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Das Motto zu Kapitel 49 (in dieser Übersetzung Band 3, Kapitel 7):
A task too strong for wizard spells
This squire had brought about;
'Tis easy dropping stones in wells,
But who shall get them out?
Ich wünschte zu Gott, wir könnten es verhindern, daß Dorothea je etwas davon erführe,« sagte Sir James mit etwas gerunzelter Stirn und einem sehr prononcirten Ausdruck des Widerwillens um seinen Mund.
Er stand auf dem Kaminteppich in der Bibliothek im Herrenhause zu Lowick, als er diese Aeußerung gegen Herrn Brooke that. Es war am Tage nach dem Begräbniß Casaubon's, und Dorothea war noch nicht im Staude ihr Zimmer zu verlassen.
»Das würde schwierig sein, wissen Sie, Chettam, da sie Executrix ist und es liebt, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen – Eigenthum, Land, und was dahin gehört. Sie hat ihre eigenen Ideen, wissen Sie,« sagte Herr Brooke, indem er seine Lorgnette mit einer etwas nervösen Bewegung auf die Nase setzte und an den Rändern eines gefalteten Papiers, welches er in der Hand hielt, forschend herumspielte, »und sie wird selbstständig handeln wollen – verlassen Sie sich darauf, Dorothea wird ihre Rechte als Executrix wahrnehmen wollen. Und sie ist vorigen Dezember mündig geworden, wissen Sie. Ich kann nichts dagegen thun.«
Sir James blickte einige Augenblicke schweigend auf den Teppich, sah dann plötzlich wieder auf, heftete seine Augen auf Herrn Brooke und sagte:
»Ich will Ihnen sagen, was wir thun können. Bis Dorothea wieder ganz wohl ist, muß alles Geschäftliche von ihr fern gehalten werden, und sobald sie das Fahren wieder vertragen kann, muß sie zu uns kommen. Das Zusammensein mit Celia und dem Baby wird das Beste für sie sein und wird ihr die Zeit rasch vergehen machen. Inzwischen aber müssen Sie sich Ladislaw's entledigen, müssen Sie ihn von hier fortschicken.«
Bei diesen Worten zeigte sich der Ausdruck des Widerwillens auf Sir James Gesicht wieder in seiner ganzen Schärfe.
Herr Brooke legte seine Hände auf den Rücken, trat an's Fenster und setzte sich mit einem kleinen Ruck in Positur, bevor er antwortete:
»Das ist leicht gesagt, Chettam, leicht gesagt, wissen Sie.«
»Mein werther Herr Brooke,« beharrte Sir James, indem er seine Indignation hinter einer respectvollen Ausdrucksweise verbarg: »Sie haben ihn hergebracht, und Sie sind es, der ihn hier hält – ich meine, durch die Beschäftigung, die Sie ihm geben.«
»Ja, ich kann ihn aber nicht, ohne Gründe anzugeben, ohne Weiteres fortschicken, mein lieber Chettam. Ladislaw hat sich als höchst werthvoll, unschätzbar erwiesen. Ich halte dafür, daß ich dieser Gegend einen Dienst geleistet habe, indem ich ihn herbrachte – indem ich ihn herbrachte, wissen Sie.«
Bei diesen Worten wandte Herr Brooke sich um und nickte Sir James zu.
»Es ist schade,« entgegnete Sir James, »daß diese Gegend nicht ohne ihn hat fertig werden können; das ist Alles, was ich darauf zu erwidern habe. Unter allen Umständen aber halte ich mich als Dorothea's Schwager für berechtigt, mich jedem Versuche ihrer Verwandten, ihn hier zu halten, energisch zu widersetzen. Sie werden hoffentlich zugeben, daß ich ein Recht habe, da, wo es sich um die Würde der Schwester meiner Frau handelt, ein Wort mitzureden.«
Sir James wurde warm.
»Natürlich, mein lieber Chettam, natürlich. Aber Sie und ich, wir sind verschiedener Ansicht – verschiedener –«
»Nicht in Betreff dieser Handlung Casaubon's, hoffe ich,« unterbrach ihn Sir James: »Nach meiner Ansicht hat er Dorothea in höchst ignobler Weise blosgestellt; nach meiner Ansicht hat es nie eine niedrigere, eines Gentleman unwürdigere Handlung gegeben – ein Codicill dieser Art zu einem Testament, welches er zur Zeit seiner Verheirathung mit dem Wissen und der vertrauensvollen Zustimmung ihrer Familie gemacht hat – eine positive Insulte gegen Dorothea!«
»Nun Sie wissen, Casaubon war mit Ladislaw ein wenig gespannt. Ladislaw hat mir auch den Grund mitgetheilt. – Abneigung gegen seine Richtung, wissen Sie – Ladislaw hielt nicht viel von Casaubon's gelehrten Ideen; und ich denke mir, Casaubon gefiel die unabhängige Stellung nicht, die Ladislaw sich verschafft hatte. Ich habe die zwischen ihnen gewechselten Briefe gesehen, wissen Sie. Der arme Casaubon war ein bischen unter Büchern vergraben, er kannte die Welt nicht«
»Es ist Alles ganz schön, daß Ladislaw die Sache in diesem Lichte darstellt,« sagte Sir James. »Aber ich glaube, Casaubon war nur Dorothea's wegen eifersüchtig auf ihn, und die Welt wird annehmen, daß sie ihm einigen Grund zu dieser Eifersucht gegeben hat, und das giebt der Sache etwas so Widerwärtiges – ihren Namen mit dem dieses jungen Menschen zu verbinden!«
»Mein lieber Chettam, Sie legen der Sache zu großen Werth bei, wissen Sie,« sagte Herr Brooke, indem er sich seine Lorgnette wieder aufsetzte. »Die Sache paßt ganz zu Casaubon's andern Sonderbarkeiten. Da, sehen Sie nur dieses Blatt ›Synoptische Tabelle‹ u. s. w., zum Gebrauch für Frau Casaubon; das fand sich bei dem Testamente. Er wünschte vermuthlich, daß Dorothea seine Untersuchungen herausgeben sollte – und sie wird es thun, wissen Sie; sie hat sich merkwürdig in seine Studien einzuarbeiten gewußt.«
»Mein werther Herr Brooke,« unterbrach ihn Sir James ungeduldig, »das gehört gar nicht hieher. Die Frage ist, ob Sie nicht mit mir begreifen, daß die Schicklichkeit es Ihnen zur Pflicht macht, den jungen Ladislaw fortzuschicken.«
»Nun, nein. Ich kann die Sache nicht für so dringlich ansehen. Vielleicht, daß sie sich allmälig macht. Was das Geschwätz der Leute anlangt, wissen Sie, so würde dem ja dadurch, daß man ihn fortschickt, nicht Einhalt gethan werden. Die Leute sagen, was sie Lust haben, auch wenn sie sich dabei auf nichts stützen können,« erwiderte Herr Brooke, indem er sich scharfsichtig für die Wahrheit erwies, die seinen Wünschen entsprach. »Ich könnte mich Ladislaw's vielleicht bis zu einem gewissen Punkte entledigen – ihm die Redaction des ›Pionier‹ wieder abnehmen und so dergleichen. Aber ich könnte ihn nicht von hier fortschicken, wenn er keine Lust hätte zu gehen – wenn er keine Lust hätte, wissen Sie.«
Wie er so ruhig auf seinem Stück beharrte, als ob er sich über das vorjährige Wetter unterhielte, und am Schluß seiner Erörterungen immer mit seiner gewohnten selbstzufriedenen Freundlichkeit nickte, bot Herr Brooke ein ärgerlichen Bild menschlicher Verstocktheit dar.
»Guter Gott!« rief Sir James, mit dem ganzen Aufgebot leidenschaftlicher Erregung, deren er fähig war: »Lassen Sie uns ihm eine Stelle verschaffen, wenn es uns auch Geld kostet. Wenn er im Dienste eines Colonialgouverneurs eine Anstellung bekommen könnte! Grampus könnte ihn nehmen – und ich könnte an Fulke darüber schreiben.«
»Aber Ladislaw würde sich nicht verschiffen lassen wie ein Stück Vieh, lieber Freund; Ladislaw hat seine eigenen Ideen. Nach meiner Ueberzeugung würden Sie, wenn er sich morgen von mir trennte, nur desto mehr von ihm reden hören. Bei seinem Talent zum öffentlichen Reden und zur passenden Verwendung von Dokumenten giebt es wenige Männer, die es mit ihm als Agitator aufnehmen könnten – als Agitator, wissen Sie.«
»Agitator!« wiederholte Sir James mit bitterem Nachdruck, wie wenn eine emphatische Betonung der Silben dieses Wortes seine Gehässigkeit zur Genüge ausdrücken müßte.
»Aber seien Sie doch vernünftig, Chettam. Für Dorothea ist es, wie Sie sagen, das Beste, sobald wie möglich zu Celien zu gehen. Sie kann sich einige Zeit in Ihrem Hause aufhalten, und inzwischen können sich die Dinge vielleicht ruhig ordnen. Lassen Sie uns unser Pulver nicht zu rasch verschießen, wissen Sie. Standish wird reinen Mund halten, und die Sache wird, bis sie bekannt wird, alles Interesse für die Leute verloren haben. Zwanzig Dinge können Ladislaw veranlassen, von hier fortzugehen, ohne daß ich das Geringste dazu thue, wissen Sie.«
»Sie lehnen es also ab, irgend etwas zu thun?«
»Ablehnen, Chettam? – nein – ich habe den Ausdruck ›ablehnen‹ nicht gebraucht. Ich sehe aber wirklich nicht ein, was ich dabei thun könnte. Ladislaw ist ein Gentleman.«
»Das freut mich zu hören!« sagte Sir James, der sich in seiner Gereiztheit ein wenig vergaß. »Ich weiß nur so viel, daß Casaubon kein Gentleman war.«
»Nun es wäre doch noch schlimmer gewesen, wenn er mit dem Codicill bezweckt hätte, sie überhaupt zu verhindern, sich wieder zu verheirathen, wissen Sie.«
»Das weiß ich nicht,« sagte Sir James. »Das wäre weniger indelicat gewesen.«
»Das war eine von den Grillen des armen Casaubon. Der Anfall hat sein Gehirn ein wenig angegriffen. Es hat aber alles nichts zu bedeuten. Sie würde Ladislaw gar nicht heirathen mögen.«
»Aber dieses Codicill ist so gefaßt, daß Jedermann glauben muß, sie würde es mögen. Von Dorothea glaube ich das auch nicht,« sagte Sir James und fügte dann stirnrunzelnd hinzu: »Aber ich habe Ladislaw im Verdacht. Ich gestehe Ihnen offen, ich habe Ladislaw im Verdacht.«
»Ich könnte aber doch auf diesen Grund hin nichts unmittelbar in der Sache thun, Chettam. Selbst wenn es möglich wäre, ihn einzupacken und fortzuschicken – ihn nach Norfolk Island Zu Australien gehörende Insel im Pazifik, 1774 von James Cook entdeckt; seit 1788 wegen ihrer Abgelegenheit zunächst britische Sträflingskolonie. – Anm.d.Hrsg. zu schicken – oder nach einem ähnlichen Ort – so würde es die Sache für Alle, die etwas davon wissen, nur in einem für Dorothea noch ungünstigeren Lichte erscheinen lassen. Es würde aussehen, als wenn wir ihr mißtrauten – ihr mißtrauten, wissen Sie.«
Daß dieses Argument Herrn Brooke's unleugbar richtig war, wirkte nicht beschwichtigend auf Sir James. Er griff nach seinem Hute und gab damit zu verstehen, daß er nicht gemeint Einer der für den Übersetzer typischen Anglizismen, statt »gesonnen«. – Anm.d.Hrsg. sei, noch weiter zu streiten, sagte aber noch in ziemlich erregtem Tone:
»Nun, ich kann nur sagen, daß Dorothea nach meiner Ansicht damals geopfert worden ist, weil ihre Verwandten zu sorglos waren. Ich meinerseits werde als ihr Schwager jetzt thun, was ich kann, sie zu schützen.«
»Sie können nichts Besseres thun, als sie sobald wie möglich nach Freshitt bringen, Chettam. Mit diesem Plane bin ich völlig einverstanden,« sagte Herr Brooke, dem es ein angenehmes Bewußtsein war, in dem Streite gesiegt zu haben.
Es würde ihm außerordentlich schlecht gepaßt haben, sich jetzt von Ladislaw zu trennen, wo jeder Tag eine Auflösung des Parlaments bringen konnte und wo den Wählern die Art, wie den Interessen des Landes am Besten gedient werden könne, überzeugend nachgewiesen werden mußte. Herr Brooke glaubte aufrichtig, daß dieser Zweck durch seine Wahl ins Parlament erreicht werden könne, und stellte der Nation seine geistigen Kräfte in redlicher Absicht zur Verfügung.