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Es zeigte sich vor mir mit offnen Schwingen
Das schöne Bild, das fröhlich in dem süßen
Genusse die verbundnen Seelen machte.
Jedwede schien wie ein Rubinlein, drinnen
Ein Sonnenstrahl von solchem Feuer glühte,
Daß es zurück ihn warf in meine Augen.
Und, was mir jetzt zu schildern ziemt, nie ward es
Durch Stimme noch verkündet, noch mit Tinte
Geschrieben, noch durch Phantasie begriffen;
Denn reden sah und hört' ich jenen Schnabel,
Und in den Worten »Ich« und »Mein« erklingen,
Weil es den Sinn von »Wir« und »Unser« hatte.
Und er begann: »Weil ich gerecht und fromm war,
Bin ich zu solcher Herrlichkeit erhöht hier,
Die sich durch bloßen Wunsch nicht läßt erringen;
Und auf der Erde ließ ich solch Gedächtnis
Von mir zurück, daß das verkehrte Volk es
Zwar preiset, doch nicht folget der Geschichte.«
So ist von vielen Kohlen eine Glut wohl
Zu fühlen, wie von vieler Herzen Liebe
Ein einz'ger Ton aus diesem Bild hervordrang.
Und ich darauf: ›0 immergrüne Blumen
Der ew'gen Lust, die ihr all eure Düfte
Als einen einzigen mir laßt verspüren,
Löst mir, enthauchend, jenes große Sehnen,
Drob lang ich schon gehungert, da auf Erden
Ich keine Speise fand, um es zu stillen!
Wohl weiß ich, wenn in anderm Reich des Himmels
Die göttliche Gerechtigkeit sich spiegelt,
Daß eures doch sie nicht verschleiert auffaßt.
Ihr wisset, wie aufmerksam zuzuhören
Ich mich bereit'; ihr wisset, welch ein Zweifel
Es ist, drob ich so altes Sehnen hege.‹
Dem Falken gleich, wenn er, der Haub' entkommen,
Das Haupt bewegt und mit den Schwingen Beifall
Sich schlägt, voll Lust sich und in Schönheit zeigend,
Sah ich's das Zeichen machen, das gewoben
Von Lobgesängen war der ew'gen Gnade,
In Weisen, wie sie kennt, wer droben selig.
Drauf fing er an: »Er, der, den Zirkel an der
Weltgrenze dreh'nd, so viel in ihrem Umfang
Verborgenes unterschied und Offenbares,
Ausprägen konnt' er nicht im ganzen Weltall
So seine Kraft, daß nicht sein Wort unendlich
Es übertreffend noch verblieben wäre.
Und des Beweis ist, daß der erste Stolze,
Der der Geschöpfe höchstes, weil auf Licht er
Nicht wollte warten, ungezeitigt hinfiel.
Denn draus erhellt, wie jegliche geringre
Natur ein eng Gefäß nur jenem Gut ist,
Das, endlos selbst, sich mit sich selbst nur misset.
Daher kann unser Schauen, das nur einer
Der Strahlen jenes Intellektes sein muß,
Von welchen insgesamt die Ding' erfüllt sind,
Der eigenen Natur nach also mächtig
Nicht sein, daß sein Prinzip es nicht gewahre
Viel minder glänzend, als es in der Tat ist.
Darum vertiefet innerhalb der ew'gen
Gerechtigkeit die Sehkraft sich, die eure
Welt hat empfangen, wie das Aug' im Meere,
Das, ob's am Strand den Grund erblickte, so doch
Auf hohem Meer nicht, und dennoch ist jener
Vorhanden; doch ihn birgt die eigne Tiefe.
Kein Licht gibt's, kommt es nicht von jener Heit're,
Die nie sich trübt, nein, Finsternis ist's, stammend
Vom Schatten oder von dem Gift des Fleisches.
Zur Gnüg' ist dir die Höhle nun erschlossen,
Drin die lebendige Gerechtigkeit dir
Sich barg, drob du so häuf'ge Fragen einwarfst,
Indem du sprachst: Geboren wird am Indus
Ein Mensch, und niemand ist daselbst, der spreche
Von Christo, noch auch lese, noch auch schreibe;
Und alles, was er will, und all sein Handeln
Ist gut, so weit die menschliche Vernunft sieht,
Von jeder Sünde frei in Wort und Leben.
Er stirbet ungetauft und sonder Glauben;
Wo kann ihn hier Gerechtigkeit verdammen?
Wo nun ist seine Schuld, wenn er nicht glaubet?
Doch, wer bist du, der zu Gericht will sitzen,
Auf tausend Meilen weit Urteil zu fällen
Mit deinem Blick, der eine Spanne reichet?
Wohl würde dem sich, der mit mir gegrübelt,
Wenn über euch die heil'ge Schrift nicht stände,
Zu staunensvollem Zweifel Stoff hier finden.
0 ird'sche Wesen, o stumpfsinn'ge Geister!
Der erste Wille, gut an sich, hat nimmer
Sich von sich selbst, dem höchsten Gut, entfernet.
Das ist gerecht, was mit ihm übereinstimmt;
Und nach sich hin zieht kein erschaffnes Gut ihn,
Nein, er ist's, der, entstrahlend, es hervorruft.«
Gleichwie sich überm Nest im Kreise drehet
Der Storch, nachdem die Jungen er gefüttert,
Und der gefütterte nach jenem hinblickt,
Dem ähnlich ward – und so hob sich das Auge –
Das segensreiche Bild, das, von so tiefem
Ratschluß beweget, seine Schwingen regte.
Umkreisend sang's und sprach: »Wie meine Worte
Für dich sind, der sie nicht versteht, so ist für
Euch Sterbliche der Spruch des ew'gen Richters.«
Drauf wurden still die hellen Fackelbrände
Des heil'gen Geistes wiederum im Zeichen,
Durch das ehrwürdig Rom der Welt geworden.
Und es begann aufs neu': »Zu diesem Reiche
Stieg keiner je, der nicht geglaubt an Christum,
Nicht eh' man ihn ans Holz schlug, noch auch später.
Doch sieh, gar viele rufen: ›Christe! Christe!‹
Die im Gericht viel minder nah einst werden
Ihm stehn als mancher, der nicht kannte Christum;
Und solche Christen wird der Äthiope
Verdammen, wenn sich trennen die zwei Scharen,
Die ein' auf ewig reich, die andre dürftig.
Was können euren Kön'gen nicht die Perser
Einst sagen, wenn geöffnet sie das Buch sehn,
Darin all eure Schmach wird aufgeschrieben?
Alldort wird unter Alberts Taten jene
Man schaun, die bald den Flügel wird bewegen,
So daß Prags Königreich drob wüst gelegt wird.
Hier wird den Trug man sehn, den an dem Strande
Der Seine jener treibt, die Münze fälschend,
Der durch der Borste Stoß den Tod wird finden.
Den Stolz wird man hier sehn, durch dessen Dünste
Der Schott' und Engeländer also rasen,
Daß keiner mag in seinen Schranken bleiben.
Die Üppigkeit wird und das weiche Leben
Des Spaniers man sehn, so wie des Böhmen,
Der Tugend nie gekannt hat, noch geliebet.
Mit einem I bezeichnet wird man sehen
Beim Lahmen von Jerusalem sein Gutes,
Weil dessen Gegensatz ein M bezeichnet.
Den Geiz wird und die Feigheit man dort schauen
Des, der die Feuerinsel schirmt, wo einstens
Anchises schloß die lange Lebensdauer;
Und anzudeuten, wie gering er gelte,
Wird über ihn mit abgekürzten Lettern
In engem Raume viel geschrieben stehen.
Und jedem werden sich die schnöden Werke
Des Ohms und Bruders zeigen, die so hehre
Abstammung und der Kronen zwei geschändet.
Und den von Portugal, den von Norwegen
Wird man erkennen dort und den von Rascien,
Der schlecht Venedigs Stempel zugerichtet.
O glücklich Ungarland, wenn es sich nimmer
Mißhandeln läßt, und glückliches Navarra,
Wenn's mit dem Berg sich waffnet, der's umgürtet!
Und glauben mag ein jeder, daß als Vorschmack
Hiervon Nicosia jetzt und Famagosta
Ob ihrer Bestie schon schrein und jammern,
Die von der andern Seite sich nicht trennet.«