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Zweiundsiebenzigstes Capitel.
Das Schweigen des Todes.


Es war, als ob Romola die Worte wie einen Schrei gehört hätte, die ihr von vielen Lippen wiederholt wurden – die Worte, welche Savonarola sprach, als er von den Brüdern von San Marco, die gekommen waren, der Unterschrift seines Bekenntnisses beizuwohnen, Abschied nahm: »Betet für mich, denn Gott hat den Geist der Weissagung von mir genommen.«

Diese Worte hatten sie mit neuen Zweifeln wegen der Art, in welcher er während der Augenblicke vollständiger Selbstbeherrschung auf die Vergangenheit zurückblickte, erfüllt. Und diese Zweifel wurden durch noch traurigere Dinge, die ihr bald darauf zu Ohren kamen, immer mehr erhöht.

Der neunzehnte Mai war gekommen, und in dem Sonnenschein dieses Tages hatten zwei päpstliche Bevollmächtigte, welche die Untersuchung gegen Savonarola zu Ende führen sollten, ihren Einzug in Florenz unter dem Zurufe des Volks, welches den Tod des Mönchs verlangte, gehalten. Denn jetzt lautete die Volksstimme: »Es sind die Lügen des Frate, die alles Mißgeschick über uns gebracht haben; man soll ihn verbrennen, und Alles wird wieder gut gehen, und unser Elend wird ein Ende nehmen!«

Es ist als sicher beglaubigt, daß am nächsten Tage der schon zerschmetterte, empfindliche Körper immer neuen Foltern unterworfen wurde, und jetzt fiel Savonarola bei der ersten Drohung und dem ersten Anblicke der schrecklichen Werkzeuge in krampfhafter Aufregung auf seine Kniee und nahm in wenigen leidenschaftlichen Worten sein Bekenntniß zurück; er erklärte, daß er gelogen habe, als er seine prophetische Gabe geläugnet hätte, und daß, wenn er leiden sollte, er wenigstens für die Wahrheit leiden wolle: »Die Dinge, die ich gesprochen habe, sind mir von Gott gekommen!«

Nichtsdestoweniger wurde er auf die Folter gespannt, und während er gefoltert ward, fragte man ihn, warum er widerriefe. Die Menschen waren damals keine Teufel, aber nur das Bekenntniß der Schuld galt zu jener Zeit als ein Grund, mit der Folter aufzuhören. Savonarola antwortete: »Ich sagte es, damit ich als gut erscheine; peinigt mich nicht mehr, ich will Euch die volle Wahrheit sagen.«

Florentinische Beisitzer waren bei dieser Untersuchung zugegen, und jene doppelt widerrufenden Worte waren bald in der ganzen Stadt bekannt geworden; sie erfüllten Romola mit banger Ungewißheit.

»Aber,« und dieser Gedanke kam ihr plötzlich, »es muß doch der Augenblick kommen, wo er sprechen wird. Wenn es für ihn keine Furcht mehr gibt, als die vor der Lüge, wenn er im Angesichte des Todes stehen wird, wenn er hoch oben über dem Volke steht und zum letzten Male auf dasselbe blickt, können sie ihn nicht verhindern, ein letztes entscheidendes Wort zu reden. Ich werde zugegen sein.«

Drei Tage später, am dreiundzwanzigsten Mai des Jahres 1498, war wiederum eine lange, schmale Plattform auf der großen Piazza, vom Palazzo vecchio nach der Tetta de' Pisan zu, errichtet. Aber es war kein Wald, sondern ein einziger großer Haufen Brennmaterial auf der kreisförmigen Fläche, welche das Ende der langen schmalen Plattform bildete. Ueber diesem Holzhaufen erhob sich ein Galgen mit drei Stricken – ein Galgen, der, obgleich er nur zwei Arme hatte, doch so sehr einem Kreuze glich, daß manche Zuschauer sich unheimlich fühlten, trotzdem man einen Arm abgesägt hatte, um eben jene Aehnlichkeit zu vermeiden.

Auf der Marmorterrasse des Palastes befanden sich drei Tribünen; eine, zunächst der Thüre, für den Bischof, welcher die Ceremonien der Abnahme der Weihen an Fra Girolamo und den beiden Mönchen, welche als seine Anhänger und Genossen bestraft werden sollten, zu vollziehen hatte; die zweite für die päpstlichen Commissarien, welche sie für Schismatiker und Ketzer erklären und sie dem Arm der weltlichen Obrigkeit überliefern sollten; und die dritte, in der Nähe des Marzocco, an der Ecke der Terrasse, wo die Plattform begann, für den Gonfaloniere und die Acht vom Rath, welche das Todesurteil zu fällen hatten.

Und wieder wimmelte die Piazza von Gesichtern, auf denen die Erwartung lag, wieder sollte ein großes Feuer angezündet werden. Bei dem größten Theile der sich um das Hochgericht drängenden Menge war die Erwartung das Gefühl eines wilden Hasses oder der herzlosen Neugierde, einem barbarischen Schauspiele mit beizuwohnen. Es gab aber auch noch viele Zuschauer an dem weiten Pflaster, auf den Dächern und an den Fenstern, welche inmitten ihres bittern Schmerzes und der Beschimpfung als heuchlerische Piagnoni, die sie erdulden mußten, nicht ohne eine leise Hoffnung waren, daß selbst jetzt noch, in der zwölften Stunde, Gott sich durch irgend ein Zeichen in's Mittel legen und ihren geliebten Propheten als Seinen Diener zeigen würde. Und es waren noch mehre zur Stelle, die, wie Romola, mit bebender Erwartung dem letzten Augenblick entgegensahen, wenn Savonarola ausrufen würde: »Volk von Florenz, ich habe mich nie einer Täuschung schuldig gemacht!«

Romola befand sich an einem Fenster auf der Nordseite der Piazza, weit entfernt von der Marmorterrasse, wo die Tribünen errichtet waren. Neben ihr stand, gleichfalls in peinlichem Zweifel über den Mann, welcher sich seine jugendliche Ehrfurcht errungen hatte, ein junger Florentiner von zweiundzwanzig Jahren, Jacopo Nardi genannt, der sich später große Ehre dadurch erwarb, daß er einer der Wenigen war, die, Fra Girolamo's Größe erkennend, über ihn geschrieben haben, nur von dem Wunsche beseelt, die Wahrheit zu offenbaren. Er hatte zu Romola, als er den Kampf in ihr, zwischen schauderndem Abscheu vor diesem Schauspiel und dem Drang, dem letzten Augenblicke beizuwohnen, sah, mit achtungsvoller Höflichkeit gesagt:

»Madonna, Ihr habt nicht nöthig, diese entsetzlichen Dinge mit anzusehen. Ich werde es Euch sagen, wenn er aus dem Palaste kommt. Vertraut mir, ich weiß, was Ihr sehen wollt.«

Romola verhüllte ihr Gesicht, aber dem Geschrei, welches den scheußlichen Auftritt sogar sichtbar zu machen schien, konnte sie nicht entgehen. Endlich fühlte sie ein Berühren ihres Armes und hörte die Worte: »er kommt!« Sie blickte nach dem Palaste, und konnte Savonarola im Dominikanergewande vorführen sehen; sie konnte sehen, wie er vor dem Bischof stand und wie ihm der schwarze Mantel, das weiße Scapulier und die lange weiße Tunika abgenommen wurde, bis er in einer enganschließenden, wollenen Untertunika dastand, die keine Würde, keinen Rang andeutete. Er war seines Amtes entsetzt und von der »streitenden Kirche« ausgeschlossen.

Die niedrigere Klasse des Volkes freut sich über solche Entziehungen von Ehren und Würden, selbst von jedem Hasse abgesehen, denn es ist der Hohn, den sie am leichtesten begreift. Ein neues Triumphgeschrei erhob sich, als die drei abgesetzten Mönche der Tribüne der päpstlichen Bevollmächtigten, von denen sie als Schismatiker und Ketzer ausgerufen werden sollten, zuschritten. Sah der Prophet nicht wirklich jetzt wie ein Schismatiker und Ketzer aus? Es ist ja so leicht, an den verdammungswürdigen Zustand eines Mannes zu glauben, der aller Ehren und Würden entkleidet dasteht.

Nun waren sie auch an der dritten Tribüne vorüber, wo sich die florentinischen Beamten, die das Urteil sprechen sollten, befanden. Romola vermochte, trotz der weiten Entfernung, unter ihnen die verhaßte Gestalt Dolfo Spini's in dem ernsten schwarzen Talar, als Eines der Acht vom Rath, zu erkennen.

Dann gingen die drei Gestalten in ihren eng anschließenden weißen Gewändern die Plattform, unter dem Geschrei und beschimpfenden Zurufungen des Pöbels, entlang.

»Bedeckt Eure Augen, Madonna,« sagte Jacopo Nardi, »Fra Girolamo wird der letzte sein.«

Es währte nicht lange, ehe sie die Augen wieder enthüllte. Savonarola war da. Er stand jetzt nicht zu weit von ihr entfernt. Er war die Stufen emporgestiegen; sie konnte gewahren, wie er auf die Menge umher blickte. Aber im nämlichen Augenblicke war ihre Hoffnung begraben, und sie sah nur, was auch er sah: Fackeln, die geschwungen wurden, um das Holz unter seiner Leiche anzuzünden, und Augen, die in einem noch scheußlicheren Lichte funkelten; sie konnte nur hören, was auch er hörte: rohe Späße, Verhöhnungen und Verwünschungen.

Der Augenblick war vorüber. Ihr Gesicht war von Neuem verhüllt, und sie wußte von nichts mehr, als daß die Stimme Savonarola's im Schweigen des Todes verklungen war.



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