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Das Motto zu Kapitel 58 (in dieser Übersetzung Band 3, Kapitel 16):
For there can live no hatred in thine eye,
Therefore in that I cannot know thy change:
In many's looks the false heart's history
Is writ in moods and frowns and wrinkles strange:
But Heaven in thy creation did decree
That in thy face sweet love should ever dwell:
Whate'er thy thoughts or thy heart's workings be
Thy looks should nothing thence but sweetness tell.
Shakespeare: Sonnets.
Um die Zeit, wo Herr Vincy jene Voraussetzung in Betreff Rosamunden's machte, war es ihr selbst noch nie in den Sinn gekommen, daß sie dazu gedrängt werden könnte, sich in der Art, wie ihr Vater es voraussah, an ihn zu wenden. Sie hatte noch nichts, was einer Geldverlegenheit ähnlich sah, kennen gelernt, obgleich ihr häusliches Leben bereits eben so kostspielig wie ereignißvoll gewesen war.
Sie war zu früh von einem todten Kinde entbunden und alle gestickten Kleider und Mützchen hatten in das Dunkel eines Schrankes vergraben werden müssen. Man schrieb diesen Unfall lediglich dem Umstande zu, daß sie eines Tages, wo ihr Gatte gewünscht hatte, sie möge nicht ausreiten, darauf bestanden hatte, dies doch zu thun. Man glaube aber nicht, daß sie bei dieser Gelegenheit heftig geworden wäre oder ihrem Manne in unartiger Weise gesagt hätte, sie werde thun, was sie Lust habe.
Was ihr das Reiten so besonders angenehm erscheinen ließ, war ein Besuch des Hauptmanns Lydgate, des dritten Sohnes des Baronets, den unser Lydgate, wie ich leider bekennen muß, als einen schalen Laffen verabscheute, ›der sich das Haar nach einer (von Lydgate nicht mitgemachten) verächtlichen Mode von der Stirn bis zum Nacken scheitele und mit dem Applomb der Unwissenheit über jeden Gegenstand mitsprechen zu können glaube‹.
Lydgate verwünschte innerlich seine eigene Thorheit, daß er selbst diesen Besuch dadurch veranlaßt habe, daß er sich hatte bereit finden lassen, an der Hochzeitsreise seinen Onkel zu besuchen, und er machte sich Rosamunden recht unangenehm, so oft er ihr das vertraulich mittheilte. Denn für Rosamunde war dieser Besuch eine Quelle unvergleichlicher, wenn auch geschickt versteckter Genugthuung. Sie war so ganz erfüllt von dem Bewußtsein, einen Vetter, der der Sohn eines Baronet war, bei sich im Hause zum Besuch zu haben, daß sie sich vorstellte, auch alle übrigen Menschen müßten begreifen, was der Besuch eines solchen Vetters zu bedeuten habe, und wenn sie Hauptmann Lydgate ihren Gästen vorstellte, that sie es mit dem ruhigen Gefühl, daß sein Rang wie ein Parfüm auf sie wirken müsse.
Die Genugthuung, die ihr dieser Besuch gewährte, reichte für den Augenblick hin, ihr über eine gewisse Enttäuschung in der Ehe mit einem Arzt, wenn er auch von guter Familie war, hinwegzuhelfen; es schien ihr jetzt, daß ihre Heirath sie nicht nur in der Idee, sondern auch sichtlich über das Niveau des Middlemarcher Lebens erhoben habe, und in der Aussicht auf Besuche und Briefe nach und von Quallingham und auf ein sich daraus ergebendes unbestimmtes Avancement für Tertius lächelte ihr auch die Zukunft freundlich entgegen, namentlich seit, wahrscheinlich auf Veranlassung des Hauptmanns, seine verheirathete Schwester, Frau Mengan auf ihrer Rückreise von London mit ihrer Kammerjungfer zwei Tage in Lydgate's Hause gewohnt hatte. Unter solchen Umständen lohnte es sich für Rosamunde offenbar der Mühe, ihre Musik zu cultiviren und bei der Auswahl ihrer Spitzen sehr sorgfältig zu Werke zu gehen.
Was Hauptmann Lydgate selbst betrifft, so würden seine niedrige Stirn, seine schiefe Adlernase und seine etwas schwere Sprache wohl als sehr unvortheilhafte Eigenschaften an jedem jungen Manne erschienen sein, dem nicht ein Schnurrbart und ein militärischer Anstand das verliehen hätte, was einige holdselige blonde Wesen als › chic‹ verehren. Er hatte überdies jene Art von vornehmem Wesen, welches von den kümmerlichen Kleinlichkeiten der Gentilität der Mittelklassen frei war, und er übte eine scharfe Kritik weiblicher Reize.
Rosamunde gefiel sich in der Bewunderung dieses Herrn jetzt noch mehr, als sie es schon in Quallingham gethan hatte, und er fand es sehr angenehm, täglich mehrere Stunden im leichten Geplauder bei ihr zuzubringen. Im Ganzen war der Besuch für ihn einer der besten Späße, die er sich jemals gemacht hatte. –
Diesem Vergnügen that es keinen Eintrag, daß er argwohnte, sein kurioser Vetter Tertius wünsche ihn fort, wiewohl Lydgate, der (wenn ich mich so hyperbolisch ausdrücken darf) lieber gestorben wäre, als es an der strengsten Erfüllung der Pflichten der Gastfreundschaft fehlen zu lassen, seine Abneigung nicht weiter merken ließ, als daß er gewöhnlich so that, als höre er nicht, was der galante Offizier sagte, und Rosamunden für sich antworten ließ. Denn er war nichts weniger als ein eifersüchtiger Ehemann und ließ einen jungen Herrn in Uniform lieber allein mit seiner Frau, als daß er ihm Gesellschaft leistete.
»Du müßtest Dich bei Tisch mehr mit dem Hauptmann unterhalten, Tertius,« sagte Rosamunde eines Abends, nachdem der vornehme Gast sie verlassen hatte, um in Loamford einige dort stationirte Kameraden aufzusuchen. »Du siehst wahrhaftig bisweilen ganz abwesend aus – Du thust, wie wenn er Luft wäre und Du durch seinen Kopf hindurch nach etwas hinter ihm sähest, anstatt ihn anzusehen.«
»Liebe Rosy, Du verlangst doch nicht von mir, daß ich mich mit einem so eingebildeten Esel viel unterhalte,« sagte Lydgate brüsk. »Wenn er sich einmal seinen Schädel zerbräche, würde ich ihn vielleicht mit Interesse betrachten, eher nicht.«
»Ich kann nicht begreifen, wie Du so verächtlich von Deinem Vetter reden magst,« erwiderte Rosamunde, deren Finger, während sie sprach, in einer Weise an ihrer Stickerei fortarbeiteten, die ihrer Bewegung einen Ausdruck von mildem Ernst mit einer kleinen Nüance von Geringschätzung gab.
»Frag' doch einmal Ladislaw, ob er nicht Deinen Hauptmann für den langweiligsten Kerl hält, der ihm je vorgekommen ist. Seit er im Hause ist, läßt Ladislaw sich fast nicht mehr bei uns blicken.«
Rosamunde dachte bei sich, sie wisse ganz genau, warum Herr Ladislaw den Hauptmann nicht möge; er war eifersüchtig und das war ihr ganz angenehm.
»Wer kann für den Geschmack excentrischer Menschen einstehen!« antwortete sie. »Aber nach meiner Meinung ist Hauptmann Lydgate ein vollkommener Gentleman und Du solltest ihn, dünkt mich, aus Achtung für Sir Godwin nicht geringschätzig behandeln.«
»Gewiß nicht, liebes Kind; aber wir haben ja Diners für ihn gegeben. Und er ist ja völlig ungenirt bei uns. Mich braucht er gar nicht.«
»Du könntest aber doch, wenn er im Zimmer ist, ein wenig aufmerksamer gegen ihn sein. Er ist vielleicht kein Ausbund von Geist in Deinem Sinne; er hat ja auch einen ganz andern Beruf; aber Dir könnte es gar nicht schaden, wenn Du ein bischen auf seine Unterhaltung eingehen wolltest, die ich ganz angenehm finde. Und er ist nichts weniger als ein grundsatzloser Mensch.«
»Du möchtest gern, daß ich ein bischen mehr wie er wäre, Rosy,« murmelte Lydgate in einem resignirten Ton und mit einem Lächeln vor sich hin, das nicht gerade zärtlich und durchaus nicht heiter war.
Rosamunde schwieg und lächelte nicht; aber die anmuthigen Linien ihres Gesichts gaben ihr auch ohne Lächeln den Ausdruck guter Laune.
Jene Worte Lydgate's waren wie ein trauriger Meilenstein, an dem sich abmessen ließ, wie weit er sich schon von jenem alten Traumlande entfernt hatte, in welchem Rosamunde Vincy ihm als jene Verkörperung der Weiblichkeit erschien, die dem Geiste ihres Gatten ehrfurchtsvoll nach Art einer Loreley huldigen und nur zur Erholung für seine angebetete Weisheit ›Ihr Haar mit goldenem Kamme kämmen‹ und ihr Lied dabei singen werde. Er hatte angefangen, des Unterschiedes zwischen jener eingebildeten Anbetung und der Anziehungskraft inne zu werden, welche die Talente eines Mannes nur deshalb üben, weil sie ihm einen Nimbus verleihen und weil sie, wie ein Orden in seinem Knopfloch oder ein ›von‹ vor seinem Namen Diese Übertragung Lehmanns von » an Honourable before his name« passt nicht in die englische Welt, in der es ein solches Adelsprädikat nicht gibt. – Anm.d.Hrsg. erscheinen.
Man hätte vielleicht denken können, daß auch Rosamunde sich weit von jenem Zeitpunkte entfernt habe, wo sie die pointenlose Unterhaltung des Herrn Ned Plymdale äußerst langweilig fand. Aber die meisten Menschen finden eine gewisse Art von Unterhaltung unerträglich leer und lassen sich doch eine andere Art von leerer Unterhaltung gefallen – was sollte auch sonst wohl aus geselligen Verhältnissen werden?
Hauptmann Lydgate's Leere hatte einen feinen Parfüm, präsentirte sich mit › chic‹, brachte sich mit einer guten Aussprache zur Geltung und hatte besonders den Reiz einer nahen Verwandtschaft mit Sir Godwin. Rosamunde fand diese leere Unterhaltung ganz angenehm und eignete sich manche Wendungen derselben an.
Es war daher für sie, die, wie wir wissen, das Reiten liebte, begreiflicherweise keine geringe Versuchung, einmal wieder einen Spazierritt zu machen, als Hauptmann Lydgate, der seinen Diener mit seinen zwei Pferden im ›Grünen Drachen‹ hatte absteigen lassen, sie bat, es mit dem Grauschimmel zu versuchen, der darauf trainirt sei, von einer Dame geritten zu werden und für dessen Sanftmuth er einstehe; er habe das Pferd gerade für seine Schwester gekauft und wolle es mit nach Quallingham nehmen.
Das erste Mal war Rosamunde fortgeritten, ohne ihrem Manne etwas davon zu sagen, und zurückgekehrt, bevor er wieder nach Hause gekommen war; aber der Ritt war so vortrefflich ausgefallen und ihr, wie sie versicherte, so gut bekommen, daß sie Lydgate in der zuversichtlichen Erwartung, er werde ihr erlauben, wieder auszureiten, davon erzählte. Aber weit gefehlt. Lydgate war nicht nur gekränkt, sondern in Wahrheit höchst bestürzt darüber, daß Rosamunde es gewagt hatte, auf einem fremden Pferde auszureiten, ohne ihn um Erlaubniß gefragt zu haben. Nach den ersten fast donnernden Ausrufen des Erstaunens, welche Rosamunden hinreichend auf das, was sie zu erwarten hatte, vorbereiteten, schwieg er eine Weile.
»Nun, Du bist dieses Mal noch gut davon gekommen,« sagte er endlich in ganz entschiedenem Tone; »es versteht sich aber von selbst, Rosy, daß Du nicht wieder ausreitest. Und wenn Du das ruhigste, Dir bekannteste Pferd von der Welt rittest, so könnte Dir doch immer ein Unfall zustoßen. Und Du weißt sehr gut, daß ich deshalb gewünscht habe, Du mögest das Reiten auf dem Rothschimmel aufgeben.«
»Aber, Tertius, einen Unfall kann man ja auch im Hause haben.«
»Lieber Engel, sprich doch keinen Unsinn,« sagte Lydgate in einem flehenden Ton, »Du mußt Dich darin meinem Urtheile fügen, und ich denke, es genügt, wenn ich sage, daß Du nicht wieder reiten sollst.«
Rosamunde war eben damit beschäftigt, sich vor Tische das Haar zu machen, und das Bild ihres Gesichts im Spiegel zeigte keine Veränderung ihrer lieblichen Züge; nur der lange Hals war etwas seitwärts geneigt. Lydgate, der, die Hände in den Taschen, auf und abgegangen war, blieb jetzt neben ihr stehen, als ob er eine Zusage erwarte.
»Stecke mir doch einmal meine Flechten fest, lieber Tertius,« sagte Rosamunde und ließ dabei ihre Arme mit einem kleinen Seufzer sinken, so daß ihren Mann das Gefühl der Scham überkommen mußte, daß er wie ein roher Klotz dastehe. Lydgate, der mit seinen großen, schöngeformten Fingern einer der geschicktesten Menschen war, hatte schon oft Rosamunden ihre Flechten aufgesteckt. Er nahm die weichen Flechtengewinde in die Höhe und steckte sie mit dem langen Kamme fest. Zu solchen Diensten lassen Männer sich brauchen! Und was konnte er jetzt thun, als den reizenden Nacken, der mit seinen feinen Linien vor ihm lag, küssen. Aber wenn wir auch thun, was wir bereits früher gethan haben, so empfinden wir doch oft verschieden dabei. Lydgate war noch immer erzürnt und hatte nicht vergessen, worauf er hinaus wollte.
»Ich werde dem Hauptmann sagen, daß er hätte wissen müssen, wie verkehrt es von ihm sei, Dir sein Pferd anzubieten,« sagte er, im Begriff hinauszugehen.
»Ich bitte Dich dringend, nichts der Art zu thun, Tertius,« erwiderte Rosamunde, indem sie ihn ansah, mit einem etwas markirteren Ton als gewöhnlich: »Das hieße mich behandeln wie ein Kind. Versprich mir, die Sache mir zu überlassen.«
Lydgate konnte sich der Richtigkeit ihres Einwandes nicht verschließen und sagte in einem verdrießlich gehorsamen Ton: »Gut, meinetwegen,« und so endete diese Erörterung damit, daß er Rosamunden, nicht aber Rosamunde ihm, ein Versprechen gab.
In der That war Rosamunde entschlossen gewesen, nichts zu versprechen. Sie besaß jenen souveränen Eigensinn, der eine Energie nie in einem ungestümen Widerstande verschwendet. Was sie zu thun Lust hatte, war für sie das Rechte, und sie bot ihre ganze Geschicklichkeit auf, um sich die Mittel, das zu thun, zu verschaffen. Sie gedachte wieder auf dem Grauschimmel zu reiten und that es bei der nächsten Gelegenheit, wo ihr Mann nicht zu Hause war, mit der Absicht, es ihn nicht eher wissen zu lassen, bis es ihr gleichgültig sein könne, ob er es wisse oder nicht.
Die Versuchung war gewiß sehr groß; das Reiten machte ihr an und für sich großes Vergnügen, und die Genugthuung, auf einem schönen Pferde neben dem auf einem anderen Pferde sitzenden Hauptmann Lydgate, Sir Godwin's Sohn, zu reiten und so von Jedermann außer von ihrem Gatten gesehen zu werden, war etwas, das ihren vor der Heirath gehegten Träumen entsprach; überdies befestigte sie ja auf diese Weise die Verbindung mit der Familie in Quallingham, und das konnte doch nur sehr weise sein.
Aber der durch das plötzliche Niederstürzen eines am Rande des Gehölzes von Hallsell gefällten Baumes betroffen gemachte sanfte Grauschimmel scheute und verursachte Rosamunden einen schlimmen Schreck, der schließlich zu dem Verlust ihres Kindes führte. Lydgate durfte seinen Zorn an Rosamunden nicht auslassen, benahm sich aber etwas bärenhaft gegen den Hauptmann, dessen Besuch natürlich ein rasches Ende nahm.
Bei allen späteren Unterhaltungen über die Sache behauptete Rosamunde mit sanfter Entschiedenheit, daß der Ritt mit ihrem Unfalle nichts zu thun habe und daß sich, auch wenn sie ruhig zu Hause geblieben wäre, dieselben Symptome gezeigt haben würden, weil sie schon vorher etwas ähnliches gefühlt habe.
Lydgate konnte nur sagen »Armes, armes Kind!« aber im Stillen wunderte er sich über die furchtbare Zähigkeit dieses milden Wesens.
Zu seinem eigenen Entsetzen reifte in ihm das Bewußtsein seiner Machtlosigkeit über Rosamunde. Sein Wissen und seine geistige Ueberlegenheit wurden von ihr, anstatt, wie er sich vorgestellt hatte, als ein bei jeder Gelegenheit anzurufender Heiligenschrein betrachtet zu werden, bei jeder praktischen Frage einfach bei Seite gesetzt. Er hatte geglaubt, Rosamunden's geistige Befähigung sei von jener rein receptiven Art, wie sie der weiblichen Natur entspreche. Er fing jetzt an zu erkennen, worin diese geistige Befähigung bestehe, wie dieselbe sich in ihrer Unabhängigkeit wie in einem dichten Netze verfangen und gegen jede Berührung von außen abgeschlossen habe.
Niemand konnte rascher als Rosamunde Ursachen und Wirkungen erfassen, welche im Bereiche ihrer Neigungen und Interessen lagen; sie hatte Lydgate's hervorragende Stellung in der Middlemarcher Gesellschaft klar erkannt und konnte sich vermöge ihrer Einbildungskraft noch angenehmere gesellschaftliche Wirkungen für die Zeit ausmalen, wo seine Talente ihn weiter gefördert haben würden; aber sein ärztlicher und wissenschaftlicher Ehrgeiz war für diese wünschenswerthen Wirkungen in ihren Augen von nicht größerer Bedeutung, als wenn er sein Genüge an der Entdeckung eines übelriechenden Oels gefunden hätte. Und abgesehen von diesem Oel, mit welchem sie nichts zu thun hatte, gab sie natürlich mehr auf ihre eigene Meinung als auf die seinige.
Lydgate war bei unzähligen geringfügigen Veranlassungen nicht minder als bei dem letzten ernsten Fall mit dem Ritt erstaunt, zu finden, daß die Liebe sie nicht nachgiebiger zu machen vermöge. Er zweifelte nicht, daß diese Liebe wirklich vorhanden sei, und war sich nicht bewußt, irgend etwas gethan zu haben, dieselbe zu verscherzen. Er für sein Theil sagte sich, daß er sie so zärtlich wie je liebe und sich durch ihr ablehnendes Verhalten nicht beirrt fühle; aber wenn auch! Lydgate litt doch innere Qualen und konnte sich des Bewußtseins nicht erwehren, daß neue Elemente in sein Leben eingetreten seien, die der freien Entfaltung seines Wesens so schädlich waren, wie die Trübung eines kristallklaren Wassers für ein Geschöpf, das gewohnt war, in diesem reinen Elemente zu athmen, zu baden und seiner hellbeleuchteten Beute nachzujagen.
Sehr bald nach ihrem Unfall saß Rosamunde wieder anmuthiger als je an ihrem Arbeitstische, fuhr in ihres Vaters Phaeton spaziren und schmeichelte sich mit der Erwartung, daß sie nach Quallingham werde eingeladen werden. Sie wußte, daß sie eine viel schönere Zierde für den dortigen Salon sei, als irgend eine von den Töchtern des Hauses, nahm aber vielleicht bei der Erwägung, daß die Herren davon überzeugt seien, keine hinreichende Rücksicht auf die Frage, ob auch die Damen ein lebhaftes Verlangen danach tragen würden, sich verdunkelt zu sehen.
Lydgate war, seit er nicht mehr um sie besorgt zu sein brauchte, wieder in Das verfallen, was sie sein Brummen nannte – ein Wort, mit welchem sie sowohl seine nachdenkliche Präoccupation mit Dingen, die sie nichts angingen, als seinen Ausdruck des Unbehagens und Widerwillens gegen alle gewöhnlichen Dinge, wie wenn sie einen bittern Geschmack hätten, bezeichnete. Und wirklich war dieser Ausdruck bei ihm ein richtiger Barometer dessen, was ihn verstimmt hatte und noch ferner verstimmen würde.
Grund zu einer solchen Verstimmung gab ihm neben Anderem etwas, das er großmüthiger, aber verkehrter Weise gegen Rosamunde zu erwähnen vermieden hatte, um ihre Gesundheit und gute Laune zu schonen. Zwischen ihm und ihr fehlte es gänzlich an einem gegenseitigen Verständniß ihrer geistigen Naturen, ein Verhältniß, welches auch zwischen Menschen, die fortwährend an einander denken, sehr wohl bestehen kann.
Lydgate war sich bewußt, seit Monaten die Hälfte seines besten Willens und Vermögens seiner zärtlichen Liebe für Rosamunde geopfert, ihre kleinen Ansprüche und Unterbrechungen geduldig getragen und vor Allem, ohne je ein bitteres Wort zu äußern, es ertragen zu haben, wie ihm allmälig jede Illusion über die Natur ihres Geistes geschwunden war, wie sich ihm immer mehr die Erkenntniß aufgedrängt hatte, daß sie völlig unempfänglich sei für die unpersönlichen Zwecke seines Berufs und seiner wissenschaftlichen Studien, welche das ideale Weib seiner Vorstellung als erhaben anbeten mußte, ohne sich über die Gründe ihrer Verehrung die mindeste Rechenschaft zu geben.
Aber in sein Ertragen mischte sich eine Unzufriedenheit mit sich selbst – jene Unzufriedenheit mit uns selbst, von der wir, wenn wir aufrichtig sein wollen, bekennen müssen, daß sie mehr als die Hälfte unserer Bitterkeit bei unseren Bekümmernissen, einschließlich derer über unserer Ehe, ausmacht. Es bleibt immer wahr, daß, wenn wir größer gewesen wären, die Verhältnisse weniger Macht über uns gewonnen hätten. Lydgate wußte recht wohl, daß seine Concessionen an Rosamunde oft wenig mehr als die Folge einer unzulänglichen Entschlußfähigkeit und der schleichenden Lähmung waren, welche sich leicht eines Enthusiasmus bemächtigt, der uns einem fortdauernden Element unsres Lebens gegenüber im Stiche läßt. Und auf Lydgate's Enthusiasmus drückte fortwährend nicht die Last eines einfachen Kummers, sondern die Bitterkeit einer jener kleinen entwürdigenden Sorgen, die uns wie ein Hohn auf alle höheren Bestrebungen zu verfolgen scheinen. Das war die Sorge, die er bis jetzt vor Rosamunden verheimlicht hatte und von der er, so sehr es ihn wunderte, annehmen mußte, daß sie ihr noch nie in den Sinn gekommen sei, obgleich es gewiß für ein aufmerksames Auge keine weniger verborgene Verlegenheit hätte geben können.
Es war ein aus den zu Tage liegenden Umständen nur zu leicht zu ziehender Schluß, den auch gleichgültige Zuschauer bereits gezogen hatten, daß Lydgate verschuldet sei; und er konnte sich nicht lange der Einsicht verschließen, daß er täglich tiefer in diesen Sumpf gerathe, der die Menschen durch eine so anmuthige Decke von Rasen und Blumen anzulocken weiß. Es ist wunderbar, wie leicht ein Mann bis an das Kinn in diesen Sumpf geräth, in eine Lage, aus welcher sich zu befreien sein Hauptgedanke sein muß, auch wenn er die Idee des Universums in seiner Seele trüge.
Vor achtzehn Monaten war Lydgate, wie wir wissen, ohne Vermögen gewesen, hatte aber nie die Bitterkeit kleiner Geldverlegenheiten gekannt, hatte vielmehr eine tiefe Verachtung für Jeden empfunden, der seiner Stellung das Geringste vergab, um solchen Verlegenheiten vorzubeugen. Er lernte jetzt etwas kennen, was schlimmer war als ein einfaches Deficit; er sah sich von den gemeinen und widerwärtigen Anfechtungen bestürmt, denen ein Mensch ausgesetzt ist, der eine große Menge von Dingen gekauft und benutzt hat, die er hätte entbehren können und die er nicht bezahlen kann, obgleich seine Gläubiger anfangen ihn zu drängen.
Wie das kam, wird man auch, ohne ein großer Rechenmeister zu sein und ohne eine große Kenntniß der damaligen Preise zu besitzen, begreifen können. Wenn ein Mann bei der Einrichtung seines Hauses vor seiner Heirath findet, daß seine Ausgaben für Möbel und andere Einrichtungskosten sich auf vier- bis fünfhundert Pfund mehr belaufen, als er Kapital besitzt, sie zu bezahlen, und wenn es sich am Schluß des Jahres herausstellt, daß sich seine Jahresausgaben für Haushalt, Pferde und sonstige Dinge auf nahezu tausend Pfund belaufen, während der Ertrag der Praxis, der sich nach den Büchern seines Vorgängers auf jährlich achthundert Pfund bezifferte, gefallen ist wie ein Teich im Sommer und kaum eine Summe von fünfhundert Pfund (deren größter Theil noch erst eingehen soll) ausmacht, so ergiebt sich aus diesen Thatsachen, daß er, gleichviel, ob er sich darüber Sorge macht oder nicht, verschuldet ist.
Das Leben war um jene Zeit weniger kostspielig als heute, und das Leben in der Provinz war verhältnißmäßig bescheiden; aber die Leichtigkeit, mit welcher ein Arzt, der kürzlich eine Praxis gekauft hatte, der glaubte, er müsse zwei Pferde halten, der einen guten Tisch führte und eine Summe für die Versicherung seines Lebens und eine hohe Miethe für Haus und Garten bezahlte, dazu kommen konnte zu finden, daß seine Ausgaben seine Einnahme um das Doppelte übersteigen, wird jeder leicht begreifen können, der es nicht unter seiner Würde hält, sich mit der Betrachtung solcher Dinge zu beschäftigen.
Rosamunde, die von Jugend auf an einen verschwenderischen Haushalt gewöhnt war, glaubte, daß gutes Haushalten einfach darin bestehe, von Allem das Beste anzuschaffen, und dabei ›stehe man sich gut‹, und Lydgate war der Meinung, daß, ›wenn die Sachen überhaupt geschähen, sie ordentlich gethan werden müßten‹. Er begriff nicht, wie man anders leben könne. Wenn man ihm zum Voraus jede einzelne Art von Haushaltsausgaben genannt hätte, so würde er wahrscheinlich bemerkt haben, daß das doch kaum viel kosten könne, und wenn Jemand ihm eine Ersparniß bei irgend einer Ausgabe z. B. die Ersetzung eines theuren Fisches durch einen billigen vorgeschlagen hätte, so würde ihm das einfach als eine unwürdig kleinliche Knauserei erschienen sein.
Rosamunde liebte es, auch ohne eine Veranlassung wie die des Besuchs von Hauptmann Lydgate, Leute bei sich zu sehen, und Lydgate legte ihr dabei, obgleich er seine Gäste oft langweilig fand, nichts in den Weg. Die Aufrechterhaltung dieses geselligen Verkehrs schien ihm durch seinen Beruf geboten, und die Gäste mußten anständig bewirthet werden. Lydgate ging zwar täglich in den Wohnungen der Armen aus und ein und wußte seine Vorschriften für ihre Diät ihren beschränkten Mitteln anzupassen, aber Du lieber Gott! kann es noch irgend Jemandem merkwürdig erscheinen, ist es nicht vielmehr gerade das, worauf wir bei den Menschen gefaßt sein müssen, daß sie die verschiedenartigsten Erfahrungen zu ihrer Verfügung haben, ohne dieselben jemals mit einander zu vergleichen?
Ausgaben gewinnen, wie Häßlichkeit und Irrthümer, ein ganz neues Ansehen für uns, wenn wir unsere Person mit denselben in Verbindung bringen und sie nach dem gewaltigen Unterschiede bemessen, welcher in unserem Bewußtsein zwischen uns und Anderen besteht. Lydgate glaubte sich um seine Toilette nicht viel zu kümmern und verachtete Männer, die den Effect ihres Anzuges studiren; nur schien es ihm ganz selbstverständlich, daß er immer Ueberfluß an neuen Kleidern habe. Von solchen Dingen mußte natürlich eine Menge auf einmal bestellt werden. Vergessen wir nicht, daß er bisher noch nie die Gêne lästiger Schulden empfunden hatte und daß er sich im täglichen Leben durch Gewohnheit und nicht durch Selbstkritik leiten ließ. Jetzt aber empfand er diese Gêne.
Ihre Neuheit machte sie nur um so verdrießlicher. Es erfüllte ihn mit Staunen und Widerwillen, daß Lebensbedingungen, die allen seinen Zwecken so fern lagen und so widerwärtig außer allem Zusammenhange mit den Angelegenheiten standen, auf die er Werth legte, ihm wie in einem Hinterhalte aufgelauert und ihn, ohne daß er sich ihrer versah, gepackt hatten.
Und es handelte sich nicht nur um die augenblicklichen Schulden; er mußte sich sagen, daß er in seiner gegenwärtigen Lage diese Schuldenlast nothwendig noch fortwährend werde vermehren müssen. Zwei Lieferanten in Brassing, deren Rechnungen er schon vor der Heirath erhalten hatte und die zu bezahlen er seitdem stets durch unvorhergesehene laufende Ausgaben verhindert worden war, hatten ihm wiederholt unangenehme Mahnbriefe geschrieben, die er unmöglich unberücksichtigt lassen durfte.
Dergleichen konnte wohl keinen Menschen empfindlicher treffen als Lydgate mit seinem unbeugsamen Stolz und seiner Abneigung dagegen, irgend Jemanden um eine Gefälligkeit zu bitten oder ihm verpflichtet zu sein. Er hatte die Zumuthung, über Herrn Vincy's Geneigtheit, ihm irgend eine pecuniäre Zuwendung zu machen, auch nur Vermuthungen anzustellen, mit Hohn zurückgewiesen, und nur die äußerste Verlegenheit hätte ihn dahin bringen können, sich an seinen Schwiegervater zu wenden, selbst wenn er nicht seit seiner Verheirathung verschiedentlich auf indirecte Weise in Erfahrung gebracht hätte, daß es mit Herrn Vincy's eigenen Angelegenheiten nicht glänzend bestellt sei, und daß die Erwartung einer Unterstützung von seiner Seite eine üble Aufnahme finden würde.
Einige Menschen hegen eine leichte Zuversicht zu der Dienstfertigkeit ihrer Freunde; Lydgate war es in seinem früheren Leben nie in den Sinn gekommen, daß er je in die Lage gerathen könne, sich vertrauensvoll an Andere zu wenden; er hatte nie daran gedacht, wie schwer ihm das Borgen fallen würde; aber jetzt, wo er sich mit dem Gedanken daran beschäftigen mußte, fühlte er, daß er sich lieber jedem andern Ungemache aussetzen würde. Inzwischen hatte er aber doch kein Geld und keinerlei Aussichten, welches zu bekommen, und seine Praxis gestaltete sich nicht lucrativer.
So war es wohl kein Wunder, daß Lydgate während der verflossenen Monate nicht im Stande gewesen war, in seinem Wesen die Spuren seiner Sorgen ganz zu unterdrücken; und jetzt, wo Rosamunden's Gesundheitszustand nichts mehr zu wünschen übrig ließ, dachte er daran, sie in Betreff seiner Verlegenheiten ganz in's Vertrauen zu ziehen. Seine neue Bekanntschaft mit Rechnungen von Lieferanten hatte ihm eine neue Anschauung aufgedrängt; er hatte angefangen, die Nothwendigkeit oder Ueberflüssigkeit der früher angeschafften Gegenstände aus einem neuen Gesichtspunkte zu betrachten, und war zu der Erkenntniß gelangt, daß in seinen Lebensgewohnheiten eine Veränderung eintreten müsse. Wie war es aber möglich, eine solche Veränderung ohne Rosamunden's Mitwirkung vorzunehmen? Bald fand sich für ihn eine unmittelbare Nöthigung, ihr die unangenehme Sachlage mitzutheilen.
Da es ihm an Geld fehlte, hatte Lydgate darüber nachgedacht, welche Sicherheit ein Mann in seiner Lage wohl gewähren könne, und hatte dem weniger drängenden Gläubiger, einem Goldschmied, der sich bereit erklärt hatte, gegen mäßige Zinsen für eine bestimmte Zeit auch die Forderung des Tapeziers mit zu übernehmen, die einzige ihm zu Gebote stehende, gute Sicherheit angeboten. Die erforderliche Sicherheit bestand in einer Verpfändung des gesammten Mobiliars in seinem Hause, eine Verpfändung, die einen Gläubiger in Betreff einer Schuld von weniger als vierhundert Pfund begreiflich fügsam machen konnte, und der Goldschmied, Herr Dover, erklärte sich noch überdies bereit, einen Theil des Silberzeugs und jeden anderen Gegenstand, der noch so gut wie neu sei, zurückzunehmen und die Schuld dadurch zu reduciren. ›Jeder andere Gegenstand‹ war ein Ausdruck, der eine zarte Hindeutung auf Juwelen und ganz speciell auf einige dunkelviolette Amethysten enthielt, welche Lydgate für den Preis von dreißig Pfund gekauft und Rosamunden als Hochzeitsgeschenk verehrt hatte.
Die Ansichten über die Zweckmäßigkeit eines solchen Geschenks können getheilt sein; vielleicht finden Einige, daß es eine zarte Aufmerksamkeit war, die man von einem Manne wie Lydgate wohl erwarten durfte, und daß die Schuld etwaiger unangenehmer Folgen dieser Gabe nur an der dürftigen Kleinlichkeit des Lebens in der Provinz zu jener Zeit, – welches keine Bequemlichkeiten für Leute mit einem bürgerlichen Beruf, deren Vermögen nicht im Verhältniß zu ihrer Geschmacksrichtung stand, darbot –, und in Lydgate's lächerlich hochmüthigem Widerwillen dagegen, seine Freunde um Geld anzusprechen, gelegen habe.
Indessen war ihm an jenem schönen Morgen, wo er hingegangen war, um seine letzten Bestellungen von Silbergeschirr zu machen, die Summe nur sehr unbedeutend erschienen. Angesichts anderer ungeheuer kostspieliger Juwelen und in Verbindung mit andern Aufträgen, deren Betrag er nicht genau berechnet hatte, konnten doch dreißig Pfund für einen für Rosamunden's Hals und Nacken so ungemein passenden Schmuck kaum als eine extravagante Ausgabe erscheinen, so lange es sich dabei nicht um eine Ueberschreitung des augenblicklichen Baarvorraths handelte.
In der gegenwärtigen Krisis aber konnte Lydgate seiner Einbildungskraft nicht wehren, sich die Möglichkeit einer Rückkehr der Amethysten in Herrn Dover's Schaukästen zu vergegenwärtigen, wenn er auch vor dem Gedanken, Rosamunden eine solche Proposition zu machen, zurückschreckte. Da er sich einmal durch die Umstände gedrängt sah, Folgen, an die er sonst gar nicht zu denken pflegte, scharf in's Auge zu fassen, nahm er sich vor, auf Grund dieser neuen Auffassung der Verhältnisse etwas von der Strenge, mit welcher er bei seinen Experimenten zu operiren gewohnt war, zur Anwendung zu bringen.
Auf diese Strenge bereitete er sich vor, als er von Brassing wieder nach Hause ritt, und dachte darüber nach, wie er Rosamunden die Sache vorstellen wolle.
Es war Abend, als er nach Hause kam. Er fühlte sich tief unglücklich – dieser so reich begabte Mann in der Blüthe seiner Jahre. Er machte sich nicht leidenschaftliche Vorwürfe über den schweren Mißgriff, den er begangen hatte; aber dieser Mißgriff wirkte in ihm wie ein chronisches Leiden, das sich unbehaglich und lästig in jede Aussicht auf die Zukunft eindrängt und jeden Gedanken lähmt.
Als Lydgate über den Corridor nach dem Wohnzimmer ging, hörte er Klavierspiel und Gesang. Natürlich war Ladislaw da. Es war schon einige Wochen her, daß Will von Dorotheen Abschied genommen hatte, und doch war er noch auf seinem alten Posten in Middlemarch. Lydgate hatte im Ganzen nichts gegen Ladislaw's Besuche, aber in diesem Augenblick war es ihm verdrießlich, daß er seine Heimstätte nicht frei fand. Als er eintrat, sahen ihn die Beiden zwar an, ließen sich aber übrigens in ihrem Duett nicht stören.
Auf einen Mann mit wundem Herzen, wie es der arme Lydgate war, kann es eben nicht besänftigend wirken, daß zwei Menschen ihm entgegentrillern, wenn er mit dem Bewußtsein zu ihnen eintritt, daß die Pein des sorgenschweren Tages für ihn noch nicht zu Ende sei. Sein schon ungewöhnlich bleiches Gesicht nahm einen unsäglich mürrischen Ausdruck an, als er quer durchs Zimmer ging und sich in einen Stuhl warf.
Die beiden Sänger, welche sich dadurch entschuldigt glaubten, daß sie in der That nur noch drei Takte zu singen hatten, wandten sich jetzt zu Lydgate.
»Wie geht es Ihnen, Lydgate?« fragte Will, indem er auf ihn zuging und ihm die Hand reichte.
Lydgate gab ihm die Hand, fand es aber nicht nöthig, etwas zu sagen.
»Hast Du zu Mittag gegessen, Tertius? Ich habe Dich viel früher erwartet,« sagte Rosamunde, der es nicht entgangen war, daß ihr Mann in der übelsten Laune sei. Während sie das sagte, setzte sie sich an ihren gewöhnlichen Platz.
»Ich habe zu Mittag gegessen. Bitte gieb mir eine Tasse Thee,« erwiderte Lydgate kurz mit noch immer mürrischem Gesicht und den Blick fest auf seine von sich gestreckten Beine geheftet.
Will war zu scharfsichtig, als daß es für ihn noch eines Mehreren bedurft hätte.
»Der Thee kommt gleich,« sagte Rosamunde, »bitte, bleiben Sie doch.«
»O, Lydgate ist verdrießlich,« erwiderte Will, der ihn besser verstand als Rosamunde und seine Art zu sein nicht übel nahm, da er sich sehr wohl vorstellen konnte, wie mancherlei Veranlassungen zu Verdruß außer dem Hause er als Arzt gehabt haben könne.
»Um so mehr müssen Sie bleiben,« entgegnete Rosamunde scherzend und in ihrem leichtesten Ton; »er wird den ganzen Abend nicht mit mir sprechen.«
»O doch, Rosamunde,« sagte Lydgate mit seiner starken tiefen Stimme. »Ich muß über eine ernste Angelegenheit mit Dir reden.«
Diese Art, Rosamunde auf die Angelegenheit vorzubereiten, hatte nicht im mindesten in Lydgate's Absicht gelegen; aber ihr gleichgültiges Wesen hatte seine Geduld auf eine allzu harte Probe gestellt.
»Da sehen Sie,« sagte Will; «Ich will in die Versammlung zur Berathung über eine Gewerbeschule gehen. Guten Abend.«
Und damit ging er rasch zum Zimmer hinaus.
Rosamunde sah Lydgate nicht an, stand aber alsbald auf und setzte sich an den Theetisch. Sie dachte bei sich, sie habe ihn noch nie so unliebenswürdig gesehen.
Lydgate richtete seine dunklen Augen auf sie und beobachtete, wie sie das Theegeschirr mit ihren zarten Fingen zierlich handhabte und die unmittelbar vor ihr stehenden Gegenstände, ohne eine Falte in ihrem Gesicht und doch mit einem unsagbarem Ausdruck des Protestes gegen alle Menschen mit unangenehmen Manieren, ansah. Einen Augenblick verlor er das Gefühl seines Kummers in der sich ihm plötzlich aufdrängenden Reflexion über diese ihm neue Form weiblicher Impassibilität Ein anglizistischer Neologismus; das Wort existiert im Deutschen nicht. »Gefühllosigkeit« wäre die richtige Übersetzung gewesen. – Anm.d.Hrsg., wie sie ihm in dieser sylphenhaften Gestalt entgegentrat, die er einst als das Zeichen einer mit dem feinsten Gefühl gepaarten Intelligenz betrachtet hatte.
Während er Rosamunde so ansah, tauchte einen Augenblick die Erinnerung an Laure in ihm auf, und er fragte sich: ›Würde sie mich wohl tödten, weil ich sie langweile?‹. Dann aber dachte er: ›Die Frauen sind einander alle gleich.‹
Diese Verallgemeinerung, die Fähigkeit, welche den Menschen eine so große Ueberlegenheit des Irrthums über die stummen Thiere verleiht, wurde jedoch alsbald wieder durchkreuzt von Lydgate's Erinnerung an die überraschenden Eindrücke, die er von dem Benehmen einer andern Frau empfangen hatte – von Dorothea's tiefbewegtem Ton und Blick bei der ersten Erkrankung ihres Gatten, von ihrem leidenschaftlichen Hülferuf, sie zu lehren, was sie für das Behagen dieses Mannes thun könne, um dessentwillen sie, wie es schien, jeden Impuls, ausgenommen das Ringen ihrer Seele nach thätigem Mitleid und treuer Pflichterfüllung niederkämpfen zu müssen glaubte.
Diese Erinnerungen zogen in raschem traumhaftem Wechsel vor Lydgate's innerem Auge vorüber, während Rosamunde den Thee bereitete. Träumerisch schloß er die Augen, als er Dorothea sagen hörte: »Rathen Sie mir, denken Sie darüber nach, was ich thun kann. Er hat sein Lebelang gearbeitet und vorwärts gestrebt, er hat kein anderes Interesse, und ich habe kein anderes Interesse …«
Diese Stimme tiefbeseelter Weiblichkeit klang seitdem unaufhörlich in ihm nach, wie die Schöpfungen erhabener Genien. Giebt es nicht einen Genius edler Empfindungen, der auch die Gemüther der Menschen und ihre Entschließungen beherrscht? Diese Töne wirkten auf ihn wie eine Musik, vor der er versank.
Er war wirklich in einen leichten Schlummer versunken, als Rosamunde auf den kleinen Tisch neben ihn eine Tasse Thee stellte und mit ihrer indifferenten Silberstimme sagte: »Hier ist Dein Thee, Tertius,« sich dann aber, ohne ihn anzusehen, wieder an ihren Platz setzte.
Lydgate's Urtheil, daß sie unempfindlich sei, war vorschnell; nach ihrer Weise war sie empfindlich genug und nahm dauernde Eindrücke in sich auf. In diesem Augenblick wirkte Lydgate's Wesen verletzend und abstoßend auf sie. Aber Rosamunde sah nie mürrisch aus und erhob ihre Stimme nie ungebührlich; sie war fest überzeugt, daß Niemand mit Recht etwas an ihr auszusetzen haben könne.
Vielleicht hatten sich Lydgate und sie noch nie einander so fremd gefühlt; aber Lydgate hatte dringende Gründe, seine Mittheilung nicht länger aufzuschieben, selbst wenn er sie nicht schon durch jene abrupte Ankündigung von vorhin eingeleitet hätte; in der That aber mischte sich etwas von dem zornigen Wunsch, Rosamunde aus ihrer Unempfindlichkeit für ihn aufzurütteln, der ihn vorzeitig zum Reden gebracht hatte, noch jetzt in die Pein, die er bei dem Gedanken an ihren Kummer empfand.
Aber er wartete, bis der Tisch abgedeckt war und er auf die Ruhe des Abends rechnen durfte; inzwischen hatte er Zeit gehabt, zärtliche Gefühle, die sich seiner wieder hatten bemächtigen wollen, zurück zu drängen. Aber er sagte in freundlichem Ton:
»Liebe Rosy, lege Deine Handarbeit bei Seite und setze Dich zu mit,« und dabei schob er den Tisch sanft zurück und streckte den Arm aus, um einen Stuhl neben den seinigen heran zu rücken.
Rosamunde gehorchte. Als sie jetzt in ihrem weiten Mousselinekleide von zarter Farbe auf ihn zukam, erschien ihm ihre schlanke und doch volle Gestalt graziöser als je; und als sie sich dann zu ihm setzte, die eine Hand auf die Lehne seines Stuhls legte und ihn endlich ansah und seinen Blicken begegnete, strahlten ihr reizender Hals, ihre Wangen und ihre fein geschnittenen Lippen mehr als je in jener ungetrübten Schönheit, welche uns in ihrer anmuthigen Frische an jugendlichen und kindlichen Gestalten entzückt; sie entzückte auch Lydgate jetzt und gesellte die Erinnerung an die Augenblicke seiner ersten Liebe für sie zu all den übrigen Erinnerungen, welche diese Krisis eines tiefen Kummers in ihm aufgeregt hatte.
Er legte seine große Hand sanft auf die ihrige und sagte: »Liebes Kind,« in jenem zögernden Ton, den uns die Zärtlichkeit eingiebt.
Auch auf Rosamunde übten noch jene vergangenen Tage ihre Gewalt, und ihr Mann war wenigstens theilweise für sie noch jener Lydgate, dessen Lob einst ihr Entzücken gewesen war. Sie strich ihm das Haar leicht aus der Stirn und legte dann, in dem Bewußtsein, ihm verziehen zu haben, ihre andere Hand auf die seine.
»Ich muß Dir etwas sagen, was Dir weh thun wird, Rosy. Aber es giebt Dinge, die Mann und Weib miteinander durchmachen müssen. Es kann Dir nicht entgangen sein, daß ich knapp an Geld bin.«
Lydgate hielt inne; aber Rosamunde gab ihrem Halse eine kleine Wendung und sah nach einer Vase auf dem Kaminsims.
»Ich habe nicht alles bezahlen können, was wir vor unserer Verheirathung angeschafft haben, und seitdem sind noch mancherlei Ausgaben hinzugekommen. In Folge dessen habe ich eine große Schuld in Brassing, dreihundert und achtzig Pfund, die mich schon seit längerer Zeit drückt, und wir gerathen von Tag zu Tag tiefer in Schulden, denn die Leute bezahlen mir nicht rascher, weil Andere Geld von mir verlangen. Ich habe mich bemüht, die Sache, so lange Du unwohl warst, vor Dir geheim zu halten; aber jetzt müssen wir zusammen überlegen, und Du mußt mir helfen.«
»Was kann ich dabei thun, Tertius?« sagte Rosamunde, indem sie ihn wieder ansah.
Diese fünf kleinen Worte sind, wie so viele andere, in allen Sprachen, je nach den mannigfachen Accenten, mit denen sie ausgesprochen werden können, die verschiedensten Empfindungen auszudrücken im Stande – von hülfloser Stumpfheit bis zu erschöpfendem Verständniß, von selbstlos mitfühlender Hingebung bis zu unnahbarer Gleichgültigkeit.
Rosamunden's dünner Ton legte in die Worte ›Was kann ich dabei thun‹ so viel unnahbare Gleichgültigkeit, wie sich nur durch dieselben ausdrücken ließ. Sie fielen wie ein tödtlicher Frost auf Lydgate's eben wieder erwachte Zärtlichkeit. Er brauste nicht entrüstet auf – dazu war er zu traurig. Und als er nun wieder anhub, geschah es mehr in dem Ton eines Menschen, der sich zur Erfüllung einer Pflicht zwingt.
»Du mußt das wissen, weil ich für eine bestimmte Zeit ein Pfand bestellen muß und weil zu diesem Zweck Jemand herkommen wird, ein Inventar unsers Mobiliars aufzunehmen.«
Rosamunde erröthete tief.
»Hast Du Papa nicht um Geld gebeten?« fragte sie, sobald sie wieder zu reden vermochte.
»Nein.«
»Dann muß ich es thun!« sagte sie, indem sie ihre Hände zurückzog, aufstand und sich in einer Entfernung von sechs Schritten ihm gegenüber stellte.
»Nein, Rosy,« sagte Lydgate in sehr entschiedenem Ton, »dazu ist es zu spät. Das Inventar muß morgen aufgenommen werden. Bedenke doch, es handelt sich nur um eine Sicherheit; in unserm Leben wird dadurch nichts verändert und das Ganze ist etwas Vorübergehendes. Ich muß,« schloß er in einem noch peremptorischeren Ton, »darauf bestehen, daß Dein Vater nichts davon erfährt, bis ich es ihm selbst mitzutheilen für gut finde.«
Das war gewiß unfreundlich gesprochen, aber Rosamunde hatte ihn durch ihr Benehmen wieder an das erinnert, was sie an ruhigem beharrlichem Ungehorsam zu leisten im Stande war. Aber ihr erschien diese Unfreundlichkeit unverzeihlich, sie weinte nicht leicht und liebte es nicht, jetzt aber fingen ihre Lippen und ihr Kinn zu zittern an und Thränen quollen ihr aus den Augen.
Vielleicht war Lydgate unter dem zwiefachen Druck äußerer materieller Verlegenheiten und seines, durch die Aussicht auf demüthigende Folgen beleidigten Stolzes außer Stande, sich eine klare Vorstellung davon zu machen, wie diese plötzlich hereinbrechende Prüfung auf ein junges Wesen wirken müsse, das sich sein Lebelang nur mit Nachsicht behandelt gesehen hatte und das von noch größerer, seinem Geschmacke noch mehr zusagender Nachsicht in der Ehe geträumt hatte. Aber doch hatte er den aufrichtigen Wunsch, sie so viel wie möglich zu schonen, und ihre Thränen schnitten ihm in's Herz.
Er fand nicht sogleich wieder Worte; aber Rosamunde that auch ohnedies ihrem Schluchzen Einhalt; sie versuchte es, ihrer Aufregung Herr zu werden und trocknete, die Blicke fortwährend auf das Kaminsims gerichtet, ihre Thränen.
»Nimm Dir die Sache nicht zu sehr zu Herzen, Liebchen,« sagte Lydgate, indem er zu ihr aufschaute.
Daß sie es in diesem Augenblick schwerer Bedrängniß für gut befunden hatte, sich von ihm zu entfernen, machte es ihm nur um so viel schwerer, zu reden; aber da half nichts, er mußte fortfahren.
»Wir müssen uns rüsten, das zu thun, was unsere Lage unerläßlich macht. Ich bin zu tadeln; ich hätte voraussehen müssen, daß ich eine Lebensweise wie die unsrige nicht würde bestreiten können. Aber vielerlei ist mir in meiner Praxis hinderlich gewesen, und eben jetzt hat sie außerordentlich abgenommen. Vielleicht daß sie wieder zunimmt; inzwischen aber müssen wir uns einschränken – müssen wir unsere Lebensweise ändern. Wir werden die Sache schon überstehen. Wenn ich das Pfand erst einmal bestellt habe, werde ich Zeit haben, mich umzusehen, und Du bist so gescheidt und geschickt, daß, wenn Du Dich nur einmal darauf legst, die Dinge einzurichten, Du mich lehren wirst, vorsichtig zu wirthschaften. Ich habe unverantwortlich wenig daran gedacht, unsere Ausgaben mit unsern Einnahmen in Einklang zu bringen. Aber komm, liebes Kind, setze Dich wieder zu mir und vergieb mir.«
Lydgate beugte seinen Nacken unter das Joch wie ein Geschöpf, das mit Krallen, aber auch mit Vernunft begabt ist, die uns oft demüthig macht. Als er die letzten Worte in einem flehenden Tone gesprochen hatte, setzte sich Rosamunde wieder auf den Stuhl neben ihn. Seine Selbstanklage ließ sie hoffen, daß er auf ihre Ansicht Werth legen werde, und sie sagte:
»Warum kannst Du nicht einen Aufschub in der Aufnahme des Inventars erwirken? Du kannst ja die Leute, wenn sie morgen kommen, wieder wegschicken.«
»Das werde ich nicht thun,« sagte Lydgate wieder in seinem frühem peremptorischen Tone. Was konnte es nützen näher auf die Sache einzugehen?
»Wenn wir Middlemarch ganz verließen, würde natürlich über unsere Sachen Auction gehalten, und das wäre doch eben so gut.«
»Wir wollen aber Middlemarch nicht verlassen.«
»Das wäre doch sicherlich viel besser, Tertius. Warum können wir nicht nach London gehen oder in die Nähe von Durham, wo Deine Familie bekannt ist.«
»Ohne Geld können wir nirgends hingehen, Rosamunde.«
»Deine Verwandten würden Dich nicht gern in Verlegenheit sehen, und das würdest Du diesen widerwärtigen Lieferanten gewiß begreiflich machen und sie bestimmen können, ruhig zu warten, wenn Du ihnen die Sache nur ordentlich vorstellen wolltest.«
»Das sind müßige Reden, Rosamunde,« sagte Lydgate ärgerlich. »Du mußt Dich gewöhnen, Dich bei Angelegenheiten, die Du nicht verstehst, auf mein Urtheil zu verlassen. Ich habe nothwendige Verabredungen getroffen, und die müssen eingehalten werden. Von meinen Verwandten habe ich durchaus nichts zu erwarten und werde mich nie an sie wenden.«
Rosamunde blieb ganz ruhig. Bei sich aber dachte sie, wenn sie vorausgewußt hätte, wie Lydgate sich gegen sie benehmen würde, sie hätte ihn nie geheirathet!
»Wir haben jetzt keine Zeit, liebes Kind, unnütze Worte zu verschwenden,« fuhr Lydgate fort, indem er sich bemühte, wieder sanft zu sein. »Es sind noch einige Punkte zu erledigen, die ich gern mit Dir überlegen möchte. Dover erklärt sich bereit einen großen Theil des Silbergeschirrs, und was wir von Schmucksachen wiedergeben wollen, zurückzunehmen. Er benimmt sich wirklich sehr anständig.«
»Sollen wir uns vielleicht ohne Löffel und Gabeln behelfen?« fragte Rosamunde, deren Lippen in dem Maße dünner zu werden schienen, wie der Ton ihrer Stimme spitzer wurde. Sie war entschlossen, keinen weitern Widerstand zu leisten und keinerlei Vorschläge zu machen.
»O nein, liebes Kind,« erwiderte Lydgate, »aber sieh einmal her,« fuhr er fort, indem er ein gefaltetes Papier aus der Tasche zog und auseinanderlegte. »Hier habe ich Dover's Rechnung. Sieh, ich habe da eine Reihe von Artikeln angestrichen, deren Rückgabe den Betrag unserer Schuld um dreißig Pfund und mehr vermindern würde. Von den Schmucksachen habe ich nichts angestrichen.«
Lydgate hatte in der That die Sache mit dem Schmuck selbst sehr bitter empfunden; aber die, wie er meinte, triftigsten Gründe hatten ihm über dieses Gefühl hinweggeholfen. Er hatte sich schließlich gesagt, daß er zwar Rosamunden nicht vorschlagen könne, seine Geschenke zurückzugeben, daß er aber doch verpflichtet sei, ihr Dover's Proposition mitzutheilen, worauf sie ihm dann vielleicht auf halbem Wege entgegenkommen werde.
»Ich brauche nicht hinzusehen, Tertius,« antwortete Rosamunde ruhig, »Du kannst zurückgeben, was Du willst.«
Sie wollte ersichtlich keinen Blick auf die Rechnung werfen, und Lydgate zog dieselbe, über und über erröthend, zurück und ließ sie auf seinen Schoß fallen. In demselben Augenblick ging Rosamunde ruhig zum Zimmer hinaus und ließ Lydgate in hülflosem Staunen zurück. Wollte sie nicht wiederkommen? Es schien, daß sie sich so wenig eins mit ihm fühlte, als ob er und sie der Art nach verschiedene und in ihren Interessen einander feindlich gegenüberstehende Geschöpfe wären.
Wie von einem Rachegefühl beseelt warf er den Kopf in den Nacken und steckte die Hände tief in die Taschen. Ihm blieb noch immer die Wissenschaft – ihm blieben noch immer gute Zwecke, für die zu arbeiten es sich der Mühe lohnte. Er fühlte daß er in seinem geistigen Ringen nicht nachlassen, daß er es nur um so kräftiger verfolgen müsse, als ihm andere Befriedigungen versagt zu sein schienen.
Aber schon öffnete sich die Thür und Rosamunde trat wieder ein. Sie hielt in den Händen das lederne Etui, welches den Amethystschmuck enthielt, und einen kleinen zierlichen Korb, in welchem noch andere Etuis lagen, legte diese Gegenstände auf den Stuhl, auf welchem sie gesessen hatte, und sagte mit einer durchaus würdigen Miene:
»Das sind alle Schmucksachen, die Du mir je geschenkt hast. Du kannst davon und auch von dem Silbergeschirr zurückgeben, was Du Lust hast. Du wirst natürlich nicht von mir verlangen, daß ich morgen zu Hause bleibe. Ich werde zu meinen Eltern gehen.«
Vielen Frauen würde der Blick, den Lydgate ihr jetzt zuwarf, furchtbarer gewesen sein als ein Zornesblick. In diesem Blick sprach sich eine verzweiflungsvolle Anerkennung der Entfremdung aus, die sie durch ihr Verfahren zwischen ihnen bewirkte.
»Und wann willst Du wiederkommen?« fragte er in einem von Bitterkeit geschärften Ton.
»O, gegen Abend. Ich werde Mama natürlich nichts von der Sache sagen!«
Darauf setzte sich Rosamunde, in der festen Ueberzeugung, daß keine Frau in ihrer Lage sich untadeliger hätte benehmen können als sie, wieder an ihren Arbeitstisch.
Lydgate saß ein paar Minuten in Gedanken versunken da, dann sagte er in einem Ton, der wieder etwas von seiner innern Erregung verrieth: «
»Jetzt, wo wir uns für's Leben verbunden haben, solltest Du mich nicht in dem ersten schweren Augenblick, der mir in unserer Ehe begegnet, verlassen.«
»Gewiß nicht,« entgegnete Rosamunde. »Ich werde Alles thun, was sich für mich schickt.«
»Es wäre nicht gut, wenn wir die Sache den Dienstboten überlassen müßten, wenn ich genöthigt wäre, mit ihnen darüber zu reden – und ich werde Vormittags, ich weiß nicht wie früh, ausgehen müssen. Ich begreife Deinen Widerwillen gegen das Demüthigende dieser Geldgeschichten. Aber, liebe Rosamunde, gerade mit Rücksicht auf den dabei in Frage kommenden persönlichen Stolz, den ich ganz so lebhaft empfinde wie Du, ist es sicherlich richtiger, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und die Dienstboten so wenig wie möglich davon wissen zu lassen. Und da Du einmal mein Weib bist, so würdest Du doch auf keine Weise Deinem Antheil an meiner Schmach, wenn von Schmach, die Rede sein könnte, entgehen!«
Rosamunde antwortete nicht sogleich; endlich sagte sie:
»Nun gut, so will ich zu Hause bleiben.«
»Ich werde diese Schmucksachen nicht anrühren, Rosy, nimm sie wieder fort. Aber ich will eine Liste von Silbersachen aufnehmen, die wir wiedergeben und die gleich eingepackt und fortgeschickt werden können.«
»Das werden die Dienstboten doch erfahren,« sagte Rosamunde mit einem leisen Anflug von Sarkasmus.
»Nun, wir müssen uns schon einige unvermeidliche Unannehmlichkeiten gefallen lassen. Wo ist das Dintenfaß?« fragte Lydgate, indem er aufstand und die Rechnung auf den größern Tisch, auf dem er schreiben wollte, warf.
Rosamunde holte das Dintenfaß herbei und wollte, nachdem sie dasselbe an den Tisch gesetzt hatte, forteilen, als Lydgate, der dicht neben ihr stand, seinen Arm um sie schlang und sie mit den Worten an sich zog:
»Komm, Liebchen, laß uns mit gutem Humor die Dinge nehmen, wie sie sind. Hoffentlich werden wir nur kurze Zeit knauserig und genau zu sein brauchen. Gieb mir einen Kuß.«
Seine angeborene Gutherzigkeit wirkte besänftigend auf ihn, und es ist ein Zeichen der Männlichkeit, wenn ein Ehemann lebhaft fühlt, daß ein unerfahrenes Mädchen durch die Verheirathung mit ihm in eine sorgenvolle Lage gerathen ist.
Sie ließ sich seinen Kuß gefallen und erwiderte denselben schwach. Und so war für den Augenblick eine Art von gutem Einvernehmen zwischen ihnen wieder hergestellt.
Aber Lydgate konnte nicht umhin, mit Besorgniß an künftige unvermeidliche Discussionen über Ausgaben und an die Nothwendigkeit einer vollständigen Aenderung ihrer Lebensweise zu denken.