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Der Morgen schien in seinem hellsten Frühglanze, als Romola wieder auf dem Wege nach San Marco war, nachdem sie Abends zuvor durch Fra Salvestro die Zusage einer Zusammenkunft mit Fra Girolamo im Kapitelhause des Klosters erhalten hatte. Die Strenge, mit welcher Savonarola sein Leben vor allen von der Verläumdung zu findenden Vorwänden hütete, machte solche Zusammenkünfte äußerst selten, und immer, wenn sie gewährt wurden, hielt er sie von jedem Anstrich von Geheimnißvollem frei. Deshalb war die ihr anberaumte Stunde eine, in welcher auch noch andere Besucher in dem Außenkloster von San Marco zu erwarten waren.
Sie nahm sich vor, mitten durch die Stadt zu gehen, um die öffentliche Stimmung zu erfahren. Jede Loggia, jeder passende Winkel der Piazza, jeder Laden, der zum Stelldichein für Stadtklatsch taugte, war von der Bewegung freiwilliger Verhandlungen belebt; das flaue Geschäft diente nur dazu, die Gewalt der politischen Erörterungen zu erhöhen. Es war offenbar, daß die Parteien für oder gegen den Tod der Verschwörer die drei Tage Frist auf's beste zu benutzen trachteten, um der Volksstimmung die Richtung zu geben. Bereits waren Zettel in Umlauf, von denen einige in großen Lettern die Wahl zwischen der Gerechtigkeit gegen die Verschwörer oder dem Untergange der Republik ließen, während andere in eben so großen Lettern die Nothwendigkeit darthaten, das Gesetz aufrecht zu erhalten und die Appellation zu bewilligen. Rings um diese hervorspringenden Inseln von schwarzen großen Buchstaben waren Scenen von kleineren Lettern, welche minder lesenswerthe enthielten, denn es war damals (im ersten Trinmphgefühl über die Erfindung der Buchdruckerkunst) die allgemeine Meinung, daß es keine überzeugenderen Beweise gäbe, als bloße Voraussetzung zu Beweisen machenwollende Phrasen in großem Druck.
Romola war es aber hauptsächlich darum zu thun, die kleinen gedruckten Beweise kennen zu lernen, und obgleich ihr Eile nothwendig war, so sah sie sich im Vorwärtsgehen eifrig um, damit sie keine Gelegenheit versäume, sich Abdrücke zu verschaffen.
Eine ganze Strecke lang sah sie, nur solche, die sich in's den Händen eifriger Leser befanden oder an den Mauern angeklebt waren, von denen an einigen Orten die Sbirren dieselben abrissen. Endlich aber, als sie raschen Schrittes hinter der Kirche San Giovanni weg ging, um den vielen Bekannten, welche sich auf der Piazza befanden, auszuweichen, gewahrte sie Bratti mit einem ganzen Stoß Zettel, welche er gegen kleine Münze den Vorbeigehenden zu überlassen schien. Sie war mit dem Volksleben in Florenz zu bekannt, als daß sie Bratti nicht hätte kennen sollen, und sie sagte daher, sich zu ihm wendend: »Habt Ihr zwei Gattungen Zettel, Bratti? so gebt sie mir rasch.«
»Zwei Gattungen« sagte Bratti, dies nassen Bogen, die Romola's Geduld auf eine harte Probe setzten, auseinandernehmend, »hier ist: ›Gesetz‹ und hier die ›Gerechtigkeit‹.«
»Von welchen setzt Ihr am meisten ab?«
»›Gerechtigkeit‹ geht am schnellsten ab, deshalb habe ich den Preis auf zwei Danari aufgeschlagen. Aber dann bedachte ich mich, daß das ›Gesetz‹ auch eine gute Waare sei, was eben so gut einen Anspruch auf Bezahlung hat, wie ›Gerechtigkeit‹, denn man speichert keinen Ueberfluß durch wohlfeile Gegenstände auf, und wenn ich das ›Gesetz‹ für einen Danaro verkaufte, so würde ich ihm ein Unrecht zufügen. Ich bin aber ein rechtlicher Handelsmann. ›Gesetz‹ oder ›Gerechtigkeit‹, Beide gelten mir ganz gleich, Beide sind gute Waare. Ich habe Beide umsonst bekommen, und verkaufe sie mit kleinem Verdienst. Ihr werdet aber mehr als eins von jeder Gattung gebrauchen?«
»Nein, nein! hier ist ein weißer Quattrino für die Beiden,« sagte Romola, die Zettel zusammenfaltend und von dannen eilend.
Es währte nicht lange, bis sie am Außenkloster von San Marco war, wo Fra Salvestro sie am Kreuzgang erwartete, aber ihren leisen Schritt nicht hörte. Er plauderte, seiner Gewohnheit nach, mit einigen Laien, die ihn besuchten, denn unter dem Schutze einer dem Frate zugethanen Regierung verschwand nach und nach die dem ersten Eindruck des Bannstrahls folgende Scheu, das Kloster San Marco zu besuchen. In einem dieser weltlichen Gäste entdeckte sie einen wohlbekannten Genossen Francesco Valori's, der Andrea Cambini hieß und mit nachdrücklichen Gebärden etwas erzählte oder erklärte, während Fra Salvestro mit jenen Mienen gemeiner Neugier zuhörte, welche zeigen, daß es dem Zuhörer mehr um Neuigkeiten, als um deren Werth zu thun ist. Dieser ihr von jeher widerliche Charakterzug ihres Beichtvaters, erbitterte sie in diesem Augenblick um so mehr, als einzelne unzusammenhängende Worte, welche zu ihren Ohren drangen, ihr bewiesen, daß Cambini etwas das Schicksal der Verschwörer Betreffendes erzählte. Sie mochte sich dieser Gruppe nicht nähern, sondern wandte sich, als sie sah, daß Fra Salvestro sie bemerkt hatte, der Thür des Kapitelhauses zu, während er ihr ein Zeichen des Einverständnisses gebend, im innern Kloster verschwand. Ein Laienbruder stand bereit, ihr die Thür des Kapitelhauses zu öffnen, und schloß dieselbe wieder, nachdem sie eingetreten war.
Wiederum von diesen Frescofiguren angeblickt, welche mit ihr beim Tode ihres Bruders Dino zu trauern geschienen hatten, mußte nothwendig ein Theil jenes Auftritts wieder vor ihre Seele treten, aber die dringende Beschäftigung ihres Geistes mit der Gegenwart machte die Erinnerung weniger zu einem Rückblick, als zu einer unbestimmten Wiederkehr von Eindrücken, die sich mit der Furcht, welche sie bewegte, vermischten, als ob ihre gegenwärtige Angst ein Wiederaufleben des lebhaften Sehnens sei, welches sie einst mit an diesen Ort gebracht hatte – aber nur, um von einer marmorstarren Härte vertrieben zu werden. Sie ließ diese Erinnerung sich nicht klarer entwickeln, sondern öffnete alsbald die Zettel, indem sie glaubte, dieselben lesen zu können, ehe Fra Girolamo erschiene. Als sie aber den einen derselben, welcher die Aufrechthaltung des Gesetzes befürwortete, zu Ende gelesen hatte, öffnete sich die Thür und sie stand, die Papiere zusammenfaltend, erwartungsvoll da.
Als der Mönch eintrat, kniete sie, wie Alle, die ihn allein sprachen, zu thun pflegten, vor ihm nieder; nachdem er sie aber zum Gruß gesegnet hatte, erhob sie sich und stand, einige wenige Schritte von ihm entfernt, aufrecht da. In Folge der Abgeschiedenheit, in welcher er nach seiner Excommunication lebte, hatte sie ihn ungewöhnlich lange nicht gesehen, und die letzten Monate hatten die Spuren übertriebener geistiger Thätigkeit und körperlicher Kasteiung seinen Zügen noch tiefer eingeprägt, und dennoch fiel diese Veränderung Romola nicht so auf, als eine andere minder merkbare. War der Ausdruck ruhiger Erhebung und menschlichen Mitgefühls, welcher sie einst so tief ergriffen hatte, nicht mehr so deutlich als damals, oder weckte das Bewußtsein, daß er, was ihre Empfindungen für ihren Pathen betraf, ihr jetzt fern stand, die schlummernden Quellen der Entfremdung und schwächte ihr Gesicht? Vielleicht war Beides der Fall. Unsere Beziehungen zu Mitmenschen werden am öftesten durch zufällige Strömungen dieser Art bedingt; die unverzeihliche Rede oder That kommen selten zum Vorschein, bis Liebe oder Achtung bereits durch eine Reihe wiederholter Entschuldigungen abgeschwächt sind.
Es war nicht zu bestreiten, daß Savonarola's Blick auf Romola etwas von jener durch selbstische Voreingenommenheit hervorgebrachten Härte besaß. Er errieth, daß die Zusammenkunft, um welche sie ihn hatte ersuchen lassen, sich auf das Schicksal der Verschwörer beziehen würde – ein Gegenstand, bei dem er schon innere Mahnungen hatte ersticken müssen, Mahnungen, die, wenn sie von außen her wieder ermuthigt würden, leicht wieder laut werden konnten. In seiner Zelle bei der Durchsicht der Correcturbogen eines Werkes: »Triumph des Kreuzes« sitzend, war es leichter, bei dem Entschlusse vollständiger Neutralität zu beharren.
»Es ist,« hub er in einem, mehr aus Selbstbeherrschung, als aus unmittelbarer Neigung, milden Tone an, »ohne Zweifel eine wichtige Angelegenheit, meine Tochter, in der Ihr mich zu sprechen wünschtet; ich weiß, Ihr seid nicht gewohnt, auf Kleinigkeiten ein Gewicht zu legen.«
»Ihr wißt, um was es sich handelt, mein Vater, noch ehe ich es Euch sage,« erwiderte Romola, alles Andere vergessend, sobald sie ihren Antrag vorzubringen begann, »Ihr wißt, was mir am Herzen liegt, es ist das Leben des Greises, den ich vor Allem in der Welt liebe. Der Gedanke, an ihn ist dem Gedanken an meinen Vater auf's Innigste verbunden gewesen, so lange ich denken kann. Das ist meine Befugniß, zu Euch zu kommen, selbst wenn mein Kommen unnöthig gewesen sein sollte. Vielleicht ist dem auch so; vielleicht habt Ihr es schon bei Euch beschlossen, daß Eure Gewalt über die Herzen der Menschen dahin verwendet werden soll, sie zu verhindern, den Florentinern ein Recht zu verweigern, welches Ihr selbst geholfen habt für sie zu erringen«
»Ich mische mich nicht in die Angelegenheiten des Staates, meine Tochter,« sagte Fra Girolamo, durchaus nicht gewillt, äußerlich eine Verhandlung wieder zu eröffnen, die er bereits in seinem Innern erschöpft hatte. »Ich habe gepredigt und mich abgemüht, daß Florenz eine gute Regierung haben soll, denn eine gute Regierung ist nothwendig zur Vollendung seines christlichen Lebens; aber ich lasse mich nicht auf besondere Angelegenheiten ein, deren Verwaltung das Amt erfahrener Bürger ist.«
»Sicherlich, mein Vater!« hier brach Romola ab. Sie hatte diese Worte fast heftig geäußert, wurde aber durch die Gegenbewegung, daß sie sich in einer tadelnden Haltung dem Mann gegenüber befand, der ihr Führer und die Quelle ihrer Kraft gewesen war, zurückgehalten. Indem sie sich gegen ihn empörte, verletzte sie ihre eigene Hochachtung.
Savonarola war zu scharfsichtig, um nicht etwas von dem Widerstreit ihrer Gefühle, der sie inne halten ließ, zu errathen; er war zu edel, um absichtlich in einer ruhigen Unterredung die selbstrechtfertigende ausweichende Haltung anzunehmen, zu welcher er mitunter öffentlich durch die drängende Leidenschaftlichkeit des Redners getrieben wurde.
»Sprecht es aus, was Ihr auf dem Herzen habt; sprecht es aus, meine Tochter!« sagte er, die Arme über einander gelegt und sie mit ruhiger Erwartung anblickend.
»Ich wollte sagen, mein Vater, daß diese Angelegenheit sicher doch von gewichtigerem Interesse ist, als so manche, über die ich Euch mit Wärme sprechen und verhandeln hörte. Wenn es Euch zukam, darauf zu dringen, daß Menschen, die wegen Verbrechen gegen den Staat verurteilt wurden, das Recht haben sollten, an den Großen Rath zu appelliren, wenn« – und hier ward Romola wieder leidenschaftlicher – »Ihr es Euch als einen Ruhm anrechnet, dieses Recht für sie errungen zu haben, darf es Euch dann minder zukommen, dagegen aufzutreten, daß dieses Recht fast den Ersten, die dasselbe in Anspruch nehmen, entzogen werde? Wahrhaftig, das hat mehr mit dem christlichen Leben zu thun, als ob Ihr voraus wüßtet, daß der Dauphin sterben oder ob Pisa erobert werden würde.«
Ein fast unbemerkbares Zucken, wie von unterdrücktem Schmerz, spielte um Savonarola's kräftige Lippen, ehe er wieder das Wort nahm:
»Meine Tochter, ich spreche, wie es mir gegeben ist zu sprechen; ich bin nicht Herr der Zeiten, wo ich das Mittel des den gewöhnlichen Menschenverstand übersteigenden Wissens werden werde. In diesem Falle bin ich in nichts mehr erleuchtet, als was die Klugheit denen eingeben kann, welche mit der Sicherheit des Staats betraut sind. Was das Appellationsedict gegen die ›sechs Stimmen‹ betrifft, so habe ich mich bestrebt dasselbe zu erwirken, damit kein Florentiner Hab' und Gut und Leib und Leben durch den persönlichen Haß einiger Weniger, die etwa an der Regierung wären, verlieren möge; aber diese fünf Männer, welche eine freie Regierung stürzen und einen entsittlichten Tyrannen wieder einsetzen wollten, sind unter der Zustimmung einer großen Versammlung ihrer Mitbürger verurteilt worden. Sie weigerten sich anfänglich, ihre Sache vor den Großen Rath bringen zu lassen; sie haben also das Appellationsrecht eingebüßt.«
»Wie können sie es eingebüßt haben?« fragte Romola, »es ist das Recht, gegen eine Verurteilung die Berufung einzulegen, und sie sind bis jetzt nicht verurteilt gewesen, und verzeiht, mein Vater! aber es ist der persönliche Haß, der ihnen diese Appellation verweigern will, es ist die Gewaltthätigkeit der Wenigen, welche die Uebrigen einschüchtert; warum wäre sonst die Versammlung gleich wieder geschiedener Meinung gewesen, nachdem sie eben dem Anscheine nach einig gewesen war? Und wenn etwas gegen die Beobachtung des Gesetzes in's Gewicht fällt, so möge dieses dafür sprechen, daß Ihr vor allen anderen Dingen gepredigt habt, wie dieser Parteistreitigkeiten willen dem Haß und dem Blutvergießen nicht Raum gegeben werden solle, so daß die persönliche Feindschaft sich nicht in öffentlichen Handlungen zu zeigen Gelegenheit finden könne. Mein Vater, Ihr wißt es ganz genau, daß hier Privathaß im Spiele ist; wird es Euch nicht entehren, wenn Ihr Euch nicht auf die Seite der Milde schlagt, wo so Viele sind, welche meinen, daß dies auch die Seite des Rechts und der Gerechtigkeit ist?«
»Meine Tochter!« sagte Fra Girolamo sichtlicher bewegt als vorher, »es giebt eine Milde, welche Schwäche, ja sogar Verrath an dem allgemeinen Wohl ist. Die Sicherheit des florentinischen Staats, welche sogar mehr bedeutet als das Wohlergehen der Florentiner, erheischt jetzt Strenge, wie sie einstmals Milde erheischte. Diese Männer sind nicht nur für ein begangenes, sondern auch für ein erst zur Ausführung kommen sollendes Complot verurteilt, und die Pläne, welche zu dessen Ausführung dienen sollten, sind nicht bei Seite gelegt worden; der Tyrann sammelt wiederum seine Streitkräfte in der Romagna, und die Feinde unserer Stadt, welche die höchsten Plätze in Italien einnehmen, sind bereit, jeden Stein, der Florenz vernichten kann, auf uns zu schleudern.«
»Welches Complot?« fragte Romola erröthend und vor bestürztem Staunen bebend.
»Ihr habt da Papiere in der Hand, wie sich sehe,« antwortete Fra Girolamo, auf die Zettel deutend, »einer derselben dürfte Euch vielleicht sagen, daß die Regierung neue Berichte erhalten hat.«
Romola öffnete rasch den Zettel, den sie noch nicht gelesen hatte, und sah, daß die Regierung schlagende Beweise eines zweiten Anschlags besaß, der in dem jetzigen Augustmonate ausgeführt werden sollte. Ihr war es, als lese sie die Bestätigung, daß Tito seine Sicherheit schändlichen Mitteln verdankte; sein vorgeblicher Wunsch, daß der Mönch sich für die Verurteilten verwenden solle, gab dieser traurigen Ueberzeugung nur neue Nahrung. Sie zerknitterte das Papier in der Hand und sagte mit erneuter Heftigkeit, gegen Savonarola gewendet:
»Mein Vater, welche Sicherheit kann es für Florenz geben, wenn der elendeste Mensch immer unbestraft davonkommen kann? und,« fuhr sie fort, indem eine plötzliche Erinnerung bei dem Gedanken an ihren Gatten in ihr aufstieg, »habt Ihr nicht selbst diese Täuschung, welche das Leben in Florenz verderbt, ermuthigt, indem Ihr verlangtet, daß dem Lorenzo Tornabuoni immer mehr Gunst erzeigt werden sollte, diesem falschen Menschen, der Euch unter der Larve der Zuneigung schmeichelte, während mein Pathe stets ein redlicher Mann war? Fragt ganz Florenz, wer von diesen fünf Männern das treueste Herz hat, und nur Wenige werden einen andern Namen nennen als den Bernardo's del Nero. Ihr habt schon einmal bei Francesco Valori ein Wort für einen Gefangenen eingelegt, waret also nicht neutral; und Ihr wißt, daß Euer Wort mächtig ist.«
»Ich wünsche Bernardo's Tod nicht,« sagte Savonarola tief erröthend, »es würde genügen, wenn man ihn aus der Stadt entfernte.«
»Warum sprecht Ihr denn nicht, einen alten fünfundsiebzigjährigen Mann von einem schmachvollen Tode zu erretten, ihm wenigstens die Wohlthat des Gesetzes zukommen zu lassen?« rief Romola, deren Heftigkeit so aufgeregt war, daß sie Alles vergaß, nur nicht ihre Entrüstung, »Ihr fühlt nicht die Verpflichtung, neutral zu bleiben, warum hättet Ihr sonst zu Gunsten Lorenzo Tornabuoni's gesprochen? Ihr thatet das, weil er freundlich gesinnt für San Marco ist, mein Pathe aber heuchelt keine Freundschaft. Wenn mein Pathe also sterben soll, so stirbt er nicht, weil er ein Medicäer ist, sondern weil Ihr ihn nicht liebt.«
Als Romola, deren Wangen glühten und deren Lippen bebten, inne hielt, herrschte das tiefste Schweigen. Indem sie Fra Girolamo regungslos vor sich stehen sah, war es ihr, als höre sie ihre eigenen Worte noch einmal – Worte, die in diesem Widerhall des Bewußtseins in seltsamen, peinlichen Widersprüchen mit den Erinnerungen, die seine Anwesenheit bei ihr hervorrief, zu stehen schienen. Die Augenblicke des Schweigens dehnten sich durch die innere zunehmende Zerknirschung und den Zweifel an sich selbst. Sie hatte in ihrer Leidenschaftlichkeit eine Entweihung verübt. Und selbst das Gefühl, daß sie nichts von ihrer Anklage zurücknehmen, daß ihr Geist sich nicht der Verneinung Savonarola's unterwerfen könne, machte es ihr zur Nothwendigkeit, jene Erinnerungen der Ehrfurcht zu befriedigen. Mit einer raschen Bewegung gegen ihn sagte sie:
»Verzeiht mir, mein Vater; es thut mir weh, diese Worte gesprochen zu haben, aber ich kann nicht umhin zu reden. Ich bin, mit Euch verglichen, schwach und gering; Ihr verliehet mir Licht und Kraft, aber ich unterwarf mich, weil ich die dargebotene Kraft empfand, weil ich das Licht sah, jetzt hingegen kann ich es nicht sehen. Mein Vater, Ihr selbst habt gesagt, daß ein Augenblick kommt, wo die Seele keinen anderen Führer als die innere Stimme haben darf, um zu verkünden, ob der geweihte Gegenstand heilige Tugend besitzt – und deshalb muß ich reden.«
Savonarola besaß jene leicht erregbare Empfindlichkeit gegen Widerstand, die unzertrennlich von einem machtliebenden und gewaltigen Charakter ist, der hohe Zwecke verfolgt, welche einen Widerschein der Größe auf die Mittel, durch die sie erreicht werden sollen, werfen. Seine Predigten enthalten viel von dieser rothen Flamme. Selbst wenn er ein geringerer Mensch gewesen wäre, so müßte seine Empfindlichkeit über Romola's anklägerische Freiheit empört gewesen sein, eine Freiheit, die im grellsten Widerspruche zu der Unterwürfigkeit, an die er von seinen Schülern gewöhnt war, stand. In diesem Augenblicke aber wurden dergleichen Empfindungen durch den harten Kampf aufgehoben, der die Hälfte seiner Lebenstragödie ausmachte – den Kampf einer, von nie zu stillendem Hunger nach Reinheit und Einfalt besessenen, aber in einem Netze egoistischer Ansprüche, falscher Begriffe und schwieriger äußerer, Einfalt unmöglichmachenden Verhältnisse, verstrickten Seele. Alle Andeutungen in Romola's tadelnden Worten tief empfindend, warf er, wie er dies schon früher gethan hatte, einen raschen Ueberblick über die Wege, die ihm offen standen und über den Ausgang. Es lag aber hier eine Frage vor, bei welcher Beweise nur insofern entscheidend sein konnten, als sie mit Empfindungen versetzt waren, und er hatte keinen Eindruck empfangen, der seine Ansichten zu ändern vermochte. Er blickte Romola, an und sagte:
»Ihr habt meine vollste Vergebung für Eure Offenheit, meine Tochter. Ich weiß, daß Ihr aus der Fülle Eurer Verwandtenliebe sprecht; aber diese Neigungen müssen den Forderungen des Staates weichen. Wenn die Männer, die genau mit den Staatsangelegenheiten bekannt sind, annehmen, was sie, wie ich höre, thun, daß die öffentliche Sicherheit die schärfste Strafe des Gesetzes für die fünf Verschwörer erheischt, so habe ich keinen Einfluß auf ihre Ansicht, da ich solchen Angelegenheiten ganz fern stehe.«
»Ihr wünscht also, daß sie sterben sollen? Ihr wünscht, daß ihnen die Appellation verweigert werde?« fragte Romola, von Neuem zurückgestoßen durch eine Rechtfertigung, die ihr eher als eine Ausflucht erschien.
»Ich habe es bereits gesagt, daß ich ihren Tod nicht wünsche.«
»Also,« rief Romola, deren Entrüstung sich auf's Neue Bahn brach »ist es Euch gleichgültig, wenn Florentiner ein Todesurteil fällen, das Ihr nicht wünscht und gegen welches Ihr hättet protestiren, welches Ihr hättet mit verhindern können, indem Ihr auf die Erfüllung eines Gesetzes dranget, dessen Einführung Ihr für gut hieltet. Mein Vater, Ihr standet doch sonst diesen Angelegenheiten nicht fern, Ihr pflegtet nicht von dem Protestiren zurück zu treten. Sagt nicht, daß Ihr nicht protestiren könnt, wo es Menschenleben gilt, sagt lieber: Ihr wünschet ihren Tod, sagt lieber: Ihr betrachtet es als ein Glück für Florenz, wenn noch mehr Blut vergossen; noch mehr Haß aufgestachelt wird. Wird der Tod von fünf Medicäern den Parteikämpfen in Florenz ein Ende machen? wird der Tod eines edlen Greises, wie Bernardo del Nero, eine Stadt retten, in der Männer wie Dolfo Spini leben?«
»Genug, meine Tochter, genug! die Sache der Freiheit, welche die Sache des Reichs Gottes auf Erden ist, wird oft von den Feinden am meisten gefährdet, welche die Macht gewisser Menschentugenden in sich haben. Der schlechteste Mensch ist oft nicht das unüberwindlichste Hinderniß für den Triumph des Guten.«
»Warum wiederholt Ihr denn, daß Ihr meines Pathen Tod nicht wünscht?« rief Romola zwischen Zorn und Verzweiflung getheilt, »warum sagt Ihr nicht gleich, Ihr haltet es für nöthiger, daß er sterbe, weil er der Bessere ist; ich kann Eure Gedanken nicht entwirren, mein Vater; ich kann die wahre Stimme Eures Verstandes und Gewissens nicht vernehmen.«
Es entstand eine augenblickliche Pause; dann sagte Savonarola mit lebhafterer Bewegung als er bisher gezeigt hatte:
»Seid dankbar, meine Tochter, wenn Eurer Seele die bange Verwirrung erspart worden ist, und verurteilt Die nicht, denen ein härteres Loos zu Theil ward. Ihr sehet nur einen Grund der Handlung in dieser Angelegenheit, aber ich sehe deren viele, und muß den wählen, welcher das mir aufgetragene Werk fördert. Dem Ziele, das ich erstrebe, müssen alle kleineren Rücksichten geopfert werden. Der Tod von fünf Menschen, und wenn sie selbst minder schuldig wären, als diese, wiegt leicht gegen die Auflehnung verderbter Tyrannen, welche das Leben Italiens ersticken und die Fäulniß der Kirche hegen und pflegen, er wiegt leicht gegen die Förderung des Reichs Gottes auf Erden, den Zweck, für den ich lebe und mit Freuden sterbe.«
Unter anderen Umständen würde Romola Theilnahme für die Berufung zu Anfang von Savonarola's Rede gehegt haben; jetzt aber war sie dermaßen im feindlichen Gegensatz zu ihm, daß das, was er bange Verwirrung nannte, ihr als Sophisterei und Falschheit erschien; und als er in seiner Rede fortfuhr, dienten seine Worte nur dazu, die Flamme der Entrüstung zu nähren, welche jetzt wieder heller, als je zuvor, die Erinnerung an alle seine Irrthümer beleuchtete, und ihren Glauben an ihn, ihr als eine blödsichtige Täuschung erscheinen ließ. Sie sagte, fast mit Bitterkeit:
»Wißt Ihr denn so genau, mein Vater, was Gottes Reich fördern wird, daß Ihr es wagt, die Bitte um Milde, um Gerechtigkeit, um Treue gegen Eure eigenen Lehren zu verachten? Hat der König von Frankreich Italien denn verjüngt? Hütet Euch, mein Vater, daß Eure Feinde nicht Recht haben, wenn sie sagen, daß Ihr in Euren Visionen Dessen, was das Reich Gottes fördern soll, nur das seht, was Eure Partei kräftigen soll.«
»Und das ist wahr!« rief Savonarola mit flammenden Augen. Romola's Stimme war ihm in diesem Augenblicke als die Stimme seiner Feinde erschienen, »die Sache meiner Partei ist die Sache des Reichs Gottes!«
»Daran glaube ich nicht,« rief Romola, während ihr ganzer Körper vor Widerwillen bebte, »das Reich Gottes ist etwas größer – sonst, laßt mich draußen bleiben bei den Wesen, die ich liebe.«
Das Antlitz Beider glühte, jedes in entgegengesetzter Aufregung, jedes in entgegengesetzter Ueberzeugung. Weitere Worte waren unmöglich. Romola verhüllte eilig ihr Haupt und entfernte sich schweigend.