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Etwas über eine Woche später, am siebenten April, bot die große Piazza della Signoria ein noch merkwürdigeres Schauspiel, als das des berühmten Freudenfeuers der Eitelkeiten dar, und eine noch größere Volksmenge als je vorher – selbst am Johannistage – versuchte auf der Piazza Plätze zu finden, um dasselbe mit anzusehen.
Es war fast Mittag, und seit dem frühesten Morgen fand ein immer mehr zunehmendes Herumdrängen des Volkes in jedem gut oder schlecht gelegenen, von den Façaden und Dächern der Häuser oder den Theilen der Straße, welche dem Publikum nicht abgesperrt waren, dargebotenen Winkel statt. Männer saßen auf eisernen, einen spitzen Winkel mit der Mauer bildenden Stangen, hielten schlanke Pfeiler mit Armen und Beinen umschlungen, ritten auf den Nacken grob gearbeiteter Statuen, welche hier und da über den Eingangsthüren der größeren Gebäude angebracht waren, fanden einen spannbreiten Sitz auf einem kleinen Architrav und einen Standplatz auf den rauhen Vorsprüngen des plumpen Steinwerks, während sie die in den Mauern unter ihnen angebrachten starken eisernen Stangen oder Klammern fest gepackt hielten.
Sie waren nämlich gekommen, um ein Wunder zu sehen; verkrampfte Glieder und abgeschundenes Fleisch schienen, solcher Aussicht gegenüber, nur geringfügige Unannehmlichkeiten. Es ist das gewöhnliche Loos der Menschen, von Wundern zu hören und mehr oder minder daran zu glauben; jetzt aber sollten die Florentiner ein solches zu sehen bekommen – wenigstens ein halbes; denn wenn der Mönch nicht ganz aus dem Feuer kam, so hatten sie ihn doch hineingehen sehen, und konnten daraus folgern, daß er in der Mitte desselben verbrannt sei.
Dem Anschein nach konnte kein vernünftiger Zweifel vorhanden sein, daß das Feuer angesteckt werden würde und daß die Mönche hineingingen. Denn vor ihren Augen erhob sich die Plattform acht Fuß breit und zwanzig Ellen lang, mit einem Wald von Brennmaterialien schrecklich aufgehäuft, große, dürre Eichenäste zu unterst und knitternde Dornen oben darauf nebst gut eingeschmiertem Tauwerk und Lappen, die bekanntlich bei florentinischen Illuminationen schöne Flammen abgaben. Die Plattform begann an der Ecke der Marmorterrasse, dem alten Palaste gegenüber, dicht neben dem Marzocco oder Steinlöwen, dessen altes Gesicht finster auf den Haufen Brennholz, der sich quer über die Piazza zog, blickte.
Außerdem standen dort drei große Haufen Bewaffneter; fünfhundert Söldner der Signoria, die vor dem Palast standen, fünfhundert Compagnacci unter Dolfo Spini, weit davon, an der andern Seite der Piazza, und dreihundert bewaffnete Bürger einer andern Art unter Marco Salviati, einem Freunde Savonarola's, gegenüber der Loggia Orcagna's, wo die Dominikaner und Franziskaner mit ihren Wettkämpfern sich aufstellen sollten.
Hier war viele Arbeit und viel Geld verschwendet, da es hohen Würdenträgern galt. Man konnte vernünftigerweise nicht daran zweifeln, daß etwas Großes vor sich gehen würde; denn es mußte sicher etwas Großes sein, wenn die beiden Mönche einfach verbrannten, denn auch in diesem Falle hatte Gott gesprochen und deutlich erklärt, daß Fra Girolamo nicht sein Prophet sei.
Und man durfte nicht viel länger warten, denn es war jetzt beinahe Mittag. Die Hälfte der Mönche war bereits auf ihrem Posten, und in der Hälfte der Loggia, welche nach dem Palaste zu lag, wimmelte es schon von grauen Mänteln, während die andere, durch Schranken abgesonderte Hälfte noch ganz leer war, nur daß sich ein kleiner Altar daselbst befand. Die Franziskaner hatten ihre Plätze schweigend eingenommen, aber jetzt hörte man von der andern Seite der Piazza einen lauten Chorgesang von zweihundert Stimmen, und Alles freute sich, wenn auch nicht an jenem Gesange, so doch wenigstens an diesem Beweise, daß die Dominikaner erschienen waren. Diese laute, gesungene Wiederholung des Gebetes »Laßt Gott den Herrn erscheinen, die Feinde all' zerstreuend,« erschien einigen unparteiischen Ohren als die Absicht, mit Selbstvertrauen prunken und Furcht verbreiten zu wollen, und Aehnliches schien der feuerfarbige sammetne Chorrock anzudeuten, den Fra Domenico trug, indem er, das Kreuz in der Hand, sein einfaches Gemüth wirklich von Glauben erhoben und mit der ernstlichen Absicht, zum Ruhme Gottes und Fra Girolamo's durch die Flammen zu schreiten, vor der Prozession einherging. Hinter ihm kam Savonarola im weißen Priestergewand, in den Händen das Gefäß tragend, welches die geweihte Hostie enthielt. Auch er sang mit lauter Stimme, auch er blickte fest und vertrauensvoll darein, und da Aller Augen, theils in Besorgniß theils in Bosheit oder bloßer Neugier von dem Moment an auf ihn gerichtet waren, als er die Piazza betrat, bis er die Stufen der Loggia emporstieg und das Sacrament auf den Altar stellte, so zeigte sich in seinen Zügen ein gehobener Ausdruck und eine Energie, welche der Gespanntheit jener auf ihn sich heftenden forschenden Blicke gleich kam.
Wir Menschen sind fast durchgängig so beschaffen, daß der falsche Schein, an den wir mit peinlichem Zurückbeben gedacht haben, wenn er sich uns vorher in unserer Einsamkeit als eine Nothwendigkeit aufgedrängt hat, sich unserer Muskeln bemächtigt und unsere Lippen bewegt, als ob die Sache so sein müsse, wenn wir durch das Bewußtsein, daß Augen und Ohren von Zuschauern auf uns gerichtet sind, erregt werden. Und die Gewaltsamkeit dieser Erregung bei Savonarola kann kaum nach der Erfahrung gewöhnlicher Lebensverhältnisse bemessen werden. Vielleicht niemals hat ein Mensch einen mächtigeren Einfluß auf seine Nebenmenschen ausgeübt, ohne das eingeborene Bedürfniß des Beherrschens zu besitzen, und dieses Bedürfniß wird gewöhnlich um so gebieterischer, je mehr die Verwickelungen des Lebens das Ich unzertrennlicher von einem unselbstischen Zweck machen. So kam es, daß an diesem Tage der Feuerprobe die Falschheit, welche in jeder öffentlichen Laufbahn, sei es als Priester, Redner oder Staatsmann, die antreibende Versuchung ist, sich in Savonarola's Bewußtsein, daß er eine angenommene Rolle spiele, stärker ausprägte als jemals früher in seinem Leben. Er kämpfte nicht gegen ein ihm bevorstehendes Märtyrthum, sondern gegen das dräuende Verderben.
Deshalb sah er aus und handelte, als ob er durchaus von Vertrauen beseelt wäre, während eine Vorahnung mit bleiernem Gewicht auf seinem Herzen lastete, nicht nur wegen des wahrscheinlichen Ausgangs dieser Feuerprobe, sondern auch wegen einer andern bereits eingetretenen Begebenheit – einer Begebenheit, welche den Geist eines, von einem Fenster des alten Palastes auf den leidensmatten Propheten herniederblickenden Mannes mit sonnenheller Freude erfüllte. Es war ein gemeinsamer Wendepunkt, dem diese so weit von einander abgesonderten Lebenspfade zustrebten, daß vor zwei Abenden die Nachricht eingelaufen war, der florentinische Courier des Raths der Zehn sei angehalten und aller seiner Depeschen beraubt worden, so daß Savonarola's Brief bereits in den Händen des Herzogs von Mailand war und bald in die des Papstes gelangen, und auf diese Weise dessen Wuth nicht nur steigern, sondern die strengsten Maßregeln rechtfertigen würde. Tito Melema's Zufriedenheit war eigentlich keine Bosheit, sondern die ruhige Selbstbeglückwünschung eines Mannes, der ein Spiel gewonnen hatte, das scharfsinnige Geschicklichkeit erfordert, keineswegs aber die Muskeln aufregt und das Blut erhitzt. Natürlich konnte dieses Convolut von Wünschen und Bestrebungen: »menschliche Natur« benannt, wenn es in der Gestalt eines ehrlich aussehenden Predigermönchs, der mehr oder weniger ein Betrüger ist, gemodelt erscheint, nichts Rührendes für einen geistreichen Gelehrten, der Alles verstand, haben. Dennoch war dieser tonsurirte Girolamo mit der hervorspringenden Nase und der aufgeworfenen Unterlippe ein außerordentlich tüchtiger Mönch, der neben seinen abgeschmackten abergläubischen Aufstellungen und Erfindungen sehr merkwürdige Ansichten über die Regierungskunst hatte, kein Schwätzer, sondern ein Mann, der sein Geheimniß für sich bewahrte. Tito hegte gegen ihn nicht mehr Groll wie gegen den heiligen Dominicus selbst. Im Gegentheil, Fra Girolamo's Dasein war Tito Melema im höchsten Grade erwünscht gewesen, da er ihm als Sprosse der Leiter diente, von der er auf einen neuen glatten Boden zu seiner größten Befriedigung hinüberspringen konnte. Und jetzt war Alles in rascher Vorbereitung zu diesem Sprunge; noch einmal sollte die Sonne auf- und untergehen, und dann hoffte Tito Florenz zu verlassen. Er war so eifrig gewesen, daß er Muße genug hatte, sich an dem heutigen Schauspiele zu ergötzen, das der plumpgeistige Dolfo Spini ohne ihn nie hätte zu Stande bringen können.
Noch immer hörte der laute Choral nicht auf, sondern wuchs vielmehr zu einem betäubenden Gebrülle an, da er überall auf der Piazza von den Piagnoni wiederholt wurde, die ihre kleinen rothen Kreuze als Erkennungszeichen trugen und fast Alle das Gebet um Vernichtung der Feinde Gottes sangen, in der Erwartung, daß ihnen die Antwort durch einen Vornehmeren als Fra Domenico zu Theil werden würde. Dieser gute Frate in seinem feuerfarbenen Chorrock kniete jetzt vor dem kleinen Altar, auf welchem das Sacrament stand, seines Rufs gewärtig.
Auf der Seite der Loggia, wo die Franziskaner standen, gab es weder Choral noch Feuerfarbe, nur Schweigen und graue Farbe. Dagegen wog bei ihnen der Umstand auf, daß sie zwei Kämpen hatten: einen gewissen Fra Giuliano, der mit Fra Domenico kämpfen sollte, während der ursprüngliche Herausforderer, Fra Francesco, seine Herausforderung auf Savonarola beschränkt hatte.
»Gewiß,« so dachten die unbequem auf Stangen und Säulen hockenden Leute, »muß jetzt Alles bereit sein. Dieser Singsang dürfte schon aufhören, und wir würden besser sehen, wenn die Mönche nach der Plattform gingen.«
Aber die Mönche rührten sich noch nicht. Bleiche Franziskanergesichter blickten besorgt über die Schranken nach jenem feuerfarbenen Chorrock. Derselbe erschien ihnen verdächtig und konnte verzaubert sein, so daß am Ende ein falsches Wunder durch Magie geschähe. Der Mönch konnte unversehrt aus den Flammen hervorgehen, und das Ganze dennoch nur Teufelswerk sein.
Und jetzt fand ein Laufen zwischen der Loggia und der Marmorterrasse des Palastes statt, und das gellende Gesinge wurde etwas leiser, denn Jeder fing an, von der Ferne aus gespannter hinzusehen. Es zeigte sich aber bald, daß die neue Bewegung kein Anfang, sondern ein Hinderniß für den Anfang war. Die florentinischen Würdenträger, welche als Anordner auf beiden Seiten in dieser Sache ernannt waren, gingen in den Palast und kamen wieder, und es gab ein lebhaftes Debattiren mit den Franziskanern. Endlich bemerkte man, daß Fra Domenico, der durch seine Feuerfarbe hervorstach, nach dem Palast geholt wurde. Wahrscheinlich war das Feuer schon angezündet (es war dies schwer von fern zu sehen), und das Wunder sollte beginnen.
Aber nichts von allem Dem. Der feuerfarbene Chorrock verschwand innerhalb des Palastes; dann wurde noch ein Dominikaner geholt, und eine geraume Zeit hindurch war Alles wieder wie zuvor: das langweilige, nichts weniger als wunderbare Gesinge und Fra Girolamo, der in seinem weißen Gewande noch immer an der nämlichen Stelle stand. Endlich aber geschah etwas; man sah Fra Domenico wieder aus dem Palaste kommen und zu seinen Brüdern zurückkehren. Er hatte sein ganzes Gewand mit einem Bruder Dominikaner gewechselt, war aber an jeder Seite von einem Franziskaner bewacht, damit er nicht, wenn er in Savonarola's Nähe käme, von Neuem verzaubert werde.
»Aha!« dachten die entfernteren Zuschauer, etwas weniger ihre erstarrten Glieder und den Hunger spürend, »Fra Domenico wird also nicht durch die Flammen gehen; Fra Girolamo wird sich nun doch selbst als Opfer anbieten. Wir werden ihn gleich sich in Bewegung setzen sehen, und wenn er aus dem Feuer kommt, wird er einen schönen Anblick gewähren.«
Aber Fra Girolamo machte keine Bewegung als die, jede Rede gewöhnlich begleitende. Die Rede war kühn und fest,vielleicht etwas zu ironisch verweisend, gleich der, die Elias den Baalspriestern hielt, das Aufhören dieser erbärmlichen Zögerungen verlangend. Das Reden ist jedoch die am meisten aufbringende Beweisführung Denjenigen gegenüber, welche außer Gehörsweite sind, mit erlahmten Gliedern und leerem Magen. Und wozu war überhaupt eine Rede nöthig? Wenn das Wunder nicht anfing, so konnte nur Fra Girolamo die Schuld davon tragen, der ja doch alle Hindernisse zu beseitigen vermochte, indem er sich jetzt, da das Feuer bereit war, als Opfer darbot, wie er doch voreifrig genug gethan hatte, als er gar keinen Brandstoff sah.
Und wieder von Neuem eine Bewegung auf und ab! wieder neues Hin- und Hersprechen! Und der Nachmittag schien desto schneller zu entschwinden, da sich Wolken gehäuft hatten, welche überall die Beleuchtung veränderten, und die an Leib und Seele hungrigen Zuschauer durchkälteten.
Erst war es das Crucifix, welches Fra Domenico mit in die Flammen nehmen wollte, und das er nicht auf diese Art profaniren sollte. Nach einigem Widerstande gab Savonarola dieser Einsprache nach und hatte so den Vortheil, noch eine Vergünstigung einzuräumen, aber er überreichte dem Fra Domenico alsbald das Gefäß, welches die geweihte Hostie enthielt. Der Gedanke, daß die Gegenwart dieses geheiligten Mysteriums schlimmsten Falls die gewöhnliche Wirkung des Feuers hindern dürfte, schwebte seinem Geiste als Möglichkeit vor; aber der Ausgang, auf den er am meisten rechnete, war von einer positiveren Art. Indem er die Hostie erhob, sagte er ruhig, als ob er nur das thäte, was von Anfang an vorausgesetzt war:
»Da sie nicht wollen, daß Du mit dem Crucifix hineingehest, mein Bruder, so nimm nur das Sacrament mit Dir!«
Neues Entsetzen unter den Franziskanern, neue Entschlossenheit bei Savonarola! Jene sagten: es sei eine ruchlose Anmaßung, das Sacrament in das Feuer zu tragen; wenn es verbrenne, so würde das Aergerniß im Geiste der Schwachen und Unwissenden groß sein. – Dieser erwiderte: durchaus nicht, denn selbst wenn es verbrenne, so würden nur die äußeren Bestandtheile vom Feuer verzehrt werden, die Substanz aber würde bleiben. – Dieses war eine Streitfrage, über die man bis zum Sonnenuntergange disputiren konnte, und die doch so elastisch wie vorher blieb, und Niemand konnte den Vorschlag machen, sie dadurch zu lösen, daß man zur Probe selbst schreite, da es wesentlich eine Vorfrage sei. Man brauchte nur auf beiden Seiten fest zu bleiben, daß die Franziskaner darauf bestanden, die Hostie nicht mit in's Feuer nehmen zu lassen, während Fra Domenico darauf beharrte, nicht ohne dieselbe hineinzugehen.
Inzwischen wurden die Wolken immer dunkler, die Luft immer kälter. Selbst der Gesang schwieg, da er unhörbarem Debattiren gewichen war, und die verworrenen Töne von Gesprächen auf der ganzen Piazza zeigten, daß die Erwartung überall nachließ, und trugen zu der aufreizenden Ahnung bei, daß nichts Entscheidendes mehr geschehen würde. Hier und dort hörte man vereinzelte Laute, dann immer häufiger ein lauteres Höhnen:
»Steckt das Feuer an, und jagt sie hinein!« »Laßt uns einen Bratengeruch haben!« »Wir wollen essen!« »Komm, Prophet, laß uns wissen, ob innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden etwas geschehen wird!« »Ja, ja, was war Deine letzte Vision?« »O, er hat ein ganzes Dutzend in sich; das ist sein Kleingeld für ein Wunder!« »Heda, Frate, wo steckt Ihr?« »Das thut nichts, wenn auch die Feuerung drauf geht!«
Und immer noch dasselbe Hin- und Herlaufen zwischen der Loggia und dem Palaste! immer noch dieselben Debatten, leise und der Menge unverständlich, wie die Gespräche von Insecten, die einander mit den Fühlhörnern, anscheinend zu keinem andern Zwecke, als dem des Gehens und Kommens, berühren. Aber es währte nicht lange, bis eine Erläuterung der ungehörten Verhandlungen, in welchen Fra Girolamo beständig der Sprecher war, die Runde machte: er war es, der die Feuerprobe verhinderte, Jeder drang in ihn und er zauderte.
Bald waren die Ausrufungen nicht mehr einzeln unterscheidbar, sondern verloren sich in einem Getöse nicht nur von Stimmen, sondern von klirrendem Stahl und stampfenden Füßen. Die Muthmaßungen des aufgebrachten Volks hatten alte Neigungen bei Dolfo Spini und seiner Schaar von Compagnacci aufgeweckt; es schien ihnen eine günstige, nicht zu versäumende Gelegenheit, den florentinischen Wirren ein Ende zu machen, indem sie sich der Person des Erzheuchlers bemächtigten. Ein kräftiger Anlauf der Bewaffneten gegen die Loggia fand statt, der das Volk bei Seite, oder auf die vor dem Palaste aufgestellte Reihe Soldaten zu trieb. Bei dieser Bewegung hörte Alles, sowol bei den Mönchen, wie bei den erschreckten Behörden auf, ausgenommen die ängstliche Neugierde, was aus diesem Kampfe werden würde.
Aber die Loggia war durch die von dem tapfern Salviati angeführte Schaar wohl bewacht, und die Söldner der Signoria halfen ihnen, den Angriff zurückzutreiben. So wogte das Gedränge und Gestampfe wieder rückwärts bis zum Tetto de' Pisani, als die Schwärze des Himmels in diesem Augenblicke der vollständigsten Verwirrung zuzunehmen schien, und der Regen, der sich bereits in einzelnen Tropfen bemerkbar gemacht hatte, jetzt mit zunehmender Heftigkeit herabzuströmen begann, das Holz durchnäßte, in Güssen die Plattform überschwemmte, die ermatteten und hungrigen Zuschauer bis auf die Haut durchnäßte und ihre Wuth und den Ekel nach innen trieb, um dort in feuchter Dunkelheit weiter zu gähren.
Jedermann merkte nun, daß die Feuerprobe nicht stattfinden würde. Die Signoria freute sich sehr über den Regen, als eines zufälligen, jeden andern Vorwand überflüssig machenden Grundes, um zu erklären, daß beide Parteien nach Hause gehen möchten. Das war der Ausgang, den Savonarola erwartet und ersehnt hatte, und doch würde man seine Gefühle falsch schildern, wollte man sagen, daß er froh war. Als der Regen herabrauschte, gegen das Gebäude der Loggia schlug und seine Tropfen über Altar, Gewänder und Gesichter spritzte, wußte der Frate, daß die Anforderung an ihn oder an die Seinigen, die Feuerprobe zu bestehen, nicht mehr gestellt werden könne. Aber er wußte auch mit einer Gewißheit, die eben so unwiderstehlich war, wie die feuchte Kälte, die seinen Körper befallen hatte, daß der Zweck seiner Feinde erreicht und seine Ehre nicht gerettet war. Er wußte, daß er wieder durch die wüthende Menge hindurch nach San Marco gehen müßte, und daß die Herzen vieler Freunde, die ihn früher mit ihrem Leben beschützt haben würden, jetzt gegen ihn gewendet waren.
Als der Regen nachgelassen hatte, bat er die Signoria um militärische Bedeckung, die ihm auch gewährt wurde. Hatte er gesagt, daß er gewillt sei, für das Werk seines Lebens zu sterben? Ja, und er hatte keine Unwahrheit gesprochen. Aber in der Schande sterben, als Heuchler und Lügenprophet dem Hohn preisgegeben? »O Gott! das ist kein Märtyrthum! das ist das Ausstreichen eines Lebens, das nur ein Protestiren gegen Unrecht gewesen war. Laß mich sterben wegen des Werthes, der in mir liegt, nicht wegen meiner Schwäche!«
Der Regen hatte jetzt ganz aufgehört, und das Licht von den sich theilenden Wolken fiel auf Savonarola, als er die Loggia inmitten seiner Wache verließ und mit dem Sacrament in der Hand, wie er gekommen war, einher schritt. Aber es schien keine Glorie in dem Lichte, das ihn bestrahlte, kein Lächeln des Himmels für ihn; es war nur das Licht, das geduldig und unparteiisch herabscheint, rechtfertigend oder verdammend, indem es einfach alle Dinge in dem langsamen Processe ihres Reifens zeigt. Er hörte keine Segnungen, keine Laute des Mitleids, sondern nur Verwünschungen und Verhöhnungen. Er wußte, daß dies nur ein Vorschmack zukünftiger Bitterkeit war; und doch wuchs sein Muth bei diesen moralischen Angriffen, und er zeigte keine Entmuthigung.
»Gut parirt, Mönch,« sagte Tito, als Savonarola die Stufen der Loggia hinabstieg – »aber ich besorge, Deine Laufbahn in Florenz ist zu Ende. Was meint Ihr dazu, guter Nicolo?«
»Es ist schade, daß seine Unwahrheiten nicht alle weiser Art waren,« erwiderte Macchiavelli mit melancholischem Achselzucken, »er hätte, da die Zeit so günstig für ihn war, wie sie jetzt in kirchlichen Angelegenheiten ist, Großes wirken können.«