Annette von Droste-Hülshoff
Das Geistliche Jahr
Annette von Droste-Hülshoff

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Am vierten Sonntage nach Pfingsten

»Wahrlich, sage ich Euch, im Himmel wird
mehr Freude sein über einen Sünder, der Buße tut,
als über neunundneunzig Gerechte«

So ist aus deines heil'gen Buches Schein
Gefallen denn ein Strahl in meine Nacht,
In meines Herzens modergrauen Schacht.
Du gabst ihn, Herr, du hast mir selbst gebracht,
Was ewig meiner Hoffnung Edelstein.

Es ist zu viel, zu viel, ich faß es kaum:
Um meine ganz versunkne Seele, weh',
So öd' und aschig wie Gomorrhas See,
Um sie soll Freude sein in deiner Höh'!
Es ist zu viel, weh' mir, es ist ein Traum!

Kann wachsen denn wie des Polypen Arm
Aus Tränen die verlorne Eigenschaft?
Zieht mit der Reue wieder ein die Kraft?
Ist es genug, wenn tot die Leidenschaft
Zerfressen liegt wie von Insektenschwarm?

Ist es genug von deiner Gnad' und Lieb',
Wenn über das Gebäude ausgebrannt
Sich sehnsuchtsvoll und betend streckt die Hand,
Die Hand, so alle Übel ausgesandt,
Die Hand, der, ach, das brand'ge Zeichen blieb?

Und doch hast du ein heilig Wort gesandt,
Uns bindend mit gewalt'ger Gnadenpflicht,
Zu glauben gegen eigenes Gericht,
Was stöhnend aus des Herzens Kammer bricht
Und selber die Verwesung sich erkannt.

Zu glauben, ach, wie süß und ach wie schwer!
Weh', nicht auf meine Sünden darf ich schaun,
Soll nicht in ihrem Schlamme das Vertraun
Ersticken wie ein Wild in Sumpfesgraun,
Wie ein Gevögel ob dem toten Meer.

Was du gesprochen, Herr, wer meistert's kühn?
Bist gnäd'ger du, als Menschensinn ermißt,
So bist du, Herr, der Heiland und der Christ;
Und ich, die nur ein düstrer Schatten ist,
Was darf ich anders tun als glaubend knien?




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