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Das Motto zu Kapitel 52 (in dieser Übersetzung Band 3, Kapitel 10):
His heart
The lowliest duties on itself did lay
Wordsworth: London, 1802
An dem Juniabende, an welchem Farebrother erfahren hatte, daß ihm die Lowicker Pfründe bestimmt sei, herrschte Freude in dem altmodischen Wohnzimmer und selbst die Portraits der großen Juristen schienen mit Befriedigung aus ihren Rahmen hervorzublicken. Farebrother's Mutter ließ ihren Thee und ihr geröstetes Brot unberührt stehen, saß aber mit ihrer gewohnten strammen Haltung da und ließ ihre Aufregung nur aus jenen gerötheten Wangen und jener Heiterkeit des Blicks erkennen, welche alten Frauen bisweilen auf Augenblicke eine rührende Aehnlichkeit mit ihrer einstmaligen jugendlichen Erscheinung verleihen.
»Das Beste dabei ist, Camden,« sagte sie in entschiedenem Tone, »daß Du es verdient hast.«
»Wenn ein Mann eine gute Stelle bekommt, so muß er sie sich zur Hälfte erst nachträglich verdienen,« erwiderte der Sohn in seinem überströmenden Gefühl der Freude, die er nicht zu verbergen suchte. Die Freude, die sich auf seinem Gesichte malte, hatte jenes Gepräge der Energie, die nicht nur nach außen hin leuchtet, sondern auch einen Blick in das Geistesleben des Glücklichen thun läßt; man glaubte in seinen Augen nicht nur Entzücken, sondern auch ernste Gedanken zu lesen.
»Höre, Tante,« fuhr er fort, indem er sich vergnüglich die Hände rieb und Fräulein Nobel ansah, welche sich nur durch zarte kleine Geräusche wie ein Mäuschen bemerklich machte, »von nun an soll immer Candiszucker auf dem Tische stehen, damit Du ihn stehlen und den Kindern geben kannst, und Du sollst eine Menge neuer Strümpfe haben, um sie zu verschenken, und sollst Deine eigenen mehr als jemals stopfen.«
Fräulein Nobel blickte ihren Neffen mit einem demüthigen, halb erschrockenen Lächeln an; denn sie war sich bewußt, bereits auf die neue Beförderung hin ein Extra-Stück Zucker in ihren Korb gleiten gelassen zu haben.
»Und Dir, Winny,« fuhr der Pfarrer fort, »werde ich nichts in den Weg legen, wenn Du irgend einen Junggesellen in Lowick heirathen willst – Herrn Salomon Featherstone zum Beispiel, sobald ich finde, daß Du Dich in ihn verliebst.«
Fräulein Winfred, die ihren Bruder während der ganzen Zeit angesehen und, was bei ihr der Ausdruck ihrer Freude war, reichlich geweint hatte, lächelte jetzt unter Thränen und sagte:
»Du mußt mir mit gutem Beispiele vorangehen, Cam; Du mußt Dich jetzt verheirathen.«
»Mit Freuden. Aber wer wird mich nehmen? So einen alten schäbigen Kerl,« sagte der Pfarrer, indem er aufstand, seinen Stuhl fortschob und sich selbst betrachtete, »was sagst Du dazu, Mutter?«
»Du bist ein hübscher Mann, Camden, wenn auch nicht ganz so stattlich, wie Dein Vater war,« entgegnete die alte Dame.
»Ich wollte Du heirathetest Fräulein Garth, Bruder,« sagte wieder Fräulein Winifred. »Sie würde so viel Leben in unser Haus in Lowick bringen.«
»Du sprichst wahrhaftig, als wenn junge Damen wie Geflügel auf dem Markte zur Auswahl zusammengebunden wären, als ob ich nur eine auszusuchen brauchte und jede mich gern nehmen würde,« erwiderte der Pfarrer, der es vermied, näher auf die Genannte einzugehen.
»Uns ist nicht jede recht,« entgegnete Fräulein Winifred. »Aber Fräulein Garth würde Dir gefallen, nicht wahr, Mutter?«
»Meines Sohnes Wahl soll auch die meinige sein,« antwortete Frau Farebrother mit majestätischer Zurückhaltung, »und eine Frau wäre mir sehr willkommen, Camden. Du wirst in Lowick Deine Parthie Whist bei Dir machen wollen, und Henriette Noble war nie eine Whistspielerin.«
Frau Farebrother sprach von ihrer kleinen alten Schwester nie anders als unter diesem prächtig klingenden Namen.
»Ich werde mich fortan ohne Whist begnügen, Mutter.«
»Warum das, Camden? Zu meiner Zeit betrachtete man Whist als eine ganz erlaubte Unterhaltung für einen gut kirchlich gesinnten Mann,« bemerkte Frau Farebrother, die nicht ahnte, welche Bedeutung das Whist für ihren Sohn hatte, in etwas scharfem Tone, als wenn es sich hier um eine gefährliche Begünstigung einer neuen Doctrin handele.
»Ich werde mit meinen beiden Kirchspielen zu viel zu thun haben,« sagte der Pfarrer, der es vorzog, sich auf keine nähere Erörterung des Werths jenes Spiels einzulassen.
Er hatte bereits zu Dorotheen gesagt:
»Ich fühle mich nicht verpflichtet, mein Pfarramt an St. Botolph aufzugeben. Ich glaube hinlänglich im Sinne Derer zu handeln, welche das Cumuliren von Pfründen in einer Hand abschaffen wollen, wenn ich einem Andern den größten Theil der Einnahme aus jener Pfründe zukommen lasse. Es kommt darauf an, nicht eine Macht, die wir besitzen, aufzugeben, sondern sie gut anzuwenden.«
»Ich habe auch über diesen Gegenstand nachgedacht,« erwiderte Dorothea. »Was unsere eigene Person betrifft, so würde es uns, glaube ich, leichter werden, Macht und Geld aufzugeben als zu behalten. Es scheint mir sehr unpassend, daß ich dieses Patronat habe, und doch fühle ich, daß ich es keinem Andern überlassen darf.«
»Es ist nun an mir, mein Amt so zu versehen, daß Sie keine Ursache haben, Ihre Machtbefugniß zu bedauern,« sagte Farebrother.
Er war eine von den Naturen, deren Gewissenhaftigkeit sich steigert, wenn das Joch des Lebens aufhört, ihren Nacken wund zu reiben. Er trug zwar seine Demuth bei dieser Gelegenheit nicht zur Schau; aber in seinem Herzen konnte er sich eines Gefühls der Scham darüber nicht erwehren, daß er sich bisher Lässigkeiten habe zu Schulden kommen lassen, von welchen andere, die nicht mit Pfründen bedacht wurden, frei waren.
»Ich habe oft gewünscht, ich wäre etwas anderes als ein Geistlicher geworden,« sagte er zu Lydgate. »Jetzt ist es aber vielleicht das Beste, was ich thun kann, wenn ich versuche, einen möglichst guten Geistlichen aus mir zu machen. Sie sehen, das ist der Standpunkt des Inhabers einer guten Pfründe, von welchem aus sich die Schwierigkeiten sehr vereinfachen,« schloß er lächelnd.
Dem Pfarrer schien es jetzt, daß ihm die Erfüllung seiner Pflichten leicht werden würde. Aber die Pflicht tritt uns gern in einer unerwarteten Gestalt entgegen – etwa wie ein corpulenter Freund, den wir freundlich eingeladen haben, uns zu besuchen, und der in unserem Hause ein Bein bricht.
Ungefähr eine Woche später trat ihm die Pflicht in seinem Studirzimmer in der Gestalt von Fred Vincy entgegen, der jetzt aus dem Omnibus College mit dem Grade eines Bacclaureus artium zurückgekehrt war.
»Ich wage kaum, Sie jetzt zu behelligen, Herr Farebrother,« begann Fred, dessen hübsches offenes Gesicht günstig für ihn stimmen müßte, »aber Sie sind der einzige Freund, den ich zu Rathe ziehen kann. Ich habe Ihnen schon früher einmal Alles erzählt, und Sie waren damals so gütig gegen mich, daß ich mir nicht anders zu helfen weiß, als wieder zu Ihnen zu kommen.«
»Setzen Sie sich, Fred. Ich bin bereit, zu hören und für Sie zu thun, was ich kann,« sagte der Pfarrer, der eifrig damit beschäftigt war, einige kleine Gegenstände seiner Sammlung für den Umzug einzupacken, und mit dieser Beschäftigung fortfuhr.
»Ich wollte Ihnen sagen« – Fred zauderte einen Augenblick, faßte sich aber dann ein Herz und sagte ohne Weiteres: »Ich möchte jetzt doch Geistlicher werden; denn ich kann mich umsehen, so viel ich will, ich finde nichts anderes, was ich ergreifen könnte. Ich habe keine Lust dazu; aber ich weiß, daß es sehr hart für meinen Vater wäre, wenn ich ihm das erklärte, nachdem er so viel Geld für meine Vorbereitung zu diesem Berufe ausgegeben hat.«
»Ich habe mit Ihrem Vater über die Sache gesprochen, Fred, aber ich bin nicht weit mit ihm gekommen. Er sagte, es sei jetzt zu spät. Sie haben ja aber jetzt schon eine Brücke überschritten. Was haben Sie denn nun noch für Schwierigkeiten?«
»Nur – daß ich keine Lust dazu habe. Ich bin kein Freund von Theologie und vom Predigen und mag nicht ernst aussehen müssen. Ich liebe es über Land zu reiten und überhaupt zu leben wie andere Menschen. Nicht daß ich mich in irgend einer Beziehung schlecht benehmen möchte; aber ich finde keinen Geschmack an dem Wesen, das die Leute nun einmal von einem Geistlichen erwarten. Und doch, was kann ich anders thun? Mein Vater hat kein Kapital für mich übrig, sonst würde ich vielleicht Landmann werden, und er hat auch keinen Platz für mich in seinem Geschäft. Und natürlich kann ich jetzt, wo mein Vater von mir erwartet, daß ich Geld verdiene, nicht noch anfangen, Jurisprudenz oder Medicin zu studiren. Es ist leicht gesagt, daß ich Unrecht thue, Geistlicher zu werden; aber die das sagen, könnten mir ebenso gut rathen, in den Urwald zu gehen.«
Fred hatte die letzten Worte in einem vorwurfsvoll murrenden Tone gesprochen, und Farebrother würde sich vielleicht versucht gefühlt haben zu lächeln, wenn sein Geist nicht zu beschäftigt gewesen wäre, noch etwas anderes hinter Fred's Worten zu suchen.
»Haben Sie etwa Bedenken gegen gewisse Glaubenslehren oder gegen die Artikel?« fragte er, indem er sich aufrichtig bemühte, die Frage nur aus dem Gesichtspunkt von Fred's Interesse zu betrachten.
»Nein, ich glaube die Artikel sind gut. Ich halte mich weder für befugt noch für befähigt, sie zu bestreiten, und viel bessere und gescheidtere Menschen als ich erklären sich völlig einverstanden mit denselben. Ich glaube, es wäre lächerlich, wenn ich solche Bedenken geltend machen wollte, als wenn ich darüber ein competentes Urtheil hätte,« sagte Fred ganz bescheiden.
»Dann haben Sie wohl gedacht, Sie könnten ein guter Prediger werden, ohne gerade ein großer Theologe zu sein.«
»Natürlich werde ich, wenn ich einmal Geistlicher sein muß, versuchen meine Pflicht zu thun, wenn ich auch keinen Geschmack an der Sache finde. Glauben Sie, daß irgend Jemand ein Recht hätte, das tadelnswerth zu finden?«
»Daß Sie unter diesen Umständen Geistlicher werden? – Das müssen Sie mit Ihrem Gewissen abmachen, Fred – müssen sich klar darüber werden, welche Neigungen Sie dabei zum Opfer bringen müssen und was Ihre Stellung von Ihnen fordern wird. Ich kann Ihnen nur von mir sagen, daß ich immer zu lax gewesen bin und mich in Folge dessen unbehaglich gefühlt habe.«
»Für mich besteht aber noch eine andere Schwierigkeit,« sagte Fred erröthend. »Davon habe ich bisher noch nicht mit Ihnen gesprochen, wenn ich auch vielleicht Dinge gesagt habe, die es Sie haben errathen lassen. Es giebt eine Person, die ich sehr liebe, die ich seit meinen Kinderjahren geliebt habe.«
»Vermuthlich Fräulein Garth,« sagte der Pfarrer, indem er einige Zettel sehr genau besah.
»Ja, ich würde alle Bedenken bei Seite setzen, wenn sie mich nehmen wollte. Und ich weiß, daß ich dann ein guter Mensch werden könnte.«
»Und glauben Sie, daß sie Ihre Neigung erwidert?«
»Sie wird das nie zugestehen, und vor längerer Zeit hat sie mir das Versprechen abgenommen, nicht wieder mit ihr davon zu reden. Und sie ist ganz speciell dagegen, daß ich Geistlicher werde, das weiß ich. Aber ich kann sie nicht aufgeben. Gestern Abend sprach ich Frau Garth, und sie sagte mir, daß Mary bei Ihrer Schwester im Pfarrhause in Lowick zum Besuch sei.«
»Ja, sie geht meiner Schwester sehr liebenswürdig zur Hand. Möchten Sie sie dort aufsuchen?«
»Nein, ich möchte Sie um eine große Gefälligkeit bitten. Ich schäme mich, Sie in dieser Weise zu quälen; aber vielleicht würde Mary auf Sie hören, wenn Sie der Sache gegen sie Erwähnung thäten – ich meine meiner Absicht, Geistlicher zu werden.«
»Das ist ein sehr delikater Auftrag, mein lieber Fred. Ich kann ihn nicht ausrichten, ohne als Vertrauter Ihrer Neigung zu erscheinen, und ihr die Sache vorbringen, wie Sie es wünschen, würde so viel heißen wie: sie fragen, ob sie Ihre Neigung erwidere.«
»Das eben soll sie Ihnen sagen,« antwortete Fred gerade heraus, »ich weiß nicht, was ich anfangen soll, so lange ich nicht über ihre Gesinnung im Klaren bin.«
»Sie meinen, Sie würden sich dadurch bei Ihrem Entschluß, Geistlicher zu werden, leiten lassen?«
»Wenn Mary erklären würde, daß sie mich unter keiner Bedingung nehmen wolle, so wäre es mir gleichgültig, auf welchem Wege ich fehl ginge.«
»Das ist Unsinn, Fred. Ein Mann überlebt wohl seine Liebe, aber kein Mensch überlebt die Folgen seines gedankenlosen Handelns.«
»Meine Liebe würde ich nicht überleben; so lange ich denken kann, habe ich Mary geliebt. Wenn ich sie aufgeben müßte, so würde es mir sein, wie wenn ich verurtheilt wäre, als Krüppel durch die Welt zu gehen.«
»Wird sie sich nicht durch meine Einmischung verletzt fühlen?«
»Nein, ich bin fest überzeugt, das wird sie nicht. Sie schätzt Sie höher als irgend Jemanden, und sie würde Sie nicht mit Späßen abweisen, wie sie es mit mir macht. Natürlich würde ich niemand Anderern als Ihnen die Sache mitgetheilt und niemand Anderen gebeten haben, mit ihr zu reden. Es giebt Niemanden, der so sehr unser Beider Freund wäre.« Fred hielt einen Augenblick inne und sagte dann in einem etwas klagenden Tone: »Und sie müßte doch anerkennen, daß ich gearbeitet habe, um mein Examen machen zu können. Und sie müßte glauben, daß ich mich um ihretwillen auch ferner anstrengen würde.«
Beide schwiegen einen Augenblick, dann legte Farebrother die Gegenstände, mit denen er eben beschäftigt war, bei Seite und reichte Fred die Hand mit den Worten:
»Gut, mein Junge. Ich will Ihren Wunsch erfüllen.«
Noch an demselben Tage ritt Farebrother nach dem, Pfarrhause in Lowick auf dem Pferde, das er sich eben angeschafft hatte.
»Was bin ich doch für ein alter Kerl,« dachte er bei sich. »Ich muß es mir gefallen lassen, daß der junge Nachwuchs mich bei Seite schiebt.«
Er fand Mary in dem Garten, damit beschäftigt, Rosen zu pflücken und die Rosenblätter auf einem leinenen Tuch auszubreiten. Die Sonne stand schon niedrig, und hohe Bäume warfen ihre Schatten auf den Grasplatz, auf dem Mary ohne Hut und Sonnenschirm hin- und herging. Sie bemerkte Farebrother's Annäherung längs des Rasens nicht und hatte sich eben gebückt um einen braun und schwarz gefleckten Terrier, der beharrlich auf das Tuch trat und die Rosenblätter, während Mary sie ausstreuete, beschnüffelte, abzukanzeln. Sie nahm seine Vorderpfoten in die eine Hand und hielt den Zeigefinger der andern Hand erhoben, während der Hund die Augbrauen runzelte und eine verlegene Miene machte.
»Fly, Fly, schäme dich,« sagte Mary mit einer ernsten tiefen Altstimme. »Das schickt sich nicht für einen verständigen Hund; jeder Mensch würde dich für einen albernen jungen Mann halten.«
»Sie sind unbarmherzig gegen junge Männer, Fräulein Garth,« sagte der Pfarrer, als er sich ihr auf sechs Schritte genähert hatte.
Mary sprang auf und erröthete:
»Es lohnt sich immer der Mühe, vernünftig mit Fly zu reden,« sagte sie lachend.
»Und nicht mit jungen Männern?«
»O vielleicht mit einigen, da ja einige immer vortreffliche Männer werden.«
»Es freut mich, daß Sie das zugeben; denn ich möchte eben jetzt Ihr Interesse für einen jungen Mann in Anspruch nehmen.«
»Hoffentlich für keinen albernen,« sagte Mary, die wieder anfing die Rosen zu zerpflücken und ihr Herz unruhig klopfen fühlte.
»Nein, wenn auch Weisheit vielleicht nicht gerade seine starke Seite ist, sondern vielmehr Zuneigung und Aufrichtigkeit. Indessen liegt mehr Weisheit in diesen beiden Eigenschaften, als die Leute zu glauben geneigt sind. Ich hoffe, Sie verstehen, aus diesen Andeutungen, welchen jungen Mann ich meine.«
»Ja, ich glaube wohl,« sagte Mary mit tapferer Entschlossenheit, während ihr Gesicht eine ernstere Miene annahm und ihre Hände kalt wurden: »Es muß Fred Vincy sein.«
»Er hat mich gebeten, Sie zu fragen, was Sie davon denken würden, wenn er Geistlicher würde. Ich hoffe, Sie finden es nicht anmaßend von mir, daß ich ihm versprochen habe, das zu thun.«
»Im Gegentheil, Herr Farebrother,« sagte Mary, indem sie von ihrer Beschäftigung mit den Rosen abließ und die Arme verschränkte, ohne jedoch aufblicken zu können. »So oft Sie mir etwas zu sagen haben, fühle ich mich geehrt.«
»Bevor ich aber näher auf diese Frage eingehe, lassen Sie mich kurz einen Punkt berühren, über den mich Ihr Vater in's Vertrauen gezogen hat. Es war beiläufig, an eben jenem Abende, an welchem ich schon einmal eine Mission von Fred an Sie ausrichtete, als er eben auf die Universität gegangen war. Ihr Vater erzählte mir, was in der Nacht von Featherstone's Tod vorgefallen war – wie Sie sich geweigert hatten, das Testament zu verbrennen; daß Sie sich deswegen Gewissensbisse machten, weil Sie die unschuldige Ursache gewesen seien, daß Fred seine zehntausend Pfund nicht bekommen habe. Ich habe das im Gedächtniß behalten, und ich habe seitdem etwas gehört, was Sie darüber beruhigen kann – was Ihnen zeigen kann, daß Sie sich deshalb keine Vorwürfe zu machen brauchen.«
Farebrother hielt einen Augenblick inne und sah Mary an. Er wollte zwar Fred gewiß keines Vortheils berauben; hielt es aber doch für gut, Mary's Gemüth von einem jener abergläubischen Gefühle zu befreien, von denen sich Frauen bisweilen verleiten lassen, einen Mann zu heirathen, nur um ein ihm angethanes Unrecht wieder gut zu machen. Mary's Wangen brannten ein wenig und sie schwieg.
»Ich meine, daß Ihre Handlungsweise in der That nichts an Fred's Loos geändert hat. Ich habe erfahren, daß das erste Testament nach Verbrennung des zweiten nicht gültig gewesen sein würde. Es würde nicht aufrecht zu erhalten gewesen sein, wenn es bestritten worden wäre. Und es wäre bestritten worden, das ist sicher! In dieser Beziehung dürfen Sie sich beruhigt fühlen.«
»Ich danke Ihnen, Herr Farebrother,« sagte Mary in feierlichem Ton. »Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie von meinen Gefühlen Notiz nehmen.«
»Gut. Jetzt kann ich fortfahren. Sie wissen, Fred hat sein Examen gemacht. Soweit hat er sich glücklich durchgearbeitet und die Frage ist, was er jetzt beginnen soll? Diese Frage ist aber so schwierig für ihn, daß er geneigt ist, sich den Wünschen seines Vaters zu fügen und Geistlicher zu werden, wiewohl er, wie Sie besser als ich wissen, früher entschieden gegen diesen Beruf war. Ich habe mich über die Sache eingehender mit ihm unterhalten, und ich bekenne, ich halte die Schwierigkeiten, die sich seiner Wahl dieses Berufs entgegensetzen, nach Lage der Sache nicht für unüberwindlich. Er hat mir erklärt, daß er glaube, der pflichtgetreuen Erfüllung dieses Berufes seine besten Kräfte widmen zu können, – unter einer Bedingung. Wenn diese Bedingung erfüllt würde, so würde ich Alles aufbieten, Fred bei seinem Unternehmen förderlich zu sein. Nach einiger Zeit, – natürlich nicht gleich zu Anfang – könnte er vielleicht mein Pfarrgehülfe werden, und er würde in dieser Stellung so viel zu thun haben, daß seine Einnahme sich beinahe auf so viel belaufen würde, wie meine bisherige Einnahme als Pfarrer. Ich wiederhole aber, daß das Alles nur unter einer Bedingung möglich ist. Er hat mir sein Herz geöffnet, Fräulein Garth, und mich gebeten, ein gutes Wort bei Ihnen für ihn einzulegen. Die Erfüllung jener Bedingung hängt ganz von Ihnen ab.«
Mary sah so erregt aus, daß er nach einer kurzen Pause sagte: »Lassen Sie uns ein wenig gehen,« und als sie nun neben einander hergingen, fügte er hinzu: »Um es gerade herauszusagen, Fred möchte nichts unternehmen, was die Möglichkeit, daß Sie sich einmal entschließen möchten, sein Weib zu werden, vermindern könnte; wenn er aber darauf hoffen dürfte, so würde er jeder Beschäftigung, mit welcher Sie sich einverstanden erklärten, seine besten Kräfte widmen.«
»Es ist mir unmöglich zu erklären, daß ich je seine Frau werden will, Herr Farebrother; aber ganz gewiß werde ich nie seine Frau werden, wenn er Geistlicher wird. Was Sie sagen, ist sehr edel und freundlich; ich denke nicht einen Augenblick daran, Ihr Urtheil berichtigen zu wollen; ich habe nur so meine mädchenhafte spöttische Art, die Dinge anzusehen,« sagte Mary mit einem wiederkehrenden Anflug von Schelmerei in ihrer Antwort, welche die Bescheidenheit derselben nur um so reizender erscheinen ließ.
»Er möchte gern, daß ich ihm ganz genau berichte, was Sie denken,« sagte Farebrother.
»Ich könnte keinen Mann lieben, der mir lächerlich erschiene,« entgegnete Mary, indem sie es vermied, tiefer auf die Sache einzugehen. »Fred hat Verstand und Kenntnisse genug, um sich, wenn er will, in einer guten weltlichen Thätigkeit eine geachtete Stellung zu verschaffen, aber ich werde ihn mir nie predigend und ermahnend, Segen sprechend und am Krankenbett betend vorstellen können, ohne daß mir dabei zu Muthe wäre, wie wenn ich eine Carricatur ansehe. Er würde nur Geistlicher werden, um einen ›gentilen‹ Beruf zu haben, und es giebt nach meiner Ansicht nichts Verächtlicheres als seine solche alberne Gentilität. Den Eindruck hatte ich immer bei Herrn Crowse mit seinem leeren Gesicht, seinem zierlichen Regenschirm und seinen affectirten kleinen Reden. Was für ein Recht haben solche Menschen, sich als Vertreter der christlichen Religion hinzustellen – als ob dieselbe ein Institut für die gentile Erziehung von Idioten wäre – als ob« – Mary hielt plötzlich inne. Sie hatte sich fortreißen lassen und vergessen, daß sie nicht mit Fred, sondern mit Herrn Farebrother sprach.
»Junge Damen sind streng, sie haben kein Gefühl für die Bedeutung des handelnden Lebens wie die Männer, obgleich Sie, Fräulein Garth, vielleicht eine Ausnahme von der Regel machen. Aber Sie wollen doch Fred Vincy nicht auf eine so niedrige Stufe stellen?«
»Nein, gewiß nicht. Er hat Verstand genug, aber ich glaube nicht, daß er denselben als Geistlicher würde zeigen können. Er würde der Inbegriff berufsmäßiger Affectation sein.«
»Ihre Antwort lautet also ganz entschieden dahin, daß er sich als Geistlicher keine Hoffnungen machen dürfte.«
Mary schüttelte den Kopf.
»Wenn er sich aber aller Schwierigkeiten ungeachtet sein Brot auf andere Weise zu verdienen wüßte, – wollen Sie ihm für diesen Fall Hoffnung geben? Darf er hoffen, Sie zu gewinnen?«
»Ich glaube, Fred brauchte sich nicht noch einmal sagen zu lassen, was ich ihm schon gesagt habe,« antwortete Mary, in deren Wesen sich etwas wie Verdruß aussprach: »Ich meine, er müßte nicht solche Fragen stellen, bis er sich eine seiner würdige Thätigkeit geschafft hätte, anstatt immer zu erklären, daß er im Stande sein würde, das zu thun.«
Farebrother schwieg längere Zeit; erst als sie umkehrten, und im Schatten eines Ahornbaumes stille standen, sagte er:
»Ich verstehe, daß Sie sich jedem Versuch, Sie zu binden, widersetzen; aber Sie müssen sich doch bewußt sein, ob Ihre Gefühle für Fred Vincy Ihnen den Gedanken an eine andere Neigung unmöglich machen oder nicht; in dem einen Fall würde er darauf rechnen können, daß Sie unverheirathet blieben, bis er Zeit gehabt hätte, Ihre Hand zu verdienen, in dem andern Falle würde er sich unter allen Umständen auf eine Enttäuschung gefaßt machen müssen. Verzeihen Sie mir, Mary, – Sie wissen, daß ich Sie so zu nennen pflegte, als ich Ihnen Religionsunterricht gab –, aber wenn das Glück eines Lebens, – das Glück von mehr als einem Leben von der Neigung eines Mädchens abhängt, so würde dasselbe, glaube ich, edler handeln, wenn es sich vollkommen rückhaltlos und offen ausspräche.«
Jetzt schwieg Mary, welche nicht sowohl von dem, was Farebrother sagte, als von seinem Tone, der das Gepräge einer tiefen gewaltsam zurückgedrängten Gemüthsbewegung an sich trug, frappirt war. Als ihr plötzlich der sonderbare Gedanke durch den Kopf fuhr, daß er bei seinen Worten sich selbst im Sinne haben könne, wies sie denselben ungläubig zurück und schämte sich. Sie hatte es nie für möglich gehalten, daß irgend ein Mann sie lieben könne außer Fred, der sich ihr mit dem Messingring eines Regenschirms hatte antrauen lassen, als sie noch Röckchen und kleine Knopfschuhe trug, – und noch weniger, daß sie Farebrother, dem gescheidtsten Mann in ihrem kleinen Kreise, ein tieferes Interesse einflößen könne. Sie hatte jetzt nur Zeit zu fühlen, daß das Alles nebelhaft und vielleicht illusorisch sei; aber eines war für sie klar und bestimmt – ihre Antwort.
»Da Sie es für meine Pflicht halten, Herr Farebrother, so will ich Ihnen sagen, daß ich zu lebhaft für Fred empfinde, als daß ich ihn für einen Andern aufgeben könnte. Ich würde nie ganz glücklich sein können, wenn ich denken müßte, daß er über meinen Verlust unglücklich wäre. Es wurzelt zu tief in mir – meine Dankbarkeit gegen ihn, daß er mich von unserer frühesten Jugend an immer so innig geliebt hat und es sich immer so sehr zu Herzen genommen hat, wenn ich mir weh that. Ich kann mir nicht vorstellen, daß je ein neues Gefühl in mir auftauchen könnte, welches jene alten Gefühle abschwächen würde. Es würde mich mehr als Alles freuen, wenn er sich der allgemeinen Achtung würdig zeigte; aber, bitte sagen Sie ihm, daß ich ihm nicht eher versprechen könnte, ihn zu heirathen; ich würde sonst meinem Vater und meiner Mutter Schande und Kummer bereiten. Er kann also, wenn er will, eine Andere wählen.«
»So habe ich also meinen Auftrag vollständig ausgerichtet,« sagte Farebrother, indem er Mary seine Hand reichte, »und ich werde sofort wieder nach Middlemarch zurückreiten. Unter dem Antrieb dieser Aussicht wollen wir Fred schon irgendwo an seine rechte Stelle bringen, und ich hoffe, es wird mir noch vergönnt sein, Ihren Bund zu weihen. Gott segne Sie.«
»O bitte, bleiben Sie doch noch und nehmen Sie eine Tasse Thee,« sagte Mary.
Ihre Augen füllten sich mit Thränen, denn etwas Unerklärliches, etwas wie ein entschlossen unterdrückter Schmerz, der sich in Farebrother's Wesen äußerte, ließ plötzlich ein Gefühl der Trauer über sie kommen, wie sie es einst empfunden hatte, als sie die Hand ihres Vaters in einem schlimmen Augenblicke zittern sah.
»Nein, liebes Kind, nein, ich muß zurück.«
Wenige Minuten später saß der Pfarrer wieder zu Pferde, nachdem er sich großherzig der Erfüllung einer Pflicht unterzogen hatte, die ihm viel schwerer gefallen war als der Verzicht auf das Whist oder selbst das Niederschreiben bußfertiger Betrachtungen.