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Achtundfünfzigstes Capitel.
Ein schließliches Verständniß.


Tito kehrte bald von Siena zurück, trat aber fast unmittelbar darauf eine andere Reise an, von welcher er erst am siebenzehnten August wiederkehrte. Beinahe vierzehn Tage waren verflossen, seitdem die Angeklagten gefangen genommen worden waren, und noch immer schmachteten sie im Gefängnisse, noch immer war über ihr Schicksal nichts entschieden. Romola war während dieser ganzen Zeit zu Muthe, als ob es für sie keine andere Sorge gäbe, als diejenige, die schwankenden Möglichkeiten hinsichtlich jenes Schicksals zu bewachen. Zuweilen schienen dieselben sehr zu Gunsten der Gefangenen zu sein, denn die Aussichten auf ein thätiges Theilnehmen für dieselben wurden durch den Aufschub vermehrt, und eine begränzte Aussicht auf Verzug war durch das Widerstreben aller hohen Beamten, die mit einer bestimmten Entscheidung verbundene Gehässigkeit auf sich zu laden, eröffnet. Auf einer Seite erhob sich ein lautes Geschrei, daß die Republik in Gefahr sei, und daß Milde gegen die Gefangenen für alle Feinde der Republik ein Zeichen zum Angriffe auf dieselbe sein würde; andererseits war man überzeugt, daß ein gegen fünf so hochgestellte Bürger ausgesprochenes Todes- und Confiscationsurteil den unvertilgbaren Haß ihrer Familien gegen Alle, die bei einem solchen Urteil die Hand mit im Spiele gehabt hatten, nach sich ziehen würde.

Das Endurteil lag in den Händen der Acht, welchen die Verwaltung der Criminalrechtspflege zustand, und die Sentenz hing von einer Majorität von sechs Stimmen ab. Die Acht aber bebten vor ihrer schweren Verantwortlichkeit zurück und verlangten bei diesem Ausnahmefall, daß dieselbe von der Signoria (oder dem Gonfaloniere und den acht Priori) getheilt würde. Die Signoria ihrerseits zuckte die Achseln und schlug eine Berufung an den Großen Rath vor. Denn nach einem, vor fast drei Jahren auf ernstliche Anmahnung Savonarola's erlassenen Gesetze, hatte jeder durch die sechs verhängnißvollen Stimmen ( sei fave oder »sechs Bohnen« genannt, denn Bohnen waren in mehr als einer Beziehung das politische Gericht des florentinischen Staates) zum Tode verurteilte Bürger das Recht, von diesem Ausspruch an den Großen Rath zu appelliren.

Aber bei diesem Stande der Verhandlungen erklärten sich die Freunde des Angeklagten gegen die Appellation, hauptsächlich in der Absicht, Aufschub zu gewinnen, und in der That erheischte der Buchstabe des Gesetzes, daß das Urteil gefällt sein mußte, ehe eine Berufung eingelegt werden durfte. Sie drangen mit ihrem Widerstande durch, und es wurde ein vermittelnder Ausweg eingeschlagen; der Urteilsspruch wurde einer großen, auf den Siebenzehnten anberaumten, aus allen höheren Beamten, dem kleinen Rathe oder Senat der Achtzig, und einer auserwählten Anzahl von Bürgern bestehenden Versammlung übertragen.

An diesem Tage hatte Romola, deren Angst durch die Möglichkeit, daß, ehe dieser Tag sich endete, das Schicksal ihres Pathen entschieden sein könne, noch gesteigert wurde, die Erlaubniß erhalten, ihn zum zweiten Male, aber nur in Gegenwart von Zeugen zu sehen. Sie war mit ihrer Muhme Brigida nach der Via de' Bardi zurückgekehrt, ohne zu wissen, ob das Gericht zu einem entscheidenden Beschlusse gekommen war, und Monna Brigida war wieder fortgegangen, die wichtigen Neuigkeiten in dem Hause eines bei einer Behörde angestellten Bekannten zu erwarten, um zuverlässige Nachrichten zurück zu bringen, sobald sie welche erführe.

Romola war auf den ersten besten Sitz in dem freundlichen Salon gesunken, zu tief bewegt, zu betrübt im Herzen, um darauf zu achten, wo sie sich hinsetzte oder den Mangel an Uebereinstimmung in den sie umgebenden Gegenständen zu bemerken. Sie saß mit dem Rücken gegen die Thür, das Haupt auf die Hand gestützt. Es kam ihr lange vor, daß Monna Brigida fort war, und sie erwartete deren baldige Rückkehr. Als sich aber die Thür öffnete, wußte sie, daß es nicht Monna Brigida war, welche eintrat.

Seitdem Romola in jener merkwürdigen Nacht von Tito geschieden war, hatte sie keinen äußerlichen Beweis für ihre Vermuthung, daß er seine Sicherheit durch Verrath erkauft hatte, gehabt; im Gegentheil, es war erwiesen, daß ihm die Medicäer noch trauten, und daß sie glaubten, er besorge gewisse Aufträge für sie in der Romagna unter dem Deckmantel, ein Geschäft für die Regierung zu Stande zu bringe. Denn das Dunkel, in welches der Beweis gegen die Verschwörer gehüllt war, gestattete die Voraussetzung, daß Tito von jeder Verwickelung in dieser Sache frei geblieben sei.

Allein Romola's Verdacht war nicht zu beseitigen; ihr Abscheu vor seinem Benehmen gegen Baldassarre erstreckte sich über jeden Gedanken an seine Thaten; es war, als ob sie gesehen hätte, wie er einen Mord beging, und sie hatte seitdem stets ein krankhaftes Gefühl, als ob an seinen Händen neues Blut klebte.

Als sie seinen Schritt auf dem steinernen Fußboden hörte, durchschauerte es sie kalt; sie konnte sich nicht umwenden, sie konnte sich nicht erheben, ihn zu begrüßen. Er sprach kein Wort, setzte sich aber nach einer kleinen Pause auf einen Sitz an der andern Seite des Tisches, ihr gegenüber. Darauf erhob sie ihre Augen und blickte ihn an, aber ohne ihr Schweigen zu brechen. Er ließ keinen Verdruß merken, sagte aber kalt:

»Das Zusammentreffen paßt herrlich zu unserem jüngsten Scheiden; aber ich sehe es ein, daß dies ein Augenblick voll schrecklicher Spannung ist. Nichtsdestoweniger bin ich gekommen, um Dir, wenn Du mich anhören willst, den Trost der Hoffnung zu bringen.«

Sie fuhr empor und änderte ihre Stellung, sah ihn aber dennoch dabei mißtrauisch an.

»Es wird Dir nicht unangenehm sein zu hören, obgleich ich es Dir mittheile, daß das Gericht bis zum Einundzwanzigsten vertagt ist. Die Acht sind endlich so weit eingeschüchtert worden, daß sie ein Todesurteil ausgesprochen haben, aber es ist jetzt für die Verurteilten die Forderung einer Appellation an den Großen Rath eingereicht worden.«

Aus Romola's Gesicht schwand jetzt das Mißtrauen und sie fragte lebhaft:

»Und wann soll sie geschehen?«

»Die Forderung ist noch nicht gewährt, obgleich dies wahrscheinlich der Fall sein wird. Das Gericht wird sich am Einundzwanzigsten wieder versammeln, um zu berathschlagen, ob die Appellation gestattet werden soll oder nicht. Es ist also ein Zwischenraum von drei Tagen, während dessen Ereignisse zu Gunsten der Gefangenen eintreten können, und man sich für sie verwenden kann.«

Romola sprang von ihrem Sitze auf; die Röthe stieg wie ein sichtbarer Gedanke in ihr Gesicht, und ihre Hände bebten. In diesem Augenblick dachte sie nicht der Gefühle, die sie gegen Tito hegte.

»Wahrscheinlich,« sagte Tito, sich gleichfalls erhebend, »ist Deine Absicht dem zuvorgekommen, was ich eben sagen wollte. Du denkst an den Mönch.«

»So ist es,« rief Romola, ihn mit Erstaunen ansehend, »hat er irgend etwas gethan? hast Du mir irgend etwas mitzutheilen?«

»Weiter nichts als Folgendes: Es waren hauptsächlich Messer Francesco Valori's Bitterkeit und Heftigkeit, welche heute im Gerichte den Ausschlag gaben. Die Hälfte der Männer, welche ihre Stimme gegen die Gefangenen abgaben, waren dazu durch Einschüchterungen vermocht worden, und viele Freunde Fra Girolamo's sowol in diesem Specialgericht wie außerhalb desselben sind durchaus gegen das Todesurteil; Piero Guicciardini zum Beispiel, ein Mitglied der Signoria, widersetzte sich auf das Entschiedenste, und Giambattista Ridolfi, obgleich er ein piagnone ist, wird den Tod seines Bruders Niccolo nicht so leicht vergeben.«

»Wie kann aber die Appellation verweigert werden,« fragte Romola entrüstet, »da sie gesetzlich ist, da es eine der rühmlichen Handlungen der Volksregierung war, das Gesetz erlassen zu haben?«

»Sie nennen dies einen Ausnahmefall. Es sind natürlich sehr geistreiche Beweise, aber noch viel mehr leeres Geschwätz über die Gefahr, welche die Republik läuft; allein Du siehst, alle Opposition half nichts gegen das Aufschieben der Versammlung, und ein während der nächsten drei Tage richtig angewendeter mächtiger Einfluß könnte dazu dienen, den wankenden Muth derjenigen zu befestigen, welche dafür sind, daß die Appellation zugestanden wird, ja selbst die tolle Feindschaft Francesco Valori's zu zügeln. Ich habe zufällig erfahren, daß der Mönch sich in so fern in's Mittel gelegt hat, daß er ihm eine Botschaft zu Gunsten Lorenzo Tornabuoni's schickte. Ich weiß, daß Du zuweilen Zutritt zum Frate hast, es möchte also jedenfalls der Mühe werth sein, sich dieses Privilegiums zu bedienen.«

»Es ist wahr,« sagte Romola etwas zerstreut, »ich kann es mir nicht denken, daß der Frate dafür stimmen sollte, die Appellation zu verweigern.«

»Ich hörte viele Leute im Palasthofe, ehe ich wegging, sagen, daß es eine Schmach für Fra Girolamo sein würde, wenn er zugäbe, daß eine Regierung, die hauptsächlich aus Männern von seiner Partei besteht, die Appellation verweigerte, ohne daß er dagegen protestirte, da er sich in seinen Schriften und Predigten rühmt, daß er es durchgesetzt habe, daß dies Gesetz gegeben wurde. Signor Villari, der neueste und in mancher Hinsicht beste Biograph Savonarola's, bemühte sich darzuthun, daß das zuletzt beschlossene Appellationsedict, welches laxer war, als das ursprünglich von Savonarola beabsichtigte, ihm zu einer Quelle bittern Verdrusses wurde, indem es eine Machination der aristokratischen Partei war, um mit den Maßregeln der Volksregierung die schimpflichen Resultate der Zügellosigkeit zu verbinden. Aber bei Aufstellung dieser Ansicht hat der ehrenwerthe Biograph die Thatsache übersehen, daß Savonarola nicht nur in seinen Predigten, sondern auch in einem mit Muße geschriebenen Buche (dem compendium revelationum), das lange nachdem die Appellation ein Gesetz geworden, verfaßt war, unter den der Stadt Florenz zugewendeten Wohlthaten »die zur größeren Sicherheit der Bürger von mir befürwortete Appellation von den sechs Stimmen« aufzählt. Aber unter uns gesagt, Romola! und mit aller Achtung vor der Geschicklichkeit Eures Frate, hat er die Gewohnheit angenommen, die Art von Menschenopfern, welche er Tyrannen und bösartige Unruhstifter tödten nennt, zu predigen, was einigen seiner Anhänger wahrscheinlich in dem gegenwärtigen Falle als nicht mit der Milde verträglich erscheinen dürfte.«

»Ich weiß, ich weiß!« sagte Romola mit schmerzlichem Ausdruck in Blick und Stimme, »er wird aber zu diesen ausschweifenden Reden getrieben. Es war vordem anders; ich werde ihn um eine Zusammenkunft bitten, ich habe sonst keine Ruhe. Ich baue auf seine Herzensgröße.«

Sie sah Tito nicht an; ihre Augen waren mit einem unbestimmten Ausdruck auf den Boden geheftet, und sie hatte durchaus kein klares Bewußtsein, daß die Worte, welche sie hörte, aus dem Munde ihres Gatten kämen.

»So ist es am besten, keine Zeit zu verlieren,« sagte Tito mit ungemischter Milde und seine Mütze in der Hand wendend, als wäre er im Begriff sie aufzusetzen und sich zu entfernen, »und jetzt, Romola, wirst Du vielleicht im Stande sein, trotz allen Vorurteils zu begreifen, daß meine Wünsche in dieser Angelegenheit mit den Deinigen Hand in Hand gehen, und wirst das Mißgeschick meiner Rettung nicht als ein Unglück für Dich betrachten.«

Etwas wie ein elektrischer Schlag durchfuhr Romola; es war dies die Rückkehr des vollständigen Bewußtseins der Anwesenheit ihres Gatten. Sie blickte ihn an, ohne ein Wort zu äußern.

»Wenigstens,« fügte er in einem kaum ein wenig härteren Tone hinzu, »wirst Du Dich bestreben, unseren Verkehr auf einer andern Schlußfolgerung zu begründen, als die ist: daß weil eine Uebelthat möglich ist, ich dieselbe begangen habe; soll ich denn allein außerhalb der Schranken Deiner so ausgebreiteten christlichen Milde stehen?«

Das Gefühl, welches vor vierzehn Tagen von Romola's Lippen zurückgewichen war, kehrte jetzt mit der gesammelten Kraft einer Fluthwoge wieder. Sie sprach mit einer Bestimmtheit, welche ihm zeigte, daß sie vor keinen Folgen zitterte:

»Es ist zu spät, Tito. Der Verdacht, den der Trug erzeugt hat, kann nicht ertödtet werden. Jetzt weiß ich Alles. Ich weiß, wer jener alte Mann war; es war Dein Vater, dem Du Alles verdankst – dem Du mehr verdankst, als wenn Du sein leiblicher Sohn gewesen wärest. Dagegen gehalten, ist es nur eine Kleinigkeit, daß Du mein und meines Vaters Vertrauen täuschtest. So lange Du die Wahrheit, was jenen Greis betrifft, verhehlst, erhebt sich ein Grauen zwischen uns; dem Gesetze, welches aus uns ein Wesen macht, kann ich nicht gehorchen. Auch ich bin ein menschliches Wesen; ich habe eine Seele, welche Deine Handlungen verabscheut. Unsere Verbindung ist nur ein Schein – als ob auch eine fortwährende Lüge eine geheiligte eheliche Verbindung sein könnte!«

Tito antwortete nicht sogleich, und als er sprach, so geschah es mit einer berechneten, von Unruhe angeregten Vorsicht.

»Du willst also, wenn ich recht verstehe, jene Unabhängigkeit erwerben, indem Du mich verlässest?«

»Ich begehre Dich zu verlassen!« entgegnete Romola heftig.

»Und falls ich mich nun nicht darein ergebe, mich von dem zu trennen, was zu bewahren mir das Gesetz einige Sicherheit bietet? Du wirst dann natürlich Deine Gründe laut vor den Ohren von ganz Florenz verkünden. Du wirst Deinen verrückten Meuchelmörder vorführen, der zweifelsohne bereit ist, Deinem Rufe zu folgen, und Du wirst der Welt sagen, daß Du seinem Zeugnisse glaubst, weil er so vernünftig ist, den Wunsch zu hegen, mich um's Leben zu bringen. Du wirst zuvörderst der Signoria mittheilen, daß ich ein medicäischer Verschwörer bin, und dann wirst Du die Medicäer in Kenntniß davon setzen, daß ich sie betrogen habe, und in beiden Fällen wirst Du den ausgezeichneten Beweis liefern, daß Du mich im Allgemeinen jeder bösen That fähig hältst. Es wird dies allerdings für ein Weib eine Aufsehen erregende Stellung sein, die Du auf diese Weise einnimmst. Und wenn es Dir gelingt, mich auf solche Beweise hin der Schmach zu weihen, so wirst Du alle Heroinen des griechischen Dramas übertroffen haben.«

Er hielt einen Augenblick inne; aber sie verharrte im Schweigen. Er fuhr alsdann im Gefühle, daß er sie bemeistert hatte, fort:

»Ich glaube, Du hast keine andere Beschwerde gegen mich, als daß ich einige erhabene unbestimmte Bedingungen, auf welche hin Du mir Deine weibliche Liebe schenktest, nicht erfüllt habe, so daß, indem Du mir diese Liebe entzogst, Du mich nach und nach dahin brachtest, Deine Bedürfnisse, die Du als schöne piagnone von hohem Stande und freigebiger Milde hast, sorgsam zu bestreiten. Ich meine, Deine Aussicht, mich an den Galgen zu bringen, ist nicht so ganz, sicher; aber ohne Zweifel möchtest Du damit beginnen, das Ohr von Messer Bernardo del Nero zu gewinnen?«

»Warum spreche ich überhaupt noch über etwas!« rief Romola in schrecklicher Angst, wieder auf ihren Sitz zurücksinkend, »es ist abscheulich von mir, an mich selbst zu denken!«

Sie bemerkte es weder, als Tito das Zimmer verließ, noch wußte sie, wie lange es dauerte, ehe sich die Thür wieder öffnete und Monna Brigida eintrat. In diesem Augenblicke aber sprang sie empor und rief :

»Muhme, wir müssen sogleich nach San Marco gehen; ich muß meinen Beichtiger Fra Salvestro sprechen!«



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