagmar ist ein seltsames Wesen, ich habe sie stets für recht leichtfertig und charakterlos gehalten, manchmal aber glaube ich, es steckt doch eine große und schöne Seele unter dieser Schmetterlingshülle. Weißt Du, was ich wünschte? Lothar wäre Dir an Geist und Charakter gleich, dann würde diese Seele gewiß aufs herrlichste zum Licht gelockt!«
Desider wandte sich fast ungestüm zurück, seine Züge waren tief ernst. »Ein Glück, daß Lothar und ich wie Tag und Nacht sind, wäre er mir ähnlich, so möchte sie ihn am Ende hassen, anstatt lieben, und das wäre traurig für die Rechnung des klugen Bruders.« Die Stimme des jungen Mannes war von nie gehörter Bitterkeit durchdrungen. Und als Jesabell empor in seine Augen blickte, da sah sie ein seltenes Feuer darin lohen; gewiß, eine solche Spekulation von Seiten Lothars mußte ja diesen rechtlichen Charakter empören. »Jesabell,« fuhr er nach kurzer Pause ruhiger fort, »ich wünsche nicht, daß bei Anwesenheit des Fräulein von der Ropp irgend etwas in Casgamala mangele, noch ist der Glanz des Hauses Echtersloh nicht so weit erloschen, daß er die Glossen einer verwöhnten Dame geduldig ertragen muß. Hier – nimm diese Scheine, Kind, mehr habe ich im Augenblick nicht bei mir, aber ich werde Dir noch diesen Abend eine Summe zustellen, mit welcher Du wirthschaften kannst, wie es sich für eine Gräfin Echtersloh geziemt. Hier, und nun Gott befohlen, mein braves Schwesterchen!«
Die Comtesse stieß einen leisen Schrei der Ueberraschung aus, als sie einen Blick auf die Banknoten in ihrer Hand warf. »Allmächtiger Gott, Desider, dieses viele Geld – Du hast Dich geirrt.«
Der junge Mann schüttelte ihr mit trübem Lächeln die Hand. »Keine Worte weiter, Kleine – auf Wiedersehen!« und damit wandte er sich kurz zur Seite und schritt festen Schrittes über die Brücke in den nahen Wald hinein.
Noch einen Augenblick stand das junge Mädchen und starrte wie im Traum auf ihren Reichthum herab, ein Jubelschrei zitterte durch die sonnige Himmelsluft und mit glühenden Wangen barg sie die köstlichen Papierstreifen auf der Brust. Dann hob sie die Arme in lachendem Uebermuth, breitete sie weit aus und schüttelte die dunkeln Locken in den Nacken. »Aber angeln muß ich doch noch einmal, sonst lacht mich Kirschner aus, wenn ich mit leeren Händen komme!« dachte sie, nahm schnell die lange Ruthe herauf und setzte sich auf ihren Platz zurück.
»Der Mai ist gekommen,
die Bäume schlagen aus!«
sang sie aus voller Kehle, bewegte die Angel im Takte danach und schleuderte die zerrupfte Fliege in das Wasser hinab.
»Da bleibe wer Lust hat,
mit Sorgen zu Haus!
Wie die Wolken wandern
am himmlischen Zelt,
So steht mir der Sinn
in die weite, weite Welt!«
»Nein, es beißt noch immer nichts!« Jesabell stand auf und setzte sich ein Stückchen weiter davon nieder.
»Frisch auf denn, frisch auf,
im hellen Sonnenstrahl,
Wohl über die Berge,
wohl über das tiefe Thal.«
»Die Fliege muß doch wohl gar zu schlecht sein! Richtig, da sieht ja der ganze Haken heraus!« Die Comtesse nestelte sie singend los und versuchte es mit einer andern, welche der Vorgängerin erschreckend ähnlich sah. Auch das half nichts. Vielleicht nach einem Weilchen, zum Angeln gehört ja viel Geduld; und so sang sie mit schallender Stimme weiter:
»Da singet und jauchzet
das Herz zum Himmelszelt,
Wie bist Du so schön doch,
Du weite, weite Welt!«
»Ja! das finden die Forellen auch, namentlich wenn Sie ihnen so etwas schönes vorsingen, Fräulein,« klang es plötzlich dicht neben ihr, und jäh emporschreckend starrte Jesabell in das lachende Gesicht des jungen Jägersmannes, welcher auf dem weichen Sandboden bis dicht an die Brücke herangeritten war. »Wie lange gedenken Sie denn noch hier zu sitzen und im Takte Fliegen zu werfen? Wenn Sie so weiter singen, beißt gewiß in vierzehn Tagen noch kein Schwanz an!« und damit ritt er abermals einen Schritt naher. »Sie angeln doch mit Fliegen, Fräulein?«
Das junge Mädchen blickte schüchtern auf. »Ja, es sind sogar Maifliegen, wie Herr Kirschner sagt!«
»Na' da haben wirs! Die Fische haben auch ihren Kalender und wissen, daß im Juni die Maifliegen schon zähe geworden sind! Warten Sie mal, ich werde Ihnen die Geschichte gleich zurecht machen!« und ehe sich's Jesabell versah, war der schmucke Waidmann schon zur Erde gesprungen, schlang die Zügel um das Geländer und nahm dann ohne weiteres ihre Gerte zur Hand.
»Die Fliegen sind schon sehr alt!« sagte die Comtesse wie entschuldigend, es war ihr, als müsse sie doch anstandshalber etwas entgegnen.
»Ja, die sehen allerdings aus, als hätte Vater Noah schon damit aus der Arche heraus gehäkelt! Hier an diesem Wasser kriegen Sie überhaupt nichts auf solche Manier, da müssen Sie Würmer nehmen!«
»Würmer?« rief Jesabell entsetzt; »nein, die kann ich nicht anfassen!«
»Na, ein bischen zappeln thun sie wohl, aber man gewöhnt sich an alles! Hier ist ja ein großer Stein, da wirds wohl einige auf Vorrath geben!«
»O nein! spießen Sie ja nicht die armen Thiere auf!« wehrte sie mit erhobenen Händen. »Das kann ich nicht mit ansehen, das ist grausam!«
»Na, denn nicht! Aber ein paar Nachtschnuren könnten wir vielleicht stellen?«
»Nachtschnuren, was ist das?«
»Angeln, die am Abend gelegt werden und an denen man am andern Morgen vielleicht hier und da mal einen Aal findet, wenn sich der Racker nämlich nicht abgedreht hat, heißt das!«
»Ach ja, das ist schön, das wollen wir thun! Hier von der Brücke aus?«
»Nein, da muß ich ans Ufer. »Aha, da sitzt ja so ein schneckenfetter Monsieur unter dem Stein!« und Malzhoff hob einen langen Regenwurm in die Höhe, »den können wir vielleicht brauchen.«
»Zur Nachtangel?«
»Nein, jetzt! Hier mit diesem morschen Faden können Sie keine Aale fangen, Fräulein! Ich will Ihnen mal was sagen, ich habe zu Hause eine famose Angel und auch ein paar Krebsteller, die werde ich Ihnen 'mal borgen!«
»Sie sind sehr freundlich! Wo sind Sie denn zu Hause?«
»Zwei Stunden von hier, auf dem Forstrevier Höhnewald, ich bin Unterförster beim Graf Echtersloh!«
»Sie sind Herr von Malzhoff? und kommen öfters nach Casgamala?«
Der junge Mann hatte die Angel wieder zurecht gemacht und warf sie in den Fluß, er lehnte sich auf das Geländer und blickte das junge Mädchen mit seinen blauen Augen vergnügt an.
»Früher ja, jetzt sehr selten, nur wenn ich muß! Seit den letzten drei Monaten, wo sich die Frau Gräfin und die gnädigsten Comtessen da oben einlogirt haben, verspüre ich keinen Appetit mehr, in diese vornehme Atmosphäre hineinzugerathen, da bin ich höchstens mal bei Kirschner eingekehrt!«
Jesabell blickte sehr betroffen auf. »Sie kennen die Gräfin nicht?«
»Nein, Gott sei Dank!« er lachte frisch auf.
»Warum Gott sei Dank!« stotterte die Comtesse tief erglühend, »sind Ihnen die Herrschaften etwa nicht sympathisch?«
Malzhoff machte ein verschmitztes Gesicht. »Na, Ihnen kann ich's ja ehrlich sagen, Fräulein, nein, ich mache mir gar nichts aus dieser ganzen Gesellschaft! Graf Desider ist ein lieber, prächtiger Mann, aber die Weibsleute sind doch eine wie die andere, ich kann solche vornehme, zimperliche Prinzeßchen nicht ausstehen. Und wenn's auch schon recht viele Jahre her ist, so vergesse ich doch die Comtessen Hochfeld nicht, wie sie zu Wagen und Pferd durch unsere kleine Garnison sausten und Schuld daran waren, daß mein seliger Vater als armer Lieutenant zum Kapital seines Vermögens griff, um mit jenen verschwenderischen Regimentsdamen gleichen Schritt zu halten – ah bah, das sind halt vergangene Zeiten, aber mein Groll gegen die eleganten Frauenzimmer ist nicht vergangen, und darum reite ich lieber in einem weiten Bogen um Casgamala, ehe ich seinen hochmüthigen Bewohnerinnen in den Weg laufe.«
»Und das sagen Sie mir alles so offen und ehrlich in's Gesicht?« klang es kaum hörbar von Jesabells tief erbleichten Lippen. Die junge Dame wagte kaum den Blick zu erheben, und jenes kurze, scharfe Bild der Comtessen Hochfeld, welches der junge Jäger so erbarmungslos entrollte, ließ ihr das Herz in dem Gedanken stille stehen, daß es ihre eigene Mutter gewesen, welche zu dem Ruin dieser Familie beigetragen.
Malzhoff lachte. »Ja, ich bin recht unvorsichtig, daß ich nicht erst angefragt habe, ob Sie nicht am Ende eine gute Freundin der Gräfinnen Echtersloh sind. Fräulein Jesabell soll ja öfters in das Pächtershaus herüberkommen und noch die leidlichste der Damen sein, aber nein« – und der junge Mann blickte ihr treuherzig in die Augen, »ich kann es mir nicht denken, daß Sie einfaches, schlichtes Mädchen Wohlgefallen an dem Leben und Treiben des Schlosses finden können! Gestern habe ich aus Zufall den Grafen Lothar mit einer Fräulein Dagmar um die Wette über die Haide reiten sehen und bei mir gedacht: Gott soll Dich 'mal vor solch' einem Weibe bewahren!«
Mit immer wachsendem Erstaunen blickte die Comtesse in das frische Gesicht des Sprechers. »Ja wissen Sie denn eigentlich, wer ich bin?« fragte sie zaghaft, die Blättchen der weißen Johannisblume in das Wasser hinabstreuend, um schnell eine zweite an dem grünbuschigen Brückenrain zu brechen. »Sie scheinen mich zu verkennen!«
»O nein, Fräulein Malchen, ich weiß ganz genau, daß Sie die Nichte des wackeren Freund Kirschner sind!« lachte Malzhoff mit fast schalkhaftem Kompliment; »wie ich Sie vorhin im Hof gesehen habe, dachte ich es mir gleich, und als ich sicherheitshalber noch fragte, bekam ich es bestätigt, wie ich Sie aber gar singen hörte vorhin, da blieb mir absolut kein Zweifel mehr.«
Einen Augenblick starrte ihn Jesabell in tödtlichster Verlegenheit an, dann aber zuckte es auch um ihren Mund wie verhaltenes Lachen und mit reizendem Schelmenblick erwiderte sie seine Verneigung. »Wenn Sie Ihrer Sache allerdings so vollkommen sicher sind, darf ich nicht widersprechen, sondern kann mich höchstens für das liebenswürdige Interesse bedanken, welches Sie mir entgegen gebracht haben! Aber ein recht unvorsichtiger Mensch sind Sie doch, wenn ich nun nicht Fräulein Malchen, sondern womöglich gar eine Comtesse Echtersloh in persona gewesen wäre?«
Malzhoff schüttelte lächelnd den Kopf und maß mit fast verlegenem Blick ihr einfaches Kattunkleidchen. »Dann würden Sie gewiß anders aussehen, Fräulein,« sagte er treuherzig. »Die alte Gräfin ist eine geborene Hochfeld, und in der Regel fallen die Aepfel nicht weit vom Stamme. Eine Comtesse Echtersloh kann nicht angeln, das erlauben schon die Glacéhandschuhe und seidenen Schleppkleider nicht. Aber nun Gott befohlen, Fräulein, ich muß mich sputen, daß ich heim komme. Nichts für ungut, wenn Sie etwa viel im Schloß sind, ich bin leider ein Mensch der immer ausspricht was er denkt. Aber die Nachtschnuren? Wie wird's damit?«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Ich verstehe dergleichen gar nicht, Herr von Malzhoff,« schüttelte sie das Köpfchen, »das beste wird sein, ich trage »Onkel« Kirschner die Angel zurück und schenke den armen Fischen und Regenwürmern das Leben!«
»Davon wird Ihr Küchenzettel nicht sehr entzückt sein!« Der junge Jäger warf die Büchse über die Schulter und löste die Zügel seines Pferdes von dem Buchenast, und darum will ich Ihnen einen Vorschlag machen! Ich besorge Ihnen alles her zur Stelle und morgen Nachmittag legen wir hier bei der Brücke die Schnuren; haben Sie Zeit?«
Jesabell ward sehr roth. »Morgen? – um sechs oder sieben Uhr?«
»Ich kann Sie ja vielleicht am Pachthof abholen!«
»Nein, nein! das nicht!« rief die Comtesse sehr hastig, und abermals ergossen sich heiße Blutwellen über ihr reizendes Gesichtchen, »ich werde hierher kommen, wenn auch nur für ganz kurze Zeit. Kommen Sie nicht auf den Pachthof, wenn Sie mir einen Gefallen thun wollen, ich bitte Sie darum!«
»Ei warum?«
»Fragen Sie nicht und erfüllen Sie meinen Wunsch,« bat das junge Mädchen sehr verlegen, »ich würde es Ihnen großen Dank wissen.«
»Und wie lange nicht?« fragte er niedergeschlagen.
»Zwei Wochen, dann mögen Sie meinetwegen jeden Tag kommen!«
»Ich verspreche es, aber nur unter der Bedingung, daß ich Sie morgen hier an der Brücke sehe! Wenn Sie nicht da sind, quartiere ich mich Ihnen zur Strafe vierzehn Tage lang bei Freund Kirschner ein!«
Jesabell schaute zu Boden. »Ich werde kommen, ganz gewiß. Und nun Adieu und vielen Dank für Ihre Hilfe!«
Malzhoff stand vor ihr und blickte sie schweigend an, auch er ward plötzlich ganz befangen und unsicher, langsam hob er die Hand zum Hut.
»Auf Wiedersehen, Fräulein Malchen, um sechs Uhr!« sagte er, legte die Hand auf den Nacken seines Pferdes und schaute ihr nach, wie sie mit schnellem Gruß davon eilte, den Weg zwischen schwankendem Waldesgrün empor. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt sachte zu. Noch einmal wandte er den Kopf und seltsam, zu gleicher Zeit stand auch das junge Mädchen an der Wegbiegung zögernd still, drehte sich zurück und schaute ihm nach. Da zog er abermals den Hut und winkte ihr zu. »Es lebe was auf Erden stolzirt in grüner Tracht!« jubelte es durch den sonnigen Buchenhain, und Jesabell hob die weiße Hand und grüßte lächelnd wieder: »Die Felder und die Wälder, die Jäger und die Jagd!«