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Der nächste Tag war Palmsonntag oder Olivensonntag, wie er gemeiniglich in dem von Oelbäumen bewachsenen Valdarno genannt wurde, und die Morgensonne schien nach dem gestrigen Regen in einer noch schöneren Reinheit. Noch einmal bestieg Savonarola die Kanzel von San Marco und sah eine Schaar um sich versammelt, deren Glauben an ihn noch immer unerschüttert war, und an diesem Morgen erklärte er sich ruhig und mit trauriger Aufrichtigkeit bereit, zu sterben; er sah an der Spitze aller Visionen seinen Tod. Noch einmal sprach er den Segen, und sah die Gesichter von Männern und Frauen in ehrfurchtsvoller Liebe zu ihm emporgerichtet; dann verließ er die Kanzel, um sie nie mehr zu besteigen.
Denn ehe die Sonne unterging, war Florenz in vollem Aufruhr. Die Tags vorher aufgeregten Leidenschaften glimmten an diesem Morgen heimlich fort, und brachen endlich auf's Neue mit einer planweise erneuerten Wuth und nicht ohne amtliches Einverständniß aus. Der Aufstand hatte im Dom begonnen, als einige Compagnacci die Abendpredigt, zu welcher die Piagnoni versammelt waren, stören wollten. Kaum war aber das Blut der Menge in Wallung gekommen und die Störungen waren zu einer Schlägerei geworden, als das Geschrei: Nach San Marco! Werft Feuer in San Marco! erschallte.
Und lange, ehe noch das Tageslicht ganz entschwunden, waren Kirche und Kloster von einer wüthenden, immer mehr anschwellenden Menge belagert, – aber nicht ohne Widerstand. Die Mönche, welche schon längst die Feindseligkeiten draußen gewahrten, hatten Waffen in das Kloster geschafft, und einige von ihnen kämpften so wacker in ihren langen weißen Tuniken, als ob sie Tempelritter wären. Selbst der Befehl Savonarola's vermochte nichts gegen den Trieb der Nothwehr über Arme, die unter der Sarsche des Dominikanergewandes noch kräftig waren. Auch Laien waren dort, welche sich nicht entfernen wollten und von denen einige wüthend fochten. Man feuerte vom Hochaltar neben dem großen Crucifix, Steine und glühende Asche wurden vom Klosterdache heruntergeschleudert, und in den Kreuzgängen kämpfte man mit blanker Waffe. Trotz der Menge der Belagerer dauerte der Angriff bis spät in die Nacht hinein.
Die Demonstrationen der Regierung waren durchaus gegen das Kloster gerichtet; gleich bei Beginn des Angriffs waren Abtheilungen Wache geschickt worden, nicht etwa um die Angreifer zu zerstreuen, sondern um allen im Kloster Versammelten den Befehl zu überbringen, daß sie die Waffen niederlegen, den Nichtgeistlichen, daß sie das Kloster verlassen sollten, und Savonarola, daß er innerhalb zwölf Stunden das florentinische Gebiet verlasse. Hätte Savonarola darauf hin gleich das Kloster verlassen, so wäre er kaum dem Schicksal entgangen, in Stücke zerrissen zu werden; er selbst wollte gehen, aber seine Freunde hinderten ihn daran. Es wurde selbst von einigen hochgestellten Weltlichen als gefährlich erkannt, sich über die Gartenmauer zu retten, aber unter denen, welche dieses thaten, befand sich Francesco Valori, welcher hoffte, von draußen her Entsatz zu bringen.
Und jetzt, als es schon tief in der Nacht war, als der Kampf nicht viel länger dauern konnte und die Schwerter der Compagnacci bald in die Bibliothek dringen mußten, wo Savonarola mit den Brüdern, welche entweder nicht zu den Waffen gegriffen, oder sie auf seinen Befehl niedergelegt hatten, betete, – kam eine zweite Abtheilung Soldaten, von der Signoria beauftragt, sich der Person des Fra Girolamo und seiner zwei Mithelfer Fra Domenico und Fra Salvestro zu bemächtigen.
Laut erschallte das Gebrüll triumphirenden Hasses, als das Licht der Lanternen den Mönch zeigte, wie er zwischen einer Wache, die ihm keine andere Sicherheit als die des Gefängnisses verhieß, aus der Thür des Klosters trat. Jetzt kämpfte man darum, wer der Erste in dem Strom sein sollte, welcher sich durch die enge Straße ergoß, um den Propheten, von Schmach bedeckt, nach der Piazza bringen zu sehen, wo er ihr gestern getrotzt hatte, – wer den besten Platz haben sollte, ihn zu beschimpfen, zu treten und zu schlagen. Dies wurde einigen Compagnacci, die sich zwischen die Wachen mischen konnten, eben nicht zu schwierig.
Als Savonarola sich inmitten dieser schreienden Menge gezerrt und gestoßen sah, als Lanternen emporgehoben wurden, um ihm höhnische Gesichter zu zeigen, als er sich bespieen und unter den rohesten Schimpfreden getreten und geschlagen fühlte, schien es ihm, als sei die schlimmste Bitterkeit seines Lebens vorüber. Wenn die Menschen ihn als schuldig verdammten und nach seinem Blute lechzten, so erwartete ihn doch nur der Tod. Aber der ärgste Tropfen der Bitterkeit kann unseren Lippen nicht von draußen eingegeben werden, die tiefste Tiefe der Entsagung ist nicht im Martyrthum, sondern findet sich nur da, wo wir unser Haupt schweigend verhüllt und gefühlt haben: »Ich bin nicht würdig, ein Märtyrer zu sein, die Wahrheit wird siegen, aber nicht durch mich.«
Der kurze unvollkommene Triumph, den Mönch zu beschimpfen, der bald unter dem Thorwege verschwunden war, glich dem ersten Blute, das der Tiger gekostet hat. Gab es nicht Häuser der Freunde des Heuchlers zu plündern? Schon hatte sich die eine Hälfte der bewaffneten Menge, die zu weit nach hinten war, um werkthätig an der Belagerung des Klosters Theil nehmen zu können, an die einträglichere Arbeit gemacht, reiche Häuser anzugreifen, und zwar nicht in planloser Plünderungssucht, sondern mit der unterscheidenden Auswahl solcher Gebäude, welche den Häuptern der Piagnoni gehörten – ein Beweis, daß der Tumult organisirt war und daß der Pöbelhaufe mit Keulen und Stöcken von schwertumgürteten Compagnacci gut angeführt wurde. War nicht noch der zweite Hauptverbrecher nach dem Frate, war nicht der ehrgeizige Francesco Valori da, der im Verdacht stand sich mit Beihülfe des Mönchs zum Dogen oder zum Gonfaloniere auf Zeit Lebens machen zu wollen? Und der weißhaarige Mann, der vor acht Monaten seinen Arm und seine Stimme mit einem so wilden Begehr nach Gerechtigkeit gegen fünf seiner Mitbürger erhoben hatte, entkam aus dem Kloster San Marco nur, um zu erfahren, was Andere Gerechtigkeit nannten: sein Haus von einer wüthenden gierigen Menge umringt, sein Weib von einem Pfeilschusse durchbohrt zu sehen, und selbst, als er sich auf den Weg machte, einer Vorforderung in den Palast nachzukommen, von dem Schwerte Ridolfi's und Tornabuoni's ermordet zu werden.
Auf diese Art wurde diese Larve der Furien, »Revolution« genannt, in Florenz die Stunden der Nacht und des frühen Morgens hindurch fortgepielt.
Aber der Hauptlenker blieb unsichtbar; er hatte gewichtige Gründe, seine Befehle von einem abgelegenen Versteck aus zu ertheilen, da er einen zu großen Namen trug,um seine rothe Feder bei aller der vor Tagesanbruch noch zu verrichtenden Arbeit öffentlich wehen zu lassen. Dieser Versteck war dasselbe Haus, dasselbe Zimmer in einer ruhigen Straße zwischen Santa Croce und San Marco, wo wir Tito gesehen haben, wenn er Dolfo Spini insgeheim einen Besuch abstattete. Hier saß der Hauptmann der Compagnacci in jener denkwürdigen Nacht und empfing Gäste, einige als bewaffnete Compagnacci, andere verkappt und ohne sichtbare Waffen, die ab und an kamen und gingen. Der Tisch war reichlich mit Wein und Bechern für zufällige Besucher gedeckt, und obgleich Spini sich wohl vor übermäßigem Trinken hütete, so nahm er doch von Zeit zu Zeit genug zu sich, um die, von den ihm fortwährend zugebrachten Mittheilungen hervorgerufene Aufregung zu erhöhen.
Unter den vermummten Besuchern war Ser Ceccone einer der eifrigsten, und als die Stunden dem Morgendämmern zueilten, waren er und Francesco Cei, der sich jetzt nur zum Scheine und in der Erwartung, daß mit dem Sturz des Frate seine Verbannung widerrufen werden würde, in Florenz verborgen hielt, seine beständigen Gefährten.
Die Kerzen waren zu niedrigen formlosen Massen niedergebrannt, und Löcher in den Fensterläden wurden bereits durch ein mattes, von außen einfallendes Licht bemerkt, als Spini, der von seinem Sitze aufgefahren war, und nach einem, mit seinen beiden unkriegerischen Genossen gepflogenen Gespräche, mit Zornesröthe im Gesicht, heftig auf und ab ging, ausrief:
»Daß ihn der Teufel spieße! er soll es aber büßen! Ha ha, er soll die Klauen fühlen, wenn er nicht daran denkt. Er wollte also der große Mann sein? Er wollte also mir Alles in die Kappe schieben, als wäre ich ein blinder Bettler, und die ganze Zeit über hat er gewirkt und seine Tasche gefüllt. Ich hätte Lust, ihm ein Fell überzuhängen und meine Hunde auf ihn zu hetzen! Und nun hat er meinen schönen Rubin bekommen, den ich kindisch genug war ihm gestern zu geben. Verflucht! und er lachte sich vor zwei Jahren in's Fäustchen und vereitelte den besten Plan, der je ersonnen war. Ich war sein Thor, mich einem Schurken anzuvertrauen, der langgesponnene Anschläge hatte, deren Ende Niemand absah, als er allein.«
»Und obendrein ein Grieche, der in Florenz mit Edelsteinen bepackt hereinschneite,« sagte Francesco Cei, in dessen Zügen ein Anflug von Lustigkeit über Spini's Toben sichtbar war, »Ihr wähltet Euren Vertrauten eben nicht sehr klug, theurer Dolfo.«
»Er ist viel klüger als Ihr, Francesco, und auch noch schöner,« sagte Spini, sich gegen seine Genossen mit dem Wunsche, Alles was ihm in die Nähe kam, zu ärgern, wendend.
»Ich begreife gehorsamst,« bemerkte Ser Ceccone »Messer Francesco's poetischer Genius überwiegt –«
»Ja, ja, reibt Eure Hände! Ich hasse Eure Notarpfiffe,« unterbrach ihn Spini, dessen Gönnerschaft zum großen Theil in dieser Art von Freimuth bestand. »Aber da kommt Taddeo oder sonst Jemand; jetzt ist die Zeit! Was giebt es, wie?« fuhr er fort, als zwei Compagnacci mit erhitzten Mienen eintraten.
»Schlechte Neuigkeiten!« sagte »der Eine, »das Volk hatte sich vorgenommen, Soderini's Haus zu plündern, und da sie daran verhindert wurden, so werden sie sich gegen uns wenden, wenn wir uns nicht in Acht nehmen. Ich vermuthe, daß einige Medicäer unter ihnen herumsummen, und wir können es sehr bald erleben, daß sie Euern Palast jenseits der Brücke angreifen, wenn wir nicht einen andern Köder für sie finden«
»Ich habe ihn!« rief Spini, und indem er Taddeo beim Gürtel faßte, zog er ihn bei Seite, um ihm einige Anweisungen zu geben, während der Andere indeß Cei erzählte, wie die Signoria sich wegen Soderini's Haus in's Mittel gelegt hatte.
»So!« rief Spini jetzt, Taddeo leicht nach der Thür zu hinschiebend, »geht, und rasch abgefertigt!«