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Fünfundvierzigstes Capitel.
Im Laden des Barbiers.


Nach diesem willkommenen Erscheinen als Bote mit dem Oelzweige, welches ein unverheißener Glückszufall war, hatte Tito sich noch einiger Aufträge, die mehr vorherüberlegter Art waren, zu entledigen. Er hielt am Palazzo vecchio an, und wartete dort die Rückkehr der Zehn, denen die äußeren und militärischen Angelegenheiten des Staats anvertraut waren, ab, um ihnen pflichtgemäß Bericht über seine geheime Sendung nach Pisa abzustatten. Diese Mission war eine Art Vorläuferin einer officiellen Gesandtschaft, an deren Spitze Bernardo Rucellai stehen sollte, und deren Zweck es war, sich wo möglich mit dem Kaiser Maximilian und der Liga friedlich zu verständigen.

Tito's Talente für diplomatische Verwendung waren anerkannt, und als er vollkommen und genau die Resultate seiner Nachforschungen und Conferenzen auseinandersetzte, konnte Bernardo del Nero, welcher einer der Zehn war, seine Bewunderung nicht zurückhalten. Er konnte dies nicht, obgleich er es gern gethan hätte; denn sein ursprünglicher Widerwille gegen Tito war nach dem Verkaufe der Bardi'schen Bibliothek stärker als vordem zurückgekehrt. Romola hatte niemals vor ihrem Pathen ein Wort über die näheren Umstände dieses Verkaufs fallen lassen, und Bernardo hatte ihr Schweigen als einen Wunsch, niemals auf diesen Gegenstand zurückzukommen, ausgelegt; aber er war überzeugt, daß jene Nichterfüllung der Absichten ihres Vaters ihr einen nagenden Kummer verursacht hatte, und der scharfe Blick des alten Mannes entdeckte noch weitere Spuren, daß ihre Ehe keine glückliche war.

»Dieses,« sagte er zu sich selbst, »ist ohne Zweifel der Grund, daß sie auf Fra Girolamo hört und unter die Piagnoni gegangen ist, was ich nie von ihr erwartet hätte. Diese Weiber müssen nun einmal, wenn sie nicht glücklich sind und keine Kinder haben, entweder allerlei Tollheiten vornehmen, oder sich einer Glaubensüberspanntheit hingeben, welche ihnen den Wahn einflößt, daß ihnen der Himmel alle frommen Werke aufgebürdet hat. Und was mein armes Kind, die Romola betrifft, so ist es, wie ich immer gesagt habe – trotz allen Sichvollpfropfens mit Latein und Griechisch, ist sie eben so ein Frauenzimmer geblieben, als ob sie ihr ganzes Leben lang nichts gethan hätte, als sich die Finger mit Nadeln zu stechen. Was aber ihren Mann betrifft, den man überall verwendet, weil er ein Instrument mit glattem Griff ist, so wünsche ich nur, daß Tornabuoni und die Uebrigen sich nicht am Ende die Finger an ihm zerschneiden. Nun, nun, solco torto, sacco dritto – ›mancher volle Sack kommt von einer krummen Furche,‹ und wer nur ehrliche Leute unter seiner Fahne haben will, wird wenig Lohn zu zahlen haben.«

Bei dieser längst gehegten Ueberzeugung, daß man politische Agenten nicht durch ein moralisches Sieb schütten dürfe, enthielt sich der alte Florentiner jeder Einmischung zu Tito's Schaden. Abgesehen von dem, was er Romola's wegen geheim und geheiligt halten mußte, hatte Bernardo nichts Besonderes gegen den nützlichen Griechen anzuführen, als daß er ein Grieche war, und daß er, Bernardo, ihn nicht leiden konnte; denn die Falschheit: Anhänglichkeit für die Volksregierung zu heucheln, während er im Herzen medicäisch gesinnt war, hatte Tito mit mehr als der Hälfte der Partei der Medici's gemein, nur daß er es verstand, mit größerer Geschicklichkeit sich zu verstellen, als die übrigen. So benahm sich Bernardo ganz einfach kühl gegen Tito, welcher sich dagegen in einer sorgfältigen, achtungsvollen Entfernung hielt. Man war dabei noch immer der Meinung in Florenz, daß die alte genaue Verbindung zwischen Bernardo und Bardo jeden, dem Gatten Romola's geleisteten Dienst von ihrem Pathen als eine ihm selbst erwiesene Aufmerksamkeit betrachten ließe. Nachdem Tito seinen Auftrag im alten Palast ausgerichtet hatte, fühlte er, daß sein amtliches Tagewerk gethan war. Er war zwar vom langen Ritt ermüdet und bestäubt, verfügte sich aber dennoch nicht sogleich nach Hause. Er trug noch Verschiedenes in seiner Gürteltasche und in sich, dessen er sich gern sobald als möglich entledigt hätte, aber die Gelegenheiten dazu mußten so geschickt aufgefunden werden, daß sie nicht als gesucht erscheinen durften. Er schlenderte also vom Palast dem Domplatze zu. Die Procession war bereits vorüber, aber das Glockengeläute dauerte noch fort, und das Volk wogte auf den Straßen und suchte seiner Freude auf eine bestimmtere Weise Luft zu machen. Hätte sich der Mönch aus dem großen Markt hinstellen und eine Predigt halten können, so wären die Leutchen zufrieden gewesen; so aber bemächtigte sich, trotz der neuen Lehre, daß Christus der ganz besondere König der Florentiner sei und verlange, daß alle Vergnügungen rein christlich seien, des jüngeren Theils der Bevölkerung, welcher eben »es lebe Jesus!« schrie, ein geheimes Sehnen nach einigen kräftigen Steinwürfen, als Zeichen der Dankbarkeit.

Als Tito vorüberging, war es unmöglich, daß er nicht von Einigen als der vielwillkommene Träger des Oelzweiges erkannt wurde, und er konnte sich nur dadurch von einer unpassenden Ovation, die sich hauptsächlich in stürmischen Fragen kundgab, befreien, daß er Denen, die ihn drängten, sagte: Meo di Sasso, der eigentliche Bote aus Livorno, müsse jetzt herein sein, und sie würden ihn sicher am Thore San Frediano treffen; dieser könne ihnen mehr erzählen, als er, Tito, wisse.

Nachdem er sich auf diese geschickte Art der Lästigen erwehrt hatte, setzte er seinen Weg nach der Piazza del Duomo fort, indem er seine großen Augen wie gänzlich sorglos umherschweifen ließ, während er in der That Jemanden suchte, der ihm eine von seinen gewünschten Gelegenheiten verschaffen konnte. Da die Procession am Dom geschlossen hatte, so war es wahrscheinlich, daß eine größere Menge von Müssiggängern und Schwätzern als gewöhnlich auf der Piazza um Nello's Laden versammelt sein mußte. So war es auch. Eine Gruppe stand am Gitter beim nördlichen Eingang zur Taufcapelle, die so sehr den von ihm gesuchten Gegenstand bildete, daß er gleichgültiger als je aussah, und den Größten in dieser Gruppe wie zufällig zu erkennen schien, als er eben an ihm vorübergegangen war, indem er den Kopf nur halb umwendete, ihn leicht grüßend, während er den Zipfel seines Schulterkragens über die linke Schulter schwang.

Dennoch sah der große, breitschulterige Mann, der so obenhin gegrüßt wurde, wie Jemand aus, der besondere Ansprüche machen durfte. Er trug eine reichgestickte Tunika, reich mit Leinen nach der neuesten französischen Mode besetzt, und an seinem Gurte hingen ein Schwert und ein Dolch von kunstvoller Arbeit. Sein Hut, mit einer rothen Feder darauf, schien eine verachtungsvolle Demonstration gegen die Strenge der florentinischen Tracht, eine Strenge, welche unter dem Einflusse der Heuler auf's Höchste gestiegen war. Gewisse unbeschreibliche Merkmale der Jugend ließen die Breite seiner Züge und den breiten Durchmesser seines Leibes um so deutlicher als ein Muster von Plumpheit erscheinen, und seine Augen hatten jenes rohe, entweihende Anstarren der Menschen und Dinge an sich, welches einem feinen Geiste eben so unerträglich ist, wie ein übler Geruch oder ein blendendes Licht.

Er und seine Gefährten, gleichfalls junge, sehr kostbar gekleidete und bewaffnete Männer, scherzten untereinander mit jenem prahlerischen Gelächter, welches anzeigen soll, daß der Lacher sich nicht getroffen fühlt, obgleich man es vermuthen könnte. Solche Vermuthung mochte nicht ungegründet sein, denn jener breitschulterige Mann mit der rothen Feder war Dolfo Spini, der Anführer der Compagnacci oder »bösen Gesellen«, d. h. aller der leichtfertigen jungen Leute, welche der alten aristokratischen Partei angehörten, und Feinde der Medici's, Feinde der Volksregierung, aber am meisten Feinde Savonarola's waren. Dolfo Spini, Erbe des großen Hauses mit der Loggia jenseits der Dreifaltigkeitsbrücke, hatte diese jungen Leute zu einer bewaffneten Schaar gebildet, als geschworne Kämpen ausschweifender Abendmahlzeiten und aller angenehmen fleischlichen Sünden, gegen reformirende Frömmler, welche drohten, die Welt so unerträglich mäßig und keusch zu machen, daß es bald keinen Grund mehr zum Leben geben würde, außer die äußerste Unannehmlichkeit der Wahl zwischen Beiden. Bis zum Morgen des heutigen Tages hatte er laut erklärt, daß Florenz einzig und allein wegen seines blinden Gehorsams gegen die Rathschläge des Mönchs Hunger und Verderben erleiden mußte, und daß keine andere Rettung für die Stadt möglich sei, als wenn sie sich der Liga zugeselle und den Mönch aus der Stadt jage, und wenn man ihn nach Rom schicke, wo er schon längst, den Aufforderungen des Papstes gemäß, hätte sein müssen. Man vermuthete daher, daß Messer Dolfo Spini's Herz eben nicht aus reiner Freude über die unerwartete Hülfe, welche als anscheinende Erfüllung der Vorhersagung des Mönchs gekommen war, schlage, und das Gelächter, welches eben, als Tito zu der vor Nello's Thür stehenden Gruppe trat, auf's Neue erschallte, entkräftete diese Vermuthung nicht. Denn in der Mitte der Gruppe stand, an einen Thürpfosten gelehnt, ein glatt geschorner Mann mit klugen Augen, Namens Niccolo Macchiavelli, welcher, obgleich noch jung, doch schon alle die kleinen Geheimnisse des Egoismus errathen hatte.

»Messer Dolfo's Kopf,« sagte er »gleicht doch mehr einem Kürbis, als ich dachte. Ich messe die Schwerköpfigkeit der Menschen nach den Anschlägen ab, mit welchen sie Andere zu täuschen glauben. Das schwerfälligste Geschöpf unter allen aber ist der, welcher grinst und sagt, daß er sich nichts daraus mache, wenn man ihn eben an's Schienbein gestoßen hat. Wenn ich jetzt nur ein klein wenig dickköpfiger wäre,« fuhr er lächelnd fort, als sich der Kreis öffnete, um Tito einzulassen, »so würde ich vorgeben, diesen Melema lieb zu haben, welcher eine Secretärstelle bekommen hat, die mir gerade passen würde – als ob schlechtbezahltes Latein ein besseres Latein, das besser bezahlt wird, lieben könnte! Melema, Ihr seid ein verteufelt gescheidter Kerl, der mir sehr im Wege steht, und es thut mir leid zu vernehmen, daß Euch heute wieder ein besonderes Glück betroffen hat.«

»Ein sehr zweifelhaftes Glück, Niccolo,« entgegnete Tito, ihn freundlich auf die Schulter klopfend; »ich habe noch nichts davon gehabt, als daß mich einige Wollekrämpler angehalten und angeathmet haben, während ich durch mein Courierreiten von Bologna ganz zerschlagen und beschmutzt bin.«

»Aha, Ihr bedürft meiner Kunst, Herr Redner!« rief Nello, der, als er Tito's Stimme hörte, näher trat; »ich bemerke, daß Euer Kinn noch den Bart von gestern hat. Kommt, und weihet Euch dem Priester aller Musen. Sandro, schnell die Rasirseife!«

»Wahrhaftig, Nello,« sagte Tito, indem er sich setzte, »das ist es, was mir in diesem Augenblicke am erwünschtesten scheint, und deshalb habe ich meine Schritte zu Deinem Laden gelenkt, statt mich geraden Weges nach Hause zu begeben, nachdem ich meine Geschäfte im Palaste abgemacht hatte.«

»Es ist auch wirklich nicht passend, daß Ihr Euch der Madonna Romola mit einem schmutzigen Kinn und verwirrtem Haupthaar zeigt. Nichts Unzierliches sollte sich der Lilie von Florenz nähern dürfen; obgleich ich sie beständig zwischen den Bettelkleidern, die unsere Straßenecken garniren, herumspazieren sehe, wie einen Sonnenstrahl – oder besser gesagt, wie einen Mondesstrahl; denn als sie mir gestern begegnete, kam sie mir so bleich und abgehärmt vor, wie die ohnmächtige Madonna von Fra Giovanni. Ihr müßt danach sehen, mein schöner Herr Gelehrter; sie hält in Eurer Abwesenheit zu viele Nachtwachen und Fasten.«

Tito zuckte melancholisch die Achseln und sagte: »Das ist leider nur zu wahr, Nello. Sie hat sich während der jetzt herrschenden Hungersnoth tagtäglich der Hälfte ihrer Mahlzeiten enthalten. Aber was kann ich dabei thun? Ihre Phantasie ist ganz in Feuer und Flammen. Der Einfluß des Gatten ist ohnmächtig gegen den des Mönchs.«

»Wie wahrscheinlich jeder andere Einfluß, den des heiligen Vaters nicht ausgenommen,« sagte Domenico Cennini, einer aus der Gruppe an der Thür, welcher mit Tito eingetreten war. »Ich weiß nicht, ob Ihr in Pisa etwas darüber erfahren habt, woher der Wind jetzt in Rom weht?«

»Das sind Geheimnisse des Rathszimmers Messer Domenico,« sagte Tito lächelnd und seine flache Hand mit einer abwehrenden Geste öffnend, »ein Abgesandter muß stumm sein wie ein Beichtvater.«

»Gewiß, gewiß,« erwiderte Cennini, »ich verlange keine Verletzung dieser Regel. Mein Glaube ist, daß wenn Seine Heiligkeit den Fra Girolamo zum Aeußersten treiben sollte, Dieser Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, um ein Generalconcilium der Kirche zusammenzuberufen, und er würde dies auch erreichen. Ich zum Beispiel wäre ganz damit zufrieden, obgleich ich kein Heuler bin.«

»Mit Vergunst Eurer größeren Erfahrung, Messer Domenico,« sagte Macchiavelli, »bin ich anderer Meinung wie Ihr; nicht etwa, was Euern Wunsch betrifft, ein Generalconcilium zur Reformation der Kirche zusammenzuberufen, sondern hinsichtlich Eures Glaubens, daß der Mönch Seine Heiligkeit schachmat machen wird. Der Mönch spielt ein unmögliches Spiel. Hätte er sich begnügt, gegen die Laster Roms zu predigen und auf irgend eine beliebige nicht erwähnte Art zu prophezeien, daß Italien heimgesucht werden wird, so hätte ihm ohne Zweifel der Papst Alexander erlaubt, seinen Athem zu verwenden, so lang er Zuhörer gefunden hätte. Dergleichen geistliche Sturmwinde blasen keine Mauern um. Der Mönch will aber etwas mehr als eine geistliche Person vorstellen; er will ein Hebel sein, und was noch mehr sagen will, er ist es auch. Er will die Lehre Christi verbreiten, indem er die Volksherrschaft in Florenz aufrecht erhält, und der Papst hat, wie ich aus bester Quelle weiß, seine persönlichen ganz entgegengesetzten Ansichten.«

»Dann wird,« fiel Cennini etwas heftig ein, »Florenz auf Seite des Mönchs stehen. Mir selbst wäre es lieber, wenn er mit seinen Prophezeiungen aufhören wollte; wenn aber unsere Freiheit: uns die Form, in welcher wir regiert werden, zu wählen, angegriffen werden sollte – ich bin ein gehorsamer Sohn der Kirche, aber dann wäre ich dafür, daß wir uns dem Papst Alexander dem Sechsten widersetzten, wie unsere Vorfahren es mit Gregor dem Eilften gethan haben.«

»Verzeiht mir, Messer Domenico,« sagte Macchiavelli, seinen Daumen in den Gürtel steckend und mit jenem kühlen Genuß der Auseinandersetzung sprechend, welche jede andere Kraft bei streitigen Erörterungen überwiegt, »habt Ihr auch die Stellung des Mönchs genau begriffen? Wie ist er ein Hebel geworden und hat es der Mühe werth gemacht, daß ein scharfsinniger Mann, wie Seine Heiligkeit doch ist, ihn angreift? Weil er das Ohr des Volkes hat, weil er Drohungen und Verheißungen nicht nur über Hölle, Fegfeuer und Paradies, sondern auch über Pisa und den großen Rath spendet, und dieses Alles, wie sie glauben, durch unmittelbar göttliche Eingebungen. Laßt aber einmal die Ereignisse gegen ihn sein, und den Glauben des Volks erschüttern, so wird die Ursache seiner Macht zugleich die seines Falles sein. Er häuft drei verschiedene Arten von Haß auf sich: den Haß der gewöhnlichen Menschen gegen Jeden, der ihnen ein drückendes Tugendjoch auferlegen will; den Haß der größeren Mächte in Italien, welche Florenz für ihre Zwecke ausbeuten wollen, und den Haß des Volks, dem gegenüber er sich herausnahm, ihnen die Güter dieser Erde zu versprechen, statt seine Versprechungen auf das Jenseits zu beschränken. Wenn ein Prophet seine Macht behaupten will, so muß es ein Prophet wie Muhammed sein, der ein Heer hinter sich hat, so daß, wenn der Glaube des Volks wankt, derselbe durch Furcht wieder befestigt werde.«

»Zieht lieber diese drei Arten von Haß in eine zusammen!« rief Francesco Cei leidenschaftlich, »und sagt, er hat den Haß aller vernünftigen und ehrlichen Leute durch seine heuchlerischen Lügen auf sich geladen. Der Platz, der ihm gebührt, ist unter den falschen Propheten in der Hölle, die mit dem Kopf nach hinten herumgedreht dort herumwandeln.«

»Ihr seid zu zornig, lieber Francesco,« sagte Macchiavelli lächelnd; »Ihr Dichter seid im Stande, in Eurer Wuth in die Wolken zu schlagen. Ich bin kein Anhänger jenes Mönchs und möchte für seine Wahrhaftigkeit nicht einmal meinen kleinen Finger daran setzen; aber Wahrhaftigkeit ist eine Paradiesespflanze, und ihre Keime haben niemals jenseits der Mauern geblüht. Ihr selbst, Francesco, sagt nur poetische Lügen, theils aus dichterischer Gluth, theils um Euren Lesern zu gefallen, aber Ihr seid ein Feind der Lüge in Prosa! Nun, der Mönch unterscheidet sich von Euch rücksichtlich der Gränzen der Poesie, sonst in nichts. Wenn er im Dom die Kanzel besteigt, so hat er in sich die Gluth, und außerhalb seiner die Zuhörer, denen er gefallen will. So ist es!«

»Ihr seid da etwas zu wenig gewissenhaft, Niccolo,« sagte Cennini ernst; »ich, meines Theils, glaube an die Redlichkeit des Mönchs, wiewol nicht an seine Prophezeiungen, und so lange keine Beweise für seinen Mangel an Redlichkeit vorliegen, haben wir eine Volkspartei, die stark genug ist, ihn zu beschützen und einer fremden Einmischung Widerstand zu leisten.«

»Eine Partei, die stark genug scheint,« sagte Macchiavelli mit Achselzucken und einem fast unbemerkbaren Blick nach Tito hin, der sich mit großem Behagen dem Kämmen und Salben Nello's überließ – »aber wie viele Medicäer zählt Ihr unter Euch? wie viele, die nicht durch einen persönlichen Groll umgestimmt werden können?«

»Was die Medicäer betrifft,« entgegnete Cennini, »so glaube ich, daß sehr wenig wirkliche Sympathie für die Medici übrig geblieben ist. Wer würde auch viel für Piero de' Medici wagen? Vielleicht einige alte aufrichtige Freunde, wie Bernardo del Nero; aber sogar manche von den, am meisten mit der Familie in Beziehung stehenden Männern sind herzliche Anhänger der Volksregierung und würden das Ihrige für den Mönch thun. Ich sprach er vor Kurzem mit Giannozzo Pucci, und ich bin überzeugt, daß er gegen nichts mehr sein würde, als gegen einen Versuch, die neue Ordnung der Dinge zu ändern.«

»Da habt Ihr ganz Recht, Messer Domenico!« rief Tito mit einem bedeutsamen Lächeln im Blick indem er sich vom Rasirstuhl erhob, »und ich glaub diese zärtliche Zuneigung kam da einer harten Theorie als Beistand. Ja, ich bin überzeugt, daß der Feindschaft Giannozzo's gegen Piero de' Medici Eifersucht zu Grunde lag; sonst würde ein so liebenswürdiger Mensch, wie er ist, niemals die Bitterkeit fühlen, die ihm manchmal in dieser Beziehung entwischt. Er war doch mit Euch in der Procession, nicht wahr?«

»Nein,« antwortete Cennini, »er ist in sein Villa, wohin er vor drei Tagen ging.«

Tito setzte seine Mütze zurecht und sah auf seine bespritzte Hose, als ob er kaum auf diese Antwort achtete. In Wirklichkeit aber hatte er da eine sehr wichtige Nachricht, die er gern wissen wollte, erfahren. Er trug eben jetzt einen zerbrochenen goldenen Ring in seiner Gürteltasche, welchen er versprochen hatte, dem Giannozzo Pucci zu übergeben; er hat denselben von einem Emissär Piero's de' Medici, um dessenwillen er einen Umweg geritten war, um ihn in Certaldo auf der Landstraße nach Siena zu treffen. Da Pucei nicht in der Stadt war, wollte er ihm den Ring durch Fra Michele, einem im Dienste der Medicäer stehenden Laienbruder vom Karthäuserorden, zusenden, und die Annahme dieses Zeichens würde alsdann Pucci zurückbringen, um den mündlichen Theil der Mission Tito's mit anzuhören.

»Seht ihn an,« rief Nello, seinen Kamm schwingend und damit auf Tito deutend, »das ist der schönste Gelehrte in der Welt oder in Maremma, jetzt, da er durch meine Hände gegangen ist! Zwar ist er etwas magerer im Gesicht als zur Zeit, da er in seiner ersten Jugendblüthe nach Florenz kam – he? und ich sage Euch, Herr Redner, da zeigen sich schon leise Spuren gewisser Linien um Euren Mund! Ja, der Geist ist der Feind der Schönheit! Mich selbst hielten die Frauen einstmals für schön – als ich noch in den Windeln lag. Jetzt aber – o weh! jetzt trage ich meine ungeschriebenen Gedichte in Schriftzeichen auf dem Gesicht.«

Tito, der eben so wie die Uebrigen lachte, als Nello im Handspiegel sein Gesicht betrachtete, winkte jetzt den Versammelten einen Abschiedsgruß zu und entfernte sich.

»Ich bin ganz der Meinung unseres alten Piero di Cosimo,« sagte Francesco Cei, »ich mag diesen Melema nicht besonders gern leiden. Diese Gewohnheit zu lächeln nimmt immer mehr überhand – da ist es kein Wunder, daß sich Linien um seine Mundwinkel bilden.«

»Er hat zu viel Glück,« sagte Macchiavelli scherzend, »ich bin überzeugt, es ist bei ihm etwas Unrechtes im Spiele, sonst hätte er diese Secretärstelle nicht bekommen.«

»Er ist ein sehr begabter Mensch,« warf Cennini mit richterlicher Unparteilichkeit ein, »ich und mein Bruder, wir haben ihn bei unseren griechischen Correcturen immer als sehr nützlich erprobt, und der Rath der Zehn ist sehr zufrieden mit ihm. Ich mag es gern, wenn ein junger Mann durch Verdienst seinen Weg macht; und der Secretarius Scala, der ihm von Anfang an wohlwollte, hält, wie ich weiß, große Stücke von ihm.«

»Ohne Zweifel,« bemerkte ein Notar im Hintergrund; »er schreibt für Scala dessen officielle Briefe oder verbessert sie, und wird gut dafür bezahlt.«

»Ich wünschte, Messer Bartolommeo bezahlte mich, um sein gichtbrüchiges Latein zu curiren,« sagte Macchiavelli mit Achselzucken; »sprach er mit Euch über jene Bezahlung, Ser Ceccone, oder war es Melema selbst?« fügte er, den Notar mit unschuldigscheinender Ironie anblickend, hinzu.

»Melema? nein!« antwortete Ser Ceccone, »der ist so verschlossen wie eine Nuß. Er flunkert nie, darum wird er auch überall verwendet. Man sagt, er wird dadurch reich, daß er allerlei geheime Dienstleistungen verrichtet.«

»Das ist wirklich zu stark!« rief Macchiavelli, »und so viele tüchtige Notare, die nichts zu thun haben!«

»Nun, ich muß sagen,« bemerkte Cei, »daß ich die Geschichte, die sich vor einem Jahre oder vor zweien, mit dem Mann ereignete, der da behauptete, Melema habe Juwelen gestohlen, für eine sehr häßliche hielt. Sie wurde irgendwie vertuscht, aber ich erinnere mich, daß Piero di Cosimo damals sagte, er glaube, es sei wirklich etwas daran; denn er hätte Melema's Gesicht gesehen, als jener Mann ihn anpackte, und niemals hätte er in ein Antlitz so ›mit Furcht gemalt‹ (wie unser alter mürrischer Dante sagt) geblickt, wie das Melema's war.«

»Speit mir nichts mehr von diesem Gifte aus, Francesco!« rief Nello zornig werdend, »sonst werde ich es für meine Bürgerpflicht halten, Euer Haar das nächste Mal, wenn ich es unter die Scheere bekomme, schief zu schneiden. Jene Geschichte mit den gestohlenen Juwelen war erlogen. Bernardo Rucellai und die acht Magnifici kennen die näheren Umstände. Der Mann war ein Verrückter und wurde im Gefängniß festgehalten, damit er kein Unheil anrichten könne. Was aber unsern Piero di Cosimo anbelangt, so läuft sein Verstand dem Winde, der vom Mon Gibello kommt, nach, und seine Phantasie ist so ausschweifend, daß er eine Eidechse für ein Krokodil ansieht. Nein, die Geschichte ist schon so lang todt und begraben, daß unsere Nase sich dagegen empört.«

»Es ist wahr,« sagte Macchiavelli »Ihr vergeßt die Gefahr der Präcedenzfälle, Francesco! Der nächstbeste verrückte Bettler kann Euch anklagen, seine Verse, oder auch – Gott steh mir bei! – sein Kupfergeld gestohlen zu haben. Ah,« fuhr er fort, sich nach der Thüre zu wendend »Dolfo Spini hat seine rothe Feder von der Piazza fortgetragen. Dieser Hauptmann der Windbeutel sähe gern, wenn die Republik Pisa verliert, nur damit er die Aussicht hat zu sehen, wie das Volk dem Mönch die Kutte vom Leibe reißt. Es gibt wenige Dinge, die mir mehr Spaß machen würden, als ihn die Rolle von Capo d'Oca spielen zu sehen, der zum Turnier auszog, seine Trompete blasend, und im Sacke damit heimkehrte.«



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