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Voll Sehnsucht, ringsumher schon und im Innern
Des dichten, frischen Gotteswalds zu spähen,
Durch den der neue Tag dem Blick gedämpft ward,
Verließ den Strand ich, ohne mehr zu zögern,
Fortwandelnd Schritt vor Schritt durch das Gefilde,
Hin auf die Flur, die duftet' allenthalben.
Ein sanftes Wehn, das keinerlei Verändrung
War unterworfen, traf mich an die Stirne
Nicht stärkeren Stoßes als von leisem Winde,
Davon das Laub erzitternd, leicht beweglich,
Sich insgesamt nach jener Seite neigte,
Wohin der heil'ge Berg zuerst wirft Schatten.
Doch so nicht ward's entfernt aus seiner Richtung,
Daß aufgehört all ihre Kunst zu üben
Die Vöglein auf den Wipfeln droben hätten.
Vielmehr im vollen Jubelchor empfingen
Die ersten Stunden sie dort in den Blättern,
Die ihrem Lied die Grundbegleitung gaben,
Gleichwie von Zweig zu Zweig sich mehrt das Rauschen
In jenem Pinienwald an Chiassis Strande,
Wenn den Scirocco Äolus entfesselt.
Getragen hatten mich die läss'gen Schritte
Schon in den alten Wald hinein, so daß ich
Nicht mehr erblickte, wo ich eingetreten;
Und sieh, da hinderte mein Weitergehen
Ein Bach, des kleine Wellen nach der Linken
Das Gras, das seinem Strand entsproßte, beugten.
Die Wässer all', die diesseits sind am reinsten,
Sie würden etwas doch von Mischung zeigen
Mit jenem im Vergleich, das nicht verhüllet,
Obgleich sich's dunkel, immer dunkel unter
Dem ew'gen Schatten hinbewegt, der nimmer
Die Sonne, noch den Mond dorthin läßt strahlen.
Stehn blieb ich mit dem Fuß, doch mit dem Auge
Schweift' ich jenseits des Flüßchens, um die große
Abwechslung frischer Mai'n dort zu betrachten
Und es erschien, wie manchmal unversehens
Ein Ding erscheint, das uns ob der Verwundrung
Verscheucht jedweden anderen Gedanken,
Einsamlich dort ein Weib mir jetzt, das singend
Hinging und Blumen lesend aus den Blumen,
Mit denen überall ihr Pfad bemalt war.
›O schönes Weib, das an der Liebe Strahlen
Sich wärmt, wenn ich dem Angesicht darf trauen,
Das Zeugnis von dem Herzen pflegt zu geben,
Gefällig sei dir's, dich so weit zu nahen,‹
Sprach ich zu ihr, ›dem Ufer dieses Flusses,
Daß ich vernehmen könne, was du singest.
Du mahnst mich dran, wie und an welchem Orte
Proserpina zur Zeit war, als der Mutter
Sie selbst und ihr der Frühling ging verloren.‹
Gleichwie sich mit den Füßen dicht am Boden
Und beieinander dreht ein Weib im Tanze,
Und einen Fuß kaum setzet vor den andern,
Also sich drehend kam sie auf den roten
Und gelben Blümlein gegen mich, der Jungfrau
Vergleichbar, die den Blick schlägt sittsam nieder;
Und meine Bitten stellte sie zufrieden,
Sich also nahend, daß zu mir mit seiner
Bedeutung jetzt der süße Ton gelangte.
Als dort sie stand, wo schon das Gras vom Wasser
Des schönen Flusses wird bespült, gewährte
Sie mir es, daß nun auf sie schlug die Blicke.
Nicht, mein' ich, hat geglänzt so mächt'ges Leuchten
Selbst unter Venus' Brauen, da verletzet
Ganz gegen seinen Brauch vom Sohn sie wurde.
Sie lächelte vom rechten Ufer drüben,
Des Bunten mehr mit ihren Händen pflückend,
Das sonder Samen sprießt im hohen Lande.
Drei Schritte hielt der Fuß uns auseinander,
Doch Hellespont, wo Xerxes übersetzte
(Ein Zügel noch jedwedem Stolz der Menschen),
Ward nicht, weil zwischen Sestos und Abydos
Er wogte, von Leander mehr gehasset
Als von mir jener, weil er jetzt nicht aufging.
»Ihr seid hier neu, und weil an diesem Orte,«
Begann sie, »der zur Wiege ward erkiesen
Der menschlichen Natur, ich lächle, hält euch
Ein Zweifel durch Verwunderung gefangen.
Doch Licht gewährt der Psalm drob: ›Delectasti‹ ,
Der eurem Sinn den Nebel kann zerstreuen,
Und du, der Vorderste, der mich gefraget,
Sag', ob du andres hören willst; denn willig
Komm' ich, auf jede Frage dir zu gnügen.«
›Das Wasser‹ , sprach ich, ›und des Waldes Rauschen
Bekämpfen in mir einen neuen Glauben
An etwas, das ich dem entgegen hörte.‹
Und sie: »Berichten will ich, wie hervorgeht
Aus seiner Ursach' das, drob du dich wunderst,
Und so den Dunst zerstreun, der dich ergriffen.
Das höchste Gut, sich selbst allein gefallend,
Das gut den Menschen schuf und für das Gute,
Gab ihm den Ort als Angeld ew'gen Friedens.
Durch seine Schuld verblieb er hier nur wenig,
Durch seine Schuld verwandelt' er in Kummer
Und Zähren süßen Scherz und ehrsam Lachen.
Damit die Störung, drunten von des Wassers
Und von der Erd' Ausdünstungen erzeuget,
Die stets nach Möglichkeit der Wärme nachgehn,
Dem Menschen keinen Kampf bereiten möge,
Stieg dieser Berg so weit empor gen Himmel
Und ist von dort, wo man ihn schließt, des ledig.
Dieweil nun allzumal sich durch die erste
Umwälzung ringsumher die Luft beweget,
Wird nicht ihr Kreislauf irgendwo gebrochen,
So trifft in dieser Höh', die, ganz entbunden,
In frische Lüfte raget, solch Bewegen
Den Wald und macht ihn rauschen, weil er dicht ist.
So viel vermag nun die getroffne Pflanze,
Daß sie mit ihrer Kraft die Lüfte schwängert,
Die kreisend dann sie ringsumher zerstreuen;
Das andre Land, nach dem als selbst es oder
Sein Himmel würdig ist, empfängt und zeuget
Verschiednes Holz nun mit verschiednen Kräften.
Nicht würd' es jenseits wohl noch wundernehmen
Nach solchem Wort, wenn, ohne daß ein Same
Bemerkbar sei, dort Pflanzen sich bekleiden,
Und wisse, daß das heilige Gefilde,
Wo jetzt du bist, jedweden Samens voll ist
Und Frucht in sich hat, die man dort nicht pflücket.
Das Wasser, das du siehst, nicht einer Ader
Entquillt's, die Dunst ergänzt, von Frost verwandelt,
Wie Flüss' aufatmend mehr bald und bald minder;
Es kommt aus unversiegbar sichrer Quelle,
Der Gottes Wille stets so viel zurückgibt,
Als nach zwei Seiten sie geöffnet ausgießt.
Von dieser Seit' entströmt's mit Kraft, der Sünden
Erinnerung zu tilgen, von der andern
Weckt's jeder guten Tat Gedächtnis wieder.
Drum, gleich wie Lethe hier, wird es Eunoe
Jenseits genannt, und nicht vermag's zu wirken,
Ist's hier und dort nicht erst verkostet worden.
Kein anderer Geschmack ist dem vergleichbar,
Und ob dein Durst auch ganz gestillt sein könnte,
Wenn ich ein Mehreres dir nicht entdeckte,
Geh ich dir einen Anhang doch aus Gnaden
Und meine, minder nicht erfreut mein Wort dich,
Ergeht's mit dir sich über mein Versprechen.
Die da vor alten Zeiten von des goldnen
Geschlechts glücksel'gem Stand gedichtet haben,
Sie sahn auf dem Parnaß den Ort im Traum wohl.
Hier war unschuldig einst der Menschheit Wurzel;
Hier ist stets Lenz, hier jede Frucht zu finden,
Nektar ist dies, von dem sie sämtlich sprechen.«
Als ich ganz rückwärts jetzt zu meinen Dichtern
Mich wendete, bemerkt' ich, daß mit Lächeln
Sie diesen letzten Satz vernommen hatten.
Dem schönen Weib drauf kehrt' ich zu die Blicke.