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Fünfzehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 57 (in dieser Übersetzung Band 3, Kapitel 15)

They numbered scarce eight summers when a name
   Rose on their souls and stirred such motions there
As thrill the buds and shape their hidden frame
   At penetration of the quickening air:
His name who told of loyal Evan Dhu,
   Of quaint Bradwardine, and Vich Jan Vor,
Making the little world their childhood knew
   Large with a land of mountain, lake, and scaur,
And larger yet with wonder, love, belief
   Towards Walter Scott, who, living far away,
Sent them this wealth of joy and noble grief.
   The book and they must part, but, day by day,
      In lines that thwart like portly spiders ran,
      They wrote the tale, from Tully Veolan. Der Text bezieht sich auf den Roman »Waverly« von Sir Walter Scott. – Anm.d.Hrsg.


An dem Abend, wo Fred Vincy nach dem Pfarrhause in Lowick gehen wollte, – er hatte angefangen, einzusehen, daß er in einer Welt lebe, in welcher selbst ein lebenslustiger junger Mann bisweilen aus Mangel an einem Pferde zu Fuße gehen muß –, machte er sich um fünf Uhr auf und sprach unterwegs bei Frau Garth vor, um sich zu vergewissern, daß sie mit seinem neuen Verhältniß zu ihrer Familie einverstanden sei.

Er fand die ganze Familie, Hunde und Katzen mit einbegriffen, unter dem großen Apfelbaum im Obstgarten versammelt. Frau Garth feierte ein Fest; denn ihr ältester Sohn Christy, ihr Stolz und ihre Freude, war während einer kurzen Ferienzeit nach Hause gekommen – Christy, der es für die schönste Aufgabe in der Welt hielt, Lehrer zu sein, die Literaturen aller Völker zu studiren und ein neuer Porson Richard Porson (1759-1808), britischer Klassischer Philologe. – Anm.d.Hrsg. zu werden, und der eine lebendige Kritik des armen Fred war – ein höchst geeignetes Objekt für den Anschauungsunterricht, den die erziehungslustige Mutter des Musterjünglings dem armen Fred gewiß gern geben würde.

Christy selbst, der eine breitschultrige breitgestirnte männliche Ausgabe seiner Mutter war und Fred eben über die Schulter reichte, – was es nur um so empfindlicher für Fred machte, daß Christy für ihm überlegen gehalten wurde –, benahm sich immer so einfach wie möglich und nahm an Fred's Abneigung gegen Gelehrsamkeit nicht mehr Anstoß, als wenn er eine Giraffe gewesen wäre, der er nur an körperlicher Größe näher zu kommen gewünscht hätte.

Jetzt eben lag er auf dem Boden neben dem Stuhl seiner Mutter, mit einem flach über die Augen gelegten Strohhut, während Jim an der andern Seite stand und laut aus jenem Lieblingsschriftsteller vorlas, der schon so viele junge Menschen glücklich gemacht hat. Das Buch war ›Ivanhoe‹ und Jim las eben von dem großen Bogenschießen bei dem Turnier, wurde aber dabei sehr oft von Ben unterbrochen, der seine alte Armbrust mit Pfeilen herbeigeholt hatte und sich, wie Letty fand, entsetzlich unangenehm dadurch machte, daß er immer die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf seine ziellosen Schüsse lenken wollte, worauf aber niemand einzugehen Lust hatte, als Brownie, ein lebhafter, aber wahrscheinlich oberflächlicher Blendling, während der schon ergraute Neufundländer, der in der Sonne lag, mit der stampfen Gleichgültigkeit des höchsten Alters zusah. Letty selbst, deren Mund und Gartenschürze einige leichte Spuren davon trugen, daß sie beim Sammeln der Kirschen, welche in einem Korallenhaufen auf dem Tische standen, geholfen hatte, saß jetzt auf dem Rasen und hörte mit weit geöffneten Augen dem Lesen zu.

Aber der Mittelpunkt des Interesses veränderte sich für Alle, als Fred Vincy erschien. Als er auf einem Gartenstuhl Platz genommen und gesagt hatte, daß er auf dem Wege nach dem Pfarrhause von Lowick sei, schritt Ben, der seinen Bogen weggeworfen und statt dessen ein widerstrebendes Kätzchen ergriffen hatte, über Fred's ausgestrecktes Bein weg und sagte:

»Nimm mich mit.«

»O mich auch,« rief Letty.

»Du kannst mit mir und Fred nicht Schritt halten,« sagte Ben.

»O das kann ich doch. Bitte, Mutter, sage, daß ich mitgehen soll,« bat Letty, in deren Leben der Widerstand gegen die geringschätzige Behandlung ihrer Person von Seiten der Knaben eine große Rolle spielte.

»Ich bleibe bei Christy,« bemerkte Jim, wie um damit auszudrücken, daß er vor den einfältigen Kindern bevorzugt sei; worauf Letty ihre Hand an den Kopf legte und ihre Blicke mit eifersüchtiger Unentschlossenheit zwischen den beiden Brüdern hin- und herschreiten ließ.

»Laßt uns Alle zusammen gehen und Mary besuchen,« sagte Christy, indem er die Arme ausbreitete.

»Nein, lieber Junge. Wir dürfen nicht in Masse nach dem Pfarrhause gehen. Und mit Deinem alten Glasgower Anzuge könntest Du Dich gar nicht blicken lassen. Ueberdies wird Vater bald nach Hause kommen. Wir müssen Fred allein gehen lassen; er kann Mary sagen, daß Du hier bist, und dann wird sie morgen wieder nach Hause kommen.«

Christy warf erst einen Blick auf seine fadenscheinigen Kniee und dann auf Fred's schöne weiße Beinkleider. Unstreitig setzte Fred's Toilette die Vortheile einer englischen Universitätserziehung in ein helles Licht, und selbst die Art, wie er sich das Haar mit dem Schnupftuch aus der heiß gewordenen Stirn strich, hatte etwas Graziöses.

»Kinder, lauft fort,« sagte Frau Garth. »Bei der großen Wärme werdet Ihr Fred lästig. Bittet Euren Bruder, mit Euch zu gehen, und zeigt ihm die Kaninchen.«

Der älteste Sohn verstand seine Mutter und nahm die Kinder sofort mit sich. Fred begriff, daß Frau Garth ihm eine Gelegenheit zu geben wünsche, Alles zu sagen, was er auf dem Herzen habe; er wußte aber die Unterhaltung nicht anders zu eröffnen, als indem er sagte:

»Wie froh müssen Sie sein, Christy jetzt hier zu haben!«

»Ja, er ist früher gekommen, als ich gehofft hatte. Er kam heute Morgen um neun Uhr, eben nachdem sein Vater fortgegangen war. Ich kann die Zeit nicht erwarten, bis Caleb nach Hause kommt und hört, was für herrliche Fortschritte Christy gemacht hat. Er hat seinen Unterhalt im vergangenen Jahre durch Stundengeben bestritten und hat dabei doch eifrig fortstudirt. Er hofft bald auswärts eine Hauslehrerstelle zu bekommen.«

»Er ist ein sehr tüchtiger Mensch,« sagte Fred, für den diese heitere Wahrheit einen Beigeschmack von Arznei hatte, »und macht Niemandem Sorge.« Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu, »aber ich fürchte, Sie werden der Meinung sein, daß ich Herrn Garth sehr viel zu schaffen mache.«

»Caleb macht sich gern zu schaffen; er gehört zu den Menschen, die immer mehr thun, als irgend Jemand sie zu bitten sich einfallen lassen würde,« antwortete Frau Garth.

Sie strickte und konnte nach Belieben Fred ansehen oder auf ihre Arbeit blicken, immer ein Vortheil für denjenigen, der dem Andern gern heilsame Wahrheiten beibringen möchte; und obgleich Frau Garth die gebührende Zurückhaltung gegen Fred zu beobachten dachte, wünschte sie doch ihm Einiges zu seinem Nutz und Frommen zu sagen.

»Ich weiß, daß Sie mich für sehr unwürdig halten, Frau Garth, und das aus guten Gründen,« sagte Fred, den die Beobachtung, daß Frau Garth Lust verspüre, ihm eine Art von Strafpredigt zu halten, etwas aufregte. »Ich habe mich gerade gegen die Leute am schlechtesten benommen, von denen ich nicht umhin kann, das Meiste für mich zu hoffen. Aber da zwei Männer wie Herr Garth und Herr Farebrother mich trotzdem nicht aufgegeben haben, so sehe ich nicht ein, warum ich mich selbst aufgeben sollte.«

Fred dachte, es könne nur gut sein, Frau Garth diese männlichen Beispiele vorzuhalten.

»Gewiß,« sagte sie mit gesteigertem Nachdruck. »Ein junger Mann, dem zwei solche ältere Männer mit Aufopferung Dienste geleistet haben, würde in der That sehr schuldig sein, wenn er sich schlecht machen und sich der ihm gebrachten Opfer unwürdig zeigen wollte.«

Fred befremdete diese starke Sprache ein wenig; er sagte aber nur:

»Ich denke, das wird bei mir nicht der Fall sein, Frau Garth, da ich die ermuthigende Hoffnung habe, Mary zu gewinnen. Hat Herr Garth Ihnen davon gesagt? Es wird Sie schwerlich überrascht haben,« schloß Fred, indem er sich unbefangen auf seine Liebe als auf etwas wahrscheinlich hinreichend Bekanntes bezog.

»Nicht überrascht, daß Mary Sie ermuthigt hat?« erwiderte Frau Garth, die dafür hielt, es könne Fred nur gut sein, sich recht klar zu machen, daß Mary's Familie das unmöglich habe wünschen können, was auch die Vincy's darüber denken möchten. »Ich bekenne, daß ich allerdings überrascht war.«

»Sie hat mir selbst nie ein ermuthigendes Wort gesagt,« fuhr Fred, der Mary vor jedem Vorwurf schützen wollte, fort. »Aber sie hat Herrn Farebrother, als er auf meine Bitte mit ihr sprach, mir zu sagen erlaubt, daß ich mir Hoffnung machen dürfe.«

Der Ermahnungstrieb, der sich in Frau Garth zu regen angefangen, hatte sich noch nicht genug gethan. Es war doch, selbst für ihre Selbstbeherrschung, eine gar zu starke Zumuthung, es ruhig mit anzusehen, daß dieser rosige Knabe auf Kosten ernsterer und weiserer Männer gedeihe – sich eines kostbaren Schatzes bemächtige, ohne seinen Werth zu erkennen, und daß noch dazu seine Familie sich einbilde, die ihrige trage ein lebhaftes Verlangen nach dem Besitz dieses Bürschchens.

Ihr Verdruß darüber hatte sich nur um so schärfer in ihr entwickelt, als sie denselben ihrem Gatten gegenüber hatte völlig unterdrücken müssen. Die exemplarischsten Frauen gelangen so bisweilen dahin, ihren Verdruß an Sündenböcken auszulassen. Sie sagte jetzt mit energischer Entschiedenheit:

»Sie haben einen großen Mißgriff begangen, Fred, als Sie Herrn Farebrother baten, für Sie zu sprechen.«

»So?« fragte Fred rasch erröthend. Er fühlte sich beunruhigt, wußte aber durchaus nicht, was Frau Garth damit sagen wollte, und fügte in einem entschuldigenden Tone hinzu: »Herr Farebrother ist immer ein so guter Freund unserer Familie gewesen, und ich wußte, daß Mary seinen Worten ein ernstes Gehör schenken würde, und er übernahm es ganz bereitwillig.«

»Ja, junge Leute sind gewöhnlich blind gegen Alles, was nicht ihren Wünschen entspricht, und haben selten eine Verstellung davon, wie theuer diese Wünsche Anderen zu stehen kommen,« erwiderte Frau Garth.

Sie wollte es bei dieser allgemeinen heilsamen Lehre bewenden lassen und machte ihrer Entrüstung dadurch Luft, daß sie stirnrunzelnd ganz unnöthigerweise ihr Garn abwickelte.

Aber Fred, der gleichwohl fühlte, daß Frau Garths Worte etwas ihm Ueberraschendes verhüllten, sagte:

»Ich kann nicht begreifen, wieso die Sache für Herrn Farebrother irgendwie peinlich gewesen sein könne.«

»Das ist es eben, Sie können es nicht begreifen,« sagte Frau Garth, indem sie ihre Worte so scharf wie möglich betonte.

Einen Augenblick sah Fred mit dem Ausdruck banger Angst in die Luft, wandte sich aber dann rasch wieder zu Frau Garth und sagte in einem scharfen Ton:

»Wollen Sie damit sagen, Frau Garth, daß Herr Farebrother Mary liebt?«

»Und wenn dem so wäre, Fred, so wären Sie, denk' ich, der Letzte, den das überraschen könnte,« erwiderte Frau Garth, indem sie ihren Strickstrumpf neben sich legte und die Arme verschränkte.

Es war ein Zeichen ungewöhnlicher Aufregung bei ihr, wenn sie ihre Handarbeit bei Seite legte. In der That waren ihre Gefühle getheilt zwischen der Befriedigung, Fred eine Lektion gegeben zu haben, und dem Bewußtsein, ein wenig zu weit gegangen zu sein.

Fred nahm Hut und Stock und stand rasch auf.

»Sie meinen also, daß ich ihm und daß ich Mary im Wege stehe?« sagte er in einem Ton, der eine Antwort zu erheischen schien.

Frau Garth aber wußte nicht sogleich, was sie sagen sollte. Sie hatte sich selbst in die unangenehme Lage gebracht, sich aufgefordert zu sehen, ihre wahre Meinung zu sagen, die sie doch gute Gründe hatte zu verbergen. Und das Bewußtsein, zu viel gesagt zu haben, war für sie etwas besonders Peinliches. Ueberdies hatte Fred ihre Aeußerungen mit unerwarteter Lebhaftigkeit aufgenommen und fügte jetzt noch hinzu:

»Herrn Garth schien der Gedanke, daß Mary mir zugethan sei, angenehm zu sein. Er kann von dem, was Sie eben andeuteten, unmöglich etwas gewußt haben.«

Diese Erwähnung ihres Gatten berührte Frau Garth wie ein Gewissensbiß; denn der Gedanke, daß Caleb finden möchte, sie habe Unrecht gethan, war ihr unerträglich. Sie antwortete in dem Bestreben, unbeabsichtigten Folgen vorzubeugen:

»Was ich gesagt habe, war eine bloße Schlußfolgerung. Es ist mir nicht bekannt, ob Mary irgend etwas von der Sache weiß.«

Aber sie zauderte, Fred zu bitten, unbedingtes Schweigen über einen Gegenstand zu beobachten, dessen sie selbst unnöthiger Weise Erwähnung gethan hatte, da sie nicht gewöhnt war, sich in dieser Weise zu demüthigen. Und während sie noch zauderte, trat schon unter dem Apfelbaum, wo das Theegeschirr stand, ein kleines Ereigniß ein, das in ungestümem Durcheinander eine Fülle von störenden Folgen nach sich zog.

Ben, der eben, Brownie dicht hinter sich, über das Gras gesprungen kam, schrie und klatschte in die Hände, als er sah, daß das Kätzchen den Strickstrumpf an einem langen Faden hinter sich her schleppte; Brownie fing an zu bellen, und das Kätzchen sprang in seiner Verzweiflung auf den Theetisch und stieß die Milch um, sprang dann wieder hinunter und fegte dabei eine Menge von Kirschen auf den Boden, und Ben griff nun nach dem halbfertigen Strickstrumpf, zog denselben dem Kätzchen über das Gesicht und machte es damit ganz rasend, während Letty, die eben dazu kam, ihre Mutter gegen diese Grausamkeit zu Hülfe rief. Es war eine Scene der aufregendsten Natur.

Frau Garth war genöthigt, sich ins Mittel zu legen, auch die andern Kinder kamen herbei und das tête à tête mit Fred hatte ein Ende. Er ging so bald wie möglich fort und Frau Garth konnte nur noch den Eindruck ihrer Strenge dadurch etwas zu mildern suchen, daß sie, als er ihr beim Abschied die Hand reichte, sagte:

»Gott segne Sie.«

Sie hatte das unangenehme Bewußtsein, daß sie nahe daran gewesen sei, zu reden, ›wie es ein thörichtes Weib thut‹, das zuerst etwas sagt und dann nicht weiter davon zu sprechen bittet. Aber das Letztere hatte sie nicht gethan, und sie beschloß, um Caleb's Tadel zuvorzukommen, sich selbst zu tadeln und ihm noch diesen Abend Alles zu bekennen. Es war sonderbar, wie furchtbar ihr der milde Caleb erschien, wenn er einmal mit ihr in's Gericht ging. Aber sie dachte ihm vorzustellen, daß die Enthüllung Fred Vincy vielleicht sehr gut thun werde.

Unstreitig verspürte er auf seinem Wege nach Lowick die Wirkung dieser Enthüllung sehr nachdrücklich. Fred's leichte hoffnungsvolle Natur hatte sich vielleicht noch nie so empfindlich getroffen gefühlt, wie eben durch die Andeutung, daß, wenn er nicht im Wege gewesen wäre, Mary eine vollkommen gute Parthie hätte machen können. Auch verdroß es ihn jetzt, daß er, wie er es selbst nannte, ein so alberner Tölpel gewesen sei, sich jene Intervention von Farebrother zu erbitten.

Aber es wäre gegen die Natur eines Verliebten, es wäre gegen Fred's Natur gewesen, wenn nicht die nun erweckte Besorgniß im Betreff der Gefühle Mary's für ihn jede andere Furcht überwogen hätte. Unerachtet seines Vertrauens zu Farebrother's Großmuth, unerachtet dessen, was Mary demselben gesagt hatte, konnte Fred doch nicht umhin sich einzugestehen, daß er einen Nebenbuhler habe. Das war für ihn ein neues Bewußtsein, in das sich zu finden er aber durchaus nicht geneigt war; er fühlte sich nicht im Mindesten dazu aufgelegt, auf Mary zu ihrem eigenen Besten zu verzichten, war vielmehr bereit, mit jedem Manne, er sei wer er wolle, um ihren Besitz zu kämpfen.

Der Kampf mit Farebrother konnte aber nur ein figürlicher sein, und ein solcher erschien Fred unendlich viel schwieriger als ein mit körperlichen Waffen geführter. Unstreitig war diese Erfahrung für Fred eine kaum weniger bittere Lehre, als es seine Enttäuschung über das Testament seines Onkels gewesen war. Das Schwert war ihm noch nicht in die Seele gedrungen, aber er hatte doch angefangen, sich eine Vorstellung von der Wunde zu machen, welche die Schwertspitze ihm beibringen würde.

Fred dachte nicht einen Augenblick, daß Frau Garth sich in Betreff Farebrother's geirrt haben könne, aber er glaubte annehmen zu dürfen, daß sie, was Mary angehe, auf falscher Fährte sei. Mary war seit einiger Zeit zum Besuch im Pfarrhause, und ihre Mutter mochte wohl sehr wenig von dem wissen, was in ihrem Gemüthe vorgegangen war.

Es stimmte ihn nicht heiterer, daß er sie heiter aussehend mit den drei Damen im Wohnzimmer fand. Sie waren eben in einer lebhaften Unterhaltung über einen Gegenstand begriffen, den sie fallen ließen, als er eintrat, und Mary war damit beschäftigt, von einem Haufen vor ihr aufgestellter leerer Schubfächer die auf dieselben geklebten Zettel in einer zierlichen Handschrift sehr geschickt zu copiren. Farebrother war ins Dorf gegangen, und die drei Damen wußten nichts von Fred's besonderm Verhältniß zu Mary; es war daher für die beiden jungen Leute unmöglich, sich einander vorzuschlagen, einen Gang durch den Garten zu machen, und Fred sah voraus, daß er wieder werde fortgehen müssen, ohne ein Wort mit Mary allein gesprochen zu haben.

Er erzählte ihr zuerst von Christy's Ankunft und dann von seinem Engagement bei ihrem Vater und fand zu seinem Trost, daß diese letztere Nachricht sie sehr angenehm berührte. Sie sagte rasch: »Ach, das freut mich,« und beugte sich dann so über ihre Schreibarbeit, daß niemand ihr Gesicht sehen konnte. Aber ihre Aeußerung war doch der Art gewesen, daß Frau Farebrother sie nicht unbemerkt vorübergehen lassen zu können glaubte.

»Sie wollen doch nicht sagen, liebes Fräulein Garth, daß es Sie freut, daß ein junger Mann den geistlichen Stand, für den er erzogen worden ist, aufgegeben hat; Sie meinen nur, daß, nachdem es einmal geschehen sei, Sie sich darüber freuen, daß Herr Vincy unter einem so vortrefflichen Manne, wie Ihr Vater es ist, steht.«

»Nein, ich fürchte wirklich, Frau Farebrother, ich freue mich über Beides,« sagte Mary, die sich dabei geschickt einer vordringlichen Thräne entledigte. »Ich bin schrecklich weltlich gesinnt. Ich habe nie einen Geistlichen leiden mögen, außer den Pfarrer von Wakefield und Herrn Farebrother.«

»Und warum das, liebes Kind?« fragte Frau Farebrother, indem sie ihre langen Holzstricknadeln einen Augenblick ruhen ließ und Mary ansah. »Sie haben immer gute Gründe für Ihre Ansichten, aber diese Aeußerung setzt mich in Erstaunen. Ich rede natürlich nicht von solchen, welche neue Lehren predigen. Aber was haben Sie gegen Geistliche überhaupt?«

»Ach Du lieber Gott,« sagte Mary, die einen Augenblick nachdachte, mit einem von Heiterkeit strahlenden Gesicht. »Ich mag ihre Halstücher nicht leiden.«

»Mögen Sie denn auch Camden's Halstuch nicht leiden?« fragte Fräulein Winifred etwas aufgeregt.

»O, ja. Ich mag nur die Halstücher der andern Geistlichen nicht leiden, weil sie sie tragen.«

»Wie merkwürdig,« sagte Fräulein Noble in dem Gefühl, »daß ihr Verstand vermuthlich nicht hinreiche, die Sacher begreifen.

»Sie scherzen, liebes Kind; Sie werden doch wohl bessere Gründe als diese haben, so geringschätzig von einer so achtungswerthen Klasse von Leuten zu denken,« bemerkte Frau Farebrother mit majestätischer Würde.

»Fräulein Garth hat so strenge Begriffe von dem, was die Leute leisten sollten, daß es schwer ist, sie zu befriedigen,« sagte Fred.

»Nun ich freue mich, daß sie wenigstens eine Ausnahme zu Gunsten meines Sohnes macht,« sagte die alte Dame.

Mary wunderte sich eben über Fred's piquirten Ton, als Farebrother eintrat und die Neuigkeit von Fred's Engagement bei Herrn Garth zu hören bekam. Als Fred mit seiner Mittheilung zu Ende war, sagte der Pfarrer ruhig im Tone der Befriedigung: »Das ist schön,« und beugte sich dann über Mary hin, um ihre Zettel anzusehen, und lobte ihre Handschrift.

Fred wurde schrecklich eifersüchtig; es freute ihn natürlich, daß Farebrother ein so achtbarer Mann sei; er wünschte aber, er wäre fett und häßlich, wie Männer von vierzig Jahren es bisweilen sind. Es war klar, was das Ende der Sache sein würde, da Mary ja ganz offen Farebrother höher stellte, als alle anderen Männer, und die Frauen hier offenbar die Sache encouragirten.

Er glaubte eben alle Hoffnung, Mary allein zu sprechen, aufgeben zu müssen, als Farebrother sagte:

»Fred, bitte, helfen Sie mir diese Schubfächer in mein Studirzimmer zurücktragen. Sie haben mein schönes neues Studirzimmer noch gar nicht gesehen. Bitte kommen Sie auch mit, Fräulein Garth. Ich muß Ihnen eine ungeheure Spinne zeigen, die ich diesen Morgen gefunden habe.«

Mary begriff sofort die Absicht des Pfarrers. Er hatte sich seit jenem denkwürdigen Abende nie anders gegen sie benommen als mit der altgewohnten Freundlichkeit eines geistlichen Rathgebers und ihre vorübergehenden Zweifel und Bedenken waren seitdem ganz wieder eingeschlafen.

Mary hatte sich gewöhnt, bei der Schätzung von Wahrscheinlichkeiten sehr vorsichtig zu Werke zu gehen, und so oft eine solche Wahrscheinlichkeit ihrer Eitelkeit schmeichelte, fühlte sie sich sofort gedrängt, dieselbe als lächerlich zu verscheuchen; denn in dieser Art Selbstenttäuschung hatte sie sich von früh auf geübt.

Es kam, wie sie es vorausgesehen hatte: Nachdem Fred die Einrichtung des Studirzimmers und sie die Spinne bewundert hatte, sagte Farebrother:

»Warten Sie hier einen Augenblick auf mich. Ich will eben einen Kupferstich holen, den der lange Fred mir aufhängen soll Ich bin in wenigen Minuten wieder hier.«

Und damit ging er hinaus.

Die ersten Worte, die Fred zu Mary sagte, waren:

»Es nützt mir Alles nichts, was ich auch thue, Mary. Schließlich heirathen Sie doch sicher Farebrother.«

Es lag etwas leidenschaftlich Erbittertes in seinem Tone.

»Was wollen Sie damit sagen, Fred?« rief Mary, so überrascht, daß es ihr an jeder Antwort fehlte, tief erröthend und ganz entrüstet aus.

»Unmöglich können Sie, die Sie ja immer Alles sehen, nicht klar erkennen, wie hier Alles steht.«

»Ich sehe nur, daß Sie sich sehr schlecht benehmen, Fred, indem Sie so von Herrn Farebrother sprechen, nachdem er sich Ihrer auf jede Weise so warm angenommen hat. Wie können Sie nur einen solchen Gedanken hegen?«

Trotz seiner Aufregung behielt Fred doch seine natürliche Schlauheit. Wenn Mary wirklich ganz ahnungslos war, so konnte es zu nichts Gutem führen, ihr mitzutheilen, was Frau Garth ihm gesagt hatte.

»Das ergiebt sich ja ganz von selbst,« erwiderte er. »Wenn Sie einen Mann, der mir in jeder Beziehung überlegen ist und den Sie über alle andern Menschen stellen, täglich sehen, so habe ich natürlich keine Chance.«

»Sie sind sehr undankbar, Fred,« erwiderte Mary. »Ich wollte, ich hätte Herrn Farebrother nie ein Wort davon gesagt, daß ich mir das Geringste aus Ihnen mache.«

»Nein, ich bin nicht undankbar. Ich wäre der glücklichste Mensch in der Welt, wenn dies nicht wäre. Ich habe Ihrem Vater Alles gesagt, und er war sehr freundlich. Er behandelte mich, wie wenn ich sein Sohn wäre. Ich würde jetzt jede Arbeit, Schreiben und Alles energisch angefaßt haben, wenn dies nicht dazwischen gekommen wäre.«

»Dies? Was denn?« fragte Mary, die jetzt glaubte, er rede von etwas Besonderem, das gesagt oder geschehen sein müsse.

»Diese schreckliche Gewißheit, daß ich mich durch Farebrother beseitigt sehen werde.«

Auf Mary wirkte ihre Neigung, allen Dingen eine komische Seite abzugewinnen, beschwichtigend.

»Fred,« sagte sie, indem sie um die Ecke guckte, seinen Blicken zu begegnen, die er ihr trotzig entziehen wollte. »Sie sind zu entzückend lächerlich. Wenn Sie nicht ein so allerliebster Einfaltspinsel wären, so wäre es doch eine gar zu große Versuchung, die raffinirte Coquette zu spielen und Sie glauben zu machen, daß mir noch außer Ihnen Jemand die Cour mache.«

»Haben Sie mich wirklich lieber als Alle Andern, Mary?« fragte Fred, der sie jetzt mit den zärtlichsten Blicken betrachtete, indem er es versuchte, ihre Hand zu ergreifen.

»In diesem Augenblick mag ich Sie gar nicht leiden,« sagte Mary und faltete dabei ihre Hände auf dem Rücken. »Ich habe nur gesagt, daß mir außer Ihnen nie ein Sterblicher die Cour gemacht hat. Und das spricht nicht für die Wahrscheinlichkeit, daß sehr kluge Leute es je thun werden,« schloß sie lachend.

»Ich möchte gern die Versicherung von Ihnen hören, daß Sie auch ferner nie an ihn denken werden,« sagte Fred.

»Fred, reden Sie nie wieder so mit mir,« entgegnete Mary, die wieder ganz ernst geworden war. »Ich weiß nicht, ob es mehr dumm oder unedel von Ihnen ist, nicht zu merken, daß Herr Farebrother uns nur allein gelassen hat, um uns Gelegenheit zu geben, uns offen gegen einander auszusprechen. Es thut mir wahrhaft leid, daß Sie so blind gegen seine Delikatesse sind.«

In diesem Augenblick machte der Wiedereintritt Farebrother's mit dem Kupferstich der Unterhaltung ein Ende und Fred hegte, als er jetzt wieder in's Wohnzimmer zurückkehren mußte, noch immer eifersüchtige Furcht im Herzen, fand aber doch einige Trostgründe in der Art, wie Mary mit ihm gesprochen und sich gegen ihn benommen hatte.

Im Ganzen hatte die Unterhaltung einen peinlicheren Eindruck auf Mary gemacht, deren Gedanken unvermeidlich in eine neue Richtung gelenkt waren und die sich der Möglichkeit einer andern Beurtheilung dessen, was um sie her vorging, nicht verschließen konnte. Sie war in einer Lage, in welcher sie sich selbst so vorkommen mußte, als behandle sie Farebrother geringschätzig, und ein solches Verhältniß ist einem geehrten Manne gegenüber für die Festigkeit eines dankbaren Weibes immer gefährlich.

Es war für Mary eine Erleichterung, daß sie eine Veranlassung hatte, am nächsten Tage nach Hause zurückzukehren; denn sie hatte den ernsten Wunsch, keinen Zweifel darüber in sich aufkommen zu lassen, daß sie Fred lieber habe als jeden Andern. Wenn eine zärtliche Neigung im Laufe der Jahre in uns Wurzel gefaßt hat, erscheint uns der Gedanke, daß wir diese Neigung gegen etwas Anders vertauschen könnten, als eine Herabsetzung unseres eigenen Lebens. Und wir können unsere Neigungen und unsere Beständigkeit wie unsere Schätze bewachen.

»Fred hat alle seine andern Hoffnungen verloren; er muß diese behalten,« sagte sich Mary, deren Lippen dabei ein Lächeln umspielte.

Es war unmöglich für sie, sich flüchtiger Vorstellungen einer andern Art, der Vorstellung von neuen Würden und von anerkanntem Werth, dessen Mangel sie oft schmerzlich empfunden hatte, zu erwehren. Aber dergleichen Dinge konnten doch, wenn Fred darum verlassen und durch ihren Verlust in Betrübniß versetzt werden mußte, für ihren ruhig erwägenden Geist keine Versuchung sein.



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