Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Erzählungen und andere Werke
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

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Meine Erinnerungen an Grillparzer

Daß andere Dinge tun, die uns ganz unbegreiflich erscheinen, darüber wundert und – tröstet man sich. Aber selbst einmal etwas getan haben, das wir heute unbegreiflich, verwegen und lächerlich finden, das ist eine Quelle beständiger Pein.

Ich weiß das aus Erfahrung. Wie war's möglich? Wie hast du es nur tun können? frage ich mich, und so uralt ich bin, steigt mir die Schamröte ins Gesicht.

Ist es eine bei einer Frau im reifen Alter, die ich zu Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts doch schon war, unerhörte Naivität gewesen oder die ungeheuere Überschätzung eines eben geborenen papierenen Kindes, genug, es ist geschehen: ich habe Grillparzer, den ich erst vor kurzem persönlich kennengelernt hatte, gefragt: »Herr Hofrat, darf ich Ihnen ein Theaterstück, das ich geschrieben habe, vorlesen?«

Ob er ein Zeichen des Unwillens gegeben, ob er mich nur erstaunt angesehen hat, weiß ich nicht mehr. Aber die Erlaubnis, vorzulesen, erhielt ich und erschien denn auch schon am folgenden Tage mit meinem Manuskript.

Und nun, nicht um einen Hauch weniger deutlich als damals, sehe ich ihn vor mir am Schreibtisch sitzen, klein und schmal in seinem alten Lehnsessel, mit dem Rücken gegen das Fenster. In seinem ehrwürdigen Gesicht alle Zeichen überstandener Leiden, einer schmerzvollen Ergebung. Mit ein paar gütigen Worten hatte er mich ermutigt anzufangen, und ich las und las und wagte kein einziges Mal, ihn fragend anzusehen. Er hatte ein blaues Taschentuch in seinen feinen, schlanken Händen, mit dem er sich fortwährend beschäftigte, das er auf den Schoß legte, entfaltete, zusammenknüllte, wieder entfaltete. Und gerade nur bis zu diesem Taschentuch erhoben sich manchmal meine Augen. Aber mein Herz schwoll vor Entzücken, wenn er von Zeit zu Zeit »gut« oder sogar »sehr gut« sagte. Mehr als einmal fragte ich, ob ich ihn nicht ermüde und aufhören solle. Nein, er wollte das Ganze hören. Am Schluß schlug er einige geringe Veränderungen vor, fällte aber ein Urteil über die Arbeit nicht.

Mit sehr gemischten Gefühlen trat ich den Heimweg an. Sehr bald aber gab es keine Mischung mehr. Die Reue über das Wagnis, das ich unternommen hatte, stellte sich nicht langsam ein, sie kam plötzlich, stürzte über mich her wie ein wildes Tier über einen träumend Dahinwandelnden. Grillparzer hatte mein Stück gewiß miserabel gefunden, und es ist ja miserabel. Wie konnte ich darüber in Zweifel sein? . . . Ich weiß, daß ich jeden Bettler, dem ich begegnete, um sein gutes Bewußtsein beneidete. Ihm wäre es doch nicht eingefallen, dem größten jetzt lebenden Dichter ein selbstverfaßtes Drama vorzulesen.

 

Große Menschen, die größten, Goethe an der Spitze, haben gegen die Reue geeifert. Dennoch wage ich meine kleine Stimme zu erheben und zu sagen: Heil dem Herzen, das sie empfinden kann! Ist eine Wendung vom Unrechten zum Rechten denkbar ohne vorhergegangene Reue? Was mich betrifft, unter den vielen Anfällen dieses unschätzbaren Übels, die ich je erlitten, hat der über mein Vorleseattentat auf Grillparzer besonders gute Früchte getragen. Nie mehr ist es mir eingefallen, seine Teilnahme für eine meiner Arbeiten anzurufen, und er wußte, daß es aus Ehrfurcht und Schonung geschah.

Die Zahl der Strebenden, die sich an ihn herandrängten und von denen jeder zu seinem berufensten Nachfolger erklärt werden wollte, war groß, und seine Nachsicht, seine Scheu wehzutun war unermeßlich. Wenn man ihm dann die üblen Folgen dieser Nachsicht vorhielt, wurde er ärgerlich: »No ja, wenn ich einem nicht grad gesagt habe: Sie sind ein Esel! rennt er herum und erzählt, ich hätt ihn gelobt.«

In seiner Güte fühlte er sich von Zeit zu Zeit bewogen, mich zu fragen, was ich denn jetzt arbeite, gab sich aber stets mit einer ausweichenden Antwort zufrieden.

Ich erinnere mich, ihm einmal erwidert zu haben: »Weiß nicht, weiß selbst nicht, vielleicht eine Novelle. Einige meiner Freunde behaupten, ich hätte mehr Talent zur Novelle als zum Drama.«

Er lächelte. Wie gern sah ich dieses ganz einzige, halb mitleidige, halb sarkastische Lächeln auf seinem teuren, tiefernsten Angesicht!

»Ja, ja. Aus Ihrer alten Haut möchten Sie heraus und wissen noch nicht, in welche Sie hineinkriechen sollen.«

Besuche anzumelden war nicht Brauch im Hause Fröhlich. Die vortreffliche Jungfrau Susanne Kirsch, »der Edelstein« genannt, Köchin und Pförtnerin, öffnete die Tür und hat mich nie anders begrüßt als mit einem Lächeln, das von einem Ohr zum andern schwebte. Sie deutete freundlich nach rechts, wenn ich fragte: »Ist der Herr Hofrat –?« und nach links, wenn ich fragte: »Sind die Damen zu Hause?«

Wie bei ihm, hatte meine Freundin Baronin Knorr mich auch bei ihnen eingeführt, und sie besuchen zu dürfen war mir ein Glück.

Ein kleines Vorzimmer bildete den Eingang zu ihrem Bereich, in dem eine fast klösterliche Einfachheit herrschte, in dem man sich aber von einem Reichtum umgeben fühlte, den höchste irdische Pracht und Herrlichkeit nicht verleihen können. Man war versetzt in eine Atmosphäre des Wohlwollens, der Güte, des regsten geistigen Lebens und hatte beim Anblick des schlichten Raumes und seiner lieben alten Bewohnerinnen den Eindruck eines nachgedunkelten Gemäldes, in dem das Auge des Verständnisses und der Liebe noch deutlich erkennen konnte, wie hell seine Farbentöne einst gewesen und wie anmutig und hold seine Gestalten. Die drei Schwestern in ihrer übereinfachen Kleidung erschienen mir wie Priesterinnen, denen ich voll Ehrfurcht nahte. Sie sahen ja meinen abgöttisch verehrten Dichter täglich, verkehrten mit ihm, sie sagten: »Der Grillparzer«, wenn sie von ihm sprachen. Es geschah offen und herzlich, sie wußten ja, daß mein Interesse für jedes Wort und jede Kunde von ihm der tiefsten Bewunderung und Begeisterung entsprang.

Am liebsten fast hörte ich Anna, die älteste der Schwestern, erzählen. Sie redete gescheit, gut und gern, ohne eine Spur von Geschwätzigkeit, so recht aus der Fülle lebendiger Erinnerungen wie ein Reicher, der viel gibt und noch mehr zu geben hätte. Irgend etwas zu beschönigen fiel ihr nicht ein, ebensowenig aber zu tadeln; sie sprach von den vielen Wunderlichkeiten des Dichters beinah so liebevoll wie von seinen großen Eigenschaften. Das schwere Blut hatte er von seiner Mutter geerbt, das war sein Unglück, unter dem er litt und leiden machte. Ein Meister der Selbstquälerei, zerpflückte er eine der kleinen Freudenblüten, die ihm noch geblieben waren, nach der andern.

Was die Musik ihm bedeutete, weiß jeder, der den »rhythmischen Zauber« seiner Verse empfunden hat. »Die Musik der älteren Zeit, das ist für mich nicht Musik, in ihr liegt mein Leben, in ihr rauscht meine Jugend«, sind seine eignen Worte. Die Musik hatte ihn mit den Schwestern Fröhlich zusammengeführt. Durch Anna und Josephine, beide hochgeschätzte Gesangs- und Klavierlehrerinnen, hatte er Schuberts Lieder kennengelernt. Er war ein guter Klavierspieler, phantasierte mit sehr viel Talent. Vor einigen Jahren noch hatte es ihm Vergnügen gemacht, täglich eine Stunde mit Anna zu musizieren. Sie kam zu ihm herüber, und sie spielten vierhändig Symphonien von Haydn, Beethoven, Mozart. Einmal nun hatte sie wie gewöhnlich Platz genommen am Klavier, Noten aufgelegt und wartete. Grillparzer blieb an seinem Schreibtisch sitzen, rührte sich nicht, und als sie endlich fragte: »Nun, ist's heute nichts, wird nicht gespielt?« schüttelte er den Kopf: »Heute nicht und überhaupt nicht mehr.« – »Ja, um Gottes willen, warum denn nicht?« – »Meine Finger sind steif geworden, es geht nicht mehr.« – »Und gestern ist's doch noch gegangen. Was Ihnen nur einfallt, Grillparzer!«

Sie lachte ihn aus, wurde im Scherz böse und auch im Ernst, bat innigst, inständigst, doch nicht einer Laune nachzugeben. Schad um jedes Wort. Er hat seine Hände nie wieder aufs Klavier gelegt.

Es war aus von einem Tag zum andern und für immer.

So vergrub er vorzeitig ein Talent, dem er noch manche schöne Stunde hätte verdanken können. Aber das ist der ganze Grillparzer: der Reichtum im Ausüben einer Kunst hat abgenommen, und auf die Überbleibsel legt er keinen Wert. Nicht anders hält er's mit der Poesie, und ohne die Dazwischenkunft der drei Getreuen wären uns viele seiner geflügelten Worte vorenthalten worden.

Es ist seine Gewohnheit, beim Frühstück allerlei Verse auf Papierschnitzel zu kritzeln, die er jämmerlich zerknüllt und auf das Kaffeebrett wirft. Die Verse haben einer momentanen Stimmung Ausdruck gegeben, ihre Aufgabe ist erfüllt, nun fort mit ihnen. Aber Susanne legt die dem Untergang Geweihten in die Hände ihrer Gebieterinnen; sie werden entfaltet, gelesen, geordnet. Wenn eine hübsche Anzahl beisammen ist, lernt Anna sie auswendig, geht zu Grillparzer hinüber, stellt sich in Positur und spricht: »Der kleine Deklamator ist da.«

Vielen Dank erntet sie für ihren Vortrag nicht, meistens heißt es: »Schon gut, schon gut. Sein S' noch nit fertig?«

Aber ein Befehl, die kleinen Dichtungen geheimzuhalten, wurde nicht gegeben, sie dürfen Freunden mitgeteilt werden, und viele von ihnen haben schon bald nach ihrem Entstehen eine Wanderung durch ganz Wien angetreten.

Durch ein schmales Gelaß, in dem zwei Reihen dicht angefüllter Bücherschränke standen, gelangte man in Grillparzers Wohnzimmer. Es war geräumig, bildete ein regelmäßiges Viereck und hatte zwei Fenster, die in die Spiegelgasse sahen. An der linken Wand stand das mit einem dunkelgeblümten Rahmenüberzug bedeckte Bett und an derselben Seite, in der Nähe des Fensters, schräg ins Zimmer hineingerückt, der große Schreibtisch, vor dem ich Grillparzer nie schreibend getroffen habe, immer nur neben ihm, lesend, zurückgelehnt in seinen bequemen Lehnsessel. Der Aufsatz des Schreibtisches trug eine Reihe meist alter Bücher und eine Damenuhr in einem kleinen Gestell, ein Wiener Spindelührchen aus den Jahren zwischen 1830 und 1840. Wie kommst du hierher, du einziger Luxusgegenstand, in diese Klause eines Bedürfnislosen? Aus Frauenhand vielleicht? Sollst du im leisen Vorwärtseilen an eine Stunde erinnern, schöner als alle, die du noch anzeigen kannst? So habe ich sie oft dringend gefragt. Aber auf Gedankenfragen geben Uhren selbst ihrer treuesten Liebhaberin keine Antwort.

An der Wand rechts, unter einem Stiche des schönen Bildes Jenny Linds von Magnus, trauerte seit Jahren schon der verstummte Flügel. Derselbe, auf dem der Dichter vor längst entschwundener Zeit mit seiner musikalisch hochbegabten Mutter Tondichtungen großer Meister gespielt, selbst schaffend, während er ihre Schöpfungen genoß. Da war es auch, daß seine größte Dichtung, die dem Werden entgegenstrebte, Das goldene Vlies, Gestalt gewann; »die Gedanken-Embryonen verschwammen mit den Tönen in ein nicht beschreibbares Ganzes«, heißt es in seiner Selbstbiographie.

An der Wand den Fenstern gegenüber lehnte in dunkler Bescheidenheit ein kleines Sofa, im Halbkreis umgeben von seinen Angehörigen, einigen Stühlen und einem schmalen Tische, dem Frühstückstische. Da trank Grillparzer den Kaffee, den er sich selbst bereitete, da schärfte er seine Epigrammpfeile. Die Morgenstunde war ihm stets die fruchtreichste gewesen und trug ihm jetzt noch manchen Gedanken ein, der ihn und seine Zeit und wohl manche folgende überleben wird.

 

Fräulein Kathi hatte mir zwar versichert, daß Grillparzer meine unberufene Vorleserei nicht übelgenommen habe, aber dennoch ließ ich längere Zeit vergehen, bevor ich es wagte, abermals an seine Tür zu klopfen.

»Herr Hofrat, darf ich kommen?« Keine Antwort. Er war so versunken in das Lesen eines Buches, daß er meine Frage überhörte. Ich wiederholte sie, an der Tür stehenbleibend. Da fuhr er auf, förmlich erschrocken, und ich dachte bestürzt: Bravo, ein neues Unglück, ich habe ihn gestört!

»Verzeihen Sie mir nur, Herr Hofrat . . .«

»Nichts zu verzeihen«, sagte er freundlich. »Setzen Sie sich.« Er deutete auf einen Stuhl, der ihm gegenüber an der Seite des Schreibtisches stand. »Ich werde Ihnen etwas vorlesen, aus diesem Buche, aus Lope de Vega.«

»Ach, Herr Hofrat, ich Unglückliche verstehe kein Wort Spanisch.« – »Das macht nichts. Hören Sie zu wie einer Musik, hören Sie nur die Melodie dieser Verse.« Er begann zu lesen und las lange, und es war eine Wonne. Weich und bestrickend, leidenschaftlich, ergreifend drang die Melodie der Dichterworte an mein Ohr, ein gesprochener Gesang. Und während der greise Poet vorlas, breitete sich über sein Gesicht, in das vom Leben so tiefe Furchen eingeprägt worden, ein lichter Schein des innigsten Entzückens, ein Ausdruck seligen Genießens des fremden Kunstwerks, wie es nur den ergreifen und erfüllen kann, der selbst ein Schöpfer ist und auch im Nachempfinden schöpferisch.

In meinem hohen Alter halte ich gern Umschau nach den glücklichen Stunden, die das Schicksal mir gegönnt hat, und zähle dann die Stunden, in der mir Grillparzer in einer mir fremden Sprache eine Szene aus einem mir fremden Drama vorlas, zu meinen weihevollsten und schönsten.

Am Ende legte er das Buch auf den Schreibtisch, preßte die Hand darauf und sagte ganz durchdrungen: »Alles, was ich geschrieben habe, gäbe ich um diese einzige Szene.«

Ich war so frei zu bezweifeln, daß dieser Handel sehr vorteilhaft für ihn wäre, und meinte sogar: »Wer weiß, ob Lope de Vega nicht sagen würde, wenn er noch etwas sagen könnte: Alle meine siebenhundert Komödien gäbe ich um den ersten Aufzug des Ottokar

Grillparzer machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, in der das blaue Taschentuch wieder fähnchenartig flatterte: »Ach was – der Ottokar. Ich hör, daß der Wagner ihn gut geben soll und daß viel applaudiert wird. Der Anschütz hat ihn auch gut gegeben, und die Leute haben gelärmt und gejubelt. Aber mir war schon alle Lust an Arbeiten dieser Art genommen worden. Von dem halben Dutzend Stücke aus unsrer Geschichte, die mir im Kopf herumgegangen sind, habe ich kein einziges mehr aufgeschrieben. Wissen Sie denn, wie das gewesen ist mit diesem Přemysliden, zu dem mir der Stoff gleichsam mit beiden offenen Händen entgegengekommen war?«

Er begann zu erzählen.

Was wir heute wissen von dem Schicksal, das König Ottokars Glück und Ende vor und nach seiner Aufführung auf dem Burgtheater erfahren, war damals teils nur wenigen bekannt, teils vergessen. Die Selbstbiographie Grillparzers lag noch eingeschlossen in seinem Schreibtisch, die Literaturgeschichte hatte noch nicht hineingeleuchtet in das Dunkel von Torheit und Böswilligkeit, das dem Dichter die Freude an seinem Werke verdarb und ihn einen Sieg als Niederlage empfinden ließ.

Ich hörte das alles zum ersten Male, hörte es aus seinem Munde, war ergriffen, erschüttert, empört. In ihm wirkten die zahllosen Bitternisse, die er erlitten hatte, lebendig nach, aber in seine Anklagen mischten sich allmählich Selbstanklagen. Einen Teil der Ursachen seines Mißgeschicks lud er seinen eigenen Schultern auf, schob sie auch auf Fehler, die seinem Werk anhafteten, stellte sie ins schärfste Licht und verurteilte sie schonungslos. Den Schlußakkord seiner Schmerzenslieder bildete dann das halb trostlose, halb versöhnliche: »Sei's!« das mich immer mit tiefer Rührung erfüllt hat.

Nach und nach wurde er beinah heiter und erzählte sogar eine Anekdote: Am Tage der ersten Aufführung des Ottokar war das Stück auch im Druck erschienen. Man wußte, daß die Zensur es erst nach zwei Jahren, auf speziellen Wunsch der Kaiserin Karolina Augusta, freigegeben hatte, die Neugier war aufs höchste gespannt, und es wurden zwischen Morgen und Abend neunhundert Exemplare abgesetzt. Auf dieser Höhe konnte das Interesse sich natürlich nicht lang erhalten, aber auch später gab es noch Leute, die das Stück gern lesen wollten, wenn sie nur gewußt hätten, wie man sich's verschaffen kann.

Grillparzer war vor mehreren Jahren in einer Gesellschaft einem alten aristokratischen Würdenträger, einem herzensguten Mann, vorgestellt worden, der für einen besonderen Freund der Literatur galt. Er freute sich sehr, den Dichter kennenzulernen, reichte ihm die Hand und sagte: »Unser berühmter Poet! . . . Ist mir ein Vergnügen, ja, ja . . . Habe alle Ihre Stücke gesehen und gelesen, ja, ja! – auch gelesen –, nur den Ottokar, den konnt ich nie zu leihen bekommen.«

 

Einmal fand ich den Dichter in übelster Laune an seinem Schreibtisch stehend. Er hatte sich beim Rasieren in den Zeigefinger der linken Hand geschnitten, und Kathi Fröhlich war damit beschäftigt, die kleine Wunde zu verbinden. Grillparzer erschwerte ihr diese Aufgabe außerordentlich, mahnte zur Eile, fuchtelte mit dem blessierten Finger hin und her. Kathi sagte nur: »Aber, Grillparzer, sein S' doch ruhig!« und wickelte an dem kleinen Verband und knüpfte an ihrem Zwirnfaden. Sie war sehr ärgerlich, doch mir fiel auf, daß sie während der ganzen Prozedur, die eine Weile dauerte und auch für mich etwas peinlich war, kein einziges Mal nach mir hinsah, mich nicht mit einem einzigen Blicke zum Zeugen der Unausstehlichkeit anrief, die unser vielgeliebter Dichter bei einer geringfügigen Gelegenheit zu entfalten imstande war.

Sehr wenig Frauen hätten sich diese Genugtuung versagt. An sie kam offenbar nicht einmal die Versuchung dazu heran, und das war schön und nobel und flößte mir Bewunderung ein.

Überhaupt warf das unbedeutende Erlebnis ein Streiflicht auf die Beziehungen dieser beiden. Er verletzt infolge eigener Ungeschicklichkeit; sie hilfreich und fürsorglich und zum Dank unwillig angebrummt. Ein kleiner böser Zufall vermochte ihn zu verstimmen und widerwärtig zu machen gegen seine Umgebung. Seine Empfindlichkeit war eben beispiellos, ihm tat, was weh tut, ganz besonders weh, und schlimmer noch als mit physischen ging es mit moralischen Leiden. Ihnen standen alle Pforten seiner Seele offen, ungehindert stürmten sie hinein, brannten, wühlten, und ihre Spuren verwischten sich nie. Die Freude und das Glück hingegen konnten ihm nur langsam nahen, denn er verstand es meisterlich, ihnen auf jede Weise den Weg zu kreuzen, zu verlegen. Wenn sie aber trotz allem doch anlangten, da waren und nicht wegzuleugnen, dann wußte er wenigstens irgendein Übles an ihnen zu entdecken, einen Mangel an Lieb und Güte, einen Stachel im Lorbeerkranz, einen Tropfen Gift im Labetrunk des Ruhmes.

Von der Nachhaltigkeit, mit der ein peinlicher Eindruck auf ihn wirkte, hat Betty Paoli mir erzählt.

Zur Zeit, als Grillparzer noch Gesellschaften besuchte – es war lange her –, fand er sich auch manchmal im Hause Frau von Fleischls ein, wo Betty Paoli, wie ein Familienmitglied aufgenommen, lebte. Im Auftrag ihrer Freundin hatte sie ihn zu einem Abend gebeten, an dem Friedrich Halm einem kleinen Kreise Auserlesener seine letzte Arbeit, ein episches Gedicht; vorlesen wollte. Dabei legte er natürlich den größten Wert auf Grillparzers Anwesenheit, und Betty Paoli war hoch erfreut, mitteilen zu können, daß er die Einladung annehme und kommen werde.

Halms Gedicht hieß Die Brautnacht, und den Stoff dazu hatte ihm eine Begebenheit geboten, die sich einst in Genua zugetragen.

Halms Dichtung wurde eingeleitet durch eine meisterliche Schilderung in hellklingenden Versen.

Die Vermählung der schönen jungen Orsini mit einem Sohne des Hauses Doria ist glanz- und prunkvoll begangen worden. Die Neuvermählten treten aus der Kirche, vom Jubel Tausender begrüßt. Rauschende Festlichkeiten füllen den Tag aus, am Abend endlich bleibt das junge Paar allein. Zwei selige Menschen halten einander umschlungen und preisen ihr Geschick. Nicht ein Glück von kurzen Tagen ist ihnen geschenkt – vor ihnen liegt ein ganz reiches Leben, eine ganze sonnige Zukunft. Unter Küssen und Kosen kommt der jungen Frau ein kindischer Einfall. Sie will noch spielen, erhascht, gefangen werden. »Gute Nacht!« ruft sie lachend und enteilt. Und er geht ein auf ihre mutwillige Laune, gewährt ihr einen Vorsprung und folgt ihr dann nach. Spähend durchschreitet er die lange Zimmerreihe, betritt das Brautgemach – es ist leer. Nun ergreift es ihn: Sie betet in der Kapelle! Er eilt dahin und findet auch hier alles öde und totenstill. Sein Unmut wallt auf, bald auch ein qualvolles Bangen . . . Er scheucht die Diener aus dem Schlafe; man sucht, man ruft – allumsonst. Der Tag bricht an, vergeht, ein zweiter . . . Sie ist verschwunden, verflogen wie eine Lichterscheinung. In Nähe und Ferne werden Boten ausgesandt, Kundschafter nach allen Weltgegenden, keine Spur von ihr wird entdeckt. Der letzte Hoffnungsschimmer ist erloschen, verzweifelt verläßt Doria seine Heimat, nimmt Kriegsdienste und findet, den er sucht, in der Schlacht – den Tod.

Jahre und Jahre vergehen. Neue Generationen blühen auf; nur noch Sage sind ihnen Glück und Leid der alten. Und wieder soll im Palast Orsini eine Vermählung gefeiert werden. Ein junges Brautpaar durchwandert die Räume, in denen es hausen wird, wählt, bestimmt, ordnet an. Da ist, anstoßend an das Schlafgemach, ein Erker, ein hübscher Raum, der verdient geschmückt zu werden; nur beengt ihn eine große alte Truhe, und die muß fort. Sie wird gerückt, der Deckel verschoben, Schloß und Klammern lösen sich aus dem morschen Holz, er birst, und den Augen der Umstehenden zeigt sich ein Gerippe, und:

Auf dem Scheitel ruht im blonden Haar
Ein Myrtenkranz, zerstäubend im Berühren,
Geschmeide, die Orsinis Wappen führen,
Nehmt funkelnd um den Knochenarm ihr wahr.
Was glänzt am Finger:
Ist's des Traurings Schimmern?

Er ist es, und es ist die einst rätselhaft verschwundene Braut . . .

. . . Und dies ist ihr Sarg.
Sie dachte nicht so lang darin zu liegen,
Als schelmisch lächelnd sie hineingestiegen
Und neckend drin sich vor dem Gatten barg.

Der schwere Deckel war, ihrer Hand entschlüpft, ins Schloß gefallen, und sie lag begraben in dem dunklen Schrein.

Halm hatte, noch warm von »des Schaffens Lust und Qual«, sein Gedicht mit verhaltener Empfindung, ergreifend vorgelesen. Das Publikum, in äußerste Spannung versetzt und tief erschüttert, brachte ihm begeisterte Huldigungen dar. Nur der eine, an dessen geringstem Wort der Zustimmung mehr gelegen hätte als an dem Enthusiasmus der ganzen Gesellschaft – schwieg. Grillparzer saß finster und schweigend da, nahm nicht mehr teil am Gespräch und war einer der ersten, die sich empfahlen.

Als Fräulein Paoli ihn bald darauf besuchte, klagte er bitter über Halm. Eine Vorstellung, die man um jeden Preis von sich abwehren möchte, die Vorstellung einer lieben, jungen, in einer Kiste begrabenen Frau, hat er festgehalten, mit schönen Versen unsrer Erinnerung eingepreßt. Das war in Grillparzers Augen unverzeihlich, eine Sünde gegen den Heiligen Geist der Kunst.

Er hat Ida von Fleischl hochgeschätzt, ihren hellen, klaren Verstand bewundert, sich immer gefreut, wenn sie ihn besuchte, aber die Erinnerung an den peinlichen Eindruck, den er in ihrem Hause empfangen, hielt ihn davon ab, es je wieder zu betreten.

Von allen Bildern Grillparzers, die ich kenne, ruft mir nur eins den vollen Eindruck seiner Persönlichkeit hervor; es ist das Aquarellporträt, das Daffinger von ihm gemalt und das ihn in jungen Mannesjahren darstellt. Der Künstler hat seinem Werke das Unvergängliche, die Seele, eingehaucht, sie lebt in diesem Ebenbilde aus längst vergangener Zeit.

Die Statue, die den Mittelpunkt des schönen Hemizyklus im Volksgarten bildet, gleicht mehr als dem Dichter selbst seinem Vetter, dem Präsidenten Freiherrn von Rizy. Es bestand viel Ähnlichkeit zwischen beiden, doch war das Gesicht des Freiherrn schmaler, mehr in die Länge gezogen. Als ich den Dichter persönlich kennenlernte, war er ein Greis. Die Gestalt, klein, schmächtig, etwas zur Seite geneigt, schien schwer zu tragen an dem mächtigen Haupte, auf dem die reichen weißen Haare sich noch leicht und fein wellten. Die Stirn prachtvoll, breit und klar und wie umwoben von den Geistern großer Gedanken, größerer vielleicht noch als die, die der Unstern, der über ihm gewaltet hatte, sich ausgestalten ließ, Gedanken auch einer wahrhaft genialen Selbstquälerei und vielleicht nie ausgesprochener Reue über versäumtes Glück. Ich sehe jedem Schmerz bis auf den Grund, sagte der Blick der blaugrauen, von starken Brauen überschatteten Augen; es lag in ihnen etwas schwermütig Mildes, der Ausdruck einer Weisheit, die alles begreift und alles verzeiht. Doch konnten aus ihnen auch Funken einer schalkhaften Heiterkeit sprühen, die hinreißend wirkte. Die Nase war kräftig und wohlgeformt, und längs ihrer Flügel zog sich zu der Unterlippe hin, wie erbarmungslos von grausamer Hand eingeschnitten, die sogenannte Kummerfalte. Was dieser Mann gelitten hatte, verriet am ergreifendsten der auch im Schweigen beredte Mund mit seinen so deutlichen Spuren verbissener Schmerzen und niedergezwungenen Ingrimms.

Wie viele bittere und ätzende Worte waren über diese Lippen gekommen, bevor sie ihr typisch gewordenes »Sei's!« oder »In Gottes Namen!« aussprechen lernten!

 

Laube meint, Grillparzer hätte von Hause aus den Tod im Herzen gehabt, sei verschlossen gewesen auf der Sonnenseite. Nun, wenn die Sonne nur recht hell und warm geschienen hätte, sie würde die Scheidewand durchleuchtet haben, die gegen ein reines Glücksgefühl in ihm errichtet war. Aber jede rauhe Berührung so peinlich empfinden wie er, vom ersten Schritt auf seinem Wege, trotz allem Erfolg und allen Triumphen, in falsches Licht gestellt sein wie er, immer mißverstanden, immer gebeugt werden unter ein unerträgliches Joch, das hieß für ihn ringen, dulden und endlich – verzichten.

Die Geschichte seines Martyriums stand auf seinem Antlitz geschrieben, und ich las sie herab, liebevoll, ehrfurchtsvoll und mit dem schmerzlichen Gefühl, daß da nichts mehr gutzumachen sei.

Die Generation, die vor ihm hätte hinknien und sagen müssen: Verzeih! war tot. Nur noch in unangenehmer Erinnerung lebten einige einst wichtige Leute, die von ihm hätten lernen sollen, was Patriotismus ist, und die den seinen angezweifelt und seine unerschütterliche Loyalität verdächtigt hatten. Sie waren gehört worden, die Saat ihres Mißtrauens war herrlich aufgegangen, für sie gab's keine österreichische Zensur. Dieser, wie Rudolf Valdeck sagt, »feuerspeiende Drache mit Eselsohren« war anderweitig beschäftigt. Es galt, Flecke zu entdecken in einer Sonne, Gefahren auszuschnüffeln in den reinen, hohen Werken, die unser Ruhm sind, unser berechtigter Stolz, die uns einen Ehrenplatz sichern in der Weltliteratur.

Man hat gesagt: Wenn alle Zivilisation, die es auf Erden gibt, vernichtet würde und nichts von ihr übrigbliebe, durchaus nichts als Mozarts Zauberflöte, könnte man aus diesem Werke alles erkennen und im Geiste wieder aufbauen, was es einst an Kultur in der Welt gegeben hat.

Nun, wenn im Laufe der Zeit, die nie rastet und ewig umgestaltet, die versinken läßt, was durch Jahrtausende bestand, unser Kaisertum aufgehört hätte zu sein und sein Andenken nur noch fortlebte in König Ottokars Glück und Ende und Ein treuer Diener seines Herrn, so würden diese beiden Kunstwerke der Nachwelt von allem noch erzählen, was einst an Österreich groß und gut und herrlich war.

 

Zu einer Akademie, die zum Besten des Schillerdenkmal-Fonds veranstaltet wurde, hatte man mich aufgefordert ein kleines Gelegenheitsstück zu schreiben. Ich war mit großer Freude und Wonne an die Aufgabe gegangen, der Einakter, sehr bald entstanden, war vom Komitee angenommen worden. Er wurde unter dem Titel Doktor Ritter ganz ausgezeichnet gespielt und kam bald darauf auch im Burgtheater zur Aufführung. Das Publikum erwies sich gnädig und spendete freundlichen Beifall; die Kritik spöttelte, nörgelte. Ich hatte alles verkehrt gemacht. Ganz anders – das wäre das Richtige gewesen. Beinahe sah ich's ein und war beschämt und betrübt in meiner Seele. So gedemütigt, wagte ich nicht, Grillparzer vor Augen zu treten, bis mir ein erlösender Gedanke kam.

Zwei Dinge hatte ich bei ihm nie gesehen. Nie die Spur eines Stäubchens und nie eine Zeitung; vielleicht liest er gar keine und weiß nichts von den Strafpredigten, die mir gehalten worden sind. So faßte ich Mut und stieg eines Vormittags die vier Treppen des lieben Hauses Nummer 1097 in der Spiegelgasse, wie immer mit einigem Herzklopfen, empor.

Bald darauf gehörte ich zu den Glücklichen der Erde, denn Grillparzer begrüßte mich mit den Worten: »Sie sind's. Nun endlich. Ich hätt Ihnen gern schon lange gesagt, daß sich niemand in ganz Wien über den Erfolg von Ihrem Doktor Ritter so gefreut hat wie ich.«

Ich hätte ihm am liebsten die Hand geküßt, wagte es nicht, kam in Verlegenheit und brachte nur kleinlaut: »Ach, Herr Hofrat, aber die Kritik!« hervor. Das war albern und heuchlerisch, denn in diesem Augenblick lag mir wirklich nichts an der Kritik.

»So? hab nichts gelesen.« Ein Achselzucken, eine wegwerfende Handbewegung. Machen Sie sich nichts daraus, sagte er nicht, er wußte zu gut, daß man sich was draus macht. Wir führten nur ein akademisches Gespräch über die Kritik und schwenkten auch hinüber in das Gebiet der Literaturgeschichte, in dem wir eine Weile spazierten, bis er zu dem Schluß kam: »No ja, Literaturgeschichte – ein gemaltes Mittagessen!«

 

»Ich habe schon deshalb nicht heiraten können«, sagte mir Grillparzer einmal, »weil ich den Gedanken nicht ertragen hätte, daß es einen Menschen gibt, der das Recht hat, wann immer es ihm beliebt, in mein Zimmer zu kommen.« Ein seltsamer Grund, den er sich offenbar als Ehehindernis zwischen sich und seiner »ewigen Braut« ausgeklügelt hatte. Aber in diesem Falle war jeder gut. Die beiden, die einander den Himmel hätten schenken mögen, würden, unauflöslich verbunden, sich die Hölle bereitet haben. Kathi, nicht viel weniger empfindlich als Grillparzer selbst, litt Qualen unter seiner Rücksichtslosigkeit, man darf wohl sagen: seiner Grausamkeit. Ein Nachtragen jedoch, ein Schmollen kannte sie nicht; es schien vielmehr, als ob jedes Leid, das er ihr angetan, im Feuer ihrer Liebe schmelzend, es nur angefacht hätte. Und wenn einmal sie es war, die sich im Unrecht befand, die gekränkt hatte, dann kam, im heißen Bestreben wiedergutzumachen, eine Unermeßlichkeit an Hingebung, Selbstüberwindung, Opferfreudigkeit zutage. Wie tief er das empfunden, wie klar es eingesehen, spricht er mit den Worten aus:

Der Zweifel, der mir schwarz oft nachgestrebet:
Ob Güte sei? – durch sie ward er erhellt.
Der Mensch ist gut, ich weiß es, denn sie lebet,
Ihr Herz ist Bürge mir für eine Welt.

Sie hatten sich verlobt und nach schweren Kämpfen – entlobt, und er hatte sie meiden, sich von ihr, die ihm zur Frau nicht demütig genug und zur Geliebten zu heilig war, völlig losreißen wollen. Aber das ging über seine Kraft. Er brauchte den Verkehr mit ihr und ihrer Umgebung, den künstlerischen Geist, der in ihrem Hause wehte, ihr Verständnis, ihre Begeisterung, ihr grenzenloses Mitgefühl, er brauchte die Atmosphäre ihrer unendlichen Liebe. Sie hat sich von ihm nicht beugen und nicht brechen lassen, aber als Entsagende an seiner Seite ausgeharrt, immer treu, wenn auch nicht Treue fordernd.

Sicherlich: Grillparzer durfte nicht fragen: Wer hat geliebt wie ich? aber er durfte fragen: Wer ist geliebt worden wie ich?

Die Schwestern Fröhlich brachten den Sommer regelmäßig auf dem Lande in der Nähe Wiens zu. Anna fuhr täglich nach der Stadt und begab sich in ihre Wohnung, wohin die Schülerinnen zum Gesangunterricht kamen.

Eines Tages, am 8. Juni 1848, mußten die jungen Damen vergeblich warten; zu allgemeiner Bestürzung fand die sonst so gewissenhaft pünktliche Lehrerin sich nicht zur Stunde ein.

Wieso das gekommen war, habe ich durch sie selbst erfahren.

Auf dem Wege vom Standplatz ihrer Equipage – dem Stellwagen – zur Spiegelgasse war sie über den Hohen Markt gegangen und hatte in der Nähe der Buchhandlung Wallishausser eine etwas unheimliche Menschenansammlung getroffen. Die Leute umdrängten, sehr aufgeregt, einige perorierende Studenten. Ein Zeitungsblatt ging von Hand zu Hand; Anna hörte den Namen Grillparzer unter Verwünschungen nennen. Sie näherte sich, fragte einen der Umstehenden, was es gäbe. »Nun, ein Gedicht hat der Grillparzer drucken lassen, ein niederträchtiges Gedicht auf den Radetzky. Da schimpft er über unsere Studenten und über die Revolution und katzenbuckelt vor der Armee . . .«

Anna erschrak. Sie wußte, was es in diesen Tagen »des tollen Radikalismus« hieß, Sympathien für unsre in Italien kämpfende Armee offen auszusprechen. Die Studenten berieten in steigender Erregung.

»Er muß auf die Aula«, beschlossen sie.

Zum Glück war aus den Reden der jungen Leute zu entnehmen, daß keiner wußte, wo er wohnte. Aber sie weiß es, und fort in höchster Eile über das Lugeck und durch die Durchhäuser zur Grünangergasse zu seinem Hause. Sie stürmt die drei Treppen empor, reißt die Tür seines Zimmers auf: »Grillparzer, Sie gehen mit mir, Sie müssen fort, gleich fort. Sie kommen zu uns aufs Land.« Hastig, mit wenig Worten, berichtet sie, was sie eben erlebt hat.

Er sträubte sich, er wollte nichts hören von einer Flucht. Anna gab nicht nach: »Wenn Sie auf einen Heldentod hoffen, irren Sie sich. Ermordet werden Sie nicht, aber von exaltierten Studenten auf die Aula geführt und dort zur Rede gestellt – das ja. Ist Ihnen darum zu tun, dann bleiben Sie hier.« Es kam noch zu einem kurzen, heißen Wortgefecht. Aber die Kämpferin siegte über den Kämpfer, und brummend und murrend ließ er sich entführen.

Er blieb einige Zeit auf dem Lande. Nach Wien zurückgekehrt, erlebte er dort die Greuel der Oktobertage und folgte nun gern den Bitten und Beschwörungen der Schwestern, zu ihnen nach Baden zu ziehen.

Und nun fühlte er wieder, was ihr Verkehr für ihn bedeutete, wurde sich bewußter denn je, daß ihr Haus doch immer sein wahres Heim in der Heimat war. So kam denn Annas Vorschlag, ihr Hausgenosse zu werden, seinem eignen Wunsche entgegen.

Ein Jahr später, am 27. April 1849, zog als Mieter Fräulein Anna Fröhlichs der k. k. Archivdirektor Franz Grillparzer in den vierten Stock (zweite Stiege) des Hauses Spiegelgasse Nr. 1097 ein.

 

Am 18. März 1868 empfing mich Grillparzer mit den Worten: »Vergelt's Ihnen Gott, daß Sie den Kranken besuchen, den Toten.«

Ich glaube, daß ich ihm erwidert habe, es gäbe wenig Lebendige, die so lebendig wären und lebendig bleiben würden wie er. Ich glaube auch, daß ich ihm gesagt habe, daß ich eine Beneidenswerteste unter den Beneidenswerten sei, weil ich zu ihm kommen dürfe.

Einige Tage vorher hatte ich die Ahnfrau wieder gesehen und tiefer denn je gefühlt, was es doch hieß, mit ihm zu verkehren, der das geschrieben hatte im Sturm und überquellenden Schaffensdrang seiner Jünglingsjahre. Dann mußte ich an alles denken, was ihm angetan worden nach diesem ersten Schritt auf seiner Bahn – und was für ein Schritt war es gewesen und welchen Widerhall hatte er erweckt! Die Eindrucksfähigen, die Unbefangenen fühlten sich ergriffen und hingerissen, lauschten entzückt und erschüttert der gewaltigen Sprache, in der ein junger Dichter zu ihnen redete, staunten in ehrfürchtigem Grauen die Gestalten an, die er vor ihnen wandeln, tun, kämpfen ließ, sahen mitleidend ihr Geschick sich erfüllen und jubelten ihrem Schöpfer zu.

Aber die Machthaber der schwarz auf weiß gedruckten öffentlichen Meinung stimmten mit diesen spontanen Kundgebungen nicht überein. Die gelehrten Wachsfiguren klebten dem Werke die Etikette »Schicksalstragödie« auf, und ihre Neophyten, die albernen, die frechen, die vom Gift des Neides geschwollenen, wußten nun, in welchem Register der Name Grillparzer zu suchen sei.

Alle äußeren Erfolge machten den Dichter nicht unempfindlich für die Geißelhiebe der Kritik. Er war gar zu leicht bereit, in den Tadel seiner Arbeiten einzustimmen, er konnte irregemacht werden an sich selbst. Nicht andauernd freilich, aber verzweiflungsvoll, und die Narben solcher Wunden brennen. Nachdem ich ihm von der letzten, sehr guten Aufführung seines Schmerzens-, vielleicht seines Lieblingskindes gesprochen hatte, kamen wir Schritt für Schritt zurück und gelangten endlich zur ersten Aufführung der Tragödie im Theater an der Wien. Eine, wie er sagte, unbeschreiblich widrige Empfindung hielt ihn davon ab, sie noch einmal spielen zu sehen.

Erst nach langer Zeit kam der Tag, an dem er sich dazu entschloß. Er war bei einem Ausflug in die Umgebung Wiens durch eine Ortschaft gekommen, wo reisende Komödianten die Ahnfrau aufführten. Eine Scheune der Theatersaal, die ländliche Bevölkerung das Publikum. Der Jaromir brüllte wie ein Löwe, die Ahnfrau mußte auf allen vieren aus der Kulisse hervorgekrochen sein, um überraschend und schauerlich hinter dem Sessel des alten Barotin auftauchen zu können. Das störte die Zuschauer nicht und vielleicht nicht allzusehr den Autor. Wer weiß, ob er das Theater in der Scheune nicht mit der Überzeugung verließ, die er später oft ausgesprochen hat: »Das Stück ist gut.«

Wir waren schon lang miteinander bekannt, als mir Grillparzer zum ersten Male von seinem Lustspiel sprach, von Weh dem, der lügt!

»Die Leute haben sich darüber aufgehalten, daß der Bischof predigt. Nun, weil er ein Bischof ist, predigt er. Die Rolle der Edrita war falsch besetzt, ich habe sie der Fräuln Gley nur gegeben, weil sie mich so sehr darum gebeten hat. Aus dem Galomir hat der Schauspieler einen Trottel gemacht, er ist aber kein Trottel. Er ist tierisch, ein Tier, könnt ein schönes Tier sein, aber nur kein Trottel.«

Man hat behauptet, Grillparzer hätte sich dadurch, daß er keins seiner späteren Stücke mehr aufführen ließ, am Publikum für den Mißerfolg von Weh dem, der lügt! rächen wollen. Das ist ganz falsch. Von Rache war keine Rede, sondern von Ekel. Und mußte er ihn nicht ergreifen, und gab es je eine Empfindung, die berechtigter gewesen wäre?

Allerdings, das Publikum hatte eine Enttäuschung erlebt. Ein Lustspiel ist angekündigt, und ein Koch kommt drin vor, das dürfte etwas werden in der Art von Wirrwarr oder Pagenstreiche. Man erwartete einen Spaß, und es kam eine schöne Dichtung; man war erschienen, um zu lachen, und sollte bewundern? – Warum nicht gar! Sie dankten für die schönen Sentenzen, sie waren um ihre Unterhaltung geprellt worden, und die Empörung darüber machte sich in der plumpsten und rohesten Weise Luft.

Was lag daran, daß der Mann, den sie in seinem Werke beschimpften, Grillparzer hieß, daß sie ihm in diesem Hause so oft voll Entzücken zugejauchzt hatten, daß sie durch ihn begeistert und erhoben worden, hoch hinaus über ihr eigenes kleines Selbst? Jetzt war das alles vergessen, sie besaßen keinen Funken Dankbarkeit und von Ehrfurcht nicht einen Hauch. Sie lachten schallend, lärmten und pfiffen. Die einzelnen anständigen Elemente, die sich bemühten, dem Unfug Einhalt zu tun, blieben machtlos. So wurde das Burgtheater um eins der feinsten und edelsten Kunstwerke gebracht und im Dichter der Wunsch ertötet, jemals wieder mit einer neuen Schöpfung vor dieses Publikum zu treten, das er immer als das empfänglichste und dankbarste gepriesen und das ihm eine so grausame Enttäuschung bereitet hatte.

Mein Vater wohnte dem Durchfall von Weh dem, der lügt! bei. Er war kein Literaturkundiger und gestand, daß er von dem »Lustspiel« etwas seltsam angemutet worden. »Aber meiner Wiener«, pflegte er zu sagen, wenn er von jenem Abend sprach, »habe ich mich damals geschämt.«

 

Als ich Grillparzer im Frühjahr 1870 besuchte, fand ich ihn übel aussehend und außerordentlich verstimmt.

»Sehen Sie, was ich da hergenommen habe zu meiner Aufheiterung, ein Lustspiel von Shakespeare. Hilft aber alles nichts. Was soll mich noch aufheitern? Wenn Sie einmal kommen und hören, daß es vorbei ist mit mir, dann freuen Sie sich.« Er klagte über seine geistige Abnahme: »Mein Kopf ist wüst, ich vergesse sogar, was ich in der Schule gelernt habe. Neulich will ich im Plautus lesen und merke auf einmal, daß ich nicht mehr Lateinisch kann. Es kommt auch niemand mehr zu mir, Männer schon gar nicht, nur noch Frauen – aus Barmherzigkeit. Ich habe die Verse gemacht:

Die Ähnlichkeit, die ich mit Christus habe:
Die Weiber kommen zu meinem Grabe.«

»Und noch dazu lauter alte Schachteln, nicht wahr, Herr Hofrat?«

Er lächelte und begann die Pilgerinnen zum Grabe zu loben. Ganz besonders und mit dem besten Rechte: Frau Auguste von Littrow-Bischoff, die Gattin des allverehrten Direktors der Wiener Sternwarte Karl von Littrow. Anders als »die Astrologin« nannte er sie aber nicht, und wir wußten sehr gut, daß jede von uns gelegentlich mit einem seiner boshaften Scherzworte bedacht wurde. Das änderte aber nicht das geringste an unsrer Liebe für ihn.

Grillparzer hat, ich zweifle nicht daran, sehr gut gewußt, daß Frau von Littrow sein weiblicher Eckermann war und den Inhalt eines jeden Gesprächs, das sie mit ihm geführt, treulich niedergeschrieben hat. Diese Aufzeichnungen einer vorzüglichen, äußerst verständigen und hochgebildeten Frau sind eine Fundgrube für die Literarhistoriker geworden und ein unschätzbares Gut für die Freunde und Verehrer des Dichters. Auguste von Littrow hat uns von dem pietätvoll gesammelten Reichtum alles geschenkt bis auf eins, das weder sie noch irgend jemand zu geben vermocht hätte: einen Begriff des Reizes, der in Grillparzers Art und Weise, ein Gespräch zu führen, lag. Er beherrschte weite Gebiete des Wissens und der Kunst, er hatte reges Interesse für alle Tagesfragen, für Politik, für Literatur. Seine Urteile waren durchtränkt von Weisheit, immer originell, genial und selten milde. Aber er verstand das Schlagendste und Schärfste mit einer schalkhaften Anmut vorzubringen, die bezaubernd war. Ich habe oft bei seinen Reden an eine schimmernd blanke Toledoklinge denken müssen, so grazienhaft geschmeidig, daß man meint, sie um den Finger wickeln zu können, aber tödlich treffend, wenn zum Stoße gezückt. Am herrlichsten war's, ihn von dem Wesen und den Zielen seiner Kunst sprechen zu hören. Und nie fühlte man sich als ein bloßer Zuhörer, immer zu einer Erwiderung angeregt, zu einem Einwand beinahe herausgefordert. Das ermutigte, weckte Selbstvertrauen, man wagte auch ein Tröpfchen Eigenbau träufeln zu lassen in den Quell der Weisheit, der da so reichlich sprudelte, kam sich gewachsen vor, war glücklich und dankbar.

Ich glaube, daß Grillparzer selbst Freude fand an der Ausübung seines großen Konversationstalents, doch bedurfte es eines Anstoßes dazu, und selbst der Besucher, der schon wiederholt eine solche Anregung geboten, wurde nur ganz ausnahmsweise willkommen geheißen. Man störte ihn ja immer, fand ihn immer versunken in seine eignen Gedanken oder in die eines seiner Lieblingsautoren, ohne Frage eine bessere Gesellschaft als die, die man ihm zu leisten vermochte. Die Temperatur der Begrüßung war gewöhnlich unter Null, aber allmählich erwärmte er sich, wurde freundlich und mitteilsam, und wie die Gestalten seiner Dramen ihm während des Schreibens wuchsen, sich gestalteten, ihn hinrissen, so wurde, während er sprach, seine Rede immer tiefer und inhaltreicher, und plötzlich, mitten aus dem schweren Ernst, sprühten wie Feuerfunken unvergeßliche Witzworte auf.

Man ging von ihm immer gescheiter fort, als man gekommen war, und wenn gescheiter, dann wohl im höchsten Sinne besser. So ist denn Kathi Fröhlich, die unaussprechlich durch ihn gelitten hat, sehr gut zu verstehen, wenn sie sagt: »Das Beste, das an mir ist, verdanke ich doch dem Umgang mit ihm.«

 

Der achtzigste Geburtstag Grillparzers nahte heran, und Wien rüstete sich, ihn zu feiern.

Eine Anzahl österreichischer Frauen hatte zwanzigtausend Gulden zusammengebracht, die zur Begründung einer Grillparzer-Stiftung verwendet werden sollten. Doch bedurfte es dazu seiner Erlaubnis, und Bauernfeld wurde mit dem Auftrage betraut, sie einzuholen. Er brachte die Sache aufs beste vor und bat im Namen der Frauen, ihre gute Absicht ausführen zu dürfen. Die Grillparzer-Stiftung solle ganz und gar nach seinem Wunsche und seinen Bestimmungen ins Leben gerufen werden. Es sei gemeint, daß alles ihm zur Ehre und Freude geschehen solle.

Grillparzer hörte zu. Gar gut kann man sich vorstellen, wie diese Huldigung auf ihn gewirkt, wie er sich bei ihrer Inempfangnahme benommen hat, wie er bedrückt und gequält den Kopf zur Seite geneigt, leise vor sich hingeflüstert und endlich gesagt hat: »Ehre, no ja, schon gut, wir haben in Östreich ohnehin zuwenig Ehre, und was die Freude betrifft, wenn mir die Damen eine Freude machen wollen, dann sollen sie mir drei neue Rasiermesser schenken, weil die meinen schon schlecht sind.«

Ich erfuhr die Geschichte, teilte sie meinem Manne und meinem Vater mit, und beide bemühten sich sofort, mir die vorzüglichsten Rasiermesser zu verschaffen, die in ganz Wien aufzutreiben waren. Unser geliebter Poet und Jubilar konnte nicht anders als zufrieden sein mit der Art der Erfüllung seines bescheidenen, prosaischen Wunsches. Voll freudiger Zuversicht trat ich meine Wanderung an und fand im Fröhlichheim die drei Schwestern und die treue Susanne in erhöhter Stimmung. Sie waren glücklich über die vielen Zeichen der Liebe und Verehrung, die dem Dichter von weit und breit zugeflogen kamen. Nur er konnte oder wollte einem wohltuenden Gefühl keinen Einlaß in sein Herz gewähren. Er saß still und traurig in seinem niedrigen Lehnsessel und sah, als ich vor ihn hintrat, höchst ungnädig zu mir empor. Ich sagte: »Seien Sie ganz ruhig, Herr Hofrat, ich gehe gleich wieder, ich setze mich gar nicht, ich habe Ihnen nur etwas bringen wollen.«

»Bringen? . . . Auch Sie?« sprach er vorwurfsvoll.

Ich ließ mich nicht einschüchtern, öffnete das Etui und brachte es ihm respektvoll dar.

Er hatte es nur widerstrebend in die Hand genommen, war aber nach dem ersten Blick auf die blinkenden Messer versöhnt. Der Ausdruck einer wahrhaft kindlichen Freude erhellte sein Gesicht: »Schaun Sie, das freut mich wirklich. Die sind schön und wohl auch gut.«

Er betrachtete sie wohlgefällig, stand auf, legte den Arm um meine Schulter und gab mir einen langen, ernsthaften Kuß.

Mir war zumute, als hätte ich eine Weihe empfangen, ganz glückselig und ganz feierlich. Ich kann wirklich nicht sagen, ob ich die Stiege hinab gegangen, gelaufen oder geschwebt bin.

Am nächsten Vormittag klopfte ich bei den Schwestern an. Es war nur Anna zu Hause.

»Fräulein, ich komme mich erkundigen, was ist's mit den Rasiermessern? War der Herr Hofrat zufrieden?«

Sie sah mich an, etwas verlegen, aber ihre dunklen, schönen Augen lachten. »Die Rasiermesser? . . . Die hat Kathi – sind Sie ihr denn nicht auf der Stiege begegnet? – gerade fortgetragen. Die sind ihm wieder nicht recht, müssen umgetauscht werden.«

»Umgetauscht?! Er kann sie nicht brauchen – und ich habe dafür einen Kuß bekommen. Fräulein Anna, Fräulein Anna, jetzt komme ich mir ja vor wie eine Diebin.«

 

Der 15. Jänner 1871 war für ganz Wien ein großer Tag. In jedem halbwegs lebendigen Herzen regte sich das Bewußtsein, daß nicht nur zu danken, zu huldigen, daß gutzumachen sei, soviel, so reich und rasch als nur möglich. Dann feierten wir aber auch ein schönes Fest. Keine Störung, nicht ein Mißklang, allenthalben der Triumph einer großen Liebe, die sich äußern wollte. Über jede Auszeichnung, die dem Poeten zukam, wurde gejubelt. Unser Kaiser ehrte ihn, wie noch nie ein Dichter in Österreich geehrt worden war. Kronprinz Rudolf, Ludwig von Bayern sandten wärmste Glückwünsche, die edle Kaiserin Augusta fand in diesen Tagen der großen Versailler Ereignisse Zeit und Stimmung, sich als »Tochter Weimars« unseres österreichischen Dichters huldigend zu erinnern.

Wien war stolz und beglückt. Jedes Zeichen der Anerkennung, jedes Wort des Lobes, das dem Jubilar zuteil wurde, erweckte begeisterte Teilnahme. Man drängte sich in die Theater und Konzertsäle, in denen Grillparzer-Feiern stattfanden, und der Beifall, der gespendet wurde, kam aus warmen, tief ergriffenen Herzen.

Ob es wohl damals in unsrer Stadt einen jungen Künstler gegeben hat, der nicht dachte: Das erreicht, einen solchen Widerhall erweckt haben in den Seelen Tausender, müßte höchste Erfüllung, Inbegriff der irdischen Seligkeit sein.

Weltenfern davon lag freilich alles, was Grillparzer in diesen Tagen empfand.

Ich ging am späten Vormittag zu ihm. Die Treppe herab, die mit Teppichen belegt und mit Blumen geschmückt war, kamen Männer und Frauen; sie hatten freudig-feierliche Mienen, und wir grüßten uns, ohne uns zu kennen. Ihr Gruß sagte: Wir kommen von ihm, der meine: Ich gehe zu ihm.

Auch die Wohnungstür war mit Lorbeergewinden und Blumen umkränzt, und als sie geöffnet wurde, leuchteten mir die Augen der treuen Susanne durch einen Freudentränenschleier entgegen. Was hatte sie nicht alles erlebt! Vorgestern schon, gestern und erst heute! Deputationen waren gekommen, eine nach der andern, und Geschenke, Kränze, Telegramme. Der Fürst Auersperg und Exzellenz Unger sind dagewesen, sie haben das Großkreuz des Franz-Josef-Ordens gebracht.

Ich fand ihn auf seinem alten Platz, in seinem mit Ehrengeschenken überfüllten Zimmer, sehr müde, erschöpft. Was er heute schon vielen gesagt, wiederholte er auch mir: »Früher zu wenig, jetzt zuviel. Es sind Gnadenstöße, die mir versetzt werden.« Nur einen Augenblick blieb ich bei ihm und auch bei den Damen Fröhlich nicht lange. Pepi und Anna erzählten, plauderten, ihnen lachte das Herz. Auf dem noch immer lieblichen Gesicht Kathis lag ein stiller, seliger Triumph.

Grillparzer ist viel besungen worden in diesen Tagen flammender Begeisterung, und manches schöne Gedicht ist damals entstanden. Aber das einzige, in dem er ein grenzenlos mitfühlendes Verständnis, Stimmung von seiner Stimmung wiedergefunden hätte, konnte nicht in seine Hände gelegt werden. Es war von Josephine Freiin von Knorr und lautete:

Wir feiern dich, und während wir dich krönen,
Umweht ein Hauch dich der Unsterblichkeit,
Es wird dein Name durch die Nachwelt tönen,
Befreit vom Fluche der Vergessenheit.

Mitfühlen sollst du – darfst ihn miterleben –
Der eignen Größe schwer erworbnen Ruhm;
Wie einen Heros, um den Wolken schweben,
Grüßt dich das Land in deinem Heiligtum. –

Und doch, mich dünkt, daß du mußt bitter lächeln
Zu jenem Weihrauch, den die Menge bringt;
Daß dich berühren muß ein eisig Fächeln,
Daß dir ein Mißton durch die Lüfte klingt,

Daß man dich quält mit der Apotheose;
Denn dieser Festtag, dies olympsche Spiel –
Kann es erwecken auch nur eine Rose
An deines Lebens abgeblühtem Stiel?

Dieweil sie laut zujauchzen deinen Liedern
Und in den Städten künden deinen Preis,
Weilst du daheim mit altersschwachen Gliedern,
Ein müder Mann, ein achtzigjährger Greis.

Ein selger Geist auf glorreich lichten Sonnen,
Erlöst von Weh und Tod, der mag verklärt,
Verdoppelt fühlen seine Himmelswonnen,
Wenn man auf Erden sein Gedächtnis ehrt.

Wer aber dasteht an der dunklen Grenze,
An seiner Menschenjahre letztem Ziel,
Den mahnen Lorbeer nur an Grabeskränze,
Den dünkt der Nachruhm fast ein eitles Spiel.

Dem ist das alles nur ein Untergehen,
Ein überglühend letztes Abendrot –
Für seine Jugend gibt's kein Auferstehen,
Und alle Hoffnung ist für ihn im Tod.

Als ich bald nach dem Feste wiederkam, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, war in seinem Zimmer keine Spur mehr vorhanden von den Kostbarkeiten, die sich vor wenig Tagen darin ausgebreitet hatten. So schnell als möglich hatte alles fortgeschafft werden müssen, was ihn an die empfangenen »Gnadenstöße« erinnerte. Nicht eine Blume im Glase durfte übrigbleiben.

Er sah angegriffen aus und klagte über seine täglich zunehmende Taubheit. Viele, die über ihn geschrieben haben, erwähnten ihrer als eines ernsten Gebrechens. Mir ist sie niemals aufgefallen. Wenn man, ohne die Stimme im geringsten zu erheben, nur deutlich akzentuierte, verstand er jedes Wort. Auch seine Augen, über die er sich oft beschwerte, haben ihm bis zuletzt treue Dienste geleistet. Er selbst gestand, daß er eigentlich den ganzen Tag lese. Eine Brille hat er nur in jüngeren Jahren durch kurze Zeit getragen.

Im Laufe des Winters erholte er sich und war wieder der Alte, er, der sich einen Toten nannte, ein lebendigst Mitlebender, ein gütiger Weisheitspender und – wie oft! – ein Prophet.

Im Frühjahr vor meiner Abreise auf das Land durfte ich beim Abschied mit froher Zuversicht sagen: »Auf Wiedersehn!«

Nach meiner Rückkehr im Dezember konnte ich ihm von meinem Entzücken über eine schöne Aufführung der Medea, mit Frau Wolter in der Titelrolle, erzählen. Er schien mir unverändert und so geistesfrisch wie je. Bald darauf aber, es war einige Tage nach Neujahr, brachte uns Freund Weilen die Nachricht, daß es nicht gut stände mit Grillparzer, er sei sehr matt und leide an Schlaflosigkeit. Die Ärzte, sein treuer Doktor Preyß und Doktor Breuning, erklärten, es handle sich nicht um eine Krankheit, sondern um ein Aufhören, ein langsames Erlöschen. Er führte sein gewohntes Leben, stand zur gewohnten Stunde auf, ging zum Mittagessen zu Fröhlichs hinüber, ließ sich nach Tisch von Kathi fünf Patiencen legen und kehrte, von ihr und den Schwestern gestützt, in sein Zimmer zurück. Am Tage seines Todes war er, obwohl die Nacht schlecht gewesen, nicht zu bewegen, im Bett zu bleiben. Nur um eine Stunde später als sonst stand er auf, ließ sich zu seinem Fauteuil am Schreibtisch geleiten und schlummerte ein. Anna und Kathi hatten das Zimmer verlassen, an ein jähes Ende dachte man nicht. Pepi und Doktor Preyß blieben dem Schlafenden gegenüber auf dem Kanapee sitzen. Plötzlich hatte er eine Bewegung gemacht, und sie eilten zu ihm. Er schlug die Augen auf, nahm Preyß bei der Hand und sagte: »Mein lieber Preyß!« Sein Kopf sank zurück, er war ohne Todesangst, ohne Kampf entschlafen, hinübergegangen in den ewigen Frieden.

»Man braucht auch zum Sterben Glück«, hat er einmal gesagt. Dieses letzte Glück war ihm zuteil geworden.

Als ich nach seinem Tode Kathi wiedersah, kam sie mir vor wie schon mitgenommen in die Unsterblichkeit. Sie war schwer leidend, kämpfte heldenmütig gegen Krankheit und Schwäche, wollte aufrecht bleiben, leben, ihre Aufgabe lösen und den Nachlaß des Dichters, dessen Erbin sie war, zu seinem Ruhme verwalten.

Nach wie vor wurde ich von ihr und von den Schwestern mit immer gleicher Herzlichkeit empfangen. Sie wußten mir stets etwas Liebes von dem Wohlwollen Grillparzers für mich zu erzählen, dem Interesse, das er an mir genommen hatte. Als er, kurz vor seinem Tode, durch Anna hörte, daß ich einen Verleger für eine kleine Arbeit suche, hatte er sogleich erklärt, daß er sich der Sache annehmen und an Heckenast schreiben werde.

»Wenn Sie einmal längere Zeit ausgeblieben sind«, sagte mir Kathi, »da hat es immer geheißen: Die Ebner laßt sich auch nicht mehr sehn . . .«

Und wie oft war ich auf dem Wege zu ihm gewesen und hatte, bei seinem Hause angekommen, gezögert hineinzutreten! Er wollte und verlangte von den Menschen nichts mehr, als in Ruhe gelassen zu werden; durfte ich einbrechen in seine tiefe, stille, ihm so liebe Einsamkeit? Vielleicht wäre ihm mein Besuch heute besonders ungelegen. Ich dachte nach und zählte: Wann war ich zum letzten Male bei ihm? Vor zwei – vor drei Wochen. Darf ich so bald wiederkommen? – Vielleicht doch nicht . . . Und war vorbeigegangen und hatte mich unwiederbringlich um ein unschätzbares Lebensgut, eine Stunde in der Nähe eines großen Menschen, gebracht.

Ich habe meine törichte Zaghaftigkeit bitter bereut, als mir Grillparzers Worte: »Die Ebner laßt sich auch nicht mehr sehn«, wiederholt wurden.

 

Weilen, Laube, Freiherr von Rizy, Doktor Preyß hatten ihre Aufgabe erfüllt, das Material zu der zehnbändigen Ausgabe von Grillparzers Werken befand sich im Besitz von Cottas Nachfolgern.

Alle Originalmanuskripte waren dem Freiherrn von Rizy zur Verwahrung übergeben worden und befanden sich vorläufig in seiner schönen, stillen Wohnung im Schottenhof. Einige Monate nach Grillparzers Tode besuchte mich der Baron und lud mich ein, zu ihm zu kommen, um den handschriftlichen Nachlaß unseres Dichters zu sehen.

Ein Tisch, der beinah die ganze Länge und Breite eines großen Zimmers einnahm, war mit Manuskripten bedeckt. Sein Vermächtnis, die Summe seiner Lebensarbeit, die Vertrauten seiner Seele, Zeugen und Früchte der Entzückungen und Qualen seiner Schöpferstunden. Jedes Blatt, jedes Blättchen mit seinen teuren Schriftzügen bedeckt, die fein waren, kräftig und klar und dem Auge ein Labsal, weil sie, wenn auch im Fluge hingeworfen, jedem Buchstaben sein Recht widerfahren ließen und unbewußt, ungewollt Freude am Bilden einer schönen Form darstellten.

Diese stillen Zeichen, wie sprachen sie so laut! Diese einförmigen schwarzen Linien, was zauberten sie mir vor! Ich sah die Hand, die sie gestaltet hatte, sah das über sie geneigte Haupt. Er war da, ich hatte, in den Anblick seiner Schöpfungen versunken, die volle Empfindung seiner Nähe.

Ein Teil der Schriften war von den übrigen abgesondert. Dieser darf, so hat Kathi Fröhlich es bestimmt, nicht vor dem Jahre 1922, fünfzig Jahre nach dem Tode des Dichters, veröffentlicht werden.

Der Freiherr hielt ein eng beschriebenes Blatt in der Hand, ein Gedicht, sagte er, das aus einer Zeit stammte, in der es zwischen dem Dichter und Kathi zum völligen Bruch gekommen war. Sie verfiel infolge der ausgestandenen Aufregungen in ein schweres Nervenfieber. Grillparzer wußte davon, quälte sich, und als er eines Abends erfuhr, der Arzt habe erklärt, daß sie die Nacht nicht überleben werde, rannte er wie ein Verzweifelter ziel- und planlos in den Straßen umher, kam in den Volksgarten und legte sich dort händeringend, schluchzend auf die Stufen des Theseustempels nieder.

»Von der entsetzlichen Nacht, die er damals durchlitten hat, lebt ein Zeugnis in diesem Gedicht«, schloß der Freiherr. »Ich will es Ihnen vorlesen, wenn ich kann.«

Er konnte kaum. Manchmal unterbrach ihn ein schweres Schluchzen, Tränen rannen über sein Gesicht.

Ein lang begrabener Schmerz war aus dem Todesschlaf erweckt worden, bäumte sich auf und weckte in unsern Seelen einen erschütternden Nachhall.

Es war das grausamste Gericht, in das ein Mensch über sich zu gehen vermag: eine Verdammnis des Verbrechers und Toren, der dem Schicksal flucht, wenn es versagt, und sich abwendet, wenn es gibt; des Quälers, der der Geliebten seine Friedlosigkeit einimpfen will, des Mörders, der sie in den Tod gejagt, weil sie sich nicht umschaffen konnte, wie er wollte, sondern bleiben mußte, die sie war.

Dem Dichter hat die Empfindung als Urquell gegolten, dem aller Reichtum der Poesie entspringt. Aus diesen Versen brach sie mit Naturgewalt hervor, zerstörte, riß nieder, wühlte sich in einen Abgrund von Trostlosigkeit hinein. Furchtbar und herrlich, denn die Stimme, die da klagte und anklagte, war eines großen Dichters Stimme; dieselbe, die wie tönendes Erz aus den Schmerzenslauten Medeens erdröhnt und in Wehmut geschmolzen aus Bancbans Abschiedsworten an unsre Herzen pocht und sie unaussprechlich liebevoll bezwingt.

Es war zu Ende, der Vorleser schwieg. Wir reichten einander die Hand, und ich nahm Abschied und wanderte durch den ruhigen Schottenhof in die lärmende Straße hinaus, an vielen, vielen Menschen vorbei. Und alle, ob im Kleide der Armut auf der Suche nach dem täglichen Brot, ob reich geputzt mit andern Reichgeputzten Grüße, Scherze, Liebesblicke tauschend, ob ernst und würdig auf dem Wege vom Amte oder zum Amte, ob traurig oder vergnügt, frisch und jung oder welk und alt, alle kamen sie mir vor wie Schatten, die fühllos, wesenlos über die Abgründe des Lebens hingleiten.

Erst sechs Jahre nach Grillparzers Tode habe ich, von Anna und Kathi begleitet, sein Zimmer wieder betreten. Josephine, die jüngste der Schwestern, lag dort aufgebahrt im Sarge. Anna und Kathi beugten sich über sie, streichelten ihre Hände und sprachen leise und liebevoll mit ihr. Wie gut sie war, wie hilfreich und unermüdlich und wie hochbegabt und als Sängerin gefeiert zu ihrer Zeit! Aber sie konnte sich ins Theaterleben nicht finden und nicht sein ohne die Schwestern. Sie ist zu ihnen zurückgekommen und Gesangslehrerin geworden wie Anna. Manche ihrer Schülerinnen hat einen großen Namen errungen, und sie war stolz darauf; für sich selbst hatte sie keinen Ehrgeiz.

Weich, leise, liebevoll fielen die Worte der Schwestern auf die Entschlafene nieder. Sie schien zu lächeln, war wie verjüngt und war schön in ihrer erhabenen Todesruhe.

»Der Grillparzer hat sie auch liebgehabt«, sagte Anna, und wir hatten das Gefühl, als stände er an diesem offenen Sarge mitten unter uns, in seinem Ernst, seinem Trübsinn, in der großen unwiderstehlichen Macht, die jeder empfunden hat, der ihm nahetreten und in die Tiefe seines Wesens blicken durfte.

Noch vor Ablauf eines Jahres trug Anna auch ihre Kathi zu Grabe, die ihr mehr als Schwester, die ihr Kind gewesen war, ihr leidengekröntes Kind. Sie wird nicht vergessen werden. Der Name Kathi Fröhlich ist unauflöslich mit dem Namen Franz Grillparzer verbunden. In einem Punkte hat sie sein Geschick geteilt, die Mit- und Nachwelt hat an ihr nicht viel weniger gesündigt als an ihm. Mißverstand, Vorurteil, Engherzigkeit, Klatschsucht besorgten und besorgen das in einer ihrer würdigen Weise. Wenn ich in einem der zahlreichen Bücher lese, die uns die Grillparzer-Literatur beschert hat, kann ich nicht genug staunen über den niederen Rang, der darin Kathi und ihren Schwestern im Leben des Dichters angewiesen wird. Es ist nicht selten der von drei Haushälterinnen, die seine Zimmer in Ordnung hielten und seine Wäsche besorgten. Erwähnt findet sich auch wohl, daß sie verstanden, ihm Unangenehmes und Peinliches aus dem Wege zu räumen, zudringliche Besuche fernzuhalten, lästige Korrespondenzen für ihn zu führen, ihm viele Sorgen für unerfreuliche Verwandte abzunehmen. Daß übrigens Anna und Josephine höchst musikalisch waren, trug recht viel dazu bei, ihren Umgang mit Grillparzer, der ja die Musik fast höher stellte als die Poesie, wertvoll zu machen. Das wird gnädig zugegeben.

Bauernfeld hat sich viel eingebildet auf seinen Einfall, die Schwestern Fröhlich die Parzen zu nennen, obwohl es doch kein gar zu origineller Einfall gewesen ist. Sie waren drei, sie waren alt, sie waren unzertrennlich; mir scheint, daß man, um den Spitznamen zu erfinden, nur gehörig oberflächlich und boshaft zu sein brauchte.

Was sie für Grillparzer bedeuteten, was er ihnen verdankte, hat Bauernfeld ebensowenig gewußt, wie die Verwandten des Dichters es gewußt haben; alle stellten sein Verhältnis zu diesen seinen Schutzgeistern auf den Kopf. Seine Familie, stolz auf ihren Beamtenadel, sah auf die bürgerlichen Musiklehrerinnen hochmütig herab, ihre Gesellschaft war keine standesgemäße für den Vetter Franz, den Sohn einer geborenen von Sonnleitner. Der aber war nicht der Mann, der irgendein Wesen oder irgendein Etwas, das zu ihm gehörte, auch nur in ein halbwegs günstiges Licht zu stellen vermochte. Ebensowenig als sich selbst, als seine eigenen Werke. Ich war oft peinlich überrascht durch seine geringschätzige Art, sie zu beurteilen.

Frau von Littrow bemerkt sehr richtig, daß er nie anders als mit einem verkleinernden Adjektiv von den Dingen sprach, die ihn umgaben, die ihm dienten. – Da war zum Beispiel sein braver, sehr anständiger Hausrock, der sich alle möglichen Beschimpfungen gefallen lassen mußte. Und gewiß war er ihm nicht weniger lieb als dem guten Béranger sein »vieil habit«, dem dieser heitre Poet ein Lied gesungen hat, das ewig jung bleiben wird. Ebensowenig wie das behagliche Kleidungsstück, ebensowenig wie den Darbringer einer Aufmerksamkeit, den Spender einer Auszeichnung, ebensowenig vermochte er seine guten Hausgenossinnen zu preisen. Eine einzelne nannte er nie. Sie wurden immer nur in corpore erwähnt.

»Die Damen, bei denen ich wohne.« Wenn das Barometer der Stimmung besonders hoch stand, gab es kleine Nachsätze: »Sie sind meine gewöhnlichen Vorleserinnen, sie spielen mir auch vor.« – »Sie sind sehr poetische Naturen und verstehen, sich das Leben schön zu gestalten.« Daß sie auch in das seine Behagen, Heiterkeit, Licht und Wärme brachten und überhaupt das Beste, das ihm je zuteil geworden: kritiklose Liebe und Verehrung, mußte er gefühlt haben, doch blieb es unerwähnt. Dieser große Reichtum war sein unverlierbares Eigentum; sich durch ihn beglückt zu fühlen lag nicht in seiner Natur. Gewiß kamen Stunden, in denen er sich dessen entsann, was Kathi für ihn getan hatte, für ihn – wenn Liebe für den andern etwas tut, wenn nicht, einem unwiderstehlichen Müssen gehorchend, im letzten Grunde alles für sich.

Einmal hatte Sofie Schröder Kathi spielen gesehen bei einer Vorstellung auf einem Liebhabertheater, hatte die junge Dilettantin umarmt und feierlich erklärt: »Fräulein, wenn Sie nicht Schauspielerin werden, begehen Sie einen Selbstmord.«

Aber Grillparzer sagte: »Eine Schauspielerin mag ich nicht«, und der Selbstmord wurde begangen. Hat er gefragt, was es sie gekostet hat? Oder lieber nicht gefragt – es war überflüssig, er wußte es zu gut.

Aus einigen seiner kargen, grausam zurückhaltenden Briefe an sie klingt es deutlich heraus, daß er, der sich für unfähig hielt zu lieben, doch sehr fähig war, eifersüchtig zu sein. Kathi Fröhlich war schön und unbeschreiblich anmutig, sie hatte tiefschwarze, wie Karajan sagt, »unendliche, eigentlich unergründliche Augen, in die man immer hätte hineinsehen mögen«. Sie wurde bewundert, geliebt und umworben. Gelegenheit, eifersüchtig zu sein, hatte Grillparzer in Hülle und Fülle, Grund dazu niemals. Die Huldigungen, die man ihr darbrachte, ließen sie nicht nur kühl, sie empörten sie. »Was wollen diese Leute? Wissen sie denn nicht, daß es für mich nur einen Mann gibt?« schreibt sie an ihre Schwestern.

Und dieser einzige, der geglaubt hatte, in ihr seine Seligkeit zu finden, war schon bald von allen bösen Geistern des Zweifels ergriffen worden. Gab's ein Glück für ihn, gab's überhaupt etwas außer seiner Kunst? Gab's noch ein anderes als dieses unbegrenzte Streben nach ihr und nach allem, was zu ihr gehört? Er könnte wohl – seine Worte! – auch anderes ergreifen, aber festhalten nicht. Mit einem Worte: »Ich bin der Liebe nicht fähig«, gestand er dem Freunde. »Sosehr mich ein wertes Wesen anziehen mag, so steht doch immer noch etwas höher, und die Bewegungen dieses Etwas verschlingen alle andern so ganz, daß nach einem Heute voll der glühendsten Zärtlichkeit leicht – ohne Zwischenraum, ohne besondere Ursache – ein Morgen denkbar ist der fremdesten Kälte, des Vergessens, der Feindseligkeit möchte ich sagen.«

Und dennoch vermochte er nicht, sich völlig loszureißen, kehrte zurück, erfuhr Widerstand, ja Härte; denn eine demütige Dulderin war Kathi nicht, verlor aber in diesem schweren Kampfe nie das Bewußtsein ihrer unendlichen Liebe. Sie, ob auch noch so bitter gekränkt, fühlte doch immer tiefer als das eigne Leid die Qual, die ihn zu quälen trieb. Er litt, der Mensch, den sie am höchsten stellte, der ihr das Teuerste war, der Dichter, der sie begeisterte, dem sie die erhebendsten Stunden ihres Lebens verdankte; er war in all seinem geistigen Reichtum, all seiner Schöpferkraft ein armer Ruheloser. Sie wußte auch, daß, soweit der Himmel blaut, kein Wesen lebte, das ihm sein konnte, was sie ihm war in den kurzen Augenblicken der Rast, die sein Unfrieden ihm gönnte. Der Geliebte, der leidet, das ist der Allmächtige. Sie unterwarf sich, sie nahm das Kreuz einer unbeglückten Liebe, die täglich erneute Pein einer falschen Stellung – die ärgste für ein stolzes Herz – auf sich und trug sie kraftvoll und heldenmütig.

So war's ein langes Leben hindurch gewesen, und so sollte es bleiben. Als er ihr in späten Jahren, ein alter Mann der Gealterten, seine Hand und seinen Namen anbot, lehnte sie ab. Seine »ewige Braut« – in Gottes Namen. Seine Frau? Nein. Was sie von ihm ertrug, weil sie wollte, hätte sie nicht ertragen, weil sie mußte.

Was Grillparzer von Kathi Fröhlich gehalten, bezeugte er dadurch, daß er sie zur Herrin seines Hab und Guts wie über seinen poetischen Nachlaß einsetzte. Ihr vertraute er die Verfügung über die Werke, die er seit dem Tage seiner bittersten Enttäuschung vor aller Augen – die ihren gewiß ausgenommen – verborgen gehalten hatte. Den höchsten Beweis von Liebe und Vertrauen, den er geben konnte, hat sie aus der Hand des Toten empfangen.

 

Die Sorge für sein Andenken war bis zu ihrer letzten Stunde der Inbegriff ihres Dichtens und Trachtens und der ihrer beiden Schwestern, die sich, wie sie es von jeher getan, mit ihr identifizierten. Das Vermögen des Verstorbenen wurde seinen Verwandten überlassen, die Stiftung des Grillparzerpreises der Wiener Akademie der Wissenschaften wurde durchgeführt, die Schwestern-Fröhlich-Stiftung begründet, der Wiener Zweigverein der Schillerstiftung zum Erben der aus den Aufführungen der Dramen fließenden Tantiemen eingesetzt.

Es haben sich Leute gefunden, die der Lesewelt zur Kenntnis brachten, die Schwestern Fröhlich hätten nach dem Tode Grillparzers in seinen Reichtümern geschwelgt. Nun, in einem etwas andern Sinne, als jene Verständnisvollen es meinten, kann man das gelten lassen. Sie haben geschwelgt in einem unsäglich wehmütigen Triumph, als der Bruderzwist in Habsburg bei seinen Aufführungen im Stadttheater Stürme der Begeisterung entfesselte. Sie durften reich und beglückt gepriesen werden, als die Gesammelten Werke ihres Dichters erschienen und in Deutschland, das sich immer so spröde gegen ihn verhalten hatte, endlich das Eis schmolz, Verständnis, Wärme, Bewunderung ihn begrüßten und der Rang, der ihm gebührt, ihm eingeräumt wurde, der neben Kleist – vielleicht wohl vor ihm –, Goethe und Schiller am nächsten.

Gegen Kränklichkeit und Schwäche ankämpfend, hat Kathi sich aufrecht erhalten, bis ihre Mission erfüllt war, dann schloß sie die Augen zur ewigen Ruhe. Ihre treue Anna folgte ihr bald; sie, die Älteste, ging zuletzt, nachdem sie ihre Pflegebefohlenen heimgeleitet hatte. Kurz vor ihrem Tode hatte Anna Fröhlich – gewiß nach reiflicher Überlegung – einen schweren Entschluß gefaßt: sie hatte ihre durch viele Jahre sorgsam geführten Tagebücher verbrannt.

Viele tadeln es, weil sie dadurch »der Welt« die Wahrheit über das Verhältnis Grillparzers zu Kathi Fröhlich vorenthielt. Die Wahrheit! Und wenn man sie euch sagte, würdet ihr sie gelten lassen und nicht sogleich wieder zu den euch lieb gewordenen Irrtümern und Vorurteilen zurückkehren?

Was mich betrifft, ich meine: Anna Fröhlich hat ihre Tagebücher verbrannt. Sie hat es getan, folglich war es recht getan.

Einige Tage nach ihrem Tode stieg ich zum letzten Male die vier Treppen zur wohlbekannten Wohnung in der Spiegelgasse empor.

»Susanne, ich komme, Ihnen Lebewohl zu sagen und Sie zu bitten: erlauben Sie mir, die Zimmer des Herrn Hofrats und Ihrer Damen noch einmal zu besuchen.«

Sie geleitete mich und ließ mich dann allein, und ich habe einen langen Abschied genommen und mir die Erinnerung an diese lieben, geliebten Räume und an jeden einzelnen Gegenstand darin tief eingeprägt. Nicht das geringste war verrückt, die gewohnte Nettigkeit und Ordnung herrschte.

»Mir ist ja, als ob sie jeden Augenblick zurückkommen müßten«, sagte Susanne, die mich am Eingang erwartet hatte.

 


 


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