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1900.

Schutz den Hafenarbeitern

Aus einer Rede in der Bremer Bürgerschaft.
31.1.1900

Wir sind von der Ansicht ausgegangen, daß die Gewerbeordnung, wie so manches unserer sozialen Gesetze, noch mit Lücken und Mängeln behaftet ist, die auszufüllen Aufgabe der Landesgesetzgebung bleibt. Wir haben die Gewerbeinspektion auf Grund der Gewerbeordnung, und keiner, der sich mit Sozialpolitik beschäftigt hat, wird irgendwie die Zweckmäßigkeit dieser Institution bestreiten. Im Gegenteil, die Sozialpolitiker streiten darüber, wie man sie am besten weiter ausbauen und wie man die Fabriken- und Gewerbe-Inspektionen am besten instand setzt, ihre Obliegenheiten, die sie heute nur zum Teil erfüllen, durchgreifend erfüllen zu können. Dabei hat man Lücken gelassen: Gefahrvolle Arbeitsbetriebe, das Baugewerbe und der in Frage kommende Hafenbetrieb, die ihrer ganzen Natur nach für das Leben und die Gesundheit des Arbeiters überaus gefährlich sind, sind der Aufsicht der Gewerbeinspektion entzogen. Man hat also weiter nichts zu tun, als die Lücken auszufüllen und zunächst dem Hafenbetriebe eine Inspektion zu verschaffen. Praktische Gründe sind vorhanden. Da stellt die Deputation fest, daß die Unfallverhütungsvorschriften in keiner Weise kontrolliert werden. Und ich und die Arbeiter können bestätigen, daß diese Vorschriften lediglich auf dem Papier stehen und keineswegs beachtet werden. Die Deputation schlägt die Anstellung eines Hafeninspektors vor, beantragt aber, daß dieses Amt mit einem Nebenamt zu bekleiden ist, weil sie annimmt, daß die Inspektion des Hafens nicht die volle Kraft eines Beamten in Anspruch nehme. Ich gestatte mir, noch einmal auf die Sache selbst einzugehen, um schließlich den Nachweis führen zu können, daß sehr wohl die Hafeninspektion einen Beamten vollauf in Anspruch nimmt. Es kommt zunächst in Betracht, was ich schon zuerst hervorgehoben habe, daß der Hafenbetrieb seiner ganzen Natur nach überaus gefährlich ist, denn er spielt sich auf dem Wasser oder in dessen Nähe ab; die Schiffe werden entladen oder beladen mit Kaufmannsgütern, die zu schweren Lasten verpackt sind. Der Zugang zu den Schiffen ist meist sehr mangelhaft, so daß eine große Zahl von Unfällen darauf zurückzuführen ist. Auch der Zugang zu den Schiffsräumen ist namentlich bei den ausländischen Schiffen so mangelhaft, daß eine ganze Reihe von Unfällen vorkommt. Ferner kommt in Betracht, daß zur Beladung oder Entladung oder zum Transport dieser schweren Lasten die Arbeiter Hebewerkzeuge in Anwendung bringen, die für sie selbst große Gefahren mit sich bringen. Weiterhin ist Klage darüber zu führen, daß die Schiffe nicht genügend beleuchtet sind. Morgens und abends, wenn die Arbeiter auf den Schiffen auf- und zugehen und Beleuchtung verlangen, antworten die Schiffer: »Darüber bestehen keine Vorschriften; wir geben euch kein Licht.« Sodann sollen die Schiffe möglichst schnell abgefertigt werden. Die Arbeit des Löschens und Beladens soll in Eile geschehen. Das führt zur Anwendung von Hebewerkzeugen, die bei der großen Schnelligkeit der Arbeit häufig überlastet werden. Oft reißen dann die Ketten und die Last fällt zu Boden und richtet viel Unglück an, wie erst in letzter Zeit. Dabei werden die Arbeiten im Akkord vergeben, so daß die Arbeiter tagelang umherstehen und nichts zu tun haben und dann wieder Tag und Nacht ihre Kraft übermäßig anstrengen müssen. Hierbei werden oft die Regeln der Vorsicht außer acht gelassen, wodurch einer großen Zahl von Unfällen, die auch in unseren Häfen passieren, Vorschub geleistet wird. Wenn nun im Bericht zugegeben wird, daß es sich im allgemeinen schon um gefahrvolle Arbeiten handelt, wie will man dann noch eine Abgrenzung zwischen gefahrvollen und besonders gefahrvollen Betrieben machen. Die großen Mängel gehen aus den Zahlen der Revisionen hervor, die der Bericht aus Hamburg angibt. Dort sind im Jahre 1898 908 Schiffe revidiert worden. Auf der anderen Seite finden Sie eine Zusammenstellung über den Schiffsverkehr in Hamburg. Es heißt, daß im Jahre 1897 11 173 Seeschiffe eingegangen seien. Von diesen konnte der Hafeninspektor nur 908 nachsehen, das sind kaum 8 % sämtlicher in Hamburg angekommener Schiffe, die der Revision unterworfen werden konnten. Unsere Gewerbeinspektion klagt schon darüber, daß kaum 50 % der gewerblichen Betriebe besucht und revidiert werden könnten, und hier aus dem Berichte geht hervor, daß der Hamburger Hafeninspektor nur 8 % sämtlicher Betriebe revidieren konnte. Daß aber eine allgemeine Revision notwendig ist, geht aus den nachfolgenden Zahlen hervor: Es wird festgestellt, daß von den 908 Schiffen bei 380 Schiffen von seiten der Hafeninspektion eingeschritten und die Abstellung von Mißständen verlangt werden mußte. Also bei 42 % konnte der Hafeninspektor große Unregelmäßigkeiten feststellen, die Veranlassung gaben, einzuschreiten. Dieser Auszug aus dem Bericht muß genügen, um zu überzeugen, daß der Hamburger Hafeninspektor nicht imstande ist, seine Arbeit vollständig zu erfüllen, sondern nur das Allernotwendigste, und daß wir darum einen Notbehelf nicht machen sollten. Man sieht sehr wohl, daß der Schiffsverkehr in Bremen so groß ist, daß sehr wohl ein Beamter seine volle Arbeit bei der Revision finden kann. Nun hat die Deputation sich auch an die Handelskammer, an die Lagerhausgesellschaft sowie an die Hafenbauinspektion für den Freibezirk gewandt, damit diese die Sache begutachten sollten. Aber eigenartigerweise hat man bei dieser Einrichtung, die lediglich im Interesse der Arbeitnehmer liegen und die Gesundheit der Arbeiter und Familienväter schützen soll, es nicht für nötig gehalten, die Organisation der Arbeiter um Auskunft anzugehen. Die Hafenarbeiter-Organisation verfügt weit über 500 Mitglieder; jedenfalls war es viel nötiger, die Arbeiter zu Rate zu ziehen und sich von ihnen ein Gutachten zu holen. Wenn es zur Wahl geht, führen Sie immer das große Wort vom Koalitionsrecht der Arbeiter im Munde, aber wenn es einmal dazu kommt, die Sache praktisch zu verwerten, dann ist Ihre Liebe zum Koalitionsrecht der Arbeiter nicht zu finden. Jede soziale Gesetzgebung verlangt, daß die Wünsche der Arbeiter gehört werden, und daß man diesen Wünschen entgegenkommt. Sie haben bei den Deputationen Umfrage gehalten, selbst in Hamburg, aber Sie sind nicht auf den Gedanken gekommen, daß auch die Arbeiter zu hören seien, und das ist eine Mißachtung der Organisation der Arbeiter. Es ist Pflicht der Gewerbeinspektion, immer mehr Fühlung mit der Organisation der Arbeiter zu nehmen, wodurch sie schließlich etwas Besseres und Ersprießliches leisten kann. Und tatsächlich strebt die Gewerbeinspektion danach, eine Verbindung mit der Organisation der Arbeiter herbeizuführen, um schließlich der Aufgabe gerecht werden zu können. So auch in Bremen, wo der Gewerbeinspektor die Organisation der Arbeiter schon zu Hilfe nehmen mußte. Man sollte diese Abneigung gegen die Arbeiter abstreifen, und bei solchen Fragen wo es nötig ist, Gutachten von ihnen einfordern und sich an die bestehende Organisation wenden. Dann, davon bin ich überzeugt, werden die Gesetze viel vollständiger und wirkungsvoller werden. Aber der Inspektor hat noch andere Funktionen, als lediglich die Schiffe zu revidieren, daß alles in Ordnung ist und Mängel abgestellt werden. Der Hafeninspektor soll bei jedem Unfall, der im Betrieb sich ereignet, zur Stelle sein und nachforschen, ob er durch einen Mangel herbeigeführt ist, und wie es möglich ist, diesen abzustellen und in Zukunft zu vermeiden. Bei einer großen Zahl der Unfälle wird eine Untersuchung notwendig werden. Diese Arbeit erfordert eine große Tätigkeit und Sorgfalt und jedenfalls eine große Erweiterung der Arbeit des Inspektors. Wenn sich ferner Mängel in den Betrieben zeigen, soll er dem Unternehmer sachkundigen Rat geben, wie ihnen abzuhelfen ist. Sie werden zugeben, daß die Arbeiten, die dem Hafeninspektor angewiesen sind, seine Kraft wesentlich in Anspruch nehmen werden. Auch soll er vermitteln zwischen den Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Der Gewerbegerichtsvorsitzende hat in dieser Beziehung viel zu tun und wird bestätigen, daß viele Vermittlungen von Gegensätzen in mancher Beziehung zeigen, daß man nicht einfach dazwischenspringen und sagen kann: Du kriegst das und Du das, damit ist es gut. Sondern man muß auch dieser Arbeit große Bedeutung beimessen. Es erfordert viel Zeit, sich in diese Verhältnisse hineinzuarbeiten, um erfolgreich zu wirken. Nebenbei soll der Hafeninspektor Gutachten an Behörden abgeben. Auch soll er Bureaustunden abhalten, damit Arbeiter Gelegenheit haben, den Inspektor zur bestimmten Zeit auffinden und ihre Beschwerden vortragen zu können. Schließlich hat der Hafeninspektor einen Jahresbericht auszuarbeiten. Unserer Meinung nach ist das Gebiet, was er beim Jahresbericht zu bearbeiten hat, zu erweitern. Die Hafeninspektion soll auch, wie die Deputation zugibt, ähnlich eingerichtet sein wie die Gewerbeinspektion. Nicht zuletzt soll der Hafeninspektor bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermitteln. Dazu gehört, daß er mit den in Betracht kommenden Verhältnissen vertraut ist, namentlich mit der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter. Bei dem Jahresbericht kommt es nicht nur auf einen Bericht über die Tätigkeit an, sondern auch auf einen Aufschluß über Arbeits- und Lohnverhältnisse der im Hafenbetrieb beschäftigten Arbeiter. Es sind das genau dieselben Bestimmungen wie bei der Gewerbeinspektion, und wenn Sie eine vollständige Ordnung der Dinge schaffen wollen, dann müssen Sie den Hafeninspektor auch mit dieser Arbeit betrauen. Dies wird auch deshalb notwendig sein, damit das sozialstatistische Material möglichst vollständig gestaltet wird, was nur durch einen solchen Beamten verbürgt wird.

Sie haben große Ausgaben für Regulierung von Straßen bewilligt, Sie haben Kosten für Kunst aufgewandt, wobei Sie unsere Sympathie gehabt haben, Sie haben große Summen zur Ausführung eines großen Kulturwerkes zur Verfügung gestellt, wobei Sie ebenfalls unsere Sympathie gehabt haben. Ich glaube daher, daß es vielen unbegreiflich sein würde, wenn Sie sich jetzt, da es sich um den Schutz von Leben und Gesundheit von Arbeitern, von Hunderten von Familienvätern handelt, um einige hundert Mark beknappen und deshalb die ganze Sache in Frage stellen wollen.


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