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Schon hatt' ich von den Schatten mich entfernet
Und folgte nach den Spuren meines Führers,
Als hinter uns der eine rief, den Finger
Empor gerichtet: »Sieh, scheint doch dem untern
Zur Linken nicht der Sonnenstrahl zu leuchten,
Nein, er gehabt sich, scheint's, wie ein Lebend'ger!«
Auf solchen Klang wandt' ich zurück mein Auge
Und sah sie vor Verwunderung nach mir nur,
Nach mir und dem getrennten Lichte schauen.
»Warum verstrickt sich also deine Seele,
Daß du im Wandern zögerst?« sprach mein Meister.
»Was geht dich das nur an, was die da flüstern?
Komm nach mir drein und laß die Leute reden,
Steh wie ein fester Turm, der trotz des Sausens
Der Stürme nimmermehr die Spitze schüttelt;
Denn stets entfernt sich jener von dem Ziele,
Dem ein Gedank' emporquillt übern andern,
Weil einer dann den Flug des andern hemmet.«
Was konnt' ich sagen drauf als nur: ›Ich komme!‹
Ich sprach's, leicht überflogen mit der Farbe,
Die der Vergebung macht bisweilen würdig.
Und an dem Abhang während des, ein wenig
Vor uns nur, kamen Leute jetzt vorüber,
Die Vers für Vers das »Miserere« sangen.
Als sie gewahrten, daß ob meines Leibes
Ich nicht die Strahlen durchließ, da verwandelt'
Ihr Lied sich in ein »Oh!« gedehnt und heiser;
Und zwei davon, Botschaftern ähnlich, kamen
Entgegen uns gelaufen, also fragend:
»Gewährt uns Wissenschaft von eurem Zustand!«
Mein Meister drauf: »Ihr könnt von dannen gehen
Und denen, die gesandt euch, es berichten,
Daß des Genossen Körper wahres Fleisch ist.
Stehn still sie, wie mir deucht, weil seinen Schatten
Sie sehn, so gnügt die Antwort: Ehren mögen
Sie ihn, der ihnen teuer noch kann werden.«
Nie sah so schnell entglommen Dunst beim Anbruch
Der Nacht durchschneiden ich den heitern Himmel,
Noch, wenn die Sonne sinkt, Augustgewölke,
Als aufwärts kehrten jen' und, angelangt dort,
Sich gegen uns dann mit den andern wandten,
Wie ein Geschwader rennt verhängten Zügels.
»Gar zahlreich ist das Volk, das auf uns zudringt
Und kommt, um dich zu bitten,« sprach der Dichter,
»Drum geh nur hin, zuhorchend, weil du wandelst.« –
»O Seele, zu dem heitern Dasein wallend
Mit den bei der Geburt erhaltnen Gliedern,«
Schrien sie im Nah'n, »hemm' deine Schritt' ein wenig,
Schau, ob aus uns du einen je gesehn hast,
So daß von ihm du jenseits Nachricht bringest.
Warum, ach, gehst, warum, ach, stehst du still nicht?
Gewaltsam wurden all' einst wir getötet
Und waren Sünder bis zur letzten Stunde,
In der ein himmlisch Licht uns hat gewitzigt,
So daß vergebend und bereu'nd getreten
Wir aus dem Leben sind, mit Gott versöhnet,
Den zu erschaun, uns Sehnsucht jetzt betrübet.«
Und ich: ›Ob auch ins Antlitz ich euch schaue,
Erkenn' ich keinen doch; allein, wenn etwas
Ihr wünscht, das ich vermag, erkorne Geister,
Sprecht, und ich werd' es tun, bei jenem Frieden,
Den, auf der Spur so hohen Führers wandelnd,
Von Welt zu Welt zu suchen, es mich dränget.‹
Und einer drauf begann: »Jedweder bauet
Auch ohne Schwur auf die verheiß'ne Wohltat,
Bricht nur den Willen nicht das Unvermögen;
Drum ich, der hier allein spricht vor den andern,
Fleh', daß, wenn jemals du das Land erschauest,
Das zwischen Karls Reich und Romagna lieget,
Du mir gefällig seist mit deinen Bitten
Zu Fano so, daß wohl für mich man bete,
Damit ich sühnen kann die schweren Schulden.
Dorther war ich, allein die tiefen Wunden,
Draus rann das Blut, auf dem den Sitz ich hatte,
Erhielt im Schoß ich der Antenoräer,
Wo ich am sichersten zu sein vermeinte.
Anstifter dieser Tat war der von Este,
Weit mehr mir zürnend, als es sich gebührte.
Doch, wär' ich gegen Mira hingeflohen,
Als eingeholt ich ward bei Oriaco,
Würd' ich noch jenseits sein, dort, wo man atmet.
Ich lief zum Sumpf, wo Schilf und Schlamm mich also
Umstrickten, daß ich fiel, und dort ein Meer sah
Aus meinen Adern sich am Grund ergießen.«
Drauf sprach ein andrer: »O, wenn sich das Sehnen
Erfüllen soll, das dich zum hohen Berg zieht,
So hilf mit frommem Mitleid doch dem meinen!
Ich war von Montefeltro, bin Buonconte;
Nicht sorgt für mich Johanna, noch wer andres,
Drum geh' gesenkter Stirn' ich unter diesen.«
Ich drauf: ›Welch' eine Macht riß, welch ein Zufall
Dich also weit hinweg von Campaldino.
Daß nie man deine Grabesstatt erfahren?‹
»O,« sprach er drauf, »ein Wasser strömt querüber
An Casentinos Fuß, genannt Archiano,
Das ob der Öd' im Apennin entspringet.
Dorthin, wo die Benennung es verlieret,
War ich gelangt, verwundet in der Kehle,
Zu Fuß entflohn, mit Blut die Flur benetzend;
Hier schwand mir das Gesicht, und in dem Namen
Marias starb das Wort mir, und hier fiel ich
Dahin und ließ mein Fleisch allein zurück dort.
Ich spreche wahr, du künd' es den Lebend'gen,
Mich faßte Gottes Engel, und der Höll'sche
Rief: ›Was beraubst du mich, du dort vom Himmel,
Du trägst mir seinen ew'gen Teil von dannen
Ob eines Tränleins, das ihn mir genommen,
Doch ich will mit dem andern anders schalten.
Wohl weißt du, wie der feuchte Dunst, als Wasser
Zurück dann kehrend, in der Luft sich sammelt,
Sobald dorthin er stieg, wo Kält' ihn fasset;
Dem bösen Willen einte, der nur Böses
Begehrt, der Scharfsinn sich, und Sturm und Dünste
Regt durch die Kraft er auf, die ihm Natur gab.‹
Drauf, als der Tag verlöscht war, deckt' mit Nebel
Von Prato magno bis zum großen Joch er
Das Tal, den Himmel drüber zubereitend,
So daß die schwangre Luft zu Wasser wurde,
Der Regen fiel, und zu den Bächen strömte
Das, was davon die Erd' in sich nicht aufnahm,
Und zu den größern Flüssen dann sich sammelnd,
Stürzt es dahin zum königlichen Strome,
So rasch, daß nichts zu hemmen es vermochte.
Kalt fand an seiner Mündung meinen Leichnam
Der mächt'ge Archian', und in den Arno
Ihn stoßend, löst' er auf der Brust das Kreuz mir,
Das ich, vom Schmerz besiegt, aus mir gebildet;
Hinwälzend dann am Grund mich und dem Ufer,
Deckt' und umhüllt' er mich mit seiner Beute.« –
»O, wenn zur Welt einst du zurückgekehrt bist.
Und ausgeruhet von der langen Reise,«
Fuhr fort der dritte Geist jetzt nach dem zweiten,
»Gedenke meiner dann; denn ich bin Pia,
Siena gab, Maremma nahm mirs Leben,
Dies weiß, wer einst, den Finger mir mit seinem
Juwel beringend, sich mir angetrauet.«