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Vierundsechszigstes Capitel.
Der Prophet in seiner Zelle.


Tito's Besuch in San Marco war bereits angemeldet, und er wurde sogleich von Fra Niccolo, dem Schreiber Savonarola's, die Wendeltreppe empor, durch die langen, mit Zellen versehenen Corridor's geführt, Corridor's, in denen Fra Angelico's Fresken, zart wie der Regenbogen auf dahinthauendem Gewölk, hier und da das ungewohnte Auge blendeten, als wären es plötzliche Widerstrahlungen aus einer ätherischen Welt, wo die Madonna in ihrer Strahlenglorie gekrönt saß, und das göttliche Kind mit ewiger Verheißung blickte.

Es war eine Feierstunde im Kloster, und die meisten Zellen waren leer. Das Licht blickte durch die engen Fenster nur auf nackte Wände, das harte Strohlager und das Crucifix; und selbst hinter dieser Thür, am Ende eines langen Corridors, in der inneren Zelle, die auf ein Vorzimmer stieß, wo der Prior gewöhnlich an seinem Pulte saß oder Privatbesuche empfing, fiel der lange Lichtstrahl auf nur noch einen Gegenstand, der einen eben so klösterlichen Anblick darbot, als die nackten Wände und das harte Lager. Es war dies nur die Rückseite einer Gestalt in der langen weißen Tunica und dem Scapulier, mit gebeugtem Haupt vor einem Crucifix knieend. Es hätte ein gewöhnlicher Fra Girolamo sein können, der nichts Schlimmeres zu beichten hatte, als an Unrechtes zu denken, während er im Chor mitsang, oder Schadenfreude zu empfinden, wenn Fra Benedetto die Tinte über seine eigenen Miniaturen in dem Breve, das er illuminirte, verschüttete – ein Fra Girolamo, der keinen höheren Gedankenflug hatte, als wohlbehalten auf der schmalen Leiter des Gebets, des Fastens und des Gehorsams in's Paradies zu gelangen. Aber gerade unter dieser weißen Tunika schlug ein Herz mit einem, jedem gewöhnlichen Mönche und vielleicht überhaupt jedem nicht durch innere Stürme zur Selbstkenntniß gelangten Menschen unfaßlichen Bewußtsein – einem Bewußtsein, in dem unwiderrufliche Irrthümer und Abweichungen von der Wahrheit so sehr mit edlen Zwecken und aufrichtiger Ueberzeugung verschlungen waren, in dem selbstentschuldigende Ausflüchte so innig mit dem Gewebe eines großen Werkes verflochten waren, welches das ganze Wesen so unfähig war aufzugeben, als der Körper unfähig war, das Erglühen und Streben vor Gegenständen der Hoffnung und Furcht zu unterlassen, daß es vielleicht unmöglich für das Gewissen war, was auch für ein Weg eingeschlagen werden mochte, vollkommen beruhigt zu werden.

Savonarola befand sich nicht nur in betender Stellung, sondern es flossen auch lateinische Worte des Gebetes über seine Lippen, und dennoch betete er nicht. Er war in seine Zelle getreten, dort auf die Kniee gesunken und in Worte des Flehens ausgebrochen, auf diese Weise eine Einhauchung der Ruhe suchend, welche ihm Bürgschaft leisten sollte, daß die ihm von wogenden Gedanken und Leidenschaften eingegrabenen Entschlüsse ihn nicht von der göttlichen Beihülfe losrissen. Die Ahnungen und Antriebe aber, die während der letzten Stunden in ihm stürmten, waren zu gewaltig, und während er die Hände gegen das Gesicht preßte und seine Lippen hörbar die Worte: » cor mundum crea in me« Schaffe in mir ein reines Herz. – D. Uebers. stammelten, war seine Seele noch von den Bildern der Schlingen erfüllt, welche seine Feinde ihm gestellt hatten, und beschäftigte sich noch fortwährend mit den Beweisen, durch die er sich ihren Schmähungen und Anklagen gegenüber rechtfertigen könnte.

Aber Savonarola mußte sich nicht nur wider seine Gegner vertheidigen. Am heutigen Morgen hatte er einen neuen Beweis erhalten, daß seine Freunde und Anhänger nicht minder als seine Feinde geneigt waren, auf die Feuerprobe zu dringen, indem sie wünschten und stillschweigend hofften, daß er selbst zuletzt die Herausforderung annehmen und das langerwartete Wunder, welches die Zweifel beseitigen und über die Bosheit triumphiren sollte, bewirken würde. Hatte er nicht gesagt, daß Gott sich zur rechten Zeit aussprechen würde? Und dem Verstand einfacher Florentiner, welche gern Parteifragen beseitigt wissen wollten, schien es keine günstigere Zeit, als eben die jetzige zu geben. Gewiß, wenn Fra Domenico unverletzt durch das Feuer ginge, so würde das schon ein Wunder sein, und der Glaube und der Eifer dieses guten Bruders würden als eine aufmunternde Vorbedeutung angesehen; aber Savonarola wußte sehr genau, daß das geheime Sehnen seiner Anhänger, ihn die Herausforderung annehmen zu sehen, durch keine Gründe, die er für sein Ablehnen gegeben hatte, beschwichtigt werden konnte.

Und doch war es ihm unmöglich sie zu befriedigen, und voll bitterer Noth sah er jetzt, daß es für ihn ganz unthunlich sei, der Vollziehung jener Probe hinsichtlich Fra Domenico's länger zu widerstehen. Nicht etwa, daß er eine Lüge geäußert und geschrieben hatte, als er seine Ueberzeugung von einem kommenden übernatürlichen Zeugniß für sein Werk erklärte; aber sein Geist war so beschaffen, daß, – während es ihm leicht war an ein Wunder zu glauben, das, da es noch fern und nicht genau bestimmt war, sich hinter den gewaltigen Gründen seines Geschehens barg, und noch leichter an innere Wunder, wie zum Beispiel an seine eigene prophetische Begeisterung und göttliche Offenbarung zu glauben – es ihm zugleich unüberwindliche Schwierigkeiten verursachte, an die Möglichkeit eines Wunders zu glauben, das wie dieses war, nämlich: unversehrt durch das Feuer zu kommen, das in allen seinen Einzelheiten auf seine Phantasie wirkte, und einen Anspruch nicht nur an Glauben, sondern auch an ein außergewöhnliches Wirken in sich schloß.

Savonarola's Charakter war einer von denen, in welchen ganz entgegengesetzte Richtungen zusammen in fast gleicher Stärke vorherrschen; die leidenschaftliche Feinheit der Empfindungen, welche des begränzten Gedankens überdrüssig, jede Idee mit Aufregung überfluthet und nach beschaulicher Ekstase strebt, wechselte bei ihm mit der scharfen Auffassung äußerer Thatsachen und einem gesunden, kräftigen Urteil über Menschen und Dinge.

Und bei diesem Vorkommniß der Feuerprobe wurde jene letztere Eigenthümlichkeit durch eine scharfe physische Empfänglichkeit, welche dem Begriffe von Schmerz und von Zerstörung oder einer nothwendigen Folge von Thatsachen, welche bereits als Ursachen des Schmerzes bekannt sind, eine überwältigende Kraft verleiht, zu ungewöhnlicher Lebendigkeit aufgestachelt. Die Leichtigkeit, mit welcher Menschen sich bereit finden, glühendes Eisen mit nassen Fingern anzufassen, ist nicht nach ihrer theoretischen Annahme der Unmöglichkeit, daß das Eisen sie verbrennen könne, zu bemessen; praktischer Glauben hängt von dem ab, was in einem gegebenen Augenblick sich im Geist am stärksten darstellt. Und bei der Beschaffenheit des Frate, da die Feuerprobe seiner Phantasie als ein unmittelbares Verlangen aufgedrängt wurde, war es ihm unmöglich zu glauben, daß er oder sonst Jemand unversehrt durch die Flammen gehen könne, oder daß, selbst wenn er sich entschlösse, sich als Opfer herzugeben, er nicht noch im letzten Augenblick davor zurückbeben würde.

Daß die Florentiner aber solche feine Unterscheidungen machen würden, war nicht wahrscheinlich. Der großen Menge ist es von jeher als ein Beweis geistiger Kraft erschienen, sittliche Fragen auf die leichte Schulter zu nehmen und das Benehmen nach kurzgefaßten Aenderungen desselben zu beurteilen. Und nichts müßte einfacher scheinen, als daß ein Mann, der einmal erklärt hatte, Gott werde ihn nicht ohne die Bürgschaft eines Wunders lassen, und der sich doch zurückzog, als es galt, seine Erklärung zu bewahrheiten, etwas gesagt hatte, an das er nicht glaubte. Waren nicht Fra Domenico und Fra Mariano und gegen zwanzig Piagnoni außerdem noch bereit, durch's Feuer zu gehen? Was war die Ursache ihres hohen Muthes anderes als ihr hoher Glaube? Savonarola hätte seinen Freunden sein Benehmen nicht genügend erläutern können, selbst wenn er fähig gewesen wäre, es sich selbst klar zu machen, und das war er nicht. Unsere bloßen Gefühle beeilen sich, sich in Vorschläge zu hüllen, welche sich unter unserem Vorrathe von Meinungen vorfinden, und um einen wahrhaften Bericht über das, was in uns vorgeht, abzustatten, ist noch etwas mehr nöthig als bloße Aufrichtigkeit, selbst wenn diese ganz und gar rein ist. Eben in diesen Augenblicken, als Savonarola in lautem Gebet kniete, hörte er nicht mehr die Worte aus seinem Munde gehen, denn sie wurden von inneren beweisführenden Stimmen übertönt, welche ihre Gründe immer mehr und mehr für eine äußere Versammlung gestalteten.

»Mich durch eine voreilige Annahme einer Herausforderung, die eine mir von unedlen Feinden gelegte Schlinge ist, an den Himmel mit einer Bitte um ein Wunder zu wenden, würde Gott versuchen heißen, und meine Bitte würde nicht erhört werden. Laßt den päpstlichen Legaten, laßt die Gesandten aller großen Mächte kommen und versprechen, daß die Zusammenberufung eines Generalconciliums und die Kirchenreform von dem Wunder abhängen sollen, und ich werde in die Flammen hineinschauen mit dem Vertrauen, daß Gott sein Siegel diesem großen Werke aufdrücken werde. Bis dahin aber spare ich mich für höhere, mir geradezu auferlegte Pflichten auf; es ist mir nicht gestattet, vom Wagen hinabzuspringen, um mit jedem lautschreienden Prahlhans zu kämpfen. Aber Fra Domenico's unbesiegbarer Eifer, die Probe zu bestehen, ist vielleicht das Zeichen eines göttlichen Berufes, das Pfand, daß das Wunder –«

Aber nein! als Savonarola seinen Geist dem drohenden Auftritte auf der Piazza zuwandte und sich einen in die Flamme hineingehenden menschlichen Körper vorstellte, schrak sein Glaube wieder zurück. Es war dies keine Begebenheit, die seine Phantasie einfach sehen konnte, er fühlte sie mit schauderndem Beben bis in die äußersten zarten Enden seiner Fingerspitzen. Das Wunder konnte nicht geschehen; die Probe selbst durfte nicht stattfinden; er mußte Alles thun, was in seiner Macht stand, um sie zu verhindern. Das Holz mochte auf der Piazza zurecht gelegt, das Volk versammelt, alle Vorbereitungen getroffen sein, das Alles war jetzt vielleicht unvermeidlich, und er konnte keinen längeren Widerstand leisten, ohne daß er sich und folglich auch die Sache Gottes mit Schmach überhäufte. Aber es war nicht wirklich beabsichtigt, daß der Franziskaner durch's Feuer gehen sollte, und so lange er selbst Anstand nahm, mußten sich auch die Mittel finden, Fra Domenico von dem Durchgang durch die Flammen abzuhalten. Im schlimmsten Falle, wenn Fra Domenico dazu gezwungen wurde, so sollte er die geweihte Hostie mit sich nehmen, und mit diesem Mysterium in den Händen stand zu erwarten, daß den gewöhnlichen Wirkungen des Feuers Einhalt gethan oder, was noch wahrscheinlicher war, daß man sich solchem Verlangen widersetzen und daß dieses ein Hinderniß sein würde, welches der Feuerprobe ein Ende machte.

Dergleichen Absichten durften aber nicht eingestanden werden; es mußte scheinen, als ob er aufrichtig die Probe erwarte und ihrem Ausgange mit Zuversicht entgegensehe. Dieser Mißklang zwischen innerer Wirklichkeit und äußerem Schein war nicht die christliche Einfalt, nach welcher er während der Jahre seiner Jugend und ersten Mannheit gestrebt, und über welche er als über die Hauptfrüchte des Lebens in Gott gepredigt hatte. Wer ist im Gewirre und der Hitze des Tages, mit glühenden Wangen, während das Geschrei in den Ohren widerhallt, so glücklich, seines Strebens am kühlen und stillen Morgen zu gedenken, und zu wissen, daß er dasselbe nicht getäuscht hat?

»O Gott, es ist um des Volkes willen, weil sie blind sind, weil ihr Glauben auf mir ruht. Wenn ich den Sack nehme und mich in die Asche werfe, wer wird das Banner aufnehmen und die Schlacht lenken? Bin ich nicht auf einem mir unbekannten Wege zu dem Werke, das vor mir liegt, geführt worden?«

Der Conflict war der Art, daß er nicht enden konnte, und in der Anstrengung zu stehender Vertheidigung badete die unruhige Seele ihren Schmerz beständig in Gedanken an die Größe dieser Aufgabe, welche, wenn er sich ihr entzöge, kein Mensch sonst erfüllen konnte. Es war nichts Alltägliches, daß Jemand von der Vision und der Kühnheit begeistert war, welche einen heiligen Rebellen ausmachten.

Selbst die Worte des Gebets waren verstummt. Er kniete noch immer, aber sein Geist war von den Bildern der Erfolge, welche ganz Europa fühlen sollte, erfüllt, und der Gedanke an die unmittelbar nahen Schwierigkeiten verlor sich in der Gluth jener Vision, als ein Klopfen an die Thür den erwarteten Gast verkündete.

Savonarola zog seinen Mantel um sich, ehe er seine Zelle verließ, wie es seine Gewohnheit war, wenn er Gäste empfing, und mit jener unmittelbaren Entgegnungsgabe auf jede Anfrage von außen, die einen machtliebenden Charakter, der gewohnt ist seine Gewalt durch die Sprache sich äußern zu lassen, eigen ist, trat er Tito mit einem so selbstbeherrschenden und tiefen Blick entgegen, als ob er sich statt von einem Widerstreit der Gefühle, von einem gefaßten Entschlusse erhoben hätte.

Tito kniete nicht, sondern machte nur eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, welche Savonarola ruhig, ohne irgend ein priesterliches Wort zu äußern, entgegen nahm und dann, indem er ihn zum Setzen, nöthigte, sogleich wie folgt begann:

»Ist Euer Geschäft ein so wichtiges, mein Sohn, daß es nicht durch Andere vermittelt werden konnte?«

»So ist es, mein Vater, sonst hätte ich mir nicht erlaubt, dasselbe auf mich zu nehmen. Ich will Eure Zeit nicht durch Einleitungen rauben. Ich vernahm aus einer Bemerkung des Messer Domenico Mazzinghi, daß es Euch lieb sein würde, Euch des nächsten Couriers, der mit Depeschen des Rathes der Zehn nach Frankreich geschickt wird, zu bedienen. Ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich zu diensteifrig gewesen bin; da aber Messer Domenico jetzt eben auf seinem Landgute ist, so wollte ich Euch mittheilen, daß ein Courier mit wichtigen Briefschaften morgen früh mit Tagesanbruch nach Lyon abgehen wird.«

Fra Girolamo verstand es, seine Gesichtsmuskeln vollständig zu beherrschen, wie dies alle Leute, deren Persönlichkeit eine gebietende ist, verstehen müssen, und in ruhig überlegten Reden war er gewöhnlich vorsichtig und vertraute Niemandem, ohne die äußerste Nothwendigkeit, seine Pläne an. Aber bei irgend einer gewaltigen geistigen Anregung waren seine Augen einer Erweiterung und einem erhöhten Glanz unterworfen, welche keine Willenskraft zu hindern vermochte. Er blickte Tito fest an, ohne aber gleich zu antworten, als wolle er erst überlegen, ob die Mittheilung, die er eben erhalten hatte, mit seinen Zwecken etwas gemein habe.

Tito, dessen Blick niemals zu beobachten schien, aber sich selten etwas entgehen ließ, hatte gerade diese Erweiterung und das Blitzen der Augen Savonarola's erwartet, welche er schon bei anderen Gelegenheiten bemerkt hatte. Er sah es, und beschäftigte sich sogleich damit, seine goldene Spange, welche sich verschoben hatte, in Ordnung zu bringen, indem er so andeutete, daß er mit Ruhe einer Antwort entgegen sähe.

Savonarola hatte auch in der That diese Mittheilung von Domenico Mazzinghi, einem der Herren vom Rath der Zehn, erwartet; dieser Mann war sein eifriger Schüler, dessen er sich schon bedient hatte, einen Privatbrief an den florentinischen Gesandten in Frankreich zu schreiben, um einem von Savonarola selbst geschriebenen, jetzt neben ihm im Pulte liegenden Brief den Weg zu bahnen. Dieses Schreiben forderte den König auf, mit dazu beizutragen, daß ein Generalconcilium zusammenberufen werde, um die Mißbräuche in der Kirche zu reformiren, und damit anzufangen, den Papst Alexander zu entthronen, der nicht rechtmäßig Papst, sondern ein lasterhafter Ungläubiger sei, durch Bestechung erwählt und durch Aemterschacher regierend.

Diese Thatsache war Tito unbekannt, aber seine aus geringen Andeutungen Schlußfolgerungen ziehende Combinationsgabe hatte ihn dieselbe errathen und hoffen lassen.

»Es ist wahr, mein Sohn,« sagte Savonarola ruhig, »ich habe Briefe, die ich sehr gern unter Siegel und sicherem Geleit an unsern Gesandten senden möchte. Wie Ihr wißt, hat unsere Brüderschaft von San Marco Geschäfte in Frankreich, da wir unter Anderem dem merkwürdig gelehrten und erfahrenen Franzosen, Signor Philipp de Comines, für eine Schuld wegen der medicäischen Bibliothek, die wir gekauft haben, haften; aber ich denke, daß Domenico Mazzinghi noch vor Abend nach der Stadt zurückkehren wird, und ich würde mehr Zeit gewinnen, die Briefe zuzurichten, wenn ich wartete, um sie seinen Händen zu übergeben.«

»Gewiß wäre dies in jeder Hinsicht außer in einer besser, ehrwürdiger Vater, nämlich, daß wenn etwas geschähe, was Messer Domenico's Rückkehr verzögerte, die Absendung der Briefe nothwendig verlangen würde entweder, daß ich zu einer späten Stunde wieder nach San Marco kommen müßte, oder daß Ihr sie mir durch Euren Secretär schicken müßtet, und ich fühle recht wohl, daß Ihr Euch gegen die falschen Schlußfolgerungen, die aus Eurem zu häufigen Verkehr mit irgend einem Staatsbeamten entständen, zu verwahren wünschtet.« Tito sah, indem er dieser Schwierigkeit Erwähnung that, ein, daß, je weniger der Mönch Geneigtheit zeigte, ihm zu trauen, desto mehr würde er in seiner Muthmaßung das Richtige getroffen haben.

Savonarola schwieg; während er aber seine Lippen zusammengepreßt hielt, zeigte sich in seinem Gesicht eine flüchtige Röthe bei der unterdrückten Aufregung, die in ihm aufstieg. Es mußte ein kritischer Augenblick sein, in dem er den Brief aus den Händen gab.

»Es ist höchst wahrscheinlich, daß Messer Domenico zur rechten Zeit zurückkehrt;« sagte Tito, indem er sich stellte, als betrachte er den Entschluß des Frate als gefaßt, und sich zugleich, während er sprach, von seinem Sitz erhebend – »mit Eurer Erlaubniß werde ich mich jetzt entfernen, mein Vater, um Eure Zeit nicht zu brandschatzen, nachdem ich meinen Auftrag ausgerichtet habe; da ich aber schwerlich die Gunst einer zweiten Unterredung mit Euch erlangen dürfte, so erlaube ich mir Euch etwas anzuvertrauen, was noch Niemandem als den zehn Magnifici bekannt ist, nämlich: daß ich meine Stelle als Secretarius aufzugeben und Florenz in Bälde zu verlassen gedenke. Bin ich zu anmaßend, wenn ich annehme, Ihr nähmet so vielen Antheil an mir, daß ich Euch mittheilen darf, was hauptsächlich mich selbst angeht?«

»Sprecht, mein Sohn!« entgegnete der Mönch, »ich wünsche Eure Aussichten zu kennen.«

»Ich finde, daß ich meinen wirklichen Beruf verfehlt habe, indem ich die Laufbahn der wirklichen Gelehrsamkeit, für die ich erzogen ward, verlassen habe. Die florentinische Politik, mein Vater, ist würdig, den größten Geist, wie den Eurigen, zu beschäftigen, wenn man in der Lage ist, seine eigenen Ideen ausführen zu können; wenn man aber, wie es bei mir der Fall ist, einzig die Aussicht hat, nichts als das Werkzeug wechselnder Pläne zu sein, so muß man von den kleineren Sympathieen eines geborenen Florentiners beseelt sein; auch die unselige Entfremdung meiner Gattin von einem Aufenthalt in Florenz nach den peinlichen Begebenheiten des Augustmonats wirkt auf mich ein. Ich wünsche mich wieder mit ihr zu vereinigen.«

Savonarola neigte sein Haupt wie zum Zeichen der Billigung.

»Ich beabsichtige also Florenz bald zu verlassen, die ersten Höfe Europa's zu besuchen, und meine Bekanntschaften mit den Gelehrten an den verschiedenen Universitäten zu erweitern. Ich werde zuerst an den ungarischen Hof gehen, wo Gelehrte stets besonders willkommen sind, und zwar denke ich mich in acht oder zehn Tagen dorthin zu begeben Ich habe kein Hehl vor Euch, ehrwürdiger Herr, daraus gemacht, daß ich kein Enthusiast für die Religion bin; ich besitze nicht die Gefühlstiefe meiner Gattin; aber so viel ich begreife, ist kein religiöser Enthusiasmus vonnöthen, um die Erhabenheit und Richtigkeit Eurer Ansichten über Regierung und Kirche zu würdigen. Und wenn Ihr Euch herablaßt, mich mit irgend einem Auftrage zu betrauen, welcher die Beziehungen, die Ihr anzuknüpfen wünscht, fördert, so würde ich mich hochgeehrt fühlen. Darf ich mich jetzt verabschieden?«

»Noch einen Augenblick, mein Sohn! Wenn Ihr Florenz verlaßt, so werde ich Eurer Gattin schreiben; ich möchte gern über ihr Seelenheil beruhigt sein, denn sie verließ mich im Zorn. Was die Briefe nach Frankreich betrifft, so will ich, so viel deren fertig sind –«

Savonarola erhob sich, während er sprach, und wendete sich nach dem Pulte. Er nahm aus demselben einen Brief, auf welchem Tito eine Aufschrift in des Frate eigener seiner und zierlicher Handschrift, wie man sie noch in den Randbemerkungen seiner Bibeln findet, wenn auch nicht lesen, so doch sehen konnte. Er nahm einen großen Bogen Papier, schloß das Schreiben darin ein und versiegelte ihn.

»Verzeiht, mein Vater!« sagte Tito, ehe Savonarola Zeit hatte fortzufahren, »wenn es nicht Euer ausdrücklicher Wunsch ist, möchte ich lieber nicht die Verantwortlichkeit, den Brief mitzunehmen, auf mich laden. Messer Domenico Mazzinghi wird sicher zurückkehren, wo nicht, kann Fra Nicolo ihn mir in der zweiten Nachmittagsstunde bringen, wenn ich dem Courier die übrigen Depeschen überliefere.«

»Jetzt, mein Sohn,« entgegnete der Frate, indem er diesen Punkt fallen ließ, »wünsche ich, daß Ihr dieses Paket an unseren Gesandten mit Eurer Handschrift, die der meines Secretärs bei weitem vorzuziehen ist, addressirt.«

Tito setzte sich, die Addresse zu machen, der Frate stand mit gekreuzten Armen neben ihm, die Röthe stieg ihm in die Wangen und seine Lippen begannen endlich zu beben. Als Tito sich wieder erhob und gehen wollte, sagte Savonarola rasch zu ihm:

»Nehmt das Schreiben hin; es ist unnütz, damit zu warten. Es ist mir nicht angenehm, wenn Fra Nicolo unnütz Botschaften nach dem Palazzo trägt.«

Tito nahm den Brief, und Savonarola stand in unterdrückter, jede weitere Unterhaltung unmöglich machender Aufregung da. Es scheint eine leise Ausströmung von leidenschaftlichen Charakteren, wie der seinige war, auszugehen, die deren Gemüthszustand unmittelbar Anderen verräth; wenn ihr Geist in die Ferne schweift und sie innerlich erregt sind, scheint ein Schweigen in der Luft zu liegen.

Tito machte eine tiefe Verbeugung und entfernte sich mit dem Brief unter dem Mantel.

Der Brief wurde dem Courier richtig übergeben und aus Florenz gebracht. Ehe dies aber geschah, hatte ein anderer, heimlich von Tito entsendeter Bote eine Mittheilung in Chiffern mit sich genommen, welche, durch eine ganze Kette von Vorspannpferden den bewaffneten Agenten des Herzogs von Mailand, Ludovico Sforza, die zu dem Zwecke, alle an der mailändischen Grenze anlangenden Depeschen aufzufangen, lauerten, überbracht wurde.



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