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Maximus hatte bisher den höchsten Rang zweiter Ordnung eingenommen: edle Geburt, großes Vermögen, Ehren und Würden aller Art, zuletzt die des Patriziats. In seinen Ämtern als dreimaliger Präfekt Italiens und der Stadt wie als zweimaliger Konsul hatte er sich Achtung und Anerkennung erworben.
Da trieb der Schwindel des Ehrgeizes den anscheinend schon Sechzigjährigen in toller Selbstverblendung nach der Krone zu greifen, deren Bürde damals kaum irgend ein Römer noch, er aber gewiß nicht gewachsen war. (Sidonius Apoll. II, ep. 13.)
Sein erster Frevel war, daß er Valentinians Witwe, Eudoxia, durch Androhung des Todes – dem vormals gewöhnlichen Lose der Witwen ermordeter Kaiser – sich ihm, dem Mörder, zu vermählen zwang. Ob dessen Gemahl gestorben war oder von ihm verstoßen ward, erhellt nicht. Die Urenkelin des großen Theodosius war keine Porcia, suchte aber den schwer verhüllten Rachedurst durch Anrufung von Gaiserichs Hilfe, der mit Valentinian III. föderiert gewesen, zu stillen. So mindestens erzählen Prokop (d. b. Vand. I, 5), Idatius (für Römisches weniger zuverlässig), Jordanis (de regn. Succ.) und Marcellin.
Johannes Antiochenus erwähnt dies (p. 615) ebenfalls, aber nur als Gerücht, läßt Gaiserich vielmehr um deswillen, weil er den bestehenden Vertrag durch Valentinians Tod für gelöst ansah und den neuen Kaiser nicht fürchtete, die Gunst des Augenblicks zu einer großartigen Raubfahrt benutzen.
Auch in Gallien hatten sich nach Sidonius Apoll, (carm. VII, v. 360–392) auf die Kunde des Thronwechsels sogleich die Barbaren wider Rom geregt: Sachsen, Franken und Alemannen, die sich aber, nachdem Maximus den gefeierten Avitus zum Magister peditum et equitum daselbst ernannt hatte, sogleich wieder zurückzogen und beruhigten, wenn hierin dem Lobredner seines Schwiegervaters ganz zu trauen ist.
Im Anfang Juni landete Gaiserich mit starker Macht unfern Rom bei Azestos. Dies am 12. Juni Hinsichtlich der Tage stimmen die Quellen nicht genau überein. Daß Maximus nicht volle drei Monate regierte, wird durch des Sidonius Apoll interessanten Brief (ep. 13, II) außer allen Zweifel gesetzt. vernehmen und zu Roß entfliehen war des Maximus erste Tat; empört rief ihm seine eigne Garde Schmähungen nach: das Volk, gleicher Gesinnung, warf ihn mit Steinen, deren einer, sein Haupt treffend, ihn vom Pferde stürzte, worauf er vom Pöbel zerfleischt ward, der Stücke seines Körpers auf Lanzen jubelnd umhertrug. (Johannes Ant. a. a. O. und Prokop, d. b. Vand. I, 5.)
Am dritten Tage darauf rückte Gaiserich in Rom ein, dem wiederum der würdige Bischof Leo vorbittend und vermittelnd entgegenging; er erlangte auch wirklich die Verschonung der unglücklichen Bewohner mit Brand, Peinigung und Mord. (Victor Tun.) Gaiserich selbst aber verstand das Raubhandwerk zu gründlich, um nicht zu wissen, daß es, mit Ordnung und Methode betrieben, am meisten abwirft. Vierzehn Tage dauerte die Plünderung, worauf er, mit unendlichen Schätzen beladen, wozu diesmal besonders die bisher verschonten, kostbaren Statuen der alten Götter das Material lieferten, wieder abzog. Auch das halbe Dach des Kapitols aus vergoldeter Bronze ward mitgenommen und an lebendiger Beute so viel, als die Schiffe nur irgend zu fassen vermochten, darunter die Kaiserin Eudoxia selbst mit ihren Töchtern Eudokia und Placidia nebst des Aëtius Sohne Gaudentius. (Prokop I, 5 und II, 9. Vergl. Tillemont VI, 2, Art. 31; Valent., S. 470.) Der weitern Schicksale der hohen Gefangenen ward oben gedacht.
Avitus hatte sich um die Zeit der Katastrophe in Rom auf des Maximus Befehl zum Westgotenkönig Theoderich II., der inzwischen an seines Bruders Thorismund Stelle getreten war, nach Toulouse begeben, um den Frieden mit diesem wichtigen Bundesgenossen, dessen Politik damals verdächtig, ja fast kriegsdrohend geworden war, wieder zu befestigen. Dies gelang nicht nur seinem großen Einflusse auf die Goten und deren jungen König, dessen Lehrer in römischer Bildung er einst selbst gewesen war, sondern er ward auch von letzterm, dem inzwischen des Maximus Tod kund geworden sein muß, zur Besteigung des erledigten Thrones, unter Zusicherung seines Beistands, dringend aufgefordert, wozu sich denn derselbe auch, wiewohl nach seines Schwiegersohns (freilich zweifelhafter) Versicherung, nur ungern, entschloß. Zunächst aber hatte er sich noch der Zustimmung des eignen Heeres zu versichern. Mit Freuden ward diese, wozu die Soldaten schon des Geschenks halber ja stets geneigt waren, erteilt und Avitus anscheinend zu Anfang August zu Arles feierlich zum Kaiser ausgerufen Zeit und Ort der Erhebung des Avitus sind wieder etwas unsicher In des Sidonius Angabe (in v. 590 des Paneg.): et cujus solum amissas post secula multa Pannonias revocavit iter können wir nur die Übertreibung eines unwesentlichen Vorgangs ohne bleibende Folge erkennen. Daß aber Avitus, sei es gleich von Gallien, vielleicht um sich des Heeres von Noricum zu versichern, oder erst im Herbst von Italien aus sich in die Donaugegend begeben haben muß, ist hiernach nicht zu bezweifeln. (Es war, was die Römer anlangt, eine wesentlich gallische Bewegung. Dahn, Könige V, S. 83. D.), auch von Marcian, dem Herrscher des Ostreichs, auf Ansuchen, wenn auch vielleicht erst im folgenden Jahre, anerkannt. (Sidonius Apoll. Carm. VII, v. 360–381, besonders v. 360–379, 392, 490 u. f, sowie 572–581 und Idatius zum Jahre 1 d. Avitus.)
Am 1. Januar 456 zum Antritt seines Konsulats (das jedoch in den Fasten nicht verzeichnet ist, da Marcian vorher bereits die neuen Konsuln ernannt hatte und Avitus das Ende des Jahres nicht erlebte,) widmete ihm Sidonius seinen (bereits mehrfach unter Carm. VII angeführten) Panegyricus.
Wir kommen nun zuerst auf Rikimer, d. i. den Mann, der sechzehn Jahre hindurch die Geschicke Italiens in der Hand hielt, die Kaiser, so lange sie ihm – dem Leiter hinter der Szene – gehorchten, öffentlich figurieren ließ, sobald sie widerspenstig wurden, absetzte.
Schon seit langer Zeit bestand ein großer Teil der römischen Streitkräfte aus Barbaren, besonders germanischen Söldnern. Dahin gehörten die gesamten so zahlreichen Auxilien, in späterer Zeit vielleicht sogar ganze Legionen, wie denn die Lücken auch in den im Wesentlichen noch römischen durch dergleichen ausgefüllt worden sein mögen.
In den Römern aber lebte noch Barbarenhaß: daher, unter den Truppen, wenn auch unterdrückt, Zwiespalt und Parteiung. Vergl. oben zur Zeit des Gaina, ferner nach 375. Schon im Jahre 408 loderte dieser auf und würde zu blutigem Kampfe geführt haben, wenn nicht Stilicho zu pflichttreu (? D.) gefühlt hätte, den von außen schwer bedrängten Staat noch durch innern Kampf der Heere zu zerfleischen.
Seitdem muß die Masse und das Gewicht der Föderierten fortwährend zugenommen haben.
Nicht nur daß Aëtius, für längere Zeit wenigstens, die Hunnen dazugesellte, so hat auch dessen militärischer Scharfblick die Heere gewiß fortwährend durch die Tapfersten, d. i. durch Germanen zu rekrutieren gesucht.
Vom wichtigsten Einflusse endlich muß Attilas und seiner Söhne Fall darauf gewesen sein.
Dessen Hof war eine Pflanzschule von Abenteurern gewesen; tapfere, energische und geldgierige Männer mit zahlreichen Gefolgen dienten unter Attilas Haustruppen.
Diese mögen, teils aus Diensttreue, teils wegen der Gefahr und Schwierigkeit, sich loszureißen, mit Attilas Söhnen in den Entscheidungskampf gegen die Germanen gezogen sein, nach Vernichtung der Hunnen aber meist in Rom, wo man der Tapfern bedurfte, Aufnahme gesucht und gefunden haben.
So gut bezahlt und äußerlich geehrt nun gewiß auch diese Fremd-Truppen waren, so mußte doch schon das Gefühl ihrer Anfeindung vom Volksgeiste dieselben zu engerer Verbindung untereinander und zur Anlehnung an solche Generale antreiben, in denen sie Vertretung am Hof und gewissermaßen ein Parteihaupt zu finden glaubten.
Darauf hatte unstreitig auch schon sechzig Jahre früher, obwohl die Zahl der Föderierten damals noch weit geringer war, die Macht des Franken Arbogast hauptsächlich beruht, der Valentinian II. stürzte und einen Abhängigen auf den Thron setzte, welchen er als Barbar selbst zu besteigen nicht wagte.
Jetzt nahm ähnlich, aber gesicherter und anerkannter, Rikimer diesen Platz ein.
Aus der Ehe der Tochter des westgotischen Königs Walja mit einem suebischen Prinzen, vielleicht (? D.) einem jüngern Sohne Rekilas (Sidon. Apoll. Carm. II, v. 360) entsprossen, scheint er bei den Westgoten, bei welchen wahrscheinlich auch dessen Vater schon lebte Nicht zu verwechseln mit Gratians General Richomer, der im Jahre 384 das Konsulat bekleidete, von Prosper Aquitanus aber ebenfalls Rikimer genannt wird. Umgekehrt freilich wird auch der Rikimer der spätern Zeit bisweilen Richomer genannt., erzogen worden, früh aber in römische Kriegsdienste getreten zu sein. Hohe Geburt und eignes Verdienst förderten seinen Weg. Er muß schon unter Aëtius eine hohe Stellung erlangt haben und war dessen Waffengenossen Majorian eng befreundet.
Des Avitus erste Sorge war der Krieg gegen Gaiserich, den dieser wider die noch römischen Besitzungen im westlichen Afrika fortsetzte. Dazu sandte er sogleich Rikimer mit einem Heere nach Sizilien. (Priscus, Fr. 7, 2. Samml., p. 217, wo derselbe bereits Patricius Das Patriziat ward, wie es mit allen Titeln zu geschehen pflegt, in späterer Zeit viel häufiger verliehen, als bei seiner Entstehung unter Constantin d. Gr. Bei Valentinians Tode muß Rikimer durch Abwesenheit oder sonst behindert gewesen sein, eine Rolle zu spielen. genannt wird, obwohl er diese Würde, wie wir w. u. sehen werden, erst im Jahre 457 erlangte.)
Hier befand sich damals der verdiente Marcellin, der, in Dalmatien kommandierend, (nach Prokop, d. b. V. I, 6, p. 336) gleich nach des Aëtius, seines Freundes, Ermordung, Valentinian III. den Gehorsam verweigert haben soll. Dies kann jedoch nicht durch offene Rebellion, sondern nur durch passive Behauptung seiner Selbständigkeit geschehen sein. Derselbe mag nun, unter dem Vorwande des Reichsschutzes gegen die Vandalen, von Dalmatien nach Sizilien gesegelt, dabei aber der geheimen Absicht, diese Insel für sich zu behaupten, verdächtig geworden sein, was denn Avitus zu Rikimers Entsendung dahin veranlaßt haben wird. Hier trat nun sogleich der Gegensatz zwischen dem Römer und dem Barbaren hervor, indem Rikimer Marcellins fremde Söldner durch Versprechung höheren Soldes zum Abfall von Jenem verlockte, so daß Letzterer, für sich selbst fürchtend, Sizilien verließ. (Priscus, Fr. 10, p. 218.)
Im Sommer 456 lief wieder eine vandalische Flotte von sechzig Schiffen gegen Italien aus, die zunächst in Korsika gelandet sein muß, wo der zu Hilfe eilende Rikimer deren Heer traf und im August oder Anfang September auf das Haupt schlug. (Idatius, J. 2 Marcians an zwei Stellen, die scheinbar etwas verwirrt sind.) Nach diesem Siege muß derselbe sogleich nach Italien zurückgekehrt sein.
Von da an sind die Quellen schwer zu vereinigen.
Nach Idatius (a. a. O.) wäre Avitus um die Zeit jenes Sieges von Italien nach Arles in Gallien gereist und auf der Rückkehr nach Rom von Majorian und Rikimer, die sich wider ihn verbündet, gestürzt worden.
Dagegen berichtet der weit eingehendere Johannes Antiochenus (in Fr. 202): Unter Avitus sei eine Hungersnot in Rom ausgebrochen, was bei dem Wegfall der regelmäßigen Getreidezufuhr von Afrika leicht möglich war. Da habe das aufgeregte Volk die Entfernung der zahlreichen gallischen Truppen aus der Residenz gefordert und Avitus wirklich seine tapfersten und treuesten Krieger, die Goten, entlassen, indem er ihnen den rückständigen Sold in Gold auszahlte. Darüber neue Aufregung, weil die Römer, namentlich die Kaufleute, wegen Mangel an Gold im Schatze, mit geringer Bronzemünze, die wohl Zwangskurs hatte, vorlieb nehmen mußten; zuletzt wirklicher Aufstand in der Hauptstadt.
Dies benutzend und von der Furcht vor den gotischen Truppen befreit, seien Majorian und Rikimer wider den Kaiser gezogen, der nur in der Flucht nach Gallien Rettung zu finden geglaubt habe. Auf dem Wege dahin sei derselbe jedoch angegriffen und sich in ein geweihtes Asyl (τέμενος) zu retten gezwungen worden.
Darin sei er von Majorians Truppen so lange blockiert worden, bis er, von Hunger bedrängt, das Leben gelassen habe. Dies sei nach einer Regierung von acht Monaten sein Ende gewesen.
Letztere unzweifelhaft falsche Zeitangabe dürfte dieser Schriftsteller wohl nicht aus seiner Quelle, für die wir Priscus halten müssen, entnommen, sondern aus eigner irrtümlicher Berechnung hinzugefügt haben.
Dagegen sagen vier, freilich insgesamt spätere und minder zuverlässige Quellen (Victor Tun., Mar. Chronicon Quellen: 1. Victor Tununensis, Bischof von Tununa in Afrika, umfaßt in seiner Chronik die Zeit von 444 bis 565, schrieb also in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts. Obwohl dessen hauptsächlich der Kirchengeschichte gewidmete Arbeit nicht ohne Fleiß ist, kann ihr doch, nach dem Zeitalter und dem entfernten Wohnsitze des Verfassers, der Wert eines Prosper Aquitanus und Idatius nicht beigelegt werden, ja wir möchten sie selbst der Marcellins im Allgemeinen nachsetzen.
Dasselbe gilt in noch höherem Grade
2. von der Chronik des Marius Aventicensis, d. i. Bischof von Aventicum (Avenches) Später ward der Sitz dieses Bistums nach Lausanne verlegt., die vom Jahre 455, mit welchem Prosper Aquitanus aufhört, bis zu 581 reicht und kaum etwas enthält, das nicht von andern besser und vollständiger gesagt würde. (Neue Ausgabe von Arnt, s. Anhang.)
Ungleich wichtiger sind zwei andere, schon oft erwähnte, aber noch nicht besprochene Quellen:
3. Apollinaris Sidonius, vornehmer Geburt und Schwiegersohn des Kaisers Avitus, anscheinend im Jahre 431 geboren und im Jahre 487, jedenfalls noch unter Zeno, der bis 491 regierte, gestorben. (S. dessen Vita in der Ausgabe von Savaro, Paris 1609.)
Niebuhr in seinen Vortr. über Röm. Gesch. III, S. 324 sagt, daß Gessner denselben mit Recht einen großen Geist nenne. Wir halten ihn (aber nur D.) für einen ungewöhnlich reich gebildeten, geist- (Der erste »Franzose«: s. Dahn, Urgeschichte I, S. 541; Könige I, S. 92. D.) und talentvollen, aber durch und durch eitlen Römer seiner d. i. einer schlechten Zeit, der als Briefsteller wie Symmachus, als Dichter wie Claudian glänzen wollte und wahrscheinlich nur um deswillen nicht Geschichte schrieb, wozu er aufgefordert wurde, und wodurch er der Nachwelt unschätzbar geworden wäre, weil ihm dies nicht Gelegenheit genug bot, das Brillantfeuer seiner Gelehrsamkeit und seines Witzes paradieren zu lassen.
Dichter, Staatsmann (Stadtpräfekt Roms), zuletzt Bischof von Clermont (Augusta Nemetum), der Hauptstadt der Auvergne, als solcher von Eurich vertrieben, aber später wieder zurückberufen, mußte er gegen Ende seines Lebens noch die Amtsentsetzung auf Anklage zweier Priester erleben, gegen die ihm aber kurz vor seinem Tode doch noch Gerechtigkeit ward.
(S. d. gen. Vita und Gregor von Tours II, 21–23.)
4. Prokopius gehört den Quellen des sechsten Jahrhunderts an, für das er von höchster Wichtigkeit ist. (Siehe Dahn s. v. »Prokop« im Anhang.)
, Jordanis, Kap. 45 a. Schl. und Gregor v. Tours II, 11), daß Avitus (nach Vict. Tun. seiner Schuldlosigkeit halber) zum Bischof von Placentia geweiht worden sei, während der glaubwürdigere Zeitgenosse Idatius ihn, weil von den Goten verlassen, Reich und Leben verlieren, der unbekannte Chronist ihn nur bei Placentia gefangen nehmen, Cassiodors Chronik ihn aber nur die Regierung daselbst niederlegen läßt.Es ist daher zu vermuten, daß Avitus (nach Idatius und Johannes Antiochenus) und zwar bei Placentia nicht nur die Krone, sondern zugleich das Leben verlor, wie denn auch von Sidonius Apollinaris in späterer Zeit seiner nicht weiter gedacht wird.
Gewiß nur im Vertrauen auf Theoderichs mächtigen Beistand hatte Avitus, Zeit und Umstände richtig würdigend, jenen verhängnisvollen Schritt überhaupt gewagt; daß der treue Freund durch den spanischen Krieg, dessen im nächsten Kapitel gedacht werden soll, ihm Hilfe zu gewähren behindert ward, mußte daher seinen Sturz sehr erleichtern.
Er war ausgezeichnet als Privatmann und hoher Würdenträger, dreimal Präfekt Galliens und Magister militum: besonders sein mächtiger Einfluß auf die Westgoten macht es schwer, das Wirken des Kaisers zu verdächtigen, wenngleich derselbe seiner schweren Aufgabe nicht gewachsen gewesen sein mag.
Wenn daher Gregor von Tours (II, 11) von ihm sagt Imperium luxuriose agere volens, a Senatoribus projectus. (Das heißt aber in der Sprache Gregors vielmehr: »weil er übermütig, eigenwillig regieren wollte.« D.), er sei, weil er sich »dem Wohlleben zu sehr hingegeben (?)«, vom Senate verworfen und zum Bischof geweiht worden, so gibt uns diese Nachricht (vielleicht D.) den Schlüssel zu obigen Widersprüchen. Der Senat schlug sich auf die Seite der Stärkeren, d. i. Rikimers und Majorians, und sprach des Avitus Entsetzung und Ernennung zum Bischof aus, während jene, den Krieg fortsetzend, demselben Thron und Leben Siehe Dahn, Könige V, S. 85. durch das Schwert raubten.
Ob es Rikimer damals, d. i. im Herbste 456, zum Kaisermachen noch an Macht und Mut fehlte oder ob nur die Rücksicht auf den ihm verbündeten Majorian ihn davon abhielt, weil er diesen gewiß weder erheben wollte, noch offen zurückzusetzen wagte – wissen wir nicht.
So mag die Regierung stillschweigend unter Marcian, dem allgemeinen Reichsoberhaupt, nunmehr also auch dem des erledigten Westens, fortgegangen sein.
Als aber dieser tüchtige Kaiser gegen Ende Januar 457 verschied und in dem Thrakier Leo einen nicht unwürdigen Nachfolger erhielt, erachtete letzterer die Wiederbesetzung für nötig und ernannte, sicherlich der allgemeinen Volksstimme folgend, am 1. April 457 Majorian zum Augustus, nachdem er denselben kurz vorher am letzten Februar zum Magister militum, zugleich aber Rikimer zum Patricius erhoben hatte. Idatius und fast alle Chronisten. Nur der Unbekannte aber gibt die Tage an.)
Wäre Westrom um diese Zeit noch lebensfähig gewesen, so würden wir nun mit Freuden die Geschichte eines großen Kaisers zu schreiben haben.
Dasselbe aber war schon nicht nur ein »kranker Mann«, sondern ein Sterbender. Wo nun jeglichem Streben, selbst dem edelsten und kräftigsten die Verdammnis der Erfolglosigkeit im Voraus aufgedrückt ist, da vermag es keinen Enthusiasmus mehr hervorzurufen.
So hat Prokop indes die Sache nicht aufgefaßt, indem er (de b. Vand. I, 7) von Majorian sagt: er habe in allen Tugenden alle Kaiser übertroffen, die vor ihm geherrscht hätten.
Wir haben unser eigenes Urteil über diesen Schriftsteller, den wir nicht so hochstellen können, wie dies Gibbon bei dieser Anführung Kap. 36, Note 32, tut: und fragen nur, ob er dabei lediglich das Wollen oder auch das Vollbringen Majorians vor Augen gehabt hat?
Ersteres hat dieser allerdings wohltuend und erhebend in seinen zwölf Novellen Von drei derselben, 8, 10 und 12, sind nur die Rubriken noch vorhanden, die Ausgabe der Novellen der Kaiser von Theodosius II. bis Anthemius von Hänel, Bonn 1844. bewährt, in deren erster, de ortu imperii, vom 13. Januar 458, nach Antritt des Konsulats, er die Mitwirkung des Senats anruft, des Reiches Wohl gemeinsam zu fördern und dabei die strengste Rechtspflege, Schirm und Belohnung der Unschuld so wie Abstellung des auch ihm längst verhaßten Denunziationswesens verheißt. Schlimm nur, daß er dabei die Hauptsache d. i. die Sorge für das Heer und des Reiches Schutz nur in Gemeinschaft »mit seinem Vater und Patrizier Richomer« sich beilegt (cum patre patricioque nostro Richomere), diesem also eine in kaiserlichen Erlassen bisher unerhörte Stellung einräumt. Trefflich und weise aber war sein gesetzlicher Kampf gegen die empörenden Verwaltungsmißbräuche, gegen die Raubsucht der Beamten und die Bedrückung der Untertanen, die wir ja schon aus Salvians wenn auch übertriebener Schilderung kennen lernten.
Namentlich rief er dazu das schon seit der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts errichtete Institut der Defensoren, das, so wohlwollend es auch in der Idee war, doch ganz in Verfall gekommen sein mochte, auf die zweckentsprechendste Weise wieder in das Leben. Auch auf Förderung der Ehen wie auf Erhaltung der ehrwürdigen baulichen Denkmale der Vorzeit richtete er seine Sorgfalt. (Vergl. Gibbon Kap. 36 nach Note 39–44, der darüber sehr ausführlich ist.)
Aber das alles waren doch nur schöne Worte, woran es selbst Tyrannen mitunter nicht fehlen ließen; den Wert konnte erst die Ausführung geben, von der die dürftigen Quellen dieser Zeit nichts sagen. Wohl mag auch manches geschehen sein: wesentliche Hilfe aber würde selbst eine längere und ruhigere Regierung als die seinige nicht mehr zu gewähren vermocht haben.
Gehen wir auf deren Geschichte selbst über.
Majorians politische Aufgabe war vor allem, mit dem gefährlichsten Reichsfeinde, Gaiserich, sei es durch Sieg oder rühmlichen Frieden, ein Ende zu machen.
Dazu mußte er aber erst in Gallien und Spanien vollständig wieder Herr und vor allem der Westgoten sicher sein.
Jenseits der Alpen nämlich war noch alles, Römer wie Föderierte, für Avitus. Mag der Widerstand ersterer mehr nur ein passiver gewesen sein, so erklärten sich doch die westgotischen Hilfstruppen in der römischen Provinz für ganz unabhängig von dem neuen Herrscher und nur dem eignen König unterworfen.
Gleich nach Majorians zu Ravenna erfolgter Erhebung (Marcellin und Jordanis de regn.) war übrigens wiederum ein Heer Gaiserichs raubfahrend in Unteritalien, wahrscheinlich an der Mündung des Garigliano, eingefallen, erlitt aber eine tüchtige Niederlage, indem der römische Feldherr sich zwischen die maurischen Plünderer und die an der Küste lagernden Vandalen warf, wobei der vandalische Führer, Gaiserichs Schwager, selbst fiel. (Sidon. Ap. Carm. V, v. 386–446.) Daß der Kaiser dabei in Person kommandiert habe, ist nach dessen Lobredner nicht anzunehmen.
Solch ein augenblicklicher Vorteil aber war keine Entscheidung, wozu es vor allem großartiger Rüstung, zunächst wider Theoderich und sodann wider Gaiserich, bedurfte.
Italien und was noch von Rätien und Noricum dazu gehörte, gab keine Krieger mehr her: darum mußte Majorian aus den Landen jenseits der Donau bis Asien hinein Söldner anwerben, über die uns Sidonius Apoll. (V, v. 480–485) wieder einen poetisch-phantastischen Katalog
Basterna, Suevus,
Pannonius, Neurus, Chunus, Geta, Dacus,
Alanus,
Bellonothus α), Rugus, Burgundio, Vesus (i. e. Vesigethus), Alites,
Bisalts, Ostrogothus, Procrustes, Sarmata, Moschus,
Post aquilas venere tuas. von neunzehn Völkernamen mitteilt und mit den Worten schließt:
»Dir nun dienet der ganze Kaukasus samt dem aus dem Tanais trinkenden Skythen.«
Dies mögen hauptsächlich die Trümmer von Attilas Heere gewesen sein: Hunnen, aber auch Germanen, wie Alanen, Goten, Sueben, Rugier u. a. m.
Mit diesen zog er im rauhesten Winter, jedenfalls nach dem 13. Januar 458, wo er von Ravenna aus das gedachte Rescript de ortu imp. an den Senat erließ, mit seltner Kühnheit, unter Überwindung der größten Schwierigkeiten, durch das eigne Beispiel und die Macht seiner Person auf die Gemüter wirkend, über die Alpen, wobei er noch den blutigen Aufstand einer seiner Hilfsscharen zu bewältigen hatte. (Sidon. Apoll. V, v. 490–510 über den ganzen Zug bis v. 559.)
Lyon, von westgotischen Truppen besetzt, mag der Sitz der Häupter der Unzufriedenen gewesen sein, zu denen mit Recht unser Sidonius als Schwiegersohn des unglücklichen Avitus gehörte. Majorian aber versuchte die Güte, vermittelte durch den Magister Scriniorum Petrus die Übergabe unter Abzug der Truppen und gewährte den mehr oder minder kompromittierten Galliern, wenn auch zunächst vielleicht schwere Strafen über sie ausgesprochen wurden, doch bald Verzeihung. (Sidon. Apoll. Carm. IV.) Dadurch wurde nun auch unser Dichter sogleich der enthusiastische Lobredner des Mannes, der seinem eigenen Schwiegervater Thron (und Leben?) geraubt hatte, indem er ihn in dem Panegyricus V. feierte, den er im Jahre 458, da Majorian zugleich das Konsulat bekleidete, zu Lyon vor ihm hielt. Tillemont (VI, 2, Majorian, Art. 5) setzt sowohl den Kampf mit den Vandalen in das Jahr 458 als den Zug über die Alpen in den Winter 458/9, da Majorian am 13. Januar 458 noch in Ravenna, vor Ende Dezember desselben Jahres aber in Lyon gewesen sei, weil ihn Sidonius in seinem Lobgedichte noch als Konsul aufführe. Am 17. April 459 aber datiere derselbe die neunte Novelle aus Arles. Gegen diese Ansicht gehen uns aber, obwohl ihr auch Clinton in seinen Fasten zum Jahre 458, Col. 3, wiewohl nur unter Berufung auf Tillemont folgt, dennoch erhebliche Zweifel bei.
Was zunächst die Landung der Vandalen betrifft, so setzen doch des Sidonius Worte (Carm. V, v. 386–391):
Nuper post hostis aperto
Errabat lentus pelago, postquem ordine vobis, Ordo omnis regnum dederat, plebs, curia, miles, Et collega simul. Campanam flantibus austris Ingrediens terram, seuorum milite Mauro etc. |
es fast außer Zweifel, daß diese sehr bald auf Majorians Erhebung zum Kaiser folgte.
Was nun die Zeit des Wintermarsches nach Gallien betrifft, so begründen die Data der Novellen dieses Kaisers allerdings die Ansicht, daß derselbe während des ganzen Jahres 458 mindestens bis zum 6. November in Ravenna verblieben sei. Kaum denkbar ist es aber doch, daß der gegen achtzig Meilen lange, so schwierige Marsch von Ravenna bis Lyon, die Verhandlungen mit dem Feinde, die Übergabe der Stadt, die Bestrafung und die spätere Begnadigung des Apollinaris Sidonius, die Fertigung von des letztern, 599 Verse langem Lobgedichte und der Vortrag desselben vor dem Kaiser, – daß dies alles also in der Zeit vom 6. November 458 bis zu Ablauf dieses Jahres, folglich binnen noch nicht acht Wochen, erfolgt sein könne, zumal die Art, wie der Dichter darin gleich zu Anfang Majorians Konsulats gedenkt, eine offenbar ungeschickte gewesen sein würde, wenn sich dieselbe gerade nur auf die letzten Tage dieser Würde bezöge. Was endlich hätte Majorian zu der Tollkühnheit eines Winterübergangs über die Alpen bestimmen können, wenn die Zeit nicht gedrängt hätte? Gallien, das ihm den Gehorsam verweigerte, sich zu unterwerfen, war unstreitig seine erste und dringendste Aufgabe. Dazu soll er aber, nach Tillemont, erst im zwanzigsten Monate seiner Regierung vorgeschritten sein, und den ganzen Sommer 458 unbenutzt dafür haben verstreichen lassen. Auch würde sich dieser auffällige Verzug kaum durch die Notwendigkeit der Beschaffung des erforderlichen Heers erklären lassen, da dies in der Zeit vom 1. April 457 bis in die zweite Hälfte des Januar 458 füglich angeworben werden konnte.
Wir müssen daher auch hier wieder, wie dies schon in der frühern Geschichte mehrfach geschehen ist, die sachlichen Gründe für wichtiger halten als die von den Unterschriften der Gesetze hergeleiteten formalen, bei denen doch Gebräuche stattgefunden haben können, die uns nicht bekannt sind, und hiernach bei der im Text ausgesprochenen Ansicht beharren, daß Majorians Winterfeldzug nach Gallien in den ersten Monaten des Jahres 458 erfolgte. (Vergl. Dahn, Könige V, S. 85.)
Charakteristisch in diesem für Rikimers Stellung in der öffentlichen Meinung ist die Episode, welche Sidonius (v. 560–569) ihm, als des Kaisers Magister militum Darüber, daß diese Verse sich auf Rikimer, obwohl er nicht genannt ist, beziehen, sind die Forscher einverstanden. Unstreitig ernannte ihn Majorian gleich nach seiner Erhebung zum Magister militum, was derselbe erweislich noch im Jahre 460 war. (S. Clinton, fasti Rom. z. J. 460, Col. 3.) Jene Verse lauten:
Quantusquo magister
Militiae. Dignus cui cederet uni Sylla ade, genio Fablus, pietate Metellus, Appius eloquio, vi Fulvius, arte Camillus etc. |
Rikimer war eine politische Macht geworden.
Die weitere spezielle Geschichte von Majorians Regierung ist, nachdem uns nun auch Sidonius verläßt, unerforschlich. Aus letzterm (v. 447 u. f) ersehen wir nur noch, daß derselbe, neben dem Landheer, auch der Ausrüstung einer mächtigen Flotte, namentlich durch Neubau von Schiffen, unstreitig schon vom Jahre 457 an die tätigste Sorge zuwandte, da die römische Marine, die im Westen immer schwächer war als im Ostreich, unter Valentinian III. gänzlich heruntergekommen sein mochte.
Brauchen aber konnte er dieselbe nicht eher, als nachdem er mit Theoderich im Reinen war, den er bei einem Angriff auf Afrika nicht im Rücken lassen durfte.
Dies gelang ihm endlich im Jahre 459, wahrscheinlich erst gegen Ende desselben, nachdem er in vorausgegangenen Kämpfen, von denen wir nichts Näheres wissen, Sieger geblieben war, worauf endlich ein fester Friede mit den Westgoten folgte. (Idatius zum 3. J. Major.) A o. 3. Legati veniunt ad Gallaecos (wo Idatius lebte) nunciantes Mjorianum Aug. et Theodoricum regem firmissima inter se pacis jura sanxisse, Gothis in quodam certamine superatis.
Dasselbe bestätigt auch Priscus in dem wichtigen Fragmente 13, p. 156, nach welchem Majorian sowohl die Westgoten in Gallien sich zu Bundesgenossen machte als auch die anwohnenden Völker teils durch Verhandlung teils durch die Waffen unterwarf.
So hatte nun der tüchtige Mann den ersten Teil seiner großen Aufgabe glücklich vollbracht: er begab sich zum Beginn des zweiten im Mai 460 nach Spanien und zwar nach Victor Tununensis nach Saragossa, von da aber nach Karthagena, wo er gegen dreihundert Schiffe und ein Landheer zur Überfahrt nach Afrika versammelt hatte. Vergebens sandte der nun doch besorgt gewordene Gaiserich Friedensboten an ihn ab; Majorian wies das Anerbieten zurück (Idatius, Vict. Tun. u. Priscus a. a. O.), worauf jener Maurusien, wo die Landung von Spanien her zu erwarten war, in eine Wüste verwandelte und selbst die Brunnen verdarb.
Da traf des Kaisers Flotte plötzlich ein schwerer, in den Quellen leider fast unverständlich berichteter Idatius: aliquantas naves commoniti Vandali per proditores abripiunt. Unfall, indem die Vandalen durch Verrat einen Teil derselben ihm entrissen. Ob dies durch teilweise Zerstörung mittelst Brander geschah, was bei verräterischem Einverständnisse offenbar am leichtesten ausführbar gewesen und mit Idatius allenfalls vereinbar sein würde, oder ob der bestochene Führer einer Abteilung geradezu dieselbe den Vandalen in die Hände spielte, erfahren wir nicht, können jedoch an eine förmliche Seeschlacht kaum glauben (es war wohl nur überraschende Wegnahme D.).
Ob bei jenem Verrate Rikimer mit im Spiele war, wie Gibbon Kap. 36, N. 43 zu vermuten scheint, ist unerforschlich, aber nicht für undenkbar zu halten (gewiß undenkbar D.).
Dieses Vorteils unerachtet muß Gaiserich, der wohl Majorians Persönlichkeit fürchtete, neue Verhandlungen angeknüpft und diese zu einem Frieden zwischen beiden Herrschern geführt haben, worin der vandalische allen fernern Raubfahrten in Italien entsagte, wie wir dies aus Priscus (zweites Fragment, p. 218) ersehen, wonach jener (unstreitig nach Majorians Tode), an den abgeschlossenen Vertrag sich nicht bindend, seine Plünderungszüge erneuerte.
Da jede Gesandtschaft damals in der Regel durch eine Gegengesandtschaft erwidert wurde, so soll Majorian (nach Prokop, de b. Vand. I, 7, p. 341) eine solche benutzt haben, um unter fremdem Namen, selbst äußerlich verstellt, in Person nach Karthago zu gehen – ein so großes und dabei doch nutzloses Wagnis, daß es uns, wie auch Tillemont und Gibbon (Ohne Zweifel Sage. D.), ganz unglaublich dünkt.
Schon im Jahre 460 (Idatius) war der Kaiser gleich nach jenem Unfall aus Spanien nach Gallien zurückgekehrt.
Minder erheblich an sich mag jener Schlag doch zu seinem Sturze beigetragen haben. Ein Monarch, der den Kampf gegen eingewurzelte Mißbräuche beginnt, säet unendlichen Haß. Der Glanz einer großen und glücklichen Regierung wird diesen niederhalten: aus jedem Unglück des Verhaßten aber saugt er neue Nahrung.
Dazu mag Rikimer, dem ein solcher Kaiser nicht genehm war, weidlich geschürt haben.
Aus Idatius erfahren wir nun nichts weiter, als daß ersterer, von Neid und Eifersucht erfüllt und auf des Kaisers geheime Feinde sich stützend, diesen auf dem Wege von Gallien nach Rom hinterlistig umgarnt und getötet habe.
Noch kürzer sind die übrigen Chronisten, aus denen wir nur noch den Ort, Tortona in Piemont, wie aus dem Unbekannten die Zeit des Ereignisses erfahren, indem Majorian nach Letzterm am 2. August 461 abdizieren mußte und am 7. getötet ward.
Ausführlicher dagegen berichtet Johannes Antiochenus (s. oben) Fr. 203: Derselbe habe den Krieg wider Gaiserich unter nicht würdigen Bedingungen aufgegeben und sei hiernach auf dem Rückwege nach Rom in Italien von Rikimer angegriffen worden.
Da habe der Kaiser die Fremdtruppen (σύμμαχοι) fortgeschickt und sei mit den Einheimischen (οικείοις) weiter nach Rom gezogen, Rikimer aber habe ihn gefangen genommen und töten lassen.
Diese Angabe läßt sich mit der unzweifelhaften Nachricht, daß Majorian bei Tortona fiel, wohl vereinigen, und ist dadurch wichtig, daß sie vielleicht die eigentliche Ursache (? D.) des Sturzes sowohl des Herrschers als des seines Reiches, der ihm ja bald folgte, andeutet: – die Parteiung zwischen Barbaren und Römern im Lande, über welche erstere Rikimer schaltete.
Wir wissen zu wenig von dem jedenfalls sehr tüchtigen Kaiser, um mit Sicherheit über ihn zu urteilen; gewiß nur, daß der Boden, auf welchem ein großer Regent noch groß wirken konnte, damals für Rom nicht mehr vorhanden war. Nur von dessen wohlwollendem und liebenswürdigem Wesen gibt uns Sidonius (elfter Brief des I. Buches) Kunde.
An Majorians Stelle ward nach einigen Monaten Severus, aus Lucanien gebürtig, durch Rikimer bei Ravenna erhoben, vom Senate, der keinen Widerstand wagte, bestätigt und auch von Leo, wenngleich wohl erst später, anerkannt – ein Mann unstreitig nach jenes Allmächtigen Herzen, weil er ihn völlig leiten konnte. Dies ergeben zwar nicht die Quellen, die überhaupt fast nichts direkt von Severus sagen, es ist jedoch aus deren Stillschweigen und der Art und Weise der Erwähnung Rikimers in denselben während dieser Regierung abzunehmen. Doch scheint uns Gibbon (Kap. 30 vor Note 57) dessen gänzliche Nullität zu übertreiben.
Je geringer aber die Leistungen des Herrschers, um so größer die Leiden des Reichs während dessen Regierung.
Sogleich erneuerte Gaiserich, der den Frieden durch Majorians Tod für aufgehoben ansah, jene furchtbaren Raubzüge, die bis tief in das Land hinein ganze Provinzen verheerten, deren Abwehr auch, weil man weder den Auslauf der Flotten noch die Landungspunkte vorher kannte, meist unmöglich war. Dabei wurden die festen Plätze, vor denen man sich nicht aufhielt, verschont, alle offenen Orte aber fast mit dem gründlichsten Handwerksgeschick ausgeraubt. Was aus Majorians doch gewiß zum Teil erhaltenen Schiffen geworden, erfährt man nicht; möglich, daß sie in den spanischen und gallischen Häfen von den dortigen Machthabern zurückgehalten wurden.
Noch gab es nämlich Männer im Reiche, in denen ein Römerherz schlug, die daher, über Rikimers Tyrannei (Die Beurteilung Rikimers ist wohl zu ungünstig; die Erhebung des Aegidius ist spezifisch gallisch. D.) empört, sich ihr nicht unterwerfen wollten. Dahin gehörte vor allen Aegidius, aus dem westlichen Gallien stammend, der an der Spitze eines starken Heeres, meist gewiß Söldner, als Kriegsgefährte Majorians dessen Ermordung zu rächen brannte. Wir vermuten – denn unser Wissen von diesem merkwürdigen Manne ist leider höchst unvollständig – daß derselbe, bevor er, anscheinend von Majorian, zum Magister militum ernannt wurde, wo nicht schon von Aëtius, doch mindestens von Avitus her, in dem nördlichen Teile Galliens, dessen Hauptplatz Soissons war, befehligte.
Dort muß er den benachbarten salischen Franken so viel Achtung und Vertrauen eingeflößt haben, daß sie sich, nach Vertreibung ihres nach Thüringen geflohenen Königs Childerich, freiwillig dessen Oberherrlichkeit unmittelbar unterwarfen, während dieselbe bis dahin nur jene über alle Föderierte nominell beanspruchte gewesen sein kann. (Gregor v. Tours II, 12.)
Aegidius wollte nun von der Provinz (Arles) aus, wo er als Magister militum sein Hauptquartier genommen hatte, gegen den Tyrannen über die Alpen ziehen, als die Westgoten, unzweifelhaft durch Rikimer dazu aufgewiegelt, ihn mit Krieg bedrängten, in dessen heißem Verlaufe er sich durch Großtaten glänzend auszeichnete. (Priscus, Fr. 14, 1, p. 106.) Zunächst erlitt das Reich jedoch einen schweren Verlust dadurch, daß der von Haß gegen Aegidius erfüllte Agrippinus Tillemont VI, 2, l'emp. Severè z. J. 462 berichtet aus dem Leben des heiligen Lupicinus (Bolland, 21. März), daß derselbe Agrippin früher von Aegidius als verdächtig beschuldigt, nach Rom gebracht, zum Tode verurteilt, durch ein Wunder entwichen, darauf aber sich freiwillig stellend frei gesprochen worden sei. Dies ließe sich mit Idatius, kaum aber mit dem von Priscus berichteten Verhältnisse des Aegius zu Rikimer und Sever vereinigen. Indes könnte die Anklage dem Thronwechsel vorausgegangen sein. Narbonne, einen Schlüssel zu Spanien und Gallien, den Westgoten verräterisch überlieferte. (Idatius Sever. 3.) Theoderich operierte nun nicht allein im Süden, wo er wenig ausgerichtet zu haben scheint, sondern auch im Norden durch seinen Bruder Friedrich wider Aegidius, dem er wahrscheinlich Orleans zu entreißen suchte. Der Feldherr aber eilte sogleich dahin, belagerte zunächst das von den Goten eroberte feste Schloß Chinon (castrum Chinonense), mußte aber, da ein angebliches Wunder der schon auf das Äußerste bedrängten Besatzung Rettung brachte, wieder abziehen. Friedrich rückte ihm nach, worauf es zwischen der Loire und dem Loiret zu einer Hauptschlacht kam, in welcher die Goten eine große Niederlage erlitten und deren Anführer selbst fiel. (Idatius a. a. O. Marius, Chron. z. J. 463 Idat. z. J. 6 Leos: Adversus Aegidium comitem utriusque militiae, virum, ut fama commendat, deo bonis operibus complacentem, in Aremoricana provincia Fredericus frater Theodorici regis insurgens cum his, cum quibus fuerat, superatis occiditur. – Marii Chronic, ad ann. 463: Pugua facta est inter Aegidium et Gothos inter Ligere et Ligericino juxta Aurelianis ibique interfectus est Fredericus rex Gothorum. (Dahn, Könige V, S. 87.) und Gregor von Tours, de gloria confess. c. 22.)
Unermüdet verfolgte Aegidius seinen Zweck, indem er im Mai 464 sogar an Gaiserich, vermutlich um ihn zum Kriege wider die Westgoten zu bewegen, Gesandte schickte, als sein Heldenlauf plötzlich beendigt ward und zwar, wie Idatius sagt, nach einigen durch Gift, nach andern durch sonstige Hinterlist, deren Urheber wir gewiß nicht in Theoderich, sondern in Rikimer vermuten dürfen. Er hinterließ in Syagrius einen wackern, wenn auch den Vater nicht erreichenden Sohn.
Die Frucht seines Todes aber ernteten die Westgoten, die sich sogleich eines Teils des römischen Gebiets bemächtigten.
Aber nicht allein der Westen, auch der äußerste Osten des Reichs unterwarf sich Rikimer nicht. Hier waltete als Befehlshaber in Dalmatien der schon oben erwähnte Marcellin. Heide seines Glaubens, aber nach Suidas ausgezeichnet durch Geist, Kraft und Kriegstüchtigkeit, scheint derselbe nach des Avitus Sturz Majorian als einen würdigen Herrscher und alten Kriegskameraden, wiewohl unter Vorbehalt seiner an sich ziemlich unabhängigen Stellung in Dalmatien, wieder anerkannt zu haben. Daß er aber nach dessen Tode gegen Sever oder vielmehr Rikimer entschieden feindlich aufgetreten sein muß, setzt Priscus (I, 13, p. 157) außer Zweifel, wonach dieselben Kaiser Leo durch eine Gesandtschaft ersuchten, den Frieden sowohl mit Marcellin als mit den Vandalen für sie zu vermitteln, was auch insoweit geglückt sei, als ersterer die weströmischen Machthaber nicht anzugreifen versprochen habe.
Dagegen schiffte Marcellin, unstreitig mit der bereits oben angedeuteten Nebenabsicht, wieder nach Sizilien, woraus er die Vandalen im Jahre 464 nach deren merklicher Niederlage vertrieb. (Idat. z. J. 7 Leos. Vandali per Ilarcellinum in Sicilia caesi effugantur ex ea., Tillemont irrt offenbar, wenn er Marcellins Vertreibung aus Sizilien durch Rikimer mittelst Verleitung der Truppen desselben zum Abfall, von welcher Priscus (2. Fr. 10, p. 218) handelt, erst in die Zeit nach Majorians Tod setzt. Auf diese Zeit bezieht sich allerdings in der Hauptsache das gedachte Bruchstück, wie dessen erste Zeilen ergeben, dasselbe sagt aber Z. 4, Gaiserich habe Truppen dahin geschickt, nachdem Marcellin, der die Insel früher geschützt hatte, sie vorher verlassen habe (Μαρκελλίου ήρη πρότερον τη̃ς νη̃σου αναχωρήσαντος), indem er durch Rikimers Intrige daraus vertrieben worden sei. Jenes vorher kann sich aber nur auf das Jahr 456 beziehen, in welchem Rikimer, nach den im Texte angeführten Zeugnissen des Priscus und Idatius, von Avitus nach Sizilien geschickt wurde, das er aber bald wieder verließ (S. 280). Die zweite Anwesenheit Marcellius auf der Insel, die wir im Texte zu erklären versucht haben, hat daher mit jener frühern gar nichts gemein. Derselbe muß sich, nach Idatius, spätestens im Jahre 464 dahin begeben haben, in welchem er die Vandalen dort schlug. (Vergl. Dahn, Könige I, S. 158.))
Nicht so glücklich waren die Beherrscher Italiens, welche die Vandalennot unablässig heimsuchte, da weder Rikimers eigne Gesandtschaften (der hier mit Übergehung Severs von Priscus p. 218 ausdrücklich als Absender angeführt wird) noch die Vermittlung Ostroms irgend etwas fruchteten. Mit letzterm muß übrigens Gaiserich, als er die Kaiserin Eudoxia mit ihrer noch unvermählten Tochter Placidia im Jahre 462 gegen Empfang eines Teils von Valentinians Nachlaß für seine Schwiegertochter Eudokia nach Konstantinopel zurücksandte (Idatius z. J. 6 Leos und Priscus 1, Fr. 14, p. 157), Frieden geschlossen haben. Dahn, Könige I, S. 157 f.
Damit schwand denn für Westrom die letzte Hoffnung auf Hilfe durch Kaiser Leos Flotte und da es selbst keine solche mehr hatte, Gaiserichs Forderungen weder erfüllen konnte noch wollte – die in nichts Geringerm bestanden – als in Valentinians Erbe für seine Schwiegertochter Eudokia, des Aëtius Vermögen für sich, als Herr von dessen Sohn Gaudentius, und zuletzt noch in Abtretung des Throns an Olybrius, seines Sohnes Schwager, als Gemahl Placidiens, Valentinians zweiter Tochter – so blieb das unglückliche Italien rettungslos den unablässigen Raubfahrten des furchtbaren Piraten ausgesetzt.
Von Rikimer wird nur eine Waffentat aus dem Jahre 464 berichtet, in welcher er den Alanenkönig Beorgor, der mit einer Raubschar über die Alpen gedrungen war, bei Bergamo schlug und tötete. (Der unbekannte Chronist, Marcellin, Cassiodor und Jordanis Kap. 45, der dies Ereignis jedoch, offenbar irrtümlich, unter des Anthemius Regierung setzt.)
Nach Gregor von Tours muß man annehmen, daß ein Alanenfürst an der Loire, von Aegidius gegen Rikimer aufgewiegelt und unterstützt, jenen Zug durch Gallien und Rätien ausgeführt habe (wie dies auch Aschbach S. 142 vermutet). Siehe aber Dahn, Könige I, S. 265.
Im Jahre 465 am 14. September oder 13. November endete Severs Schattenregiment und zwar, wie Cassiodor, der nun bald als Zeitgenosse zu betrachten ist, in seiner Chronik sagt, angeblich (ut dicitur) durch Rikimers Hinterlist an Gift. Dies meldet freilich keine der übrigen Quellen (der Unbekannte, Marcellin, Chron. Paul. Diaconus XVI und Jord. Kap. 45), während Sidonius Apoll. (Carm. II, v. 317) ihn sogar ausdrücklich eines natürlichen Todes sterben läßt, was jedoch nichts beweist, da der Poet in einem Lobgedicht auf dessen Nachfolger, Rikimers Schwiegervater, von des Vorgängers angeblicher Vergiftung, die selbstredend nicht festgestellt wurde, nichts erwähnen konnte.
Die Wahrheit ist unerforschlich, dem Kaisermacher und -vernichter aber auch dies Verbrechen zuzutrauen.
Die Regierung des erledigten Westreichs ging staatsrechtlich auf Kaiser Leo über, der auch außerhalb Italiens gewiß anerkannt wurde. In diesem Land aber große Verlegenheit Rikimers. Der Versuch mit dem Schattenkaiser war gänzlich mißlungen; die Not wuchs immer mehr. Wo anders eine Hilfe gegen Gaiserich zu finden, als bei dem Ostreiche, das noch eine Marine besaß und eine stärkere schaffen konnte, dessen Kaiser gewiß auch für das Westreich noch ein Herz und Pflichtgefühl hatte.
Diese Sachlage förderte und bedingte beinahe eine Vereinigung zwischen Leo und Rikimer. Am Hofe zu Konstantinopel lebte damals ein Schwiegersohn Marcians (Sidon. Apoll., Carm. II, v. 194–197), der Konsular und Patrizier Anthemius, aus dem Hause jenes den Konstantiern verwandten Prokop (der den Thron zur Zeit von Valentinian I. und Valens usurpiert hatte; s. Bd. I), der sich auch persönlich durch Staats- und Kriegserfahrung zur höchsten Gewalt empfahl.
Dies war ein auch für das Ostreich möglicher Prätendent, welchen Kaiser Leo vielleicht lieber in Rom regieren als zu Konstantinopel in seiner Nähe sah, während Rikimers Einwilligung zu dessen Erhebung durch die ihm versprochene Hand von des Anthemius Tochter erlangt wurde.
Die Verhandlungen müssen aber lange gedauert haben, da Anthemius, von Konstantinopel gesandt, erst am 3. April 467, also gegen anderthalb Jahre nach Severs Tode zu oder bei Rom feierlich zum Kaiser erklärt ward.
Gegen Ende des Jahres fand die Vermählung seiner Tochter, die Sidonius (v. 482) Euphemia, Johannes Antiochenus aber Alupia nennt, mit Rikimer statt, welcher der nach Rom berufene Sidonius beiwohnte: er hielt daselbst am 1. Januar 468 zur Feier des kaiserlichen Konsulatantritts das Lobgedicht. Pan. II. Von historischem Interesse darin ist nur die Besiegung der von Hormidax befehligten Hunnen durch Anthemius, v. 239–306, welche Thierry T. II, Kap. 1 in das Jahr 466 setzt. Anziehend ist die poetisch übertreibende Beschreibung der Hunnen v. 245–265, die im Wesentlichen mit der Ammians übereinstimmt. Deren vom scheußlichen Kopfe überragten Körper nennt Sidonius wohlgebildet, nur dessen obern Teil im Verhältnis der kurzen Beine auffallend lang.
Als geheimen Artikel der Verständigung der Machthaber müssen wir den großartigen Feldzug wider Gaiserich betrachten, der nach Priscus (2, 13, p. 221) demselben, wenn er sich nicht zum Frieden bequeme, gleich bei der Anzeige von des Anthemius Thronbesteigung angekündigt und im Jahre 468 ausgeführt, schon oben (vergl. Dahn, Könige I, S. 158) von uns berichtet ward.
Trefflich angelegt und glücklich begonnen scheiterte derselbe an der Untüchtigkeit des oströmischen Feldherrn Basiliscus.
Westrom wirkte dabei durch den tapfern Marcellin mit, der sich Anthemius unterworfen hatte und die Vandalen aus Sardinien vertrieb (Prokop, d. b. Vand. I, 6, p. 337), später aber im Monat August in Sizilien, nach Prokop, p. 339 und Marcellins Chron., durch Hinterlist der römischen Generale, deren Anstifter solchesfalls leicht zu erraten ist, ermordet ward.
Anthemius wollte im Verlauf seiner Regierung unzweifelhaft seine Pflicht erfüllen, daher Rikimers Übergriffe und Intrigen nicht dulden. Hieraus entsprang bitteres Zerwürfnis, das schon im Jahr 469 Die Jahreszahl steht nicht unmittelbar fest, beruht jedoch auf wohlbegründet erscheinenden Folgerungen Tillemonts VI, 2. Anthem. Art. 6 zu Anfang. einem blutigen Ausbruche nahe schien. Da warf sich der ligurische Adel zu Rikimers Füßen und bat um Frieden, zu dessen Vermittlung der fromme, erst im Jahr 467 oder 468 ernannte Bischof von Pavia, Epiphanius, vorgeschlagen ward. (Ennodius, vita B. Epiphanii, Paris 1611, p. 367–370 und 373.) Darauf ging Rikimer ein und Epiphanius begab sich nach Rom, wo ihm der Kaiser erwiderte: »Wieviel Wohltaten habe ich nicht an diesen bepelzten Goten (pellito Getae) verschwendet, dem ich sogar, das eigne Blut dem Gemeinwohl nachsetzend, meine Tochter gegeben habe. Was ich aber auch für ihn getan – das alles hat ihn nur noch mehr gegen seinen Wohltäter erbittert. Wieviel Kriege hat er nicht gegen das Reich angeschürt, wie oft den Feinden Vorschub geleistet und, wo er nicht mehr offen schaden konnte, im Geheimen gewühlt! Gleichwohl will ich, wenn du als Vermittler und Bürge für ihn auftrittst, im Vertrauen, daß du als Gewissensrat auf ihn wirken kannst, den auch von dir erbetenen Frieden nicht versagen.« (Ennodius a. a. O., p. 377/8.)
So ward das Verträgnis, für den Augenblick wenigstens, scheinbar wieder hergestellt.
Der Schauplatz von Rikimers geheimen Umtrieben mag Gallien gewesen sein, dessen Präfekt Arvandus, in demselben Jahre 469 einer staatsgefährlichen Korrespondenz mit den Westgoten und Burgundern überführt, zum Tode verurteilt, jedoch zu Verbannung begnadigt ward. (Cassiodor Chron.) Daß derselbe nach seiner Verhaftung nicht zu Lande, sondern über See nach Rom gebracht ward (Sidonius Ap. ep. V, 1) läßt vermuten, daß man dabei den Bereich von Rikimers Gewalt, der in der Lombardei seinen Sitz hatte, umgehen wollte, wie es denn auch kaum glaublich ist, daß Arvandus ohne Anlehnung an diesen mächtigen Mitwisser (? D.) jene Schritte gewagt habe.
Gleichen Verrat, wohl unter gleicher Voraussetzung nebst größtem Mißbrauche der Amtsgewalt, muß der von Sidonius (II, ep. 1, V, 13 und VII, 7) erwähnte Seronatus, der eine Zeit lang als Präfekt Galliens auch in der Auvergne befehligte, getrieben haben, weshalb er im Jahr 470 die Todesstrafe erlitt.
In demselben Jahre 470 endlich schlug die von mehreren Seiten her angeschürte Kriegsflamme in Gallien mächtig auf, deren für Rom so verderbliche Wirkungen im folgenden Kapitel zu berichten sind. Dabei standen die Burgunder mit den Römern wider die Westgoten.
Ob auch der Hochverratsprozeß und die Todesstrafe, welche im Jahre 470 über den Patrizier Romanus Vielleicht derselbe, den Priscus im Jahre 449 als Mitgesandten Westroms bei Attila traf. verhängt wurden, mit Rikimers Intrigen mehr oder minder zusammenhingen, vermögen wir nicht zu übersehen. (Cassiodor Chron. und Historia miscella XVI, p. 554.)
Gewiß aber, daß der Parteikampf zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn, von denen ersterer in Rom, letzterer in Mailand Das wissen wir vom Jahre 469 aus Ennodius vit. Epiph., es ist aber vorauszusetzen, daß er in der dortigen alten Residenz auch ferner seinen Sitz behielt. Daher muß, nach der Vernichtung des frühern Königs Gundicar oder Günther mit seinem Geschlechte, wie diese Prosper Aquitanus bestimmt versichert, eine fremde Dynastie, unstreitig unter römischer Mitwirkung zur Herrschaft über dies Volk gelangt sein, was sich durch weibliche Verwandtschaft erklären läßt. Für diese Annahme hat Waitz in der oben angeführten Abhandlung auch aus dem Gesetz der Burgunder III. gewichtige Gründe angeführt. Gundobads Vater, Gundeuch, der seine Stellung wohl durch Heirat zu befestigen suchte, muß hiernach mit einer, dem suebischen und westgotischen Königshause angehörenden, Schwester Rikimers vermählt gewesen sein. (Vergl. auch Tillemont VI, 2, Anthemius, Art. 9; aber auch Binding I, S. 305. D.) seinen Hof hatte, das ganze damalige Staatsleben durchdrang.
Die Krise war längst drohend, ward aber doch noch bis zum Jahre 472 hingehalten. Über deren Verlauf war früher die Historia miscella die einzige Quelle, neuerlich ist nun aber auch noch Johannes von Antiochien (Fragment 209) hinzugekommen.
Beide stimmen darin überein, daß der Angriff von Rikimer, unstreitig in den ersten Monaten des Jahres 472, ausging. Derselbe muß ohne Widerstand bis Rom vorgerückt sein, wo er sich des rechten Tiberufers mit dem Janiculus und Vatikan bemächtigte, auch den Fluß selbst beherrschte.
Auf seiner Seite stand die Masse der ihm stammverwandten Barbaren (τω̃ν οικείων βαρβάρων πλη̃θος), für den Kaiser war das Volk und der ganze Adel (εντέλοι).
Anthemius hielt sich (Hist. misc. XVI, p. 555) besonders durch die von Billimer, Rektor Galliens, ihm zugeführte Hilfe. Dieser scheint angreifend über die jetzige Engelsbrücke vorgedrungen zu sein, ward aber geschlagen und fiel.
Das entschied des Anthemius Schicksal; Rikimer nahm die jenseitige Stadt ein, der Kaiser geriet in seine Gewalt und ward sogleich getötet.
Damit läßt sich auch Johannes Antiochenus wohl vereinigen, welcher zwar nicht Billimers, wohl aber einer Schlacht gedenkt, in welcher ein großer Teil von des Anthemius Heer geblieben, der Rest aber von Rikimer durch List gewonnen worden sei. Der Kaiser sei noch entflohen, aber eingeholt und ihm von Gondubad, Rikimers Verwandtem, der Kopf abgeschnitten worden. Fünf Monate habe der Kampf gedauert, bis er durch das Weichen und den Abfall der kaiserlichen Truppen entschieden worden sei.
Würdig und tapfer der Widerstand; es war der letzte Kampf zwischen Römern und Barbaren; aber ein vergebliches Aufflackern des alten Geistes, dessen Erlöschen und Untergang für immer um diese Zeit schon vorbestimmt war.
Kommen hierin unsre Quellen annähernd überein, so gehen sie zwar nicht über die Person, aber doch über die Art und Weise der Erhebung von des Anthemius Nachfolger etwas auseinander.
Kein Zweifel, daß über die Wahl des Olybrius, des Gemahls von Valentinians jüngster Tochter Placidia und Schwagers des vandalischen Kronprinzen Hunimund, volles Einverständnis zwischen Kaiser Leo und Rikimer stattfand.
Hatte doch Gaiserich dessen Ernennung bereits früher wiederholt gefordert und dadurch die Hoffnung begründet, unter diesem Herrscher endlich sich zu dem Frieden bereit zu erklären, dessen das unglückliche Italien so dringend bedurfte.
Nach der Historia miscella aber soll derselbe, von Leo gesandt, noch bei des Anthemius Leben die höchste Gewalt angenommen haben, wogegen Johannes Antiochenus nach jenes Tode Rikimer zuvörderst das Andenken seines Schwiegervaters durch kaiserliche Bestattung ehren und darauf erst Olybrius erheben läßt. Indes wird die Angabe der Hist. misc. dadurch unterstützt, daß Olybrius nach dem unbekannten Chronisten schon am 22. Oktober desselben Jahres eines natürlichen Todes und zwar nach allen übrigen Chroniken im siebenten Monate seiner Regierung starb, also spätestens vor dem 22. April bereits zum Kaiser erklärt worden sein muß. Wir sind jedoch überzeugt, daß dies zunächst nur Eigenmacht Rikimers und Usurpation war, welche später erst durch die nach des Anthemius Tode erteilte förmliche Anerkennung Kaiser Leos legale Bestätigung erhielt, wodurch dessen früheres Einverständnis über die Person nicht ausgeschlossen wird.
Von hoher Wichtigkeit für die Folgezeit wird aber das gedachte Bruchstück des Antiochenus dadurch, daß es zuerst des Odovakar als Rikimers Streitgenossen und dessen Abkunft erwähnt, worauf wir bald zurückkommen werden.
Die Tat war vollbracht, der Täter Rikimer aber erfreute sich deren nicht, da er schon neununddreißig Tage nach seines Schwiegervaters Tötung an Krankheit selbst verschied.
Die Geschichte beklagt, daß ihr für die Charakteristik dieses merkwürdigen Mannes alle Quellen abgehen.
Rikimer war tot: aber seine Partei lebte noch, und Olybrius, ihr Geschöpf, mußte sich ihr dadurch verpflichten, daß er den Burgunder Gundobad, des Verstorbenen Neffen – wiederum ein vornehmer Barbar in römischem Dienste – durch dessen Ernennung zum Patricius als deren neues Haupt anerkannte und bestätigte, worauf er, wie bereits bemerkt ward, bald verstarb.
Wiederum unterzog sich Kaiser Leo der Besetzung des erledigten Throns, für den er den Neffen des verdienten Marcellin, Julius Nepos, bestimmt hatte, der als Erbe der fast selbständigen Macht seines Onkels in Dalmatien und Gemahl einer Nichte des Kaisers dazu wohl geeignet erschien. Wahrscheinlich suchte er auch Gundobads Einverständnis zu erlangen, der aber, abgeneigt oder ungeduldig, die Verhandlung abbrach und am 5. März 473 mit Zustimmung des Heeres den Glycerius, einen seiner in der Garde (doch wohl als Offizier) dienenden Krieger (domesticus) mit dem Purpur bekleidete.
Von dessen Regierung erfahren wir fast nur deren kurze Dauer. Gundobad, der ihm wohl die Ergebenheit des Heeres verbürgte, mag nach seines Vaters Tode zu Erstrebung der Königsgewalt im Vaterlande dahin zurückgekehrt sein. (Greg. v. T. a. a. O.) Das ermunterte wohl Leo und Nepos, den verlassenen Glycerius im Jahre 474 anzugreifen. Nepos landete mit einer Flotte bei Ostia, worauf Glycerius des Thrones entsetzt und zum Bischof in Salona ernannt ward, was uns mehr auf Vertrag als auf Besiegung schließen läßt. (Cassiodor, Marcellin, Marius, Jordanis, Kap. 45, derselbe de regn. p. 708 und Historia miscella XVI, p. 556.)
Die dringendste Gefahr für das Reich war um diese Zeit, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, der Westgotenkönig Eurich, der sich nun auch noch der bisher mit Erfolg verteidigten Auvergne mit der Hauptstadt Clermont (in Aquitania prima) zu bemächtigen suchte.
Um nun wenigstens noch den östlich der Rhone gelegenen Teil Galliens zu retten, schloß Nepos durch den uns schon bekannten Bischof Epiphanius von Pavia Friede mit Eurich S. Eunodius, v. B. Epiphanii, p. 381–385. Es ist nicht ganz klar, um welchen Landstrich es sich damals handelte. Doch vermuten wir um das linke Rhoneufer, jedenfalls um ein ursprünglich zu Gallien gehörendes Gebiet auf der Westseite der Alpen. (Vergl. aber Dahn V, S. 95.) Bei dieser Verhandlung scheint Eurichs Minister Leo, ein Römer, Epiphanius unterstützt zu haben. und berief den tapfern und treuen Feldherrn Ecdicius, den Sohn des Kaisers Avitus, aus Gallien zu sich, indem er an dessen Statt Orestes als Magister militum in den bei Rom noch verbliebenen Teil Galliens sandte.
Dieser uns schon aus dem Leben Attilas bekannte Mann hatte nach dessen Tode und seiner Söhne Fall in Rom wiederum sein Glück gesucht, auch bei seiner unverkennbaren Tüchtigkeit gefunden, da er zuletzt, wohl erst durch Nepos, zum Patricius erhoben worden war. Auch mag er den Barbaren, unter denen er so lange gelebt und deren Sprache er kundig war, genehm gewesen sein.
Der hierin wurzelnden Macht aber sich bewußt wollte er nicht dienen, sondern herrschen, rückte daher, anstatt sich nach Gallien zu begeben, mit dem Heere, wohl unter dem Scheine des Friedens, in Ravenna ein, worauf Nepos, die Absicht merkend, zu Schiff nach Dalmatien entfloh.
Orest zog die eigentlich schon seit Majorians Tode gewissermaßen bestandene Teilung der Gewalt zwischen einem Zivil- und einem Militärherrscher der Vereinigung derselben in seiner Person vor, ernannte daher seinen noch ganz jugendlichen Sohn Romulus Augustus zum Kaiser, der merkwürdiger Weise die Namen der ersten Gründer sowohl der Stadt als des Kaiserreichs in sich vereinte, von welchen der Letzte jedoch, der Unreife des Trägers halber, in das Diminutiv Augustulus verwandelt wurde.
Unbestritten war nun die faktische Herrschaft der Barbaren im Lande, worin sie unter dem wohlklingenden Namen von Mitstreitern (σύμμαχοι) eine fast tyrannische Gewalt ausübten. Prokop, d. b. G. I. zu Anf.: ‘Όσω τε τὰ τω̃ν βαρβάρων εν αυτοι̃ς ήκαμασε, τοσούτω τὸ τω̃ν ‘Ρωμαίων στρατιωτω̃ν αξίωμα ήδη υπέληψε, καὶ τω̃ ευπρεπει̃ τη̃ς συμμαχίας ονόματι πρὸς τω̃ν επηλύδων τυραννούμενοι εβιάσοντο.
Eines nur fehlte ihnen: der eigne Herd. Frauen und Kinder waren, wie wir vom Jahre 408 wissen, in den Garnisonen der Männer oder deren Nähe untergebracht: und mochten auch seit dieser Zeit einzelne bleibende Wohnstätte und Eigentum sich erworben haben, so entbehrte doch die Masse sicherlich dessen. Da mußte besonders das Beispiel der Stammgenossen im Reiche, namentlich der Vandalen, Westgoten und Burgunder reizen, welche überall einen größern oder kleinern Teil des Grund und Bodens an sich gerissen hatten. Allerdings hatten diese auch ihre Nationalität bewahrt, während jene römischen Söldner – ein Gemisch aus allen germanischen Stämmen, großenteils West- und Ostgoten, aber auch Alanen, Vandalen, Sueben, Burgunder, Gepiden, Taifalen, Skiren, Heruler, Rugier u. a. m., ja selbst Hunnen und Sarmaten – in Sitte, Tracht und allem Äußerlichen wohl um so mehr romanisiert waren, da manche derselben wohl bereits im Lande geboren waren. Dies dürfte besonders von den schon zu Stilichos Zeit angeworbenen Goten gelten, während die Skiren, Rugier und Heruler vorzüglich erst nach Attilas Fall aus den germanischen Trümmern des Hunnenheeres hervor und in römischen Dienst getreten zu sein scheinen.
All diese wirre Masse aber vereinigte sich in dem einen Gefühle ihrer Besitzlosigkeit bei überwiegender Kraft und Macht, den Latifundien und der Schwäche der Römer gegenüber. Was Wunder, daß sich dies endlich in dem Verlangen der Abtretung eines Dritteils aller Ländereien Italiens Luft machte. (Dies Verlangen war übrigens keineswegs aus den Wolken gefallen, sondern nur folgerichtige Steigerung früher den Germanen gewährter Ansprüche; s. die Einleitung. D.) Orestes aber hatte, wenn auch unter Barbaren groß geworden, noch ein römisches Herz, das sich von solchem Gewaltstreich abwandte. Die Weigerung ward der Grund seines Sturzes. Der Söldnerhaufe suchte ein neues, ebenso tüchtiges als ihm willfähriges Parteihaupt und fand dies in der Person des weltgeschichtlichen Odovakar.
Derselbe war seines Stammes nach Jordanis (de regn. Succ.) ein Rugier, nach dem glaubhaftem Johannes von Antiochien (Fr. 209) aber ein Skire γένος ων τω̃ν προσαγορευμένων Σκίρων., Sohn des Aedeco (Anon. Valesius) oder Idico (Johann. Ant.) und Bruder (nach letzterem) des Onoulf. In der betreffenden Stelle des Johannes von Antiochien hat sich eine sinnentstellende Interpunktion eingeschlichen. Dieselbe lautet:
’Οδόακρος etc. καὶ αδελφὸς ’Ονούλφου καὶ ’Αρματίου, σομοφύλακός τε καὶ σφαγέως γενομένου.
Hiernach würde es heißen: »Odovakar sei der Bruder des Onoulf und Armatius, auch Leibwächter und Mörder (man weiß nicht von wem?) geworden,« während der Sinn vielmehr der ist: »Odovakar sei Onoulfs Bruder gewesen, welcher letztere sowohl der Leibwächter, als der Mörder des Armatius (Zenos mächtiger Feldherr und scheinbarer Günstling) geworden sei,« eine Tatsache, die nach den Quellen, besonders Suidas unter Arm. und Malalas zweifellos feststeht. (Vergl. Tillemont IV, 3. Zeno, At 10.) Dieser richtige Sinn wird nun auch sogleich hergestellt, wenn man nur das Komma nach Armatius entfernt und hinter Onoulf setzt.
Ob der als Attilas Gesandter im Jahre 448/ 9 uns bekannte Edeco dessen Vater war, ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen, aber höchst wahrscheinlich, mindestens die geringe Verschiedenheit der Schreibart der Namen dawider nicht anzuführen, weil letztere bei Barbaren fast nie völlig gleichlautend in den Quellen wiedergegeben werden. Daß jener Edeco wenigstens kein Hunne, sondern ein Germane war, glauben wir a. a. O. ausgeführt zu haben.Mutmaßlich war er aber auch derselbe Edeco, den Jordanis Kap. 54 nebst Hunnulf (vielleicht dessen Sohn Onulf) in der Zeit von etwa 470 bis 471 Die Berechnung ist unsicher. Die von Jordanis Kap. 55 berichtete Niederlage der Sueben und Alemannen fällt in die Zeit, wo Theoderich das achtzehnte Jahr erreichte, also, da dieser nach Kap. 52 im Jahre 454 oder 465 geboren ward, in das Jahr 472 oder 473. Da nun jetzt nur eine nachträgliche Ahndung des Angriffskrieges dieses mit den Skiren verbündeten Volkes gegen die Goten gewesen zu sein scheint, es im vorhergehenden Kapitel berichtet wird, so können wir letztern, bei dem die Skiren eine so schwere Niederlage erlitten, füglich auf das Jahr 470 oder 471 setzen. (S. aber Dahn, Könige V, S. 64.) als einen der Führer oder Fürsten (primates) der Skiren aufführt.
Da Priscus (p. 171) dessen Auszeichnung in Attilas Kriegen von 434 bis 447 gedenkt, so scheint derselbe im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts geboren zu sein, daher bei Attilas Tode 453 kaum schon einen erwachsenen Sohn gehabt zu haben.
Hiernach ist zu vermuten, daß Odovakar noch als Kind seinem Vater folgte, nach der letzten schweren Niederlage aber, welche die mit den Sueben und Sarmaten verbündeten Skiren nach Jordanis, Kap. 55 durch die Goten erlitten (s. weiter unten), wobei er vielleicht den Vater verlor, entweder gar nicht in die Heimat zurückkehrte oder dieselbe hoffnungslos, vielleicht sogar angefeindet, wo nicht gar vertrieben, wieder verließ, um im Auslande sein Glück zu suchen.
Dies wird um so wahrscheinlicher, weil auch dessen Bruder Onoulf, arm und verlassen, von dem oströmischen Feldherrn Armatus aufgenommen und mit Wohltaten überhäuft worden war, was er diesem freilich durch dessen im Jahre 477 auf Antrieb des Kaisers Zeno vollzogene Ermordung schlecht vergalt (S. Suidas s. v. ’Αρμάτος)
Aus dem von Eugippius, dem Schüler St. Severins, im Jahre 511 geschriebenen Leben dieses Heiligen, der im östlichen Noricum unfern Pannonien an oder in der Nähe der Donau wohnte (Kap. 6 und 7), ersehen wir nun, daß einige nach Italien ziehende, also über diesen Fluß gekommene Barbaren den frommen, im Rufe der Wundertätigkeit stehenden Mann zu Erbittung seines Segens aufsuchten.
Darunter befand sich auch Odovakar, ein Jüngling von hoher Gestalt in höchst unansehnlicher Kleidung (vilissimo tunc habitu), der nachherige Beherrscher Italiens. Da dieser mit gebeugtem Haupt in die für ihn zu niedrige Hütte trat, erfuhr er vom Manne Gottes, daß ihm Ruhm bevorstehe. »Geh,« sprach derselbe beim Abschiede Der Anon. Valesii, der die ganze Stelle in den Exzerpten de Odoacre, Theodorico etc. wörtlich aus Eugippius nachschreibt, setzt hier noch hinzu: Vade, inquit, ad Italiam, vade etc., »geh, der du mit den schlechtesten Fellen bekleidet bist, bald aber vielen reiche Spende gewähren wirst.«
Die Zeit dieser merkwürdigen Weissagung ist nicht genau zu bestimmen. Da Severin jedoch nach dem vorhergehenden Kap. 5 dem Könige der Rugier Flaccitheus, der ihm seine Bedrückung durch die Ostgoten klagte, prophezeite, er werde durch deren Abzug bald sicher werden Quia cilo securus iis discendentibus., dies sich aber offenbar (? D.) auf die von Jordanis (Kap. 56) berichtete Auswanderung Videmers nach Italien bezieht, die unter Glycerius im Jahre 473–474 erfolgte, so dürfte jene Weissagung der Erfüllung etwa 2–3 Jahre vorausgegangen und das spätere Zusammentreffen mit Odovakar hiernach in die Jahre 470–471 zu setzen sein, was sich sowohl der Zeit der vorerwähnten Niederlage der Skiren durch die Goten, als des ersten Auftauchens Odovakars in Italien zu Anfang des Jahres 472 anschließt.
Daß letzterer edler Geburt war, ist unserer Überzeugung nach nicht zu bezweifeln. Die Germanen, wenn auch römische Söldner, hätten, einem tief eingewurzelten Nationalgefühl zufolge, einen Krieger niedriger Abkunft kaum an ihre Spitze gestellt. Auch dessen, sowie seines Bruders Eintritt in die kaiserliche Leibgarde (vergl. Anm. 4[?]) spricht dafür, da in diese nur alte verdiente Krieger zur Belohnung oder vornehme junge Leute zu ihrer Ausbildung aufgenommen wurden, Odovakar von Eugippius aber ausdrücklich Jüngling genannt wird. Jordanis Kap. 46 bezeichnet ihn irrig als einen König der Turkilinger Der verdiente Zeuß hat sich durch seinen Scharfsinn verleiten lassen, S. 155 die Turkilingen in den ‘Ρουτικλει̃οι des Ptolemäus wiederzufinden, obwohl er selbst zugibt, daß alle Handschriften an zwei Stellen Rutikleien schreiben. Es ist aber kaum denkbar, daß in den zahlreichen Völkerkatalogen der Quellen, namentlich der Dichter seit des Theodosius des Großen Zeit, der Name der Turkilingen nie vorkommen sollte, wenn wirklich ein Volk unter solchem bestanden hätte. – (Die erste Ausgabe hielt die Turkilingen fälschlich für das Königsgeschlecht der Skiren und sind auffallend, daß die doch gewiß in römische Numeri (Kohorten oder Legionen) einrangierten Söldner nicht nach diesen, sondern nach ihren Volksnamen bezeichnet werden: allein dies kam ja schon seit Jahrhunderten vor. D.): unserer Ansicht von Odovakars Abkunft hat man freilich entgegengesetzt, daß derselbe nach zwei Stellen in des Ennodius Lobrede auf Theoderich (C. 6, 3) nur niederer Geburt gewesen sei: man darf aber nicht vergessen, daß man den Phrasen dieses Schmeichlers des Vernichters von Odovakar nicht trauen darf, derselbe auch dessen Geburt wohl nur relativ, d. i. dem Amaler Theoderich gegenüber, herabsetzen wollte, endlich dabei auch die Niedrigkeit, in welcher derselbe zuerst auftrat, vor Augen gehabt haben dürfte.
So war denn der junge Mann spätestens zu Anfang des Jahres 472 nach Italien gekommen, wo er, vielleicht das Gefühl einer höhern Bestimmung eben so in sich tragend wie andern einflössend, bald zu einer solchen gelangte. Als Orestes den Fremdtruppen die geforderte Landteilung verweigert hatte, erbot sich nach Prokop (d. b. Goth. I, 1) Odovakar zur Gewährung, wenn sie ihm zur Gewalt verhelfen. Da mögen sich diese, ersterm den Gehorsam weigernd, letzterem unterworfen haben, worauf Orestes nach Pavia entfloh, wo ihn Odovakar belagerte: er nahm den Platz unter grauser Plünderung, Brand, Zerstörung, also wahrscheinlich durch Sturm, ein und ließ Orestes, der in seine Hände fiel, im August 476 bei Piacenza töten (Ennodius, V. St. Epiph., p. 386/7). Dessen Bruder Paulus, der noch anderwärts Gegenwehr versucht haben mag, fand am 4. September ein gleiches Ende zu Ravenna.
Schon am 22. August war Odovakar durch sein Heer zum Herrscher, d. i. zum Inhaber der Militärgewalt, da dasselbe eine andre nicht verleihen konnte, ausgerufen worden. Als solcher nahm er, nach Cassiodor, dessen Chronik nun zuverlässig wird, den Titel König an (Vergl. aber die vorgängige Verhandlung mit Byzanz, wohin er die Kaiserinsignien schickte, im Folgenden und bei Dahn, Könige II, S. 38 f.), ohne sich jedoch des Purpurs und sonstiger Zeichen dieser Würde zu bedienen.
Augustulus entkleidete sich, wohl gleich nach seines Vaters Tode, der Hist. misc. zufolge, freiwillig derselben, ward von Odovakar seiner Jugend halber geschont und nach Campanien verwiesen, wo ihm die Villa des Luculi unfern Neapel mit einem Jahrgehalte von 6000 Solidis, ungefähr 72 000 Mark, überlassen ward.
(S. sämtliche Chronisten, Jordanis Kap. 46, Anonym. Valesii, Prokop, d. b. Goth. I, 1 und Historia miscella.)
Es gehört zu den gröbsten historischen Irrtümern, Odovakar als einen an der Spitze seines Volks über die Alpen ziehenden Eroberer Italiens zu betrachten, obwohl dies durch die Unklarheit der schlechten Quellen Die Quellen lauten wie folgt: Marius: His coss. levatus est Odovacer rex. Incert. Chron. Basilisco II. et Armato coss. Levatus est Odoacer rex X Kal. Sept. Marcellin: Odoacer rex – Gothorum Romam obtinuit. Cassiod:. His coss. ab Odovacre Orestes et frater ejus Paulus exstincti sunt nomenque regis Odovacer adsumpsit, cum tamen nec purpura nec regalibus uteretur insignibus. Anonymus Valesii: Augustulus a patre Oreste Patricio factus est imperator. Superveniente Odoacre cum gente Scirorum occidit Orestem Patricium in Placentia. Weiter unten aber sagt er: Odoacer vero, mox deposito Augustulo de imperio, factus est rex. Cujus pater Aedico dictus, de quo ita invenitur in libris vitae beati Severini Monachi intra Pannoniam. Hierbei berichtet er aus dem Leben St. Severins: Quidam barbari, cum ad Italiam pergerent, promerendae benedictionis ad eum intuitu diverterunt, inter quos et Odoacer, qui postea regnavit Italiae, vilissimo habitu juvenis usw. wie am genannten Ort im Texte steht, Jordanis, Get. c. 46: Odovacer Turcilingorum rex habens secum Scyros, Herulos diversarumque gentium auxiliarios Italiam occupavit et Oreste interfecto Augustulum – exilii poena damnavit etc. Und in regn. p. 709: Odovacer genere Rogus Thorcilingorum Scyrorum Herulorumque turbis munitus Italiam invasit etc. Hist. misc. XVI, p. 557, 558: Ingresso Italiam Odoacre statim ei apud Liguriae terminos Orestes occurrit etc. Odoacer itaque – statim regiam arripuit potestatem. Procop. d. b. Goth. I, 1, p. 308: η̃ν δέ τις εν αυτοι̃ς ’Οδόακρος όνομα, ες τοὺς βασιλέως δορυφόρους τελω̃ν, οι̃ς αυτὸς τότε ποιήσειν τὰ επαγγελλόμενα ωμολόγησεν, ήνπερ αυτὸν επὶ τη̃ς αρχη̃ς καταστήσωνται. ούτω τὴν τυραννίδα παραλαβὼν άλλο μὲν ουδὲν τὸν βασιλέα κακὸν έδρασεν εν ιδιώτου δὲ λόγω βιοτεύειν τὸ λοιπὸν είασε. καὶ τοι̃ς βαρβάροις τὸ τριτημόριον τω̃ν αγρω̃ν παρασχόμενος τούτω τε τω̃ τρόπω αυτοὺς βεβαιότατα εταιρισάμενος τὴν τυραννίδα ες έτη εκρατύνετο δέκα. Theophanes, p. 102 D: η τη̃ς εσπέρας βασιλεία – μετὰ τοσούτους επαύσατο χρόνους, ’Οδοάκρου λοιπόν Γότθου μὲν τὸ γένος εν ’Ιταλία δὲ τραφέντος χειρωσαμένου δυνάμει βαρβαρικη̃ τὴν αρχήν.
Vergleicht man diese Zeugnisse kritisch, so sind es nur die der schlechtesten Quellen, des Jordanis und Hist. misc, die den Gedanken an eine Invasion Italiens durch Odovakar begründen könnten. Von entscheidendem Gewicht aber ist das negative (und positive D.) Zeugnis der übrigen, unter denen Marcellin und Prokop, vor allem aber Cassiodor, die bedeutendsten sind.
Wie ist es denkbar, daß der Einbruch eines über die Alpen gezogenen Barbarenheeres in Italien den Chronisten unbekannt geblieben und von ihnen verschwiegen worden sein könne?
Der positive Beweis für unsre Meinung aber beruht auf den im Wesentlichen übereinstimmenden Zeugnissen des Eugippius, der beinahe Zeitgenosse war, des Anonym. Valesii, Prokop und Johannes von Antiochien. Daß Odovakar vorher unter den Leibwächtern gedient habe, beruht zwar allein auf Prokop, liegt aber in der Natur der Sache, da es für einen jungen zugewanderten Abenteurer eine höhere Stellung kaum geben konnte. Wenn der so viel spätere Theophanes den Odovakar in Italien erzogen nennt, so ist dies zwar gewiß nicht genau richtig, bestätigt aber doch die richtige Ansicht, daß er bereits vor seiner Erhebung in Italien lebte. (Vergl. Dahn, Könige II, S. 36 f.)
Noch ist zu bemerken, daß die persönliche Bekanntschaft des Orestes mit Odovakars Vater Edico, wenngleich deren Verhältnis zur Zeit von Maximians Gesandtschaft (vielleicht nur vorübergehend) ein feindliches war, den Eintritt des jungen Mannes in römischen Dienst erleichtert haben kann.
einigermaßen unterstützt wird. Diese stimmen jedoch selbst nicht einmal miteinander überein, indem Jordanis ihn einen König der Turkilingen, Marcellin aber der Goten nennt.Ebenso ist es nicht streng richtig, wenn man des Augustulus Abdankung und Odovakars Erhebung zum Herrscher Italiens im Jahre 476 als den Untergang des weströmischen Reichs bezeichnet, da dessen legitimer Kaiser Nepos ja in Dalmatien noch herrschte, dessen Gewalt unstreitig auch in den noch römisch verbliebenen Teilen von Gallien und Spanien fortwährend anerkannt ward.
Jedoch die Welt konnte sich kein römisches Reich des Abendlandes als noch lebend denken, dessen Haupt, Herz und Rumpf, Rom und Italien, in Barbarenhänden waren. Regte sich in einzelnen, überdies unzusammenhängenden Außengliedern, losgerissen von dem innern gemeinsamen Lebensquell, kurze Zeit hindurch noch ein römisches Dasein und Wirken, so war dies richtiger nicht als ein Hinhalten, sondern nur als ein teilweises Überleben des Untergangs zu betrachten.
Darum haben wir das Jahr 476 als verhängnisvolles Epochenjahr um so mehr festzuhalten, da es für jede Annahme irgend eines andern an festen Anhalten fehlen würde.
Nur im Morgenlande daher lebte damals das römische Reich noch fort: und da die Provinzen des Westens niemals staatsrechtlich von dem Gesamtkörper getrennt worden waren, so gehörten sie diesem (theoretisch D.) auch jetzt noch fortwährend an und kehrten, wenn nur den Barbaren entrissen, sofort (auch praktisch D.) wieder in die Stellung von Gliedern des gemeinsamen römischen Reichskörpers zurück.
Für uns verliert das Ostreich, nach etwa einem Jahrhundert wenigstens, das frühere lebendige Interesse.
Fast noch ein Jahrtausend lang das westliche überlebend, fiel es nicht durch Germanen und Christen: ja nicht einmal durch die ihm so gefährlichen Altaivölker: Bulgaren, Avaren usw.: oder durch des Islams, der freilich dessen Tod ward, erste Träger, die Araber: sondern erst durch dessen zweite Phase, als der neue Glaube den von der großen Wüste und deren Gebirgsrändern her zugewanderten türkischen Nomadenstämmen seinen Fanatismus der Glaubensverbreitung und Eroberungssucht eingehaucht hatte. Die wunderbare Zähigkeit des Widerstandes aber, die das Ostreich in ganz anderm Maße als das westliche noch bewies, wurzelte, abgesehen von einzelnen bedeutenden Herrschern desselben, vor allem in der unvergleichlichen Lage Konstantinopels, welche samt ihrem Einfluß auf die Entwickelungsgeschichte der Menschheit schon früher (Bd. I) hervorgehoben ward.
Doch hat die Stadt Constantins des Großen überhaupt nur 1123, die des angeblichen Romulus aber nach der gemeinen Rechnung 1229 Jahre lang bestanden und geherrscht.
Odovakar suchte, gleich allen germanischen Fürsten vor und noch lange nach ihm, einen Rechtstitel für seine Herrschaft, worüber ein wichtiges Fragment des griechischen Historikers Malchus uns Aufschluß gibt, welcher, Priscus fortsetzend, mindestens die Geschichte der acht Jahre von 473 bis 481 Nach Photius umfaßten des Malchus sieben Bücher nur obige Zeit, während er nach Suidas sein Werk bis zu Anastasius (491) fortgesetzt haben soll. mit eingehender Gründlichkeit niederschrieb. (Dieses Bruchstück befindet sich im Corp. Script, hist. Byzant. I, p. 235 unter 3 der Bonn. Ausg. v. J. 1829.)
Dasselbe beginnt mit den Worten: »Als Augustus, des Orestes Sohn, vernahm, daß Zeno wiederum zur Herrschaft im Ostreiche gelangt sei, zwang er den Senat, eine Gesandtschaft an ihn abzuschicken.« Diese kann hiernach erst in die zweite Hälfte des Jahres 477 fallen. Nach dem Tode Kaiser Leos im Januar 474 nämlich hatte dessen Schwiegersohn Zeno den von des Vorgängers Enkel seinem eignen noch unmündigen Sohne Leo d. J. überlassenen Thron bestiegen, war aber im Jahre 475, frühestens nach dem 11. Oktober, durch seine Schwiegermutter Verina, die Kaiserin-Witwe, und deren Bruder Basiliscus von demselben gestoßen worden und erst im Jahre 477 nach etwa zwölf Monaten, also nicht vor dem Juli, wieder zu dessen Besitz gelangt, wie sich dies aus den in Clintons Fastis Romanis für diese Jahre umständlich angeführten Quellen zweifellos ergibt.
So wunderbar es nun erscheint, daß Augustulus fast ein Jahr nach seiner Absetzung noch als Herrscher verhandelt haben könne, so müssen wir doch nach dem Inhalt jener Botschaft annehmen, daß sie unter dessen scheinbarer Firma, d. i. in dessen angeblichem Auftrage vom Senate ergangen sei. Dieselbe lautete nämlich dahin: »Es bedürfe keines besondern Kaisers weiter für das Westreich: ein Kaiser genüge für beide Reichsteile. Für den Schutz des diesseitigen sei Odovakar von ihnen υπ' αυτω̃ν, was sich des Plurals wegen auf den Senat beziehen muß. angestellt worden, der dazu ebenso politisch als militärisch befähigt sei. Diesen möge nun Zeno zum Patricius ernennen und ihm die Verwaltung Italiens anvertrauen.«
War nun Augustulus der letzte im Westreich mit Ausnahme von Dalmatien anerkannte Kaiser gewesen, niemand auch bisher (was Odovakar sorgfältig vermieden) an dessen Stelle getreten, so war es ganz konsequent, daß die nötig befundene neue Einrichtung auch in dessen Namen und Einverständnis beantragt wurde, worin nun selbstredend die amtliche Bestätigung seiner bereits vorher faktisch erfolgten Thronentsagung lag.
Gleichzeitig mit der Überbringung dieser Botschaft trafen aber auch des Nepos Abgeordnete in Konstantinopel ein, welche des Kaisers Hilfe zur Wiedereinsetzung ihres Herrn in sein Reich erbaten.
Zeno erwiderte den römischen Gesandten: »Von den aus dem Ostreich empfangenen Kaisern hätten sie den einen getötet (Anthemios), den andern vertrieben; was jetzt zu tun, möchten sie selbst ermessen. Da sie aber noch einen Kaiser hätten, sei dessen Zurückberufung das einzig richtige. Odovakar werde daher angemessen handeln, wenn er das Patriziat vom Kaiser Nepos annehme. Er selbst aber werde ihm, wenn letzterer ihm nicht darin zuvorkäme, die gedachte Würde verleihen. Loben müsse er übrigens Odovakar, daß er in der übernommenen Gewalt die Ordnung und Rücksicht, welche er den Römern schuldig sei, beobachte. Darum vertraue er auch, derselbe werde, wenn er recht handeln wolle, den ihn also (d. h. mit dem Patriziat D.) ehrenden Kaiser (Nepos) baldigst an- und aufnehmen.«
Der Kern dieser diplomatischen Erwiderung, bei welcher Zeno, unstreitig in einem zweiten an Odovakar selbst erlassenen Schreiben, diesem sogar den Titel Patricius schon beilegte, ist dessen Anerkennung als Gewalthaber in Italien unter dem Namen eines römischen Würdenträgers, wiewohl unter Wahrung der Rechte des legitimen Kaisers des Abendlandes, Nepos.
So hatte denn Odovakar (aber nur teilweise D.) was er gewünscht. Zu der faktischen Macht, die er an der Spitze der Fremdtruppen usurpiert hatte und deren Fortdauer die Ergebenheit derselben ihm verbürgte, gesellte sich nun eine mindestens stillschweigende Anerkennung und Bestätigung durch das Staatsoberhaupt, welche zugleich den Gehorsam seiner römischen Untertanen wesentlich förderte und sicherte. Will man auch hiernach Odovakar nicht als Selbstherrscher, sondern nur als einen Beamten des oströmischen Kaisers ansehen, wenngleich dessen Unterwerfung nur eine scheinbare war, so kann doch in dessen Herrschaft immer nicht eine Fortdauer des weströmischen Reichs erkannt werden. (Siehe aber Dahn, Könige II, S. 40: er nahm den Königstitel, wie es scheint, erst jetzt an, nachdem eine rückhaltlose Anerkennung von Seite Ostroms nicht zu erlangen war. D.)
Dessen hat er sich gewiß auch vollkommen erfreut; wenn daher Marcellin und Jordanis Kap. 46 berichten, daß derselbe im Jahre 477 den Comes Brakila hinrichten lassen, was nach Jordanis geschehen sei, um den Römern Schrecken einzuflößen, so haben wir doch in diesem nach dem Namen einen Goten, von dem er wahrscheinlich Umtriebe unter den Fremdtruppen besorgte, zu vermuten.
Dem Kaiser Nepos freilich hat sich Odovakar, trotz Zenos Anraten, nicht untergeordnet, ersterer aber wahrscheinlich auch nicht einmal einen Anspruch darauf erhoben, vielmehr seine unabhängige Stellung in Dalmatien sich genügen lassen, andrerseits aber in dieser auch von Odovakar, dem jedes Eroberungsgelüst (Wohl aus dem Gefühl der inneren Schwäche seiner Macht, welche zwar zu tapferster Verteidigung, wie wir sehen werden, ausreichte, aber nicht zu weit ausgreifenden Angriffskriegen. D.) überhaupt fremd gewesen zu sein scheint, keinerlei Angriff erfahren. Am 9. Mai 480 ward jedoch jener letzte legitime Kaiser Westroms durch die Hinterlist zweier seiner Beamten (comites) Victor und Ovida ermordet, wovon nun Odovakar, mit dem Zweck oder unter dem Vorwande der Ahndung dieses Frevels, Anlaß nahm, im Jahre 481 nach Dalmatien zu ziehen, woselbst er jenen Ovida, der dem Namen nach ein Gote gewesen zu sein scheint, besiegte und tötete, diese Provinz aber nunmehr unzweifelhaft seiner eignen Herrschaft unterwarf. (S. den Chron., Marcellin und Cassiodor.)
Von weitern Waffentaten desselben berichten die dürftigen Chronisten, fast unsere einzigen Quellen über ihn, nichts als einen Krieg mit den Rugiern im Jahre 487.
Diese saßen nördlich der Donau in Österreich, etwa von Linz abwärts bis in die Nähe von Wien, was bereits zu Pannonien gehörte, beanspruchten aber auch eine Art von Gewalt über das rechte römische Ufer, da nach dem Leben St. Severins sogar mehrere jenseitige Städte denselben tributpflichtig waren, was jedoch mehr ein Friedenspfand, als ein Zeichen der Unterwerfung gewesen sein mag. Gegen deren König Feletheus, auch Feva genannt, Sohn des früheren Königs Flaccitheus, zog nun Odovakar im Jahre 487 Das von Eugippius a. a. O. p. 76 angeführte Motiv, Odovakar habe die Tötung von Ferderich, des Feletheus Bruder, durch des letztern Sohn Friederich rächen wollen, ist sehr unwahrscheinlich. Unstreitig war es ein politisches, wohl wegen Übergriffen der Rugier in römisches Land. (Vergl. über die berichtigten Namen die Ausgabe der vita s. Severini in den Monumenta. D.), fiel in dessen Gebiet jenseits der Donau (Rugiland) ein, überwand ihn am 14. November in einer Hauptschlacht und führte ihn mit einem großen Teile seines Volkes gefangen nach Italien ab. (Chron., Cassiodor, Eugippius, v. St. Sever. c. 44 und Paulus Diaconus de Longobard. I, 19.)
Im folgenden Jahre 488 kehrte jedoch des Feletheus der Niederlage entgangener Sohn, Friederich, in die Heimat zurück, worauf Odovakar sogleich seinen Bruder Onoulf Onoulf mag sich nach des Armatius Ermordung im Jahre 477, nachdem inzwischen seines Bruders Glücksstern aufgegangen war, um so lieber zu diesem begeben haben, da er wohl auch die Rache der Angehörigen des Ermordeten zu fürchten hatte. mit starker Heeresmacht wider ihn sandte, vor welchem Jener zu Theoderich nach Nova (bei Sistova in Bulgarien) floh, was auf des letztern Zug nach Italien nicht ohne Einfluß war. (? D.)
Odovakar gedachte aber nicht, das Donauufer zu behaupten, befahl vielmehr, alle Städtebewohner römischer Abkunft, wenigstens die an der Donau seßhaften, nach Italien abzuführen, was der Comes Pierius vollzog, wobei denn auch der Sarg des am 6. Januar anscheinend 483 (Vielmehr am 8. Januar 482. D.) gestorbenen frommen Severin mit weggeführt wurde. (Eugippius a. a. O., Kap. 44, über St. Sever. Tod, Kap. 43 u. 44.) Dazu mag ihn die Schwierigkeit, Noricum gegen die Markomannen, Quaden, Alemannen und Heruler, deren Raubfahrten es ausgesetzt war, zu schützen, bestimmt haben.
Das Land der Rugier ward darauf von den Langobarden besetzt.
Vom der innern Verwaltung Italiens unter Odovakar wissen wir sehr wenig. Siehe Dahn, Könige II, S. 35–50.
Daß Odovakar den Truppen die verlangte und versprochene Länderei wirklich zuteilte, ersehen wir aus Prokop, d. h. Goth. I, 1, nichts aber über die so schwierige Art der Ausführung, die doch unstreitig mit einer gewissen Ordnung vollzogen wurde.
Von diesem einmaligen Gewaltstreich abgesehen dauerte das römische Staatsregiment mit seiner Bürokratie, selbst mit einem Präfectus Prätorio Italiens, unverändert fort. Der Senat, der ja seit fast einem halben Jahrtausend allen Herrschern das willigste Werkzeug gewesen, ward von Odovakar wahrscheinlich noch mehr als von den vorhergegangenen Kaisern für seine Zwecke benutzt.
Vom Jahre 476 bis zu des Nepos Tod erscheint nur ein Konsul in den Fasten; von 481 bis 490 fungieren deren in der Regel In den Jahren 483 und 485 nur einer, was in besondern, auch früherhin bisweilen vorgekommenen Verhältnissen seinen Grund gehabt haben kann. wieder zwei, von denen einer unstreitig von Odovakar (oder dem Senat) ernannt und vom Kaiser des Ostreichs anerkannt wurde.
Odovakar herrschte im Allgemeinen gewiß weise, gerecht und milde, was aus dem Mangel an Klagen und Beschuldigungen gegen denselben abzunehmen ist (die sonst in den römischen Quellen gegenüber einem barbarischen Tyrannen nicht zu fehlen pflegen. Auch in der ostgotischen Zeit erheben Cassiodor und die andern Quellen, ja nicht einmal Ennodius bestimmte Anklagen der Mißregierung. D.).
Das Volk muß, von den unmittelbar Beraubten abgesehen, unter ihm sich weit besser als unter den letzten legitimen Kaisern befunden haben, was freilich hauptsächlich auch dem schon gegen Ende des Jahres 475 mit dem hochbejahrten Gaiserich geschlossenen Frieden zuzuschreiben ist. Von dem größten Vorteil für Italien und Rom insbesondere war die bereits erwähnte Abtretung des für die Getreideversorgung so wichtigen Siziliens an Odovakar.
Das Bild dieses gewiß bedeutenden Mannes, für dessen genauere Zeichnung es uns leider an Quellen gebricht, ist in der Geschichte dadurch getrübt worden, daß derselbe nach fünfzehnjähriger Herrschaft und nahe fünfjährigem Kampfe durch einen unzweifelhaft weit Größeren, den Ostgoten Theoderich, gestürzt ward.
So schließen wir denn dies letzte der Geschichte Westroms, die nun aufhört, gewidmete Kapitel mit der wiederholten Bemerkung, daß es Irrtum sein würde, Odovakars Herrschaft als den Beginn der germanischen Eroberung und Niederlassung in Italien zu betrachten.
Die Männer, die ihn erhoben, waren römische, zum Teil gewiß schon im Reiche geborne Soldaten. Es war keine Eroberung: noch weniger ein Umsturz der bestehenden Staatsverfassung: nur ein nach kurzem Kampfe zwischen zwei Usurpatoren, einem römischer und einem germanischer Abkunft, vollbrachter Wechsel in der Person des Regenten. Schon früher hatten in Arbogast und Rikimer Barbaren unter römischem Titel die höchste Gewalt im Reiche geübt: aber nur eine vorübergehende und immer noch neben einem Scheinkaiser des Abendlandes.
Daß nun ein solcher nach Augustulus nie wieder ernannt ward und Odovakar allein, wenn auch dem Namen und Scheine nach nur als Beamter des Ostkaisers, den Rest des Westreichs regierte, – war der einzige Unterschied zwischen der früheren und der mit ihm beginnenden neuen Zeit.
Die Geschichte dieser aber, selbst die der ostgotischen Übergangsphase, gehört nicht mehr in dieses Buch.