Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Erzählungen und andere Werke
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

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Jakob Szela

1

Die einen nennen den Jakob Szela einen Volksführer, die andern einen Volksverführer; die ersten sehen in ihm ein Muster »schönster Loyalität«, die zweiten einen Räuber und Mordbrenner. Jene verehren ihn als einen Gesetzeskundigen und Weisen, während ihn diese für einen Winkelschreiber und Rabulisten erklären. Kaum ist jemals über eine geschichtliche Persönlichkeit so verschieden geurteilt worden wie über den galizischen Bauer Jakob Szela, Grundwirt zu Smarzowa im Tarnower Kreise. Nicht einmal das Alter, in welchem er sich anno 1846 – dem für Galizien so wichtigen und unglücklichen Jahre – befand, ist festgestellt. –

Er war damals sechzig Jahre alt und im Vollbesitze seiner Kraft, sagen seine Ankläger. Er war ein siebenzigjähriger gebrochener Greis, sagen seine Bewunderer. Nur in einem Punkte stimmen alle überein, alle bestätigen, daß große Macht in den Händen dieses Mannes lag, dem Tausende seiner Standesgenossen unbedingtes Vertrauen schenkten und blind gehorchten.

Gleich nach seiner Erwählung zum Gemeindedeputierten hatte er einen Prozeß gegen die Gutsherrschaft beim Kreisamt anhängig gemacht. Er bewies, daß die Gutsherrschaft sich im Verlaufe von sechsundfünfzig Jahren von der Gemeinde Smarzowa wöchentlich um achtzig, in summa einmalhundertzweiunddreißigtausendneunhundertundsechzig Robottage mehr hatte leisten lassen, als jene zu leisten schuldig gewesen war, und verlangte Schadenersatz. Das Kreisamt nahm die Klage an, suchte aber Szelas Forderung herabzumindern. Der wollte jedoch kein Jota von seinem Rechte ablassen, respektive von dem Recht derjenigen, die er zu vertreten hatte, wollte auch auf keinen noch so gut gemeinten Vorschlag zu einem Ausgleich eingehen und legte eine solche Halsstarrigkeit an den Tag, daß der Kreishauptmann, Ritter von Breinl, sich endlich entschloß, den Vorstellungen der Gutsherren von Smarzowa nachzugeben und in die Entsetzung Szelas als Gemeindedeputierten und Bevollmächtigten zu willigen.

Gegen den Ausspruch rekurrierte Szela sogleich beim Gubernium, wurde dort jedoch abgewiesen und vermahnt, sich an die kreisamtliche Entscheidung zu halten. Szela überlegte eine Weile und wandte sich dann mit einer klaren Darlegung des Sachverhalts an die Hofkanzlei nach Wien. Binnen kurzem erfloß von dort die Kassierung der Entscheidungen des Kreisamts sowohl wie des Guberniums. Die beiden Stellen erhielten den Befehl, Szela, gegen den als Gemeindevertreter nichts einzuwenden sei, auch sonst Ungünstiges nicht vorliege, nach wie vor als Deputierten seiner Ortschaft anzuerkennen. Dieser Beschluß erweckte in der Landbevölkerung eine grenzenlose Begeisterung und Dankbarkeit gegen die kaiserliche Regierung und steigerte Szelas Ansehen auf das höchste.

Der Prozeß nahm seinen Fortgang und war nahe daran, zugunsten des Klägers entschieden zu werden, als die Revolution ausbrach, die einzige, in welcher das Volk den Ausschlag gab, indem es gegen seine vorgeblichen Befreier Partei ergriff. Kein Wunder, daß Szela bei dem merkwürdigen Ereignisse eine große Rolle spielte – spielen mußte; die Konsequenzen seiner langjährigen Wirksamkeit traten zwingend an ihn heran, und den schlichten Bauer hat es wohl selbst befremdet, als er, eines Morgens erwachend, die Sense in seiner Hand in ein Richtschwert verwandelt sah.

Ob er es zum Heile oder Unheile geführt, ob er das rings auflodernde Feuer anzufachen oder zu dämpfen gesucht hat, darüber steht den Vorurteilsvollen kein endgültiges Urteil zu. Maßgebender für eine Charakterstudie des Bauernhäuptlings dürften die Berichte eines kürzlich in Zabno verstorbenen Mannes sein, der den Szela persönlich gekannt, ihm aber ferngestanden hat und sine ira et studio von ihm zu sprechen pflegte.

Der Mann war der alte Sikorski, ehemaliger Kastellan im Schlosse des Grafen O., eines Grenznachbars der Herren von Bogusz, Eigentümer von Smarzowa. Sikorski hatte in seiner Jugend beim Militär gedient, seines Fahneneides nicht vergessen und kümmerte sich um Politik nicht im geringsten. Er folgte darin dem Beispiele seines Herrn, der auch viele Jahre Soldat gewesen war und diese Zeit als die fröhlichste seines Lebens bezeichnete. Die glücklichste für den Grafen, die seiner Ehe, hatte nur wenige Jahre gedauert. Nach dem Tode seiner Gattin, die ihm drei schöne und kräftige Söhne hinterlassen, gab er sich anfangs einer unmäßigen Trauer hin, suchte aber dann Zerstreuungen, kutschierte in der Nachbarschaft herum, hielt sich monatelang in Lemberg auf, verbrauchte mehr Geld, als er einnahm, drückte seine Pächter und wurde seinen Bauern ein harter Herr. So schlecht es denen jedoch erging, von ihren Großeltern konnten sie hören, daß die jetzige Zeit Gold war im Vergleich zur früheren, welche die Metapher von dem an den Pflug gespannten Bauer zur buchstäblichen Wahrheit gemacht hatte und in welcher es den Edelmann keinen Kreuzer kostete, wenn er einen seiner Untertanen – und nur fünfzehn polnische Gulden, wenn er den seines Nachbars erschlug.

Der Graf fühlte für Szela immer eine gewisse Vorliebe, hielt ihn an, wenn er ihm begegnete, sprach und scherzte mit ihm, demütigte ihn übrigens mitunter auch recht grausam. Er haßte Szelas Gutsherren von Herzen wegen ihrer österreichfeindlichen Gesinnung, er hätte ihnen alles Schlimme gegönnt, aber daß ihnen Schlimmes durch einen ihrer eigenen Bauern zugefügt wurde, das war ihm doch nicht recht. Die Entschließung des Kreisamts in bezug auf Szela hatte er als eine Ungerechtigkeit getadelt, die Entschließung der Hofkanzlei entrüstete ihn als eine Unklugheit. – »Das übersteigt die erlaubten Grenzen«, sagte er; »das ist zu arg. Das heißt jede unmittelbare Autorität dem Landvolke gegenüber untergraben.«

Von dem Tage an grollte der Graf dem Szela und wurde gar eifrig in seiner Mißstimmung bestärkt durch einen jungen Mann, dem er viel rascher, als sonst in seiner Art lag, sein Vertrauen geschenkt hatte, durch den Mandatar Jaslo.

Der Mandatar war überhaupt eine wichtige Persönlichkeit in der Umgebung des Grafen, ein bildhübscher Bursch von äußerst einnehmendem Wesen. Mittelgroß, mager wie ein Windhund, geschmeidig wie eine Katze und klug wie eine Schlange. Der Graf stand unter seinem Einfluß, die jungen Grafen waren von ihm bezaubert. Joseph, der Erstgeborene, betete ihn förmlich an und wich nicht von seiner Seite.

Im Herbste 1845 kam eines Tages Szela zu dem Kastellan Sikorski und bat, ihn beim Grafen zu melden. Eine solche Freiheit hatte Szela sich nie herausgenommen, und Sikorski sagte erstaunt zu ihm: »Ich dich melden? Was fällt dir ein? Nicht einmal, wenn der Herr Graf gut aufgelegt wäre, täte ich's; wie denn heute, da er sich in seiner übelsten Laune befindet, weil der Verwalter ihm nicht soviel Geld gebracht hat, als er auf die morgige Reise mitnehmen wollte.«

Szela entgegnete, wenn der Herr Graf morgen schon wieder verreise, liege desto mehr daran, daß er ihn heute noch sprechen könne. Und er wußte dem Kastellan die Sache so dringend zu machen, ihm die Verantwortung, die er auf sich lade, wenn er ihm nicht eine Audienz verschaffe, als eine so schwere vorzustellen, daß Sikorski sich zum Grafen begab und ihm die gehorsamste Bitte des Szela vortrug. Der Graf sprang vom Schreibtisch auf, an dem er vor unordentlich durcheinandergeworfenen Rechenbüchern und Schriften gesessen hatte, und rief: »Herein mit ihm!«

Der Kastellan stutzte; ihm wurde heiß. Diesen rauhen Klang in der Stimme seines Herrn kannte er und wußte im voraus, was Szela zu erwarten hatte. Er ging nach seinem Zimmer zurück und riet dem dort Harrenden: »Glaub mir, lauf noch jetzt davon. Ich will sagen, daß du im letzten Augenblick den Mut verloren hast, vor den Herrn zu treten. Das wird ihm in den Kram passen und ihn besänftigen.«

»Kann nicht sein«, murmelte Szela, »geh du voran, Pan Kastellan, ich folge.«

So begaben sie sich auf den Weg.

»Was willst du?« schrie der Graf dem Szela entgegen. Als der jedoch sich tief verneigte und voll Respekt an der Tür stehenblieb, da war's, als ob sein Anblick den Grafen umstimmte. Und in der Tat besaß der alte Grundwirt, obgleich er ungewöhnlich klein und schmächtig war, ein gar ehrwürdiges Aussehen. Zufällig hatte er sich gerade unter das Bild des Teuerdank gestellt, das an der Wand hing, und jedem Menschen mußte die Ähnlichkeit zwischen den beiden Köpfen auffallen, dem des großen Kaisers im samtenen, pelzverbrämten Jagdkleide und dem des armen Bauers im weißen Leinwandkittel.

»Was willst du?« wiederholte der Graf.

»Ich möchte untertänigst bitten, unter vier Augen mit dir sprechen zu dürfen, hochgeborener Herr.«

»Unter vier Augen? . . . Du bist keck . . . Ich habe keine Geheimnisse mit dir. Sprich vor dem Kastellan oder pack dich.«

»Du hast zu befehlen, gnädigster Herr«, antwortete Szela, ohne eine Miene zu verziehen – er hatte wohl keinen andern Empfang erwartet. »Ich bin gekommen, um dich zu warnen; du befindest dich in einer großen Gefahr.«

»So? . . .« Der Graf zwirbelte an seinem Schnurrbart und trat näher auf Szela zu: »Mich zu warnen, kommst du, und vor wem?«

»Vor einem deiner Diener, der dich bestiehlt.«

»Bestiehlt?«

»Ja, hochgeborener Herr Graf. Er stiehlt dir das Liebste, das du hast – deine Kinder.«

»Was soll das heißen? Welchen Unsinn schwatzest du?«

»Laß dich herab, mich anzuhören«, flehte Szela. »Du hast einen Mann im Hause, der zu den Polen hält und ein Feind des Kaisers ist.«

»Wohl auch dein Feind?« fragte der Graf höhnisch, und Szela, ohne die Ironie dieser Worte zu verstehen, gab mit ruhiger Stimme zur Antwort: »Freilich, Herr. Der Feind des Kaisers ist auch mein Feind.«

»Aha! . . . Wie heißt der Mann, von dem du redest?«

»Jaslo, Pan Jaslo, der Mandatar.«

Jetzt brach das Gewitter los: »Hund, niederträchtiger, verleumderischer Hund! Meinen besten Diener wagt die Bestie zu begeifern, weil sie weiß, daß er ihr nicht gewogen ist? . . . Weil er wie jeder Vernünftige sagt: Unrecht getan hat die Hofkanzlei, indem sie auf den Rekurs des frechen Gesellen anders geantwortet hat als mit einer Anweisung auf fünfzig Stockstreiche?«

»Es ist mir zu Ohren gekommen, gnädiger Herr, daß Pan Jaslo so ungebührliche Reden führt.«

»Und deshalb also? . . . Dem soll ich den Mund stopfen, meinst du? Ein Mensch, der bei der Hofkanzlei Gehör gefunden hat, wird auch bei einer Herrschaft Gehör finden? Aber da hast du dich verrechnet . . . Die Herrschaft holt nach, was die Hofkanzlei versäumte . . .«

Dem Grafen quollen die Augen aus dem Gesicht, seine Lippen waren weiß; er ballte die Hand um einen Reitstock, den er vom Wandgestell gerissen hatte, und ein Hagel von Schlägen fiel auf den Kopf und die Schultern des Bauers. Dieser stand unbeweglich, zuckte nicht einmal; nur eine grenzenlose, verzweiflungsvolle Traurigkeit sprach sich in seinem faltigen Antlitz aus.

Plötzlich war's, als ob den Grafen Scham ergriffe über das Büttelknechtsamt, das er ausübte. Statt ihn zu besänftigen jedoch, reizte ihn der Gedanke nur zu größerer Wut gegen den, der ihn dahin gebracht hatte, sich so zu entwürdigen.

Szela tat nicht das geringste, um seinen Grimm zu mildern. »Ich brauche mir im Grunde deine Schläge nicht gefallen zu lassen, gnädiger Herr«, sagte er, als der Graf seinem Stocke Ruhe gönnte. »Dessenungeachtet bitte ich dich: schlag zu! aber nimm dir meine Warnung zu Herzen.«

Natürlich tobte darauf der Graf noch ärger als früher. Kein Schimpfwort, das er dem Szela nicht zugeschrien hätte. Zum Schlusse schwor er einen so törichten Eid, wie ihn nur der rasendste Zorn aussprechen kann: Lieber wollte er untergehen, lieber seine Kinder vor seinen Augen sterben sehen, als seine oder ihre Rettung einem elenden Kerl von Bauern danken zu müssen. »Hinaus! Hinaus mit dir, du lügnerischer Schurke! Und wenn du dich je wieder blicken lassen solltest, dann hüte dich vor den Hofhunden.«

Das war der Reisesegen, den Szela mitbekam.

Der Kastellan nahm den Alten mit auf seine Stube und brachte ihm Wasser, um sein blutrünstiges Gesicht zu waschen. Ihn jammerte des schwer Mißhandelten, er konnte sich aber doch nicht enthalten, ihm zu sagen: »Recht ist dir geschehen. Warum hast du durchaus zu ihm gehen müssen!«

Szela rieb sich die zerbleuten Schultern mit dem Rücken der Hand: »Armer Herr Graf – für so verblendet hätte ich ihn nicht gehalten. Armer Herr! Ganz betört hat ihn der polnische Schwätzer . . . Bete zu Gott, Herr Kastellan, daß er das große Unglück abwende, welches dieser Mensch über den armen Herrn Grafen und sein ganzes Haus bringen kann.«

Am Nachmittage ließ der Graf den Mandatar rufen und hatte eine lange Unterredung mit ihm. Verstört und bleich war Jaslo in das Zimmer seines Herrn getreten, wohlgemut und friedlich kam er wieder heraus. Das leibhaftige gute Gewissen könnte nicht in liebenswürdigerer Gestalt einhergehen. Der Kastellan begegnete ihm im Gange und ärgerte sich später darüber, daß er dem jungen Manne für seinen Gruß gar so freundlich gedankt hatte. Aber das war es ja, daß er einen immer wieder gewann. Jeder, der ihn sah, konnte nichts Schlechtes von ihm denken. Vielleicht weil er selbst in dem Glauben handelte, recht zu tun, indem er alle, die einer anderen Partei angehörten als er, zu betören und zu verführen oder zu – verraten suchte.

Nach der Abreise des Grafen begann er übrigens sein Spiel ziemlich offen zu treiben. Er schien sich das Vorgehen des Herrn Longchamps, Güterkommissärs beim Fürsten Sanguszko, zum Muster zu nehmen, der, sobald der Fürst seine Residenz verlassen hatte, um sich zum Winteraufenthalt nach Paris zu begeben, Schloß Gumnisk zu einem Vereinigungspunkte für Anhänger, Agenten und Emissäre der Propaganda aus allen Ecken und Enden Westgaliziens machte. Mit diesen Leuten verkehrten Jaslo und Graf Joseph beständig; und auch die jüngeren Grafen, deren Hofmeister der Beredsamkeit Jaslos lange widerstanden hatte, jetzt aber anfing schwankend zu werden, sangen: »Jeszcze Polska« und freuten sich in ihrer kindischen Weise auf den baldigen Ausbruch der Revolution.

Seltsam war die Stimmung im Dorfe. Am Sonntag Sexagesimä fanden sich bedruckte fliegende Blätter auf den Bänken in der Kirche vor und wurden von den meisten Andächtigen – aus gutem Grunde ungelesen – ins Gebetbuch gelegt. Die wenigen jedoch, die gelehrt genug waren, um sich mit deren Inhalt vertraut zu machen, erfuhren daraus, der Bischof in Jerusalem habe, während er das heilige Meßopfer darbrachte, eine Stimme vom Himmel vernommen, die ein Gebet gesprochen, das er hiermit der Christenheit in Polen zu ihrem Nutzen und Frommen mitteile. Jeder, der es nachgebetet, sei verpflichtet, es siebenmal abzuschreiben und an andere zu verteilen. Er werde dann als ein Gefeiter durch die drohenden Gefahren wandeln. Bald müsse das Blut stromweise fließen; nachher aber stehe eine gesegnete Zeit in Aussicht, in welcher die Früchte der Erde in unerhörter Fülle gedeihen und die Ländereien blühen würden gleich einem Paradiese.

Ströme Blutes! – Oft schon hatten die Bauern gehört, Ströme Blutes werden fließen; jetzt hieß es: sie müssen fließen; durch den Mund des Heiligen wurde es verkündet. Wenn aber Blut strömen soll, muß es vergossen werden, und wer soll es vergießen und durch wen soll es geschehen? . . . Durch wen anders als durch diejenigen, deren Sache es ist, auf den Feldern, die es düngen wird, zu säen und zu ernten? . . . So schlossen die meisten; nur einige ängstliche Seelen waren der Meinung: »Weit gefehlt! Die polnisch gesinnten Herren werden uns umbringen, uns Austriaci!« Ein dumpfer Druck lag auf allen Gemütern, den nur da und dort das Aufblitzen eines wilden Entschlusses, eine Verheißung der Rache für mehr als sechshundertjährige Bedrückung unterbrach. Auf dem Kreisamte herrschte rege Tätigkeit; täglich wurden neue Verschwörungen entdeckt und neue Verhaftungen vorgenommen. Jeder Freund des Friedens fing schon an zu hoffen, es werde den Ruhestörern das Handwerk bald gelegt sein, als grausige Gerüchte aus der Nachbarschaft in das Dorf drangen. Die Edelleute, erzählte man sich, wollen ihre Bauern zum Kampf gegen die Regierung aufstacheln und werden von den Bauern erschlagen, und ihre Häuser, ihre Kastelle werden ausgeplündert und in Brand gesteckt.

In der Nacht des 18. Februar ging Sikorski, von namenloser Bangigkeit gepeinigt, von Zimmer zu Zimmer. An dem der kleinen Grafen lauschte er; da war alles still, sie schliefen. Im großen Saal mit den sechs hohen Fenstern traf er den Grafen Joseph, der aufmerksam in die Ferne hinausspähte. Der Mond war noch nicht aufgegangen, die Nacht aber schnee- und sternenhell. An zwei Punkten des bleigrauen Horizonts wallten von feurigen Funken durchsprühte weißliche Rauchsäulen empor. »Um Christi willen!« seufzte Sikorski, »zwei Dörfer brennen!«

»Das dritte noch nicht, und das ist schlimm«, sprach Joseph, »viel schlimmer als du denkst, alter Sikorski.«

Der Kastellan entsetzte sich über diese Worte und fragte den jungen Herrn, wie er, der doch ein gutes Herz habe, solche Reden zu führen imstande sei. Joseph lächelte und erwiderte mit einer altklugen und kalten Miene, die ihm ein ganz verändertes Aussehen gab: »Was willst du? Einen Pfannkuchen bereitet man nicht, ohne Eier zu zerbrechen.«

Es wurde Mitternacht. Joseph blickte unverwandt nach einem dunklen Fleck am Horizonte aus, den endlich das sanfte Licht des Mondes, aber nicht das eines Schadenfeuers erhellte.

Am nächsten Morgen in aller Gottesfrühe sandte Pan Jaslo den Sikorski mit Briefen auf die Post nach dem Städtchen, das im Schlitten mit guten Pferden in einer Stunde zu erreichen war. Dort wurde dem Kastellan eine große Anzahl Neuigkeiten mitgeteilt, die ihm die Haare zu Berge trieben. Er erfuhr, in welcher Gefahr sich die Edelleute überhaupt, insbesondere aber jene befanden, die sich der Revolution angeschlossen hatten. »Wenn Euer Graf in Lemberg ist«, sagte der Posthalter, »kommt er gewiß heute oder morgen zurück. Es sind reitende Boten mit Alarmnachrichten nach der Stadt geschickt worden.« Fast närrisch vor Angst stieg Sikorski wieder in den Schlitten und hieß den Kutscher nach Hause jagen, so rasch die Pferde laufen konnten.

Als er ins Dorf kam, sah er schon die Bauern scharenweise auf dem Wege nach dem Schlosse begriffen. Jeder von ihnen trug eine Sense oder einen Dreschflegel auf der Schulter.

»Wohin?« fragte Sikorski.

»Wie du siehst, ins Schloß. Der Herr Mandatar hat uns befohlen, die Sensen geradezunageln und uns auf der Wiese vor dem Haustore aufzustellen.«

»Gott verdamm ihn, Gott verdamm ihn«, rief Sikorski, sprang aus dem Schlitten und rannte ins Amtshaus, zum Mandatar. Der Vogel war schon ausgeflogen und wahrlich in prächtigem Gefieder. Der alte Diener sah ihn, gekleidet wie zu einer Hochzeit, eben aus der Halle treten, als er selbst ganz atemlos dort anlangte. Noch prächtiger nahm Joseph sich aus in der reichen polnischen Tracht, den Säbel umgeschnallt, zwei Pistolen im Gürtel. Er stand zwischen seinen jüngeren Brüdern, und auch diese Kinder, die sich freilich Jünglinge dünkten, waren gekleidet und bewaffnet wie die Erwachsenen. Einige Dominikalbeamte und ein halbes Dutzend Herren, die Sikorski bisher niemals zu Gesicht bekommen hatte, bildeten ihr Gefolge. Der Ortsgeistliche hielt sich neben ihnen.

Eine Menge Schlachtschitzen, kleine Edelleute aus der Umgebung, waren angefahren und geritten gekommen und tänzelten um Jaslo herum. Wenn er feierlich dastand wie ein Hochzeitsgast, so gebärdeten sie sich, als ging's zu einem Balle.

»Da bin ich!« rief der Kastellan schon von weitem, »hört meine Nachrichten!« Aber den Herren war es keineswegs um seine Nachrichten zu tun. Sie winkten ihm zu schweigen und schoben ihn hinweg oder verhöhnten die Feigheit und Leichtgläubigkeit, der sie die Warnungen zuschrieben, die er dem und jenem zuflüsterte. Daß er sie vor den Bauern nicht laut ausschreien durfte, das versteht sich von selbst.

Und diese Bauern! Ihr Zuströmen wollte kein Ende nehmen. Ein Schwarm nach dem andern marschierte herein. Das Gedränge wurde immer ärger, der Raum immer beengter . . . Links vom Schlosse begrenzte ihn das Gitter zwischen Garten und Straße, rechts eine steile Böschung. Wie auf Verabredung hatten sich die Leute um drei Männer, die alle anderen hoch überragten, in Treffen geschart. In der Mitte des Planes um den Urlauber Sabata, der in Lemberg, in der zweiten Kompanie des Grenadierbataillons, als Flügelmann stand. Nächst der Böschung um den Geschworenen Iwan, den stärksten Branntweintrinker im Orte, einen harmlosen Riesen, wenn er sein Räuschlein hatte, einen zornwütigen Krakeeler, wenn er nüchtern war. An der Seite des Gitters um Wisniak, den trockenen Spaßmacher, der nie lachte und den eine Prügelstrafe noch nie zum Jammern gebracht, einen sechs Schuh langen Kumpan mit einer hohen Schulter und mit einem Gesicht, wie aus gebräuntem Eichenholz geschnitten.

Die Edelleute, es mochten ihrer dreißig bis vierzig sein, standen in der Halle, ließen sich durch die Dienerschaft Likör servieren und tranken auf das Wohl des wiedererwachten Polens. Jaslo und die Gräflein aber schritten ganz militärisch die Front der Bauern ab, und diese schmunzelten so freundlich hinter ihnen her, daß Sikorski schon dachte: Der Himmel sei gepriesen, sie lachen! Die ganze Geschichte läuft bei uns auf einen Scherz hinaus und endet mit einer tüchtigen Beschämung des Herrn Mandatars.

Nun stand dieser still und hielt den Leuten eine Ansprache. Er begrüßte sie als die Bürger eines neuen Reiches, in dem es keine Robot, kein Salz- und Tabaksmonopol geben werde, und forderte sie auf, unter der Führung der jungen Grafen nach Tarnow zu ziehen, um dort die österreichische Obrigkeit abzutun und eine polnische einzusetzen. Seine Rede, welche die Schlachtschitzen zu dem stets erneuten Rufe: »Vivat Polonia!« begeisterte, war mit vielen schönen Worten von Freiheit und Vaterlandsliebe verziert, und er trug sie mit Feuer vor. Aber sie zündete doch nur bei denen, die ohnehin schon brannten; auf die Bauern machte sie keinen andern Eindruck als den der Überraschung. Und auch dieser geringe Erfolg wurde zunichte und verwandelte sich in höhnische Heiterkeit, als Wisniak, über die Köpfe seiner Umgebung weg, dem Mandatar die flache Hand hinstreckte und ihn ernsthaft bat, ihm auf die eben eröffneten schönen und sicheren Aussichten – zwei Gulden zu leihen.

Zornig brauste Jaslo auf; doch der Priester legte ihm beschwichtigend die Hand auf den bereits zum Schlag ausholenden Arm und begann seine Gemeinde selbst anzureden.

Der sanfte und gütige Herr bebte vor Aufregung; seine sonst so fahlen Wangen färbten sich, ein Widerschein längst erloschener Jugend schimmerte auf ihnen, aus den rötlich umränderten Augen leuchtete schwärmerische Begeisterung. Er rief sein Volk in den Streit für die heilige Sache; er verhieß ihren siegreichen Vorkämpfern den Besitz eines irdischen und ihren Märtyrern den eines himmlischen Paradieses. Die übermächtige Empfindung raubte ihm zuletzt die Stimme; er konnte nur segnend die Hände erheben, indes die Bauern sich bekreuzten, die Edelleute einander in die Arme fielen, dann die Säbel zogen und schwangen und dem Grafen Joseph zuriefen, Befehl zum Aufbruch zu geben. Der junge Herr tat es, ließ sich eine Fahne reichen, die einer der Schloßdiener bereit gehalten hatte, und entfaltete sie . . . Der Kastellan meinte, der Schlag müsse ihn treffen – es war die weißrote Fahne, die Joseph emporhob und der seine Brüder zujauchzten.

Ein schrecklicher und zugleich rührender Anblick, diese drei irregeleiteten Kinder! Guter Gott, wer hätte die Macht ihrer lieblichen Schönheit nicht empfunden, wer nicht Erbarmen mit ihrer unschuldigen Schuld? . . .

Die dort! durchschauerte es den alten Diener mit tödlichem Schreck, die gewiß nicht, die jetzt noch dastehen wie eine Herde ängstlicher Schafe und sich jeden Augenblick in ein Rudel Wölfe verwandeln können . . . Beginnt es nicht schon unter ihnen zu gären? Was stecken sie die Köpfe zusammen und gestikulieren und scheinen einer den andern in einem gefaßten Entschluß befestigen zu wollen? Der Kastellan vernimmt deutlich in ihren halblauten Reden den Namen Szela.

»Vorwärts!« ruft nun Jaslo, der sich nicht mehr kennt vor Unwillen und Zorn, und die aus seinem Anhang rufen drein: »Wenn euch die jungen Herren führen, habt ihr zu folgen!«

»Indessen ihr hier zögert und euch besinnt, ziehen die anderen Bauern mit ihren Herren nach den Kreisstädten und lassen sich's dort wohlergehen.«

»Unser Herr ist nicht da«, versetzte Iwan und blickte mit einer offenbar gespielten Stumpfsinnigkeit um sich.

Der Priester seufzte und wollte wieder das Wort ergreifen, doch wurde es ihm durch einen Schreiber abgeschnitten, der schon die ganze Zeit hindurch seine Beredsamkeit auf eigene Faust an den Bauern geübt hatte. Er trug einen schäbigen Pelz, die Konfederatka baumelte unsicher auf seinem spitzen Kopfe, und ein alter Hirschfänger hing an fettigem Riemen an seiner Seite. »Euer Herr ist gar kein Herr mehr!« kreischte er in gebrochenem Polnisch. »Euer Herr ist kaiserlich – es gibt nur noch polnische Herren!«

»Sehen sie alle so aus wie du, die neuen Herren?« entgegnete Wisniak laut und langsam und setzte den Hut auf, den er bisher in der Hand gehalten hatte.

Ach – der Beifall, den diese Äußerung und Gebärde weckte, klang nicht harmlos mehr! In der trägen Masse des Volkes war ein unheimliches Leben und Regen erwacht. Haß, Hohn, eine finstere Entschlossenheit zum Widerstand kündete sich plötzlich und allgemein an in der Haltung der armen Froner.

Aber daß ihnen durch die Bauern Gefahr kommen könne, fiel den Edelleuten nicht ein. Sie drohten, sie schrien, sie schickten sich an, die vier- und fünffache Überzahl der Landleute zum Gehorsam zu zwingen. Mit der flachen Klinge schlugen sie drein, einige feuerten ihre Pistolen in die Luft.

»Nehmt euch in acht!« rief Iwan ihnen zu, und im selben Augenblick rann ihm das Blut über die Wangen. Ein Schlachtschitz hatte ihm sein eben leer getrunkenes Glas an die Stirn geworfen.

Der Iwan mußte heute nüchtern sein, denn dieser Scherz, der ihn im angeheiterten Zustand höchstens, wie man zu sagen pflegt, »einen Lacher gekostet« hätte, versetzte ihn in Wut. Mit Geheul brach er aus seiner Schar wie ein Raubtier aus dem Dickicht und schwang den Dreschflegel . . . Der geistliche Herr trat ihm entgegen mit erhobenem Kruzifix, parierte den Schlag und – sank lautlos zu Boden, das erste Opfer des wilden Kampfes, der jetzt entbrannte.

Durch das Getümmel drängte sich der Kastellan zu Joseph heran: »Du bist betrogen! Überall unterliegen die Polen, nicht die Kaiserlichen . . . Rette dich, rette deine Brüder. Die anderen überlaß ihrem verdienten Schicksal . . .« Er hatte ihn am Kleide gefaßt: »Komm! Hinein ins Schloß!«

Joseph entriß sich ihm. »Die Polen unterliegen?« stammelte er tonlos und schrie dann laut auf: »Den Polen zu Hilfe! Jaslo! Jaslo!«

Der Mandatar hörte ihn nicht, er befand sich im Handgemenge mit dem rechten Flügel der Bauern; von seinen Getreuen, die ihm Beistand leisteten, wälzte sich schon einer – der Schreiber –, von einem Sensenhieb getroffen, im Schnee. Joseph wollte auf seinen Freund zustürzen, die beiden Kleinen folgten ihm auf den Fersen wie ein paar Hündlein . . . Als sie an Sabata vorüberkamen, stellte dieser sich ihnen in den Weg. Mit einem raschen Griffe entriß er dem jungen Grafen die Fahne: »Fort mit dem Fetzen! Ich bin kaiserlicher Soldat und will den Fetzen nicht sehen!«

»Wir sind auch kaiserlich!« tönte es ihm zurück, und ein lauter Jubel erscholl, als Sabata die Fahne mit Füßen trat, ihre Stange brach und die Stücke derselben in die Schloßfenster schleuderte . . .

Wütend zog Joseph den Säbel und stürmte auf die Bauern ein und – Sikorski hätte lachen müssen, wenn das Weinen ihn nicht erstickt hätte – die beiden Brüder ihm nach. Die Bauern wehrten ab mit den Stielen der Sensen, wichen etwas zurück . . . Es bildete sich eine Bucht in der gestauten Menschenmasse. Plötzlich schloß sie sich hinter den jungen Herren, und sie waren den Augen Sikorskis entschwunden. »Ihr Leute! Ihr Leute!« rief er, »um Gottes willen . . . Was tut ihr . . . Auseinander! Platz, ihr Leute, ihr Hunde!«

Er und einige Schloßdiener, die der ganzen Begebenheit bisher stumm und neugierig zugesehen hatten, warfen sich den Bauern entgegen. Sie prallten an wie an eine Mauer. Sie schrien: »Gebt uns die jungen Herren heraus!« schrien, was sie konnten, und hörten ihre eigenen Stimmen nicht in dem herrschenden Tumult. Die Panowies schossen, die Bauern gebrauchten ihre Sensen und Dreschflegel mit furchtbarem Erfolg. Das alles sah Sikorski noch . . . auf einmal wurde ihm grau vor den Augen, und ihm war, als sei ein schwerer Stein auf seinen Kopf gefallen . . . Er wankte, sank aber nicht, ein starker Arm empfing ihn, hielt ihn, und als er sich mit Gewalt zusammennahm und emporblickte, sah er in das Angesicht desjenigen, dessen Gegenwart er ebenso heiß ersehnt wie tödlich gefürchtet hatte – in das seines Herrn. Ein wahres Totenangesicht, und ein grausiges Wunder schien's, daß diese Lippen sich öffneten und sprachen: »Die Kinder . . .«

Er deutete mit ausgestreckter Hand auf die Wirbel, die da und dort im Gedränge entstanden, wie sie sich im Wasser an den Stellen bilden, an welchen ein schwerer Gegenstand untertaucht. Nie hat ein Mensch einen qualvolleren Kampf gekämpft als damals dieser Mann, dieser Vater.

Im Begriff vorzudringen, besann er sich, die zu reizen, die seine Kinder in ihrer Gewalt hatten . . . Und so erhob er eine unvergeßlich schreckliche, keuchende, gepreßte Stimme, deren flehendem Ausdruck die wutsprühenden Augen, die krampfhaft geschlossenen Fäuste, die Haltung des wie zum Sprung vorgebeugten Oberkörpers widersprachen: »Lieber Sabata! Mein alter Blonski! und du, Safka – ich bitte euch, gebt mir meine Kinder heraus . . . Ich werde euch ewig dankbar sein.«

Die Angerufenen blickten einander stumm an und rührten sich nicht. Erst nach einer tödlichen Pause begann einer von ihnen: »Deine Kinder sind Polen, wir sind keine Polen. Deine Kinder haben uns zum Hochverrat verleiten wollen, wir aber . . .«

Die Fortsetzung seiner Rede wurde durch ein ohrenzerreißendes Geschrei übertäubt. Der Kampf zwischen Jaslo und dessen Anhängern nahte seiner Entscheidung zugunsten der Sensenmänner, und der Anblick ihrer überwundenen, blutenden Gegner wirkte berauschend auf die Sieger: »Die Prophezeiung! Die Prophezeiung! Das Blut, das in Strömen fließen muß, ist das Blut der Herren! . . . Hurra! schlagt die Herren tot!« brüllten sie mit kannibalischem Entzücken und gebrauchten ihre mörderische Waffe. Sikorski sah den Grafen die unbewehrten Hände gegen den Himmel erheben und dann vorstürzen in den sichern Tod . . .

Möge ein Mensch versuchen zu schildern, wie dem Kastellan zumute war, als jetzt der Ruf: »Szela kommt! Szela kommt!« wild jauchzend in die Lüfte stieg. Auf der Straße vor dem offenen Gittertor hielt ein Zug von Bauernschlitten, beladen mit einer gräßlichen Fracht. Landleute aus der Nachbarschaft führten die Leichen der von ihnen ermordeten Gutsherren auf das Kreisamt nach Tarnow . . . Und dieser haarsträubende Anblick erweckte in der Menge ein Triumphgefühl, das den höchsten Grad erreichte, als Szela raschen Schrittes den Garten betrat. Finster schaute er drein, wies alle, die ihm huldigend nahen wollten, rauh hinweg und fragte: »Was tut ihr?«

»Was du getan hast, Väterchen! Wir erschlagen die Panowies, die gegen den Kaiser sind.«

Er richtete seine gebeugte Gestalt empor und griff sich nach dem Kopf: »Ist euer Graf gegen den Kaiser?«

»Er nicht, nein, er nicht . . .«

»Nun denn, ihr Dummköpfe! Ihr Gottverlassenen! . . . Wie oft habe ich euch schon gesagt: von keinem haben wir etwas Gutes zu erwarten außer vom Kaiser und den Beamten und Herren, die ihm treu sind . . .«

»Wir wissen es, Väterchen, wir wissen es.«

»Weh euch, wenn ihr es wißt und nicht danach handelt . . .«

Bestürzt schwiegen die Bauern, scharrten mit den Füßen, neigten sich demütig. Nur der Urlauber Sabata faßte Herz genug, um – den Hut ehrerbietig in der Hand – zu sprechen: »Der Graf ist ein strenger Herr.«

»Hol dich der Teufel – streng! . . . Wenn noch so streng . . .« Er unterbrach sich, machte eine kurze Pause und fuhr fort: »Wenn er dich zweimal schlägt, so denk: Ein polnischer Herr hätte mich viermal geschlagen.«

»So denken wir ohnehin, Väterchen.«

»Um so besser! Dabei bleibt und krümmt mir kein Haar auf dem Haupt eures Herrn! Heilig – versteht ihr mich? –, heilig soll jeder Österreichischgesinnte euch sein!«

»Er ist es ja«, meinte Sabata in einiger Verlegenheit. »Aber seine Beamten, Väterchen, seine Kinder . . .«

»Wo sind die Kinder?« fuhr Szela ihn an und wiederholte heftig, als die Antwort auf sich warten ließ: »Wo sind die Kinder eures Herrn?«

– »Ja, wo sind sie? . . . Wer hat sie zuletzt gesehen? – Der Iwan? – Nein, der Wisniak, der balgte sich mit ihnen. Dort, rechts, wo der Bauernrichter steht . . .« Der Bauernrichter will sie nicht gesehen haben. »Sie werden in den Schwarm geraten sein, der mit den Panowies kämpfte«, sagte er. »Und wenn ihnen etwas geschehen ist, Väterchen, je nun – sind Lechi, Väterchen, und verdienen Strafe.«

»Nicht durch euch! Ihr Vater wird sie strafen, dem kommt es zu, nicht euch!« rief Szela in schmerzlichem Zorn. Alle verstummten, und durch die lautlose Stille drang nun ein zitternder Hilferuf, ein Schluchzen und Weinen an sein Ohr. Er lauschte, erhob gebieterisch die Hand – die Menge teilte sich und gab Raum . . .

Im Augenblick, in dem Szela an der Spitze der fremden Bauern erschienen war, hatte der Graf Abrechnung gehalten mit seinem Gott und ein stummes Gebet gesprochen: Mach's gnädig, Allbarmherziger! Mach's den Kindern gnädig. Was es jetzt zu erdulden gibt, lasse mich es allein erdulden . . . Schenk den Kindern ein sanftes Ende . . .

Ein sanftes Ende unter den Händen wilder Bestien, empörungstoller Sklaven? Welch ein Gebet! Muß man nicht selbst toll sein, um auf seine Erhörung zu hoffen? Verzweifelnd hatte sich der Unglückliche der berauschten und blutdürstigen Horde entgegengeworfen und dem ersten, auf den er traf, die Sense entrissen, nicht um sein Leben teuer zu verkaufen, sondern um im Sterben noch seinen Kindern ein furchtbares Totenopfer zu bringen. Er meinte, der Boden unter seinen Füßen schwände, meinte das Bewußtsein der Wirklichkeit zu verlieren, als das Gedränge, in dem er sich eben erst befunden hatte, nachließ, die Leute auseinanderstoben und er allein stand, zu seinen Füßen die Leichen Jaslos und des Priesters und, in Schmerzen ringend, die Verwundeten beider Parteien. Auf dem breiten Wege aber, der sich im Gewühl gebildet hatte, kam Szela langsam herangeschritten. An jeder Hand führte er einen der Knaben. Der ältere hinkte kläglich, schmiegte sich an seinen Erretter und preßte das Gesicht in die Falten von dessen Gewand. Der jüngere blickte trotzig drein; er war sehr bemüht, seinen zerrissenen Mantel festzuhalten, um zu verbergen, daß ihm die Czemerka in Fetzen von der nackten Schulter hing. Joseph folgte entwaffnet, den Kopf tief auf die Brust gesenkt.

Zweifelnd, ungläubig, allmählich auflebend, wie verzückt starrte der Graf den Nahenden entgegen. Er wollte auf sie zueilen, aber seine Knie brachen, und nur mit bebender Stimme vermochte er auszurufen: »Du bringst sie mir? . . . Du, Szela!«

Er riß seine Kinder an sich, er bedeckte sie mit Küssen, er streckte versöhnend und vergebend seine Hand nach Joseph aus. Sein Erstgeborener jedoch hatte sich auf die Erde geworfen neben den toten Freund und war in seinem maßlosen Schmerz taub und blind für alles, was um ihn vorging.

Als der Graf, sich fassend, die Augen erhob und die Karawane erblickte, die vor seinem Hause haltgemacht hatte, schauderte er und sprach, unfähig, seinen Abscheu zu bemeistern: »Szela! Entsetzlicher! . . . Dein Werk?«

»Ich habe es nicht getan«, lautete die Antwort.

Fester drückte der Graf die Köpfe seiner Kinder an seine Brust, um ihnen den schreckensvollen Anblick zu entziehen, von dem er selbst die Augen nicht zu verwenden vermochte, und murmelte leise: »Aber auch nicht verhindert!«

Szela zog die Achseln in die Höhe; eine harte und unerschütterliche Ruhe lag auf seinem gefurchten Antlitz: »Ich habe auch die Kinder meines Herren gerettet«, sagte er, wandte sich ab und ging von einer Gruppe der Bauern zur andern. Eindringlich und kurz erteilte er ihnen seine Befehle. Dicht hinter ihm, wie sein Schatten ihn geleitend, schritt ein düsterer Gesell, bösartigen Aussehens, der einzige, der sich unterfing, gegen eine Anordnung des Alten hie und da Einwand zu erheben. Es war dessen Sohn, Stanislaus Szela, der ausgediente Soldat.

Sein Vater drohte ihm mit dem Stocke und verwies ihn in die Nachhut des Zuges, der sich jetzt wieder in Marsch setzte und den man noch lange sehen konnte, sich weiterbewegend zwischen den Pappeln der Kaiserstraße. –

Tagsüber gab es im Schlosse Arbeit genug mit dem Aufbahren der Toten und der Pflege der Verwundeten. Die Bauern kampierten auf der Wiese und im Hofe. Am Abend ließ der Graf ihnen sagen, sie möchten nach Hause gehen. Aber sie antworteten, das dürften sie nicht; es sei Revolution, und Szela habe ihnen geboten dazubleiben, um das Schloß und den Herrn vor den herumstreichenden Insurgenten und Räuberbanden zu beschützen.

Sein Befehl wurde pünktlich ausgeführt. Die Bauern haben durch volle drei Wochen – ganz so wie die des benachbarten alten Grafen Wiesioloski – einen ruhigen und treuen Wachtpostendienst geleistet, während sich ringsum Greuelszenen ohnegleichen abspielten. Erst nachdem die Ordnung im Lande völlig hergestellt war, begaben sie sich wieder zurück in ihre Hütten und an ihre Arbeit.

Der Graf war von dem Benehmen seiner Untertanen gewaltig gerührt und machte ihnen viele großmütige Versprechungen, die ihm sein von Dankbarkeit überquellendes Herz eingab. In besseren Tagen wurden auch einige davon erfüllt. –

2

Die zweite Begegnung mit Szela, deren sich Sikorski bis an sein Ende lebhaft erinnerte, fand fünf Monate später statt.

Seit dem Beginn des März herrschte Ruhe im Tarnower Kreise. Einige Züge Kavallerie als Streifkommandos hatten die Ordnung ohne Anwendung von Gewalt hergestellt. Die Bauern, die unter den Befehlen Szelas gestanden, waren die ersten, welche die Waffen niederlegten und sich, auf die Aufforderung des Kreisamts hin, zur Leistung der Robot wieder bereit finden ließen. In der Nachbarschaft hatte es immer geheißen, daß er ganz gute Mannszucht gehalten, eine Insurgentenschar im offenen Kampfe angegriffen und geschlagen, Plünderungen verhütet oder, wo ihm dies nicht möglich gewesen war, doch jederzeit die Auslieferung der geraubten, oft sehr wertvollen Güter an das Kreisamt erzwungen habe. So mancher gefangene Aufrührer verdankte ihm die Erhaltung seines Lebens. Er schützte ihn vor der Wut der Bauern, indem er ihn den Eid künftiger Treue gegen den Kaiser leisten ließ und ihn dann in seine Schar aufnahm.

So gab es denn großes Erstaunen, als bald nach dem Erlöschen der letzten Flammen der Empörung Gerüchte der schlimmsten Art über Szela auftauchten. Sie bezeichneten ihn als einen Mörderhäuptling, der sengend und brennend, raubend und plündernd von Edelhof zu Edelhof gezogen war. Sie schilderten bis ins kleinste die bestialische Grausamkeit, mit welcher er dabei verfuhr, und behaupteten endlich, er habe seine langgenährten Rachegelüste gegen die Edelleute um so ungehemmter befriedigen können, als er im geheimen Einverständnis mit der Regierung gehandelt und sogar – in ihrem Solde gestanden.

Der empörende und peinliche Eindruck, den diese Verleumdung hervorrief, war so groß, der Haß und die Feindseligkeit, die sie erweckte, äußerten sich so unumwunden, daß endlich zu ihrer Widerlegung geschritten und die strengste Untersuchung angeordnet werden mußte. Szela blieb auf freiem Fuße in Tarnow, verantwortete sich in seiner gewohnten schlagfertigen Weise und benützte die freie Zeit zwischen den Verhören, um einen Brief an den Kaiser aufzusetzen, in welchem er um Verminderung der Untertanenlasten bat.

Inzwischen hatte der Kreishauptmann Ritter von Breinl die von ihm angesuchte Versetzung nach Brünn erlangt, und unter seinem Nachfolger im Amte, Czecz von Przemysl, kam der Prozeß Szelas zum Abschluß. Das Ergebnis lautete, daß Szela zum Kriminalverfahren nicht qualifiziert, seine Entfernung aus dem Lande jedoch dringend zu befürworten sei. Worauf Jakob Szela, der Grundwirt und ehemalige Gemeindedeputierte, den Befehl bekam, nach der Bukowina auszuwandern, wo er auf der Kameralherrschaft Glitt ein Bauerngut als Eigentum und Wohnort angewiesen erhielt.

Am Tage, an welchem Szela seine Reise antreten sollte, dachte der Kastellan Sikorski: Wäre doch neugierig, ihn noch einmal zu sehen – wenn auch nur von weitem, denn davon, sich bis zu ihm durchzudrängen, wird keine Rede sein. Hilf Gott, was werden die Leute treiben beim Abschied von ihrem Väterchen Szela. Von Glück kann man sagen, wenn es nicht zu Exzessen kommt. Der Kastellan malte sich die Sache in seinem Kopfe aus, und immer gefährlicher erschien sie ihm, je länger er darüber nachdachte und je kürzer der Weg wurde, den er nach dem Ziel seiner Wanderung noch zurückzulegen hatte.

Zu seiner Überraschung fand er im Dorfe alles still. Es sah dort aus wie an jedem Werktagsmorgen. Männer und Weiber waren zur Feldarbeit ausgezogen. Nur in der Wirtshausstube, in welche Sikorski beim Vorübergehen hineinblickte, lungerten einige Tagediebe. Der Jude führte seinen Klepper aus dem Stall, um ihn an die Budka zu spannen.

»Wen führst du?« fragte Sikorski.

»Ich niemanden. Der Bub führt den Szela nach Sanok.«

»So, so, und bald?«

»Sehr bald.« Sikorski beeilte seine Schritte und hatte in kurzer Zeit die Hütte Szelas erreicht. Sie war reinlicher und größer als alle übrigen; neben der Tür befand sich ein Bänklein, und der Raum davor mußte heute noch sorgfältig gekehrt worden sein. Dort stand Szela, mit herabhängenden Armen und gekreuzten Händen, und sah unverwandten Auges sein Haus an. »Oho, Pan Sikorski!« begrüßte er den Nahenden; »das ist ja schön, daß du mich noch heimsuchst.«

»Ich habe dir Lebewohl sagen wollen, Szela.«

»Dank dafür, Pan Kastellan. Leb auch du recht wohl.«

»Führe mich ein wenig in dein Haus«, sagte Sikorski, ohne von dieser Verabschiedung Notiz zu nehmen.

»Das Haus ist leer, meine Habseligkeiten habe ich durch den Sohn schon alle nach Glitt geschickt.«

»So will ich auf diesem Bänklein ausruhen, wenn du nichts dagegen hast; der Weg ist weit, und meine Füße sind alt.«

»Mach dir's bequem. Wohl dir, wenn du ruhen kannst.«

Er konnte nicht ruhen, so erschöpft er schien. Mit offenbarer Mühsal schleppte er die schweren Wasserstiefel an seinen mageren Beinen, wandelte aber dennoch unstet herum.

»Es tut mir leid, daß ich nichts habe, womit ich dir aufwarten könnte«, begann Szela nach einer Weile. »Außer« – er zog ein Stück Brot aus seiner Tasche – »wenn du meine Wegzehrung mit mir teilen willst.«

Sikorski lehnte ab; er beabsichtigte, sich bei der Heimkehr im Wirtshaus zu stärken. Der Appetit, den er bereits zu verspüren begonnen, war vergangen. Alles, was er von dem alten Manne, der sich jetzt zum ewigen Abschied von der Heimat rüstete, gehört hatte, flog ihm durch den Sinn. Er würde gern zehn bare Gulden gegeben haben, um zu erfahren, was denn Wahres daran sei. Hatte Szela nur den kleinsten Teil des Unheils verübt, das man ihm zuschrieb, so sollte einen füglich kein Mitleid mit ihm beschleichen. Und doch – was war das Mitleid, das Sikorski vor einigen Monaten mit ihm gehabt hatte, als er schwer gezüchtigt aus den Händen des Grafen gekommen war, im Vergleich zu demjenigen, das der gebrochene Greis ihm in diesem Augenblick einflößte!

»Szela«, fragte er, »was denkst du? Was ist denn so Merkwürdiges an deiner Haustür, daß du sie immerfort ansiehst?«

Der Alte hatte den Hut vom Kopfe genommen und strich seine langen Haare in den Nacken zurück. »Je nun, die Mühe dauert mich, die ich im vorigen Frühjahr an sie gewendet habe. Siehst du nicht, wie schön breit sie ist? Das habe ich so eingerichtet, damit die Leute mit dem Sarg nicht anzustoßen brauchen, wenn sie mich einmal hinaustragen.«

Er überließ sich wieder der aufmerksamen Betrachtung seines Hauses: »Einen Schornstein hat es auch«, hub er dann von neuem an. »Es hat ihnen im Dorf viel Verdruß gemacht, daß ich mir einen Schornstein gebaut habe. ›Der wird so lange bauen, bis er unter der Erde liegt‹, haben sie mir mit Kreide auf die Tür geschrieben. Und der Geschworene Budnik hat gesagt: ›Bau du dir einen Schornstein, aber bilde dir nur nicht ein, daß wir es dir nachtun werden. Wir wollen unsere Häuser so lassen, wie sie sind.‹ Ja, freilich!« Er verzog den Mund zu einem schmerzlichen Lächeln und deutete auf die elenden Hütten längs der Dorfstraße: »Das muß alles so bleiben, wie es ist. Je nun! was werd ich mich drum kümmern, dort unten in der Bukowina . . . Es soll dort viel schöner sein als bei uns.« Sein Gesicht verdüsterte sich, und er fügte halblaut und mit einem tiefen Seufzer hinzu: »Trotzdem wäre ich lieber hiergeblieben. Aber – was ist zu tun? Der Kaiser will's! – Gehab dich wohl, Pan Sikorski, da kommt schon meine Gelegenheit.«

In der Tat fuhr die Budka bereits heran, von einem munter nebenher schreitenden Jüngelchen kutschiert. Zu gleicher Zeit ließ der Trab eines Pferdes sich vernehmen, das kleine Gefährt wurde von einem Reiter eingeholt, überholt. Es war der Graf, der sich von seinem Tiere schwang, dem herbeieilenden Sikorski die Zügel reichte und auf Szela zuschritt. »Szela!« sprach er bewegten Tones, »du hast meinen Kindern das Leben gerettet, und ich habe dir noch nicht einmal gedankt.«

Er streckte ihm die Hand entgegen, die der Alte küßte . . .

Der Alte und – nicht mehr der Alte. Er, den seine Standhaftigkeit in Gegenwart des Grafen nie verlassen hatte, nicht unter dessen Stocke, nicht bei dessen Aufjauchzen, als er ihm die totgeglaubten Kinder wiederbrachte – ihn versetzten die einfachen Worte, die der Graf jetzt zu ihm sprach, ganz außer sich. Seine Lippen zitterten, seine Augen schwammen in Tränen, er beugte sich, als ob er in die Knie sinken wollte.

»Was fällt dir ein? Was tust du?« rief der Graf, sprang auf ihn zu und faßte ihn an beiden Schultern.

»Herr! Herr!« stammelte Szela und sah ihm mit leidenschaftlicher Ergebenheit ins Angesicht, »ich habe nicht geglaubt, daß mir vor meinem Ende noch ein Mensch sagen wird: Dank dir, Szela! und jetzt kommst du und sagst es.«

Ergriffen von dem Ausbruch einer Weichherzigkeit, die niemand dem Bauernhäuptling zugetraut hätte, entgegnete der Graf: »Es hat auch keiner soviel Grund, dir zu danken, wie ich.«

»Doch, gnädiger Herr! – Dir habe ich drei Kinder gerettet; es gibt einen Herrn, dem ich mehr als dreitausend gerettet habe, und der hat mich dafür vor Gericht stellen lassen und schickt mich jetzt in die Fremde.«

»Weil er nicht anders kann. Die Ermordung deiner Gutsherren fordert eine Sühne.«

»Du weißt, daß ich sie nicht ermordet habe.«

»Aber die Bauern haben es getan, die unter deinen Befehlen standen.«

»Geruhe zu erwägen, daß ich kein General bin und daß die Bauern keine abgerichteten Soldaten sind.«

Der Graf faßte ihn scharf ins Auge: »Sag aufrichtig, Szela, wenn du deine Gutsherren wieder lebendig machen könntest, würdest du es tun?«

»Nein, Herr, um des Kaisers willen nicht.«

»Und um deinetwillen noch weniger?«

Szela besann sich ziemlich lange, bevor er berichtigend versetzte: »Um meinetwillen ebensowenig.«

»Siehst du!«

»Was soll ich sehen, gnädigster Graf? Die Herren haben uns Böses getan, solange wir denken. Der Kaiser hat uns nur Gutes getan. Als die Herren gegen den Kaiser gegangen sind und die Bauern zwingen wollten, mit ihnen zu gehen, sind die Bauern rebellisch geworden, und es ist viel Unglück geschehen.«

»Es geht die Sage, du hättest so manches davon verhüten können und hast es nicht verhütet.«

Abermals erwiderte Szela erst nach reiflicher Überlegung: »Kann sein, kann auch nicht sein. Dergleichen ist nachträglich schwer zu bestimmen. Die Bauern haben gewußt, daß alles auf sie ankommt; sie haben ja gehört, was der Herr Kreishauptmann mir hat sagen lassen, als ich den Matthias Drewniak zu ihm geschickt habe um Militärassistenz: ›Unmöglich, Szela, bevor sie mir in Tarnow die Garnison verstärken. Hilf dir selbst, halte Ordnung und sieh zu, daß keine Gewalttätigkeiten verübt werden.‹ Das war viel auf einmal verlangt.«

»Ist auch nicht geleistet worden.«

»Wie hat es denn geleistet werden sollen, von solchen Leuten, die auf einmal merken: Jetzt sind wir die Herren? Gnädiger Graf, ich habe froh sein müssen, wenn sie mir die Edelleute geschont haben, die dem Kaiser treu waren.«

»Auch das ist nicht durchwegs geschehen.«

»Überall habe ich die Augen nicht haben können. Ich habe oft meinen Sohn schicken müssen, und der hat anders gehaust . . .« Er brach ab und schloß mit gelassener Zuversicht: »Der gerechte Gott wird es ihm aufs Kerbholz schreiben; die Menschen schreiben es auf das meine.«

»Natürlich. So viele Hunderte gehorchten deinem Augenwink, wer wird dir glauben, daß du es nicht verstanden hast, deinen Sohn zu Paaren zu treiben?«

Schmerzlich beistimmend neigte Szela den Kopf. »Das wird niemand glauben. Aber wahr ist es . . . Und am Ende, Herr, mein Sohn hat es wenigstens seinen Gesellen recht gemacht, ich – habe es keinem recht gemacht. Sieh dich um . . . Wie sind sie mir sonst von weitem zugelaufen, wo sie mich erblicken konnten – und heute? . . . Bursche, die man kaum mit zwei Pferden zur Arbeit schleppt, sind freiwillig hinausgegangen, damit sie mir nicht zu sagen brauchen: Glück auf den Weg!« Er hatte, während er sprach, nach dem seiner harrenden Gefährt hingesehen, fast schien's, mit einer gewissen Ungeduld, so daß der Graf fragte, ob er es denn nicht erwarten könne fortzukommen?

Szela entschuldigte sich: »Verzeih. Auf die Fürsprache des Herrn Ritters von Breinl hat der Herr Kreishauptmann zugegeben, daß ich nicht wie ein Arrestant über die Grenze gebracht werde. Er hat mir das Vertrauen geschenkt, daß ich zur rechten Zeit von selbst gehen werde. Verzeih, gnädiger Herr, es ist jetzt die rechte Zeit.«

Der Graf zog eine wohlgefüllte Brieftasche hervor und wollte sie durchaus, mit Zürnen und Bitten, dem Szela aufdringen. Aber der meinte: »Tue dir keinen Schaden. Du weißt mit dem Gelde Besseres anzufangen als ich. Hebe es auf für deine Kinder . . . Aber, gnädiger Herr«, unterbrach er sich mit plötzlicher Lebhaftigkeit, »ich habe gehört, daß du den Grafen Joseph als Gemeinen hast assentieren lassen.«

»Jawohl. Er braucht eine strenge Zucht.«

»Wenn sie nur nützt.«

»Eine strenge Zucht nützt immer.«

»Weiß nicht.« Er tat einen tiefen Seufzer. »Mein Sohn war vierzehn Jahre Soldat.«

Sie traten an die Budka heran, um welche sich allmählich eine kleine Versammlung gebildet hatte: Kinder, die den mageren Klepper streichelten oder neckten, ein paar alte Weiblein, von denen eines eben im Begriff war, einen Laib Brot im Stroh des Wagens zu bergen. Dem Szela traurig zunickend, sprach sie: »Du sollst dich in der Fremde erinnern, wie das Brot der Heimat schmeckt.«

Drei alte Zechbrüder waren auch angerückt und hatten ein Branntweinfäßchen von der Größe einer Melone mitgebracht. Sie weinten bitterlich und wiederholten fortwährend: »Leb wohl, Väterchen! Gott behüte dich! Vergiß uns nicht!« und dabei ging das Fäßchen von einem zum andern, und sie tranken abwechselnd aus dem Spundloch.

Szela war im Begriff, in die Budka zu steigen, als aus einer der nächsten Hütten ein großer und breitschulteriger Mensch in zerlumpten Kleidern hervorkam, auf den Alten zustürzte und ihn am Arme packte. Einige Kerle, die ebenso verkommen aussahen wie er, waren ihm gefolgt, hielten sich aber, aus Angst vor dem Grafen und dem Kastellan, in scheuer Entfernung. Nur der erste kannte keine Scheu, den machte die Wut zum vernunftlosen Tier. Er schüttelte Szelas Arm und schrie: »Bis zum letzten Augenblick habe ich gewartet, um dich zu fragen. – So willst du also wirklich fort, ohne deine Schulden bezahlt zu haben, du Schurke?«

»Was wäre ich dir schuldig, Drewniak?« sprach Szela, sich von ihm losmachend.

»Frage du nur, was du mir schuldig bist«, rief jener und hielt dem Alten die geballte Faust dicht vors Gesicht. »Nachdem du mich herumgejagt hast wie einen Hund in Schnee und Wetter, als Bote und Späher und auf dem Marsch, und mir dafür nichts gegeben . . .«

Seine Gefährten schrien drein: »Und die Branntweinfässer, wohin wir gekommen sind, versiegeln lassen . . .«

»Daß man sich nicht einmal hat warm trinken können –«

»Und uns die ehrliche Kriegsbeute abgenommen . . .«

Anklagen häuften sich auf Anklagen, Szelas Gegner wagten sich näher heran; den Weibern wurde angst, die Betrunkenen heulten.

»Die andern Bauern«, zeterte Drewniak, »haben Geld und Gut erworben in der Revolution. Wir haben nichts gekriegt . . . ich sage dir, Herr«, wandte er sich an den Grafen, »nichts von dem Eigentum der Rebellen. Er hat den herrschaftlichen Wald bewacht, der Alte, als ob er selbst ein Schuft von einem Heger wäre. Keinem armen Teufel hat er auch nur ein Scheit Holz gegönnt. Deshalb, Herr, glauben wir und wissen wir – er hat uns alle zu Narren gehabt. Nimm ihn nicht in Schutz – uns alle zu Narren hat er gehabt und hat es im geheimen mit den Polen gehalten . . .« Er konnte nicht weiter, er keuchte nur – und wollte sich auf Szela stürzen.

Der Graf stieß ihn so heftig zurück, daß er wankte, und befahl gebieterisch Ruhe, die denn auch, freilich nur scheinbar, eintrat. Szela lächelte mit schwermütigem Triumphe, und sein auf den Grafen gerichteter Blick fragte: Was sagst du nun?

»Die Toren! die vermaledeiten Toren!« fuhr dieser auf, und eingeschüchtert stimmte Drewniak einen andern Ton an. Er ließ den Blick mit großer Betrübnis längs seiner Hünengestalt hinabgleiten, streckte einen Fuß von sich, dessen nackte Zehen aus dem geplatzten Stiefel hervorsahen, und sagte: »Die Stiefel waren neu vor der Revolution. Wenn er mir wenigstens die Stiefel ersetzt hätte!«

Seine guten Freunde und die alten Weiblein erhoben ein schadenfrohes Gelächter; Szela jedoch näherte sich dem Grafen und sagte: »Du hast etwas für mich tun wollen, Herr. Sei so gnädig und bezahle ihm die Stiefel, die er in meinem Dienst vertreten hat.«

Nachdem seiner Bitte willfahrt worden war, empfahl er sich beim Grafen, schüttelte Sikorskis Hand und grüßte die Frauen und Kinder.

»Ihr aber hört!« rief er seinen Widersachern zu, und wie er sich fest zusammennahm und in die Brust warf, da war jede Spur von Gebrechlichkeit aus seiner Gestalt verschwunden, ehrwürdig, gebieterisch erschien er jedem, und man sah dem greisen kleinen Bauer wahrlich etwas von einem Feldherrn an. Die rohen Kerle, die sich murrend hatten davonschleichen wollen, blieben stehen und horchten der letzten Ermahnung ihres ehemaligen Führers. »Ihr werdet schon noch drauf kommen, wer es ehrlich mit euch gemeint hat. Seht nur zu, wie den andern ihr unrecht Gut gedeiht, und dankt dann Gott und mir für eure leeren Taschen. Und somit lebt auch ihr wohl, ihr dummen Teufel.«

Szela warf noch einen langen, traurigen Blick nach seinem Hause und stieg in die Budka. Das Leinwanddach derselben war ungewöhnlich niedrig, dennoch konnte er aufrecht darunter sitzen. Einmal im Wagen, erhob er die Augen nicht mehr, es kam auch kein Wort mehr über seine Lippen.

Der Graf geleitete ihn zu Pferde noch ein gutes Stück Weges; aber Szela, ganz versunken in seine Gedanken, blieb unempfindlich für diese Gunst.

Lange Zeit hörte man im Schlosse nichts von ihm, als daß er glücklich in Glitt angelangt war. Erst zwei Jahre später, nach der Aufhebung der Robot, schrieb Szela an den Grafen einen merkwürdigen Brief, den auch der Kastellan Sikorski gelesen hat.

Es hieß unter anderem darin: »Auf mein letztes Schreiben hat mir der Kaiser nicht antworten lassen; aber er hat alles so getan, wie ich es ihm angeraten habe. Gott segne ihn!«

 


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