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Drittes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 45 (in dieser Übersetzung Band 3, Kapitel 3):

It is the humor of many heads to extol the days of their forefathers, and declaim against the wickedness of times present. Which notwithstanding they cannot handsomely do, without the borrowed help and satire of times past; condemning the vices of their own times, by the expressions of vices in times which they commend, which cannot but argue the community of vice in both. Horace, therefore, Juvenal, and Persius, were no prophets, although their lines did seem to indigitate and point at our times.

Sir Thomas Browne: Pseudodoxia Epidemica.


Die Opposition gegen das neue Fieberhospital, deren Lydgate gegen Dorothea Erwähnung gethan hatte, ließ sich gleich andern Oppositionen aus sehr verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Lydgate betrachtete sie als eine Mischung von Eifersucht und bornirten Vorurtheilen. Bulstrode sah in dieser Opposition nicht nur ärztliche Eifersucht, sondern die Absicht, ihm hindernd in den Weg zu treten, welche hauptsächlich aus dem Haß gegen jene lebendige Religion entspringe, die wirksam zu vertreten er als Laie stets bestrebt gewesen sei – einem Haß, welchem es auch außerhalb der Sphäre der Religion in den Verschlingungen menschlicher, Handlungen nicht an Vorwänden fehle. Diese Auffassungen der Opposition hätte man als offizielle bezeichnen können.

Aber Oppositionen verfügen über ein unbegrenztes Gebiet von Einwendungen, welche durch keine Schranke des Wissens aufgehalten werden, sondern sich alle Zeit auf dem unendlich weiten Felde der Unwissenheit ergehen können. Die Behauptungen der Middlemarcher Opposition in Betreff des neuen Hospitals und seiner Verwaltung waren zum großen Theil der Widerhall dessen, was Andere gesagt hatten, denn der Himmel hat dafür gesorgt, daß nicht Jedermann eigene Ansichten hat; aber innerhalb dieser Opposition gab es doch eine Verschiedenheit der Aeußerungen, in welcher sich jede gesellschaftliche Schattirung abspiegelte, von der feinen Mäßigung Doctor Minchin's bis zu der derben Entschiedenheit der Frau Dollop, der Wirthin des ›Bierkrug.‹

Frau Dollop überzeugte sich unter dem Eindruck ihrer eigenen Versicherungen immer mehr, daß Dr. Lydgate die Leute im Hospital sterben lasse, wenn nicht um sie zu vergiften, doch um sie seciren zu können, ohne sagen zu müssen: »Mit Ihrer Erlaubniß,« denn es sei notorisch, daß er Frau Goby habe seciren wollen, eine der respectabelsten Frauen in Parley Street, die schon vor ihrer Verheirathung eignes Vermögen gehabt habe – und das sei doch eine traurige Sache für einen Doctor, der, wenn er irgend etwas nütze sei, wissen sollte was den Leuten fehle, ehe sie todt seien, und nicht nöthig haben müßte, ihnen nach dem Tode in den Leib zu gucken. Wenn das nicht seine Richtigkeit habe, erklärte Frau Dollop, so möchte sie wohl wissen, was dann noch richtig sei.

Aber ihre Zuhörer waren davon durchdrungen, daß ihre Ansicht ein Bollwerk sei und daß, wenn dieses Bollwerk über den Haufen geworfen würde, dem Leichenzerschneiden Thür und Thor geöffnet sein würde, wie man es bei Burke und Hare Burke und Hare, zwei berüchtigte Mörder, welche zu Anfang dieses Jahrhunderts in Edinburg die Leichen ihrer Opfer an Anatomen verkauften. – Anm. d. Uebers. mit ihren Pechpflastern erlebt habe – von einer solchen Wirthschaft wolle man in Middlemarch nichts wissen!

Und glaube Niemand, daß die in dem ›Bierkrug‹ sich kundgebende öffentliche Meinung für den Stand der Aerzte bedeutungslos gewesen wäre. Dieses altbewährte Wirthshaus war der Versammlungsort einer großen ›Gesellschaft zur Beförderung des gegenseitigen Wohles‹, welche vor einigen Monaten darüber abgestimmt hatte, ob nicht ihr langjähriger Arzt Doctor Gambit entlassen werden solle zu Gunsten des Doctor Lydgate, der die außerordentlichsten Kuren mache und Leute, welche von andern Aerzten schon total aufgegeben seien, noch durchbringe. Aber die Abstimmung war gegen Lydgate ausgefallen und, zwar hatte dabei das Votum zweier Mitglieder den Ausschlag gegeben, welche aus besondern Gründen dafür hielten, daß diese Fähigkeit, Leute, die schon dem Tode verfallen seien, wieder zum Leben zu erwecken, eine sehr zweifelhafte Empfehlung sei und dem Walten der Vorsehung vorgreife. Im Laufe des Jahres hatte sich jedoch die öffentliche Meinung geändert, wie die Uebereinstimmung der Ansichten bei Frau Dollop deutlich zeigte.

Vor länger als einem Jahre, bevor noch irgend etwas über Lydgate's Geschicklichkeit bekannt geworden, waren die Urtheile über dieselbe natürlich getheilt, je nachdem der Sinn für Wahrscheinlichkeit (der seinen Sitz vielleicht in der Herzgrube oder in der Zirbeldrüse hat) den Leuten beiwohnte, und äußerten sich verschieden, waren aber darum nicht weniger schätzbar als Führer bei dem gänzlichen Mangel aller Beweise. Patienten, welche an chronischen Krankheiten litten, oder solche, deren Lebenskraft schon lange erschöpft war, wie der alte Featherstone, hatten plötzlich Lust bekommen, es einmal mit Lydgate zu versuchen. Viele andere, die ihre Doctorrechnungen nicht gern bezahlen mochten, fanden es angenehm, eine neue Rechnung mit einem neuen Doctor zu eröffnen und, ohne sich zu geniren, zu ihm zu schicken, wenn die Kinder schlechter Laune waren, Gelegenheiten, bei welchen die alten Aerzte oft verdrießlich wurden.

Und alle Leute, die so Lust bekamen, Lydgate anzunehmen, hielten es für wahrscheinlich, daß er geschickt sei. Einige waren der Meinung, daß er mehr als Andere vermöge, ›wenn Einem etwas an der Leber fehle‹, – wenigstens könne es nicht schaden, sich ein Paar Flaschen von ihm verschreiben zu lassen, da man ja, wenn diese nichts helfen sollten, noch immer wieder zu den ›purificirenden Pillen‹ zurückkehren könne, welche Einen munter erhielten, wenn sie auch den gelben Teint nicht beseitigten.

Aber das waren Leute von geringerer Bedeutung. Gute Middlemarcher Familien dachten natürlich nicht daran, ohne triftige Gründe einen andern Arzt anzunehmen, und nicht Alle, die Peacock's Patienten gewesen waren, hielten sich für verpflichtet, einen neuen Ankömmling als Arzt anzunehmen, nur weil er Peacock's Nachfolger sei, indem sie gegen ihn einwandten, ›daß er Peacock schwerlich gleichen werde‹.

Aber nicht lange, nachdem Lydgate sich in der Stadt niedergelassen hatte, wurden Einzelheiten genug über ihn berichtet, um viel bestimmtere Erwartungen in Betreff seiner hervorzurufen und verschiedene über ihn herrschende Ansichten zu förmlichen Parteiungen zu verdichten – Einzelheiten, von denen einige zu jener Klasse von Angaben gehörten, welche einen großen Eindruck auf die Menschen hervorbringt, obgleich oder weil sie ihre eigentliche Bedeutung gar nicht verstehen, ähnlich einer statistischen Zusammenstellung von Zahlen ohne jeden Maßstab zur Vergleichung, aber mit einem großen Ausrufungszeichen am Ende.

Mit welchem Schauder würde es einige Kreise in Middlemarch erfüllt haben, wenn man ihnen die Anzahl von Kubikfuß Sauerstoff, welche ein erwachsener Mensch jährlich verschluckt, genannt hätte! »Sauerstoff! Wer weiß, was das eigentlich ist? – Kann es Einen da wundern, daß die Cholera in Danzig ist? Und doch giebt es Leute, welche behaupten, daß Quarantaine nichts nütze!«

Eine der rasch verbreiteten Thatsachen in Betreff Lydgate's war die, daß er keine Arzeneien selbst bereite. Das war beleidigend sowohl für die consultirenden Aerzte, in deren auszeichnende Eigenthümlichkeit er sich damit einen Eingriff erlaubte, als für die dispensirenden Praktiker, denen er im Range gleichstand. Und noch kurz vorher hätten sie darauf rechnen können, das Gesetz auf ihrer Seite gegen einen Mann zu sehen, der, ohne sich einen in London promovirten ›Dr. med‹. nennen zu können, es wagte, außer für selbstbereitete Medizinen, für seine Dienste Bezahlung zu verlangen.

Aber Lydgate war zu weltunkundig gewesen, um vorauszusehen, daß sein neues Verfahren bei den Laien noch schlechtere Aufnahme finden werde, und als ihn Herr Mawmsey, ein bedeutender Gewürzkrämer auf dem Hauptmarktplatze, obgleich er nicht zu seinen Patienten gehörte, in einer verbindlichen Weise über die Sache befragt hatte, war er unvorsichtig genug gewesen, demselben eine voreilige populäre Erklärung seiner Gründe zu geben, indem er Herrn Mawmsey darauf hinwies, wie es eine beständige Beleidigung für das Publikum sei und nur einen nachtheiligen Einfluß auf den Character der praktischen Aerzte üben könne, wenn die einzige Art, sich für ihre Arbeit bezahlt zu machen, für sie darin bestehe, lange Rechnungen für Pflaster, Pillen und Mixturen auszuschreiben.s

»Auf diese Weise können sauer arbeitende Aerzte dazu kommen, fast ebenso verderblich zu wirken wie Quacksalber,« sagte Lydgate etwas gedankenlos. »Um ihr Brot zu verdienen, müssen sie des Königs Vasallen mit Arzneien überfüttern, und das ist eine böse Art von Hochverrath, Herr Mawmsey, sie untergräbt die Constitution in verhängnißvoller Weise.«

Herr Mawmsey war nicht nur Armenverwalter, – die Veranlassung seiner Zusammenkunft mit Lydgate war eine Frage in Betreff der Einkassirung der Armengelder –, sondern war auch asthmatisch und hatte eine starke, noch in der Zunahme begriffene Familie. So war er nicht nur nach seiner eigenen Meinung, sondern auch vom medizinischen Gesichtspunkte aus betrachtet ein gewichtiger Mann, dieser seltene Gewürzkrämer, dessen Haar so frisirt war, daß es in eine flammenartige Spitze auslief, und dessen zu der herzlichen ermunternden Gattung gehörende Detailergebenheit sich in scherzenden Complimenten erging und sich in wohl überlegter Enthaltsamkeit hütete, seine ganze geistige Bedeutung seinen Kunden gegenüber zur Geltung zu bringen. Herrn Mawmsey's freundlich scherzende Weise bei seinen Fragen hatte Lydgate veranlaßt, in seinen Antworten einen leichten Ton anzuschlagen. Aber – mögen die Weisen sich warnen lassen vor einer zu großen Bereitwilligkeit zu Erklärungen; sie vermehrt die Quelle der Mißverständnisse und macht das Exempel für schlechte Rechner nur noch verwickelter.

Lydgate setzte bei seinen letzten Worten seinen Fuß lächelnd in den Steigbügel, und Herr Mawmsey lachte lauter, als er es gethan haben würde, wenn er gewußt hätte, wer die ›Vasallen des Königs‹ seien, und rief dem Fortreitenden sein »Empfehle mich Ihnen, empfehle mich Ihnen!« mit einer Miene nach, als ob ihm Alles völlig klar sei.

In Wahrheit aber hatte Lydgate eine große Verwirrung in seinen Ansichten angerichtet. Seit Jahren hatte er ärztliche Rechnungen mit sehr genau aufgemachten Posten bezahlt, so daß er sicher war, für jede halbe Krone und jede achtzehn Pence etwas Greifbares erhalten zu haben. Er hatte das mit Genugthuung gethan, indem er es als die Erfüllung einer der ihm als Gatten und Vater obliegenden Pflichten ansah und eine ungewöhnlich lange Rechnung als eine erwähnenswerthe Auszeichnung betrachtete.

Ueberdies hatte er, abgesehen von den soliden Wohlthaten der Arzneien für ›ihn selbst nebst Familie‹, das Vergnügen genossen, sich ein sehr bestimmtes Urtheil über die unmittelbaren Wirkungen dieser Arzneien zu bilden, so daß er mit seinen umsichtigen Angaben Herrn Gambit an die Hand gehen konnte – einem praktischen Arzte, der seiner gesellschaftlichen Stellung nach ein wenig unter Wrench und Teller stand und besonders als Accoucheur geschätzt war, einem Manne, von dessen Begabung in jeder andern Beziehung Herr Mawmsey äußerst gering dachte, von dem er aber als Arzt leise zu sagen pflegte, daß er ihn über sie alle stelle.

Das waren Gründe von größerem Gewicht als das oberflächliche Gerede eines Neulings, welches noch seichter erschien, als Herr Mawmsey es in dem über dem Laden liegenden Wohnzimmer seiner Gattin wiederholte, einer Frau, die man als fruchtbare Mutter sehr hoch stellen mußte und die regelmäßig von Herrn Gambit besucht wurde, die aber gelegentlich auch an Anfällen litt, welche eine Behandlung durch Dr. Minchin erforderlich machten.

»Will dieser Herr Lydgate damit sagen, daß es nichts nützt, Medizin zu nehmen?« fragte Frau Mawmsey in einem ihr eigenen schleppenden Ton. »Ich möchte ihn wohl fragen, wie ich mich zur Marktzeit aufrecht erhalten sollte, wenn ich nicht schon vier Wochen vorher stärkende Medizin nähme. Denk doch nur, liebes Kind, was ich alles für die Kunden, die uns besuchen, beschaffen muß!« – bei diesen Worten wandte sich Frau Mawmsey an eine intime Freundin, welche bei ihr saß –, »eine große Kalbfleischpastete, eine gefüllte Keule, ein Roastbeef-Schinken, Zungen et cetera et cetera! Am besten thut mir aber die rosa Medizin, nicht die braune. Ich begreife nicht, Mawmsey, wie Du bei Deiner Erfahrung das geduldig hast mit anhören können. Ich hätte ihm gleich gesagt, daß ich ein bischen mehr von der Sache wisse.«

»Nein, nein, nein,« erwiderte Herr Mawmsey. »Ich wollte ihm meine Meinung nicht sagen. Alles anhören und selbst urtheilen ist mein Wahlspruch. Er hat aber nicht gewußt, mit wem er sprach. Ich bin nicht der Mann, mich von ihm um den kleinen Finger wickeln zu lassen. Die Leute nehmen sich oft heraus, mir Dinge zu sagen, für die sie ebenso gut sagen könnten: ›Mawmsey, Sie sind ein Narr‹. Aber ich lächle dazu; ich bin nachsichtig gegen die schwachen Seiten aller Menschen. Wenn Arznei mir, selbst nebst Familie‹ Schaden gethan hätte, so würde ich das wohl nachgerade herausgefunden haben.«

Am nächsten Tage wurde Herrn Gambit mitgetheilt, Lydgate gehe umher und sage den Leuten, Medizin nütze nichts.

»Hat er das wirklich gesagt?« fragte er, indem er die Augbrauen mit einem behutsamen Ausdruck der Ueberraschung in die Höhe zog. Herr Gambit war ein wohlbeleibter mit Husten behafteter Mann, der einen großen Ring auf dem vierten Finger trug. »Wie will er denn seine Patienten curiren?«

»Das sage ich auch,« erwiderte Frau Mawmsey, welche ihren Worten durch scharfe Betonung der persönlichen Fürwörter einen besondern Nachdruck zu verleihen pflegte. »Meint er, daß die Leute ihm bezahlen werden, nur damit er kommt und bei ihnen sitzt und wieder weggeht?«

Herr Gambit hatte oft genug lange bei Frau Mawmsey gesessen und ihr dabei viel von seinen körperlichen Gewohnheiten und andern Dingen erzählt, aber natürlich konnte ihre Bemerkung nicht auf ihn gemünzt sein sollen, da er für seine Frau Mawmsey geschenkte Zeit und seine persönlichen Mittheilungen nie etwas berechnet hatte. So antwortete er in scherzendem Tone:

»Nun, Lydgate ist ein hübscher junger Mann, wissen Sie.«

»Aber Keiner, den ich zum Arzt nehmen möchte,« entgegnete Frau Mawmsey. « Andere können ja thun, was sie Lust haben!«

So konnte Herr Gambit das Haus des ersten Gewürzkrämers ohne Besorgniß vor einer ihm drohenden Nebenbuhlerschaft, nicht aber ohne die Ueberzeugung verlassen, daß Lydgate einer jener Heuchler sei, welche Andere dadurch zu discreditiren suchen, daß sie mit ihrer eigenen Rechtschaffenheit prahlen, und daß es sich für einige Leute wohl der Mühe lohnen möchte, ihn den Leuten in seiner wahren Gestalt zu zeigen.

Herr Gambit hatte jedoch eine gute Praxis, in welche sich freilich die Gerüche des Kleinhandels vielfach eindrängten, wodurch die Vermuthung, daß er statt baaren Geldes mit Waaren bezahlt werde, nahe gelegt wurde. Und er hielt es nicht der Mühe werth, Lydgate bloßzustellen, bis er wissen werde, wie das am wirksamsten geschehen könne. Er hatte sich keiner sehr vorzüglichen Erziehung zu erfreuen gehabt und hatte viel von einer geringschätzigen Behandlung seiner Berufsgenossen zu leiden gehabt; es that aber darum seiner Geschicklichkeit als Accoucheur keinen Eintrag, daß er von der ›Luftrehre‹ sprach.

Andere praktische Aerzte standen aus einer höhern Stufe. Herr Toller theilte sich mit wenigen Andern in die vornehmste Praxis der Stadt und gehörte zu einer alten Middlemarcher Familie; es gab Toller's im Richterstande und in jedem andern Beruf, der über dem Kleinhandel stand. Ungleich unserm reizbaren Freunde Wrench hatte er die glücklichste Art, die Dinge zu nehmen, von denen man hätte voraussetzen können, daß sie ihm unangenehm sein würden, und war ein wohlerzogener, behaglich scherzender Mann, der ein hübsches Haus machte, eine kleine Jagdparthie, wenn er dazu kommen konnte, sehr gern hatte und ebenso befreundet mit Herrn Hawley wie verfeindet mit Herrn Bulstrode war.

Es mochte sonderbar erscheinen, daß er bei diesem gefälligen Naturell in seinem Berufe der heroischen Behandlung: Aderlässen, spanischen Fliegen und Hungerkuren ergeben war, ohne freilich seinen Patienten mit gutem Beispiele voranzugehen; aber die Nichtübereinstimmung seines persönlichen Verhaltens mit seinem ärztlichen Verfahren förderte nur die gute Meinung seiner Patienten, welche zu bemerken pflegten, daß Herr Toller in seinem Behaben träge, daß aber seine Behandlung so energisch sei, wie man es nur wünschen könne. Kein Arzt, sagten sie, nehme es ernster mit seinem Beruf, er sei zwar etwas lässig im Kommen, aber wenn er komme, thue er auch etwas. Er war in seinem Kreise sehr beliebt, und wenn er eine Andeutung zu Jemandes Nachtheil machte, so wirkte das nur um so nachhaltiger, als er seine Aeußerungen in einem leichten ironischen Tone hinzuwerfen pflegte.

Natürlich bekam er es satt, immer zu lächeln und ›Ah‹ zu sagen, wenn man ihm erzählte, daß der Nachfolger des Herrn Peacock keine Arzneien dispensire, und als Herr Hackbutt der Sache eines Tages bei einem Diner Erwähnung that, sagte Herr Toller lächelnd:

»Da wird also Dibbitts seine abgestandenen Arzneien los werden. Ich habe den kleinen Dibbitts gern und freue mich über seine Chance.«

»Ich verstehe, was Sie sagen wollen, Toller,« erwiderte Herr Hackbutt, »und ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich werde die erste Gelegenheit wahrnehmen, mich in diesem Sinne auszusprechen. Ein Arzt muß für die Qualität der Arzneien, die seine Patienten einnehmen, verantwortlich sein. Darin liegt die Rechtfertigung des Systems der ärztlichen Rechnungen, welches bisher bei uns gegolten hat, und es giebt nichts Anstößigeres als diese Ostentation mit Reformen, die keine wirkliche Verbesserung zu Wege bringen.«

»Ostentation, Hackbutt?« bemerkte Herr Toller ironisch. »Das verstehe ich nicht. Es kann Einer nicht wohl Ostentation mit etwas treiben, woran kein Mensch glaubt. Von Reform ist bei der Sache gar keine Rede. Es fragt sich nur, ob der Profit, der an den Arzneien gemacht wird, dem Arzt vom Droguisten oder vom Patienten bezahlt werden und ob eine Extrabezahlung für sogenannte ärztliche Bemühungen stattfinden soll.«

»Ach natürlich; das ist wieder so eine von den neuen Bezeichnungen für alten Humbug,« sagte Herr Hawley, indem er Herrn Wrench die Weinflasche zuschob.

Herr Wrench, der gewöhnlich sehr enthaltsam war, trank oft in Mittagsgesellschaften ziemlich viel und wurde in Folge dessen nur um so reizbarer.

»Man kann leicht etwas Humbug nennen, Hawley,« sagte er. »Aber was ich bekämpfe, ist die Art, wie Aerzte ihr eigenes Nest besudeln und ein Geschrei im Lande erheben, als ob ein praktischer Arzt, der Arzneien dispensirt, kein Gentleman sein könnte. Ich gebe die Beschuldigung mit Hohn zurück und sage, daß es der eines Gentleman unwürdigste Streich, dessen ein Mann sich schuldig machen kann, ist, wenn er sich unter seine Standesgenossen mit Neuerungen eindrängt, die eine Schmähung ihres altehrwürdigen Verfahrens sind. Das ist meine Ansicht, und ich bin bereit, sie gegen Jeden, der mir widerspricht, aufrecht zu erhalten.«

Herrn Wrench's Stimme hatte einen sehr scharfen Ton bekommen.

»Ich bedaure, Ihnen nicht beistimmen zu können, Wrench,« sagte Herr Hawley, indem er die Hände in die Hosentaschen steckte.

»Lieber Freund,« fiel Herr Toller im Interesse des Friedens ein und sah dabei Herrn Wrench an, »die consultirenden Aerzte werden durch die Sache noch empfindlicher berührt als wir. Wenn es sich um ärztliche Würde handelt, so haben Minchin und Sprague die zu wahren.«

»Gewährt die medizinische Jurisprudenz keinen Schutz gegen diese Uebergriffe?« fragte Herr Hackbutt in dem uneigennützigen Wunsche, zur Aufklärung beizutragen.

»Was sagt das Gesetz, eh, Hawley?«

»Es ist nichts dabei zu machen,« antwortete Herr Hawley. »Ich habe für Sprague nachgesehen. Wenn Sie etwas dagegen versuchen wollten, würden Sie an der Entscheidung eines verfluchten Richters scheitern.«

»Pah! wir brauchen kein Gesetz,« sagte Herr Toller. »Soweit es sich um die Praxis handelt, ist der Versuch, nicht zu dispensiren, eine Albernheit. Kein Patient wird es mögen, am wenigsten Peacock's Patienten, welche an Ausleerungen gewöhnt waren. Schieben Sie mir, bitte, den Wein her.«

Herrn Toller's Voraussagung bewahrheitete sich theilweise. Wenn schon Herr und Frau Mawmsey, die nicht daran dachten, Lydgate zum Arzt zu nehmen, sich bei der Voraussetzung, daß er gegen Arzneien sei, unbehaglich fühlten, so war es nicht zu verwundern, daß diejenigen, die sich von ihm behandeln ließen, einigermaßen ängstlich darauf achteten, ob er gegen den Fall, ›alle die Mittel anwende, die er anwenden könne‹. Selbst der gute Herr Powderell, der in seiner milden Beurtheilungsweise geneigt war, Lydgate für das, was ihm als die gewissenhafte Verfolgung einer Reform erschien, nur um so mehr zu achten, fand sich, als seine Frau die Rose bekam, in seinem Gemüthe von Zweifeln bestürmt und konnte es nicht unterlassen, gegen Lydgate zu erwähnen, daß Herr Peacock bei einer ähnlichen Gelegenheit Pillen verschrieben habe, über deren Natur er nichts anderes sagen könne, als daß sie die merkwürdige Wirkung gehabt haben, Frau Powderell von einer Krankheit, die sie während eines sehr heißen August befallen habe, vor Michaelis wieder herzustellen.

Endlich fand er aus dem Conflicte zwischen seinem Wunsche, Lydgate nicht zu verletzen, und seiner ängstlichen Besorgniß, daß kein ›Mittel‹ versäumt werden möge, einen Ausweg, indem er seine Frau veranlaßte, im Geheimen ›Widgeon's purificirende Pillen‹ zu nehmen – ein sehr geschätztes Middlemarcher Mittel, welches jeder Krankheit an der Quelle dadurch Einhalt that, daß es sofort auf das Blut wirkte. Von dem Gebrauch dieses Mittels durfte Lydgate nichts erfahren und Herr Powderell selbst hatte kein unbedingtes Vertrauen zu demselben und hoffte nur, daß seine Anwendung sich vielleicht segensreich erweisen werde.

Aber in diesem zweifelhaften Stadium seiner Carriere kam Lydgate zu Hülfe, was wir Sterblichen voreilig ›Glück‹ nennen. Es ist wohl noch nie ein neuer Arzt in eine Stadt gekommen, ohne Kuren zu machen, die Einen oder den Andern überraschen, – Kuren, welche man Atteste des Glücks nennen könnte und welche gerade soviel Glauben verdienen wie geschriebene oder gedruckte Atteste. Verschiedene Patienten wurden unter Lydgate's Behandlung, Einige sogar von gefährlichen Krankheiten geheilt, und man bemerkte, daß der neue Doctor mit seinem neuen Verfahren wenigstens das Verdienst habe, die Leute vom Rande des Grabes zurückzubringen.

Der Unsinn, der bei solchen Gelegenheiten zu Tage gefördert wurde, war Lydgate um so fataler, als derselbe ihm gerade die Art von Nimbus verlieh, welche sich ein unfähiger und gewissenloser Mensch gewünscht haben würde und welche sich selbst bereitet zu haben, um damit zu ignorantem Aufpuffen seiner Verdienste zu ermuntern, die im Geheimen arbeitende Antipathie der andern Aerzte ihm Schuld geben würde. Aber selbst seine stolze Offenheit der Sprache fand ihre Schranke an der Wahrnehmung, daß es ebenso vergeblich sei, gegen die Auslegungen der Ignoranten zu kämpfen, wie den Nebel zu peitschen, und ›das Glück‹ beharrte dabei, ihn durch solche Auslegungen zu fördern.

Frau Larcher, die eben mit mitleidigem Interesse von gewissen beunruhigenden Symptomen bei ihrer Scheuerfrau Notiz genommen hatte, bat Dr. Minchin, als er sie besuchte, sich die Frau sogleich einmal anzusehen und ihr einen Schein für das Hospital auszustellen, worauf er nach vorgenommener Untersuchung einen Schein ausstellte, in welchem er das Leiden als Geschwür bezeichnete und die Ueberbringerin Nancy Nash als außer dem Hospital zu behandelnde Patientin empfahl.

Nancy, die ehe sie nach dem Hospital ging, in ihrer Wohnung vorsprach, ließ den Corsettenmacher und seine Frau, bei welchen sie eine Dachstube bewohnte, Dr. Minchin's Schein lesen und wurde auf diese Weise zu einem Gegenstande mitleidiger Unterhaltung in den benachbarten Läden in der Kirchhofstwiete, wo man von ihr als mit einem Geschwür behaftet sprach, welches zuerst so groß und hart wie ein Entenei sein sollte, im Lauf des Tages aber zu der Größe einer Faust anwuchs.

Die Meisten kamen darin überein, daß das Geschwür werde ausgeschnitten werden müssen; aber Einer wußte, daß Oel und ein Anderer, daß › squitchineal‹, in hinreichender Quantität genommen, im Stande sei, jedes Geschwür im Körper zu erweichen und schwinden zu machen – das Oel durch allmäliges Aufsaugen, das › squitchineal‹ durch Wegfressen.

Inzwischen traf es, sich, daß, als Nancy sich im Hospital präsentirte, Lydgate gerade du jour war. Nachdem er sie befragt und untersucht hatte, sagte er leise zu dem Hausarzt des Hospitals: »Es ist kein Geschwür, sondern ein Krampf« Er verschrieb ihr ein Zugpflaster und Stahltropfen, hieß sie nach Hause gehen und sich ruhig halten und gab ihr ein Billet an Frau Larcher, die sie als ihre beste Kunde bezeichnete, in welchem er ihr bezeugte, daß sie guter Nahrung bedürfe.

Aber allmälig wurde es mit Nancy in ihrem Dachstübchen bedenklich schlimmer, nachdem zwar das vermeintliche Geschwür dem Zugpflaster gewichen war, aber nur um in einer andern Gegend des Körpers mit heftigeren Schmerzen wieder zu erscheinen. Die Frau des Corsettenmachers holte Lydgate, der denn auch vierzehn Tage lang Nancy in ihrer Wohnung besuchte, bis sie unter seiner Behandlung ganz wieder hergestellt war und wieder an die Arbeit gehen konnte.

Aber Nancy's Leiden wurde fort und fort als ein Geschwür geschildert, nicht nur in der Kirchhofstwiete und andern Straßen, sondern auch von Frau Larcher; denn als sie dem Doctor Minchin von Lydgate's merkwürdiger Kur erzählte, mochte er natürlich nicht sagen: »Es war gar kein Geschwür und ich habe mich geirrt, als ich es so bezeichnete,« sondern sagte: »Wirklich, ah; ich sah gleich, daß es ein nicht bedenklicher Fall für eine chirurgische Behandlung sei.«

Es war ihm jedoch sehr unangenehm gewesen, als er sich im Hospital nach der zwei Tage vorher von ihm empfohlenen Frau erkundigt hatte, von dem Hausarzt, – einem jungen Manne, dem es gar nicht unlieb war, Minchin ungestraft ärgern zu können –, genau zu erfahren, was sich zugetragen habe; er sprach sich gegen vertraute Freunde dahin aus, daß es unschicklich für einen praktischen Arzt sei, der Diagnose eines consultirenden Arztes zu widersprechen, und stimmte bei einer spätern Gelegenheit mit Wrench darin überein, daß Lydgate von einer unangenehmen Rücksichtslosigkeit gegen ärztliche Etiquette sei.

Lydgate fand in dem Fall keine Veranlassung, sich auf seine bessere Einsicht etwas einzubilden und Minchin deshalb besonders gering zu schätzen, da eine solche Berichtigung falscher Urtheile oft unter Männern von gleicher Befähigung vorkomme. Aber das Gerücht bemächtigte sich dieses wunderbaren Falls eines Geschwürs, das man nicht klar von einem Krebs unterschied und das man für um so gefährlicher hielt, als es zu der Gattung der im Körper umherwandernden Geschwüre gehört habe; bis ein großer Theil der Vorurtheile gegen Lydgate's Methode in Betreff der Arzneien durch den Beweis seiner merkwürdigen Geschicklichkeit in der Behandlung von Nancy Nash, – die er von einem harten und hartnäckigen Geschwür, das ihr aber und abermals die furchtbarsten Schmerzen verursacht, von dem er sie aber doch endlich befreit habe –, überwunden war.

Was konnte Lydgate thun? Es schickt sich doch nicht, einer Dame, wenn sie uns ihre Bewunderung über unsere Geschicklichkeit ausdrückt, zu sagen, daß sie ganz und gar auf falscher Fährte und etwas närrisch in ihrer Bewunderung sei. Und wenn er es sich hätte beikommen lassen, auf Erörterungen über die Natur der Krankheiten näher einzugehen, so würde er sich dadurch nur eines neuen Verstoßes gegen die ärztliche Konvenienz schuldig gemacht haben. So mußte er sich unter den Erfolg beugen, den ihm jenes Lob der Ignoranten verhieß, welche für wirklich schätzbare Eigenschaften kein Verständniß hatten.

In dem Fall eines dem Publikum bekannteren Patienten, des Herrn Borthrop Trumbull, war sich Lydgate bewußt, sich als einen nicht ganz gewöhnlichen Arzt bewährt zu haben, obgleich er auch aus diesem Fall nur einen zweideutigen Gewinn zog. Der beredte Auctionator war von einer Lungenentzündung befallen und schickte, nachdem er früher ein Patient des Herrn Peacock gewesen war, zu Lydgate, den er protegiren zu wollen erklärt hatte. Herr Trumbull war ein robuster Mann und daher ein geeignetes Subject, um an ihm die Richtigkeit der Theorie des Abwartens zu erproben, bei welcher man eine interessante Krankheit so viel wie möglich sich selbst überläßt, den Verlauf derselben in ihren verschiedenen Stadien beobachtet und dadurch vielleicht der künftigen Behandlung solcher Fälle einen Dienst erweist. Und nach der Art, wie Trumbull seine Empfindungen schilderte, durfte Lydgate vermuthen, daß er sich gern von seinem Arzte ins Vertrauen gezogen und als an seiner eigenen Kur betheiligt betrachtet sehen würde.

Der Auctionator ließ sich, ohne sehr davon überrascht zu sein sagen, daß er eine Constitution habe, welche man, – natürlich immer unter sorgfältiger Beobachtung –, sich selbst überlassen könne, so daß er das schöne Paradigma einer in allen ihren Entwicklungsphasen sich klar darstellenden Krankheit liefern würde, und daß er die seltene Geisteskraft besitze, freiwillig die Probe einer rationellen Behandlung an sich anstellen zu lassen und so die Störung der Functionen seiner Lunge zu einer Wohlthat für die Menschheit zu machen.

Herr Trumbull erklärte sich sofort bereit und ging ganz auf die Ansicht ein, daß eine Krankheit seines Körpers eine nicht gewöhnliche Gelegenheit zur Bereicherung der medicinischen Wissenschaft sei.

»Seien Sie unbesorgt, Herr Doctor; Sie reden mit einem Manne, welcher der vis medicatrix nicht ganz unkundig ist,« sagte er mit seinem gewohnten Ausdruck der Ueberlegenheit, der durch die Schwierigkeit des Athmens noch etwas besonders Pathetisches bekam. Und mit muthiger Entschlossenheit enthielt er sich aller Arzeneien, während ihm die Anwendung des Thermometers, in welcher er ein Zeichen der Wichtigkeit seiner Temperatur erblickte, das Bewußtsein, daß er Objecte für das Mikroskop liefere, und die Bekanntschaft mit einer Menge neuer Wörter, welche der Würde seiner Secretionen angemessen schienen, eine große Befriedigung gewährte. Denn Lydgate war schlau genug, ihm das Vergnügen einer mit technischen Ausdrücken gewürzten Unterhaltung zu bereiten.

Man kann sich leicht denken, daß Herr Trumbull, als er von seinem Krankenlager wieder aufstand, sehr geneigt war, von einer Krankheit zu reden, in welcher er eine so glänzende Probe von der Stärke sowohl seines Geistes als seiner Constitution abgelegt hatte, und sich äußerst beflissen zeigte, das Lob des Arztes zu singen, welcher die Natur seines Patienten so gut erkannt habe.

Der Auctionator war kein ungroßmüthiger Mann und liebte es, in dem Bewußtsein, daß ihm das keinen Eintrag thun könne, Anderen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er hatte sich die Worte ›Methode des Abwartens‹ wohl gemerkt und sang nun Lobeshymnen über diese und andere gelehrte Phrasen mit der Versicherung, daß Lydgate »ein bischen mehr verstehe, als die übrigen Doctoren« – »daß er viel vertrauter mit den Geheimnissen seiner Kunst sei als die Mehrzahl seiner Berufsgenossen«.

Das hatte sich zugetragen, bevor Fred Vincy's Krankheit der Feindschaft Wrench's gegen Lydgate eine faßbarere Handhabe gegeben hatte. Der neue Ankömmling drohte bereits als Rival sich verderblich zu erweisen und erwies sich schon jetzt verderblich durch die praktisch geübte Kritik seiner schwer arbeitenden ältern Berufsgenossen, die etwas anderes zu thun gehabt hatten, als sich mit unerprobten Ideen zu befassen.

Seine Praxis hatte sich schon einigermaßen ausgebreitet und das Gerücht seiner vornehmen Familienverbindungen hatte von Anfang an dazu geführt, daß er sehr viel eingeladen wurde, so daß die andern Aerzte ihm in den besten Häusern begegnen mußten, und die öftere Begegnung mit einem Manne, den man nicht leiden kann, pflegt bekanntlich nicht leicht eine Zuneigung zu ihm herbeizuführen. Sie waren kaum jemals über irgend etwas so einig gewesen als darüber, daß Lydgate ein arroganter junger Patron sei, der aber doch, um sich einen herrschenden Einfluß zu verschaffen, gegen Bulstrode eine kriechende Ergebenheit zeige.

Daß Farebrother, dessen Name als das Hauptbanner der Anti-Bulstrode-Partei galt, Lydgate immer vertheidige und mit ihm befreundet sei, schrieb man auf Rechnung der unerklärlichen Art Farebrother's, auf beiden Seiten zu kämpfen.

Hier lag also hinreichender Zündstoff für den Ausbruch professionellen Widerwillens bei der Ankündigung der Regulative vor, welche Herr Bulstrode für die Direction des neuen Hospitals aufgestellt hatte und welche um so mehr zum Widerspruch reizten, als im Augenblick keine Möglichkeit vorlag, an Bulstrode's souveränem Belieben etwas zu ändern, da Niemand außer Lord Medlicote etwas zu dem Gebäude hatte beitragen wollen, indem alle in Anspruch Genommenen erklärt hatten, lieber das alte Krankenhaus unterstützen zu wollen. Herr Bulstrode bestritt alle Ausgaben und hatte aufgehört, es zu bedauern, daß er sich das Recht, seine reformatorischen Ideen ohne Behinderung durch vorurtheilsvolle Genossen zur Ausführung zu bringen, so theuer erkaufen müsse; aber er mußte große Summen hergeben, und der Bau hatte sich in die Länge gezogen.

Caleb Garth, der denselben übernommen hatte, war vor der Vollendung fallit geworden und hatte sich vor Beginn der innern Einrichtung von der Leitung zurückziehen müssen, pflegte aber noch jetzt, wenn er auf das Hospital zu sprechen kam, zu sagen, daß Bulstrode, wie unangenehm auch gelegentlich der geschäftliche Verkehr mit ihm sei, doch ein Freund von guter Zimmer- und Maurerarbeit sei und etwas von Abzugsröhren und Schornsteinen verstehe.

In der That war das Hospital ein Gegenstand des angelegentlichsten Interesses für Bulstrode geworden, und er würde gern fortgefahren haben, jährlich eine große Summe für dasselbe aufzuwenden, damit er es, ohne jede Beschränkung durch einen Vorstand, als Dictator regieren könne; aber er hatte noch einen andern Lieblingsplan, dessen Ausführung gleichfalls ziemlich bedeutende Summen erforderte; er wünschte nämlich einen Landbesitz in der Nähe von Middlemarch zu erwerben und suchte deshalb sich einige ansehnliche Beiträge zur Unterhaltung des Hospitals zu verschaffen.

Inzwischen entwarf er seinen Plan für die Verwaltung und ärztliche Leitung desselben. Das Hospital sollte ausschließlich für Fieberkranke aller Art bestimmt sein; Lydgate sollte Oberarzt sein, um ganz unbeschränkt alle vergleichenden Untersuchungen anstellen zu können, von deren Wichtigkeit er sich bei seinen Studien namentlich in Paris überzeugt habe; die übrigen Aerzte sollten nur eine berathende Stimme, aber nicht das Recht haben, Lydgate's schließlichen Entscheidungen entgegenzutreten, und die Verwaltung sollte ausschließlich in den Händen von fünf, Herrn Bulstrode beigegebenen Directoren liegen, welche im Verhältniß ihrer Beiträge Stimmen haben sollten. Jede Vaccanz im Vorstande sollte von diesem selbst ausgefüllt werden, und die Masse der kleinen Beitragszahler sollte nicht zu einem Antheil an der Regierung zugelassen werden.

Sofort weigerten sich alle Aerzte in der Stadt, ärztliche Funktionen in dem Fieber-Hospital zu übernehmen.

»Gut,« sagte Lydgate zu Bulstrode, »wir haben einen vortrefflichen Haus-Arzt und -Apotheker, einen intelligenten und geschickten Menschen; wir können Webbe von Crabsley, der ein so guter Landpraktiker ist wie Einer von ihnen, engagiren, zweimal zur Stadt zu kommen, und zu besonderen Operationen können wir Protheroe von Brassing hinzuziehen. Mir fällt dabei nur mehr Arbeit zu, das ist Alles; aber ich habe meine Stelle im alten Krankenhause bereits aufgegeben. Das Unternehmen wird ihnen zum Trotz doch gedeihen und dann werden sie nur zu froh sein, hier Beschäftigung zu finden. Die Dinge können nicht so bleiben, wie sie jetzt sind. Es müssen bald Reformen aller Art eingeführt werden, und dann wird es nicht an jungen Leuten fehlen, die gern herkommen und hier studiren werden.«

Lydgate war in bester Laune.

»Ich werde nicht weichen, Herr Lydgate, darauf können Sie sich verlassen,« sagte Bulstrode. »So lange ich Sie große Ideen energisch zur Ausführung bringen sehe, können Sie fest auf meine Unterstützung rechnen. Und ich hege die demüthige Zuversicht, daß der Segen, welcher bisher auf meinen Bestrebungen gegen den Geist des Bösen in dieser Stadt geruht hat, uns auch ferner nicht fehlen wird. Ich zweifle nicht, daß ich mir die Unterstützung geeigneter Directoren werde verschaffen können. Herr Brooke von Tipton hat mir bereits seine Mitwirkung und einen jährlichen Beitrag zugesagt. Er hat zwar die Summe nicht genannt, und sie wird wohl kaum sehr groß sein, er wird aber ein nützliches Mitglied des Vorstandes sein.«

Unter einem ›nützlichen Mitgliede‹ war hier vielleicht Jemand gemeint, der niemals einen eigenen Gedanken aussprechen und immer mit Herrn Bulstrode stimmen würde.

Jetzt machten die übrigen Aerzte aus ihrer Antipathie gegen Lydgate kaum mehr ein Hehl. Weder Dr. Sprague noch Dr. Minchin sagten, daß sie Lydgate's Kenntnisse oder seine Absicht, Verbesserungen in der Behandlung der Kranken einzuführen, nicht möchten; was ihnen an ihm mißfiele, sei seine Arroganz, welche Niemand ganz in Abrede stellen konnte. Sie gaben zu verstehen, daß er insolent anmaßend und von einer unbedachten, nur durch die Hoffnung auf Ansehen gestachelte Neuerungssucht, wie sie den Charlatan charakterisiren, sei.

Das Wort Charlatan konnte man, nachdem man es einmal hingeworfen, nicht wieder fallen lassen. In jenen Tagen war die Welt durch die wunderbaren Thaten des Herrn St. John Long John St. John Long (1798-1834), irischstämmiger Quacksalber, der behauptete, Tuberkulose heilen zu können. In zwei Fällen klagte man ihn des Totschlags an seinen Patienten an; im ersten Falle wurde er schuldig gesprochen und musste 250 £ Strafe zahlen, im zweiten Fall wurde er freigesprochen. – Anm.d.Hrsg. aufgeregt, welchem ›hochadlige und andere vornehme Herren‹ bezeugten, daß er ein quecksilberartiges Fluidum aus den Schläfen eines Patienten gezogen habe.

Eines Tages bemerkte Herr Toller lächelnd gegen Frau Taft, »daß Bulstrode in Lydgate einen Mann gefunden habe, wie er für ihn passe; ein religiösen Charlatan liebt natürlich auch andere Arten von Charlatans.«

»O ja! Das kann ich mir denken,« erwiderte Frau Taft, die während der ganzen Zeit die Zahl dreißig als die ihrer Maschen sorgfältig im Kopfe behielt; »es giebt so viele von der Sorte. Ich erinnere mich noch des Herrn Cheshire, der es versuchte, die Leute mit seinen eisernen Maschinen gerade zu machen, wenn es dem Allmächtigen gefallen hatte, sie krumm zu machen!«

»Nein, nein,« sagte Herr Toller. »Mit Cheshire war es etwas ganz anderes, der war ein durchaus ordentlicher Mann. – Aber da ist St. John Long – das ist so einer, den wir einen Charlatan nennen, einer, der die Leute auf neue Manieren kuriren will, von denen Niemand etwas weiß; einer, der Aufsehen erregen will und behauptet, daß er mehr verstehe als andere Leute. Neulich hat er behauptet, er habe einem Menschen auf den Kopf geklopft und dabei Quecksilber aus dem Gehirn gezogen.«

»Guter Gott! Was für ein freventliches Spiel mit der Constitution der Leute!« rief Frau Taft aus.

Nach dieser Unterhaltung galt es in verschiedenen Kreisen für ausgemacht, daß Lydgate zur Erreichung seiner besondern Zwecke mit der Constitution selbst respectabler Leute sein Spiel treibe, und wie viel wahrscheinlicher war es nicht, daß er in seiner leichtfertigen Experimentirsucht die Constitution der Hospitalpatienten in Unordnung bringen werde? Namentlich mußte man, wie die Wirthin des ›Bierkrug‹ gesagt hatte, darauf gefaßt sein, daß er rücksichtslos ihre todten Leiber aufschneiden werde. Denn Lydgate hatte sich, nachdem er Frau Goby während ihrer letzten Krankheit, – allem Anscheine nach einem Herzleiden, dessen Symptome jedoch nicht sehr prononcirt waren –, behandelt hatte, allzukühn von den Verwandten die Erlaubniß erbeten, die Leiche zu öffnen, und hatte dadurch, weit über Parley-Street hinaus, – wo diese Dame lange von einem Einkommen gelebt hatte, welches einen, ihr Andenken beleidigenden Vergleich mit der Behandlung der Opfer von Burke und Hare nahe legte –, Anstoß erregt.

 

So standen die Dinge, als Lydgate Dorothea von der Angelegenheit des Hospitals unterhielt. Wir haben gesehen, daß er Feindschaft und alberne Mißdeutungen in dem Bewußtsein, daß er dieselben theilweise seinem guten Erfolge zu verdanken habe, mit vielem Gleichmuth ertrug.

»Sie sollen mich nicht forttreiben,« sagte er zu Farebrother in einer vertraulichen Unterhaltung auf dessen Studirzimmer; »ich habe hier eine gute Gelegenheit, die Zwecke, die mir zumeist am Herzen liegen, zu verfolgen und ich bin ziemlich sicher, zu verdienen, was wir brauchen. Mit der Zeit werde ich meines Weges so ruhig wie möglich gehen; es giebt jetzt nichts, was mich aus dem Hause locken und von der Arbeit abziehen könnte. Und ich überzeuge mich mehr und mehr, daß es möglich sein wird, die ursprüngliche Homogeneität aller Gewebe nachzuweisen. Raspail und Andere sind auf derselben Spur und ich habe Zeit verloren.«

»Darüber vermag ich nichts vorauszusagen,« erwiderte Farebrother, der, während Lydgate sprach, nachdenklich die Wolken aus seiner Pfeife hatte aufsteigen lassen. »Was aber die Feindseligkeit in der Stadt anlangt, so werden Sie dieselbe überstehen, wenn Sie vorsichtig zu Werke gehen.«

»Wie soll ich vorsichtig zu Werke gehen?« fragte Lydgate. »Ich thue eben, was mir zu thun obliegt. Ich vermag gegen die Unwissenheit und den Groll der Leute sowenig wie Vesalius Andreas Vesal (latinisiert Andreas Vesalius, 1514-1564), flämischer Anatom und Chirurg der Renaissance; gilt als Begründer der neuzeitlichen Anatomie.– Anm.d.Hrsg.. Ich kann unmöglich mein Benehmen albernen Auffassungen, die Niemand voraussehen kann, anpassen.«

»Ganz richtig; das meine ich auch nicht. Ich dachte nur an zwei Dinge. Das Eine ist, halten Sie sich so fern von Bulstrode, wie Sie können. Natürlich dürfen Sie fortfahren, mit seiner Hülfe Gutes zu wirken; aber gehen Sie keine engere Verbindung mit ihm ein. Vielleicht erscheint das bei mir als der Ausdruck persönlicher Empfindungen, – und ich bekenne, daß ein gut Theil davon in meiner Aeußerung steckt –, aber persönliche Empfindungen leiten uns nicht immer irre, wenn es uns gelingt, dieselben zu reinigen und nur die Eindrücke zurückzubehalten, die dann als eine bloße Ansicht erscheinen.«

»Bulstrode ist mir nichts,« warf Lydgate nachlässig hin, »außer sofern er für mich bei öffentlichen Zwecken in Betracht kommt. Um mich sehr eng mit ihm zu verbinden, habe ich ihn nicht gern genug. Aber was war das Andere, wovon Sie sprachen?« fragte Lydgate weiter, der die Beine so bequem wie möglich über einander schlug und sich nicht eben eines Raths bedürftig fühlte.

»Nun, was ich meine, ist: Nehmen Sie sich in Acht experto crede – nehmen Sie sich in Acht, nicht in Geldverlegenheiten zu gerathen. Ich weiß aus einer Aeußerung, die Sie einmal fallen ließen, daß Ihnen mein vieles Kartenspielen um Geld nicht gefällt. Darin haben Sie ganz Recht. Aber sehen Sie zu, nicht in die Lage zu kommen, kleiner Summen zu bedürfen, die Sie nicht haben. Es ist vielleicht überflüssig, daß ich Ihnen das sage, aber wir lieben es ja, uns über uns selbst zu erheben, indem wir uns als schlechtes Beispiel hinstellen und daran Warnungspredigten für Andere knüpfen.«

Lydgate nahm Farebrother's Winke, die er sich von einem Andern kaum würde haben gefallen lassen, sehr freundlich auf. Er mußte sich erinnern, daß er kürzlich einige Schulden gemacht hatte; aber sie waren unvermeidlich gewesen, und er hatte die Absicht, jetzt sehr einfach zu leben. Das Mobiliar, welches er noch schuldig war, würde keiner Erneuerung bedürfen, und selbst sein Weinvorrath würde auf lange hinaus vorhalten.

Vieles wirkte zu jener Zeit mit Recht belebend und erheiternd auf ihn. Einen Mann, der sich ächter Begeisterung für würdige Ziele bewußt ist, hält im Kampfe mit kleinlichen Feindseligkeiten der Gedanke an große Vorgänger aufrecht, die sich ihren Weg mühsam zu erkämpfen hatten und die ihn als unfehlbar helfende Schutzheilige umschweben.

An dem Abend des Tages, wo Lydgate mit Farebrother geplaudert hatte, lag er zu Hause ausgestreckt auf dem Sopha, den Kopf zurückgelehnt und die Hände, wie er es zu thun liebte, wenn er brütete, hinter dem Kopfe gefaltet, während Rosamunde am Klavier saß und eine Melodie nach der andern spielte, von denen ihr Gatte (als der empfindsame Elephant, der er war!) nur wußte, daß sie ihn angenehm berührten wie das melodische Rauschen der See. Lydgate's Ausdruck war gerade in diesem Augenblick sehr schön, und Jeder, der ihn so gesehen hätte, würde diesem Manne sicher eine große Zukunft prophezeihet haben. In seinen dunkeln Augen wie um seinen Mund und auf seiner Stirn malte sich jene heitere Ruhe, welche einer contemplativen Stimmung entspringt, bei der der Geist nicht forscht, sondern schaut und der Blick von dem erfüllt zu sein scheint, was hinter ihm liegt.

Nicht lange und Rosamunde verließ das Klavier und setzte sich ihrem Gatten gegenüber auf einem Stuhl dicht neben dem Sopha.

»Ist das Musik genug für Dich, mein Herr und Meister?« fragte sie, indem sie ihre Hände vor sich auf dem Schooß faltete und eine kleine demüthige Miene annahm.

»Ja liebes Kind, wenn Du müde bist,« sagte Lydgate sanft, indem er seine Blicke ihr zukehrte und auf ihr ruhen ließ, sich aber sonst nicht rührte. Rosamunden's Gegenwart wog in Lydgate's innerem Gleichgewicht in jenem Augenblick vielleicht nicht schwerer als eine Feder auf einer Goldwage, und ihr weiblicher Instinkt ließ sie das wohl empfinden.

»Was absorbirt Dich so?«fragte sie, indem sie sich vorüberbeugte und ihr Gesicht dem seinigen näherte.

Er erhob die Hände und legte sie sanft auf ihre Schultern.

»Ich denke an einen großen Mann, der vor dreihundert Jahren ungefähr so alt war wie ich, als er bereits eine neue Aera der Anatomie herbeizuführen angefangen hatte.«

»Ich kann nicht rathen, wer das war,« sagte Rosamunde kopfschüttelnd. »Bei Frau Lemon pflegten wir ein Spiel zu spielen, bei dem man historische Personen rathen mußte, aber Anatomen kamen dabei nicht vor«

»Ich will es Dir sagen. Sein Name war Vesalius, und die einzige-Art, wie er dazu gelangen konnte, sich seine anatomischen Kenntnisse zu verschaffen, war, daß er nächtlicher Weile auf Kirchhöfen und Richtplätzen Leichen raubte.«

»O,« sagte Rosamunde, deren niedliches Gesicht dabei einen Ausdruck des Abscheus annahm. »Es freut mich sehr, daß Du nicht Vesalius bist. Ich sollte denken, er hätte auf einem weniger greulichen Wege seinen Zweck erreichen können!«

»Nein, das konnte er nicht,« erwiderte Lydgate, der zu ernst bei der Sache war, als daß er viel Notiz von ihrer Antwort genommen hätte. »Er konnte sich auf keinem andern Wege ein vollständiges Skelett verschaffen, als indem er das gebleichte Gerippe eines Verbrechers vom Galgen stahl, dasselbe vergrub und sich allmälig heimlich Nachts die einzelnen Stücke holte.«

»Ich hoffe, er ist keiner von Deinen großen Helden,« sagte Rosamunde halb scherzhaft, halb ängstlich. »Sonst muß ich es noch erleben, daß Du Nachts aufstehst und nach dem Kirchhof von Sanct Peter gehst. Du hast mir selbst erzählt, wie böse die Leute wegen Frau Goby auf Dich waren. Du hast schon Feinde genug.«

»Die hatte Vesalius auch, Rosy. Man darf sich nicht wundern, daß die alten Perrücken in Middlemarch eifersüchtig sind, wenn man weiß, daß die größten zu jener Zeit lebenden Aerzte wüthend auf Vesalius waren, weil sie an Galen geglaubt hatten, während er nachwies, daß Galen Unrecht gehabt habe. Sie nannten ihn einen Lügner und ein giftiges Ungeheuer. Aber die Thatsachen, wie sie sich aus der nähern Kenntniß des menschlichen Körpers ergaben, standen ihm zur Seite und so überwand er seine Gegner.«

»Und was wurde nachher aus ihm?« fragte Rosamunde, die sich für den Mann zu interessiren anfing.

»O, er hatte bis an sein Ende bös zu kämpfen. Und sie brachten ihn durch ihre Verfolgungen dahin, einen großen Theil seiner Werke zu verbrennen. Später litt er, als er eben auf der Rückreise von Jerusalem nach Padua begriffen war, wo er einen Lehrstuhl einnehmen sollte, Schiffbruch und kam dann elendiglich um's Leben.«

Nach einer kurzen Pause sagte Rosamunde:

»Weißt Du, Tertius, ich wünsche oft, Du wärest nicht Arzt geworden.«

»Nein, Rosy, so mußt Du nicht reden,« sagte Lydgate, indem er sie näher an sich zog, »das ist, als ob Du sagtest, Du wünschtest einen andern Mann geheirathet zu haben.«

»Durchaus nicht; Du hast Begabung für Alles und hättest leicht etwas anderes werden können. Und Deine Vettern in Quallingham finden Alle, daß Du durch Deine Wahl einer Profession gesellschaftlich unter sie herabgesunken bist«

»Die Vettern in Quallingham soll der Teufel holen,« sagte Lydgate höhnisch. »Wenn sie so etwas zu Dir gesagt haben, so stimmt das ganz zu ihrer sonstigen Unverschämtheit.«

»Aber hübsch finde ich den Beruf doch auch nicht,« erwiderte Rosamunde. Wir wissen, wie ruhig sie auf ihrer Meinung zu beharren pflegte.

»Rosamunde, es ist der schönste Beruf in der Welt,« sagte Lydgate feierlich. »Und wenn Du sagst, daß Du mich liebst, ohne den Arzt in mir zu lieben, so ist das, wie wenn Du sagtest, Du essest gern eine Pfirsich, mögest aber ihr Aroma nicht. Bitte, sage das nicht wieder, liebes Kind, es schmerzt mich.«

»Sehr wohl, mein gestrenger Herr Doctor« – sagte Rosy, indem sie ihre Grübchen zeigte. »Ich werde von nun an erklären, daß ich für Skelette und Leichenräuber und Insektenfüße und Flaschen und für Zänkereien mit der ganzen Welt, die Dir schließlich ein jämmerliches Ende bereiten werden, schwärme.«

»Nein, nein, so schlimm soll es nicht werden,« entgegnete Lydgate, der es aufgab, ernst mit ihr zu rechten, und sie resignirt liebkoste.



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